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HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THB FUND OF
CHARLES MINOT
CLASS OF 2828
HEIDELBERGER
0
JAHRBÜCHER
DER
LITERATUR.
Vier und vierzigster Jahrgang.
Erste Hälfte.
Januar bis Juni.
^ Heidelberg*
Akademi.che Verlagshandlung von J.C. B.Mohr.
1851.
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HARVARD
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Ir. L HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
J.Volontari ed % bersaglieri. Lombard* Annotaziom storichi di Emilio
Dandolo.
Ah sogli eslinti
Piom sorge Höre, ove non siu dtumane,
Lodi onorato e (Famoroso pianto.
Torino. Tipograßa Ferrero e Franco. Agosto. i849. 303 p. kl. 8.
Diese Schrift enthält Notizen über die Schicksale dreier edler ita-
lienischer Enthusiasten, welche hingerissen von Vaterlandsliebe im Kampfe
für das Unmögliche, das Härteste erduldeten und das Aeosserste wag-
ten. Der Zweck des Verfassers des sehr schön gedruckten mit den Bild-
nissen der drei Märtyrer versehenen Büchleins ist auf dem Titel blatte mit
Foscolos Worten ausgesprochen. Die Märtyrer sind Bnrico Dandolo,
Emilio Morosini, Luciano Manara, ganz junge Leute, die Bildnisse zeigen
interessante Gesichter, schwärmerisch, aber ohne Spur von Wildheit. Da
dem Referenten dieses Bttchlein von einem sehr achtbaren Freunde io
Törin mitgetbeilt ist, so glaubt er diesem und den Lesern der Jahrbücher
einen Dienst zu thun, wenn er etwas ausführlicher als gewöhnlich vom
Inhalte desselben Nachriebt gibt. Im Allgemeinen kann diess nicht besser
geschehen, als wenn er, ehe er zum Buche selbst, das heisst zu den
Peldzügen und zu der Verteidigung Roms, wo alle drei das Leben ver-
loren, übergeht, den grössten Tbeil der Vorrede mittheilt.
„Der Zufall", heisst es p. 10, „brachte mich io solche Verhältnisse,
dass ich oftmals manche Thatsachen klar und bestimmt beurtneilen konnte,
welche andern zweifelhaft blieben oder welche falsch von innen beur-
theilt wurden. Ich war als langjähriger Freund des seligen Manara ge-
wissermassen sciu Bruder geworden, ich war sein Adjutant und Secretär
m Kriegsangelegenheiten, ein Jahr lang oder mehr, war sein unzertrenn-
licher Gefährte in allen den verschiedenen Abwechselungen seines Schick-
sals, welches ihn endlich zum Tode führte. loh war im Stande, die ver-
wickelten Verhältnisse, durch welche er und seine Genossen auf eine so
unglückselige Weise herumgetrieben und endlich vernichtet wurden, in
ihrem wahren Lichte zu sehen. Ohne vorgefasste Meinungen, ohne einer
Partei anzugehören, glaubte ich eine schuldige letzte Pflicht der Freund-
schaft zu erfüllen , wenn ich diesen kurzen Abrisi bekannt machte. Ich
habe nach nichts Anderem gestrebt als stets und freimtttbig die Wahrheit
zu sagen und unparteiisch zu seya in Allem und für Alle, and wenn ich
XUV. Jahrg. 1. Doppelheft. 1
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i Dsndolo: J Volon tari Lombard!.
■ich tausche, geschieht das gewiss oicht mit Vorsalz. leb wage nicht
politische Bemerkungen oder Deductiooen zu machen, ich erzähle bloss,
waa ich gesehen habe und was ich dabei fühlte, ohne auf Ausarbeitung
einer vollständigen Geschichte Anspruch zu machen.
Obgleich ich den Vorsatz habe, mit der grössten Sorgfalt jedes
Wort zu vermeiden, welches irgend einen Anschein von persönlichem Haas
haben könnte, so habe ich doch manchmal heraussagen müssen, waa ich
von Jedem, wer er auch seyn mag (di tutti i quali), denke, welcher
durch seine schlechte Leitung der Slaatsgcschafte viel zum Verderben un-
serer ganzen Sache beigetragen hat.
Meine Erzählung wird mir viele Feinde und grossen Verdruss zu-
ziehen. Viele Lombarden werden mir Mangel an Liebe zu meinen Lands**
leuten oder wenigstens grosse Unbarmherzig keit im Aufdecken vieler unserer
Wunden Schuld geben, welche ich nach ihrer Meinung besser thate, mit
liebender Hand zuzudecken. Ich bin aber der Meinung, dass wir Lom-
barden uns zu viel geschmeichelt haben, und dass es ein unsinniges und
terderbliches Beginnen (provedimeoto) ist, die traurigen Ursachen unse-
re» verfehlten Beginnens (no*tra caduta) beschönigen zu wollen. Von
der andern Seite trdste ich mich mit dem Gedanken, dass mein frühere«
Betragen und mein gegenwärtiges Missgeschick beweisen werde, dass ich
an Liebe zu nnserm unglücklichen Vaterlande Keinem nachstehe.
Wenn es scheint, daas ich viele Sachen gar nicht berührt habe
und mich über andere gar zu ausführlich ausgelassen; so mag der Leser
bedenken, dass ein Mann, der seine eigene Unglücksfülle erzählt, einen
Trost darin findet, sich auch sogar Uber unbedeutende Kleinigkeiten aus-
führlich auszulassen, die für einen nicht Betheiligten gar keine Beden-
lung nanen.
Hoch ganz jung (gio*anissimo) an Jahren, musste ich fühlen, wie
das widrige Geschick mich mit eisener Hand unterdrückte; musste so
manche berauschende innere Bewegungen erfahren, musste schauen, wie
die herbsten Ereignisse hereinbrachen, bin selbst von so vielen Unfällen
getroffen worden, dass ich, wenn es keinen andern Trost gäbe, als den,
welchen man in der Welt findet, dafür halten würde, dass mein Leben
den Gipfel alles Herben und jeder Enttäuschung erreicht habe. Man wird
es mir daher gewiss gerne gönnen, wenn ich bei der Erinnerung je-
ner Tage froher Hoffnung, wo sich meiue Seele in der Aussicht auf eine
Zukunft gefiel, die mir und meinen armen Freunden lächelte, ein wenif
KU lange verweile. Gewiss, ich verspreche mir, Theil nähme und Ueber-
cro Stimmung der Gefühle bei meinen Lesern zu finden.
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i/iDOviv< j TOioniHn LoruDHrui.
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Der erste Abschnitt des Büchleins selbst hat die Aufschrift: Prima
Canipagna, 1848 und zerfällt in die Capitel; 1) Le cinque giornate,
(d. b. die fünf ersten Tage vom 18. bis 23. Hirz). 2) J Volontari.
3) Castelnoovo. 4} II Tirolo. 5) Organiazamonto. 6) Monte Saelo.
7) Un Episodio d« Volontari. 8) Ritirata. 9) Armistieio.
Der Verfasser, um 1848 Mailinder Student, enthält steh aller De™
clarationen Uber die Ursachen des plötzlichen Aufstandes in Heiland um
1848. Er bleibt bei der nächsten Veranlassung:, den unvorsichtigen robei
und scharfen Maasregeln der österreichischen Polizei im September 1847
und am 3. Januar 1848 stehen. Man könne sich leicht denken, sagt er,
wie sehr diese Excesse der Polizei Hess nnd Weth in den schon glu-
IiahiIaii T Amhap/ttoorton C2a al An vnrmefirt liuf ron Dann rCkAaf ps» vnn rian
Uc nUcu LiVlTiU a ku IM IIc II ljc clcil Tel III Cll il IIa VicIJ. U a II II ICticV ti V UU UCU
Jünglingen, zu denen er gehörte: Pra giovinetti studenli in ispecie era
tale odio erearioto si smisnratamente e si infervorato dalle baldanza pro-
pria dell eta che mal sapevano frenarlo l insegnsmcnto et le necessita
di predenza. Man siebt dort, wie im eben die Zeit bei una in Deutsch-
land, ward auf eine unglückliche Weise, die edelste Gesinnung nnd der
schönste Enthusiasmus , weil er ohne Umsiebt, ohne leitenden Verstand,
ohne Erfahrung war, dem besten Tbeil der Nation verderblich. Die Ju-
gend trieb, wie bei uns, statt sich durch tüchtige Studien and ruhige Hal-
tung fähig zu machen, einmal den Servilen , Schlechten nnd Egoisten im
Staatsdienst kräftig entgegen zu wirken, ein enthusiastisches Posseuspiel
und thörichle Politik. Diess liegt in den Worten p. 18: Le leziooi sco-
Iasliche erano t ras cu rate fino dai piu diligenti; i pazzi discorai, le ar-
Honti cnmnf a accnrhivnnn I« nnsdrn iHJtntA flmaltata Riimitici in DlCCfiltt
ucnil »pciante asaui uirsiiu um ■vfira wvuto visaiw»«. «iuuinvi ju |iibww
brigate noi passavamo le ore apprendendo i militari esse rein; le notte
ci trovava raccolti in qualche remota cameretta a fonder palle e pre-
parare cartuccie. Aal den folgenden Seiten schildert er ganz vortreff-
lich die politischen Kindereien nnd sagt mit Recht: Die verständigen Leute
behandelten ans als Kinder (ci davano del ragazzo) and fragten aas
lächelnd, ob wir ans denn eiubildeten , mit dergleichen politischem und
militärischem Kinderspiel die Deutschen aus Mailand treiben zn können?
Dann führt er alte die kindischen Possen an, denen die Polizei durch ihre
Verfolgung Bedeutung gab. Er berichtet, wie kindisch sich die jungen
Leute mit der Bedeutung brüsteten , die sie erhielten , als sie es dahia
brachten, daaa die Polizei fest aUe Tage ein Decret anschlagen Hess, wo-
rin nach einem halbe« Dutzend von „In Betrachtang, daze" bald verbo-
ten ward, die Schnalle der Hutschleife vorn zu tragen, oder den Hot zu
putzen, als wenn eine Feder darauf wäre u. drgl.
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Dandolo: J Volontari Lombardi.
Gleich, p. 19, geht er darauf zum Volksaufstande am 18. März
über, wo die Studenten nur eine Nebenrolle hatten. Chi potrebbe, ruft
er aus, ora ridire le sublimi commozioui di quella notte che precedette
i supremi pericoli che ci attendeveno. Der arme Junge! Sein würdiger
und geachteter Lehrer hatte aber doch wissen sollen, dass es bei der
Befreiung eines Landes von Bayonetten, Kanonen und Säbeln mehr auf
die Prosa der Armee als auf die Poesie der Köpfe ankommt; obgleich
die Letztere freilich bei keiner grossen Sache fehlen darf. Von dem
Professor beisst es: Una buona mano di studenti stava riunita insieme a
moltissime altre persone nelle stanze del D. Angelo Fava nostro paterno
educatore, il quäle ci aveva cresciuti in un amore e in un desiderio cal-
dissimo di patria indipendenza. Fava, der in diesem Augenblicke Proc-
lamationen schrieb und Anordnungen machte, wie die ganze ungeordnete
Masse des Volks sich entwickeln sollte , er, der die armen Studenten in
den rohen Haufen hineinwarf, musste freilich schon wenige Stnndeu da«
rauf erkennen, wie leicht es möglich ist, die Menge durch Reden zu er-
hitzen und wie schwer sie wieder zu besänftigen ist. Die tobende Volka-
masse stürmte nämlich das Regierungsgebäude, vernichtete Alles, zerschlug
Spiegel und JHeublen und übte unbeschreiblichen Unfug. Umsonst, sagt
der Verf., zeigte sich der Erzbischof mit der Nationalcocarde am Fenster
grüssend und segnend (wie elend und armselig das war!!), umsonst
verschwendeten Gasato, Fava, Borromeo, Guerieri und Alle, welche in
jenen Tagen beim Volke beliebt waren und Einfluss hatten, an jenen tol-
len, tobenden Haufen Versprechungen und Betheurungen ihrer Zuneigung-,
der reiesende Strom hatte alle Dämme durchbrochen und stürzte unauf-
haltsam herab.
Den folgenden Kampf an den Thoren und einzelnen Plätzen der
Stadt beschreibt der Verf. nur in soweit er an sich selbst anschaulich
macht, wie junge italienische GemUther durch die Scenen der Tage des
Kampfs heftig bewegt wurden und wie sehr der Verfasser selbst, damals
noch Schüler, physisch angestrengt und hin- und hergetrieben wurde.
Manara, sagt er, habe sich damals besonders hervorgethan und er (Dan-
dolo), habe sich seitdem an ihn angeschlossen. Die Grausamkeiten, wel-
che auch der sonst billige Verf. p. 24 den Oesterreichern Schuld gibt,
als sie nach einem fünftägigen Kampf am 23. Närs aus der Stadt zogen,
müssen wobl auf Rechnung der Croaten und anderer Barbaren gesetzt werden,
deren Aufnahme in den deutscheu Bund ans jetzt bie und da als rühm-
lich nad vorteilhaft empfohlen wird. Der Verf. zählt übrigens das Ein-
zelne in der Note auf und führt auch an, was er selbst als Führer einer
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l/nncioiu. j i oiunwtn LUiiiunriJi.
rairouiiie gesciicu iiai, er UDorireiui biso Keines» egi« fr its tiic \/es»cr—
reicher abzogen, zeigten sich sogleich Piemontesisehe Truppen: iber so-
gleich auch die Folgen der Trennung Kaliens in kleine Staaten, von de-
nen jeder auf seinen Particularismus stolz ist, wodurch es noch lange
unmöglich gemacht werden wird, ein starkes Italien zu schaffen. Ebenso
Deutschland, wo man noch lange Croaten und Panduren oder gar Russen
anrufen und preisen wird. Der Verf. sagt, er habe gleich als die Sardinischen,
bekanntlich ganz vortrefflichen, Truppen in Anmarsch gewesen , ton sei-
len zungenfertigen Landsleuten ausrufen boren : Abbiamo cacciato i Croati
eecone degli altri. Solchen Leuten, wie die, welche so schrien, fügt «r
verständig hinzu, und wir meinen, welche unter uns von den Prenssea
ahnliches sagten, verdanken wir das Scheitern unserer Hoffnungen (nostre
sciagure) mehr als den österreichischen Kanonen. Er deutet in der Folge
an, wie Mezzini und Consorten eben so toll declamirten, als unsere Struve,
Heinzen nnd Consorten. Er bemerkt ganz richtig, dsss diese Schwatzer
gar nicht ahndeten, dass Radetzky nicht aus Furcht vor ihrem popolo die
10,000 Mann Besatzung aus Mailand zog, sondern weil er als Feldherr
rathsam fand, sich, als das Piemontesisehe Heer heranzog, der Basis sei-
ner Operationen zu näheren. Sie schrien und declamirten aber ihren Sieg, wie
wir Ober Mieroslawsky's Siege declamiren hörten und Heidelberg illuminirten.
Der Verf. sagt es gerade heraus, dass die Mailänder weder fähig noch Willens
waren, sich für die Sache zu opfern, für welche sie ein paar Tage lang gros-
sen Eifer gezeigt hatten. Sie prahlten, dass sie die Oesterreicber ver-
jagt hatten, sie glaubten Alles gethan zu haben. Sie regten sich nicht
einmal, als Manara eine Schaar Freiwilliger bildete und die provisorische
Regierung durch einen Anschlag alle unverheiratete junge Leuten einlud,
sieh zu melden. Die Verheirathefen sollten eine Natiotialgarde bilden; es
blieb aber bei Phrasen. Um deutlich zu machen, wie theatralisch leer
die ganze Anstalt der entnervten Lombarden und Mailänder war, unter
denen Mazzini declamirte, wie Slruve und Consorten unter uns, und wie
sehr zu bedauern ist, dass schöne und edle Jünglinge, wie die drei Mär-
tyrer und ihr Gescbichtschreiber in diesen Strudel gerietben , wollen wir
die Worte des Verf. über die Schaar der Freiwilligen anführen. „Am
Freitage zog unter dem pomphaften Namen Heer der Alpen die leichte
Schaar Clegioni mobil i ) ins Feld. Sie bestand aus nicht mehr als 120
Mann. Wahrlich ein ganz entmuthigendes Beispiel von jener sich um
Nichts kümmernden Sicherheit, welche sich der Gemüt Ihm- der Leute be-
mächtigt hatte, welche doch vorher verstanden hatten so grosse Dinge
im Ma/landischen zur Vollführung zu bringen.« Ganz offen gesteht der
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Dandolo: f Yolontari Lombardi.
Verf. pag. 32 onten: Di« Freiwilligen wäre« eine Vereinigung (accox-
zaglia) von Leuten, die ein gemeinsames Gefühl zusammen geführt hatte
(ee vermehrte sich nämlich die aas Heiland gezogene kleine Sehaar
von allen Seilen her}. Alle waren Enthusiasten und Patrioten, aber
Keiner von Allen hatte auch nur den Schatten einer Vorstellung von ei-
gentlichem Kriegswesen und von dem, was zur Bildung eines Corps ge-
höre. Bf fügt hinan, dass, wie kurz darauf die Zahl der Freiwilligen zunahm,
die reicheren jungen Leute in Italien, wie am 1849 hei ans in Baden,
Comüdie spielten. Er erzählt, wie die Offiziere die Säbel schleppten und
ritterlich abentheuerlich geputzt einberschritten. Es waren, sagt er, un-
ter den Leuten, die etwas mehr an Zahl betragen mochten, als drei oder
vier Bataillons, alle Grade vom Obergeneral und Generellieuteant bis cum
Corporal einfach oder auch doppelt besetzt. Diess erläutert er durch ein
Beispiel. Manara, sagt er, nannte sich damals Divisionsgeneral. Diese
Division bestand aus der Colonne Manara, welche endlich auf 500 Mann
angewachsen war, aus der von Arcioni, die 1200 Mann zählte und aus
der von Torree, die 800 Mann betrug, üeber diese kleine Zahl von
Leuten war ein Generallieutenant, zwei Brigadegenerals and ein zahlrei-
cher Genereistab gesetzt. Es gab Bataillons von 100 Mann, Compagaieu
von zwanzig mit einem Hauptmann, Lieutnant und Feldwebel. In einem
Stücke waren die schwärmenden lombardiscben Jünglinge besser als un-
sere bärtigen Säbel schleppenden Demokraten, die sich nicht allein nach
ihren hohen Titeln bezahlen Hessen, sondern auch wohin sie kamen, auf
anderer Leute Unkosten zechten und zehrten. Alle diese jungen hoch-
belilelten Herrn erhielten nur den Sold der Gemeinen oder sie nahmen
auch gar nichts. Das gilt aber nur von der aller ersten Zeit und von
den Jünnlinffen Die Bestandteile der erwähnten Schaaren beschreibt
dieser Italiener gerade so, wie wir sie im Badischen gesehen haben, nur
fehlten den Lombarden die tausende regulärer Truppen, welche sich ans der
alten Armee Badens zu den neuen Fahnen gesammelt hatten, auch fehlten auf«
gebotene Landlente. Vortrefflich weiset Herr Dandolo aus eigener Erfahrung
nach wie leicht der Enthusiasmus unter dauernden Beschwerden erlöschen
musste, und wie gefährlich es ist, zarte unschuldige Jünglinge, Gymnasiasten
und Studenten mit dem ganz verdorbenen und verworfenen Gesindel, ent-
laufenen Soldaten und Verbrechern zusammenzubringen, welches sich Überall
wo die Ordnung an/gelöset ist, einzufinden pflegt. Er sagt: „Die Mehrsten
der Gemeinen eilten herbei, nicht um den Feind zu bekümnfen. sondern
um auf Kosten des Vaterlandes gut zu leben. U pingue stipendio, In
vita ngüata e vagabouda, la speranza di pescare nel torbido, ti sping an
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Dandolo: J Yolonlari Lombardi.
ad impnguare !e armi. Als Beispiel von dem, was wir so eben ange-
führt haben, berichtet er, dass ein Kerl, der, wie er glaube, einmal
Schneider in Mailand gewesen sey, sich ans einem Roman von Walter
Scott einen fremden Namen herausgesucht nnd sich unter diesem an der
Spitze einer Anzahl schlechter Kerls (banda di briganti) gestellt habe,
mit diesen in Manara's Colonne aufgenommen sey nnd schrecklichen Un-
fug verübt habe (commise gli eccessi piü deplorabili e dannosi). Das
Resultat giebt er hernach in einer einzigen Zeile: „Diese Freibchaaren
bestanden also aus der ßlüthe und aus der Hefe der Gesellschaft. tt Mit
Recht tadelt daher der Yerf. die sogenannte provisorische lombardische
Regierung, dass sie nicht, statt, was unmöglich war, in der Eile eine
löcsbÄrdiscfac ^^riD6C bilden %n ^rvolloo ^ diö selbst ^ wenn sio hlrcichcr
gewesen wäre nnd erträgliche Offiziere gehabt hätte, doch in der kurzen
Zeit niemals so hatte organisirt werden können, dass sie sich mit den
Oesterreicbern hatte messen können, nicht vielmehr die lombardischen Re-
kruten dem pieiuontesiscbeo Heere einverleibte. E indubileto, sagt er,
che se la Lombardia avesse avuto minor numero di volontari e il Pie-
moote piü soldati, le cose sarebbero riuscite ad esito megiiore. Es wären,
sagt er, auf den Listen der Lombarden dreissig tausend Mann gewesen,
wie es aber gegolten hatte, sey mit allen den Leuten Nichts anzufangen
gewesen. Er schreibt das verkehrte Verfahren zum Theil MazzinPs Ca-
kalen zu. Es ist unglaublich, wie dieser tolle Mensch noch immer den
Eiofluss auf die Italiener einer gewissen Classe haben kann, den er bat;
aber es war ja in Deutschland mit Struve derselbe Fall. Auch Lecchi,
also einer der erfahrensten Generale, gab, als er das Heer inspicirt hatte,
dem Krieizsnjini&ter den Rath, es dem Pieuiontesischeo einzuverleiben : aber
Auf den folgenden Seiten erzählt der Verf., wie die Oesterreicber
schnell zurück gingen, und wie dadurch den Freiwilligen der Mulh wuchs,
hie ai«, irregeleitet durch die unverständigen Ordres voo eben, in Caslel-
nnovo von den Oesterreichern, d. h. von Crösten und Italienern in öster-
reichischen Diensten, die voo Verona ausgeschickt waren, Uberfallen und
zum Theü gefangen oder niedergehauen wurden. Auch der Ort ward
zerstört, die Bewohner grausam gemordet. Die Beschreibung der Sceneo,
welche der Verf. dort sab, ist so schrecklich, dass uns schaudert, sie zi
übersetzen ; wir rücken sie daher im Original ein. J volontari sono pochi,
disordinoti, aorpresi. Coslretti a fuggire dagli incendi molli cadooo »eile
mani del nemico, che non risparm io nessuoe. Soldati, ebitauti , donoe,
faociulli, tutti sono scannati. Fino all' allere scorre il sengue di una turba
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8 i/anaoio: j TOtonian Loninarai.
di donoe che erano rifugite nel lempio, e sarebbero orribüi a dirsi gli
aUi di ferocia e dlmpieta , onde quel brano di Croati e di rinnegati Ita-
liani contaminarono la casa di Dio. Wahrlich, setzt er hinzu, schlim-
mer hätten es in alten Zeiten die Horden nicht machen können, die mit
Attila ans den Steppen der Tatarey gekommen waren. Der Rast der
Freisehnaren kam zu Wasser nach Salo zurück und wurde von dort nach
Tirol beordert.
Das vierte Capitel ist dem kühnen Einfall der jungen Leute in Tirol
gewidmet. Manara, als er den Befehl zu diesem Streifzuge erhielt,
nahm am 15. April 1848 nur 150 auserlesene Leute von Salo mit, weil
er auf dem Zuge nach Castelnuovo erfahren hatte, dass eine Zahl ganz
feiger Leute und Raubgesindel in seiner Colonne diene, nichtsdestoweniger
beklagt sich der Verf. bitterlich Uber Indisciplin. Die Ziellosigkeit ei*
niger Wenigen,* sagt er ganz freimülhig, halte die aller schlimmsten Fol-
gen. Die Tiroler Bauern wurden durch diese Leute heftig erbittert und
abwendig gemacht, da sie an vielen Orten vorzogen, sich einem Feinde
Wieder zu unterwerfen, den sie zwar als drückenden Herrscher kannten,
der aber doch wenigstens aus Klugheit mit Ordnung und Verstand ver-
fuhr. Ganz komisch beschreibt er den Aufzug dieser durchaus an ein
militärisches Leben nicht gewohnten jungen Leute, wie sie in der Külte
und im Regen in Tirol vordrangen. Kleider, Hüte, Flinten von allen Ar-
ten und Farben, der Eine ein Sammtrock, der Andere im Modekleid, der
Dritte im Bauerkittel. Durch diesen Aufzug ward das Misstrauen der
Bewohner des italienischen Tirol noch mehr, erweckt und der Verf. meint,
die obere Behörde hatte nichts Nachtheiligeres für die Sache der Lom-
barden and nichts Vorteilhaftere« für die der Oesterreicher thua können,
als dass sie statt regulärer Truppen diese Bande schickte, an deren Spitze
leider sein Freund Manara halte stehen müssen. Nachdem jedoch dieser
Einfall in Tirol, meint der Verf., einmal angeordnet war, war es höchst
unverständig, diesen Freiwilligen, nachdem sie bis nach Stenico vorge-
drungen , plötzlich und ohne allen Grund den Befehl zu ertheilen , nach]
Brescia zurückzugehen. Den Eindruck, den dioss in einem Lande machte,
welches sie zum Abfall von seiner vorigen Regierung und zur Errichtung
tob Freiheitsbaumen beredet und zum Theil getrieben hatten, schildert
der Verf. mit folgenden Worten :
Non e da dire quanto sdegno e quanto sgomento destasse la nostra
partenza in quei terrazani. Vedendosi cosi impensamente abbandonati, essi
abbatterono imprecando Talbero della libertä e maledissero il giorno in
cui serano affidati a diichiararsi in nostro favore.
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% * * «• • » ''Im ' -r *
Dandolo: J Volontär! Lombardi. 9
Dieser Zug nach Tirol, meint der Verf., habe auch zugleich be-
wiesen, dass, wenn nicht eine gani andere Ordnung in das Kriegswesen
komme, mit den Leuten, welche Mailand ins FeÄ^gestellt habe, gar Nichts
anzufangen sey, diess habe man eingesehen jUt(d habe ein regelmässiges
Heer organisiren wollen, auch diese Sache habe man aber ganz verkehrt
angefangen. Wen wählte man', sagt er im 5. Capitel, welches organiz-
zamento überschrieben ist, um das Heer zu organisiren, welches aus lauter
Leuten bestand, die keine Disciplio und keine militärischen Uebungen kenn«
ten? Ein Mitglied der provisorischen Regierung, einen sehr rechtlichen
und braven Mann , aber des Militärwesens durchaus unkundig , einen mit
Geschäften Oberladenen Mann, einen guten Hausväter, der vielleicht gar
nicht einmal wusste, was eine MilitSrflinte sey. Wo man einen der be-
sten und erfahrensten Officiere nftthig gehabt hätte, setzte man einen
Advokaten an die Spitze, mit dem Titel und mit der Gewalt eines Or-
* "I
gamsaiors uer rreiscoaaren m
Als es endlich ans Organisiren der 600 Mann ging, welche unter
Mannra in Salo lagen, schickte man weder Offleiere, noch auch nur Ant-
wort auf irgend eine Anfrage. Mannra ward damals aus einem General-
Reutnant Major, fand aber Niemand, der sein jetzt nach der Qualttäl der
Scbiessgewehre in Compagnien getheiltes Bataillon in den Handgriffen Oben
konnte. Endlich fand sich ein Feldwebel des 14. Regiments als Conva-
lescent in Salo, der das Geschalt Ubernahm.
Der Erfolg der Uebungen und der neuen Einrichtungen wird dann
berichtet, der Verf. deckt dabei alle Mängel auf, welche aus der Zusam-
mensetzung des lombardischen Heers, aus der Jugend und dem falschen
Enthusiasmus der von dem Erfolge ihres Beginnens berauschten Schiller
und Studenten entsprungen , und erklärt daraus , dass am 22. Mai die
Oesterreicher die sogenannte Todtenscbaar (reggimento della morte), welche
der Oberst Anfossi anführte, an der Grenze des Brescianischen überfallen
und zur schimpflichen Plucht auf den Monte Suelo nöthigen konnten.
Die Pflicht gebietet mir, sagt er am Schlüsse des Capitels, zu sagen, mit
welcher Schmach diese Soldaten des Todes sich belasteten, nicht bloss
durch ihre Feigheit, sondern noch mehr dadurch, dass sie auf ihrer Flucht
den prächtigen Palast der Tiroler Grafen Lodrone so schändlich verwü-
stetes. Sie brannten einen Theil nieder und raubten den andern ganz
aus, unter dem Vor wände, dass er einem Feinde gehöre. Die Oester-
reicher, welche dazu kamen, vollendeten das Werk des Verbrechens; sie
worden aber durch das Geschütz vom Monte Suelo belästigt und mussten
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10 Dandolo: J Volon t tri Lombardi.
•
in grosser Unordnung zurückziehen. Sie Hessen einen grossen Sirich Landes
ganz verwüstet und voller Schrecken hinler sich.
Der Anfang des folgenden Capitels, welches die Lage, die Leiden
und die Verrichtungen der auf dem Monte Suelo gelagerten Freiwilligen
schildert, beschreibt, was die armen jungen mailandisch en Enthusiasten,
sommerlich gekleidet, anf dem kalten Gebirge ausstehen mussten. Das
Capitel enthält zugleich einen kurzen Ueberblick der Lage der Dinge in
der Lombardei im Juni 1848.
Der Blick von ganz Italien, beginnt es, war ängstlich auf das pie-
montesische Heer gerichtet, welches ganz allein für die öffentliche Sache
kämpfte, während in den lombardischen Städten die Partbeien unter sich
stritten, welche Form ihre Freiheit erhalten sollte, da sie doch noch gar
keine hatten. Auf uns kleine Schaaren von Freiwilligen, welche auf der
nördlichen Gränze zerstreut waren, um den mit jedem Tage stärker und
kühner werdenden Feind fern zu halten, achtete Niemand und gleichwohl
verdienten auch wir Lob, und es wäre wohl gethan gewesen, wenn man
uns besser unterstützt hätte. Diese armen Freiwilligen, ganz neu im
Kriegsdienst, duldeten damals von Mühsal gedrückt alle Beschwerden eines
langwierigen und für sie unrühmlichen Feldzugs. Sie waren auf den
Bergen zerstreut, welche Italiens Gränzmauern bilden, waren der Kälte
und den Sturmwinden dar Hochalpeo ausgesetzt, ohne dass man sie je
abgelöset hätte, und, was mehr sagen will, durchaus unversehen mit
Kleidung find unentbehrlicher militärischen Ausrüstung. Sie ertrugen aber
nichtsdestoweniger des ganz verdrießliche und mühseelige Leben geduldig,
Bildung und Erfahrung mangelte. Das Folgende gibt die Müuseeligkeiten
näher an, die freilich von der Art waren, dass wenige alte Soldaten sie
mit Geduld ertragen haben würden, wenn man sie solange auf einem so
beschwerlichen Posten gelassen hätte.
Wohl war es recht traurig anzusehen, wie diese ganz jungen Leute
anf den kalten Bergen, welche den melancholischen See Idro wie einen
Brunnen einschliessen, genölhigt waren, mehrere Wochen hindurch unter
freiem Himmel zu übernachten und zwar bei einem strömenden und an-
haltenden Regen ohne Leberrock oder Mantel, ohne Küchengeräth. Dabei
hatten sie Alles zu leisten, was der strengste Kriegsdienst fordern kann;
ein Dienst, der von einer einzigen elenden Compagnie täglich dreissig
Schildwachen forderte, die auf den höchsten Felsen ausgestellt wurden,
wo sie der kalte Wind und beständiger Regen ohne Schutz trafen. Sie
standen da in einem Jäckchen von Barchent nnd einem leichten Ueber-
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Dandolo: J Volontari Lombardi.
röckeben. „Gewiss ein recht armseeliger Zustand, worin die wahrend
drei Monat der Kriegführung ganz vergessenen lom bardischen Freiwilligen
gelesson worden. tt
Der Mangel aller Ducmlin unter den iuniren Leuten, die Place Ma-
naras, ihr Führer zu seyn, ihre Feigheit tu einer und ihre Kühnheit und
Tapferkeit zu der andern Zeit, wird sehr gut beschrieben und durch
einzelne Anecdoleo erläutert, die, wenn wir gleich die Namen, auch
wenn sie genannt wären, nicht kenneu würden, doch viel anwehender
gewesen wären, wenn statt der Anfangsbuchstaben der Namen, diese Na-
lieh vom Berge herab, liess sie aber ohne alle Nachricht von ßrescia
bis gegen Salo und Desenzano hinaus stehen, bis, ohne dass sie von dem
Ausgange des Kampfes der Oesterreicber und Sardinier irgend Etwas
ahndeten, em 6. August die Oesterreich« hinter ihrem Rücken wieder
in Mailand einzogen. Die Schlachten bei Rivoli, bei Yillafranca, .auf der
Sommacampagna, bei Cuatoza waren den Freiscbaaren unbekannt geblieben.
Sie schlugen sich in der Zeit mit den Tiroler Jägern zwischen Breseia
und Deseuaano herum. Der junge Verf. legt komischer Weise auf diese
Plänkeleien Bedeutung. Der Waffenstillstand mit Sardinien und die Ca-
pilidslion Heilands sicherteu bald dem kleinen Heer der Freiwilligen, wel-
ches sich in Bergamo gesammelt hatte, den Abzug Uber .Hönze ins Pie-
montesische. Der Verf. läset bei der Gelegenheit der Redlichkeit der
Oesterreicher volle Gerechtigkeit wiederfahren, deutet aber an, wie die
elenden und feigen Schwärmer und Mazzinis toller und schlechter Anhang
schon damals Alles aufboten, am auf jede Weise durch Verlänmdung and
Yerratb, die innige Verbindung mit Piemont tu hindern, welche das ein-
zige Mittel wer, um die Fremden aus Italien zu treiben. Wer die ganz
einfachen Berjchto und Bemerkungen des jungen Mannes Uber das Treiben
der von Republik träumenden L>cute liesat, wird leicht einsehen, dass eine
Republik in Mailend ein eben so grosser Unsinn wäre, als eine Republik
in Paris and in Berlin. ,
Der folgende kleine Abschnitt ist Waffenstillstand Überschrieben,
und beginnt damit, dass der Verf. beweiset, dass nach dem Aufhören des
£ d tl i ch Koin Ii d r d i & c Ii o n Ivnc£fs suf F^iörnoiitcsischcm Gebiet ölt fiutliii
»iasmus der schnell erhitzten und ebeuso schnell erkalteten Gemuther der
durch eine schlaffe Erziehung, Affenliebe der Eltern, bequemes Wohlleben
verdorbenen lombardischen Jugend völlig erlosch, und dass also alle Frei«
heiUschaaren völlig unbrauchbar wurden. Er sagt p. 125: „Kaum waren
ue im Pi* mnntpsifichen an.tr elanfft und kaum hatten Gefahr und Furcht.
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Dandolo: J Volontari Lombardi.
welche bis dahin wenigstens in den Reihen noch einen gewissen Sinn für
Ordnung und Einigkeit erhalten hatten, aufgehört, als die jämmerlichste
(Ißgrimevole) Mutlosigkeit sich der Lombarden bemächtigte. Viele von
ihnen klagten bitterlich, dass ihr Vaterland, ihre Familie, ihr Häusliches
zerstört sey ; Andere wurden, weil sie über ihre Zukunft ungewiss waren,
mit 'sich und mit ihrem Schicksale unzufrieden; jeder, der es aufrichtig
(onestamente) mit dem Vaterlande wohl meinte, ward daher innig über-
zeugt, dass man unmöglich den Krieg wieder anfangen könne, wenn nicht
die Preischaaren aufgelöset und die Freiwilligen regulirten und discipli-
nirten Regimentern zugetheilt würden, welche im Nothfall die Unterneh-
mungen des sardinischen Heers gehörig unterstützen könnten. Wir wollen
die eignen Worte des Verf. einrücken, um zu zeigen, dass es unter den
Lombarden doch Leute gab, welche einsahen, was man in Deutschland um
1848 und 1849 durchaus nicht einsehen, oder auch nur gesagt haben
wollte, und was, wenn es ein älterer Mann den herrschenden Doctrinärs
sagte, machte, dass er von ihnen als beschränkt und ohne Begeisterung
mit Mitleiden betrachtet wurde, dass in der Politik mit Schwatzen, Hai-
sonniren, Zeitungschreiben, Lärmmachen Nichts ausgerichtet wird. Der
Verf. schreibt:
E molti di noi, a cui aveano giovato la gnerra e gli infortuni, era-
mmo convinti, che colle legioni di Volontari si puö bensi iuiziare e raf-
forzare una insurrezione , ma che con quella schiere di ragionatori, di
Svvocati, di tribuni popolari, con quei mille colori politici, con quelle in-
considerate speronze e quelle leggerezza d'opinioni e prentezza di sos-
petti non si sarebbe mai potuto far fronte agli bataglioni Croati che
pensono e parlano peggio di noi, ma partroppo obediscono meglio. Ma-
nara lösete daher auch am 7. September seine Legion auf. Ein Theil
derselben begab sich nach Venedig und Hess sich dem lombardiscben
Bataillon einverleiben, welches sich später so sehr ausgezeichnet hat; ein
anderer Theil ward den Colonnen einverleibt, welche sich noch erhielten,
ob sie gleich kläglicher Weise militärischen Geist und Disciplin verlo-
ren hatten.
Menara ward am ersten October commandirender Major eines Ba-
taillons lombarrlischer Scharfschützen, dessen Bildung ihm anvertraut wurde.
Es sollte bestehen aus den aufgelöseten Douaniers, den Schützen der Co-
lonne Thannberg, und aus der Nationalgarde von Bergamo. Es bestand
aus 800 Mann , mebrentheils Ausreisser aus der österreichischen Armee,
Leute, die an die Forderungen einer strengen Disciplin gewohnt waren,
kurzum aus Soldaten im eigentlichen Sinne des Worts. Auch die OF-
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Dandolo: J Volon tari Lotnbardi,
filiere hatten grüsstenlheiis in der österreichischen Armee gedient, ausser
eiuigen wenigen jungen Leuten, bei denen der gute Wille zu lernen
und die Erfahrung des einen Feldzugs, den sie gemacht hatten, gewisser-
mausen ersetzten, was ihnen an Erfahrung der Aeltern mangelte. Der
Yerf. rühmt hernach, dass diese Leute in den sechs Monaten des Waf-
fenstillstands ganz vortreffliche Soldaten geworden seien. Das Folgende,
der zweite Feldzug um 1849, hängt mit der Geschichte des Kriegs tob
1849 zusammen, da das Bataillon mit der sardinischen Heerabtheilung
unter Ramorino verbunden, die Oesterreicher hindern sollte von Pavia her
in Piemont einzubrechen. Ein Aufriss der ganzen Gegend um Pavia ist
daher auch beigefügt Dort lagen die Lombarden bei la Cava und der
Verfasser hatte mit bloss 18 Mann den äussersten Posten gegen die her-
vorbrechenden Oesterreicher am Tessioo. Er führt Beispiele voo Ramo-
rino's Dispositionen an, welche deutlich beweisen, dass dieser ein ganz
schamloser Verrat h er war. Nur mit genauer Noth rettete der Verf., wel-
cher sah, dass alle andere Posten ebenso ohne UnterstUzung und Nach-
richt gelassen worden, wie er, seine 18 Mann. Er wirft daher die
Frage auf, wie war es dem möglich, da Niemand wusste, woran er
sey? Er antwortet: Das war gauz einfach. Ramorino hatte uns ohne
alle Instruction gelassen, wir waren acht italienische Meilen voo jeder
möglichen Hülfe entfernt. Der einzige Befehl, der uns mitgetheilt wurde,
lautete: Greift an oder zieht auch zurück ohne auch nur
einmal Feuer zu geben. Gleich darauf giebt er noch andere No-
tizen über Ramorinos Benehmen und über den bekannten traurigen Aus-
gang dieses zweiten kurzen Feldzugs.
Das zweite Cspitel ist überschrieben, das Scheiden (La partenza),
enthält nur sehr wenig Klares und Bestimmtes. So viel sehen wir, dasa
die Piemooteser froh waren, der entschlossenen und fast verzweifelten
Schaar der Lombarden und des Bataillons unter Manara los zu werden.
Sie schafften daher gerne Schiffe herbei und gaben Geld her, um sie
von Porto Fino nach Rom zu bringen.
Das dritte Capitel ist Roma überschrieben. Der Verf. belehrt uns
aber gleich im Anfange desselben, dass die Jünglinge edler Art, wie die
drei Märtyrer und ihr Bruder und Freund, der das Buch geschrieben hat,
religiöse und für das Wahre und Grosse empfängliche Gemüther das fre-
velnde und bimmelstürmende Benehmen der in Rom herrschenden Sans-
culotten durchaus nicht billigten. Es heisst S. 162: Was wir eigentlich
in Rom wollten oder sollten, wussten wir selbst nicht Von der fran-
zösischen Expedition wussten wir durchaus Nicht« und Niemand von uns
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i/anaoio . j voioniari LOmDarai.
könnt« damalt den traurigen Kampf mit den Franzosen nm den Besitz
Rom» voraussehen; denn dieser hat auch ja spater die Allerscharfsicht lö-
sten in Stannen versetzt. Die Mebrsten von uns fühlten sehr wenig Zu-
neigung zu einer Regierung, an deren Spitze Mozzini stand, nnd ganz
andere als politische Beweggründe hatten uns bewogen, Piemont zu ver-
lassen! Wir waren überzeugt, dass unsere Soldaten im Piemontesiscbeo
nicht bleiben könnten, wir wünschten daher, ihnen Gelegenheit zn geben,
wenigstes für den Augenblick sich einen ehrlichen Lebensunterhalt zu
verschalten, darum gaben wir sie in den Dienst der römischen Republik,
da es ja den Soldaten vergönnt war, wenn sie ihr Schicksal dort nicht
versuchen wollten, ihren Abschied zu fordern, ehe sie sich einschifften,
und da die Offiziere auch, nachdem sie angekommen waren, jeden Au-
genblick aus dem Dienste treten konnten.
Nach einigen andern Entschuldigungen der sechshundert Mann, welche
Manara und seine drei Freunde den Römern zuführten (den Gebalt und
den Werth dieser Entschuldigungen lassen wir auf sich beruhen), heisst
es, dass sie von den Mannern der Revolution selbst als Leute ganz an«
dern Schlags als sie waren, angesehen wnrden. ..Wir wollten hernach
zwar eine Italienische Stadt gegen Fremde vertheidigen , aber nicht Ja-
nitscharen einer Parthei seyn. Die Mazzinianer gaben uns, wie das ganz
iü der Ordnung war, den Titel des aristokratischen Corps und in dem
Munde gewisser KaCfeehaushelden , war der Beiname wenigstens ein Lob
unseres Charakters.
Wie sie in Civitavecchia ankamen, lagen dort schon die 14 fran-
zösischen Fregatten und trotz des ihnen entgegengeschickten römischen
Commissairs, wollte Oudinot sie nicht ans Land lassen. Des Verfassers
Bruder (der filtere Dandolo) ward mehrere Haie ans Land geschickt,
wurde aber immer von Oudinot mit vielem Uebermuth empfangen. Er
Sagte ihm: „Er solle dem, der ihn geschickt habe, andeuten, sie sollten
augenblicklich wieder umkehren.* Manara selbst konnte im Anfange Nichts
erlangen. Ihr seyd Lombarden, fuhr ihn der General hart an,
Warum mischt ihr ench denn in römische Angelegenhei-
ten? Und ihr Herr General, erwiederte Manara, ohne ans der Fas-
sung zu kommen, ihr seyd von Paris, Lyon, Bordeaux? Endlieh
erlangte jedoch Manara, dasa sein Bataillon sich im Hafen von Anio
ausschiffen dürfe.
Weiter unten erzahlt er, dass als der römische General Avezzena
nach der Inspection des Bataillons seine Anrede mit den Worten: Es
lebe die Republik, geschlossen habe, nach dem prSsentirts G e-
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Dandolo! 3 Volontari Lombardi.
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wehr zur grossen Bestürzung des Generals, auch keine Stimme laut ge-
worden sey, bis Manara gerufen: Es lebe Italien, dann erst bitten
Alle eingestimmt Merkwürdig ist, was der Verf. von dem ersten Ein-
druck sagt, den Rom auf ihn machte.
„Der erste Eindruck, den der Anblick Roma auf einige von uns
machte, war der einer unaussprechlichen Traurigkeit. Unser eigenes trau-
riges Geschick hatte uns schon in den Stand gesetzt, den Verfall einer
Regierung oder einer Stadt beurtheilen zu können und wir fühlten aalt
Schmerzen, dass Rom uns denselben Anblick böte, den Mailand in den
letzten Monaten seiner Freiheit dargeboten hatte. Die übermässige Sorge
für Kleinigkeiten und für den Schein, hatte alle Gedanken an das Grosse
erstickt. Diese Menge von Fahnen, Cocarden , Schärfen, daa Schleppen
der Heldensabel über das Strassenpflaster (quelle durlindane straseiate per
!e rie), jene tausend Offiziersuniformen, von denen nie eine der andern
gleich war, die aber alle mit einander besser für Seiltänzer und Comö-
dianlen als für Militärs passten; diese über den Rücken geworfene Halb-
mäntel, endlich ein Volk, das ganz friedlich ana den Fenstern und Kaf-
feehausern Beifall klatschte; Alles diess Hess uns ahnden, dasa wir nur
nach Rom gekommen seien, um dem Ausgange einea lächerlichen Lust*
spiels beizuwohnen. Diess, sagt er, aey am Morgen ihr Gedanke gewe-
sen, weil sie in dem Getümmel der Strassen weder Soldaten, noch Re-
gimenter, noch Ordnnng gesehen hätten, am Abend als der Generalmarsch
geschlagen worden, weil die Franzosen gegen die Stadt in Anmarsch ge-
wesen seien, habe aber doch die Sache ein ganz anderes Ansehen ge-
wonnen.
Wer Rom an dem Abende sah, erkannte darin die Roma nicht
wieder, die er am Morgen verlacht hatte. Wir fassten wieder Zutrauen
zu ihr (noi ci ricredemmo) und freuten uns ihrer wieder, trotz des trau-
rigen Begriffs, den wir von ihr gefasst gehabt hatten. In eilen Quar~
tiren in der Nähe von Porta Angeliea nnd Cavallegieri, lagen kleine sehr
schöne Linienregimenter unter freiem Himmel; zwei prächtige Bataillons
Carabiniers, vier oder fünf Feldbatterien. Auf dem Platze Navona lagen
zwei Regimenter Reiter, auf den Mauern die Legionen der Freiwilligen
nnd die zahlreiche Nationalgarde der benachbarten Quartiere. Ea waren,
wie das tu aeyn pflegt, alle die wie Marktschreier Geputzten verschwun-
den, jeder, der eine Cocarde trug, hatte auch eine Flinte in der Hand,
um sie zn schützen. Wir brachten die Nacht auf dem St. Petersplatze
tu, ganz entzückt von dem Anblick, den wir dort hatten; wir wa-
ren erfreut , data wir uns von Soldaten und von einem auf sich
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Dandolo: J Volontari Lombardi
vertrauendem entschlossenen Volke umgeben sahen. Jetzt glaubten und
wussten wir, dass Rom allerdings mutbiger Weise widersieben werde
und könne; wir dankten dem Himmel, dass wir doch noch zuletzt,
wo Italiens Schande und sein Missgeschick auch Rom treffe, wenigstens
ein offenes Feld gefunden hatten, um durch die Tbat au beweisen, dass
wir ganz unschuldig an uoserm Schicksale seien.
Das französische Manifest, von einer Faction und einer kleinen Zahl
Unzufriedener, die an Allem Schuld sey, von Raubgesindel, welches die
guten Bürger unterdrücke u. s. w., war auf einem Irrthum oder auf einer
Lüge gegründet, welche dem General Oudinot viel mehr schadete, als
wenn er sogleich offen gesagt bitte, welche politische Gründe Frankreich
gehabt habe, ihn nach Rom zu schicken.
Eine republikanische Partei gab es im Volke selbst nicht, denn
dieses war aller Parteiung herzlich müde, die Republikaner bestanden nur
allein aus einer Anzahl jugendlicher Hitzköpfe, die es aufrichtig meinten,
zu denen sich aber ein Haufen von speculirenden Leuten gesellte, wel-
che sich überall eindrängen, wo von einer mit einer ungewöhnlichen Ver-
fassung der Gesellschaft verbundenen Unordnung etwas für sie zu hoffen
ist. Das Volk hatte gar keine politische Farbe, halte aber einen grossen
Hass gegen die geistliche Regierung und war für Alles Uebrige höchst
gleichgültig. Die exaltirte Mazzinianiscbe Faction wurde in Rom viel-
mehr geduldet als gern gesehen, die Soldaten aber, welche die Stadt
wirklich verteidigten, wurden geliebt und unterstützt. Jeder Verwundete,
der auf der Strasse ging, wurde mit liebevoller Theilnabme von einem
Gedränge umgeben und mit einer nicht auszusprechenden Besorgniss ge-
pflegt uud gehegt. Ick selbst habe oftmals gesehen, wie, wenn es an
•Her Leinwand in den Spitälern msngelte, beim eintönigen Ruf der Kran-
kenpfleger: Un po" di biancheria pei poveii ferili, aus jedem Fenster die
feinsten Betttücher, Binden und andere Leinwand regnete.
Das vierte Capitel ist überschrieben I Napoletani und dreht sich
hauptsächlich um die Unterhandlungen mit Lesseps über eine Cspitulation,
welche hernach von Oudinot verworfen ward. Während nämlich Oudi-
not still lag, um sein Belagerungszeng zu erwarten, trafen bei Albano
und Frascati die Neapolitaner ein, die ihr König in Person dahin geführt
-hatte. Garibaldi, der berüchtigte Führer der verzweifelten Schaaren, die
von Montevideo gekommen, mit einem Theile seiner Legion, mit einem
Bataillon Scharfschützen, Douaaiers, der Universitätsiegion, zwei Compag-
nien mobiler Nationalaardon und einigen andern Schaaren Freiwilliger wur-
den ans Born gegen die Neapolitaner beordert, Manara war also unter
Garibaldis Befehlen. (Schluu folgt.)
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fr. 2. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
f
Daiidolot I Volontär! Lombardl.
( ^5 C Ii 1 US3. )
Das Heer Garibaldi^ übernachtete, ehe es die Neapolitaner er-
reichte, in der prachtigen Villa Hadrian i , welche im Lichte der vielen
Feoer, die in den Ruinen und Grotten brannten, einen ganz sonderbaren
und fantastischen Anblick bot.
Garibaldi und sein Generalstab trugen scbarlachfarbene Blousen,
Kopfbedeckungen aller Arten und Formen, ohne alle unterscheidende Zei-
chen oder Zierrathen militärischen Schmucks. Sie ritten auf amerikani-
schen Sätteln und bewiesen absichtlich grosse Verachtung für Alles das,
was in regulären Armeen mit grosser Strenge eingeschärft und beobach-
tet wird. Ihre Ordonnanzen (lauter Leute, die aus Amerika gekommen)
hinter sich, gingen sie zu einander und von einander, liefen hierhin and
dorthin, thätig, eilend, unermüdlich. Wenn Halt gemacht wurde and die
Soldaten ihre Waffen zusammen stellten, sprangen der General and seine
Offiziere vom Pferde und pflegten und fütterten jeder das Seinige selbst
Wenn die nahen Dörfer keine Lebensmittel liefern konnten, so warfen
sich drei oder vier Obersten oder Majors auf das ungesattelte Pferd and
sprengten mit ihren langen Lazzo's versehen im gestreckten Galopp durchs
Feld hinter Ochsen oder anderes Vieh. Hatten sie eine gute Zahl Rind-
vieh zusammen gebracht, so kehrten sie um und trieben ihr geraubtes
(malcapito) Vieh vor sich her. Sie vertheilten darauf eine bestimmte
Zahl davon an jede Compaguie und dann machten sich Alle mit einander,
Soldaten und Offiziere daran, die Häute abzuziehen, zu zerschneiden und
rund um ungeheure Feuer gelagert, ganze Viertel von Ochsen, ganze
z'e?en, ganze kleine Schweine zu braten, ohne der Hühner, Gänse u. s. w.
xu gedenken. Wenn Generalmarsch geschlagen wird, dienten dieselben
Lazzo's, mit denen man die Ochsen gefangen, die Pferde wieder einzu-
engen, die bis dahin ganz frei auf den Wiesen umherliefen. Das Corps
m
log darauf fort, ohne zu wissen, wo es am folgenden Tage seyn würde.
Garibaldi, fügt der Verf. hinza, habe mehr dem Anführer einer Horde
Nomaden als einem General geglichen ; was ihm aber als General gefehlt
Habe, das habe er zum Theil durch seine Staunens würdige Tätigkeit ersetzt.
HIV. Jahrg. 1. Doppelheft. 2
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i& Dnndolo: I Volonlari Lombardi.
» • . . ...
Die Legion war gegen tausend Mann stark and bestand ans der
allerwunderlichsten Znsammeosetzongderallerverschiedensten Art von Laoten.
Es waren darunter Knaben von 12 — 14 Jahren, einige vom edelsten Ent-
husiasmus, andere von naturlicher Unruhe getrieben, ferner alte Soldaten,
welche der Name und der Ruhm des berühmten Condottiere von Monte«
video um ihn vereinigt hatte, und mitten uuter diesen viele von den
Leuten, welche in der Verwirrung des Kriegs Ungestraftheit und Ausge-
lassenheit suchen. Die Offiziere waren unter den Muthigsten gewählt und
wurden ohne Rücksicht auf irgend eine Regel oder ein Dienstalter zu
den hohem Stellen befördert. Heute sah man einen mit dem Säbel an
der Seite, er war Hauptmann; morgen nahm er, der Abwechselung we-
gen, die Muskete wieder auf die Schulter und war gemeiner Soldat. Der
Sold, und zwar ein recht reichlicher, fehlte nie, denn er ward mit Pa-
piergeld bezahlt, welches dem die Republik regierenden Triumvirat nichts
weiter kostete, als die Mühe es zu stempeln. Die Zahl der Offiziere
war übrigens ohne alles Verhültmss grösser als die der Soldaten. Der
Wagenmeister, der das Gepäck besorgte, war Hauptmann; der Haushof-
meister oder vielmehr der Koch des Generals, war Lieutenant; der Ge-
n er a Ist ab bestand aus lauter Majors und Obersten. Der Verf. fügt hinzu,
dass er diess sage, damit man sehe, dass die römische Regierung noch
viel freigebiger mit Anstellungsdecreten gewesen sey, als die provisori-
sche Regierung der Lombardei, der man doch darüber so viele Vorwürfe
gemacht habe.
Das Zusammenleben mit diesen Freiwilligen wirkte so nachtheilig
auf die Disciplin der Colonne Manara's, die, seit sie piemontesisch ge-
worden, regelmassig militärisch eingerichtet war, dass in Tivoli die Sa-
chen dabin gediehen, dass sich die Offiziere freiwillig versammelten) und
dem Major Manara zu erkennen gaben , dass , wenn das Bataillon nicht
von der Gesellschaft der Freischaaren getrennt und mit regulirten Trup-
pen vereinigt würde, sie alle mit einander ihren Abschied nehmen wür-
den, weil sie Soldaten unter sich haben, nicht aber Führer indisciplinirter
forden «eye wollten. Mit dieser Erschliessung, welcher Manara alsbald
seine Zustimmung gab und der er sich anschloss, wurde der Lieutenant
Dandolo sogleich nach Rom geschickt, um sich darüber mit dem Minister
Aveuano mündlich zu unterhalten. Dieser billigte und lobte unsern Ent-
schluß und schrieb als Antwort, wir möchten uns nur noch einige Tage
gedulden, dann würde unserer Bitte entsprochen werden. Sobald jedoch
die Soldaten sahen, dass es uns Ernst sey, von ihnen zu scheiden, machte
die Furcht« Offiziere zu verlieren, mit denen sie so viele Monate hindurch
* • ♦
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Dandolo: l VoJontari Lombard?
zasammen gedient hatten, sie gelehriger und gehorsamer, so dt* wir
nachher ans nicht mehr sehr (gravamente) über sie zu beschweren betten.
Die Geschichte der Vertreibung der elendes neapolitanischen Sol-
daten bietet ans nichts Merkwürdiges, als die Erkennlniss der unglaub-
lichen Beschwerlichkeiten und Anstrengungen, welche die jungen zärtlich
erlogenen Mailänder eben so standhaft ertrugen, als die halbwilden Strei-
ter von Montevideo. Wes den ausposaunten Sieg Garibaldi bei Velletri
angeht, so behauptet Herr Dandolo, es sey diess kein Sieg gewesen, die
Neapolitaner würden wahrscheinlich auch, wenn sie nicht von ihnen und
voo Garibaldis Schaven wären angegriffen worden, Velletri geräumt ha-
ben. So viel ist indessen einleuchtend, dass die in Rom gesammelten
Trappen mit Löwenmulh und zugleich mit sehr viel militärischer Geschick-
lichkeit gegen die an Zahl so unendlich überlegenen Franzosen und Nea-
politaner zu gleicher Zeit kämpften. Die elenden Knechte des Königs
von Neapel mit ihren Heiligenbildern und Amuletten im Tornister hatten
den Bauern, die ihnen glaubten, erzählt, die Republikaner wären lauter
Konolle, welche der Teufel geschickt hätte, um die Kinder zu fressen
und die Häuser su verbrennen. Das half aber Alles nickte, das neapo-
litanische Heer ward schimpflich nach Set. Germano gejagt und wäre
noch weiter verfolgt worden, wäre nicht Garibaldis Heer durch einen
Eilboten nach Rom zurückgerufen worden. Die Bauern hatten den Nea-
politanern und den Predigten der gegen die Pfafifenfeinde sehr erbitterten
Mönche um so mehr geglaubt, dass Garibaldis Soldaten Seelen der Hölle
in menschlichen Leibern seien, als sie ohne alle Schonung verfuhren und ,
der vorher beschriebene Aufzug von Garibaldis Generalstab, ihnen aller-
dings ein Ansehen voo Ko holten gab. Am 1. Jnni 1849 war das Mai-
landische Bataillon wieder in Rom. Das fünfte Capitel hat die Ueber-
schrift: Der dritte Juni. Es ist diess der Tag, an welchem die
Feindseligkeiten mit den Franzosen wieder begannen, nachdem Oudinot
den von Lesseps geschlossenen Waffenstillstand verworfen hatte. Er über-
fiel die Republikaner, schnitt die ausserhalb des Thores San Pancrazio ste-
henden Heeresabtbeilungen ab und besetzte die Villa Pamfili und Villa
Corsini, als die besten Punkte, um die Stadt zu beschiessen. Die Ge-
schichte der Kanonade, wodurch die Villa Corsini und Valentini fast ganz
zerstört wurden, ist bekannt genug, über die Leitung des verzweifelten
Angriffs, den die Triumviren auf die französische Stellung durch Garibaldi
machen Hessen, fällt der Verf. p. 203 folgendes Urtheil: »Garibaldi be-
wies sich in den Gefechten am 3. eben so unleugbar, als einen durch-
au unbrauchbaren Divisionsgeneral als er sich in den Märschen und Schar-
3*
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Dandolo: I Volontari Lombardi.
mützeln mit den Neapolitanern als einen tüchtigen Anführer von unter-
nehmenden Haudegen (ahile e avvedato Capo-banda) bewiesen hatte.
Die Geschichte der schändlichen französischen Treulosigkeit, wo-
durch sein edler und tapferer Bruder, der Hauptmann Dandolo, das Leben
verlor, welche der Verf. p. 207 erzählt, muss jedes menschliche Gemüth
empören, welcher Nation und welcher Partei es auch immer angehören
mag. Der junge Mann hatte eben mit seiner Compagnie unter fortwäh-
rendem Feuern die Höhe des Palastes Corsini erstiegen, als eine franzö-
sische Comgagnie aus einem Theile des Palasts hervorkam, deren Offizier
mit dem Degen freundliche Zeichen gab, und wie er näher kam, Dando-
lo's Compagnie auf italienisch zurief: Siamo amici. Jetzt Hess Dandolo
das beim Anblick des Feindes sehr heftig gewordene Feuern einstellen.
Als man sich auf dreissig Schritte nahe gekommen war, trat der Offizier
plötzlich bei Seite und ein furchtbares Feuer streckte sogleich den drit-
ten Theil der Compagnie zu Boden. Eine Kugel traf Dandolo durch und
durch die Brust; sein jugendlicher Unterlieutenant ward in die Seite und
in den Arm getroffen, die Andern wichen erschrocken zurück, nur Mo-
rosini allein blieb bei seinem sterbenden Freunde. Obgleich er die Ziel-
scheibe der Schützen geworden war, traf ihn doch kein Schuss. Nach
einem kurzen Zwischenräume, während das Feuern ein wenig nachliess,
stürzten zwei Soldaten heran und trugen den sterbenden Hauptmann weg:
Presero in braccio il moriente capitano, che moveva le labbra in j
atto di pregare. Nel penoso tragitto ei rende Tanima a Dio. Mio
fratello non conlava ancora 22 anni; gracile della persona, egli aveva
un anima cosi belle 9 un criterio si sano e una cosi ammirabile cos-
tanza e santitä de' prineipii, che a quanti lo conoscevano era oggetto |
di stima e alTetto vivissimo. I
Das zunächst Folgende zeigt edle Gefühle und richtigen Ventand«
Garibaldi s Befehle scheinen im Wahnsinn gegeben. Welcher Schade für
Italien, dass solche Gemüther und Seelen, wie die der jungen Patrizischen
Patrioten in Staatsacben einem Mazzini und in Kriegsangelcgenheiten ei-
nem Garibaldi gehorchen musstenü
Während Garibaldi unsinnige Befehle ertheilte und die Lente auf
die Schlachtbank schickte, irrte der Verf. des Buchs, dem ein Soldat im
Vorbeigehen zugerufen halte, dass der Hauptmann gefallen sey, verzwei-
felnd umher, um wenigstens die Leiche zu suchen, bis ihn endlich Manara
zu sich rufen liess. Alle andere, sagt er, gingen bei Seite, weil sie nicht
Kraft in sich fühlten, einem so zerreissenden Auftritte beizuwohnen. „Laufe
nicht herum, Deinen Bruder zu suchen", sagte er, „mein unglücklicher
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Beiträge rar vaterländischen Geschichte«
21
Freund und drückte mir die Hand, Do kommst zu spät, ich will künftig
Dein Bruder seyo (ti farö io da fratello). Ich stürzte platt (boccooe)
auf die Erde, ohnmächtig voo meiner schlecht geheilten Wunde, von der
Angst, die ich seit einigen Stunden ausgestanden hatte und vom Schmerze
über die Nachriebt, die er mir mitgetheilt hatte.
Das sechste Capitel ist überschrieben : I/Assedio. Der Verf. erklärt
aber ausdrücklich, dasa er zwanzig Tage an seinen Wunden darnieder
lag, also wenn er auch wollte, was nicht der Fall sey, doch über den
Gang der Begebenheiten nicht berichten könne. Wir können uns daher
über die letzten Capitel des Buchs um so mehr kurz fassen, als der Verf.
»dbs^ rfitfissm ^efuncien liQt ^ den Bericht dos fr3DX^)sisofaßO HHuptmÄODS
Delsmas über die Belagerung von Rom io einer italienischen Uebersetzung
ab Anhang von p. 253 — 303 seinem Boche beizufügen.
Das Anziehende des Inhalts der beiden Capitel, von denen das
Letzte der dreissigste Juni überschriebeo ist, liegt in den Empfin-
dungen des Verf. und in ihrem Aosdrocke, wir mttisten aber, wenn wir
dieis wiedergeben wollten, wörtlich übersetzen , was weder unsere Zeit
noch der Raum erlaobt. . ,
Tief bewegend ist die Erzählung voo Morosioi's Heldentod am 30«
Er war Hoch nicht achtzehn Jahr und kämpfte noch fort, als er schon
todtücb verwundet war.
Der Verf. ward neben Manara am Arme verwandet, Maoara gleich
darauf tödtlich verwandet, Son morto, mi disse ti raecommando i miei
figli. Dann flüstert er dem sterbeoden Freunde ins Ohr: Pensa al sig-
oore, er antwortet: Oh ci penso, e molto, verlangt die letzte Oelong and
empfiehlt dem Freunde seinen Leichnam nebst dem seines Bruders io die
Lombardei tu schicken und die Erziehung seioer Kinder zu leiten.
Beiträge **tr vaterländischen de schichte. Herausgegeben ron der histo-
rischen Gesellschaft zu Basel. Vierter Band. Basel, bei Schweig-
hauser 1850. 8. IX. Vorbericht. 404 S. Text.
Wenn man bei historischen Forschungen meistens von den getrenn-
ten T heilen zum verknüpfenden Ganzen fortschreiten soll, so entspricht
auch dieser Baod, am die Geschiebte eioer einzelnen Stadt sich drehend,
vollkommen dem Zweck des gelehrten und thütigen Vereins. Er will
lediglich zunächst die Vergangenheit des engern Vaterlandes durch gründ-
liche ood doch lesbare Darstellungen aufhellen oder weoigsteos nur solche
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Beitrage zur Valeriana isenen ucscnicme.
Gegenstände anderweitigen Inhalts wühlen, welche mit de« eigentlichen
Ausgangspunkte, der Specialgeschichte, in einem innern Zusammen-
hange, in einer gewissen Wahlverwandtschaft, stehen. Dieses Zurück-
gehen anf entlegene Zeitverhliltnisse ist um so achtenswerther, je häufiger
die Menschen, namentlich unserer etwas bewegten Zeit, nur von ihren
neuesten, kleinen Weltbegebenheiten reden nnd schreiben. Welche
Sündfluth von grössern und geringfügigem Büchern hat I. B. Teutschland
Uber seine jüngste After- oder Quasirevolntion erzeugt und dem Trö-
delmarkt zugeführt ! Ein gnter, wenn auch mit etwas Hautgout behafteter
Literaturbraten. Die Leute kaufen, lesen und hetzen einander an, werden
aber selten klüger oder besser. Ex-Minister, Exrevoluzers, Ex-Deputirte,
Professoren , Hof- und Geheimräthe , alle Vertreter der mannichfaltigsten
Stände - nnd Bürgerklassen hüben ihren Beitrag wie zur dramatischen
Handlung, so zur literarischen Scenerie gegeben, und das leselustige Pu-
blikum wird nie matt im Kaufen und Anfeuern trotz aller Lasten und Stenern.
Die reiche Nachbarstadt leistet also dem armen, schwer heimgesuchten
Granzlande ge wissernassen schon dadurch einen kleinen Dienst, dass sie
die eigene Revolutionszeit der Dreissigerjahre gemach in den Schleier
der literarischen Vergessenheit einhüllt und dafür ältere, den Zeitungen
weniger bekannte Dinge dem prüfenden Auge des Forschers nnd dem
Griffel des Darstellers unterwirft. Der erste Aufsatz, Jakob Sarasin
und seine Freunde, von Hegenbach, gibt ein anziehendes Bild nicht
nur der genannten, dem hohem Bürger- uud Kaufmannsstande angehöri-
gen Persönlichkeit, sondern auch der I i t e r a r- und kulturgeschicht-
lichen Verhältnisse der Schweis und Teutschlands in den beiden
letzten Jahrzehnten des achtzehnten und den ersten Jahren des neun-
zehnten Jahrhunderts. Denn der vielseitig gebildete, der Prosa und r\>esie
kundige Basler Kaufherr (geb. 1742, gest. 1802) stand mit mehreren
Zierden der damaligen Kunst und Wissenschaft in freundlicher Verbindung,
unterhielt neben einem gastlichen Hause lebhaften, nicht allein auf Wech-
selgeschäfte gerichteten Briefverkehr, schrieb Tagebücher und Abhandlun-
gen mannichfaltigen, über den üblichen Broterwerb weit hiuausreichenden
Inhalts. Er war ein Liebhaber und Gönner der freien Kunst und Wis-
senschaft, bescheiden, anregend, hilfreich in dieser Stellung, nicht un-
ähnlich dem Halberstädter Canonikns Gleim, weicher freilich einen
grösseren Spielraum für die Entfaltung seiner geistigen und materiellen
Mittel besass. Ans dem literarischen Nachlass und mehrfachen Familien-
nachriculen hat nun der Verf. den Stoff zu der artigen und lehrreichen
Lebenisknze geschöpft. Er bemerkt mit Recht, dass die poetischen
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Beiträge zur vaterländischen Geschichte. 23
Ergüsse und prosaischen Aufsätze den Grundzag des eigentlichen Di-
lettanten tragen, und dass, wie die geistvolle Fraa G. Schlosser' g
artheilte, der Hansvater erscheint, welcher seine baam wollene Sehlaf-
fcippe auf ein Ohr setzt und den Herrn den Text liest. — (8. 15.}
Davon geben neben anderm die geschraubten Liebes* und Bake hos-
Ii e der Zengniss, zu denen sich in den achtziger Jahren des abgewichenen
Jahrhunderts ans Modesucht ganz nüchterne und hausväterliche Naturen in
der Schweiz und Teutschland zn begeistern pflegten.
Diese conventionelle Poesie erweckt jetzt Lficheln, eben weil
kerne Wahrheit in ihr ist; nach vierzig bis fünfzig Jahren wird man,
falls sie so lange ausdauern, ebenso mitleidig die Achsel zucken über den
Rausch der forcirten Freiheits- und Politiklieder, wie sie von Herwegh
und andern bereits halb verschollenen Poeten angestimmt und bewundert
worden. Und warum? Weil sie kein achtes Gefühl, keine nachhal-
tige Ueberzeugung , etwa wie die Körn ergehen von 1813, ausspra-
chen, sondern nur die Faust in der Tasche ballten, beim ersten Kanonen-
schuss den Rebhühnern ähnlich davonliefen. — DieProsaabhandlun-
gea, meistens patrio tisch-philosophiseben Inhalts, stehen schon
höher; sie verrat hen Beobachtungsgabe und Urtheilsscharfe. So schildert
l B. ein Aufsatz mit Feinheit und Freimut!» die Grundzüge des schweizeri-
schen Nationalcharakters (S. 23} Selbstgefühl der Independenz,
Vorliebe zum besondern Vaterland, Cordialität, Timidität, nicht
Furchtsamkeit, die ihm nicht zulasse, sich mit ersehnlichen Partikularen monar-
chischer Staaten auf einen vertrauten Fuss einzulassen, daher in Negotia-
tionen, Bündnissen und Verträgen oft Nachtheil erleidet, Egoismus, der
immer mehr anwächst und endlich das allgemeine Wohl Helvetiens unter-
graben wird, der mit Zeit nnd Gelegenheit aus unsern Tagesatzungen
Reichstage, nnd aus unsern Rathsversammlungen Ohservationskorps machen
wird u . s. w. Von dem damaligen Basel (der Siebe nzigerjahre) heisst
es: „Ein Müssiggönger ist das abscheulichste Unding, das je die Natur
ia ihrem Zorn hervorgebracht bat. — Allgemeiner Schauder beim Anblick
eiaes solchen Unwesens ist das Gefühl jedes redlichen Bürgers." (S. 29.)
Darauf schildert der Verf. oft nach bisher unbekannten Mtttbeilungen die
Freunde Sarasin's, wie sie sich häufig in Briefen und Reimen darstellen.
Zuerst kommt Lava t er, ans dessen Briefen, Zettelchen, Kärtchen und
Randglossen manche charakteristische Kleinigkeiten zum ersten Mal ver-
öffentlicht werden. (S. 38 seqq.) So lautet ein Spruch: „Es gehört
xom Zeitalter der Inhumanität, inhuman zu seyn.u — Leute, die nie recht
haben, haben immer recht. — Lerne Grosses wirken durch Kleines in
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Beiträfe zur vaterländischen Geschichte.
heiliger Liebe" o. f. w. — Die Licht- und Schattenseiten des jedenfalls un-
gewöhnlichen Mannes, weicher noch nicht angemessen gewürdigt wurde,
schimmern hier durch ; wenn er hier für den Magus im Norden, Hamann,
das Ehrengeschenk voo 4000 Thalern vertraulich einberichtet und gele-
genheitlicb die Freunde für seiue eigene Gemaideliebhaberei in Anspruch
nimmt, so glaubt er dort, den Apostel Johannes mittelst förmlicher
Vision geschaut zu haben. „Täglich, ja stündlich, heisst es in einem Brief-
eben an Sarasin (1796), hab' ich Spuren, dass mich der Geist des Aus-
erwähltesten umschwebt. Er hiess mich ausdrücklich hierher gehen. Ihn
selbst sah ich wieder leiblich... leb badete in dem Bade, in welchem Er
badete. Er nimmt alle Gestalten an; bald kommt er als Greis, bald als
Jüngling, bald als kleiner Knabe, ist unerkennbar und unverkennbar."
(S.*48.) Durch dergleichen Ausschweifungen der Imagination kam denn
der liebe Zürcherprophet, wie Schlosser ihn nennt, nicht nur in hef-
tige Conflicte mit den Berlinern Aufklärern , sondern auch mit Freunden
and Wohlgesinnten. Bei dem Allen wurde aber die Hochachtung gegen
den Gevatter Hans Caspar niemals gemindert oder erschüttert. Uebrigens
hatte die Bibliothek des Antistitiums in Basel noch manchen, so viel be-
kannt ist, ungedruckten Beitrag zur Charakteristik liefern können. Es
möchte zejtgemäss seyn, an etliche Bruchstücke dieser Art hier zu er-
innern. „Es ist eine Zeit zu schweigen und eine Zeit zu reden." (La-
va ter an Meriau. 1775.) — „Ich wUnsche für einzige acht Tage ab Ihrer
Stadtbibliothek zu haben : Joachim Calaber , Kommentarien Uber Jesaias.
Dort soll die schönste Ausgabe davon seyn. Merkwürdige Deutuugen auf
die gegenwärtige Weltlage sollen in diesen Büchern vorkommen. Ich
möchte eben selbst sehen und untersuchen, da ich zu zweifeln Ursache
habe." (Derselbe 1794.) — Am Tage vor seinem Tode (2. Janner 1801)
schrieb der schwor Leidende:
a
„Angetreten auch diess Jahr, diess Jahrhundert, o Vater!
Hallclnjah von jedem, dem Du noch Odern vergönnst!
Ziehe die Hand nicht ab von uns, Du Aller Erbarmer!
Unsere Freude scy Du und unsere Hoffnung und Hülfe!
Täglich werde Du mehr von uns gesucht und gefunden!
Jede wachsende Noth verbinde uns inniger mit Dir!
Jeder Abend finde des Daseyns'und Deiner uns froher !w
Am 24. November 1800 empfing Rathsherr von Mechel folgen-
den Zettel :
„Freund Mechel in Basel herzlich gegrüsst durch eine brave Reise-
gesellschaft Tobler und Comp, von dem immer, vom Morgen zum Abend
an fünf Uebeln leidenden Lavater. 1. Brustbeklemmung oft zum Ver-
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Beiträge zur vaterländischen Geschichte.
schmachten. 2. Peinlicher Krampfhaften. 3. Heftiger Schmer* too aus-
gewichenen Rippen linker Seite. 4. Rückenschmerz von Dislokation des
Ruckgrales. 5. Wassernotb, oft zum Entsetzen/' Der Leidende trug be-
kanntlich eine Kugel im Leibe. — An die Freunde, welche ihn wahrend
seines Arrestes in Basel (1799) besucht hatten, wurde dieser Abschieds-
gross gerichtet:
„Wie ich sollte, wiederbesuchen kann ich Euch jetzt nicht;
Die ihr so freundlich mir kamt in meinen lieblichsten Einschlug
Nehmt das kunstlose Wort des herzlichen Danks für Besuch an!
Glücklicher war ich noch nie in dem oft mich erfreuenden Basel.
Ich erkläre mich gern als der Freunde ewigen Schuldner.
Könnt ich Euch Segen erwünschen und Freuden des harmlosen Lehens!
Lehrreich war und erheiternd der biedern Edlen Besuch mir.
Kommt Ihr, freier als ich, ins Krieger entlastete Zürch einst,
Werdet ihr Blicke des Danks in der Meinigen fröhlichem Aug' sehn. —
Blutzeit! eile vorbei! — verschwindet druckende Heere,
Das» wir froher Euch sehen, führt Gott uns wieder zusammen.
Flehe Jeder zu Gott: „Gott sende Uelvetien Frieden!" —
Darauf folgen Nachrichten Uber den Dichter Pfeffel (st. 1809 J,
Freund Sarasins, und seiner Frau (Zoe poetisch); der Literarhistori-
ker wird manches Erspriessliche aus den Mittheilungen schöpfen. Schade,
dass der Verf. die Briefauszüge aus der Revolutionsperiode dem Leser
bisher vorenthalten bat; aus solchen Nachrichten denkender Zeitgenossen
lernt der Kundige viel, seihst der ordinäre Compilator. Pfeffel, wel-
cher im hohem Alter hauptsächlich Fabeln dichtete, „weil die Bestien oft
bessere Gesellen seien als die Menschen u, begrüsste den Anfang der Re-
volution mit grossen Hoffnungen, wandle sich aber später davon trauernd
sb und betrachtete die gewaltige Katastrophe ans dem christlich religiösen
Standpunkt als Reinigungsfeuer der Menschheit. „Der liebe Gott, schrieb
er neben anderm, hat doch ein besonderes Talent, Schlingel und böse
Buben wider ihr Wissen und Wollen zu Dienern seiner wichtigsten Plane
zu machen. Seit den Hunnen, Gothen, Yandalen ist nicht geschehen, was
jetzt geschieht. Aber, aber — als die Hennen, Gothen und Yandalen
ihr Zuchtoieisteramt ausgeübt hatten , mussten auch sie die Hosen abzie-
hen nnd endlich wurden sie gar, wie eine unnütz gewordene Ruthe, ins
Fener geworfen." (S. 64.) Nüchternen, verständigen Sinnes halte Pfef-
fel keine Lust an hoebfliegeoden Sturmvögeln; selbst Göthe hebagte
ihm gegenüber Klopstock bei dem ersten Auftritt nicht besonders.
»Göthe, meldet er 1778 dem Basier Freund, ist ihm (Lavater) das grösste
aller Deutschen Genies. Die Prüfsteine können doch nichts als* „Götz"
und . Werther u seyn. Hermanns Schlacht bleibt doch immer mehr
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Deuragc zur vaicrianuiscnen ucscnicnie.
als Götz, und Agrathon, der halbe Agathon, mehr als Werther,
beide bloas als Werke des Genies betrachtet." — Ueber Klinker, den
Hauptführer der Sturm- und Drangperiode, wird aus persönlicher Anschau-
ung etwas bitter und ungerecht also geurtheilt. „Gestern, liebste Freunde,
ist Schlosser und sein Schildknappe wieder abgereist (von Kolmar).
Wär' er (Schlosser) doch allein gekommen! Alle unsre Augenblicka
wären selig gewesen! — Aber das Freunde, kann ich euch nur sagen,
seit vorgestern bin ich mit den deutschen Genies auf ewig
zerfallen. Weder ich, noch die M einigen sind unmittelbar beleidigt;
aber es ist Folter, einen Buben, der eine Handvoll von Shakspeares-
excrementen gefressen hat, ehrliche Leute, die nicht nach Shakes-
peareexcrementen stinken und doch ehrliche Leute sind, verachten und
beschimpfen iu sehen." — Die Idolatrie des grossen Britten dauert be-
kanntlich noch jetzt als poetisch-politischer Modeartikel bei etlichen Wort-
führern fort, welche ihr Andenken dadurch aufzufrischen trachten, dass
sie hundertmal Gesagtes wiederholen und bei dem Culturmichel, dem leicht-
gläubigen, anzubringen suchen. Er kauft, lieset und vergisst — Darauf
folgen ansiehende Nachrichten über den unglücklichen Dichter Lenz, den
durch Göthe bekannt gewordenen Lerse, Gehülfen PfeffeTs am In-
stitut zu Kolmar, und über den berühmten Frankfurter Philosophen
und Aesthetiker, Job. Georg Schlosser (st. 1799). Wie der-
selbe beide Richtungen mit einander verknüpfte, erhellt schon aus dem
Umstände, dass die erste Frau, Göthens Schwester, tief betrauert und
bald darauf eine zweite genommen wurde. „Was ioh verloren habe,
schrieb der tief gebengte Wittwer an Sarasin (1777), kann und will
ich nicht sagen, aber dass ich nun gans allein bis zum Grabe wandern
muss, das ist vor Alles, was ich sagen kann. - — Die Briefe an den
Baslerischen Gevatter enthalten manches auch dermalen noch Beachtens-
wertbe. „leb bin, heisst es z. B. 1786, überhaupt kein Freund von dem
theologischen Sündenwesen und Reu- und Gnaden- nnd Vergebungskram*
Keine Sünde ist vergeben, wird vergeben, bis die Seele des Sünders
so stark worden ist, dass sie weiss, sie werde sie nie mehr oder ge-
wiss nie mehr ohne Schmerzen begeben. Darum ist das Denken an Sün-
den und Uebel und Dummheiten, die wir gethan haben, sehr nützlich und
wer uns rüth, die Sache so zu vergessen, schadet uns unersetzlich. In
jedem Augenblick müssen wir handeln, wie wir fühlen. Wenn nun eine
Gelegenheit wieder kommt, Uebels zu thun und wir fühlen dabei, wie
weh uns wurde, als wir's das erste Mal thaten, so thun wir's gewiss
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lieht wieder. Vergebung der Sünde und Sicherheit dieser Vergebung
ist, denke ich, nichts ab Sicherheit des Ekels fegen das Böse." >
Der zweite Aufsatz: „Aventicum. von Theophil Burkhardt,
gibt ein topographisch-historisches Bild der berühmten Stadt, wobei neben
den bekannten, freilich dürftigen Quellen, auch Inschriften und alterthUm**
ticke Denkmäler mit Glück benutzt wurden. Den leisten Stoss empfing
oach der Sage die, von den Burgundern immer noch gehaltene Stadt im
nennten Jahrhundert dnrch die Normannen, welche unter den Söhnen
Ragnar-Lodbroks die Wiflisburg (Aveolieum, Avenches) sollen
erstürmt nnd zerstört haben. Der Verf. beruft sich dabei aof von der
Hagens Ragnar-Lodbroksage (Breslau), dieser auf We Hauffs alt-
nordische Erdbeschreibung. Hier beisst es allerdings S. 17: „Nun genta
Ton Basel ( Boslar* borga) in einer Tagefabrt gen Solothurn (Sola-
tra), von da in einer Tagefahrt gen Wiflisbu rg (Vivilsborgar), wei-
land einer grossen, jetzt aber geringen Stadt, seit sie die Lodbrokiden
(Lodbrokarsynir) zerstört haben (brutu hana). — Von da ists eine Tage-
reise bis V i v i s (Fivizuborgar) am M a r t i n s s e e. Nun kommen die Wege
über die Alpen (Mundiofiall) nach Süden, auf welchen einherziehen Franken
(FrackarJ, Flaminger, Gallier (Walen, Valir), Engländer, Sachsen (saxar),
Norm inner (Nordmenn.)" — Diese merkwürdige, hier aus Werlauffa
Schrift vollständig mitgeteilte Stelle des Isländischen, der zweiten Hälfte
des zwölften Jahrhunderts angebörigen Reisebachs sielt offenbar auf Aven-
ticnm oder, wie es noch jetzt beisst, Wiflisburg. Spuren Skandina-
vischen Götterdienstes z. B. das Nornenfeld, fand noch unlängst Blavignao
am Jura. (Archiv der Schweizerischen Geschichte Bd, 6. S. Jahrbücher
S. 506.) Fasst man diese Momente zusammen, so ist es bei dem lebhaf-
ten Pilger verkehr des hohen Nordens und der Alpen erklärlich , wie die
Sage Lodbroks Söhne au Zerstörern der Wiflisburg (Villi ist nordischer
Name. S. Landaamabuch) machte. Dazn kamen wohl auch noch während
des 10. Jahrhunderts die Sarazenen angriffe von Fraxiaetum in Süd-
frankreich aus und berührten verwüstend einen Thoit der Schweis, The-
ten oder Uotheten, welche die Sage später den Normannern beilegen
mochte. Der dritte Aufsatz von Dr. Meyer gibt lesenswerthe Beiträge
zur Entstehungsgeschichte des ewigen Bundes der Eidgenossen, charakte-
risirt einige Quellen, namentlich den Johannes von Winlerlhur, Albert von
Strasburg und Johannes von Victring nnd entwickelt dann darauf ge-
stutzt die Motive des Herzogs Johann zum bekannten Königsmord. Man
bekommt dadurch gerade kein neues Endergebniss, aber doch bellern
Einblick in die sachliche und persönliche Stellung der Dinge. In der
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28 Beiträge zur vaterländischen Geschichte.
vierten Abhandlung beleuchtet Herr Ost er tag den Ursprung und die
Entwicklung der deutschen Christenthumsgesellschaft in Basel (in den
achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts), den Stamm vieler spä-
teren, insonderheit dem Missionswesen gewidmeten Vereine. Der fünfte
Aufsatz, von Leonhart Oser, bebandelt Basels Stellung zum Bischof.
Sollten nicht schon vor 1225 Spuren des Raths in diesem alten, bereite
von den Salischen Kaisern ausgestatteten Gemeinwesen hervortreten? Die
sechste Abhandlung des H. Adolf S a r a s i n erörtert auf sehr anziehende
und lehreiche Weise die Entwicklung des Psalmengesanges in der refor-
mirten Kirche. „In den Psalmen, dem Volkaliede und den Kir-
chenhymneo, heisst es ausdrucksvoll, tönen die drei Saiten, deren
Klinge in Luther zu frischem, neuem Leben sieh verjüngten." (S. 301.)
So wurde nach Psalm XH. das noch jetzt gültige Klagelied gedichtet;
sein Anfang lautet :u
„Ach Gott vom Himmel sieh darein,
Und lass dich dess erbarmen,
Wie wenig sind der Heilgen drin
Verlassen sind wir Armen."
Diesem reuigen Bekenntniss meistens durch Leichtsinn und Thorheit
verschuldeter Drangsale trat deun der tröstende nnd aufrichtende Streit-
gesang, gleichsam die Marseillaise der Reformation, nach dem 4 fiten Psalm
entgegen:
„Eine feste Barg ist unser Gott
Eine gute Wehr und Waffen."
Solche Lieder, der religiös-sittlichen Ueberzeugung entsprossen und
an die in Saft und Blut übergegangenen Anschauungen des altkirchlichen
Lebens anknüpfend, wirkten mit wunderbarer Kraft; ein Jesuit klagte nicht
ohne Grund, Luthers Lieder hatten mehr Seelen bingemordet, als Schrif-
ten und Deklamationen. In derselben Bahn wandelten gleichzeitig als
Lehr- und Kampfdicbter Dr. Justus Jonas, Paul Speratus und der
Meistersänger Hans Sachs. Das erste evangelische Gesangbuch trat
1524 mit acht Liedern hervor. Auch auf die Schweiz wirkten Lutbera
Psalmenlieder begeisternd zurück; in Basel wurden sie z. B. von den
Gemeinden gesungen. Ambrosius und Thomas Binarer und Jo-
hannes Zwick dichteten neue hinzu; letzterer fertigte ein eigenes Ge-
sangbuch; der Psalter bildete den Mittelpunkt. In der Französischen
Schweiz wirkten dafür besonders Calvin und Beza; sie hauptsächlich
verpflanzten Marots Psalmen mit den sie begleitenden, in ihrer Art
einzigen Melodien nach Genf nnd andern Sitzen der Reformation. Ueber
den Ursprung der Marot sehen Psalmen am Hofe des Königs Frans I.
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Streabei" Basler Taschenbuch. 29
und die ausserordentlichen Wirkungen des, oft an weltliebe Melodien ge-
knüpften Kirchenliedes werden anziehende Nachrichten gegeben. Oer
Dauphin Hein rieh sang a. B. den 42ten Psalm nach der Weise einet
Jagdliedes, Diana von Poitiers den 130ten nach der Melodie eines
Tanzliedes ; die Königin, die den 6ten Psalm den übrigen vorzog, sang
ihn nach einer Melodie Ober den ..Gesang der Possenreisser."
Auf die nicht lange vorher in Antwerpen erschienenen Flämischen
Psalmen folgten Volksmelodien; umsonst trat ein Verbot der Sor-
bonne dazwischen; der Hof liebte das Ding und die Reformatoren ge-
brauchten es für ihre Zwecke; die Psalmen wurden Mode und mit
ihr die evangelische Lehre; mancher folgte dem Strom, ohne zu wis-
sen, wie und warum. Die Französischen Psalmen und Melodien, von
dem Königsberger Professor Lobwasser tibersetzt und beraosgegeben
(1573), gewannen in der reformirten Tentschen Schweiz für viele Jahre
gleichsam urkundliches Ansehen; jedoch behaupteten sich hier und da
die alten Psalmen gegenüber der neuen, weit hinter Marot und Beza
zurückstehenden Verwässerung. —
In der siebenten Abhandlung schildert Dr. Streuber die erste
Berufung der Jesuiten nach Luiern, in der achten Dr. Feohter die
Anstalten Basels zur Unterstützung der Armen nnd Kranken während des
Mittelalters. Beide Aufsätze wird man mit Interesse und Nutzen lesen
Basler Taschenbuch auf das Jahr 1850. Herausgegeben von Dr. Streu-
ber, bei Schweighauser. 12. S. 149.
m
Dieses Büchlein empfiehlt sich weniger durch seine einfache, ohne
goldenen Schnitt nnd ähnliche Zierratlien erscheinende Gestalt als durch
den im Ganzen lehrreichen und anziehenden Inhalt. Der erste Auf-
satz von Friedrich Fischer behandelt den Bildersturm (Ascher-
mittwoch 1529), also einen Gegenstand, welcher nach -dem richtigen
Ausdruck des Vorworts nicht nur für den Freund der Kirchengeschichte
nnd für den Historiker überhaupt, sondern auch für den Kunstfreund von
hohem Interesse ist. Der Verf. hat für Basel besonders den bisher un-
gedruckten zeitgenössischen Chronisten Rippe II benutzt, dem Ereignisa
selber aber dadurch noch tiefem Boden gegeben, dass er es im Zusam-
menhange mit gleichen Erscheinungen in der übrigen Schweiz betrachtet.
Ganz richtig wird bemerkt, dass die Bilderstürmerei, gewissermaßen der
revolutionäre Sanskülottismus der Reformation und Ausdruck de»
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Strfcuber • Basier Tasrh^nburh
rohesten Volkszoros, hauptsächlich in der Schweiz, den Niederlanden und
Scheinend, durch die Wiederleufer, die geistlichen Jocobioer,
verwirklich! wurde, dagegen io Sachten, Thüringen und aidern Landen
des lutherischen Bekenntnisses entweder gar nicht, oder nur lebwach
hervortrat. Die Hauptursache davon lag theils in dem weisen Benehmen
der Obrigkeiten, welche zeitig einlenkend nur die anstössigen Bilder, na-
mentlich die hölzernen Figuren, entfernten, theils in dem symbolisch«
poetischen Sinn des grossen Reformators und seiner unmittelbaren
Schüler. Man erkannte die Verflechtung der Kunst in die Religion, des
Aeussern und Innern, und hütete sich daher gegenüber dem Kult vor
leichtfertigem, puritanischem Aufräumen und Zerstören. Auch trennt sich
überhaupt der Nordländer -bei zäherem Wesen weniger leicht als der
Südländer von dem, was durch Zeit und Gewöhnung Ansehen und Liebe
gewonnen hat. Ist aber einmal das Eis gebrochen und eine neue Bahn
gewählt worden, so geht es vorwärts; man bleibt fest. — Für die Dar-
stellung des Zürcherischen Bildersturms hätte der Verf. noch Bernhard
Weiss (io Fusslfs Beitragen III., 50 sqq.) benutzen können. „Also",
heisst es da, „in diesen Tagen auf Freitag 1534 nahmen die von Sum-
men ihre zwo köstlichen Taffein, eine in Dorff und eine au St. Anna,
die War nicht vergölt, sondern so subtil, dasa man sie nicht mahlen wollt.
Aber die in Dorff war vergölt und gemahlt, die beyde kosteten wol 30O
Gulden, die verbrannten sie beyde auf diesen Freitig mit Paternostern,
und was daran hieng, uud wollten nichts verkaufen, Gott au Lob und
Ehr1, darum, dass sie diese Abgötterey unterdrückten w. Die aus Klöstern
und Kirchen hier und da geretteten Bilder liess der Rath in einer beson-
dern Polterkammer einstweilen verscbliessen , wo sie dann meistens zu
Grunde gingen (a. Weiss, S. 50). — Am rohesten verfuhr man in Bern,
namentlich gegen die im Viucenzmuuster befindlichen Kunstsacben (1528)}
selbst die Orgel wurde zerschlagen. Umsonst spielte am Abend des letz-
ten Vincenzfestes der Organist die Melodie; „Ach armer Judas, was hast
Du gethanV und verliesa dann mit Schmerz die Orgel, welche sofort
zertrümmert wurde. Die köstlichen Burgundischen Teppiche aber wurden
keineswegs, wie H. Fischer meint (S. 9), durchaus vernichtet; man
gebrauchte sie noch io den Dreissigerjahren für die Tagsatzungsfeier und
bestimmt sie vielleicht noch jetzt ähnlichen Festlichkeiten. Noch ärger
ging es in den St. Gallischen Stiftslanden her; die Gotteahausleute leer-
ten, Rorschach voran (1528), ihre Kirchen, verjagten die katholischen
Pfarrer und baten aich vom Rath in Zürich andere Prediger aus, der ihnen
„lauter solche Schwaben zuschickte , welche in Deutschland von ihren
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Streuber* Basler Taschenbuch.
Pfründen verlrieben waren. Denn wie vorher um Pfründen alles nach .
Rooi Ii c 90 1 1 f c ri j c dt d 1 6 Sch Vv* 8 b c u d s r u ni xi ö c Ii 7j ii r j c h ^ S • 1 y ^ . I q
St. Gallen überzog mau die Freskogemälde der Kirchenwände, welche
Sceoen aus dem Leben des h. Gall und Ottmar vorstellten, mit Kalk, ver-
wandelte die Kapelle des b. Johannes in eine Werkstätte, die des b. Ja-
kob in einen Kalkofen, schickte die Glocken mit dem übrigen Messing
Der Basler Bildersturm, durch ein recht gutes Bild von Coostantin Guise
erläutert, wird anschaulieh nach dem zeitgenössischen Chronisten ISikol.
Rippe 1 1 , bisher Handschrift, geschildert: „Was, sagt derselbe neben
anderm, von Steinwerk wass und Altären wurden all abgebrochen und
lerschlageo, die kilchen all geweisset« (S. 36). So recht! — Der
iweite Aufsatz von Dr. Streuber gibt ein Lebensbild des Erasmus
Ton Rotterdam zu Basel und sucht den um die Wissenschaft hochver-
dienten Mann gegenüber seiner schwankenden Stellung au den Zeitfragen
nach Kräften au rechtfertigen. Erasmus gehörte aber nicht der star-
ken, sondern schwächlichen Milte an: sein Charakter bleibt im Dämmer-
licht nicht der überwundenen, sondern hin und her wogenden Gegen-
sätze; er ist Ausdruck des stets negirenden, uie positiv- handelnden
Prmcips und verschwindet daher in den hoch gehenden Wogen der Re-
volution. Er will es Allen recht machen und verdirbt es daher mit Al-
lan: seine Bequemlichkeit, sein vornehmer Uratanff, seine Dosen und irol-
denen Hinge u. s. w. machen einen festen, unerschütterlichen Entschluss im
kritischen Augenblick unmöglich ; er war ein doktrioftrerWtihler; —
den Wein und sonstigen Comfort Basels kann er in seinem Freibnrger
Exil nimmer vergessen, zum Tbeil wohl in Folge einer wirklich zarten
und schwächlichen Leibesbeschaffeeheit. Herr Streuber hätte Uberhaupt
die Briefe des Erasmus an Amerbach (Epistolae familiäres ad Bonif.
Amerbacbium Basel. 1779) mehr benutzen sollen. Wie charakteristisch
heisst es z. B. ep. 61. (Jahr 1530) von Freiburg aus nicht: „Jam pri-
dem circumspicio sedem aliquam tranquillam, ubi quietus ac mecuui vi-
vens exspectem diem supremum, sed nondum obligit. Hoc corpusculum
multis eget , praesertim vino generös o. At non ubivis suppetont
omuia. >ec tarnen desunt, qui mihi male velint in utrisque castris etc.u
— So ein zartes Männchen taugte eben nicht für die Stürme des Le-
*) Referent besitzt Auszüge dieser merkwürdigen Briefe, welche ihm vor
Jahren Dr. B er cht mittheilte. In den ßänimt liehen Werken des Erasmus
stehen sie nicht.
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32 Gerlach und Bachofen: Geschichte der Römer.
bens; es war ein Friedens- und Garnisonssoldat, gut als Vorläufer nicht
als Kämpe. — Im dritten Aufsatz gibt Kart Buxtorf Blicke in das Pri-
vatleben des wohl bekannten, originellen Dr. Felix Plater. Darauf fol-
gen die Sage von der Stiftung des Klosters Schönthal und allerlei Mis-
cellen. Unter ihnen sind fUr unsere Tage besonders anziehend die Nach-
richten über die Cholera in der Umgegend von Basel im Jahr 1474.
Die Hauptstelle liefert Job. Knebel, bischöflicher Schreiber und Kaplan
(1458 — 1478} in seinen handschriftlichen Collectaneen Ober Begeben«
heiten seiner Zeit. Da heisst es nun in Betreff einer pestartigen Krank-
heit des Jahres 1474 also: „Zu dieser Zeit war eine grosse Pestilenz
im Elsass ringsum, so dass die Menschen fast eines plötzlichen Todes star-
ben. Und das kam daher, weil es in den vorhergehenden zwei Jahren
sehr heisse Witterung gewesen, so dass die Cholera in den Leuten
erzeugt wurde. Auch war im letzten Herbste ein ausserordentlich feuri-
ger und starker Wein gewachsen. Von dem tranken die Leute und wur-
den also von der Cholera entzündet, dass wer von ihr ergriffen wa^
in einem Tage starb.44 — Mögen die Aerzte über die wirkliche Wahl-
verwandtschaft der Ahnfrau mit der heutigen Enkelin entscheiden! Die
Notiz bleibt immerhin beachtenswertb.
Geschichte der Römer ton Fried. Der. Gerlach und J. J. Bachofen.
Ersten Bandes, erste Abtheiluno. - Vorrömische Zeit* Basel bei
Bahnmeier 1651. X. S. Vorred. 297. S. Text 8.
Als B. Niebub r seine tief eingreifenden Forschungen Uber Rom
und was ihm anhing in den Jahren 1811 und 1812 zuerst durch den
Druck veröffentlichte, blieben sie geraume Zeit wie ein verborgener Schatz
unbeachtet; nur wenige Leser erkannten ausserhalb des engen Kreises,
vor welchem in Berlin der grosse Mann gelehrt hatte, den kostbaren Ge-
halt. Das Teutsche und auswärtige Publikum, von der, für und wider
die Unabhängigkeit der Völker streitenden Macht gefesselt, halte für die
eigenthümliche Auffassung so entlegener Verhältnisse weder den Sinn noch
die nöthige Vorkehr. Erst die Freiheitskriege eröffneten dafür nach er-
rungener Unabhängigkeit die auch wissenschaftlich von neuem geweckte
Geisteskraft. Aber auch so vergingen noch mehre Jahre, bis nament-
lich in Folge der in den Heidelberger Jahrbüchern erschienenen Kritik
W. Schlegels das Buch im Umsatz, sein Inhalt in Fluss kam.
(Schlust folgt.)
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It. 3. HEIDELBERGER UM.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
(Fortsetzung.)
Historiker, Juristen, Philologeo und selbst Gottesgelehrte nahmen hier
und da für und dawider Partei; Nie bahr selbst, durch den Gang seines äus-
sern Lebens nach der ewigen Stadt geführt und heimgekehrt in Folge des ei-
genen Wunsches dem unmittelbaren Lehrberuf zu Bonn bestimmt, widmete
durch Wort und Schrift seine noch frische Manneskraft dem völligen Ausbau
des Werks als eigentlicher Lebensaufgabe. Dennoch blieb es in Folge
ungünstiger Umstände ein Torso, doch hinlänglich, um trotz einzelner
Aeiderungen die Gr und an sichten des schaffenden Meisters für immer
festzustellen. Manches mochte dabei auf kühnen Muthmassungen, unsichern
Schlüssen ruhen, das Wesentliche aber in Betreff der Plebs, des Acker-
gesetzes und anderer Fundamentalsätze des politischen Lebens der Römer
duldete keine erhebliche Einrede, keine belangreiche Blosse zum Angriff.
Das Missgeschick aber lag in dem Fragmentarischen und hier und
da unzeiligen Pikanten, z. B. gegenüber dem angeblichen Epos, Lücken,
welche weder die nach dem Tode des Verfassers bekannt gemachten
Vorlesungen, noch die zahlreichen Reiben der Nachahmer, beru-
fener wie unberufener, völli? aufzufüllen vermochten Hatte Niahnhr
bisweilen zur Unzeit kritisch negirt, so war er doch auch im Stande ge—
wesen , wiederum meistens kritisch zu schaffen ; die Fluth der Kopisten
aber, wenn auch nicht sowohl in geschlossenen grössern Schriften alz in
fliegenden Blättern und Lehrvortragen sichtbar, erfreute sich einer rein
obstructiven Betrachtungsweise ohne Fähigkeit der Reproduction; sie
fand in fibertreibendem Maasse Mythen und Fabelwerk, symbolisch-alle-
gorizche Auslegung statt factischer, wenn auch entstellter (ideaiiairter)
Verhältnisse und Persönlichkeiten; wirkliche Kriegergestalten, wie Co*
riolan-us, Codes, M. Scaevola u. s. w. schrumpften hierin osaian-
sche Nebelfiguren zusammen; „das Leben ist ein Traum" , hiess es da.
Der Unterzeichnete hat es selber gewagt, in seiner Römischen Geschichte
Mark und Bein der von der Hyperkritik begrabenen oder in Dunst auf-
gelösten Helden zu geben, jedoeh dafür keine Zustimmung gefanden. Ganz
natürlich; die romantische Mythik, selbst aal den Stifter des Christen*
XUY. Jahrg. 1. Doppelheft, 3
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JR i Gerlach uad Backofen: Geschickte 4fr Römer. ? ; ' :
thuros übergetragen, ^eTailt den trügen Haufen mehr ab die histori-
sch e, zu r Thai und Nachfolge anspornende Wirklichkeil. Di ese wohl-
feile Richtung war und ist so allgemein beliebt, dass selbst W. Schle-
gel in seinem kritischen Gegenstreben hineingerieth. Er hielt z. B. den
Mucius Scaevola aus ziemlich nichtigen Gründen für eine poetische Figur
und bedachte auf seinem bequemen Polslerstuhl moderner Weichlichkeit
nicht, dass die Energie wider den Schmerz, ein Merkmal Römischer Mann-
heit (Yirtus), sogar in entarteten Tagen noch vorgefunden wurde. Mo-
lkig tu dudi Kmscr Domitian us, damit die heroische Hoheit der Alt-
vordern Widerlegung empfinge, einen gemeinen. Verbrecher, sich durch
das Verbrenne« der Hand von der Todesstrafe zu losen, und bestand 4er.
kraftvolle Bösewicht im Angesicht von Tausenden die furchtbare Probe!
(MarOal, V» 30- und X. 2n.) - Eine verständige Revision der Rö-
mischen Geschichte nach den geläuterten Regeln einer besonnenen Kritik»
welche zwischen der destruktiven und rein konservativen die
gerechte, freilich schwierige Mitte einhält, ist daher nicht nnr nütz-
lich, sondern sogar Bedürfnis* Diese Aufgabe, scheint es, haben sich
dje Verfasser, durch philologische - juridische Arbeiten rühmlich bekannt,
gesetzt, sie wollen masslose, unbegründete Neuerungssucbt meiden, aber
eben so wenig denjenigen heimgekehrten Emigranten angeboren, welche
wie weiland die Bourbons nichts vergessen und nichts gelernt haben.
»Nicht als wollten wir, beisst es in dem Vorwort, die durch Gebt und
Gelehrsamkeit errungenen Endergebnisse von uns weisen, oder zu der
frübarq Anschauungsweise Römischer Verhältnisse zurückkehren, wohl aber
wollen wir den Scharfsinn und die Zweifelsucnl nur innerhalb der Gren-
zen gelte* lassen, welche durch die Geschichte selber gesteckt sind. Ein
geistreicher Skepticismus mag die Geister wecken, und was nur auf Tren
und Glaube angenommen, zur tiefern Erkenn tuiss umgestalten; an die V«v
gangenheit den Massstab der Gegenwart zu legen, kann auf eine neue
Betracbtungs weise führen, und eine angenehme Beschäftigung gewähren;
endlich ans Zusammenstellen und Vergleichen ähnlicher Erscheinungen in
dem Lehen verschiedener Völker kann zu Uberraschenden Ergebnissen
gelangen.-, eher um die Geschichte eines Volkes zu schreiben, genügt
diese Art der Behandlung nicht. Nicht Gedanken, Vermuthungen , I r-
theüe des neunzehnten Jahrhunderts Uber alt-römische Zustände wollen
wir vernehmen, sondern die Theten und Schicksale der Römer wollen
wir erfahren, wie sie von ihnen selber verstanden, begriffen
und überliefert werden sind. — Alan war bisher gewohnt, vorzüg-
lich da* Staats- und Rechtslehen der Romer in. Vordergrund na stellen
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CVrlWIi »nW Rarhofen* r^rhichtA tlfcr Römer
nnA Aim h riorr Arier Ii a Tanfprhoit «n nPAiAAn • dadurch ist ffescfaftkcfl. dfitt
una aie Kriegeriscne japierneit zu preiaeu , wHiurw» «» |wwiwcuf
MD Dicht seilen die tiefere Grundlage des römischen Charakters gern
anbeten tet (?> litis, das lebendige Abhängigkeitsgefühl yod der Mach t
der Götter u. a, w.tt Dieter religiös - kirchliche Standpunkt» bei
der entschiedenen Abhängigkeit des Cultus vom Staat etwas tchwan-
keod, wird bis zum Offenbarungs glauben festgehalten. „Ihn ver-
mittele, lautet die Ansicht, die Weisheit des ewigen Geheimnisses, die,
durch heilige Weihe von Geschlecht auf Geschlecht sich vererbende Wis-
senschaft, welche dem Volk als ein köstliche* Ei gen tu um bis zu den fern-
sten Zeiten bewahrt bleibe, in diesem Glauben seien die Theten dar
i^j. i-u-i — a — t~ vnllhpflfihL dipDccier den Heldentod gestorben etc.
Unglück habe dagegen die der strengen, gleichsam dogmatischen Göltet-
farcht sich entwindende Autfeesueg betroffen» den frevelhaften Clau-
dius bei Drepanuro, den überunttthig tbörigten Flaminius beim Trasimeni-
sefaea Se#.tf — In diesem Zusammenhange mit der Religion sahen aller-
— -- -j i s^Mitk t ai*&i all at Rnma dan nna«dfliitetea Thatheitaad andere
ulUJfS ßinLCmö DcriwiiitJi ©»«imr uvui» u«ju oug* uuu**««» ± [luiuvituuu) — va,w
«k-- m\t ihn^n di« hi^LnriKphn Kritik urtheilten iedoch wesentlich
«Otr UDQ Uli" lUUGU UiO UUWIIDUUO U«(MD, iaa> — ■ 11 j ww.*»a
verschieden; tie vermeinten, die Decier hätten, die schuldbeladene Well
in entsühnen (notio averruncandi) , den Opfertod gesucht und gefunden,
der leichtsinnige Claudier durch Hinterhalt, der sorglose, bei der patri-
.■ v>Q.tat .ni>u/»ni<rA PlAminüis durrl» L'cbcrfall des schlauen Feindes.
USCnen r«f Wl auruuiltgu * »amiuiu» uu,t" v .«w -vi rr | n ~— w~ — r
unabhängig vom Gleubeusprincip, ihre Niederlagen verwirkt. Auch miisste
wohl die Verflechtung de» Römis eben, einem unabhängigen, theo -
kratischen KircheBprincip abholden Staatscultus in die öffentlichen
und häuslichen Sitten (mores) alt wirklich eigentümliche Form des po-
etischen and religiösen Lebens hervorgehoben und in allen Hauptweoh-
ttin der Getchicbte als bedeutender Faktor des Glaubens festgehalten
werden. Jedenfalls kann das Publikum ein selbständiges, durch Gelehr-
samkeit und Wirme ausgezeichnetes Werk erwarten, weichet vielen Mite*
brauchen und Ueber treib ungen der rein negirenden, hypothesenreichen
Kritik gründlich begegnen , wenn auch nicht immer beifällige Endergeb-
läsOiche Anzeige so lange aufschiebt, bit der erste Band durch die zweite
Abtbeilung seinen Abschluss gefunden hat, muss er den Wunsch ausspre-
chen, die Herren Verfasser möchte u in diesen schwierigen, eben so un-
literarischen als unpraktischen Zeitläuften der sauren Gährurng
eder politischen Grippe ihren wahrhaft aufrichtenden, gewistermasten
heldenmttlhigea Plan einer Römischen Gesammthistorie unabgewendeton
Blickt verfolgen und unbekuamert m din einstweilige. Art der Anlnahme
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36 Flegrler: Geschichte des Alterthums.
ihrem Ziele möglichst rasch entgegenführen ! Denn d i e Aosicbl sieht
fest, dass ohne Kenntoiss des Alterthums kein klarer Einblick in die
Entwicklang des Mittelalters, somit auch der neuern, selbst neuesten Zeit
Für den wahrhaft wissbegierigen Staatsmann und Bürger möglich ist.
Geschichte des Alterthums, ton Alexander Fl e gier. Stuttgart
. 1849. Bei Frankh. 296 S. 8.
In zwei und vierzig, nicht enge verbundenen Abschnitten wird das
Wissenswürdigste und Bedeutsamste von den ältesten Dingen an bis aof
die Zeit Konstantins des Grossen herausgehoben und in einfacher, klarer
Sprache dem grössern Publikum dargestellt. Qnelienbelege fehlen auch
desshalb; jedoch stehet nichts destoweniger der Verfasser, dermalen so
Zürich, auf eigenen Füssen; er hat, wie die Vergleicbnng unterschiedli-
cher Stücke dem Leser zeigen kann, meistens selbst geprüft uod io der
richtigen Auswahl ans dem ungeheuren Stoff gesundes Urlheil bewährt
Die Umrisse der orientalischen Völkergeschichte sind ihm besonders ge-
lungen: sie schildern in einem kleinen Raum den Kern der Sache und '
leiden weder an verwirrender Ueberladung noch oberflächlicher Dürftig-
keit. Bei dem populären und doch wissenschaftlich gehaltenen Zweck
hätte bei Niniveh und den Assyrern ein veranschaulichender Blick anf die
jüngsten Entdeckungen Botta's und Layard's nicht fehlen tollen. Räson-
hAtnanl. itrArwl^rk f s\ rt Vi *-» ntasiK A I A f A I A r» A r» Vk A t I ^Ä1I- — aaL|. rv\ i I I i t /» Ir
neuienis weraen, so nano aucn uie ueiegenneu »eyn motnie , uui uiuck
Vermieden, dennoch die jeweiligen Culturstufen der Völker im grossen
Ganzen durch wenige Worte recht gut angedeutet. „So sind denn,
schlieft z. B. Nr. 6., die Chinesen im vollkommensten Grade dasjenige
geworden, was gewisse Leute ausscntiessena praktisch Meissen , sie sorg-
ten trefflich für die Bedürfnisse des Lebens, waren anstellig zu allerlei
Handthiernngen, machten im Handel gute Geechäfte und Hessen sich durch
tiberschwängliche Gedanken nicht aus der Bahn bringen *, aber der Reich-
thum des geistigen Lebens und das Gefühl persönlicher Freiheit ist ihnen
jederzeit fremd und unbekannt geblieben.14 — Hinsichtlich des Aegypti-
achen Kastenwesens und der daran geknüpften Stabilität, namentlich in
öffentlichen Angelegenheiten, wird Nr. 7. bemerkt: „Die Prieater zu-
mal hielten sehr darauf, dass ein jeglicher nach der Väter Weise atiU
und geruhig festsitze an einem und demselben Orte, und waren sehr ge-
neigt, diejenigen, die aich anders verhielten, für Heimallose und Landstrei-
eher anzusehen." — Den tollen Thierdienst begleitet die Bemerkung:
„Dazu kamen noch viele heilige Thiere, von denen keines ao berühmt
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Flecler: Geschichte des Alterthnms.
geworden, wie der Apis, oder der «ottliebe Stier von Memphis, der da-
selbst in einem Tempel von Priester« genährt und gepflegt wurde, und
oftmals ganz ausserordentliche Dinge geweissagt haben
soll." — Mit Sorgfalt berücksichtigt ferner der Verfasser die alte Erd-
kunde, ein in vielen gelehrten Schulen, Hand- und Lehrbüchern sehr
vernachlässigtes Fach; in klaren Umrissen werden die Gebirgszüge, Nie-
derungen o. s. w. für den Gang der Völkerentwicklung, besonders im
Orient, nachgewiesen, auch bisweilen wichtige Oertlichkeiten genauer
herausgehoben und in ihrem Zusammenhange mit den spätem Bewohnern
aufgefasst. — Eben so wenig fehlen die vorzüglichsten Erscheinungen
iü der Kunst und Literatur, wobei natürlich weder Vollständigkeit
noch tieferes Eindringen in den Charakter des jeweiligen Schriftstellers
Rannt gewinnen. Denn was soll auch das grössere Publikum oder
der Schüler mit einlasslicher und, wenn man schärfer prüft, doch mei-
stens oberflächlicher Literaturgeschichte anfangen ? Ihm müssen die Haupt-
und Wendepunkte genügen, während Nebensachen und Ausfüllung der
notwendigen Lücken einem besondern Studium anheimfallen Niehls scha-
dete s. B. in Teutschland mehr, als das seit Jahren üblich gewordene breite
Hineinzerren der Literatur und Kunst in den Unterricht. Man gewöhnte
sich dadurch auf Kosten des Faktisch en an ein schales ästhetisch- philo«
fophisches Gerede und rhetorisches Vernünfteln ohne Saft und Kraft;
eine Götbemanie, ein Shakespearischer Taranteltanz kam in die
jungen Köpfe, setzte sich darin fest und trieb die wunderlichsten Aus-
wüchse auf Kosten des Verstandes und selbst der Vaterlandsliebe hervor.
Beherzige man doch, was irgendwo Klopstook sagte:
„Der Schüler der Aesthetik
Ist gleich dem Schüler der Ethik:
Er hört Gras wachsen, aber nie
Den Lorbeer rauschen im Hain der Poesie.tf
Die kleinen Kritiken und Charakterbilder des Verfassers sind oft
eigentümlich. Wenn er z. B. den Thukydidos (S. 116) mit Hecht
sehr hoch stellt, den Tacitua aber trotz seines Geistes wegen der ver-
bitterten Weltansicht und scharfen Subjectivität ziemlich herabsetzt,
so möchten ihm in letzter Beziehung wohl die meisten Kenner des gros-
sen Römers nicht beistimmen. Tacitus nämlich hat keine verbitterte,
wohl aber wehmüthige, eben desshalb für seinen Standpunkt wahre
und fesselnde Wellansicht, ungefähr wie sie ein Mann desselben Geprä-
ges gegenüber dem Tantalischen, werklosen Treiben heutiger Tage haben
könnte. Daraus folgt aber noch keine blinde Resignation, vielmehr
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tf pierer, wenn auch fruchtloser Gegenstreit, wie Ad nicht sowohl die
MaaflAn al< AintAlnA P»rafln1irMr öitpn r^ahiflktivitlfon^ nnfnAhmfln und
I1WQI mfo ÜJIHpOIIIC * CIDVlfllV lirvoiVCLI ^OHUJORMT UUvMJ ouiüviniiwu uasi*
l/vl IC II vu II I U »3 v v II •
Aas diesen jüngsten Arbeiten, welchen sich nächstens des grosse,
fast vollendete Werk Kopp's über die eidgenössischen Bünde an-
schliefen soll, erhellt deutlich, dass in der Sehweit trotz des politisch-
kirchlichen Parteiweseue noeh ein lebendiger Sinn für die Erforschung
der Vergangenheit, namentlich der vaterländischen, herrscht und eben
desshalb ein Ueberstürzen der gesellschaftlichen Grundlagen durch bohle,
abstrakte Plaae des Unverstandes oder der Selbstsucht fast unmöglich
macht. Absichtlich wird auf diesen Umstand hier der Ton gelagt, weil
wohl Uber kurz oder lang manche,, auf Anklage unruhig revolutionären
Treibens gerichtete Anklagen der Fremde kommen und die hier oder dn
sichtbaren Fermente nach Krallen bebrüten werden. Mögen die Schwei-
zer diese kurze Zwischenzeit benutzen, den hohlen, unnützen Streit zwi-
schen Radikale» und Conservativea durch den Blick auf den gemeinen
Netzen und die Stärke der Gesummt heil endigen, damit sie die Hehns««
chung nicht ^^ic das snöchlige, aber zerrissene Teutschland in Zwietracht
findet Letzteres bat, meistern dar unmittelbaren Gegenwart hingegeben
und für dieselbe auch schriftstellerisch tkitig, die historische Litera-
tur in den jüngsten Tagen nur spärlich mit selbständigen Werken ausge-
stattet. Diesen gehören besonders mehre werlhvolle Schriften an, welehe
Bezug auf einen in den Jahrbüchern oft und vor geraumer Zeit behan-
delten Gegenstand haben, auf den alten und dennoch immer jugendlichen
Befreiungskrieg. UebernaUthige , anwissende Epigonen nannten ihn, wie
das auch gerügt wurde, anliquirt oder wohl gar einen Kampf fil reine
Restaurationszwecke. Die letzten dritthalb Jahre habeu das Gegentheil
bewiesen und den bedeutenden Abstand der modernsten Begeisterung und
Geduld (Ausdauer) dargelegt. Dies soll j edoch keine Anklage, vielmehr
Ermotbigung heissen und andeuten, wie schwer lallig nnd Zickzack missig diu
menschlicheu Dinge, besonders im Staatsleben, einherwuodeln. Gott aber
oder das Schicksal lenkt dennoch den Wugen so, dass er nie, wenn die
Jsf^nsckco nur Molh und Xttbi^btMt liflhen^ ini Rumpfe stecken bleibt«
Erinnerungen aus den Jahren 1813 und 1814 ton Karl c. Räume r.
Stuttgart, bei Liesching. Vorrede VIII. 147 S. 8.
9
Wio das Abschiedswort an dio Leser meldet, schrieb der ehren—
werthe Verf. diese Worte nieder, um sich durch den Blick in eine gross-
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I
irtiire Vergangenheit wider die niederdrückenden Frfalirunffftn der f!«-
gen wart aufzurichten und EU stärken. Ihm erscheint Teutschlands in den
Freiheilskriegen wieder gewonnene Ehre schmachvoll geschändet iDm
Hoho und Spott der andern Völker und, um mit Schiller'» Allinghausen
zu reden, die alte Zeit begraben. „Wohl Dem, der mit der neuen nicht
»ehr braucht zu Üben!" — Wenn man aber bedenkt, das* die alter-
dings traurige Wendung der inaern Angelegenheiten hauptsächlich durch
Boverantworllichen Leichtsinn, besonders der Leiter und parlamentarischen
Wortführer, verschuldet wurde, so ist die wehmüthige Klage wohl er-
laubt, nieht aber gerechtfertigt. Denn Fehlgriffe, mit Reue und Aufrichtig-
keit erkannt, vergönnen dem Privatmann wie de» Volk auch Mittel der Bfla-
serung, ja, im aussehen Fall tritt wie früher der gestrenge Zuchtmeister,
der Krieg, als Reformator auf. Möchte er sich auf gerechte Art eher
wider einen etwa übermüthigen Fremden, sei sein Wohnsitz der Nord-
osten oder der Sadwesten, denn wider die eigenen Söhne wenden I
Letzteres erscheint gerade wegen der Unnatur und weil es sich in den
Kai/faranififTAn PoMlonopn HnrnnLn link tVanAtitliitk olm.aii.l.nn/lA I)
ueiuersemgcu reiuiagcrn uciuiuicu mein um wcsbuimui auweicueuuu iria-
cipien handelt, trotz des Waffengelümmels fast unmöglich. Diu Wolken
werden sich rasch zertheilen und einer billigen, wenn auch den Volks-
wünschen nicht überall entsprechenden Ausgleichung zwischen Preussen
und Oesterreich wie den Angehörigen der Hauptmächte Platz machen.
Unabhängig aber von seinem bescheidenen Nebenzweck hat Herr von
Räumer, welcher meistens dem Blücher 'sehen Hauptquartier folgte und
bedeutenden Persönlichkeiten naber stand, dankenswerthe Beiträge zur
Geschichte jener entscheidenden Jahre geliefert. Sind doch Beobachtun-
gen der Augenteugen und unmittelbaren Zeitgenossen, selbst wenn sin
nur einen engen Kreis umfassen sollten, als ursprüngliche Quellen von
aober Wichtigkeit. Diese gilt auch von den vorliegenden Blattern; aus
dem Leben gegriffen, schildern sie die Zeit wahrhafter, aus Vaterlands-
Hebe und sittlich - religiösem Ernst entsprossenen Bewegung; sie konnte
Grosses vorrichten, weil sie an das Grosse glaubte und persönlich selbst-
süchtigen Kleinigkeitskram fallen liess, wenig redete, kannegiesserte und
unkte, viel that, ertrug, das Beschlossene in Einigkeit bei manchem Ha-
der vollsog, ein fiel, die Bekämpfung des Feindes, vor Augen behielt
aad ihre Kräfte nicht durch hochfliegende Revolntionsplane zersplitterte.
Fürsten und Völker, Gelehrte und Handwerker, Geistliche und Weltliche,
empfanden, dachten und bandelten wie aus einem Guss ; darum ging esr
wenn oft auch müh- und langsam, vorwärts, von der Spree bis zur Elbe,
zum Rhein, zur Seine*, mau staunte nachher selber bisweilen über da*
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Gelingen anfangs bescheidener, nur ouf Abwehr gerichteter Plane. An
innern Feinden fohlte es dabei nicht , viele Tausenden ja Millionen hatten
sich , nicht nur der Rheinbund allein , in die scbm&klige Wirthschaft bin—
eingelebt, zum Theil hineinphilosophirt. — Herr von Raum er, bei dem
Ausbruch dei Kriegs Bergrath, kam bald als thätiges Mitglied dea Stabes
in das Hauptquartier der schlesiacben Armee; in dieser günstigen Stel-
lung konnte er nach eigenem Ausdruck in täglicher Nahe der grössten
Männer das Grösste erleben (Vorwort 6). — Man muss jedoch keine
zusammenhängende Berichte, umfassende Schilderungen erwarten; die Mit-
theilungen geschehen aphoristisch, heben diesen oder jenen Zug heraas,
bald einer Persönlichkeit, bald eines Ereignisses. Bisweilen werden, die
Sache zu erläutern, kurze, schon anderswo gedruckte Briefe der Feld-
herrn eingeschaltet; sie kommen jedoch nie zu spät. So z.B. gibt Gnei-
se na u am 26. August dem Freund, Grafen von Münster, in etlichen
Zeilen ein taktisches Bild der eben gewonnenen Katzbacherschlacht
(S. 22). „Wir habentt, heist es, „heule einen Sieg erfochten. Wir
hatten die Disposition zum Angriff gemacht und wollten sie eben in Aua«
fuhrung bringen, als man uns meldete, die feindlichen Colonnon seien ge-
gen uns Ober die Hatzbach im Anrücken. Schnell änderten wir unser n
Angriffsplan, verbargen unsere Colonnen hinter sanften Anhöhen , zeigten
nur unsere Avantgarde und stellten uns als ob wir in die Defensive ver-
fielen. Nun drang der Feind ttbermttthig vor. Auf einmal brachen wir
über die sanften Anhöhen hervor. Einen Augenblick war das Gefecht im
Stillstand. Wir brachten mehr Cavallerie ins Gefecht ; zuletzt unsere In-
fanteriemassen; griffen die feindlichen mit dem Bajonett an und stürzten
sie den steilen Rand des Flusses, die Katzbach, hinunter. tt — Wie schlicht
und wahr! — Die anziehende Magnetkraft des Bltlcher'schen Heeres,
welchem nach dem ElbQbergang bei Wartenburg die übrigen Gewalts-
haufen gefolgt seien, wird wohl zn hoch angeschlagen; der Schwedische
Kronprinz mochte Ehren halber unmittelbar dieselbe Richtung nehmen, für
die grosse, böhmische Armee wirkte bestimmend der schon früher fest-
gesetzte, sorgfältig beobachtete Operationsplan (S. 35). Wenn alao Gnei-
senau dem dreimal zum Anscbluss mahnenden Könige Friedrich Wil-
helm lakonisch zurückgeschrieben haben soll: „Ew. Maj., mein Kopf
atehet sn Ihren Diensten, aber wir kommen nicht", so ist
das eben ein romantischer, un historischer Soldatenwitz. — Znr Leip-
ziger Völkerschlacht, in welcher 500,000 Streiter einander fanden, lie-
fert der Verf. mehrere anschauliche, dankenswerthe Züge; wie York bei
Möckern vorarbeitete, 172 Officiere, 5,500 Unlerofficiere und Soldaten
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K. t. Räumer: Erinnerungen.
an Todten und Wunden für den künftigen Sieg am 16. Oktober einsetzte,
wird auch hier mit gerechten Lob hervorgehoben, daneben wiederholt be-
stiegt, dass der Schwedische Kronprinz zur Theilnahme an der Schlacht
des 18. durch Blücher und (Jneisenau gleichsam moralisch geoötbigt wurde.
— Eine artige Idylle bildet dagegen der Einzug des Cborfflrsten Wil-
helm in Kassel (21. Nov.). „Vor dem Chtrfurstee«, meldet H. v. Rau-
mer als Augenzeuge, „zog eise Menge Bauern zu Pferde, zum Theil an-
getrunken, dann Förster, eine Schaar weissgekleideter, vor Prost zittern-
der Mädchen, Schulmeister mit angestrengt schreienden Chorschttlern, Na-
tionalgarden zu Pferde und zu Fuss. Endlich kam der ChorfOrst selbst,
wohl von 200 Menschen gezogen. (Brav!) Er stand im Wagen (alt
Triump hator !) , neben ihm der Churprinz. Der alte Herr trog eine mäch-
tige Zopfperücke, ein grosses Gewächs am Hals nöthigte ihn den Kopf
seitwärts zu neigen. Ein Bauer, der dem Einzöge zusähe, sagte: „ sie-
ben Jahre habe ich ein Pflaster vorm Maule gehabt, heute reiase ich's
runter- ( S. 59} — In Höchst setzte der General Gneisenau Bilfer-
wein statt der in Bautzen versprochenen Tranben vor. „So giugu, fügt
der Berichterstatter bei, „in der korzen Zeit von zwei Monaten das Un-
glaubliche in Erfüllung, was Gneisenau" s prophetische Heldenseele in
Bautzen ausgesprochen 44 (S. 61). Aehnliche Zuversicht wird voo Bla-
ck er, jedoch in anderer Form, gemeldet Der Winterfeld zog in Frank-
rc i c h b cIjo tu fn t m q n l Ii c Anziehende B o 1 1 r 3 ^ 6 ^ ^vdc h c m c 1 s t c n 9 dos (j c n c ^
raiquartier und Soldatenleben betreffen. So fragte einst Gneisenau bei
schlechtem Wetter und bösen Wegen in der Nähe von Laoterecken eine
vorübergehende Infanteriekolonne: „Kinder, wie geht's ?u — Sonst wohl
gut, war die Antwort, kämen wir nur nicht immer so spät ins Quartier.
— Nun, sagte der General, vor Tische kommt ihr doch, das fehlt nicht.
.Ja wohl", sagten sie, und lachten herzlich (S. 71). Den berühmten
Rückzug Blücher's auf Etoges schildert der Verf. als Augenzeoge also:
„Es war der bedenklichste, verhängnissvollste Aogenblick im ganzen Kriege.
Blocher, Gneisenao, Prinz August Ferdinand, Kleist, Grolmann und viele
andere höchst bedeutende Männer schienen dem Tode verfallen. Der
treffliche Oberstlieutenant von Oppen hielt neben mir. „Ich habe",
sagte er, „in Spanien unter Wellington vieles erlebt, doch so etwas nie."
Es sind die letzten Worte, welche ich aos seinem Monde vernahm, kei-
ner voo una sah ihn mehr. Lieutenant von Blücher, ein Neffe des Feld-
marschalls, erhielt einen tödtlichen Schuss. Der Prinz Aogost Ferdinand
zog den Degen und rief: „lieber wollen wir uns alle niederhauen lassen
ala uns ergeben." — Ein Viereck preossischer Infanterie wurde gebildet;
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Bebe noch die hohe Heldengestalt Grolmann's, der mit grosser, mu-
Huri srhliifrpn nnc Hnrrh Ain trnnri\zi*f\\m Pnvalloria rlnrrfi wnhAi «inp rnaci
unu aLiiiii^cu uns uui tu uio ir diitiUsjSviio ^Hvuiiuriö uuri.ii, ytuuci öiiic russi-
•che Batterie mit wob) gerichtetem Kartätschenfeuer oos unters tüt^to u. s.w.
(S. 78}. — Sir Hudson Lowe, der spätere Wächter Napoleons»
konete deu kaltes Muth nicht genug bewundern. „Es befand sich da-
BIsWÄ y tldäSt €9 y ^ Hl)
der, ein langer hagerer Hann
bangend, die Zehen abwärts. Mit einem grosses Stock beschrieb er rei-
tend in der Luft Kreise (wie ein Augur?); er sprach sehr wenig; sein
langes, gegerbtes Gesiebt glich dem des Mannes, „der niemals lachet
nach dem Siege bei Laon wird nicht nur in der Augenkrankheit des
Feldmarschalls, sondern auch in allerlei Zerwürfnissen nachgewiesen. Der
alte Herr hatte nämlich sei es aus Laune oder Fahrlässigkeit eine Ordre
verkehrt unterzeichnet." Darauf hin geht, lagt H. v. Räumer, York zu
Kleist uod sagt: „da sieht man's, der Alte ist wieder verrückt ge-
worden, wie früher in Pommern. So ist's eigentlich Gneisen an, der
uns befiehlt; das müssen wir nicht leiden." Die Sache wurde jedoch,
obgleich der Chef des Generalstabs seinen Abschied anbot, von den Mo«
narchen ausgeglichen, und Alles blieb beim Altes. So hat es später
Gneisenau vertraulich erzählt (S. 90). In der Schilderang des Bftfi-
cherschen Hauptquartiers (S. 116 ff.) wird man manchen neuen, pikan-
tes, aus dem Leben gegriffenen Zug finden; es galt da geregelte
Zwaaglosigkeit ohne steife Etikette und finstere Mienen, trotz der oft
schlimmes Tage. Jedoch scheint sich auch hier und da eise
fhe, überflüssige Persönlichkeit und Stellung eingefunden zu haben,
wohl die gestrengen York und Kleist nicht ohne Grund bisweiten är-
gere mochte. General Mttfflisg, darüber getadelt, dass er in des
Bulletins auf alle Weile die Verdienste der Russen auf Kosten der hei-
mischen Krieger hervorhebe, antwortete: die Preussen thäten von selbst
ihre Pflicht, aber die Russen müssten durch solch Lob erst angefeuert
werden (S. 122). — Den kühnen Marsch auf Paris (März) führte, meist
der Verf., hauptsächlich der General G r o I m a n n herbei, der den Feldzugs-
plan entwarf. Bei Anlass der einander ergänzenden Persönlichkeiten B I li-
ehe r'e und Gneisen au's wird gut bemerkt: „Gott lässt in grossen Augen-
blicken der Geschichte Manner geboren werden, welche gemeinsam das
Ausserge wohnliche vollziehen. So Luther und Melaschthon — Schar n-
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K. y. Raumer: Erinnerungen. 43
■ofrft, Blücher, Gn ei gen an, York, Bülow, 6 rol m a n ■ ■»»- wi«
Terschieden waren, wie verschiedenes leisteten ttet Und bei aller Ver-
schiedenheit verfolgten doch alle Ein und dasselbe Ziel: den Sturz Na*
poleons und die Befreiung des Vaterlandes" (S. 125.). Mit besonderer
Vorliebe verweilt der Verfasser bei dem Bilde Gneisenau 's. Und mit
Recht; dieser wahrhaft grosse, und dabei bescheidene Mann trägt einen
antiken Charakter; man könnte ihn den Prcnssischen oder Teutleben
Epaminondas nennen, mit dem er auch die Gleichgültigkeit gegen
Schein, Rohm und materielles Gut theitt. Letzteres fiel ihm sehr spät
und auch nur bescheiden tu, gleich wie dem Scharnhorst, einem
ganz ähnlichen, wenn anch mehr einwärts gekehrten Charakter. Die
biographischen Nachrichten Ober Gneisen au, meistens ans von Rhadern
Wanderungen eines alten Soldaten "'j entlehnt, enthalten auch manches
Eigene nnd bleiben desshalb sehr schfitzenswerth. In Betreff der angeb-
lichen Abstammung ans Ulm hat Prof. Hassler die gefüllige Ausknnft mit«
getheilt, dess man dort von Gneisenau's Familie bisher nichts wisse, wohl
aber von dem allpatrizisehen Geschlecht der ,,N ei jj t h a r d " , deren Vor-
namen der Feldmarschall bekanntlich führte. Hier müsste das Wappen einigen
Zusammenhang gewähren; jedoch hat man bisher nicht darauf geachtet.
Jäger, Ulm im Mittelalter S. 774 bemerkt: „Wag die Neitharde
betrifft, to kommt der Name Nithardt schon im neunten Jahrhundert
in der Nahe der Donan vor, tu Einsingen bei Ulm, allein nnter mei-
nen Gollectaneen ist der erste dieses Namens in Ulm der Stadtschreiber
Heinrich Neitbard, der 1303 aus Auftrag Ulms in Rotweil ist. Er
hat 10 Söhne gehabt. Durch ihre Stiftungen haben sio sich sehr be-
rühmt gemacht. tt Wie leicht konnte sich des zahlreiche Geschlecht
von da ab verzweigen nnd auch in die Fremde hinübergreifen. Der
Wanw ^Gneisenau, heisst es bei von Rheden, soll von einem kltinen
Besitztum in Oesterreich herrühren. Gneisenau, der Feldmarschall, war, daa
steht fest, Sohn eines Lutherischen Hauptmanns \n fctfo. Öster. Diensten
nnd einer Katholikin, Tochter des Artillerieobersten und Commandanten
der Festung Würzburg, von Müller. Am 28. October 1760 zu Schiida
in Sachsen geboren, kam der junge Gneisenau von Würzbnrg nach Er»
fort, wo er die ScbuJe besuchte und als unbemittelter Schüler Cw'e j*jt"
ther) in den Singclioren vor den llüuseru sang (Kaumer, S. 122. j.
Der Koadjator von Mainz, später Fürstprimaa, Karl von Dalberg, erkannte
»tad ermunterte die mathematisch- militärischen Talente des Knaben, wel-
*) S. Jahrbücher. Jahrgang 1848. pag. 172 ff.
44 Schneidawind: Der Feldjrag dci Herzogs von Braunschweig.
eher zum Jünglinge herangereift in die Kriegsdiensie des Markgrafen von
Anspach trat (1781) und mit den Markgraflichen für Englischen Sold
aacb Nordamerika hinüberschiffte (1782), jedoch von hier nach bald
geschlossenem Frieden zurückkehrte und etliche Jahre spater (1786)
Preussische Kriegsdienste nahm. Seine Hauptgarnison war Lowenberg in
Schlesien , sein Aufrücken so langsam, dass er beioahe 20 Jahre lang'
Hauptmann in einem FüsilierbataiUon blieb. Den ersten glanzenden Na-
men erwarb der 47jährige, bisher wenig beachtete Mann durch die ruhm-
volle und glückliche Vertheidiguog Kolbergs. (1807, April— Juli.)
Fortan stieg lawinenartig seine tbatkräftige Wirksamkeit mit den Ver-
wicklungen und Gefahren. „Blücher, der älteste alte deutsche Michel,
sagt E. M. Arndt, Gneiseoau der hochherzigste, Grolmann, von
Vielen der bedeutendste genannt, diese drei haben (zunächst für Preus-
sen) Grosses und Unsterbliches zusammen vollbracht, Boy en, der Stille,
Bescheidene, Feste, mit ihnen. In Selbstüberwindung bat jeder seine be-
ste Stärke für ein Gemeinsames und Ganzes hingegeben; und kein Neid,
keine Eifersucht, keine Habsucht bat sie jemsls entzweit. Froh, dass die
grosse Sache gewonnen worden, war jeder unbekümmert, ob sein Name
dabei genannt ward. Weil sie an ein Unsterbliches geglaubt
haben, weil sie ein unsterbliches deutsches Vaterland ge-
wollt habeo, müssen ihre Namen im Vaterlande unvergänglich leben."
Daran möge sich die verworrene, oft kleinfügige Gegenwart, wel-
che Uber ungeheure Mittel der innern und äussern Politik in Folge der
Selbstsucht nicht zu verfügen weiss, gelegenheitlich spiegeln. Doch sie
bat keinen Sinn dafür und wird die Thorheit durch neue Prüfungen und
Missgeschicke bttssen. Steht man doch bereits einander in Waffen halb
gerüstet gegenüber, um leere Phantasieen von Union und Bundesstaat
auf Kosten föderalistischer Einheit dem Volke praktisch aufzuzwingen.
Jedoch glücklicherweise wird die kriegerische Seifenblase eben so zerplatzen
wie weiland in Frankfurt und Erfurt die theoretisch-rhetorische.
20. Nov.
«
Der Feldzug des Herzogs Friedrich Wilhelm ron Braunschweig
und seines schwarzen Corps im Jahre 1809. Von Franz Schnei-
dawind. Darmstadt, bei Leske. Vorrede VI. 175. S. 8.
Unter den wenigen Fürsten Teutschlands, welche in den Tagen
schmählichen, theilweise selbstverschuldeten Drucks Männer blieben, glänzt
Herzog Friedrich Wilhelm von Braunscbweig-Oels durch ritterli-
chen Muth, vaterländischen Sinn und Feldherrntalent hervor, welches sich
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S c Viq c i d q i o d • Der F*clcJzu^ des Hcirxo^s von
jedoch nun 8 u F b e s c ti r ö n b t c m Spiel r 3 u m u d d bei ^ er i öd i t tel o eo
ten konnte. Ihn drängten Öffentliche und häusliche Unbilden vorwärts;
er hatte Alles verloren, nur sich selber nicht und den Glauben an das
Freiheitsgefühl der Landslente in engern nnd weitern Kreisen« Der be-
rühmte, nnglOckliche Vater, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von
Braunscuweig-Lttneburg, verschied etliche Wochen nach den Vernichtung*,
schlachten von Jena nnd Auerstedt als Flüchtling , des Augenlichtes be)-
raubt anf dem Dorfe Ottensen bei Altona (10. Nov.); den kaum aus
dem Kriegsgetümmel heimgekehrten Sohn und Erben traf Napoleon' § un-
würdige Acht. „Das Haus Braunschweig, lautete sie, hat aufgehört zu
regieren. Möge der General Braunschweig sich jenseits des Meeres ein
anderes Vaterland suchen; Ueberall, wo ihn meine Soldaten linden, soll
seiner Kriegsgefangenschaft warten!" — Der abgesetzte, auf Ehrenwort
nach der Schlacht bei Lübeck entlassene Fürst zog sich, durch den Til-
siter Frieden in allen Hoffnungen getauscht, mit den Kindern und der
Gemahlin Maria, einer badischen Prinzessin, in die stille Einsamkeit Bruch-
sals zurück, wo bald darauf die Herzogin zum Theil in Folge des er-
dnlteten Ungemachs starb (April 1809). So des Vaters, Vaterlandes
und der zärtlich geliebten Gattin beraubt, sann den Herzog über Rache,
brachte die Kinder gen England in Sicherheit, raffte die Trümmer des
Vermögens zusammen, eilte gen Oesterreich, als es 1809 sein Rhrenjabr
antrat, nnd errichtete nach getroffener Uebereinkunft auf eigene Kosten
die seinen Namen führende Freischaar. Aus allen Gauen Teutschlands
bunt zusammengesetzt, schwarz gekleidet, mit metallenem Todtenkopf am
Tzako und desshalb die Schwarzen, auch wohl Racheschaar ge-
heissen, empfing sie bei manchen nnlautern Stoffen gemach kriegerische
Einheit und Hingebung. „Der Hersog, urtbeilte später ein unbekannt ge-
bliebener Franzose, etwa vierzig Jahre alt, war von schöner Gestalt und
Seht kriegerischer Haltung. Nie verliess ihn bei allem Feuer auf dem
Schlachtfelde die Kaltblütigkeit. Inmitten seiner Waffengefährten hatte
man ihn für einen gemeinen Soldaten halten mögen; denn ein schwarzer
Rock nnd eine Mütze derselben Farbe bildeten seinen ganzen Kleiderstaat.
Auf nackter Erde ruhend, alle Gefahren, Beschwerden und Entbehrungen thei-
lend, hatte er eine Heldenschaar geschaffen, schwach an Zahl, aber furcht-
bar durch Muth und Opferbereitschaft." +) Offiziere und Soldaten gehör-
ten, wie gesagt, fast allen Teutschen Stammen an, jedoch meistens den
*) Le royaume de Westphalie. Par un leraoin oculaire. Paris 1820.
Äs» Hdf st) 61 \ 00 ^flf ÄChliOlnJCe Jfa^jdjIMrlle) i843# 0*
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Scbneidewind: Der Feldzug des Herzogs von Braunschweig.
nördlichen. Neben andern führt des genaue Verzcichuiss im Tagebuch
des Herrn von WachhotU, der urkundlichen Ilaupiquelle, aus Baden
auf den Lieutenant Rudt von Collen berg, vielleicht Bruder dei der-
maligen Staatsrats, aus dem Braunschweigischen von Radowitz, wahr-
scheinlich Verwandten dei berühmten königlichen Freundes uod Politikers,
•welcher die Gegensätze Sully 's und des g ehe im aiss vollen, magnetisiren-
tiea Gro 8S kop h ta (Ceglioitro) zu vereinigen sucht, aus dem Hessischen
m\h. von Dörnberg, den durch kriegerische Theten in. Spanien und
Teutschland namhaft gewordenen Qbris* der westfälischen Garde-Cara-
niniers, von Herzberg aus dem Preussischen , welchen die Schlachten
von Satan aoea, Vittoria, an der Niveüe und bei Orthez zum Obristlieu-
teoaot und Regimentsführer erhoben, Korfes aus Braunschweig , den
hochverdienten Major im GeneraUtab der Schwane» u. s, w. — Wenn
das Gedächtnis dieser und anderer Ehrenmanner wieder aufgefrischt wird,
so geschieht dadurch der Vaterlandsliebe ued Kriegswissenschaft ein hö-
herer Dienst als durch die zahl- und geschmacklosen Darstellungen der
iünanten Rürfferkravalle und Aufstände denn derartige Schildereien, ire-
ben tbeile, weil sie zu frisch und befangen sind, den geschichtlichen Ver-
lauf nur unvollständig und parteiisch, theilf nähren sie trotz des Ha-
schens nach sittlich- patriotischem Effect de» Bürgeriwist und befe-
stigen die Kluft der Parteien, deren eine die Schuld der andern zuschiebt
und ge hassige Anklagen erbebt. Herr S c h n e i d a w i o d hat daher wohl I
aehandehv wenn er. seine frübern krieffswissenschaf tlichen Arbeiten au
ergänzen, ans guteu Quellen den Fddzug des edlen Weifen zusammen-
stellt nnd ein im Ganzen klares Bild jenes etwas rauben, immer aber
tapfern und patriotischen Freicorps der alten, beinahe verschollenen Zeil
mm NaLxea und Frommen der gleichfalls zerrissenen aber schwächlichem
Geimnwftft liefert Indem hier uatur^emüs« die militärischen Einzelnhei-
tan übergangen nnd dem Leser überlassen werden, kann man doch nicht
umhin, zwei charakteristische, weniger bekannte Zuge herauszuheben»
welche den lautera Gottesglauben und die Grossmuth des Her-
zogs wie der Seimgen beweisen. AU jener bei sehr ungleichen Streit-
kräften dee blutige, unentschiedene Treffen bei Oelper unweit Braun-
schweig liefern wollte (1. Aug.), suchte er den Muth der Krieger durch
folgenden Vers des 348. Gesanges aus dem braunschweifischen Ge-
saagbuche zu beleben: . 3
Dir trau ich, Gott, und wanke nicht,
Wenn gleich von meiner Hoffnung Licht
-J * Der leiste Funken schwinder.
Mein Helfer und rawa GoU bist Du, ., i t i ! , ,i .1
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Schneide wind: Der Feld tu g des Henogs von Braunsen we ig. 47
Durch den mein Hera doch endlich Ruh' v • !*>
Und Freude wieder findet.
Von jeher hast Du mich geführt
Und meines Wandels Lauf regiert;
Mit scgensvoller Vaterhand
So manche Noth hinweggesandt.
Unendlicher !
Ich trau auf Dich, Du leitest mich, • - •
Ich kämpf und siege, Gott! durch Dich!a — (S. 148.)
Yon der Grossmutb des dennociationsfeindlicheo Herzogs zeugt der
Umstand, dass er in Leipzig ihn übersandte Verzeichnisse der Franzo-
seofreande unter den Bürgern verächtlich auf den Tisch warf and dabei
soldatisch äusserte : „Die Schreiber solcher Anzeigen verdie-
nen Prügel auf den H " (S. 115.) Merkt Euch das ihr Leute
aller Farben und hütet Euch vor geheimen Angebereien! Denkt an das
Sprichwort: „heute mir, morgen dir!4* — Sitzen doch jetzt nach öffentli-
chen Blättern in dem kleinen Königreich S a c b s e n 1 2,000 Personen in rich-
terlicher Untersuchung. *) So was war früher rein anmöglich ; man be-
gnügte sich aUfallig mit den Führern und liess die Haufen laufen. — In Be-
treff des oben angezogenen Beispiels wäre es wohl das Beste, wenn ab-
wechselnd probeweise für 48 Stunden die eine Hälfte der Sächsischen Nation
bei Wasser und Brot eingesperrt and von der andern bewacht würde. Denn
sicherlich müsste man sodann die Unmöglichkeit der bezeichneten mas-
senhaften Untersuchung erkennen and auf Vergessenheit des Geschehenen
dringen. — Aach damals war Teutschland in gefährliche Parteien ge-
weilt, aber sie behandelten einander milder als dermalen und verfolgten
mit grösserer Klarheit das vorgesteckte Ziel % diese für, jene wider
Frankreich and den Rheinbund. Bemächtigten sieb doch nach dem Hai*
berstadter Treffen die Knaben des Pulvers und führten an den nächsten
Sonntagen den Kampf der Westphalen und Schwarzen, jedoch vernünf-
tigerweise ausserhalb der Stadt, auf! (S. 140.) Die neuen Kampfer
aber streiten innerhalb und befördern dadurch die Einmischung des
Auslandes, bandeln also unverständiger als die Kleinen von II al Ber-
stadt. Möge sich bald Alles einem reformirten Bundestage ak dem
Amdrock des natürlichen Föderalprincips im Gegensatz zum unionischen
Gebilde frommer Wünsche anschliessen und wenigstens nach aussen hin
ohne Rücksiebt auf Osten und Westen Front machen! Denn nicht übel
lautet ja das alle Sprichwort: „Es ist besser, einem Landsmann
» • » *
*) S. deutsche Zeitung. Kr. 329. Beilage. „Si fabula vera est."
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Schneidawind : Der Feldzug des Herzogs von Brannschweig.
die Schah« zu pulsen, als einem Fremden die Fasse zu
küssen.« —
Der moralische Eindruck des kühnen Zuges, welcher, von überle-
genen Feinden umgeben, innerhalb 14 Tagen 62 Meilen von der Sächsich-
Böhmischen Grünze bis zur Nordsee zurückgelegt und mehre blutige Treffen
bestanden hatte, war gewaltig. Er bekundete wie SchilTs Aus- und
Todesfahrt das Erwachen eines neuen Geistes auch ausserhalb der Armeen;
man bewunderte, besonders in Teutschland, den Muth und die Beharr-
lichkeit der Freischaar, und selbst die Frauen Hessen es nicht, sagt der
Verfasser, bei Worten bewenden. „Sie feierten vielmehr das Gedächt-
niss an die schwarze Legion dadurch, dass sie schwarze Spencer mit
blauen Kragen a la Brunswic trugen. Daher sang Rückert:"
■( • ,
„Damals hat der Damen Mode
Dort sich ihm bequemt sogar,
Dass sie ihren Putz vom Tode
Lieh, wie er und seine Schaar!"
Napoleon aber rief zu Schönbrunn auf die Kunde des Geschehe-
nen lobend aus: „Ah! c'est un vaillant guerrierlu — (S. 175.) Am
14. August landete der Herzog bei Grimsby in England; alle anwesende
Schiffe flaggten; das Abentheuer war bestanden, mancher fruchtbare
Saame der Aufregung in den GemUthern des von dumpfer Betäubung
oder Gleichgültigkeit gefesselten Volks zurückgeblieben.
Wer die weitern Schicksale der Braunsehweigischen Schaar bis zur
Fahrt nach Portugal und daneben viele aus dem Leben gegriffene Züge
und Bilder des dermaligeu und frühern Kriegswesens kennen zu lernen
Wünscht, der findet in dem Tagebuch des Herrn von Wachholtz reiche
Belehrung. Der Verfasser trat als Lieutenant zu Nachod an der Böhmi-
sehen Gränze in das Corps ein, machte alle Züge desselben, auch in
Spanien mit, focht an der Seite des Herzogs, welcher bekanntlich fiel,
bei Quatrebras und starb als Generalmajor und Commandant des braun-
sehweigischen Feldcorps im Jahr 1841. Seine Aufzeichnungen, bear-
beitet und herausgegeben durch C. Fr. von Vechelde — (Braunschweig
1843) dienen nicht nur als Hauptquelle für die Geschichte der Oelsischen
Schaar und ihres Führers, sondern liefern auch Uberhaupt treffliche Bei-
träge zur allgemeinen Kenntniss des verhängnissvollen Zeitabschnittes, wel-
chen die französische Revolution beginnt und der Sturz Napoleon'* endigt.
(Sckluss folgt.)
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Nr. 4. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
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Der Feisten* des Grafen von Wallmoden,
— ' — •
(Schliua.)
Der Feldzug des Corps des Generals Grafen Ludwig ton Wallmo-
den-Gimbo'rn an der Nieder-Elbe und in Belgien, in den
Jahren 1813 und 1814. Altenburg 1848. Bei Pierer. IV. 76. 8.
i «i ; • '. {»"-*,**•».. . i
Der unbekannte Verfasser war jedenfalls ein sehr hochstehender, er-
fahrener und kriegsllichtiger Mann; denn seine Angaben ■' sind stets ge-
nau, seine Schilderungen der Oerthcbkeiten, Märsche, Gefechte pracis,
streng faktisch und ohne patriotische oder anderweitige Znthat nur auf
das militärische Verständnis* der Dinge gerichtet, die hier und da
eingestreuten Bemerkungen durchweg praktisch- nüchtern, die Charak-
teristiken der Feinde und Freunde endlich, auf den Thatsachen ruhend,
schlicht und unparteiisch. Alles Lieberflüssige und Schmuckvolle wird
gemieden, nur das unumgänglich ISoth wendige in militärisch
mitgetheilt. Die Schrift besitzt daher eine gewisse Ruhe
wie sie den tieneuten ues nesonnenen, Räumungen
oder eingeweiheten Beobachters geziemt; sie hat etwas objectiv Xeno-
phontisebes, wenn man nicht au Ciiser, Friedrich den Gros-
sen u. s. w. denken will. Wer z. B. die Charte in der Hand den
n der Stecknitz und niedern Elbe unter Leitung des Ver-
durchmustert, wird sich immer gut orientirt finden und die krie-
gerischen Ereignisse in dieser Beziehung leicht begreifen. Jene waren
aber keinesweges ohne Bedeutung; denn von ihrem Gang an der untern
Elbe hingen t heil weise die Schicksale der Hauptoperationen tief strom-
ab , ein Umstand , welchen man bisher häufig Uberseben, hat
der Marschall Devons t gebot bei dem Anfang der Feindseligkeiten
41,000 Mann tüchtiger Soldaten, welchen Wallmoden, dem Kron-
prinzen von Schweden untergeordnet, nur 22,000 bunt zusammenge-
setzte, meistens ungeübte Leute entgegenstellen konnte. Wäre nun,
wird ganz richtig bemerkt (S. 15), der Französsiche Heerführer um den
17. August mit Nachdruck angreifend vorgegangen, so hatte ihn bei der
damaligen mangelhaften Ausbildung des Fussvolks kein namhafter Wider-
stand gehindert, sich nm den 22. etwa auf 2 bis 3 Tagemärscho
XJLIV. Jahrg. 1. Doppelheft. 4
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$9 ; Der W*H des tr. v. Wajlmodeu.
Berlin anzunähern und seine Operationen mit denen des Generals Gj-
rtrd von Magdeburg her zu verbinden. Konnte aber dann der Kron-
prinz von Schweden die Schlacht bei Grossbeeren annehmen?
Schwerlich. Stockte nun dieses eine Rad der Haschine, so wäre ihr
ganzer Gang aufgehalten worden und Napoleon hätte Luft bekommen.
Es ist ein Verdienst der kleinen Schrift, diesen einfachen, richtigen Ge-
sichtspunkt hervorgehoben und dadurch die eigentliche strategische Be-
deutung des oft sehr vernachlässigten und fast übersehenen Feldzuges an
der untern Elbe mit seinen Märschen , Yorpos tengefechten und dem blu-
tigen Treffen an der {Göhrde in das ihm gebührende Licht gebracht zu
haben. Was übrigens den Marschall Davoust, einen sonst rüstigen
nnd unternehmenden Feldherrn, an der, den Alliirten äusserst vorteilhaf-
ten Defensive bewog, wird nicht entwickelt. Die Gründe mochten wohl
mehr politischer denn militärischer Art aeyn und im Znsammenhange mit
der möglichsten Schonung des Schwedischen Kronprinzen stehen, welcher
seinerseits bekanntlich wiederum sehr behutsam, fast ängstlich, auftrat.
Wie derselbe nach der Leipziger Schlacht alles Uebrige vergessend nur
den Norwegisch^Dänischen Plan vor Augen die ganze Kraft von Davouet
ab auf die Dänen richtete und nach verschiedenen, theilweise blutigen
Gefechten den Kieler Separatfrieden (16. Jänner 1814) ertrotzte, wird
von dem Verfasser deutlich entwickelt. — Bin merkwürdiges Acten-
stück bleibt der aufgefangene Brief, in welchem Napoleon von Bautzen
«na (17. August) dem Marschall, freilich jetzt fruchtlos, befiehlt, den
schwachem Feind anzugreifen und sich nicht maskiren tu lassen, „Ne
vous laissez pas, heisst es da, masquer par un petit nonbre, et par une
canaille (sie) , teile quo les Anslatos, la legion , et les troupes de
Waflmoden. II n'y a de bonnes troupes contre Vous, quo lea Suedois,
et a peu pres le quart de ce qua Bulow, qui est troupe de ligne.u
So verächtlich und zu seinem grossen Schaden dachte der Kaiser von
Allem, was nicht unmittelbar der Linie angehörte; der Gedanke eines
Volkskrieges war ihm auch damals noch fremd, und er ahndete nicht,
dass bald jene Canaille im Treffen an dar Göhrde eine ganze Division
Linientrappen aufreiben sollte. _ , - .
. * . • .
* * • ■ *
Ibli ; '*«• .i m ... - . . . ' • . ,
■
1 . " 1 •
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Gross* Ennnenitijjen nus den Krieg1 sjfllireo.
51
frtfi eru ftgen aus den Krie g syoh r en . Vom Geh, Justizrathe Dr. J. L.
Gross, Zum Besten der Pestalozzistiftungen in Leipzig und
Dresden herausgegeben, Leipug> in Kommission bei Leopold Voss,
1850. IV. i53. 8.
Diese Denkwürdigkeiten , deren Verf. in dem Vorwort beinahe zu
bescheiden von seinen reichhaltigen Erlebnissen spricht, liefern einen
sehr schätzenswerten Beitrag xar Kenntniss des behandelten Zeitraums
von 1792 — 1815. Ans der unmittelbaren Anschauung des sorgsamen
Beobachters und tbätigen Geschäftsmannes entsprossen und zunächst auf
Leipzig als unveränderlichen Wohnort und Mittelpunkt gerichtet, liefern
sie treue und gegenständliche (objektive) Schilderungen der bald klein-
lichen, bald grossartigen und verhängnissvollen Wirklichkeit und be-
liehen ihren Reis gerade aus dem subjektiven Standpunkt des anspruchs-
losen und dennoch, wie alles beweist, sehr gebildeten Erzählers. Neben
vielen Zügen der gewöhnlichen, schneckenförmig sich abhaspelnden Le-
beosprosa oder bürgerlichen Alltäglichkeit (Misere) treten bei plötzlich
geschehenem Umschwung der Diuge auch ernstere Darstellungen hervor
und liefern dann, z. B. in Betreff des Kaisens Napoleon und der Leip-
ziger Schlacht, wahrhaft geschichtliche, theilweise unbekannte Aufschlüsse
und Charakteristiken. Der Leser, wird daher, was sicherlich selten be-
gegnet, in dem Büchlein weit mehr finden ab es ankündigt und verbeisst
Wie beaebtenswertb sind nicht, Anderes zu übergehen, die beiden, sorg-
fältig aufgezeichneten Gespräche der Sächsischen Abgeordneten mit Na-
poleon! Sie stellen den ausserordentlichen Mann hin, wie er war nach
seinen guten und schlimmen Seiten, ohne Hass und blinde Parteinahme.
Dasselbe begegne! gegenüber andern, wenn auch minder vorragenden Per-
sönlichkeiten, z. B. dem Herzog von Brauns oh weig-Oels und dem
Kaiser Alexander. Sitten und Denkart des Volks, eunfiotsl in der
rührigen Handelsstadt, werden in treffender, bisweilen humoristischer Weise
ohne alle Bitterkeit und übellaunige Rüge vorgeführt. Hin und wieder werden
anch laufende Vorurteile und stehende Redensarten der Kritik unterwor-
fen. „Itfl sollte doch-, mutet eil* Anmerkung (S. 2), „endlich die
Phrasen von Zopfthum und Zopfzeit nicht immer dem Publikum wieder*
holen und nicht vergessen, dass Göthe, Schiller, Wietand auch Zöpfe tru-
gen , Männer, deren dichterische Werke wohl mehr Genuss bereiten als
die alle? unbezopften Dichter der Neuzeit. Ist es am Ende Dicht reine
■odesache? Früher trog man das gesammelt« Haar hinterwärts und
jetzt erscheint der edle Kopfschmuck häufig als langer Bart, gleichsam
m 4b
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5% Gross: Erinnerungen aus den Kriegsjahren,
Ausdruck einer vorwärts gekehrten Zopfzeit." — Der erste Abschnitt
reicht bis zum Jahr 1805, meistens auf Aeusserlicbkeiten , *. B. Tracht
des Militärs, gerichtet; der zweite behandelt das Jahr 1806, so weit die
Ereignisse Leipzig berühren , und bringt manches Interessante. So sagte
bereits im Frühling ein geistvoller preussischer Rittmeister von Kiddi-
cker, welcher aus Verdruss über den Kamaschengeist seinen Abschied
genommen hatte, den traurigen Ausgang vorher. „Möchte man nicht",
äusserte er bei dem Anblick der schonen Kastanienallee, „des Teufels
werden, wenn man bedenkt, dass im Herbst die französischen Soldaten
liier herumspazieren werden 1" Ein ähnliches Urlheil fällte bekanntlich der
verabschiedete Mililärschriftsleller H. v. Bülow; man hielt seine Weis-
sagung für Narrheit und sperrte den kecken Sprecher ein. Gelegenheit-
lieb werden die wirklich abentheuerlichen, an Wallensteins Lager erinnern-
den Schicksale eines sächsischen Weibsbildes geschildert, welches die
Laibe Welt als Soldatenfrau durchzieht und zuletzt in Calabrien rastet.
Eine merkwürdige Nachricht betrifft das Isenburgische Regiment,
welches, schon im November aus gewesenen Soldaten des preussischen
Heeres errichtet, an Zügellossigkeit bei weitem die Franzosen überbot
und einen traurigen Beweis der damaligen , in höhern und untern Re-
gionen schaltenden Gesinnungslosigkeit lieferte. Dafür zeigt auch das
Benehmen der Leipziger Universität. „Letzlere", heisst es s. 18,
„balle den unglücklichen Einfall gehabt (1807), eine Sternkarte ent-
werfen und darauf ein neues Gestirn, benannt Napoleonsgestirn,
einbringen zu lassen, welche sie dem Kaiser Überreichen wollte. *) Dieser
entging aber durch frühe Ankunft (23. Juli) und Abreise allen ihm zu>
• •) Die G e 1 e h r s a m k c i l setzte damals wetteifernd nicht nur in F r a n k-
reich, sondern auch in Teutschland dem französischen Kaiser Denkmäler
einer an Adoration, itpoaxJvTjoi; , grunzenden Verehrung. Beinahe alle
Universitäten opferten trotz theil weiser Opposition dem Genius des Jahr-
hunderts, von welchem man die Wiedergeburt des Menschengeschlechts er4-
wartete; es galt das in Göttingen, Heidelberg, Würzburg n. s. w. als Mode-
sache und Zeichen erhes edlen, freien Geistes. Leipzig stellet durchaus nicht
in dieser Rücksicht vereinzelt da ; es handelt nur geräuschvoller und mit einem
gewissen literarisch zierlichen Aufsehen. Die von dem Verfasser angedeutete
Huldigung, welche Napoleon bei der Rückkehr von Tilsit empfing oder vielmehr,
weil er müde des Schmeichlertrosses rasch durchreiste, empfangen sollte, wird
im Intelligenzblalt der Jenaer Liter aturzeitun g. 9. VIT. S. 590. weitläufig
beschrieben. „Die Universität, heisst es da neben Anderm, hatte sich in Bereit-
schaft gesetzt, dem unsterblichen Helden ihre Ehrfurcht und Dankbarkeit für
den genossenen Schutz darzubringen. Zu dem Ende hatte sie eine lateinische
Elegie (2 Bogen in fol.) verfertigen lassen und die Stiftung eines
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r< „ „ . nn APnn -«m „„„ JA« 1'«'M.!.Um«
uross. cainnerungen aus ucn nrieg>janren.
gedachten, auch mit Glockengeläute verbundenen Huldigungen." — Der
He Abschnitt erzählt anziehende Ereignisse des Österreichischen Ehren-
jahres 1809 und gibt besonders lehrreiche Nachrichten über die Schwär-
zen und den Herzog von Braunschweig-Oels. Etliche Namen und
Worden sind aber, wie man aus dem Tagebuch des Herrn von Wach-
holz ersieht, dabei nicht richtig angegeben; die Ratbsacten hatten darin
geirrt So heisst der in innen erwähnte Officier nicht Korl .nsky, son-
dern Kottolinsky, war Herr von Katte nicht Major, sondern Ritt-
meiner, ebenso der Herr von Otto. (S. 30.) Obschoo der Hersog für
seine Truppen nur Fourage, Essen und Trinken forderte und diese Pro-
klamation vom 12. Junius im Ganten auch treu hielt, machte er doch bei
seiner Ankunft in Leipzig davon notgedrungen eine Ausnahme; es wur-
den neben andern Kriegsbedürfnissen 40 Pferde gefordert und dem Ma-
gistrat, welcher in dem Begehren Eingriff in Privateigenthum sah, aus
der Bi wach t bei Lützen (23. Juni) folgende Mahnworte geschrieben : „Den
Franzosen zu Ehren sind Feste und Feierlichkeiten veranstaltet worden;
mn deren Wohlwollen in erhalten, ist kein Opfer zu gering geachtet
worde, num es freudig darzubringen. — Von der Pferdereqnisition kann
ich nicht abgeben, und zwar muss die Ablieferung diesen Abend ganz
unfehlbar geschehen. Sie, meine Herren, sind mir dafür mit Ihrem Pri-
ntvermögen verantwortlich.*4 — Das wirkte; die Rosse kamen. —
Die Beweglichkeit des Publikums zeigte sich aber darin , daaa man an-
fingt den Braunschweigtscben, etliche Tage später (26. Juni) des West-
pbalen, Holländern, Franzosen und Sachsen zujauchzte. „Da rief mürrisch
eis sächsischer Dragoner aus: „Was soll denn das beiisen? Gestern ha-
*
Denkmals beschlossen und nach dem Antrage der darüber befragten Professoren
Hindenburg und Rüdiger beschlossen, die tum Gürtel und Schwerte des
Orions gehörigen, und die dazwischen liegenden bisher nicht benamseten Sterne
künftig die Sterne Napoleons ru hetssen. Eine zu diesem Zweck neu ent-
worfene Stern charte ist, mit Genehmigung des Königs von Sachsen, an das
National ins ti tu t zu Paris abgeschickt worden, mit der Bitte, dieselbe dein
Kaiser zur Annahme dieser Huldigung vorzulegen. Die Charte führt die lieber-
schritt: „Kapoleoni Magno Sospitatori Pacificatori Musagetae Opt. Max. Acade-
nia Lipsiensis sospes grata." Daneben hatte Mag. Stoy ein künstliches latei-
nisches Gedicht für den 23. Julius verfertigt, welches die Schlagworte Aurch-
Wirte : „Viva! Napoleon invictus redux — uos rite o remus. u — Die Dresdener
Bibliothek feierte gleichfalls den Kaiser als summus paeificator durch Inschriften
aod Gedichte. — Möge der Himmel, könnte man beifügen, das getrennte
Teutschland bald unter einem föderativen Schirm- und Wetterdache verbinden,
dasselbe vor kaiserlichen oder nicht kaiserlichen Friedensstiftern, sei es
des Ostens oder das Westens, gnadigltch bewahren!
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Gross: Erinnerungen aus den Kriegsjanrc*.
ben sie den Braunschweigern Vivat zugerufen, und heute uns; das ist ja
mfrerabel!« — Der vierte Abschnitt liefert für das Jahr 1812 Unbedeu-
tendes, dar fünfte, für den Wendepunkt 1813 mehre belangreiche Züge
und gröatere Aufzeichnungen. Letaleren gehören namentlich die Schlacht
von Lützen und das ebendaselbst reit Napoleon am Abend des Kampf-
tage (2. Mai) abgehaltene Gespräch an. Die Frnnzosen hätten , er-
zählte ein Slabsoflicier dem Verf., kein Zusammen treffen erwartet und «ch
ruhig auf dem Manche nach Leipsig befunden, als wrf einmal die Coloe-
nen der Alliirlen in der rechten Flanke sichtbar geworden seien. Darauf
hebe der Kaiser sogleich die Schlachtordnung gebildet und bei dem deut-
lichen Mangel an Reiterei ausgerufen : „oous aurons une bataille d'Ggypte ! *
(a 64.) — In, dem Gespräch mit den Abgeordneten der Stadt fragte
der Kaiser, an den Verf. steh wendete: .Ihr Name?" Gross, lautete
die Antwort, Doctor der Rechte und Mitglied des Magistrat*.« Ach, ent-
gegnete Napoleon, welcher die erste Bezeichnung aufzufassen schien, die
Universität ist nicht gerade gut gesinnt", (I/Universite n est pns trop bonne}
und fragte sodann Frage: „Wer sind Sie?« Auf dessen Antwort:
„Mitglied des Magistrat» und Kaufmao»« , {ragte er segnen : „Was feie
der Zucker?", worauf Frege mit Wahrheit aeiworaen konnte, dass der
Centner noch 100 Thaler gelte. Bei einer Im Gesurften eintretenden
Pause bemerkte einer der Marschälle, wahrscheinlich Ney: „Site, cetait
nee balle journöe", und Napoleon erwiderte: „Qui, eile n fait tomber
beaueoup desperances.« Diess war kein leeres Wort; denn seiest Kai-
ser Frans meldete bekanntlich neben Andern, den lt. Mai: „Jai cro
devoir utlendre , pour eiTocluer cet envoi , le moment que depuis long
temps j'ai prevu, celui oü une p rentiere ofTaire aurait amorti bien
des passions et dissipe beaueoup de ch im eres." £Sic.) —
Das zweite, hier zuerst vollmundig mitgetheilte Gespräch zwischen dem
Französischen Kaiser und den Leipziger Abgeordneten wurde am dritten
Julius zu Dresden im Marcolinischen Palais abgehalten: es ist ein äus-
serst merkwürdiges Docoment und schildert vortrefflich Zeit nnd Per-
sonen ; die militärisch - politische Energie , das Vermögen , in alten
Administrationssachen sich schnell zu orientiren und in Folge besserer
Beiehrung selbst eigenen Vorertheilee und Ansichten zu entsagen , wie
wenn er sie selber, die neue Wendung, gefunden hätte , — diese Sei-
ten treten zu Gunsten Napoleon*» hervor, während trotziger Hoch-
muth und politisch-literarische Befangenheit wider ihn zeugen. Das Ganze
bietet eine wirklich lehrreiche, dramatische Scene, in welche die Abge-
ordneten, etliche Generale und der Keiter verflochten sind* jene fordern
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TW Allen Aufhebung des über Leipzig wegen etlicher
verhängten Belagerungszustandes; dieser willst auch, eines Bei-,
sern belehrt, in die Bndschufl des , damals in Teutschland noch ziemlich
unbekannten Instituts ein. Bei einem dritten Gesprach zu Leipzig
(14. Juli) erkundigt sich Napoleon mit besonderer Sorgfalt nach den
Gang der Sachsischen Schafzucht und des Wollhandels, Einzel-
heiten, welche ihn der Kaufmann Köhler zur Zufriedenheit
legt und entwickelt. Bs nag genügen, hier etliche Bruchstücke
zwar nicht Platonischen, jedoch immerhin anziehenden Dialogen
nützntheilen. In Dresden fuhr der Kaiser bei Anlass der meistens von
Studenten anagegangenen patriotischen Manifestationen also auf: „Ihr
habt keine Energie bei Euch, Ihr habt weder Polizei, noch Energie; Ihr
seid gute Leute, die Deutschen sind gut fial wobl jetzt anders). Bare
Universität — (hier fehlt etwas) — die Universität zu Paria war eben
so zur Zeit CarFs dea Fünften. Diese Privilegien müssen bei Buch und
in ganzen Rheinbünde geändert werden (das geschah auch). Ihr habt
bei Euch fünfhundert Schurken, die Eure ganze Stadt compromittiren;
der Magistrat mag nun schleunig Gericht Aber sie halten, und die Ord-
nung wird hergestellt seyn u. s. w. Wenn meine Feinde bei Euch sind,
so möge man Yivat schreien, so viel man will, aber dabei bedenken,
den ich den andern Morgen wieder als Sieger einziehen kann. — Für
den Einwohner ist es das Beste, nicht zu politisiren und sieh sei-:
nen Geschäften zu widmen. Ausserdem muss man den Mnth haben,
auf alle Annehmlichkeiten des Lebens zu verzichten, Alles
entbehren zu können, was angenehm und bequem ist, das Le-
ben selbst hinzugeben, kurz, seine Meinung mit seinem Blut zu
besiegeln. Die, welche nicht diesen Muth hüben, thun besser, sich um
Nichts zu kümmern, und die Welt ihren Gang gehen zu lassen." — Als
ein Abgeordneter, DUfour, die grosse Mehrzahl der Leipziger als Gut-
gesinnte der Art bezeichnete und den Strassenlärn nur wenigen gefahr-
losen Schreiern zuschrieb, fiel der Kaiser wohlgefällig ein: „Ah, mei*
Lieber; was sagen Sie nir da? Glauben Sie, dass ich, der Regent ei-
nes grossen Staats, das nicht wisse? Aber dergleichen Schurken können
gefährlich werden; wir haben das in Frankreich gesehen. Denken Sie
nnr an die blutigen Kampfe von 2, September/ Tausend oder Zwölf-
Paris in Furchtu u. s. w. Gegen die Uni-
aich Napoleon trotz der von den Gelehrten
entdeckten Napoleon'asterne ziemlich rauh; er wiederholte mehrmals den
beliebten Ausdruck „Ideologen", sagte jedoch nicht, wie
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56 Schriften von Colquhoun and Bowyer Aber rftm. Hecht in England.
wohl ausstreute, sie möchten ihre Zöglinge decliniren und conjugiren
lehren (S. 92). Ab Professor Clodius nach beendigter Audienz noch
etwas anbringen wollte nnd mit: „mais Sireu — begaon : unterbrach
der Kaiser den Redner mit: „mais, c'est £ni« nnd verlies* den Saal. —
Aach die Geschichte der Leipziger Schlacht und der nächsten Tage
bekommt hier nnd da erläuternde oder berichtigende Anmerkungen. Der
Verfasser beweist z. B. als Augenzeuge, dess nicht, wie gewöhnlich Über-
liefert wird, die verbündeten Monarchen gleichseitig am 19. October auf
dem Marktplatz eintrafen, sondern nur Ksiser Alexander und König
Friedrich Wilhelm zusammen im Geleite des Kriegsvolks einritten
und dadurch hauptsächlich die Stadt vor Plünderung und andern Nach-
weben des Sturmes bewahrten. Namentlich gebühre dem Russischen Kaiser
dieses Verdienst. Man ersieht aus dem Angezogenen, das» die Erinne-
rungen einen wahrhaft geschichtlichen Werth haben und Unabhängig von
ihrem wohltätigen Zweck gelesen zu werden verdienen. Möchten nur
noch mehre derartige Aufzeichnungen von Zeitgenossen und Augenzeugen
eines jedenfalls grossartigen Wendepunktes kommen! Die dermalige be-
sonders jüngere Generation kann manches Nützliche aus den frühem
Kämpfen, Leiden, Missgriflen und gelongeuen Thaten schöpfen und na-
mentlich die Wahrheit erlernen, dass ohne Mässigung und geschichtlichen
Boden kein praktischer Plan gelingt, sondern mehr an den eigenen Fehl-
griffen denn fremden Hindernissen scheitert. Hortfuit.
,i. . i ' . : - • ' t : "•' *J •'• •»*' ' i
Studium dem römUche« Bechta Iii F«M;lau«V
1) Ä summary of the Roman Civil law illustraled by Comentaries on
r-J Parallels from the Mosaic, Canon, Mohamedan, English and foreign
lawby Patrik Colquhoun, Juris Doclor Heidelberg. M.A.Johns
College Barrister at law Inner Temple. G. G. S. of Greece etc.
> l London 1849. 1650.
2) Commentaries on the modern civil law. By Georg Bowyer D. C. L.
~ Barrister at law. London 1848.
Die Frage Uber den Werth dos Studiums des römischen Rechts für
England ist in England und Nordamerika selbst in neuester Zeit lebhaft
verbandelt worden. Es ist belehrend, die neuesten englischen Arbeiten
Uber römisches Recht näher zu betrachten, in ao fern sie den Zweck
haben, bei ihren Landsleuten die Liebe zum römischen Rechte noch mehr
anzuregen und die Kenntniss desselben zu erleichtern. Es ist nicht sebwie-
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Schriften von Colnuhoun and Bowver über röm Recht in England. 57
rig" nachzuweisen , dass in das ganze bürgerliche Recht Englands und
Nordamerika s das römische Recht sich tief verwachsen und ein Theil
des Rechts jener Länder geworden ist, so data ohne Kenntniss des rö-
mischen Rechts es unmöglich ist, das englische Civilrecht gründlich ken-
nen za lernen. Die grössten Zierden der juristischen Welt Englands ba-:
hen dieis zu allen 7f»itpn nnerltnnnf Hat arn«<ft Matthew Hain erklärte
bei jeder Gelegenheit dass die wahren Grundlagen und die Weisheit des/
Rechts in den römischen Pandekten enthalten seien, so dass Niemand sich
einbilden kann, das Recht als Wissenschaft zu verstehen, wenn er es
nicht in der römischen Hechts quelle sucht-, nicht selten beklagte daher
Haie, dass diess Recht so wenig in England studirt wird. (Burnet's Life
of Haie p. 24). Einer der bedeutendsten Gelehrten Amerikas, der Kass-
ier Kent, handelt in seinem trefflichen Commentar on American law vol. 1
p. 514. in der Einleitung unter den Quellen des amerik. Rechts vom röm. Recht
und erklärt, dass das römische Recht einen sehr bedeutenden Einfluss auf das
Recht seines Vaterlandes ausübe. Die Eigentümlichkeit liegt nur darin,
dass die Rechtsanschauung in England durch die Nationalität, welche alle
Verblltnisse und so auch die Hechts Verhältnisse des grossen Landes durch-
dringt, sich ausbildete und ein traditionelles Recht unter dem Einflüsse
der nationalen Ansichten, Gewohnheiten und Bedürfnisse sich entwickelte,
und selbst fortschreitend sich fortbildete. Während in Deutschland in den
Lindern, in welchen daa gemeine Civilrecht gilt, die römischen Hechts-
Institute als giltig betrachtet werden , jeder Rechtssuchende auf römische
Aussprüche ebenso wie auf verbindliche gesetzliche Vorschriften sich bezieht,
wie der französische Jurist auf sein Civilgesetzbuch sich beruft, kann
ia England kein RechUgelehrter für seine Behauptung der Giltigkeit ei-
nes gewissen Rechtssatzes auf römisches Recht sich berufen z. B. im
Eherechte anführen, dass die Ehefrau so behandelt werden müsse, wie
das römische Recht diess vorschreibt für eine Frau, die nach dem jure
dotium lebt; jeder englische Jurist muss sich auf englisches Recht
berufen: ist in dem Rechtstheile, auf welchen ea in einem Falle ankömmt,
ein Statut ergangen, so ist begreiflich nur diess Statut das entscheidende
Gesetz, und zur Ergänzung und Auslegung kann sich der Jurist auf ein
nen römischen Rechtssatz nur soweit berufen, als man sich sonst auf die
Antonia t eines grossen Juristen oder auf das Vernunftrecht beruft oder
eine Behauptung dadurch rechtfertigen will, dass der Satz bei allen ge-
bildeten Völkern anerkannt sei, wofür die Autorität des römischen Rechts,
als des Rechts des grössteu und gebildetsten Volkes der alten Welt
spricht, oder der Jurist müsste sich darauf berufen, dass der römische
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38 Schriften von Colquhoun und Bowyer über röm. Recht in England.
Satz, den er anführt, in die Rechtsübung Englands bei Anwendung des
Statuts übergegangen sei. In diesem Sinne erklärte einmal Lord justice
Lee, dass er römisches Recht anführe, nicht weil es gesetzlich gilt, aber
wobt as opinions of tearned men, und Lord Tindal drückte einmal treff-
lich diess so aas: the Roman law forniah no roie Dinding in ilselt upon
the subjects of these realms, bot in deciding a ease upon principle,
where no dir cct authority can be cited in oor books, it affords no amall
evidence of the soodness of the conclusion , at wh ich we bave arri ved,
if il pro? es, to be sopporled by tbe Roman law, the fruit of the researches
of the must learned men , tbe coliective wisdom of ages and tbe ground-
work of the municipal law of Enrope. Io den Lebren, die auf dem com-»
mon law beruhen, ist die Autorität des römischen Rechts in England noch
grösser r in so fern diess Recht einen Theil des englischen common law
bildet; allein auch hier muss man sieb hüten, das Verhält niss so zu be-
trachten, wie es in Deutschland besteht 0er englische Jurist kann auch
hier nicht auf einen römischen Sali sich so berufen (wie man in Deutsch-
land es tbut), als ob der Satz für sieb selbst gelte, weil das römische
Recht verbindliche Rechtsquelle sei, sondern nur, indem er zeigt, dass
durch die Rechtsautoritäten, denen der englische Jurist folgen darf, im
common law der Satz gelte, und dabei werden die Aussprüche der gros-
sen englischen Richter, auf deren Stimme die englischen Juristen horchen,
ebenso angeführt, wie die Präjudizien der Gerichtshöfe über eine Lehre.
Bei dieser Gelegenheit nun wird die Anführnng des römischen Rechte,
wichtig; denn der Jurist beruft sich darauf, in so fern er nachweist, dass
ein Oberlichter Englands, dessen Aussprach hochgeachtet wird, auf das
römische Recht in dieser Lehre baute, oder dass ein Gerichtsspruch einen
Rechtssatz, der erweislich aus dem römischen Rechte stammt, annahm; in
solchen Fällen werden in der Praxis auch unbedenklich die römisohen
Stellen vor Geriebt angeführt, die als Folgesätze des als common law auf-
genommenen römischen Hauptsatzes erscheinen. Ein interessantes Beispiel
bietet die Lehre vom Irrthum und seinen Wirkungen. Hier gilt das rö-
mische Recht ; um diess nachzuweisen, beruft man sich auf die Aussprüche
grosser englischer Richter z. B. Lord Mansfield (Story a treatise on the
law of contracts p. 63). Die Folge ist, dass dann in der ganten Lehre
vom Irrthum römische Stellen sowohl in der Ausführung der Anwälte als
in den wissenschaltlicben Arbeiten angeführt werden (Story a treatise on
tbe law of sales of personal properly. Boston 1847 p. 116). Dage-
gen hat das englische Recht in Bezug auf die Vertrags Verhältnisse, an
weichen eine Ehefrau Aulheil nimmt, das römische Recht keinen Eingang
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Schriften von Colquhonn nad Bowyer ober röm. Recht in England. 59
finden lassen» weil die englische Sitte mächtiger Wir ose! die aas älterer
Zeit stammende Ansicht von der Gewehr des Ehemanns eine Stellang
von Mann nad Frau herbeiführte, welche es unmöglich machte, dia auf
ganz andere Rechtsvorstellungen beruhenden Ansichten des römischen Rechts •
ia das englische common law aufzunehmen, so dass die Regel in England
die isi dass die Ehefrau durch ihre Rechtsgeschäfte den Ehemann nicht
j;, Ha^k» JA„ Ba,lii,fi,;CQfl 'fnL_> . r\- M j :_„u
uic JiüciJi uer dcuui misse ucruviiuiirvo. uiv liuriitiiiicriKanisciiDu juriairu
fühlen es wohl, dass diese alle englische Ansicht aasern Lebensverhält-
nissen widerspricht und dringend eiaer Verbesserung bedarf (Story treatise
ob tue law of sales p. 35.) Ausser England sind noch zwei Ansichten über
das engtische dvilr*** vielfach verbreitet, welche der richtigen Auffassung
des englischen Rechts sehr schaden : es ist diess vorerst die Ansicht, dass in
England das Civilrecht auf einer Hasse von Präjudizien beruhe, und der
englische Jurist eigentlich nur mit der Aufsuchung dieser Rechtssprüche
sich an beschäftigen habe, so dass ein starres Festbalten an den durch
dm Gerichte einmal angenommenen Salzen, jeden freieren Aufschwung der
Wissenschaft in England hindern, ferner dass überhaupt eine Rechtswissen-
schaft im Civilrechte in England um so weniger sich bilden könne, als ia Eng«
and auch in Civil* achen Geschworne urtheilten welche nicht auf eine wis-
senschaftliche Grundlage ihre Ausspruche bauten, sondern mehr dem Bedürf-
nisse des einzelnen Fallen gemäss urtheilten. Wir halten beide Ansich-
ten m ihrer Allgemeinheit für unrichtig; wir gehören nicht zu Denjeni-
gen, welche blind den Recbtszustand bewundern, welcher sich nur auf
Rechtssprüche stützt, wir kennen die Gefahr der Präjudizien, bei welchen
an oft ein unter gewissen Verhältnissen , durch die Autorität eines ein-
flußreichen Mannes entstandener, wenn auch noch so sonderbarer Recht-
sate viele Jahre hindurch feststeht, weil einmal das Gericht daran fest-
hält und oft aus Reqoemlichkeitsliehe eine Art Ehre darein setzt, diess
zu thun, so dass die Advokaten nur zu gerne statt der wissenschaftlichen
Forschung und eigenen seihst ständigen Hechts ent Wickelung nur fragen,
welche Meinung bisher bei dem Gerichte festgehalten wurde. Wir wis-
sen, wie auch in England in dem common law durch Autorität einzelner
Oberrichter Rechtssatze aufgestellt werden, die schwerlich die Vernunft billigt
und welche in ihrer Anwendung höchst nachtheilig wirken, a. B. der von
Lord Coke (in Beverns Case) aufgestellte Satz: a man ahall not be
aüowed to stoUif* himself, so dass darnach eine Partei ihr Rechtsgeschäft
weht angreifen dürfte, wenn sie auch zeigen kann, dass sie zur Zeit der
Abschhessung geisteskrank war; allein diess sind seltene Ausnahmen un4
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60 Schriften von Cokmhoun and Bowver über röm. Recht in England.
die Geschichte des englischen Rechts lehrt, doss solche Sitze später, mit
Kraft angegriffen, als unverständig nachgewiesen worden. Die bessere Ansicht
siegte bald und eben dor oben angeführte Satz von Lord Coke wurde durch
. den grossen Juristen Holt als nicht zu rechtfertigender, und von Fonblan-
qu e als ein dem Recht aller gebildeten Völker widersprechender erklärt Es
ilt eine irrige Auffassung der Stellung des englischen Richters, wenn man
annimmt, dass er starr an den einmal von dem Gerichte früher ausge-
sprochenen Rechtssatze festhalt; darin liegt eben die würdige Stellung
der Richter in England, dass sie immer an die fortschreitenden
Bedürfnisse, Sitten und Zustände sich anscbliessen und so das Recht fort-
bilden, durch Ausnahmen eine zu starre Regel mildern, oder den im
Laufe der Zeit selbst unpassend gewordenen Satz nach den Bedürfnissen
modificiren. Gerade in dem grossen Einflüsse, den die obersten Ge-
richte in England auf die Rechtsanwenduog haben, liegt ein fester An-
haltspunkt im englischen Recht. Der Mittelpunkt des Rechts liegt in Lon-
don. Die Mitglieder des obersten Gerichtshofs sind es, welche in ganz
England Rächt sprechen und fortbilden ; die in die Grafschaften reisenden
Richter, genau vertraut mit der Rechtssprechung des obersten Gerichts,
bringen die feste, gleichförmige Rechtsansicht in alle Gerichte Englands; sie
veranlassen, dass in Füllen, in welchen sie die Wichtigkeit eines Rechts-
salzes erkennen und nicht selbst erkennen wollen, die Frage an das
oberste Gericht gebracht und dort entschieden werde 5 da in England die
Richter öffentlich abstimmen, so lernt man die Gründe der Richter ken-
nen, und die Kenntniss der Jurisprudenz wird um so mehr verbreitet,
ab in England die Reporters sich befinden, welche die Verbandlungen be-
kannt machen, so dass jeder Jurist in bestfindig lebendiger Kenntniss des
Gangs der Rechtsbildung ist. Die Eigenschaft der Richter des obersten
Gerichtshofs (15 Richter) gibt gewisse Bürgschaften für die Gründlich-
keit der Rechtssprechung. Jene Richter sind Männer, die nach einer lan-
gen Schule der Erfahrung, die sie als viel beschäftigte Advokaten durch-
gemacht haben, meist in vorgerückten Jahren, vertraut mit der bisheri-
gen Rechtssprechung in einer Lehre, geleitet von dem eigentümlich prak-
tischen Sinne der Engländer bei jeder zur Entscheidung vorliegenden
Frage den einzelnen Fall mit allen seinen Umständen und Bedürfnissen
auffassen, zergliedern und dann den passenden Hechtssatz dafür aufsuchen ;
die Abstimmung des Richters ist das Ergebniss einer langen Selbstberatbung
und Studiums, bei welchem ebenso die Natur des vorliegenden Rechts,
die Ansichten, welche in dem Gerichtshöfe sich in der Lehre seit einer
Reihe oft von Jahrzehnten geltend machten,' und die Ansichten des rö-
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jcnriiieu von vx>i(]unouri una Dovvyer uoer roni. necm in cngianu. 01
In deo Aussprüchen des höchsten Ge-
richts in England liegt häufig eine, obwohl gedrängte, aber schlagende,
klare und scharfsinnige Darstellung der ganzen Hechtstheorie, die auf die
vorliegende Lehre sich besieht. Macht man sich näher in einzelnen Fra-
gen mit dem Entwicklungsgange des Hechtssatzes in England vertraut, so
trifft man oft in den Aussprüchen der Oberrichter Englands und in
Weisheil; es ist nicht schwierig, nachzuweisen, dass oft ein einziger
Ausspruch eines grossen Richters schon vor Jahrzehnten in einer Lehre
durchgeschlagen und eine Umgestaltung der Ansichten hervorgebracht hat.
Wer erinnert sich nicht an den Ausspruch des mutbigen Richten Vau g-
han in Bush ei 's case im Jahr 1670, von dem au sich die richtige Theorie
der selbständigen Stellung der Geschwornen herleitet? Hit Achtung liest
auch der ausländische Jurist die Aussprüche englischer Oberrichter, wie
Holt, Mansfield u. A. Die Juristen des Continents beachten
sehr befürchteten Gefahren, dass die Geschworenen zu sehr durch ihre
Wahrsprücbe über Rechtspunkte bloss nach Laune und ohne gehörige
Rechtskenntnisse entscheiden, und auf diese Art eine Rechtswissenschaft
in England sich nicht gehörig ausbilden kann , beseitigt werden. Es ist
diess die Einrichtung der charges durch die Richter und die der Special-
verdikts. Der englisch - prflsidirende Richter instruirt nämlich, wenn die
Verhandlungen geschlossen sind, in seinem Schluss vor trage (charge) die
cs ch ^rVO no © d Ii b g r d i ö 8 11 C ifa rc 0 3 h rs p n 11 c \\ ciuflussrticliCQ R ß ch p uo 1& 1 0
und entwickelt ihnen in einer klaren, allgemein verständlichen Weise mit
grosser Präcision die Rechtssätze , auf welche es in dem Falle ankömmt;
häufig gibt der Richter dabei auch die Gründe an, welche die Richtigkeit
des Rechtssatzes nach der Zweckmässigkeit zeigen. In diesen charges
liegt oft grosse praktische Weisheit, obwohl wir auf der andern Seite
ter in diesen charges finden und wohl m»c(
darin aufgestellt werden, welche der unparteiische Jurist. nicht billigen
kann. Die Geschwornen werden durch sie geleitet, aber sie folgen nicht
blind, ihr gesunder Verstand prüft selbst die Eigentümlichkeiten und Be-
dürfnisse des Falles. Damit stehen aber noch im Zusammenhange die
Specialverdikts, die in Strafprocessen höchst selten, desto häufiger
in Civilprocessen vorkommen, wo selbst die Parteien zuweilen die.
Khwornei auffordern, ein solches Verdiel zu erlassen, durch welches die
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62 Schriften von Colquhoun und flowycr über röm. Recht in England.
nur Uber du Dasein und die Beschaffenheit der blossen
des Falles sich aussprechen, die Entscheidung des
würde sehr irren, wenn man unter solchen Umständen ver-
wollte, dass Englands Recht einer Hechts Wissenschaft fähig ist und
das Land auch eine solche Wissenschaft besitzt. Trefflich bat in neuerer
Zeit Lewis kl einem in der sehr zn beachtenden englischen Zeitschrift:
the law Review and quarterly Journal. May 1849 p. 23—55 abgedruck-
ten Aufsatz: the law of Englaad considered as a science, die Ehre der
englischen Rechtswissenschaft vertheidigt und mit redlicher Angabe der
Licht** und Schattenseiten *a ohl mit Recht p. 44 den
Charakter des englischen Rechts darin gefunden , dass der
dieses Rechts, das sogenannte common law, wie er sagt, gebaut ist Up
-prtnciples founded in immemorial reeeption and adoption by tbe people. Ein
wiederholtes Studium englischer Rechtsgeschichte bat dem Verf. dieser
zeige wieder recht klar gemacht, dass in der hohen Bedeutung des <
.beben common, welches im Volke lebt, durch das eigentümliche
menwirken von Richter und Geschwornen forterhalten, gepflegt, ansc
lieh gemacht , fortgebildet ist und durch die Rechtssprüche des ober-
sten Gerichts lebendig aufgefrischt und zergliedert wird, die Kraft der
Rechtswissenschaft liegt. Man muss cur Ehre der englischen
redigirton juristischen Zeitschriften , z. B. des lauf review und
des law magasine, ebenso wie der trefflichen nordamerikanischen 'juristischen
Zeitschrift: american jurist, sagen, dass sie ihre Aufgabe, die Wissen-
schaft, anzuregen, sie in ihrer erhabenen Bedeutung aufzufassen, dem Ge-
, alle unpassende Rechtssatze und Einrichtungen
gefährliche Rechtssprüche anzugreifen, gewissenhaft erfüllen, so dass
auch der Jurist des Auslandes in diesen englischen Zeitschriften nicht
bloss eine Fülle des Materials für die Kenntniss des englischen Rechtsle-
bens, sondern auch wahre wissenschaftliche Arbeiten über schwierige
Man liest im law review und im law magazioe ebenso
Arbeiten über einzelne Rechtslebren , sie unter**
scheiden sich nur von den deutschen juristischen Arbeiten gewöhnlich da-
rin, dass sie eine mehr praktische Richtung haben als die letzten; sie
an Klarheit der Darstellung keinem juristischen Werke eines an*-
i. sin vermeiden aber lansre. nnnöthiffe DhilosoDÜische
ngen, geben klar die Natur des einzelnen Rechts-
verhältnisses an, zergliedern es genau und setzen einen Hauptwerk da-
rein, alle möglichen Verzweigungen der Lehre oder einteilet RechUsäU
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Schriften von Celcjuhoun und Bowyer über röm. Recht In England. ÖS
ia ihrer Anwendung gewöhnlich mit gedrängter Angabe der Gründe durch-
üjjrco u d d ü Geröll d \ c K c cfa tssp rlich o sazu^ c Ij cb^ 8 b er fluch d G r u o cl
losigkeit derselben, wo sie vorbaodeu ist, nachzuweisen. Man muss auch
sar Ehre dieser Zeitschriften bemerken, dess sie, wenn die Richter un-
gegründete Rechtssatze in ihren charges oder Entscheidungen aufstellen,
mit Kraft die Ehre der Wissenschaft verteidigen und die Ansichten an-
greifen. Noch neuerheh hat das law megaiine 1850, Augustheft p. 114
gegen die Ansichten des Präsidenten in dem Fall, wo Pate wegen Schla-
geos auf die Königin vor Gericht stand — mit Würde Einwendungen ge-
gen die Theorie des judge Uber Verantwortlichkeit wegen Geisteskrank-
heit geltend gemacht.
lang des englischen Rechts hat nun das römische Recht eine entschei-
dende Stelle. Kein gebildeter Jurist Englands verkennt den Werth des
Studiums des römischen Rechts; der Fehler ist nur, dass man auf den
englischen Universitäten zu weniir gründlich sich mit römischem Recht be-
schaftigt, dass selbst viele englische Advokaten schon wogen der Art,
wie der junge Mann sich zur Ausübung seines Berufs ausbildet, nicht ge-
nug vorbereitet sind, nm in den Geist des römischen Rechts einzudringen
und mit den Quellen sich vertraut m machen. Wir bitten unsere Leier,
einen Blick auf die Zeugnisse zu werfen, welche in dem merkwürdigen
Report of the committee oo legal edneation 1846 Uber die Art der Rechts-
büdang in England mitgetheilt sind. (Wir haben in der kritischen Zeit «
schrift für Gesetzgebung des Auslandes XX. S. 130 Austilge aus diesem
Berichte gegeben.) Erfährt man wie wenige Stunden Vorlesungen Uber
civil law auf den Universitäten gegeben und wie schlecht sie von den
Zuhürern besucht werden, so ist wenig Erfreuliches zu erwarten; der
deutsche Jurist weiss, welche Zeit und Muhe ein gründliches Studium des
röm. Rechts erfordert. Dennoch wurde man Unrecht thun, wenn man
Igemeinen die englischen Juristen mit dem röm. Rechte
; der Verfasser dieser Anzeige bat das Glück gehabt,
lernen, die, vertraut mit den Werken deutcher Juristen
sehe* Recht, durch ihre Gespräche bewiesen , dass sie das rö-
mische Recht kennen und die Vergleichung einzelner englischen Aufsitze
und Werke Uber Civil recht lehrt, dass die Verfasser die Bedeutung des
roBuscnen tiocnis würdigen, .vi . >. >> < t f. j *
Es ist begreiflich, wenn man die Rechtsgeschichte Englands ver-
folgt, da» das römische Recht das ganze Civilrecht Englands durchdrin-
gen und ein wichtiger Theil de» common law werden musste. Wir haben
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64 Schriften von Colquhoun und Bowyer über röm. Recht in England.
schon frQber nnf das treffliche Werk von G. Spence the cquitable ju-
risprudence of the court of Chancery in diesen Blättern aufmerksam ge-
macht ; auch für die Geschichte des römischen Rechts in England ist dieses
Werk höchst wichtig. Man weiss, dass schon König Heinrich I. in
England eine Compilation verfertigen liest, welche eine Art Gesetzbuch
sein sollte, und deren Verfassern das römische Recht bekannt war. Den
Verfassern der bekannten Gesetze Hoels des Goten, schwebte das römi-
sche Recht vor. Im Jahr 1143 brachte Erzbischof Theobald, Vor-
gänger Becketts, der in Bologna das römische Recht stvdirte, den
Juristen Vacarius mit, welcher in Oxford das Civilrecht lehrte, and
ein Werk hinterliess, welches in England viel gebraucht wurde. Be-
kannt ist es, dass nicht selten vom König Richard II. an Professoren des
römischen Rechts als Richter des obersten Gerichts ernannt worden. Franz
Accursius, der Sohn des berühmten Accorsios in Bologna, wurde
von Eduard I. 127S aus Bologna nach England gebracht und wurde
Hauptrathgeber des Königs (Speuce on equitable jurisprodence i. p. 108.
131). Vergleicht man die Werke von Glanvilla, vorzüglich lirac-
10 n (unter Heinrich III.), so zeigt sich überall, wie jene Männer,
deren Werke Haoptgrundlagen des common law wurden, mit dem römi-
schen Rechte genau vertraut waren und überall sich bemühten, das römische
Recht in das englische Recht su ziehen. Diese Werke werden Doch
immer in England geschätzt. In dem court of eqoity, aof dessen Ans-
das römische Recht ein Haoptleitslern der Entscheidungen (Spence 1.
p. 412.) vorzüglich in einigen Lehren, z. B. von den Vermächtnissen
(Spence 1. p. 523.). Die classtsche Geschichte der englischen Kanzler
von Lord Campbell Lives of the Lord Cbaneellors. London 1848.
ist sogleich ein höchst merkwürdiges Werk, um die Forlbildung des rö-
mischen Rechts in England zu zeigen. Zwar hatte man in England aas
politischen Gründen and ans Hass gegen die römische Hierarchie unter
Eduard III. plötzlich die grösste Abneigoog gegen römisches Recht
gezeigt und unter Richard IL protestirten die Barone gegen römisches
Recht — allein die Geschichte lehrt, dass ein Irrtbum nie dauernd bei
einem Volke sich erhalt; die innere Kraft und Herrlichkeit des römischen
Rechts, die Sitte, dsss die Richter diess Recht studirteo, und an die
Werke von B r a c t o n sich hielten, der Einfloss, welchen bei den geist-
lichen und Admiralittftsgerichten das römische Recht fortdauernd behielt, be-
wirk teo, dass immer mehr in des ganze common law unvermerkt dss rö-
mische Recht einwirkte. (&chl*s$ folgt.) r. >
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Hr. 5. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR.
Selirtrteii von Colquhoun und Bov% jer über
rftniteches Recht in England.
(SCUUM.)
Für die Nachweis ung der Art und den Umfang dieser Einwirkung scheint
ans aber, soweit wir seit Jahren die englische Literatur studirten, noch nicht
genug geleistet. Bs tritt nämlich noch eine Eigentümlichkeit ein, dasa
nicht selten ein römischer Hechtssalz in die englische Rechtsübung aber*
ging, aber in einem völlig andern Sinne, als das römische Recht den
Satx aufgefasst hatte. Das englische Recht fordert, wie das nordame-
rikanische für jeden Vertrag, der nicht unter Siegel errichtet wird,
das Dasein einer Consideration. Prägt man, woher dieser Satz stammt»
so erhalt man die einfache Antwort, dass diess schon aus dem römischen
Recht stamme, denn: ex nudo pacto non oritur actio (Story a treatise
on tbe law of contracts not under seal p. 71}. Der geistreiche Ver-
fasser eines schönen Aufsatzes : on the doclrine of nudum pactum in the
english law im Law Review 1849. May he» p. 56. fühlte sehr gut, wie
wenig diese Rechtfertigung genügt, wenn man die römische, nur histo-
risch zu erklürende Einteilung von contractus und pactum auf das eng*
liscbe Rechtsleben anwenden will, wo es darauf ankommt, festzusetzen,
welche Arten von Verträgen klagbar sind , daher den gesetzlichen Schubs
finden, wo dann die Frage entsteht, ob der Vertrag als gesetzlich klagbar
betrachtet wird. Noch neuerlich hat Herr Keyser in seiner sehr beach-
tangs würdigen Schrift: the law relating to Irans aclions on the Stock
Exchange. London 1850. diese Frage in der Anwendung auf Ver-
trage Ober Staatspapiere sehr gut erörtert Es ist kaum zu bezweifeln,
dass nur MissversUndniss der ältern englischen Juristen in Bezug anf das
römische Wort: causa die Veranlassung gab, causa für gleichbedeutend
mit consideration zu nehmen, dadurch entstand in England eine sehr
ausgebildete Theorie von consideration (am ausführlichsten in Cap. IV.
des Werkes von Story p. 71 — 101). Man unterscheidet dabei good
consideration von valuable (schätzbare) consideration (Spence on
equitable jnrisprudeuce p. 185). Zu welchen sonderbaren Folgerun-
gen die englische Theorie führt, mag ein vorgekommener Fall zeigen
(Law Review p. 62). — Ein Mann lebte mit einem Mädchen im Conen-
biaat; spiter bereute man diesen Lebenswandel und der Mann versprach
XLIV. Jahrg. 1. Doppelheft 5
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60 Schriften von Colquhon» und Bowyer Uber rtm. Recht in England.
dem Weibe, dass er ihr nach ihrer Trennung, wenn sie sich gut be-
irüge, eine gewisse Unterstützung geben würde. Die Pran klagte später
gegen den Mann, weil er nicht bezahlen wollte, und das Gericht wiess
sie ab, weil es dem Vertrage an der consideration fehle. Vergebens
fragt man um den Sinn nnd Verstand einer Vorschrift, die (durch irrige
Auffassung des römischen Rechts erzeugt) auf einer höchst unbestimmten
Grundlage beruht. Man fragt mit Recht, ob dem gesunden Rechtsbe-
wusstsein des Volkes ein Anhaltspunkt gegeben wird, wenn man ihm
(wie in Story treatise on the law of conlracts p. 73. geschiebt) sagt,
dass eine valuable consideration die sei, emanating from some injury or
inconvenienco to the one party or from some beneflt to tbe other party.
— Mit Recht sagt der Verfasser des Law Review p. 67: A court of
justice is often called a schooi of morality and wherever it enforces the
solemn dictates of bonesty and good conscience, bringing down the arm
of the law on ebicanery, falsbood and crime.
Wir werden an einem andern Orte eine grosse Zahl ähnlicher Son-
derbarkeiten, die im englischen Civürechte vorkommen, und btfußg durch
Missverständnisse des römischen Rechts veranlasst sind, anführen. — Um
so wichtiger ist für England, durch das gründliche Studium des römi-
schen Rechts zur reinem Rechtsbildung Englands beizutragen. Wir glau-
ben, dass nach dem Standpunkte der heutigen Erfahrungen deutscher Ju-
risten über römisches Recht das blosse Studium von den in das Engli-
sche übersetzten Werken vom Dornet und P o t h i e r nicht genügen kann ;
wir haben mit Freude in London Männer kennen gelernt, welche mit den
Werken von Savigny, Hugo, Vangerow, Mühlenbrucb ver-
traut waren, und kennen junge Männer, die auf deutschen Universitäten
gründliche Studien im römischen Rechte machen; in Schottland selbst
blüht diess Studium noch mehr. England besitzt auch einzelne beach-
tungswürdige Werke über römisches Recht; aus dem, wenn auch aar
eine gedrängte Darstellung des römischen Rechts enthaltenden Werke
von Hai Ii fax (einst Lord Rishop von Asaph) an anatysis of the
civil law, in wich a comparison is occasionaly made between the Roman
law and those of England, in den Ausgaben von Geldart (Professor
des römischen Rechts in Cambridge), Cambridge 1836, sieht man, dass
der Verfasser das römische Recht gut kannte; Wilde, prelimioary
lecture to the course of lectures on Institutes of Iustinian. Irvings Observa-
tion on the study of civil law; Reddie, historical ootes ob romen law ;
Brown'a remarka etc. sind brauchbare englische Schriften über rönais-
chea Recht. i . . ,
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Wir halten es für Pflicht, unsere Leaer näher mit den zwei neue?
sten Werken, deren Titel wir oben angaben, bekannt zu machen und be-
merken nar, dess neuerlich noch ein Werk von Phillimore introdec-
tiofl to the study and history of (he Roman law. London 1848. erscuie-
nan ist, welches zwar keine systematische Darstellung des römischen
Rechts, dagegen Bemerkungen Uber einzelne Kapitel des Civilrechts und
römische Rechtsgenchichte enthalt, und vorzüglich aufmerksam macht,
wie in dem englischen Rechte durch lächerliches Festhalten an gewissen
Formeln und technischen Ausdrücken in der Rechtsanwendung Nachlheile
und sonderbare Entscheidungen veranlasst werden. Der Verfasser des
unter Mr. 1. oben angeführten Werkes, Colquhoun (Nachkomme der iu
der Geschichte Schottlands bedeutend gewordenen Familie, der Enkel
des ausgezeichneten Begründers der Polizei im würdigsten Sinne, Sohn
des ehrenwerthen Consuls der freien Städte) hat in Deutschland studirt,
hat in seiner Prüfung als Doktor in Heidelberg vorzügliche Kenntnisse
gezeigt und dann durch lange Reisen durch Europa mit den Recbtsznstän*
den fremder Länder sich vertraut gemacht; er hielt es für zweckmässig,
seinen Lendsleuten ein Werk zu liefern, in welchem er sie mit den Er-
gebnissen neuerer Forschungen Uber römisches Recht und in systematischer
Darstellung mit dem Geiste aller römischen Rechtsinstitute, mit den Einzelnhei-
ten ihrer Durchführung bekannt macht, zugleich aber auch die Fortbildung des
römischen Rechts in Europa lehrt, vorzüglich durch den Einfluss des canoni«
sehen Rechts und die Art, wie in England die Rechtssalze durch Gerichtsge-
brauch und Statute sich eigentümlich ausbildeten. Da für England die Kennt-
niss ausländischen Rechts wichtig wird wegen der vielfachen juristischen Be-
ziehungen Englands mit andern Nationen , so glaubte der Verfasser auch in
jeder Lehre auf fremdes Recht, vorzüglich auf türkisches Recht, Rücksicht
nehmen zu müssen, und das Hervorheben des Letztern mag seinen Grund
vorzüglich darin haben, dass der Verfasser Bevollmächtigter der hanseatischen '
Republik an dem türkischen Hofe war und dadurch mit dem muhame-
dänischen Rechte näher bekannt wurde. — Der Verfasser hielt es aber
auch (wohl mit Recht) für zweckmässig, seiner systematischen Darstellung
eine Rechtsgeschichte vorherzusenden ; diese füllt denn auch die ganze
erste aus 296 Seiten bestehende Abtheilung des Werket und enthält
vorerst die äussere römische Rechtsgeschichte; — da wo er von einem
Verhältnisse derselben spricht, welches mit dem modernen Rechte seines
Vaterlandes Aehnlichkeit hat, schaltet er die Darstellung des englischen
Verhältnisses ein, z. B. p. 14, nachdem er vom römischen Senate ge-
handelt aal» spricht er von der Ausbildung und Verfassung des engl*-
5*
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68 Schriften von Colquhoun und Bowyer aber röm. Recht in England.
sehen Parlaments (p. 14 — 22). Umständlich wird die Fortbildung des
römischen Rechts anter den morgenlündischeu Kaisern (p. 77) geschil-
dert, dann das Verhältnis* der KreozzUge p. 85, die Assisen von Je-
rusalem (j). 86) angegeben and von p. 91 an die Geschichte des mu-
liamedaniscben Rechts eingeschaltet. Auf ähnliche Weise geht der Ver-
fasser von p. 93 an zur Geschichte des römischen Rechts in dem westlichen
Reiche und zuerst in Italien und in den germanischen Reichen Uber,
Überall mit kurzer Schilderung der sogenannten Leges Barbarorum, spricht
dann p. 113 von den verschiedenen Ansichten Uber Fortdauer des ru-
mischen Municipalsystems in Italien und p. 121 von der Fortdauer des
römischen Rechts überhaupt. Der Verfasser folgt in diesen Lehren ge-
wöhnlich Savigny'a Ansichten, handelt dann p. 124 von dem Sy-
stem der Persönlichkeit der Rechte unter den germanischen Völkern
und schildert p. 131 IT. das Lehenswesen und seine Ausbildung, ver-
weilt dann p. 148 bei der Geschichte des Aufblühens der Universitäten
im Mittelalter und schildert die einzelnen grossen Juristen jener Zeit,
geht dann p. 183 zur Geschichte des deutschen Kaiserreichs Uber, zeigt
das Aufblühen der deutschen Universitäten (p. 185) und gibt wieder
eine juristische Literargeschichte, insofern einzelne Juristen einen grossen
Einfluss auf dio Dogmengeschichte und Rechtsentwicklung halten. Daran
reiht sich von p. 233 an die Geschichte des canonischen Rechts, der
Quellen und des Einflusses der verschiedeneu Päbste. Von S. 268 an
folgt eine Geschichte des englischen Rechts, von der Zeit der Römer an,
die verschiedenen Perioden hindurch, so dass bei jedem Könige seine
Hauptwirksamkeit und zugleich die Namen und Werke der bedeutendsten
in einer gewissen Zeit wirksamen englischen Juristen angegeben werden.
Am Schlüsse der Abtheilung folgt (S. 283) die Entwicklung der Eintbei-
lung des römischen Rechts in common und Statute law und die Quellen dersel-
ben. Die zweite Abtheilung beginnt mit einer Darstellung der verschiedenen
Bedeutungen und Einteilungen des Rechts; bei den einzelnen Lehren,
f. B. bei Entwickelung der Entstehung vom Lex im römischen Rechte ist
von p. 311 an die Lehre von den Parlamentsstatuten, wie sie zu Stande
kamen und p. 318 bei den Constitutiones und rescripta prineipnm auch
die Lehre von der Art, wie in England der König seinen Willen aus-
spricht und Vorrechte ausübt, geschildert. Der IL Titel p. 345 behan-
delt nun die Lehre vom Status, schildert auf eine klare, systematische
Weise die verschiedenen Zustände nach römischem Recht und schaltet
überall die abweichenden Ansichten des englischen Rechts ein, t. B. p. 357
Uber die verschiedenen Altersstufen und die daran geknüpften Rechte,
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>
Schriften von Colquhoun und Bowycr über röm. Recht in England. 69
p. 371, nachdem der Verfasser von der römischen übertat und jure quiritium
gehandelt hat, spricht er von den Freiheiten englischer Bürger. Nach der Schil-
derung der römischen Sklaverei folgt p. 414 die Aasbildung der Leibei-
genschaft im Mittelalter und eine gute En t Wickelung (von p. 417 bis 427),
wie in England von der frühesten Zeit an die bäuerlichen Verhältnisse
steh aasbildeten und allmählig die Zustände der villani sich verbessertes
und Sklaverei aufgehoben wurde. Eine auf eigene Anschauung der Zu-
stände gegründete Darstellung der Verhältnisse der Sklaverei im türki-
schen Reiche folgt von p. 429 ff. an — Nach einer Darstellung des Eherecbts
nach römischem Rechte folgt p. 480 eine Schilderung der Ehegesetze
und Gebräuche in England. Auf ähnliche Weise ist bei jeder Darstel-
lung des Rechtsverhältnisses, I. B. Ebehindernisse, Ehescheidung, Legitima-
tion sogleich das abweichende Recht Englands eingeschaltet. Aehnliches
findet sich bei der Darstellung der Lehre von der Verwandtschaft nach
römischem Rechte ; der Verfasser gibt überall in systematischer Entwicke-
lang die römischen Gesetzesstellen an und verweist auf deutsche Hand-
and Lesebücher z. B. von Glück, Thibaul u. A. — Eine ausführliche
Erörterung Ober die Lehre von Municipium, Colonieen und Corporatiooeit
zuerst nach römischem Recht, und dann nach englischem Rechte (worin
die Lehre von den Corporationen sehr schwierig ist) macht den Scbluss
(p. 627—667) dieser Abtheilung. Wir können nicht bei Einzelnheiten
der Darstellung des Verfassers verweilen. Deutsche, mit dem römischen
Recht vertraute Leser werden darin in Bezug auf römisches Recht nichts
Neues finden, dagegen müssen wir dem Werke des Verfassers, welchem
die Kenntniss der deutschen Forschungen zu Statten kam, ein rühmliches
Zengniss geben, da sein Werk mit Klarheit systematisch die römischen
Rechtsverhältnisse schildert und geeignet ist , den englischen Juristen die
Auffassung des römischen Rechts zu erleichtern. Oft möchte man nur
wünschen, dass der Verfasser weniger an die bloss historisch bedeutenden
Bestimmungen des römischen Rechts sich gehalten und in seiner Darstellung
mehr den Geist des römischen Rechts in einer Lehre und die consequento
Art, wie die römischen Juristen die leitenden Grundsätze in den Einzeln-*
betten durchführten, entwickelt hätte. Gewisa würde er dadurch bei den
folgenden Banden, in denen die Lebren des römischen Rechts zu erör-
tern sind, worin die römischen Juristen ewig unübertroffen dastehen wer-
den, z. B. im Obligationenrechte, aich ein grosses Verdienst um seine Lands-
leute erwerben und dazu beitragen, dass manche Miss Verständnisse des
römischen Rechts aus der englischen Praxis verschwänden. Das Werk im
Ganzen macht dem Forschungsgeist und Eifer des Verfassers Ehre.
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70 Schriften tob Colauhoun und Bowver über röm. Recht in England.
Io einen andern Sinne, wenn tuen mit dem gleiohen Streben, du
Studium des römischen Rechts in England zu fördern, ist das unter Nr. 2
oben genannte Werk geschrieben. Der Verfasser bezweckte in einer zu-
sammengedrängten Darstellung die wichtigsten Lebren und Regeln des römi-
schen Reehts in einer klaren Form, so dass auch der nicht streng Rechts-
gebildete sie verstehen kann, zusammenzustellen. Um diesen Zweck zu
errennen, mussie uer veriasscr aen lecnuiscnen unu msioriscnen cror-
terungen entsagen und sich an die Darstellung des neuen römischen Rechts
(modern civil law} , daher in der praktischen Richtung desselben hat-
ten; der Verf. betrachtet römisches Recht als written reason (wie die
Franzosen von raison ecritc sprechen) und sucht von dem römischen Rechte
die Rechtssatze und leitenden Grundregeln zu geben, welche die Schluss-
steine der Rechtswissenschaft sind und zugleich die Gründe der Rechts-
ausspräche aufzustellen. Der Verf. hat seinen Beruf als Schriftsteller zu
wirken schon hinreichend dargethan. Er ist der Verfasser des guten
Werks Ober engliaches Staatsrecht : Comentaries on Ibe constitutione law
of England, by G. Bowyer, second edit. Load. 1946, vorzüglich bedeu-
tend durch die genaue Darstellung des englischen Verwaltungsrechts und
des innern Zusammenhangs der verschiedenen Aemter. — Dass der Verf.
mit rechtshistorischen Studien sich mit Erfolg beschäftigt, lehrt seine
Schrift: A dissertation on the Statutes of tue cities ofltaly. Lond. 1838,
worin der Verf. von dem Einflüsse der aufblühenden Städte in Italien,
•uf die Rechtsbildung des Mittelalters und die Abfassung der alten Städte-
Statute und dem Wirken grosser Juristen , z. B. in Bologna, spricht. —
Eiae andere Schrift des Verf. ist folgender Two Readings delivered in
the middle Temple Hall. By Bowyer 1840. Der Verf. ist Professor des
römischen Rechts in middle Temple und hat als solcher Vorlesungen ge-
halten, von denen er zwei in der eben genannten Schrift abdrucken liess,
die erste Uber den Gebrauch der Rechtswissenschaft und über die Einteilun-
gen der Gesetze (worin der Verf. über die Wichtigkeit des Studiums des eng-
lischen Rechts sioh erklärt), und die zweite Uber den Gebranch des rö-
mischen Rechts in England nnd das Verhttltniss desselben zum common
law, worin der Verf. warnt vor dem unverständigen Gebrauche, indem
manche römische Sätze, s. B. quod prinoipi placnit legis habet vigorem
im geraden Widerspruche mit dem Geiste der englischen Verfassung seien
und unpasaender Gebrauch dem Studium des nationalen Rechts schaden
würde, während der rechte Gebrauch, so wie die grössten englischen
Richter den römischen Aussprüchen als den Aussprüchen des vernünftig-
sten Rechts folgten, wohlthütig sein wird.
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Schriften über Colquhoan and Bowyer über röm. Recht in England. 71
Das Werk des Herrn Bowyer Ober das römische Recht
scheidet sich von dem des Herrn Colqohonn durch die reine
sehe Richtung und die gedrängte Darstellung. Der Verf. sendet eine
Geschichte des römischen Rechts voraus (p. 1} and schildert (p. 14}
den Geist der einzelnen römischen Rechtssammlungen , Institutionen, Pan-
>; er zergliedert die einzelnen Theile des Rechts der
or Charakteristik die eigenen Worte der
anfuhrt und sie (wegen Berechnung des W<
auf Nichtrechtsgelehrte} in englischer Uebersetzung mittheilt. Im Per-
sonenreebte wird von der Ehe und von der Vormundschaft gebandelt
Nicht ganz versteht der Verf. dieser Anzeige, warum er Uber manche Leh-
ren so knrz hinweggebt, z. B. von der römischen väterlichen Gewalt fast
Nichts sagt; er erklärt nur p. 47, die Lehre von der väterlichen Ge-
walt habe keinen praktischen Werth in unsern Zeiten und unserm Lande;
ist wohl soweit richtig, dass nicht die ganze väterliche Gewalt des
Rechts in England anwendbar ist; allein Niemand kann leug-
nen, dass doch die Kenntniss dieser Lehre zum Verstehen des ganzen
römischen Rechtssystems gehört und dass manche römische Satte noch in
das englische Rechtssystem Ubergingen. Ausführlich dagegen ist das rö-
mische Vormundschaftsrecht (p. 47 — 60} vorgetragen. Im Sachenrecht,
handelt, fahrt er überall die Aussprüche von Grotius, Puf endorf u. A.
an, am zu zeigen, welche Ansichten im Völkerrechte modificirend ein«
wirken; auf ähnliche Weise geschiebt diese auch p. 73 bei der Darstei-
der Erwerbsarten. Verdienstlich und aoeb für den auslandischen Ju-
we Ith voll ist es, dass der Verf. bei den römischen RechtsverhlU-
i, z. B. der speeifleatio, Besitz (p. 95 umständlicher vorgetragen,
wie von p. 100 an die Lehre von der Verjährung}, dem Bauen,
Frttchtenerbebnng die abweichende römische Ansiebt angibt. Besonders
ausführlich ist das römische Erbrecht (von p. 131 an} dargestellt und
von P. 167 an das römische Obligationsrecht entwickelt, da eben in die-
seni Recbtstbeile das römische Recht den grössten Einfluss auf das eng—
tische Recht erlangt bat. Auch hier finden wir wieder den oben schon
angeführten Satz, dass im englischen Recht der Vertrag eine oonsidera-
tioe haben mnss, was der Verfasser gleichbedeutend mit mntual interest
(f. 121} zu nehmen scheint. Die wünschenswerte tiefere Begründung
dieses Satzes finden wir auch bei dem Verf. nicht. Die einzelnen Ver-
trage sind sehr umständlich und klar abgehandelt, so wie Überhaupt die
Darstellung durch grosse Klarheit und Bestimmtheit der Sätze sich aus-
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72 Yallaorii hisloria critica lilerarum latinarum.
zeichnet, so dass wir Dicht zweifeln können, dass das Buch Terdienstlich
and sar Verbreitung römischer Rechtskenntnisse wirken wiro\ — Von
dem Verfasser wird nächstens eine Schrift über den Werth nnd Ge-
brauch des canonischen Rechts in England erscheinen. Wir werden
in der Folge in diesen Blättern von den neuesten englischen Werken
Über einzelne Lehren des Civilrechts Nachricht geben und vor Allem das
neueste Werk von Grant a practical treatise on tbe law of corporatioos
in general, inclnding rannicipal corporations, Railway, Banking etc. Lon-
don 1850. anzeigen, das bestimmt ist, eine grosse Lücke in der englischen
Literatur über die höchst schwierige Lehre der Corporationen auszufüllen.
Hlttermaler.
Thomae Vallaurii historia critica lilerarum. latinarum. Editio al-
tera, animadrersiontbus aucla. Accedit itapepYOV aliquot monu-
mentorum latini sermonis tetustiorii. August ae Taurinomm. Ex
officina regia. An. MDCCCL. 208 S. 8.
• •
Was wir unter diesem Titel erhalten, ist eigentlich ein Abriss der
Geschichte der römischen Literatur au akademischen Vorträgen als Grund-
lage bestimmt, wie zum Privatstudium Derjenigen geeignet, die einen
vollständigen Ueberblick Uber das weite Gebiet der römischen Literatur
in einer gedrängten, nichts Wesentliches Ubergehenden Zusammenstellung
in gewinnen wünschen ; nnd dieser Abriss ist eingekleidet in die Sprache
des alten Roms selber, die, wie wir mit Vergnügen aus dieser Schrift
ersehen, in dem Verfasser derselben nicht bloss ihren kräftigen Vertreter
und Verlheidiger gegen die neuerungssüchtige Unwissenschaftlichkeit un-
serer Zeit gefunden bat, sondern auch einen Mann, der sie selbst mit
Gewandheit zn handhaben, der in ihr in einer fliessenden, klaren and
selbst anziehenden Weise sich auszudrücken versteht. Weil es nun seine
nächste Absiebt war, jungem Leuten ein Gesammtbild der römischen Li-
teratur in ihrer Entwickelung zu geben (adolescentibus , schreibt er im
Vorwort p. 20, latinae eloquentiae studiosis in brevi veluti tabella lilera-
rum latinarum vices spectandas exhibere constitui, vergl. aueh am Schlnss
S. 191 J, so hat er bei der Behandlung die Abtheilung nach Perioden
der rein systematischen, die einzelnen Disciplinen nach einander darstel-
lenden Methode vorgezogen und demnach das Ganze in vier Perioden
abgehandelt, von weloben die erste bis auf den Tod des Sulla reicht,
die zweite das sogenannte goldne Zeitalter befasst, bis auf den Tod des
Angustus; die dritte geht von da bis zu Hadrian!» ; die vierte stellt die
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Vallaurii hisloria critica literarum latinarnm. 73
Periode des Verfalls zwischen Hadrian und Odoacer dar. Dass, wenn
Bio einmal sich für diese Art von Behandlung der römischen Literatur
entschliefst, diese vier Perioden jedeofalls unter den verschiedenen, in
dieser Beziehung vorgeschlagenen Abiheilungsweisen, die zwetkmassigsten
sind, wird man nicht bestreiten können, zumal bei einem Buche, das die
oben erwähnten, bestimmten didaktischen Zwecke verfolgt. So zerfallt
die gtnie Schrift in vier Bücher, von denen jedes eine dieser vier Perio-
den behandelt; jedes Buch befasst eine Anzahl von Capitel, die sich nach
dem Umfang der Gegenstände so wie der einseinen Disciplinen , denen ge-
wöhnlich ein Capitel gewidmet ist, richten, bisweilen auch mit einzelnen
Paragraphen als den betreffenden Unterabteilungen. Unter dem Texte)
finden sich die Anmerkungen, welche die Belegstellen so wie die litera-
rischen Nach Weisungen enthalten, und uns hinreichend zeigen, dass der
Verfasser, wenn er auch, wie von ihm nicht anders so erwarten war,
Italienische Schriftsteller der neuesten wie der früheren Zeit dabei be-
sonders berücksichtigt, doch mit der gesammten neueren, namentlich deut-
schen Literatur durch das Studium der dahin einschlagigen deutschen
Werke eine Bekanntschaft gewonnen hat, wie wir sie sonst nicht jen-
seits der Alpen anzutreffen gewohnt sind. Wenn wir nun auch nicht
immer mit der getroffenen Auswahl übereinstimmen, oder wenn hier und
da einzelne Versehen mit untergelaufen sind, so wird man bei diesen
ersten Versuche, das jetzige Italien mit den Forschungen transalpinischer
Gelehrsamkeit bekannt zu machen und dadurch zu deren Studium zu ver-
anlassen , diesen kleinen Missständen nicht ein Gewicht beilegen dürfen,
das ungerecht machen würde, wollte man darüber das Verdienstliche der
ganzen Arbeit verkennen. Wir wollen daher auch hier nicht von ein-
zelnen Verstössen im Drucke griechischer Textesstellen , zumal im Ac-
ceot, reden, aber wir werden wohl fragen dürfen, warum der Verfasser,
der seine Darstellung lateinisch gibt, in den Noten einigemal Werke,
die ebenfalls lateinisch geschrieben sind, französisch anfuhrt, wie wenn
sie französisch geschrieben oder ins Französische übersetzt wären, was
doch onsers Wissens nicht der Fall ist. So z. B. in der Note 2. so
8. 23: „Rbunkea (statt Ruhnken) Eloge d'Hemsterbuis" oder S. 30:
-Endlicher Catalogoe des manuscrits de la bibliotheque de Vienne." Un-
bekannt ist dem Referent das Citat S. 23: „Schar dami tbes. quae in«
Kribilur: Latiua lingua est dialectus linguae Graecae. Leydae 1776.«
Oder soU Scheid hier gemeint seyn? S. 29 Note 4 ist über die Co«
lomoa Rostrata citirt Ganges de Goze De coL rostr. C. Duilii Rom.
1635. Es war aber Gauges de Gozze zu citiren und auf T. IX. de«
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74
Vallaurii historia critica litcrarum latinarum.
Burmannschen Thesaurus zu verweisen. Auch ist statt Apulejus vorzuziehen
Appulejus; statt Satyra die riehtigere Schreibweise Satira; statt To-
ns ob als Accusntivform von Tomi, der als Exil des Ovidias bekann-
ten Stadt, lieber To mos (S. 68). Cicero wird meist als Toi Mos
Oder abgekürzt Tu 11 oitirt, Orelli stets Orell und zwar nicht als
abgekürzte Namensfonn. Anderes wollen wir übergehen, da am Ende sol-
che Versehen doch von keinem besondern Belang sind. In die Anführung
von Ausgaben der einzelnen Schriftsteller hat sich der Verfasser nicht
eingelassen; es scheint der bibliographische Zweck seiner Aufgabe ferner
gelegen zu haben. Nur an wenigen Orten findet sieb von dieser Noras
eine Ausnahme gemacht
Ueberblicken wir nnn das Einzelne nach den vier Büchern, in welche,
wie bereits bemerkt worden, der ganze Stoff zerlegt ist, so kann es wahr-
haftig nicht unsere Absicht seyn, einzelne Nachträge und dergleichen so ge-
ben; wir wollen nur den Gang und die Behandlungsweise andeuten, am so
nnsern Lesern es möglich zu machen, ein Bild des Ganzen zu gewinnen.
Das erste Buch behandelt die Atteste Periode der römischen Li-
teratur, bis zu SullaV Tod oder bis zum Jahr 676 u. c, nnd beginnt
mit einem Cap. De origine linguae latinae. Der Verfasser, der natürlich
in eine tiefere Untersuchung des Ursprungs der Lateinischen Sprache hier
nicht eingehen konnte, halt an dem gemeinsamen Ursprung der Griechischen
nnd Lateinischen Sprache fest und betrachtet beide als Schwestersprachen,
wesshalb er, am Schlüsse dieses Abschnittes, auch seinen Landsleuten das
Studium der Griechischen Sprache insbesondere empfiehlt, in ahnlicher
Weise, wie diess schon vor ein paar Jahrhunderten Moretus gethan hatte.
Qua qoidem posita llnguarum cogoatione, schreibt er S. 24, hoc prae-
seriim intetligi vOlo, frustra niti latinarum titerarum studiosos, ut aliquant
doctrinae praestantiam consequantur, si graecas ne leviter quidem attige-
rint. Leider kann man auch für Deutschland diese Mahnung gelten las-
sen, wo man seit den glorreichen Marzereignissen des Jahres 1848 da-
hin an manchen Orten gekommen ist, dass man das BUdongsmittel der
Griechischen Sprache als Etwas jetzt überflüssiges ansieht, das durch
den Geist der Neuzeit ersetzt werden kann. — Auf diesen einleitenden Ab-
schnitt folgen die altem Sprachdenkmale RonTs, dann die dramatische
Poesie, die epische (mit Einschluss der darstellenden und erzählenden Poe-
sie überhaupt, also z. B. des Ovidius), die didactische (Luoretius) und
die Satire, darauf die älteste Geschicbtschreibung (die Annalisten), Be-
redsamkeit und Philosophie, Naturkunde (Cato's Schrift de re rustica),
Jurisprudenz und Grammatik.
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Vallaurii historia critica litcrarum l&tiosriini
Das zweite Bach beginnt eich einem einleitenden Abschnitt mit der
dramatischen Poesie im zweiten Cap., dann folgt die epische, die didac-
tisebe nnd bukolische, die Satire, die lyrische Poesie und die Elegie, woran
Geschichte, Beredsamkeit, Philosophie, die Mathematik und Naturwissen-
schalten (hier auch die Medicin), Jurisprudenz und Grammatik sich anreiben.
Nor ein paar Bemerkungen mögen dem Verf. zeigen, dasa wir seine Schrift
aufmerksam durchgangen haben. Cap. IV. §. 2 werden die (verlorenen)
Gedichte des Aemilius Macer genannt, mit Anführung der Hauptstelle dea
Ovidius Trist. IV., 10, 43; dann wird hinzugefügt: „Exstat Macri carmen
de virtntibus herbor um cum comment. , ed. Basileae 1581. H.w Hier-
nach sollte inen glauben, es sey hier ein Uchtes nnd wahres Gedicht dea
Aemilius Macer angeführt, wfihrend doch das angefahrte Gedicht ein Pro-
dnet aus den ietiten Zeiten der Karolinger ist (s. Gesch. d. Karotieg. Li-
teratur §. 56.), mitbin hier gar nicht so nennen oder doch mit einem
die spatere Abfassung andeutenden Zusatz zu versehen war. — Ebenda-
selbst wird Terentina Varro genannt, dessen Pragmente aus den libri
aavales Wernsdorf gesammelt; in der Note dann des letztern Poetae lati-
ni minores, Altenborgi 1782. 8. angefahrt, aber ohne Angahe des Ban-
des fdes fünften Volum. Pars I.), was hier doch unerllsslich scheint,
auch wenn keine Anführung der erschöpfenden Abhandlung Wflllner's ge-
geben werden sollte. Ueberdem bestehen Ober die ganze Schrift manche
Zweifel nnd wird dieselbe von Binigen dem andern Varro (von Beate)
beigelegt. Weiter wird daa Gedicht Aetna geradezu dem Lucilius
Junior, dem Freunde des Seneca, beigelegt unter Berufung auf Werns-
dorf. Indessen diess wird, obwohl auch (der vom Verf. nicht ge-
kannte) Jacob in seiner Ausgabe (Ups. 1826. 8.) darauf hinweist, doch
keineswegs so ausgemacht seyn, und vielmehr noch manchen Bedenken
unterliegen. — Bei den dem Cornelius Nepos hier unbedingt zuge-
schriebenen Vit 8e wird nur in einer Note bemerkt: „fuere qui existtma-
rent, hujusmodi vitas aut omuino ab Aemilio Probo fuisse profectas, qui
Theodor aeqoalis fnit, aut ab eodem in compendium fuisse redactas.
Sed alind auadent operia concinnitas, et i IIa qoae leguntur in vila Epa-
minondae, nbi hiatoricus justam brevrtatem pollicefur.u Aber diese ver-
meintliche Widerlegung wird am wenigsten da genügen können, wo wir
eine ganz andere Auffassung nnd Darstellung des ganzen Verhältnisses
and der wahren Sachlage erwartet hatten, indem bekanntlich die hand-
feiriftlicne Ueberlieferang — und hiernach auch alle altereu gedruckten
Ausgaben bis aal Lambin's Zeiten — nur den Aemilius Probus als Ver-
fasser dieser Vitac kennt, an dessen Stelle, durch Lambin's Bemühungen
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76 Vallaurii hisloria critica literarum lalinarnm.
haoptsächtlich, jetzt Cornelius Nepos gesetzt ist, der allerdings, auch nach
unserer Ansicht, Verfasser der Vitae ist, aber nur nicht in der Gestalt,
wie sie jetzt uns vorliegen und wie wir dieselben jetzt lesen. Mit sicht-
barer Vorliebe und in einer äusserst ansprechenden Weise ist Livius ge-
schildert; gegen manche, mit Unrecht in neuerer Zeit wider ihn erho-
bene Machtsprüche wird er verdienter Weise in Schatz genommen. Von
den verlorenen Schriften des Terentius Varro von Reale würden wir
wenigstens die Antiquitates — um von andern zu schweigen — einer Er-
wähnung für würdig erachtet haben, die wir hier nicht findeu. Cicero
wird vom Verfasser gut und uopartheiisch, auch als Philosoph gewürdigt ;
bei Erwähnung der Schrift de republica dürfte es aber doch zu Viel ge-
sagt seyn, wenn behauptet wird, sie enthalte nichts Anderes als: quan-
dam imperii Romani historiam, in qua per summa capita ea enarrantnr,
quae Romani ad rem publicam constituendam et tutandam sanxerunt; quibus
mnltae animadversiones accedunt ex philosophia etoivili prudentia depromptae.
Auch würden wir da, wo von den Fragmentensammliingen des Ci-
cero die Rede ist, statt der veralteten Sammlungen des Sigonius und Pa-
tricias lieber die neueren von Orelli und Nobbe angeführt haben.
Geben wir zu dem dritten Buch oder der dritten Periode des sil-
bernen Zeitalters über, so finden wir hier den Gegenstand in ähnlicher
Weise und nach denselben Abtheilungen, wie im zweiten Buch behandelt.
Nach einem einleitenden Capitel, das über die Ursachen des Verfalls der
Literatur nach August sich verbreitet, kommen Cap. IL die Tragödien des
Seneca, als der einzige Rest der dramatischen Poesie dieses Zeitalters, zur
Sprache. Obwohl über den Verfasser sich kaum etwas Bestimmtes er-
mitteln lasse, so meint doch der Verfasser, die Ansicht derjenigen, welche
eine Mehrzahl von Verfassern dieser Tragödien annehmen , die nachher
„a liberariis" in ein Corpus zusammengetragen worden, komme der
Wahrheit am nächsten. Diess ist im Ganzen die Ansicht des Lipsius, der
für diese zehn Stücke nicht weniger als vier verschiedene Verfasser,
darunter freilich auch den Philosophen Seneca für die Hedea, annehmen
zu können glaubte, wie diess auch bei Daniel Heinsius, jedoch mit eini-
gen weiteren Modificationen in der Vertheilung der zehn Stücke unter
diese vermeintlichen Verfasser, der Fall; war. Diese Ansicht hält jedoch
Ref. für die , welche bei der auch jetzt meist so ziemlich anerkannten
Gleichheit der Stücke in ihrer ganzen Passung und Haltung, in Styl wie
in Ausdruck — die einzige Octavia scheint eine Ausnahme davon zu ma-
chen — weniger, auf Wahrscheinlichkeit Ansprüche machen kann, zu-
mal da die äussere Tradition, d. h. die Zeugnisse des Quintiiianus, Pris-
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Vallanrii histuria critica liieraram latinarum. 77
cianus, Terentianns, Valerias Probat, und vielleicht selbst des Servias, der
iq Virgils Aeoeide XII., 395 eiaeo Vers des Oedipas (1057) citirl, aber unter
das Statins Namen (wenn aaders hier kein Textverderbniss anzunehmen
und Statins in Seneca zu corrigiren ist), doch unverkennbar für den
Philosophen Seneca spricht, und die dagegen vorgebrachten inneren
Grfinde keineswegs von dem Belang uod Gewicht erscheinen, am hier ei-
nen Ausschlag, and zwar wider den Philosophen Seneca, za geben. Ein
Punkt scheint überhaupt bei dieser ganzen Streitfrage noch gar nicht
gehörig erörtert und ina Reine gebracht : das Verhältniss der Handschrif-
ten, die doch in nicht so geringer Anzahl von diesen Stücken vorhanden
scheinen, da z. B. Grutcr (zu Vers 140 des Hercules für.) von neun
hc d c ni ^ f ti 1 z l ä c h t3 n * q I s o jetzt V8 1 1 c o.n 1 s c hc n lläQcisciirift&Ki spricht^ ü b er--
dem auch noch andere Codices an andern Orten vorbanden und selbst
theilweise benutzt worden sind, ohne dais jedoch, eine unbedeutende and
angenügende Notiz bei Hieronymus Commelinus im Vorwort seiner Aus«
gäbe (1589) abgerechnet, uns auch nur einigermassen bekannt wäre,
wie sich diese Handschriften wir Frage nach dem oder den Verfassern
dieser Tragödien verhalten, welche Auskunft sie Uberhaupt darüber bieten
und ob sie in irgend einer Beziehung zu den Handschriften der Werke
des Philosophen Seneca stehen. Diess sind lauter Punkte, die vor Allem
bei der Frage nach dem Verfasser dieser Tragödien noch einer nlheren
Erledigung entgegensehen, bevor ein bestimmter Ausspruch erfolgen kann.
Uebrigens hätten wir gewünscht, bei dem Verf. auch darüber eine kurze
Angabe zu finden, dass diese Tragödien nicht sowohl für die Bühne, als
für das öffentliche Vorlesen wie für die Privatlectüre bestimmt gewesen.
Für die Fragmente der übrigen verlorenen Tragiker wird auf Scriverina
verwiesen, d. b. auf dessen Nomenciator tragicorum latinorum. Wir wür-
den eine Verweisung auf Bothel Sammlung oder auf Lange's Vindiciae
vorgezogen haben. Bei Vellejus Paterculus vermissen wir eine
kurze Notiz über die Schicksale des binterlassenen Werkes, das jetzt ohne
urkundliche Autorität uns vorliegt; Tacitus scheint uns etwas zu kurz
behandelt; das Gleiche finden wir bei Suetonins und Curtius, wenn
nicht die gedrängte Kürze und der beschränkte Raum dieses Abrisses dem
Verf. hier einen allerdings zu beachtenden Entschuldigungsgrund bieten
ksnn. Bei Qaintilianus kommt der von dem Kaiser Vespasian aus der
Staatskasse den Lehrern der Beredsamkeit angewiesene Gehalt zur Sprache,
— centena sestertia, die eben so Viel betragen als bei uns, wird
hinzugesetzt: „17790 francki.« Ex quo jam patet, heisst es dann wei-
ter, quanto melius cum romanis olim rhetoribus actum fuerit, quam cum
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78 Vallaurii historta critica literarum latinarum.
nostris, quorum labores ei praemia spectentur iisdem proposila, raullo tni-
noris (pudet dicerel) quam humillimi cujusque arlificis aestimantur."
Man sieht aus dieser Aeosserung, dass auch in Piemont so gut wie bei
uns die Marzerrungenschuften nicht gerade eine Verbesserung des Lehr-
Standes in seiner äusseren Lage, wohl aber das Ge gentheil bewirkt ha-
ben — ein Resultat, das uns kaum befremden kann. Und dass Überhaupt
in Italien die neueste Zeit wenig Vortheil, wenig Aufmunterung bei dem
politischen Sehwindel, von dem auch sie hingerissen war, der Pflege der
elastischen Studien gebracht hat, das möchten wir ans der Aufforderung
des Verfassers schliessen, die er am Schlüsse seiner Darstellung an
die studirende Jugend gerichtet hat: „Caeternm eloquentiae studiosoa
vehementer hortabor, ut banc literarum latinarum kaereditatem , quam a
reputent, Ilalos commodis suis perperam consuluisse, quotiescunque rerutn
euarum pertaesi externa et adventicia taatura sectarentur.u Was sind hier
die „externa et adventicia", denen die Italische Jugend nackgeht? Sol-
len wir an Frankreich denken, das auch nach dieser Seite hin sein ver-
derbliches Gift und seine verderblichen Einflüsse dem Italischen Nachbar-
land eben so gut augeweodet hat, wie dem Deutschen?
.. In der vierten Periode, die von 117 p. Chr. bis 476 p. Chr.
reicht und im vierten Buch bebandelt ist, sehen wir auch einige der
christlichen Dichter und Prosaisten mit aufgenommen, was wir keineswegs
tadeln wollen. Jedoch mochten wir nicht einige der gelegentlich vom
Verf. ausgesprochenen Urlheile unterschreiben, wie z. B. wenn es von
Prudentius, dessen „carmina abere sane copia et mira affectoum suavi-
tate christianam pietatem redolentium laudanturu, dann weiter heisst: at
Stylus barbaris saepe aut obsoletis vocibus horridas, a germana latini
sermonis vennstate longissime abest; dieses Unheil einer mit barbarischen
Ausdrücken überfüllten Schreibweise scheint uns zu hart bei einem Dich-
ter, der in seiner ganzen Ausdrucks weise sich nach dem alteren clesst-
aohen Mustern richtet, diese vorzugsweise nachbildet, und darum schon
von Sidonius Apollinaris dem Horaüus an die Seite gestellt, von ßentley
aber schon als der christliche Maro oder Flaccus bezeichnet worden ist.
Der allerdings bei ihm nicht zu leugnende Gebrauch veralteter Ausdrü-
cke wird sich wohl aus iholichen Gründen wie bei Appulejus herlei-
ten and erklären lassen, in keinem Falle aber wird der christliche Dich-
ter andern Dichtern seiner Zeit, die er vielmehr überragt, nachstehen, wie
z. B. dein Clandiaaus, den der Verfasser übrigens ganz richtig in folgen-
der Weise nharakterisirt : Stylo usus est eleganti, florido, magnifico et
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Vallaorii hiitoria critica lilcrarum laiinarum.
sententiarum allitudioe spectando. Iu fwgendo tarnen liberior est, et ni-
ffljum quiddam ac sonaos in dictionibus iüterdum sie captat, ut verborum
graaditate leclori facum facere videatur." Ausooius erscheint hier, in
Bezug auf seine XX Idyllia unter der bukolischen Poesie, wie diess in
allen Haodbüchern und Lehrbüchern der römischen Literaturgeschichte (auch
des Unterzeichneten) der Fall ist : dass diese Dichtungen aber näher be-
trachtet, kaum Etwas von dem an sich tragen, was den eigentlichen Cha-
rakter der bukolischen Poesie ausmacht, wird, wenn man diese Dichtun-
gen näher geprüft hat, kaum in Abrede zu stellen seyn; sie gehören so
gut wie die meisten Übrigen Dichtungen des Ausonios in das Gebiet der
beschreibenden und darstellenden Poesie, welche, indem sie sich noch ganz
in dem Geschmacke der älteren heidnischen Poesie Roms hält and dieser
in Fassong und Darstellung ganz gleichzukommen sucht, zugleich den
de«, wenn auch gleich Ausonios so got wie die andern Dichter jener
Zeit, die ebenfalls in diesem Geschmack, in diesem Sinne und Geist dich-
teten, selbst ein Christ bereite war. — Bei der Geschichte wird, was
wir vollkommen billigen, am Schlüsse auch noch auf Sulpicius und
Orosius. hingewiesen, eben so werden bei der Philosophie auch die
verschiedenen Kirchenväter, Tertollianus, Arnobius, Minucius, Lactantius, Cy-
prianus, Hieronymus, Ambrosius, Augustinus, Salvianus, Boethius und Ca*«
liodorns genannt, aber dann von ihnen gesagt, wie sie bei ihrem bloss
aaf die Seche und den Inhalt gerichteten Streben: „venustae et concin-
nae orationis securi, barbarum plane atque borridum scribendi geuus usnr-
paruot" ; nur Minucius und Lactantius werden ausgenommen , auf beide
werden Alle die verwiesen, die über Gegenstände, welche in den Bereich
der christlichen Lehre fallen, Lateinisch zu schreiben gedenken: „ne vi-
deKcet nobis contingat illa scriptionum portenta aaepios oculis usurpare,
in quibus religiosae atque altiores sententiae, posthabita omni dignitate,
eo sermone qui vix latinum referat colorem, efferri consueveruut." Indes-
sen erscheint doch auch obiges Urtheil eines „horriduro scribendi genus"
zu hart, und selbst ungerecht gegenüber einem Hieronymus und selbst
einem Augustinus, um nur diese zu nennen, deren Redeweise doch
keineswegs einer solchen Bezeichnung unterliegen kann. Bei Sulpicius,
den der Verfasser dem Orosius vorzieht, wird die Nachahmung des Sal-
loftius rühmend hervorgehoben, das Studium des hinterlassenen Büchleins
der Weltgeschichte aber vor andern neueren Büchern empfohlen, — prae
quibus dam reeeotiumbus libellis, quos audio pueris nostris proponi, latinae
iiogaae stodiosis ; in der Note wird bemerkt, es beziehe sich diess auf ein
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SO Vallaurii historia critica literarum latinarum.
den Schülern der lateinischen Grammatik in die Hände gegebenes Büchlein
eines Nicolaus Tommsseus, betitelt : „Selecta christianorum scriptorum", und
dann wird hinzugesetzt: „Vah ! apage a nobis Ii bellum bujuscemodi qui
germona barbarie adolescentulos nostros infuscat, quorum aures permagni
referret nitidis diclionibus adsueseere." Referent kennt diess Schulbüch-
lein nicht, um die Aeusserung des Verfassers, und die „germana (?)
barbaries1', welche dadurch verbreitet wird, vollkommen zu verstehen.
In einem Anhang: Ttapepvov aliquot monumentorum latini sermo-
nis vetustioristt S. 193 ff. werden einige der ältesten römischen Sprach-
denkmale abgedruckt, das Lied der Arvali sehen Brüder (mit der Italieni-
schen Uebersetzung von Galvani), eioige Reste der Leges regine , die
Reste der Zwölftafelgesetze, die Grabscbriften der Scipionen nebst der
Inschrift der Columna rostrata und dem Senatusconinltum De Bacchanalibns.
Gedenken wir noch schliesslich der Vorrede, in welcher uns der
Verfasser eine kurze aber anziehende Skizze der Pflege gibt, welche
die Alterthumsstudien überhaupt in seinem Vaterlande gefunden haben.
Die neueste Zeit erscheint auch hier in keinem sehr günstigen Lichte ;
sie bat durch die in den Gang und in die Behandlung der Unterrichts-
gegenstände eingeführten Aenderungen noch wenig Gutes gestiftet, wohl
aber Schlimmes , das uns noch Schlimmeres erwarten lasst \ man sucht
die jungen Leute mit den verschiedensten Gegenständen zu überschütten,
so dass sie ei Omnibus aliquid und ex toto nihil lernen, gerade wie man
diess auch bei uns in Deutschland gemacht hat, wo die Vernachlässigung
der goldenen Regel : non multa sed multum sich auf dem Gebiete des
Unterrichts, den man reit sogenannten Realien (richtiger wohl : nutzlosen
Unterrichtsgegenständen) überhäuft hat, schon so schwer gerächt hat,
dass diess Niemanden entgehen kann. Unser Verfasser verweist diese
Reformer des Unterrichts, die nur nach den Neuem „quos unice colunt
et observanl« ihren Blick richten, auf Quintilian und dessen Grundsatz:
pueris quae maxime ingenium alant atque animum augeant, praelegenda;
caeteris, quae ad eruditionem modo pertinent, longa aetas spstium dabit
(Instit. Orat. I, 8, 8). Die Worte aber, die er dann zur Erläuterung
folgen lasst, wollen wir uns auch uns und unseren Schulen gesagt
seyn lassen: „Qu od quidem Fabii monitum eo spectat, ut adolescentes e
nostris sebolis eloquentes et ornati scriptores prodeant, non ineptr, non
rüdes, non sermone barbari, non ardeliones, non deniqne erudituli, aut
inanibus tantummodo praeeeptis imbuti.-1 Chr. Bftlur*
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HU HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR
>
John Stephens 1 neiden ts of Tratet in Central - America , Chiapas and
Yucatan, illttstrated by numerous Engratings. London , 184t.
2 Voll, in 8.
John Stephens Incidents of Tratet in Yucatan, illustrated by 120 En-
gratings. London, 1843. 2 Voll.
Cathencood Views of ancient Monuments in Central- America, Chiapas
and Yucatan. New - York , 1844. in Fol.
Auf die Anzeige von Squire und Davis Ancient Monuments of the
Mississippi Valley") lassen wir den Bericht. Uber obige für die Aller thums-
kunde und Geschichte der neuen Welt höchst wichtigen Werke folgen,
die von Neuem ein grosses Interesse gewahren. Herr Stephens, ein Bür-
ger der Vereinigten Staaten, rühmlich bekannt durch eine nach Aegypten
und Palästina unternommene Reise, wurde im Jahr 1839, kurz vor Aus-
bruch des mexicanischen Kriegs, von dem Präsidenton der Union mit
einer Mission an die mit Mexico verbundenen Staaten Centralamericas be-
traut. Er benutzte diese günstige Gelegenheit, die in den so wenig be-
kannten Landern vorkommenden alten Denkmäler einer Untersuchung zu
unterwerfen. Da die Geschäfte der Mission wenig zeitraubend waren, und
er ab Gesandter sich des Schutzes der Regierungen zu erfreuen hatte, so
konnte er sein Vorhaben leicht ausfuhren. Er war so glücklich, eine sehr
grosse Anzahl, meist in Waldungen verborgener und mit Bäumen bewach-
sener Monumente zu entdecken, welche in hohen Pyramiden, in reich und
geschmackvoll mit Sctilpturen verzierten Tempeln und Pallästen , in Stein-
tafeln und Monolithen mit eingegrabenen menschlichen Figuren und Hiero-
glyphen bestehen. Von diesen sind ausführliche Beschreibungen , Ausmes-
sungen und Grundrisse gegeben. Sein Reisegefährte, der geschickte und
talentvolle Maler, Herr Calherwood, war bemüht die nöthigen Abbildun-
gen beizufügen. Die in Honduras, Guatemala, Chiapa und Yucatan befind-
lichen prachtvollen alten Bauwerke, welche allgemein Bewunderung und
Staunen erregt haben, können füglich, sowohl im Umfange, in der Gross-
artigkeit und in der Schönheit des Bauslyls, als iu dem Reichtbum und
Geschmack der ornamentalen Sculpturen den Alterthümern des alten Con-
tinenls au die Seite gesetzt werden. Sie gewähren die Ueberzeugung,
dass in jenen Ländern, lange vor Entdeckung und Eroberung durch die
*ü. diese JsArb7l850 p..94 ff.
XLIY. Johrg. 1. Doppelheft. 6
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82 r Stephens und Catkefwfrod: Ueber Centrai-Amerika.
Spanier, ein viel höherer Grad der Civilisttion bestand, als man bisher
anzunehmen geneigt war. In mehrfacher Umsicht verdienen sie daher von
den Geschieht* - und Alterlhums - Forschern beachtet au werden. Und wir
müssen uns den Herrn Stephens und Catherwood zum lebhaftesten Daok
für ihre schätzbaren Untersuchungen verpflichtet fühlen, welche ein neues
Licht über die alten Völker Amerikas verhreiten. Zunächst wird Refer.
in gedrängter Kürze Bericht über Stephens Reisen erstatten, wobei er sich
jedoch auf den wichtigsten und wesentlichsten Theil derselben, auf die
Beschreibung der alten Monumente beschränkt. Um dieser leichter folgen
zu können, bittet er den Leser, die in obigen Werken enthaltenen Ab-
bildungen zu vergleichen , ohno welche die Beschreibung schwer verständ-
lich sein möchte. Die vielfach eingestreuten Bemerkungen und Betrach-
tungen Über die socialen Zustünde jener in einer Umwälzung begriffenen
Länder, die Schilderungen der Sitten und Gebräuche der Bewohner, so
anziehend und lehrreich sie auch sind, so wie die Erzählung erlebter
Abenteuer, muss Refer. des Raumes wegen mit Stillschweigen übergehen.
Dagegen aber hat er die in den Schriften der spanischen Conquistadoren
:ond Missionare Über die alten Bauwerke enthaltenen Nachrichten beige-
"fügt. Dass Stephens mit denselben wenig vertraut war, wollen wir ihm
"als Diplomaten nicht znm Vorwurf machen. In dieser Unbekanntschaft ist je-
doch begründet, dass er manches Bauwerk für neu entdeckt hielt, dessen
Spanische Schriftsteller schon gedacht haben. Viele alte Berichte lagen
als Manuscripto in Kloster - Bibliotheken zu Mexico und Guatemala, so wie
in den Archiven zu Summen, Sevilla, Toledo und Salamanca verborgen,
und wurden erst in neuerer Zeit durch den gelehrten Juan Baptista MuiToz
'ans Licht' gezogen. Mehrere hat Ternaux^Compans ins französische über-
setzt herausgegeben £ Recoeil de Docutnents et Ble'moires originaux surr
Thistoire des possessions e?pagnoles de l'Amerique. Paris.). Refer. hat
es sich ferner zur Aufgabe gemacht, die Monumente Central - Amerikas mit
denen der Lünder der alten Welt zu vergleichen, um zu ermitteln, ob sie
diesen «hrilich als Werke von Völkern angeschen werden müssen, welche
aus Ländern der alten Welt in Amerika eingewandert sind; oder ob sie,
einen eigentümlichen Bauslyl zeigend ^ vielmehr für die Werke amerikani-
scher Völker gehalten werden miisssen. Nach seinem Bedünken ist dies der
alleinigo Weg, auf dem die schwierige Fr8ge über den Ursprung der frü-
heren Zivilisation der neuen Welt zur Entscheidung gebracht werden kann.
i-JI'-- Stephen! trat seine erste Reise im October des Jahres 1839 auf
einer englischen Brig an, welche in der britischen Niederlassung Balize,
in der Bai von Honduras, vor Anker gieng. Von hier begab er sich zur
f ' ' \ T * I
H .» .*! .1 .\ »C . .
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Stephens und Catherweod: Ueber Central- Amerika. 83
Stadt Yzaba\ im Golfo dolce, von wo er auf Mault liieren die rauhen Ge-
birge Überschrat und zum Flusse Melagua in der Provinz Houduras ge-
hegte. In dem unter dem 14 Grad nördl. Br. liegenden Dorfe Copan
erhielt er diu Kunde von in der Nahe befindlichen Ruinen einer grossen
allen Stadt, die er sogleich zu besuchen beschloss. Sie liegen in einem
frachtbaren Tbale am rechten felsigen Ufer des Flusses Copan, an dem sie
»eh gegen zwei englische Meilen hinziehen. An Umfang und Grossartig-
keit übertreffen sie bei weitem die Ruinen von Palenque. Grossen! he ils
waren sie mit Wald überwachsen , der von Scbaaren von Affen bevölkert
wurde. Nach mühsamer Lichtung und stelienweiser Abrüumung des Walds
erblickte man aus bebauenen Steinen aufgeführte Wälle, hohe terrassen-
förmige Gebäude, mehrere grosse Pyramiden und viele Monolithen und
Opferaltäre, aar denen reich verzierte menschliche Figuren in erhabener
Arbeit dargestellt, und Hieroglyphen eingegraben waren. Die meisten und
grössten Gebäude schienen einem prächtigen Tempel angehört zu haben,
der sich in Form eines länglichen Vierecks von Norden nach Süden in der
Lange von 620 Fuss erstreckte, und dessen Umfang gegen 2860 Fuse
betragen haben mochte. Von den zu ihm gehörigen Gebäuden ist ein
Gruadriss beigefügt.
Das in Terrassen aufgeführte Hauptgebäude ist gegen 100 Fuss
hoch, und liegt auf dem steilen felsigen Ufer des reissenden Flusses Co-
paa. In seiner Nähe befinden sich mehrere grössere und kleinere Pyra-
Duden , und verschiedene andere Gebäude , welche Hofräume einschliessen.
Der grösste Raum hat eine Länge vou 300 Fuss, und gleicht einem läng-
lichen Viereck. An drei seiner Seilen erheben sich übereinander viele
Siefen, wie die Sitze in einem Amphitheater. Anf diesem Platze wurde
der colosaale, 6 Fuss hohe, in Stein gehauene Kopf eines Mannes gefun-
den, der abgebildet ist. An der vierten nördlichen Seite steht eine grosse,
120 Fuss hohe, ganz aus bebauenen Steinen gebildete Pyramide, zu deren
abgestumpften Spitze schon verzierte Treppen führen. Dieas war wohl der
Ort, wo die Opfer gebracht wurden und die grossen religiösen Ceremo-
nieo statt hatten, die von dem Volke auf den Sitzen des Amphitheaters
angeschaut wurden.
An dem Sockel mehrerer Gebäude erblickte man viele Ueberreate
schöner Sculptureo verschiedener Art, namentlich Reiben Bittender mensch-
licher Figuren mit kreuzweise übereinander geschlagenen Beinen, in rei-
ther Kleidung, mit grossen Kopfbinden und Federn, mancherlei Gegen-
stande in den Händen haltend , und ferner viele colosaale Thierköpfe, die
Affen ähnlich waren. Von diesen Sculpturen sagt Stephens : „some have
6*
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84 Stephens und Ca ihcrwood: Ueber Centrai-Amerika.
roore elegant designs, and somo in workmanship are eqoal to the finest
monuments of tbe Egyptians." Auf diese Aassage dürfen wir ein um so
grösseres Gewicht legen, indem er Aegypten bereist, und sich mit den
Monumenten dieses Wanderlandes bekannt gemacht hat.
Zu den merkwürdigsten Monumenten Copans gehören 12 bis 20 Fuss
hohe, vierseitige, aas einem Stein bestehende Säulen, welche man an meh-
reren Stollen zwischen den Gebäuden aufgerichtet fand, und von denen
Abbildungen beigefügt sind. Auf der vorderen Seite der Monolithen ist
die Figur eines Mannes oder Weibes in erhabener Arbeit dargestellt, in
reicher Meidung, mit mancherlei Schmuck und Verzierungen überladen.
Die Männer haben grosse und hohe, sonderbar geformte Diademe, Brost-
platten, reich verzierte Gürtel und Armbänder, uod die nackten, mit Knie-
bändern umwundenen Beine sind mit schön geschmückten Sandalen beklei-
det , welche den Mocasins der Indianer gleichen. Die weiblichen Figuren
tragen kurze Roben , und der Hals und die Vorderarme sind mit grossen
Perlschnüren verziert. Diese Figuren stellen unverkennbar fürstliche Per-
sonen, Könige oder Helden dar. Die beiden Seiteu und die hintere Fläche
der viereckigen monolithen Säulen sind ganz mit Hieroglyphen in den ver-
schiedensten Figuren bedeckt, welche wahrscheinlich Nachricht über die
Thaten und Schicksale der mysteriösen Personen geben. Vor oder in der
Nähe der Säulen belinden sich noch grosse, gleichfalls aus einem Steine
bestehende, mit mancherlei Ornamenten und hieroglyphischen Figuren be-
deckte Altäre. Diese, so wie die Säulen zeigten Spuren von rolher Farbe,
mit der sie bemalt waren.
In einiger Entfernung von obigen Gebäuden des grossen Tempels,
mitten im Walde, stiess Stephens auf steinerne, in Absätzen aufgeführte
Wälle, an denen sich Reihen von Sitzen befanden. Sie sch Ii essen einen
grossen Raum ein, auf denen ebenfalls viele hohe vierseitige Monolithen
mit den Figuren von Königen oder Helden aufgestellt find. Drei Seiten
derselben sind mit Tafeln und Schilden von Hieroglyphen bedeckt Die
Säulen stehen grossen Theils noch aufrecht, mehrere sind niedergefallen
oder eingesunken, andere sind zerbrochen uud mit Bäumen and Wurzeln
dicht Uberwachsen. Von vielen derselben sind Abbildungen gegeben.
Stephens sagt von ihnen: ..In workmanship they are equal to the finest
Egyptian aculpture. In dead it wood be impossible , with tbe best instru-
menta of modern times, to cut stones more perfecUy." Vor den Statuen
sind reich verzierte, mit Hieroglyphen bedeckte steinerne Altäre aufge-
führt. Sehr beaebtungswerth ist, dass sowohl die Köpfe aller Figuren, ab
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Stephens und Catherwood: Ueber Ccntral-Amcrika.
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die Charaktere der amerikanischen Menschen - Rasse teilen, woraus sich
ergiebt, dass die alten Bauwerke Copan's nicht etwa von einem einge-
wanderten Volke der caucasüischen oder mongolischen Rasse aufgeführt
worden sind, worauf wir spötor zurückkommen werden.
Stephens schliesst die Beschreibung der merkwürdigen Rainen mit
folgenden Worten: „Of the moral effect of the monuments themselves,
standing as they do in the dephtes of tropical forest, silent and solemn,
stränge in designe, excellent in sculpture, rieh in Ornament, different fron
the worka of any other people, their uses and parposes, their whole
hislory so eetirely unknown, witä hieroglyphes explaining all, but per-
fectly unintelligible, I shall not pretend to convey any idea. Orten tbe
Imagination was peined in gazing at them. The tone which prevades tbe
rains is tbat of deep solemnity. An imaginative mind migbt be infected
with snperstitious feelings. We regarded the solemn mcmorials as Idols,
deified kings and beroes, objects of adoration and ceremonial worship."
Refer. fügt nun die Nachrichten über Copan bei , welche er aus den
alteren Schriften spanischer Autoren entnommen hat. Franc, de Fuenles.
der Geschichtschreiber Guatemalas, gedenkt eines Orts dieses Namens, der
ia der alten Provinz Cbiqoimula de Sierras lag, und von Indianern des
Stamms des Chontales bewohnt wurde. Guatemala und Honduras wurden
bekanntlich im Jahr 1523 von dem grausamen Pedro de Alvarado unter
Strömen von Blul erobert und verheert, wie Oviedo (Historia de laslo-
das. Manuscript. Lib. 33. Cap. 44.} berichtet bat. In seinen Berichten au
Cortei schildert er jene Länder als sehr fruchtbar und volkreich. Auch
Diego de Godoi (Relation adressee a Ferdinand Cortez, in einem Briefe
rom 28. July 1524. in Ramusio T. 3 p. 247) gedenkt einer im Inneren
des Lands Tapalan , fünfzehn Tagereisen von der Stadt Guatemala gelege-
sehr bevölkerten Stadt , die grösser als Mexico sei , in der sich viele
bewunderungswürdige Gebäude (mornvillosos et grandes edifleios)
, welche aus behauenen Steinen und Kalk aufgeführt seien. Dies
war vielleicht die Stadt Copan. Im Jahre 1530 empörten sich die India-
ner and sachten das spanische Joch abzuwerfen. Hernando de Chaves
wurde abgesendet, den Aufstand zu unterdrücken. Unter den Cazikeo,
die den Aofsland angeregt und den hartnäckigsten Widerstand leisteten,
wird Copan Cabal genannt, der mit einem Heere von 30,000 Indianern
den Spaniern grossen Schaden zufügte. Chaves rückte endlich vor Copan,
welches die grössfe, bevölkertste und reichste Sladt der Provinz Honda*
ris war, und nahm es nach tapferer Gegenwehr mit Slarm , plünderte und
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86 Stephens und Calherwood: üeber Central- Amerika.
Die erste Nachricht Uber die in Rainen liegende Stadt Copan und
die in ihr befindlichen alten Bauwerke hat Palacios in seiner Beschreibung
Guatemalas gegeben, die er im Jahre 1576 an den König Philipp II.
sendete, welche lange als Hanuscript in einem Archive verborgen la*r.
Ternaux Compans hat sie ins französische übersetzt veröffentlicht (De-
scriplion de la Province de Guatemala cnvoyee au roi d'Espagne en 1576.
Paris 1840). Aus seinen Nachrichten über die alten Bauwerke heben wir
das Wichtigste heraus. „Wenn man, sagt Palacios, von Garcias a Dios
in die Provinz Honduras gelangt, so stösst man auf Chontal Indianer. Bei
der Ankunft auf dem Wege von San Pedro erblickt man im ersten Dorfe,
welches Copan heisst, die Ruinen prächtiger Gebäude, welche zeigen,
dass hier einst eine grosse Stadt stand, von der sich nicht annehmen
Insst, dass sie von den dort wohnenden rohen Indianern erbaut wurde. Sie
lag io einer fruchtbaren Ebene an den Ufern eines schönen Flusses, nnd
war von Mauern umgeben. Bei dem Besuch der Ruinen stiegen wir zu-
nüchst auf grosse Bäume, die von Menschenhänden gepflanzt zu sein schie-
nen, und auf dicke Mauern, vor denen ein aus Stein gehauener colossaler
Adler aufgeführt war. Auf seiner Brust hatte er ein eingegrabenes Vier-
eck mit unbekannten Charactercn. Bei weiterer Annäherung erblickten
wir eine grosse steinerne Figur, von dem die uns begleitenden alten In-
dianer aussagten, es sei der Wächter des Heiligthums gewesen. Von die-
sem stammt wohl der colossale Kopf her, den Stephens abgebildet hat.
Ferner sahen wir, fährt Palacios fort, ein drei Ellen hohes steinernes
Kreuz, von dem ein Querbalken abgebrochen war. Nach dem Eintritt in
das Innere der grossen, in Ruinen liegenden Gebäude, welche ans schön
behauenen und reich verzierten Steinen aufgeführt sind, fanden wir eine
grosse, mehr als vier Varas hohe Statue, die einem Bischoff mit einer
Mitra ähnlich ist. Nahe dabei ist ein grosser Platz, der von vielen Rei-
hen steinerner Sitzen umgeben ist, und einem Theater gleicht. An eini-
gen Stellen zählten wir achtzig Reihen von Sitzen. Auf diesem Platz sind
sechs grosse Statuen aufgestellt, drei von Männern mit reich verzierten
Rüstungen, Waffen, und Bändern an den Beinen, und drei von Frauen
mit langen Roben. Es scheint , dass diese Statuen Idole darstellen , denn
vor jeder befindet sich ein grosser steinerner Opfer-Altar, mit einer Rinne
zum Abfluss des Blutes. Auch sieht man noch andere Altäre, die wahr-
scheinlich zom Verbrennen von wohlriechenden Harzen dienten. Mitten
auf dem Platt befindet sich ein aus Steinen gebildetes Bassin. Nachdem
wir diesen Platz überschritten hatten, stiessen wir auf eine grosse Pyra-
mide, zn deren Spitze viele Stufen führen. Auf dieser hatten wohl die
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Stephens und Catherwood: üeber CeMral-Amcrika. 87
gross« religiösen Feierlichkeilen slatt. Seitlich liegt eine grosse hohe
Terrasse, welche den am Fusse fliessenden Strom beherrscht, N dem eine
in den Felsen gehauene Treppe biaabfUhrt. In Copan befinden »ich noch
viele andere merkwürdige Alterthttmer, welche beweisen, dass das Land
einst von einer zahlreichen civilisirlen Bevölkerung bewohnt war, die in
den Kauften grosse Fortschrilto gemacht hatte. Vergeblich haben wir uns
auf alle Weise bemüht, bei den Indianern Nachrichten über die Erbauer
jener Bauwerke einzuziehen. Dai nur haben wir von Greisen erfahren,
dass die Gebäude von einem mächtigen Herrscher aufgeführt wurden, der
aosYacalan gekommen war. Diess ist um so wahrscheinlicher, als nach
alten Sagen die Provinzen von Ayatal, Lacandon, Verapaz, Chiquiroula
uod Copan von den Bewohnern Yucalons erobert wurden. Es scheint auch,
dass die Monumente gauz denen ähnlich sind, welche die Spanier bei der
Eroberung in diesem Lande vorfanden."
Der Ruinen Copans haben ferner die beiden Geschiohtschreiber Guaw
temalas, Francisco de Fuentes und Juorros (Compendio de la historia de
Guatemala) gedacht. Jener besuchte sie im Jahr 1700, und beschrieb
die im Circus aufgestellten männlichen und weiblichen Figuren, deren
Sculptur er bewundert, welche mit rolher Farbe bemalt waren. Zn dem
Circus führte ein grosses steinernes Portal, an dem grosse Figuren stan-
den. Im Jahre 1836 endlich befand sich der Obrist Galindo zu Copan,
der zur Untersuchung der Ruiuen von der Regierung zu Guatemala abge-
seadet war. Seine Nachrichten , welche im Wesentlichen mit denen der
ilteren spanischen Geschicbtschreiber und denen von Stephens tiberein-
stimmen, finden sich in den Schriften der geographischen Gesellschaft zu
Paris und in der Lilerary Gazette von London. Er war so glücklich, ein
altes Grabgewölb zu entdecken, in dem Gefüsse aus gebrannter rother
Erde mit Resten von Knochen standen. In einem derselben befand sich
ein Schm^ragd mit einem eingeschnittenen schönen Kopf.
Von Copan aus reiste Stephens über eine hohe Sierra nach der
Stadt Esquipulas und Uber das Gebirg Quezaltepec nach Guatemala , der
Hauptstadt der Republik von Central- Amerika. Hier hatte er diploma-
tische Verhandlungen mit Carrera, der sich im Bürgerkrieg zum Dictator
aufgeworfen bat. Dann unternahm er eine Reise zu den Vulkanen Agua,
lealeo u. a., und besuchte die Liinder Antiqua, Nicaragua, Costn Rica und
die Koste der Südsee. Bei seiner Rückkunft erhielt er die Kunde von den
westlich von Guatemala in einem Walde liegenden Ruinen der alten Stadt
Quirnga, welche er zu besuchen beschloss. In der Naho des Dorfs En*
eaentros am Fluss Motagua gelangte er in einen hohen Wald von Codern
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88 Stephens tmd Catherwood: üeber Centrai-Amerika.
und Mahagoni - Bäumen , in dem er zunächst auf eine gegen 20 Fuss höbe,
und 5'/2 Fast breite, aus einem Stein bestehende vierseitige Säule sliess.
An der vorderen Fläche war eine sehr wohl erhaltene und reich vereierte
colossale männliche Figur, und auf der Rückseite eine weibliche Figur
ansgehauen. Die Seitenflächen waren mit Hieroglyphen bedeckt, welche
denen von Copan glichen. In der Nähe stand eine zweite ähnliche, 23 Fuss
hohe monolithe Säule, und nicht weit davon ein 26 Fuss hoher Obelisk,
an dem eingehauene menschliche Figuren und Hieroglyphen zu erkennen
waren. Ausserdem wurden im Walde noch mehrere, theils aufrecht ste-
hende, theils niedergefallene, mit Moos bewachsene Säulen gefunden, vor
denen Altäre standen. Eine auf einer Erhöhung aufgeführte Slule war
von einem kreisförmigen Steinwall umgeben. Ausserdem erblickte man die
Ueberreste vieler in Ruinen liegender alten Bauwerke, die denselben Cha-
rakter, wie die zu Copan hatten, nur waren sie mehr zerstört und schie-
nen älter zu sein.
Stephens setzte nun seine Reise in nördlicher Richtung zu dem am
westlichen Abhang der Cordilleren liegenden, von hohen Felsenwänden
eingeschlossenen See Atttlan fort. An diesem wohnteu einst, wieJuarros
berichtet, die tapferen Indianer -Stämme der Zutugiles, die von mehreren
Caziken beherrscht wurden. Ihre Hauptstadt, Santiago d'Atillan, oder
Atziquinixal, was in der Quiche - Sprache Haus des Adlers bedeutet, lag
auf einem hohen Felsen. Sie wurde so genannt, weil der daselbst reai-
dirende Cazike, wenn er in den Krieg zog, einen aus den Federn des
Vogels Quetzal gefertigten grossen Adler trug. Im Jahr 1524 wurde
die Stadt von Pedro de Alvarado unter grossen Grausamkeiten erobert
und zerstört, wie ein Augenzeuge, Don Diaz de Castilo, berichtet. Die
dem spanischen Joche unterworfenen und hart bedrückten Caziken rich-
teten im Jahre 1571 eine Besch werdescbrift an den König Philipp IL,
welche Ternaux Compans herausgegeben hat. (Requete de plusieurs chefs
Indiens d'Atitlan. Paris 1838).
Unsere Reisenden uberstiegen hierauf die hohen Gebirgsrücken der
Cordilleren, um die an deren östlichem Abhänge unter dem 16. Grad
nördlicher Breite liegenden Ruinen von Santa Cruz del Ouiche zu besu-
chen, in deren Nähe sich das Stadtchen Santo Thomas befindet. Hier
stand einst die grosse und reiche Stadt Ulatlan, die Residenz der mäch-
tigen Köuige von Quiche' und Kachiquel, welche von den aus Mexico
eingewanderten Tolteken abstammten. Nach der Angabe von Don Fer-
dinando de Alva Ixtlilxochitl, einem Nachkommen der Könige von Tezcuco
(Histoire des Chichemeques , herausgegeben von Ternaux Compans), war
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Stephens und Calherwood: Ueber Central-Ameriks. 89
TopilttiQ der neunte und letzte König des toll eki sehen Reichs, welcher
nach unglücklich geführten Kriegen, und nach eingetretenem Miss wachs,
grosser Hnngersnotb und verheerenden Seuchen, welche den grössten Theil
der Bevölkerung weggerafft hatten, die Ueberreste der Tolle ken tua
Mexico wegfahrte. Dicss geschah gegen das Ende des sehnten Jahrhun-
derts. Sie zogen in südliche Länder, nach Tehuantepec , Guatemala und
Nicaragua. Fucntes und Junrros , die Geschicbtschreiber Guatemalas , be—
richten, dass die eingewanderten Tolteken daselbst die Reiche Utatlan,
Ouiche und Kachiquel gründeten, welche von den Spaniern unter Alva-
rado erobert nnd verheert wurden. Nach einem von Gonzalo Fernanden
de Oviedo y Veldes verfassten Manuscript (Histoire de Nigaragua, von
Ternaux Compans herausgegeben) bestand auch in Nicaragua ein von den
Tolteken errichtetes Reich. Die Bewohner redeten die Chorotega, Chon-
tal und mexikanische Sprache, und hatten aus Pergament bestehende zu-
sammengefaltete Bücher, deren Bilderzeichen mit rother und schwarzer
Farbe gemalt waren. Neuerlichst hat Squire, der Botschafter der Ver-
einigten Staaten (Bulletin de In Societc de Geographie Sixsieme Serie.
T. 13 p. 232) auf der, im See Nicaragua liegenden kleinen vulkanischen
Insel Pensacola Ueberreste von Teocallis und in Stein gehauene mexicani-
sche Götzen gefunden.
Die Reisenden Ubernachteten in der Nähe der Ruinen der alten Stadt
Utatlan, in einem sehr ärmlichen Kloster der Dominikaner, welches von
Alrarado gegründet ist, um vom Himmel die Vergebung seiner begange-
nen Sünden zu erflehen. Das elende Kloster bildete in seinem verfallenen
Znstande einen grellen Gegensatz zn den Ueberresten der ehemaligen
prächtigen Hauptstadt eines untergegangenen mächtigen Königreichs. Wenn
wir den Nachrichten des Chronisten Fuentes Glauben schenken dürfen, so
unterwarf sich der Sohn des in der Schlacht gegen Alvarado gefallenen
letzten Königs Tacumuman, dem Sieger, dem er reiche Geschenke an
Gold und Edelsteinen sendete. Zugleich bat er ihn in die Stadt Utatlan
zn kommen. Da Alvarado die Stadt sehr gross und volkreich fand und
Verrath fürchtete, so verliess er sie schnell wieder, und verlangte die
Unterhandlungen im spanischen Lager fortzusetzen. Den unglücklichen
Prinzen, der im Lager erschien, Hess der grausame spanische Feldherr
sogleich aufknüpfen, unter dem Vorwand, der Prinz habe einen Aufstand
beabsichtigt. Im Jahre 1524 nahm der Wütherich die auf einem Berg
liegende, sehr feste Stadt, zu der nur zwei schmale Zugänge führten, mit
Sturm ein, metzelte die Bewohner nieder, und plünderte und zerstörte die
Stadt. In seinem Berichte an Cortez (Lettre a Ferdinand Cortez le
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90 Stephen« und Calherwood: Ueber Ccniral-Amerika.
11 Avri! 1824, in Kamusio T. 3 p. 247) schreibt Alvarado : La viilc
L'tatlan est tres forte, on n'y penetre que par deux eulrees, Fun par
uii escalier de plus de trente nierche de pierres, tres eleve, Fautre par
ime route faite de ntain d'homme et pave. Von den Grausamkeiten,
welche die Spanier bei der Eroberung der Stadt begiengen , hat der Bi-
schof} Las Casas mit grossem Abscheu geredet. Zur Zeit, da Fuentes
Ulatlan besuchte , waren viele Gebäude noch erhalteo. Die am Berge lie-
gende Stadt war von einem tiefen Abgrunde umgeben, der einen natür-
lichen Graben bildete, und über den nur zwei schmale Wege führten.
Die auf der Spitze des Berges liegende Festung mit dem königlichen Pal-
last war ein prächtiges Gebäude. Torquemada sagt, es sei grösser ge-
wesen, als der Pailast Montezumas zu Mexico. Es halte die Gestalt eines
lauglichen Vierecks, welches 728 Fuss lang und 340 Schritte breit war.
E* war ganz aus behaueuen Steinen in verschiedenen Farben erbaut, und
bestand aus sechs grossen Abtheilungen. In ihm befanden sich ehemals
die Caserne für die königliche Leibwache, die Gemächer des Königs mit
dem grossen Thronsaale, die Wohnungen für die Königin , die königliche
Familie und die Concubinen. Ausserdem enthielt es die Schatzkammer
und den Gerichtshof. In den Umgebungen des Pallastes sollen sich grosse
Garteuanlagen mit Bädern und Behältern für Thiere befunden haben. Die
Stadt soll auch ein grosses Seminar enthalten haben , in dem einige tau-
send Kinder auf Kosten des Königs erzogen wurden. Kurz, die alte Stadt
Utatlan scheint in Grösse, Pracht und Reichthum die Stadt Mexico über-
troffen zu haben
Im Jahre 1834 sendete die Regierung von Guatemala eine Com-
mission unter Miquel Rivera nach Utatlan , um die alten Bauwerke zu un-
tersuchen, die sich aber vorzuglich mit Schatzgraben beschäftigte. Beim
Suchen nach Gold wurden die alten Bauwerke grossen Theils zerstört.
Stephens fand sehr ausgedehnte Ruinen, welche sich in drei Absätzen
Uber einander an einem kegelförmigen Berge erhoben. Die Gebäude be-
ateben aus behanenen, durch Mörtel verbundenen grossen Steinen. Von
der auf der Spitze des Bergs gelegenen Festung und dem Pallaste des
Königs ist nur noch ein Thurm und eine Opfer- Pyramide vorhanden.
Ueber das Innere vieler Gegenden Guatemalas, Chiapas und Hon-
duras ist noch immer viel Dunkel verbreitet. Von dem Cura des Orts
Santo Thomas erfuhr Stephens , dass Sagen bestehen , in entlegenen Thä-
lern der Gebirgsketten seien noch alte Städte freier Indianer vorhanden,
welche ihre Unabhängigkeit und alte livilisation erhalten hatten. Die Ein-
wohner, welche die Maya Sprache reden, hätten bis jetzt das Eindringen
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Stephens und Catherwood: lieber Central-Araerika. 91
der Spanier und jedes Weissen verhindert. Diese Nachricht, so unwahr-
scheinlich sie erscheint, kann aber doch wahr sein. So erzahlt Baron
Friedrichsthal , der bei seinen Reisen in jenen Ländern auch der Ruinen
Tieler alter Bauwerke gedacht htit (Bulletin de la Societe de Geographie
Juil. Aout 1839, Juil. 1640), dass in den Archiven der Stadt Cartbago
ii der Provinz Costarica die Berichte von Missionären aufbewahrt worden,
denen zufolge in der Provias Telamauca noch im Jahre 1650 eine Stadt
der Indianer bestanden habe, die 16,000 Krieger zählte. Es ist gar wohl
möglich, dass im Inneren dieser grossen, und so wenig durchforschten
Länder noch einzelne Ortschaften sich finden, welche nie mit Europaern
Verkehr halten, deren Einwohner ihre alten Gebräuche beibehalten haben,
uad die vielleicht bei der letzten Empörung unter Carrera ihre* alten Hechte
geltend zu machen suchten.
Stepbens setzte von Utatian nus seine Reise Uber hoho Gebirge nach
Qaezaltenanco fort, und besuchte die in der Nähe liegenden Ruinen der
alten, einst sehr volkreichen Stadt, welche gleichfalls von Alvarado er-
obert und zerstört wurde. Von ihr sind nur noch zwei grosse pyrami-
denförmige Gebäude übrig, welche Spuren von Stucco und alten Ma-
lereien tragen. An dem Fusse des einen Gebäudes entdeckte man ein
Gewölbe, worin aus Terra Cotta gebildete Gefaase mit Knochen enthalten
waren. Stephens überstieg hierauf die hohe Sierra Madre, auf der sich
mehrere Vulkane, darunter der Tnjamulco, und einige Seen befinden, und
gelangte Uber den Rio Lagartos nach der Stadt San Domingo Comitlan in
der Provinz Cbiapas. In geringer Entfernung von hier liegt das von ho-
hen Bergen umgebene Dorf Ocozingo, von Chontales Indianern bewohnt.
In seiner Nahe erblickte man auf einer Anhöhe die Ruinen einer alten
Festung, die in füuf Terrassen aufgeführt ist. Auf der Spitze steht ein
50 Fuss langes and 35 Fuss breites Gebende, und in diesem fand man
mehrere Gemächer, deren Wände mit Stucco bekleidet waren. Auf die-
sem sind viele männliche und weibliche Figuren abgebildet. Iu der Um-
gebung befinden sich ferner noch die Ueberreste mehrerer Pyramiden und
vieler grosser Gebäude. Die Ruinen bei Ocozingo hält man für die üeber-
bleibsel der alten Stadt Tulha.
Von Ocozingo aus erreichte Stephens in fünf Tagen, nach einer
höchst beschwerlichen Reise über steile und rauhe Gebirge und durch tiefe
Thäler, in denen sich nur einige elende, von rohen Indianern bewohnte
Dörfer befinden, das Dorf 8t. Domingo de Palenqne. Es liegt im Di-
stride Carmen, der Provinz Ciudad Real de Cbiapas (unter dem 17. Grad
nördlicher BreilcJ, und ist von Indianern der Nation der Chontales oder
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92 Stephen* und Catherwood: Ucber Central- Amerika.
Tzendales bewohnt, in deren Besitz es nach Eroberung des Landes durch
die Spanier geblieben ist. Erst im Jahre 1700 kam ein spanischer Mis-
sionär dahin. Hier machte Stephens seine Zubereitungen zu den Unter-
suchungen der in westlicher Richtung liegenden und acht englische Mei-
len entfernten, in einem Walde verborgenen merkwürdigen Ruinen, deren
kein älterer spanischer Schriftsteller gedacht hat. Erst um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts wurden die alten Bauwerke, welche den Indianern
lingst unter dem Namen Casas de piedra bekannt waren, von einigen
verirrten spanischen Reisenden besucht. Die Nachrichten , welche sie Ober
dieselben nach Mexico brachten, erregten solches Aufsehen , dass die Auf-
merksamkeit der Regierung auf sie gelenkt wurde. Im Jahre 1786 wurde
der Capitfin Antonio del Rio mit der Untersuchung der Ruinen beauftragt,
der im folgenden Jahre durch einige hundert Indianer den Wald räumen
Hess, in dem sie versteckt lagen. Er fand noch 14 bis 15 Gebäude,
von denen er eine oberflächliche Beschreibung mit einigen rohen Abbil-
dungen an Don Josua Estacharia, den damaligen Gouverneur von Guate-
mala, sendete. Diese wichtigen Entdeckungen veranlassten den gelehrten
Doctor Paul Felix Cabrera Untersuchungen über die alte Geschichte Ceo-
tral-Amerikas und seine erste Bevölkerung anzustellen, welche er im Thea-
tro critico Americano veröffentlicht hat.
Im Jahre 1820, nach dem Ausbruche der Revolution in Mexico,
erhielt der in der Stadt Neu-Guatemala wohnende englische Resident die
Kunde von dem im Archive aufbewahrten Berichte del Rio\», von dem er
sich eine Copie tu verschaffen wusste, die er mit Abbildungen noch Lon-
don sendete, welche Berthoud ins Englische übersetzte und im Jahre 1822
unter folgendem Titel bekannt machte: Description of an ancient City,
discovereJ near Palenqud, in the Kingdom of Guatiroala; translated from
the Mannscript Report of Capitain Don Antonio del Rio ; followcd by Tea-
tro Critico Americano, or a critical investigation and research into the
History of the Americans by Doctor Felix Cabrera. Im Jahre 1823 er-
schien eine deutsche Uebersetzung, unter dem Titel: Huehuetlapallan,
Amerikas grosse Urstadt, nen entdeckt vom Capitön Don Antonio del Rio,
und als eine phönicisch-kananäische und Carthagische Pflanzenstadt erwie-
sen von Dr. P. F. Cabrera. Meiningen 1823.
In den Jahren 1805—1807 wurde auf Befehl des Königs Karl IV.
abermals eine Commission mit der Untersuchung der alten Bauwerke Pa-
lenque"s beauftragt, an deren Spitze der Capitän Dupaix stand, der sich
dabin mit dem Maler Castanada begab, welcher die Ruinen mit grosser
Genauigkeit aufnahm. Da während der Zeit Spanien von den Franzosen
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Stephens und Catherwood: Ucber Centrai-Amerika. 03
besetzt wurde, so blieben der Bericht und die Zeichnungen , welche nach
Madrid gesendet werden sollten, in der Douanc zu Veracruz liegen, und
wurden spater nach Mexico gebracht, wo sie im Museum für Naturge-
schichte aufbewahrt wurden. Hier wurden sie zufällig im Jahre 1828 von
Baradere entdeckt, der von der Regierung eine Abschrift des Berichts von
Dupaix mit den Abbildungen erhielt, dnter der Bedingung, sie in Paris
herauszugeben. Diess geschah in dem Werke: Antiquitcs Mezicaines,
ouvrage contenant les trois Voyages de Dupaix, traduits et annotes par
Chr. Farcy, welches im Jahre 1834 zu Paris erschien, mit Anmerkungen
von Lenoir, Warden, Baradere und St. Priest. Was Lord Kingshorough
in seinem Prachtwerk, Antiquities of Mexico Uber Palenque mittheilt, ist
aas obigem Werke entnommen. Seit jener Zeit haben auch der Obrist
Gaiindo, Dr. Corry, Franck, Nebel und Waldeck einige Nachrichten über
Palenque gegeben.
Refer. wird versuchen, einen gedrängten Auszug aus Stephens Be-
schreibungen der merkwürdigen Beinen mitzutheilen. Wenn man vom
Dorfe Palenque aus seinen Weg in sudwestlicher Richtung zu dem hoben
Gebirgs-Plateau nimmt, auf dem sich die grossartigen Bauwerke majestä-
tisch erheben, so kommt man nach zwei Stunden zu dem kleinen Fluss
Micol , der von Westen kommend sich mit dem Flusse Tulija verbindet,
welcher seinen Lauf nach Tabasco nimmt. Nach dem Uebersch reiten jenes
Flusses fangt das Gebirg an sich zu erheben, und man sieht bald in
einem dichten Walde an dem Bache Otolun grosse Haufen von Trümmer
alter Bauwerke, welche eine halbe Stunde lang den Weg sehr beschwer-
lich machen. So wie man die steile Anhöhe erstiegen hat, erblickt man
die grosse Fa^ade des auf einem gewaltigen pyramidalen Unterbau ruhen-
den Hauptgebäudes, mit seinem hohen viereckigen Thurm, welches die
Indianer den Pallast nennen. Der aus drei Absätzen bestehende Unterbau
stellt ein längliches Viereck dar, welches 310 Fuss lang, 260 Fuss breit
and gegen 60 Fuss hoch ist. Er ist ganz aus behauenen , durch Mörtel
verbundenen Steinen aufgeführt. In seiner Mitte befindet sich eine sehr
breite Treppe. Der mit der Fa<jade nach Osten gerichtete Pallast ist
228 Fuss lang, 180 Fuss. breit und 25 Fuss hoch. Ringsum läuft eine
schöne, vorspringende, aus behauenen Steinen gebildete breite Kranzleiste.
Die ganze Facade war einst mit Stucco bekleidet und bemalt. .
An der Fronte des Gebäudes befinden sich vierzehn Eingänge,
welche von de/ Terrasse aus ins Innere führen , und gegen 9 Fuss breit
sind. Einige, so wie die rechte Boke des Gebäudes sind niedergefallen.
Die P/eiler zwischen den Eingangen sind mit schön gearbeiteten halb er-
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94 Stephens und Catherwood: Uebcr Central-Amerika.
habenen menschlichen Figoren in Lebensgrösse verziert, von einem rei-
chen Rahmen eingefasst. Ueber denselben befinden sich Hieroglyphen.
-Auf einem Pfeiler, der noch sehr wohl erhallen ist, and von dem auch
del Rio (Tnf. Ii) eine Abbildung gegeben hal, erblicht man eine ste-
hende Figur, wie es scheint, ein Cazike, mit sehr zurückweichender Stirne
und künstlich verlängertem Schüdel. Diese künstliche Verunstaltung des
Kopfe» ist, was sehr Beachtung verdient, an allen Figuren zu Palenque
sehr deutlich zu erkennen, nnd dies* weist darauf hin, das* die allen
Bauwerke von einem Volke der amerikanischen Rasse aufgeführt worden
sind. Der Kopfputz der Figur besteht aus einem hohen , reich verzierten
Helm mit langen Büscheln von Federn. Das Antlitz ist ausgezeichnet
durch eine »enge, stark vortretende, gebogene Nase, und volle Lippen.
In den verlängerten Ohren befinden sich herabhängende Zierraiben. Anf
den Schultern ruht eine aus Schnüren von Perlen oder kleinen Kugeln
"bestehende Bedeckung. Der nackte linke Arm hält einen grossen reich
▼erzierten Stab, vielleicht eine Art Scepter. Um die Hüften hingt eine,
durch einen Gürtel befestigte Haut eines Panthers. Die Füsse sind mit
schönen Sandalen oder Mocassins bekleidet. Vor und hinter der stehen-
den Hanptfigur befinden sich sitzende nackte Fignren mit gekreuzten Bei-
nen, offenbar in bittender Stellung. Sehr auffallend ist der kleine , platt-
gedrückte Schädel der Figuren. Die stehende Figur scheint ein Fürst oder
Cazike zu sein, und die sitzenden Fignren stellen offenbar besiegte und
wir Unterwerfung gebrachte Völker dar. Ueberreste ähnlicher , nur mehr
verstörter Figuren wurden auf allen Thürpfeilern wahrgenommen. Der
Stucco, aus welchen die Fignren gebildet sind, ist sehr fest nnd hart
wie Stein. Er War mit rother, blauer, gelber, weisser und schwarzer
Farbe bemalt, von denen man i oberresle erkannte. Die grosse Terrasse
vor dem Pallaste muaste mit den Pfeilern und ihren schönen Figuren einen
sehr imposanten Anblick gewahrt beben.
Der Pallast ist an allen Seiten von einem äusseren und inneren
Corririor umgeben , dessen Wände aus Cemeat bestehen , und die von einem
schrägen, aus grossen Steinplatten gebildetem Dach bedeckt sind. Er
scWiesst mehrere Hofraume in sich, von denen man in die Gemächer ge-
lengt. Wese enthalten keine Fenster-Oeftnungen , sondern, in der Höhe
erblickt man in den Mauern nur Oeffnungen, welche die Form eines um-
gekehrten Taus haben. Durch diese, bo wie durch die Touren, musste
*0es Lieft! lind die Luft den Zugang* in die Gemicuer Andern i. »• l.
• ' 1 Vtem Inneren Oorridor gelaugt man auf der Nords«* zu emn
länglich viereckigen grossen Hofraum, der 80 Foss lang und TO Fuss
»
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Stephens and Catherwood: Ueber Central- Amerika. 95
breit ist, und zu dem man auf einer breiten Treppe hinabsteigt. Reben
dieser sind zu beiden Seiten in grossen Steinplatten halb erhabene, 9 bis
10 Fuss hohe colossale Figuren in bittender Stellung eingegraben. Ihre
stark niedergedrückten Schädel sind mit Binden und Federn verziert, nnd
sie tragen lange Ohrgehänge und Halsbänder. Jener Treppe gegenüber
befindet sich eine andere, auf der man wieder zu einem Gebäude mit
zwei Corridors aufsteigt. Neben der Treppe sind Tafeln mit Hieroglyphe
sehen Figureu aufgerichtet. Vom inneren Corridor des Gebäudes führen
finf Eingänge in «inen zweiten kleineren Hofraum. Die zwischen ihnen
befindlichen Pfeiler sind reit ähnlichen Figuren in Stacco verziert , wie die
der Huuplfocade , denen sie in der künstlichen Verunstaltung des Kopfes,
den Helmen mit Federbüschen, den Ohrgehängen , Halsbändern, den Schür-
zen, Gürteln and Sandalen gleichen. Die Handlungen, welche sie dar-
stellen, beziehen sich offenbar auf Begebeuheiten aus der Geschichte der
ehemaligen Beherrscher Paleuque's. An der Westseite des Hofraums er-
blickt man drei Eingänge von Gemächern.
Im südlichen Theil des Pallastcs sind ebenfalls zwei von mehreren
Gebinden eingeschlossene Höfe enthalten. Auf dem grösseren Hof steht
ein viereckiger, pyramidaler Thurm, welcher 30 Fuss breit und 75 Fuss
koch ist. Er ist aus behanenen Steinen aufgeführt und hat mehrere Stock-
werke , die durch breite Karniefe getrennt sind. Die auf den Thurm füh-
rende Treppe hat auf allen vier Seiten Fenster - OelTnungen. Das oberste
Stockwerk ist eingefallen. Vom Hof , auf dem 4er Thurm sieht, gelangt
man gegen Osten durch zwei Einginge in ein langes schmales Gemach,
das mit Figuren in Stiicco verziert ist. Besonders zn beachten ist eine
in die Wand eingesetzte, vier Fuss hohe ovale Steinplatte, auf der zwei
schone Figuren dargestellt sind. Von ihr hat auch Del BSo eine Abla-
dung (Taf. 13) gegeben. Die Hauptfigur stellt ein nacktes Weib dar,
welchen mit unterschlagenen Beinen auf einem Thier mit Leopardenköpfen
sitzt, deren Halse mit Perlachnttren geschmückt sind. Die Haltung des
Weibes ist gefällig und rahig. Auf dem künstlich geformten Kopf trägt
es einen sonderbar gestalteten Schmuck, nnd in den Obren befinden sich
laoge Gehänge. Um den Hals ist eine Kette geschlungen, an dem ein
grosses Medaillon hängt, auf dem ein Antlitz mit Strahlen tu erkennen
ist, welches dem Bilde der Sonne gleicht. Der rechte Arm ist gegen
die Brost gebogen , nnd der linke Arm stützt sich anf den einen Schen-
kel. Die Handgelenke sind mit Armbändern geziert, die Fasse aber sind
nackt. Vor dieser Figur sitzt eine andere weibliche Figur mit gekreuz-
ten Beinen, deren Kopf ebenfalls künstlich geformt ist. Ausgezeichnet ist
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96 Stephens und Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
sie durch eine grosse, gebogene Nase. Sie ist mit einem Brusttuch, einem
breiten Gürtel und einer Robe bekleidet. Auf dem Kopfe trägt sie Pulz.
Mit beiden aufgerichteten Händen reicht sie der', auf dem doppelköpfigen
Leoparden oder Panther sitzenden Figur ein hohes, mit einem grossen
Strauss Federn geschmücktes Diadem. Oben an der Tafel befinden sich
zu beiden Seiten einige eingegrabene hieroglyphische Figuren, welche,
wie es scheint, die Namen bezeichnen. Vor dieser Tafel stand ein Altar,
der auf Del Rio** Abbildung dargestellt ist.
Es ist ferner noch ein kleiner Hofraum vorhanden, in dessen Um-
gebung sich viele Gemacher befinden, die aber in Ruinen liegen.
Stephens schliesst die Beschreibung des prächtigen Pallastes mit fol-
genden Worten: With the aid of tbe plan, the reader will be able to
find bis way through the rnined palace of Palenque; he will form some
idea of Ute profusion of its Ornaments, of their unique and striking che-
racter, and of their mournfull eflect, shrouded by trees; and perbaps
with him, as with us, faucy will present it as lt was before the band
of r uin had swept over it , perfect in its amplitude and rieb decorations,
and occupied by the stränge people whose portraits and figures dow
adorn its walls.
In der Umgegend des grossen Pallastes, die überall mit Schult und
Trümmern bedeckt ist, befinden sich noch mehrere, grossen Theiis mit
hohen Bäumen bewachsene, ziemlich wohl erhaltene pyramidenförmige
Bauwerke, auf deren abgeplatteten Spitzen Gebäude stehen, welche wahr-
scheinlich Teocallis oder Tempel waren. Ihre Lage ist auf dem Grund-
plan von Palenque angegeben. Die grösste Pyramide (Casa Nr. 1) stösst
an die sttd-wesiliche Ecke des Pallastes, und ist an der schiefen Fläche
gemesseu 110 Fuss hoch. Zu ihrer Spitzo führen auf allen vier Seiten
Stufen. Auf der abgeplatteten Spitze steht ein länglich viereckiges, 66
Fuss langes und 25 Fuss breites Gebäude, zu dem von der Plattform aus
fünf Eingange führen. Die ganze Facade und die Pfeiler zwischen den
Eingängen sind mit menschlichen Figuren in Stucco verziert, und an den
Enden der Facade sind grosse Tafeln mit Hieroglyphen eingesetzt. Auf
einem Pfeiler erblickt man ein Weib mit einem reichen Gürtel versiert,
welches ein nacktes Kiud trögt. Die Figuren der anderen Pfeiler haben
sehr gelitten, doch erkennt man noch die Ueberreste von Mausern in
reicher Kleidung, mit Gurtein, Helmen und Diademen, die mit grossen
Federbüschen geschmückt sind. . ,J
•,»-..:• \ > (Fortsetzung folgt.) • ■ V / ' ,
lr i tvfi ♦ ' y . • * .'. ./ .. ' . i* - , •• tili i i .1 ei L. - ; . . - • .1» . . It t
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kl HEIDELBERGER 1851.
URRBÜCHER DER LITERATUR.
Stephen» und rather w oo dt Leber Central- Amerika.
(Fortsetzung.)
Die die Figuren einfassenden Rahmen zeigen schöne Ornamente, and
über jeden sind Hieroglyphen befindlich. Die an dem Endpfeiler jeder
Seite eingesetzten grossen Tafeln sind ganz mit horizontal laufenden Rei-
ben von Hieroglyphen bedeckt, welche schätzbare Nachrichten und Auf-
schlösse enthalten mögen. Von einem schmalen Corridor aus gelangt man
durch drei Eingänge in drei gesonderte Gemficher. In der Mitte der Rück-
wand des mittleren grösseren Gemachs ist eine 13 Fuss lange nnd 8 Fuss
hohe Tafel eingelassen, welche ganz mit schönen Hieroglyphen bedeckt
ist. Dieser merkwürdigen Tafel hat weder Del Rio noch Dupaix gedacht.
Anf einer zweiten , 8us behauenen Steinen gebildeten Pyramide steht
ein 50 Fuss langes und 31 Fuss breites Gebäude (Casa Nr. 2), welches
ebenfalls drei Eingänge bat, nnd dessen Pfeiler auch mit Figuren inSlucco
▼entert sind. Im Inneren befindet sich ein Altar, Uber dem eine grosse
Tafel, an beiden Seiten mit Reihen von Hieroglyphen versehen, aufge-
richtet isl. Diese Tafel haben auch Del Rio (Tuf. VIII.) und Dupaix ab-
gebildet In der Mitte der Tafel erblickt man die Figur eines grossen,
reich vertierten Kreuzes, welches mit seinem Postament auf einem scheuss-
lichen Thierkopf ruht. Anf der Spitze des reich verzierten Kreuzes sitzt
ein grosser Vogel mit langem Schweif. Zu beiden Seiten des Kreuzes
steht eio Hann. Der Hann rechts ist stark und hoch gewachsen, hat
eine Art Bischoffsmütze auf dem Haupte, tragt grosse Ohrgehänge und
eine lange Schürze. Hit ausgestreckten Armen halt er gegen das Kreuz,
wie es scheint, ein auf einem Tuche liegendes kleines Kind. Der Mann
tinks ist klein und steht auf einem schön verzierten Postament, er bat ein
sonderbar geformtes Diadem und sehr reiche Kleidung. Jener scheint ein
Friesler, dieser ein Cazike oder Fürst zu sein. Auf der Tafel befinden
sieh noch mehrere hieroglyphische Zeichen. Neben dieser Pyramide fand
Stephens eine auf dein Boden liegende, 10 Fuss 6 Zoll hohe merkwür-
dige Statue eines Mannes , die einige Aehnlichkeit mit einem aegyptischen
Priester hatte.
Nicht weit von jener Pyramide befindet sich ferner eine dritte, auf
der ein 38 Fuss langes und 28 Fusa breites schönes Gebäude mit drei
XLIV. Jahrg. 1. Doppelheft. 7
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98 Stephens und Catherwood: Ucber Central- Amerika.
Eingängen steht. (Casa Nr. 3). Auf den zwei mittleren Thürpfeilern er-
blickt man zwei menschliche Figuren. Es hat ein reich verliert« brei-
tes Karnies, und Uber diesem noch einen Aufsatz mit verschiedenen Fi-
guren. Das Gebäude enthält ein mittleres grosses Gemach und zwei klei-
nere Settengemficher. An der Rückwand des mittleren Gemachs ist Uber
einem Altar eine grosse, aus drei Stücken bestehende steinerne Tafel
eingesetzt, deren weder Del Rio noch Dupaix gedacht hat. Stephens hat
sie neben dem Titel des zweiten Bandes, mit der Bezeichnung: To biet on *
the back Wall of Altar Casa Nr. 3 , abgebildet. Auf ihr sieht man wie-
der dieselben sehr schön ausgeführten Männer in aufrechter Stellung,
welche sich auf der Tafel mit dem Kreuze befinden, denen sie in den
Gesichtszügen uud in der Kleidung vollkommen gleichen, und die in der
Geschichte Palenques eine wichtige Rolle gespielt haben müssen. Beide *
stehen auf dem Rücken niedergebogener Männer, welche sich tuf die
Hände und Kniee stutzen. Der hochgewachsene Maon rechts halt mit *
beiden Händen ein Tuch, auf dem ein kleines, mit einem Diadem ge- 4
schmttcktes Kind aufrecht sitzt. Der kleine Mann links trägt mit beiden
Händen ein kleines bässliches Götzenbild. Zwischen beideu Figuren, am ,
Fusse der Tafel , sitzen zwei alte Männer mit gekreuzten Beinen, in ganz
gekrümmter Stellung, welche auf ihrem Rücken ein reich ornamentirtes
Gestell tragen. Auf diesem ruhen zwei gekreuzte Stäbe, an denen in
der Mitte ein Schild mit einer sebeusslichen Maske befestigt ist. Zu bei-
den Seiten jener grossen Tafel mit den Figeren ist noch eine Tafel mit ,
sechszebn Reihen von Hieroglyphen vorhanden. Unter diesen erblickt man
Menschen- und Thier -Köpfe, und Figuren der verschiedensten Art, deren
Bedeutung sich nicht errathea lässt. An den Pfeilern des Eingangs zum
mittleren Gemach standen noch Steinplatten mit menschlichen Figuren in
erhabener Arbeit, welche ausgebrochen und nach dem Dorfe Palenqne ge-
bracht worden sind, wo sie Stepbeos auffand. Die eine an der rechten
Seile, welche auch Del Rio abgebildet bat (Tafel X.), stellt einen sta-
benden alten Mann mit einer heim artigen Kopfbedeckung und einem gros-
sen Mantel dar, der ein Blase - Instrument im Monde bat. Die Figur
links, ebenfalls von Del Rio abgebildet (Tafel VII.), ist ein stehender
Mann mit einem grossen Helm und einem Federbusen t der die Figur eines
Vogels hat, welcher einen Fisch im Schnabel halt. Die Brust und die
Schultern sind von einer Brnstplatte bedeckt, in deren Milte man das
Bild der Sonne erkennt. Uebrigens trägt die Figur einen reichen Gürtel,
Armbänder und Sandalen. Dem Kopfe gegenüber sind Hieroglyphen ein-
gegraben. Südlich von der ersten grossen Pyramide, in einer Entfernung
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Stephens und Calberwood: Ueber Central- Amerika. 99
Yoa 1500 Fuss, steht an einem Bache, auf einem scbrolTeu Fe Ueii, noch
eioe 150 Fuss hohe Pyramide, auf deren abgestumpften Spitze ein zer-
fallenes 20 Fuss langes und 18 Fuss breites Gebäude ruht. De« Ein-
gänge gegenüber erblickt man eine in die Mauer eingesetzte grosse Tafel,
auf der eine männliche Figur, mit einem unterschlagenen Bein, auf einem
reich verzierten Polster sitzt. Der Polster liegt auf dem Kücken eines
Leoparden oder Panther, mit zwei Köpfen und vier t Füssen, der mit
Hals- «od Armbändern geschmückt ist, und eine Art Throne darstellt.
Del Rio hat davon bereits eine Abbildung gegeben (Tafel XII.). Der
Scbidel des Mannes weicht sehr zurück, nnd ist von einem kleinen Hein
mit Federbuseben und verschiedenen Zierrathen bedeckt. Die sehr stark
rortretende Nase ist sehr gekrümmt. Um den Hals ist eine Perlschnur
geschlungen. Von den mit Armbändern verzierten Armen ist der rechte
ausgestreckt, der linke aber gebogen, die Hand erhoben und der Zeige-
finger ausgestreckt. Der Oberleib ist nackt, und die Hüften sind von
einer faltenreichen und mit Fransen besetzten Schürze bedeckt. An den
nackten Schenkel sieht man Kaiebü nder und an den Füssen reich ver-
zierte Sandalen. Die Figur ruht auf dem rechten untergeschlagenen Bein,
während das linke Bein am Polster herabhangt und sich auf die Zehen »tlttzt.
Diese Figur zeichnet sich vor allen durch sehr correcte Zeichnung aus.
Diess sind die wichtigsten Ergebnisse der mehrere Wochen lang mit
grösstesn Fleisse und vielen Anstrengungen von Stephens angestellten Un-
tersuchungen der merkwürdigen Ruinen Palenques, welche Catherwood
durch eine sehr grosse Anzahl schöner Abbildungen erläutert hat. Am
Schlüsse tilgt er folgende Bemerkung bei: Wnat we bad before onr eyea
was grand , enrious and remarkable. Here were the reraaina of a colli—
rsted, polisned, and peculiar people, who had passed trough all the
stages incident to the rise and fall of naiions; reacbed tbeir golden age,
and perished entirely uoknowo. The links which connected them with the
human tamily were severed and lost, and these wäre the only memo-
rinls of tbeir footsteps upon eartb. We liwed in the ruined palace of
their kings; we went np to their desolate temples and fallen alters; and
itooff we moved we saw tbo evidences of their taste, their skill in
«rts, tbek wealtb and power.
In <ien Äwssartigen und prächtigen «Bauwerken Palenque's bat der
Gesolinfattiors^ier unleugbar die Houumeutc eines VnHei vor Augen, wei-
tes mit eimer Jkohwi Stufe der Cultur stand. Welches Volk diess aber
war, zu welcher Zeit es blühte, wann es die schönen Bauwerke auf-
diircb welche llande sio zerstört wurden, das ist gänzlich
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100 Stephens and Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
unbekannt und in tiefes Dunkel gehüllt. Könnte man die vielen im Paf-
laste und in den Tempeln angebrachten Figuren und Hieroglyphen deuten
und verstehen, die sich sicherlich auf seine Geschichte beziehen , dann
wären die Räthsel gelöst. So viel kann wohl als gewiss angesehen wer-
den, dass Palenquö bereits Hingst zerstört war, da die spaoischen Er-
oberer den Boden des neuen Continents betraten , indem keiner seiner ge-
dacht hat. Wäre es in der Zeit noch bewohnt gewesen, da Cortez im
Jahr 1524 seinen Eroberungszug von Mexico nach Honduras antrat, der
mit so grossen Beschwerden und Mühseligkeiten verbunden war, so würde
er gewiss nicht unterlassen haben Palenque" zu erobern und zu plündern.
Bei seinem Marsch am See Peten war er nur wenige Meilen von ihm
entfernt, da er im Dorfe Las Tres Croces sein Hauptquartier hatte, wo
er angeblich drei Kreuze aufrichten Hess. Damals scheint das Andenken
an Palenqoe selbst bei den Indianern schon ganz erloschen gewesen zu
sein. Ueber die alte Stadt und ihre Erbauer herrschen nur Muthmassun-
gen. Der gelehrte Dr. Cabrera glaubte in den Ruinen das alteHuehuet-
lapallan entdeckt zu haben, welches er für eine phönicische, cananüische
oder carthaginensische Pflanzstadt hielt. Andere meinten in denselben die
alte Stadt Culhuacan zu erkennen.
Am vierten Juny verliess Stephens mit seinem Begleiter das stille
und friedliche Dorf Palenqu6, naehdem der wackere Cura, der Alcade
und die gutmttthigen, freundlichen Indianer, Männer, Franen nnd Kinder,
unter Thränen herzlichen Abschied genommen und zur baldigen Wieder-
kehr eingeladen hatten. Die Reisenden schlugen den nächsten Weg durch
die Ebene nach dem gegen fünf Tagereisen entfernten Golf von Mexico
ein. Sie erreichten bald den Rio Chicho, auf dem sie in einem leichten
Canot in den grossen Fluss Usumasinta und die Lagunas de Termine« ge-
langten, an denen die Provinzen Tabasco, Cbiapas und Yucatan zusam-
menstossen. In der auf der Insel Carmen gelegenen Stadt Lagnna be-
stiegen sie eine nordamerikanische Brig, welche sie in wenigen Tagen
nach dem Hafen von Sisal führte, von wo sie sich sogleich nach Merida,
der Hauptstadt Yucataus, begaben.
Nach einem kurzen Aufenthalt daselbst fasste Stephens den Ent-
schluss, die Ruinen der 20 Leguas von Merida entfernten alten Stadt
Uxmal tu besuchen. Ihr früherer Name ist unbekannt, man hat ihr den
Namen Ouchmal beigelegt, was vergangene Zeit bedeutet Die alten Bau-
werke bat zuerst Cogolludo (Historie de Yucatan. Madrid 1688. Ltb. 4
Cap. 2) in der Mitte des siebenzebnten Jahrhunderte besucht. Er spricht
von ihnen mit Bewunderung, als von Werken vollendeter Baukünstler,
»
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Stephens and Catherwood: Ueber Centrai-Amerika. 101
deren Namen die Geschichte nicht aufbewahrt habe. Im Jahr 1835 ver-
weilte daselbst der Maler Friedrich von Waldeck, der auf Kosten seines
Gönners, des Lord Kingsborougb , eine Reise nach Mittel-Amerika unter-
nommen hatte. Seiner Absicht, die alten Monamente zu beschreiben und
abzubilden, widersetzte sich aber die Regierung, worüber er sich also
äussert: Malheur eusement ma lache n'a pu £tre acheve. Les obstacles in-
snrmontables, que le Gouvernement de la Republique Mexicaine a op-
poses a fexecntion de mes projets, nTont empeche de compleler mon
oeuvre d'investigation. Das unvollendete Werk erschien unter dem Titel:
Voyage pittoresque et archeologique dans la Province de Yucatan pen-
dsnt les ann.es 1834—36, dedie ä la Memoire de feu le Vicomle de
Kingsborougb. Paris 1838. gr. fol.
Die Ruinen der einst sehr grossen und volkreichen Stadt liegen in
einem weit oasgedehnten Walde, an der Westseite eines Bergabhangs,
vier Leguas von der Stadt Nohcacab entfernt. Seit anderthalb Jahrhun-
derten sind sie mit allen Ländereien der Umgegend im Besitze der Spa-
nischen Familie Peon , die sich in Yucatan niedergelassen und in der Nähe
eiae schöne Hacienda errichtet hat. Der Name der Stadt, die Erbauer
derselben, sowie die Zeit der Zerstörung ist den jetzigen Besitzern gänz-
lich unbekannt, und darüber habeo sich unter den Indianern selbst keine
Sagen erhalten. Wahrscheinlich war sie lange vor der Ankunft der
Spanier zerstört. Waldeck hielt sie ohne hinlänglichen Grund für die alte
Stadt Itzalane. In spanischen Urkunden werden die Ruinen Las Casas de
Piedra genannt
Mit aller Gastfreundschaft wurden die Reisenden von Don Simon de
Peon in seiner Hacienda aufgenommen und ihnen alle Hülfe bei der Un-
tersuchung der Ruinen zugesagt. Da der Wald seit Waldecks Besuch
grossen Tbeils abgeräumt war, so gewährten die vielen prächtigen Bau-
werke einen grossartigen Anblick, der die eifrigen Forscher mit Freude,
Staunen und Bewunderung erfüllte. Sogleich schritten sie zur Verferti-
gung eines Grundrisses, zu Ausmessungen und Zeichnungen. In Folge
der grossen Anstrengungen wurde aber Catherwood bald von einem hef-
tigen Fieber befallen, das ihn nöthigte seine Arbeiten einzustellen. Da
ihn das Fieber nicht verliess, seine Gesundheit auch durch die früheren
Strapatzen der Reise in einem heissen Lande erschüttert war, und der
Aufenthalt in der Hacienda bei der Nähe von stehendem Wasser in die-
ser Ukreneil ungesund war, so fassten sie, wiewohl ungern, den Ent-
schloss , ihre Untersuchungen aufzugeben und schnell nach Merida zurück-
zukehren. Ihr Vorsatz war, die Arbeiten unter günstigeren Verhältnissen
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102 Stephens und Catherwood: Ueber Central-Amerika.
wieder aufzunehmen. Sobald es der Zustand Calherwoods erlaubte, bc-
gaben sie sieh nach Sisal, wo sie eine Spanische Brig bestiegen und Ende
July wieder in New- York eintrafen.
Schon im nächsten Jahre kehrte Stephens, von Wisshcgierde ge-
trieben, mit Catherwood nach Yucatan, dem Lande der alten Denkmäler,
zurück. Es hatte sieh ihnen Doctor Cabot ans Boston, ein eifriger Or-
nithologe, angeschlossen, der die Vögel Yacatans kennen zu lernen
wünschte. Die sehr schätzbaren Forschungen der zweiten Reise sind in
dem anderen Werke enthalten, welches den Titel führt: Incidents of Tra-
vel in Yucatan, und das ebenfalls mit einer grossen Anzahl von Grund-
rissen und Zeichnungen ausgestaltet ist, wodurch die Beschreibungen ver-
ständlicher werden. Es wurden die grossartigen Leberreste von mehr als
vierzig, in Waldungen verborgen liegender alten Städte der Vorzeit mit
ihren Pyramiden, Tempeln und PaDästen besucht, welche Zeugniss able-
gen für die einst in diesem räthselhaften Lande lebende grosse Bevölke-
rung und den Grad einer früheren hohen Crvifisation, Ober welche die
Conquistadoren nur spärliche und ungenügende Nachrichten gegeben ha-
ben. Das Dasein der alten Denkmäler war selbst den meisten Bewoh-
nern Meridas unbekannt, und nur wenige spanische Geistliche hatten eine
oder die andere Ruine besucht. Die Zeit und die Elemente, und vor allen
die Hegengüsse der Tropen werden die völlige Zerstörung der merkwür-
digen Bauwerke bald herbeifahren , und nach wenigen Generationen wer-
den die schönen Facaden mit ihren prachtvollen Skulpturen und Orna-
menten von den Wurzeln mächtiger Büume Uberwachsen und zersprengt,
nnter Schutt und Trümmern vergraben liegen, noch ehe das Zeitalter, io
dem sie erbaut, und die Erbauer selbst erforscht sind. Zum lebhaftesten
Dank fühlen wir uns daher den eifrigen Forschern verpflichtet, dass sie
uns durch ihre, mit so grossen Entbehrungen und Anstrengungen ver-
bundene Reise die Kenntniss jener Monumente verschafft haben. Und ge-
wiss wird eine Zeit kommen, in der sie überraschende Aufschlüsse Ober
die so dunkle Geschichte des neuen Continents geben werden. Die bei-
gefügte Karte von Yucatan mit der Reiseroute und den Orten, an denen
sich Ruinen befinden , wird künftigen Forschern sehr willkommen sein.
Nach einem kurzen Aufenthalte zu Bierida , um die nuthigen Vor-
kehrungen zur Reise zu treffen, begab sich Stephens am 12. November
1840 nach Uxmal, um die Untersuchungen der Ruinen fortzusetzen,
welche im vorhergehenden Jahre durch die Krankheit CathcrwootTs un-
terbrochen wurden. Auf dem Wege dahin machten sie einen Abstecher
nach den Ruinen von Mayapan. welches einst die Hauptstadt des alten
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md Catherwood: Ueber Centrai-Amerika. 103
Landes Maya war. Diese liegen südöstlich acht Legaas von Merida ent-
fernt und nehmen eine grosse mit bobem Wald bewachsene Flache ein.
Der Major domo der in der Nähe befindlichen Hacienda, San Joaquin,
welcher den Fuhrer machte, sagte ans, dass die grosse alte Stadt ein-
stens von einer sehr dicken Mauer umgeben war, von der man noch jetzt
im Walde an vielen Stellen Ueberreste finde. Man gelaugte zunächst zu
einem 60 Fuss hohen, offenbar künstlich aufgeführten pyramidalen Hügel,
n dem auf vier Seiten 20 Fuss breite steinerne Treppen führten. Auf
der Spitze des Hügels befand sich eine aus behauenen Steinen gebildete
Plattform, welche 15 Fuss im Durchmesser hielt, und wahrscheinlich der
Opferplati war. Ueberall im Walde zerstreut lagen mit schönen Sculp-
turea verzierte Steine. Auf mehreren erkannte man Figuren von Men-
schen und Tbieren. Es fanden sich noch mehrere solcher Hügel und auf
einem stand ein rundes thurmartiges, steinernes Gebäude, welches 24 Fuss
Zu einem einzigeo Gemach führte eine Thüre. Das Innere
nr mit Slucco bekleidet, der mit rother, gelber, blauer und
Farbe bemalt war. An die Südseite des Gebindes stiess eine
Terrasse, auf der eine doppelte Reihe acht Fuss hoher Säuleo stand,
welche aus runden, 2i/2 Fuss im Durchmesser haltenden Steinen aufge-
i, die jedoch keine Cepitaler hatten. Nach der Untersuchung
n sieh die Reisenden nach der Hacienda von Uxtna!,
wo sie sogleich Leute und Lebensmittel tu den alten Bauwerken mit sich
nahmen , um in denselben längere Zeit zu verweilen. Sie fanden bald in
einem noch wohl erhaltenen Gebäude ein passendes Gemach , aus dem sie
durch ein angezündetes Feuer die Fledermäuse und Musquitos vertrieben,
und den Schutt wegräumten, so dass sie schon Abends die Hängematten
befestigen konnten. Eine alte Indianerin kam jeden Morgen von der Ha-
cienda, um Tortillas zu bereiten und das Kochen zu besorgen, und ein
Indianer - Knabe wurde ihr Diener. Am anderen Morgen begannen sie
die Arbeite«, und es wurde zuerst ein Siluations - Plan der Gebäude
Die sehr zahlreichen und grossartigen Bauwerke bestehen theils aus
Pyramiden, welche nus behauenen Steinen aufgeführt sind , und auf deren
Plattform Tempel oder Teocallts ruhen; theils sind es prachtvolle, auf ho-
hen Terrassen stehende Pallüste, mit den schönsten und reichsten Sculp-
tureo geziert. Ausserdem finden sich noch viele in der ganzen Umge-
gend, im Walde zerstreute Gebäude, deren Bestimmung sich nicht er-
auffein lies». Ans den auf einer grossen Fläche ausgebreiteten Bauwerken
man folgern, dass hier einst eine sehr volkreiche Stadt stand.
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104 Stephens und Calberwood: lieber Centrai-Amerika.
Refer. wird sich bemühen» in möglichster Kürze Nachrichten über die
wichtigsten Monumente mitzutheilen.
Das grösste und interessanteste Gebäude steht neben einer verfal-
lenen'Pyramide auf drei Uber einander liegenden Terrassen, die aus bc-
hauenen Steinen gebildet sind. Wahrscheinlich war es ein königlicher
Pallast. Man hat ihm den Namen Casa del Gobernador beigelegt. Von
seiner prachtvollen Fac.ade ist eine grosse Abbildung gegeben. Die un-
terste Terrasse, welche nur eine Höhe von 3 Fuss hat, ist 675 Fuss
lang und 15 Fuss breit. Die zweite Terrasse ist 20 Fuss hoch, 545 Fuss
lang und 250 Fuss breit. Die dritte Terrasse endlich, zu der man auf
einer sehr breiten Treppe aufsteigt, hat eine Höhe von 90 Fuss, ist 30
Fuss breit und 360 Fuss lang. Auf dieser steht der Pallast, ein läng-
lich viereckiges Gebäude, dessen Facade 322 Fuss lang ist. Er ist ganz
aus bebauenen Steinen aufgeführt und besteht nur aus einem Stock zu
ebener Erde mit einem gegen 15 Fuss hoben, aufs reichste verzierten
Karniess und einem Fries, welches um das ganze Gebäude läuft. Jeder
einzelne Stein des Kranzgesimses hat seine besonderen Ornamente, und
die Steine sind mosaikartig zu Greques, Arabesken, Mäandern und ver-
schiedenen anderen Figuren zusammengefügt und verbunden, so dass dos
ganze Karniess, wie sich Stepbens ausdrückt, a sculptered Mosaic dar-
stellt. Von der oberen Terrasse führen vorn eilf grosse Eingänge und
zwei an den Seiten in das Innere des Gebäudes , und zwar gleich in Ge-
mächer. Der mittlere Eingang ist der grösste und der am meisten durch
schöne Sculpturen verzierte, unter denen man auch bieroglyphische Figu-
ren erkannte. In grösseren Zwischenräumen sieht man aus den Karniess
hakenförmige, 1 Fuss 7 Zoll lange, ebenfalls verzierte Steine hervor-
treten. Fälschlich wähnte Waldeck darin Elephanten - Rüssel zu erkennen,
womit Stephens aber keine Aebnlichkeit fand. Refer. hält sie für blosse
Haken, welche bestimmt waren, die Stangen von grossen dachförmigen
Vorhängen oder Matten zu tragen, welche zeltartig ausgespannt, die Ein-
gänge beschatteten und das Eindringen der Sonnenstrahlen und des Regens
in die Gemächer verhinderten.
Der Pallast enthält zwei Reihen schmaler, länglich viereckiger Zim-
mer, von denen die beiden mittelsten, in welche der Haopteingang führt,
die geräumigsten sind. Jedes Zimmer der vorderen Reibe steht durch
eine schmale Thttre mit einem Zimmer der hinteren Reihe in Verbindung.
Erstere waren wohl die Wohnzimmer, letztere die Schlafzimmer. Die
Zahl aller Gemächer beträgt vier und zwanzig. Fenster - Oeffnungen sind
nirgends vorhanden , Licht uod Luft hatten daher nur durch die Eingänge
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Stepbeos und Cathcrwood: Ueber Ccntral-Amcrika. 105
Zatrilt, und diese wurden wohl in der Nacht durch Vorhänge geschlos-
sen. Die Gemacher sind hoch und die Decken laufen oben spitz oder
pyramidenartig zu. Sie sind nicht aus Holz gebildet, sondern sie beste-
ben aus grossen, horizontal gelegten und gegen einander vortretenden
behauenen Steinen, und stellen also keine bogenförmig gesprengte Ge-
wölbe dar. Holz fand sich nur hin und wieder an den ThUrschwellen,
und die» war meistens vermodert. An den glatten Wänden zeigten sieb,
noch deutliche Spuren verschiedener Farben, besonders häufig sah man
rotbe Abdrucke von Händen mit ausgespreizten Fingern. Auch erblickte
man in mehreren Gemächern Vertiefungen in den Wänden, in denen wohl
die Stangen zum Befestigen der Hängematten eingefügt waren. An der
Südseite des Pallastes befand sich eine 3 Fuss hohe und 15 Fuss breite
Terrasse, auf der man üeberreste von 18 Zoll dicken Säulen, ohne Fuss-
gestelle und Capitäler wahrnahm.
Beim Graben in einiger Entfernung von der Casa del Gobernador
fand man eine steinerne Figur, die ein monströses Thier darstellte, wel-
ches aus zwei im Körper verbundenen katzenartigen Tbieren besteht,
deren Köpfe nnd VorderfUise nach entgegengesetzten Seiten gerichtet
sind. Stephens sagt: It seems intended to represent a double beaded
cat or lynx. Seine Länge betrug 3 Fuss 2 Zoll und seine Höbe 2 Fuss.
Beachtongs werlh ist, dass ähnliche steinerne Figuren in den Ruinen zu
Copan und Palenque gefunden wurden.
Seitlich von der Casa del Gobernador, auf der zweiten Terrasse,
steht noch ein anderes kleines länglich viereckiges Gebäude, welches im
der Fronte 94 Fuss lang und 34 Fuss breit ist, und einfachere Verzie-
rungen hat. Ausgezeichnet ist es durch eine Reibe von Schildkröten, die
sich im Karniess befindet. Nach diesen hat man ihm den Namen des
Hauses der Schildkröten (Casa de las Tortugas) beigelegt. Im Inneren
ist es ganz verfallen. Mutmasslich war es ein Wirtbschafts - Gebäude,
vielleicht eine Küche.
Nordlich vom Pallast liegen auf hohen Terrassen vier grosse pracht-
volle Gebäude, die einen länglich viereckigen Hofraum einschliessen , der
258 Fuss lang und 214 Fuss breit ist. Gegen diesen sind die reich ver-
tierten Faceden der Gebäude gekehrt. Ihrer bat zuerst der Padre Co-
golkdo gedacht, unter dem Namen Conventos de las Monjas del fuego,
ia denen der Sage nach einst Jungfrauen ein ewiges Feuer unterhalten
maulen. Das grösste gegen die Casa del Gobernador gerichtete Gebäude
ist 279 Fuss lang und hat in seiner Mitte einen 10 Fuss breiten Thorweg,
der in den grossen Hofraum führt. Zn beiden Seiten desselben sind noch
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106 Stephens und Cntherwood: üeber Centrai-Amerika.
vier kleinere Eingänge vorhanden , durch die man in eine Reihe Gemacher
tritt. Das rechts gelegene Gebäude ist 158 Fuss lang und das links
173 Fusb. Diese beiden Gebäude haben keine Eingänge von aussen, alle
ihre zahlreichen Thür - Oeflnungen gehen auf die gegen den Hof gekehr-
ten Terrassen. Bei dem Eintritt durch den grossen Thorweg gewähren
die Facaden jener Gebäude einen imposanten Anblick. Alle haben sehr
hohe, mit den schönsten und reichsten Mosaik -Sculptaren der verschie-
densten Art geschmückte Karniesse. Zwischen denselben erblickt man an
dem mittleren Hanpt- Gebäude zwei sich umschlingende colossale Klap-
perschlangen , welche mit ihren Krümmungen die grossen Felder und Ab-
theilungen der Ornamente umziehen. Neben dem Thorweg sieht man den
mit einer Federkrone geschmückten Kopf der einen Schlange, welcher
sieh unter der Klapper des Schwanzes der anderen Schlange befindet.
Im weit geöffneten Rachen nimmt man den Kopf eines Menschen wahr.
Aach Waldeck hat davon eine Abbildung gegeben (PI. XIII. ). In den
Ornamenten, die zum Tbeil sehr gelitten haben, lassen sich Köpfe and
Figuren von Menschen erkennen.
Dis vierte Gebäude endlich , welches dem grossen Thorweg gerade
gegenüber auf einer 20 Fuss hohen Terrasse liegt, hat eine Lfinge von
264 Fuss. Zn ihm führt zwischen zwei kleinen Gebäuden eine 95 Fuss
breite Treppe, die aber sehr verfallen ist Seine Höhe betrügt bis zum
Karniess 25 Fuss, uud mit diesem 42 Fuss. Es hat 13 Eingange, durch
die man in zwei Reiben von Gemächern gelangt. Auch die Facade die-
ses Gebäudes ist mit reichen Mosaik -Ornamenten geschmückt, die sehr
verwickelt sind. Hin nnd wieder erblickt man menschliche Figuren, zwei
sind mit musikalischen Instrumenten dargestellt, von denen eins Ärmlich-
keit mit einer kleinen Harfe, das andere mit einer Guitarre hat. Eine
dritte Figur bat eine sitzende Stellung , und ihre Arme sind auf der Brust
gekreuzt.
An dem rechts vom Haupteingange befindlichen Gebüude ist die
Facade am besten erhalten, und man sieht fünf in das Innere der Ge-
mächer führende Thür - Oeflnungen. Sein hohes Karniess ist sehr schön
verziert. Ueber dem mittelsten grossen Eingang »befindet sich ein gros-
ses Ornament, und über den kleineren Eingängen erblickt man Masken
mit ausgestreckter Zunge. Zwischen diesen verlaufen vorspringende ho-
rizontale Linien, an deren Enden Schlangenköpfe mit weit geöffneten
Rachen angebracht sind. Waldeck hat die Facade dieses Gebäudes ab-
gebildet (PI. 16), und nennt es, man weiss nicht warum, den Sonnen-
tempel. Sehr reich verziert, mit grossen gitterartigen Feldern, sind die
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Stephens und Calherwood: Ueber Cenlrnl-Amcrika. 107
Ecken dieses Gebäudes. Alle Fanden der Tier Gebäude des Hauses der
Nonnen waren bemalt, und Spuren der Farben waren noch deutlich zu
erkennen. Stephens scbliesst seine Beschreibung mit folgenden Worten :
The reader may imagine what the eflect must have been when all litis
buildiugs was entire, and according to its supposed design, in its now
desolate doorways stand noble Maya maidens, like the vestal virgins of
the Romans, to cberish and keep alive the sacred (Ire burning in the
temples.
Waren jene Gebäude wirklich, wie die Sage geht, von Jungfrauen
für einen religiösen Cultns bewohnt, so mnss die Zahl derselben sehr
gross gewesen sein; denn es finden sich in denselben 28 Gemächer. Auf
dem grossen Hofraum wurde noch ein Kreis von behauenen Steinen
wahrgenommen, und in diesem stand ein grosser altarförmiger Stein.
Platten mit eingegrabenen Schildkröten aber, deren Wal deck hier gedenkt
und eine abbildet, bat Stephens beim Graben nicht aufgefunden.
Seitlich ?om Hause der Nonnen, und von ihm durch einen Hof-
raum getrennt, steht eine grosse, ganz aus behauenen Quadersteinen auf-
geführte Pyramide, auf deren Plattform sich ein Tempel oder Teocatli
erhebt. Waldeck hat ihr den Namen der Pyramide Kingsboroughs bei-
gelegt. Stephens und Calberwood's Beschreibungen und Abbildungen der-
selben weichen gar sehr von denen jenes Reisenden ab. Die Pyramide
ist an der Grundfläche, soweit sieh bei dem Schott der herabgefallenen
Steine ermitteln liess, gegen 255 Fuss lang, 155 Fuss breit und 88 Fuss
hoch. An der Ost seile führt eine sehr breite, steile, aus steinernen Stu-
fen gebildete Treppe zur Plattform. Man zahlte mehr als hundert Stufen,
von denen viele zerfallen waren. Auf der aus grossen Steinen gebilde-
ten Plattform steht ein langes, schmales Gebäude, der eigentliche Tempet
oder das Teocalli, welches 72 Fnss lang, aber nur 12 Fuss breit ist,
und ganz aus behauenen Steinen aufgeführt ist. Rings um das Gebäude
teaft ein hohes, reich verziertes Karniess, welches schön gearbeitete
Seulpturen enthalt, die ans /sehr grotesken Grecs, Arabesken und Mäan-
dern bestehen, und ans kleinen Steinen mosaikartig zusammengesetzt sind.
Zwischen ihnen erbliekt man Köpfe von Menschen und Tbieren, sowie
Laubwerk nnd Blumen verschiedener Art. Das Ganze macht einen gross-
artigen Eindruck.
Das Gebäude enthält drei Gemächer, in die von der Plattform aus
drei Tnfireo fahren. Die Wände der Gemächer, von denen das mittlere
das grösste ist, «nd glatt poliert, ohne alle Verzierungen. Nach Cogol-
Digitized by
10t* Stephens und Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
ludo sollen io den Gemächern Idole gestanden haben, ond hier wurden
auch wohl die Opfer gebracht
Von diesem höchsten Gebäude fuhrt noch ein aus Cement gebilde-
ter breiter Pfad zu einem seitlich gelegenen Vorsprung mit einer Platt-
form, auf dem ein kleineres Gebäude ruht. Aeusserlich ist es auf ähn-
liche Weise reich wie jenes verziert. Durch eine Thüre gelangt man in
ein zwölf Fuss hohes Gemach, dessen Wände aus glatt polierten Steinen
bestehen. Dieses Gebäude betraten die Indianer mit einer abergläubischen
Ehrfurcht, und nannten es das Haus des Anano oder Adivino. Der Sage
nach soll in demselben einst ein mächtiger Zwerg gewohnt haben. 1
Nordwestlich von der Casa del Gobernador endlich befindet sich ein
grosses viereckiges Gebäude, welches einen geräumigen Hof einschliesst.
Es wird Casa de Palamos, Haus der Tauben, genannt Seine Facade 1
mit einer Reihe von pyramidenförmigen Erhöhungen versehen, ist 245
Fuss lang. In der Hauer erblickt man eine grosse Anzahl kleiner schma- i
ler Vertiefungen, die das Ausseben haben, als wenn sie zu Nestern von s
Tauben bestimmt gewesen wären. Daher seine Benennung. In der gan-
zen Umgebung obiger Gebäude liegen ferner im Walde zerstreut noch c
viele Ruinen von zerfallenen Pyramiden und Häusern, in deren Beschrei- *
buog weiter einzugehen der Raum nicht gestattet. i
Nach Beendigung der Untersuchungen verliessen unsere Reisenden, a
am ersten Tag des neuen Jahres, Uxmal, wo sie sieben Wochen ver-
weilt hatten. Sie besuchten noch die in der Nähe liegenden Ruinen einer t
alten Stadt beim Dorfe Ticul, wo sie mehreere, mit Wald bewachsene
pyramidale Hügel und Ueberreste alter Gebäude, sowie viele zerbrochene
Steine mit Sculpturen fanden. Beim Graben zu San Francisco entdeckte *
■
man ein schön geformtes irdenes Geftss, worauf Hieroglyphen und der ,
Kopf eines Mannes mit künstlich verunstalteten, platt gedrückten Kopf und |
einer sehr vortretenden gebogenen Nase abgebü ßt war. Dann begaben .
sie sich zu den Ruinen von Nobpat, die in der Nähe des grossen Dorfs ^
oder Städtchens Nohcacab liegen. Auch hier sah man verfallene Pyra- ,
miden, grosse Steine mit eingegrabenen menschlichen Figuren , und meh-
rere Steine , auf denen Todtenköpfe und ins Kreuz gelegte Rübrenknochen
dargestellt waren. Hierauf nahmen die Reisenden einen längeren Aufent- ^
halt bei dem gastfreien Cura zu Nohcacab , um sich mit der Untersuchung ^
der Ruinen der einige Leguas entfernten alten Stadt Kabah zu beschäfti- K
gen, welche ebenfalls in einem Walde liegen, und aus mehreren Pyra- Q
miden mit Teocallis nnd grossen pallastartigen Gebäuden bestehen. Mit
Hülfe einer grossen Auzahl Indianer wurden zunächst die Bäume von den
•
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Stephens und Cathcrwood: Ueber Centrai-Amerika. 10t
Bauwerken weggeräumt, was eine sehr beschwerliche Arbeit war. Das
höchste Gebäude, von dem man die ganze Umgegend Uberblickte, ist eine
gegen 80 Fuss hohe Pyramide, deren Treppen und Mauerwerk sehr zer-
fallen ist In einer Entfernung von 3 — 400 Yards sah man ein auf
einer hohen Terrasse liegendes grosses, 151 Fuss langes pallast arti-
ges Gebäude, zu dem eine breite Treppe aufstieg. Die ganze Facadc ist
vom Boden bis zum flachen Dach mit den reichsten und schönsten Mo-
saik-Sculpturen bedeckt, von denen eine Abbildung beigefugt ist. Von
der Kraozleiste oberhalb der Einginge sagt Stepbens: The cornice run-
ning over the doorways, tried by the severest rules of art recognised
among us, would embellish the architecture of any now era, and, amid
a mass of barbarism, of rnde and uncrouth coneeptions, it Stands ns an
ofiering by American builders worthy of the aeeeptance of a polished
people.
In das Innere des Gebäudes gelangt man durch drei Eingänge,
welche in mehrere grosse Gemächer mit ähnlichen aus Steinen gebildeten,
hoben nnd gewölbten Decken führen, wie zu Uxmal. In der Nähe liegt
auf einer Terrasse noch ein zweites pall astartiges Gebäude, welches 147
Fuss lang nnd 106 Fuss breit ist Deutlich sind drei Stockwerke vor-
handen , von denen das zweite nnd dritte niedriger und schmaler als das
untere Stockwerk ist, indem sieb vor ihnen an der Facade eine breite
Plattform befindet An allen vier Seiten des unteren Stocks sind Ein-
gänge in Gemächer. An zwei grossen Eingängen erblickte man in der
Mitte eine 6 Fuss hohe Slnle mit plumpen viereckigen Sieinen statt des
Fassgestells nnd Capitals. Durch die Säule wird die Tbür-Oeffnung in
zwei kleinere abgetheilt Am Ende des Gebäudes befindet sich das grosse
Treppenhaas , durch das man auf die Plattform vor die Eingange der bei-
den oberen Stockwerke gelangt.
In einer Entfernung von ohngefähr 350 Yards von jenen Gebäuden
liegt ein drittes Gebäude auf einer Terrasse, die ganz mit Bäumen be-
wachsen war. Die Indianer des Ranchos nannten es la Cesa de la Ju-
sucia. Es ist 113 Fuss lang nnd bat fünf Eingänge, die zu Gemächern
fähren. Zwischen den Thoren sind drei neben einander stehende Säulen
Hi die Mauer eingelassen. Das Karniess besteht aus einer Reibe kleiner
Juttift naL.n uinonHop clalianrtap QVnlon iniaa* nKirran opmm* C aK ii nA An
uivut ueueu cjuaijuci Biciicuuor obuicu. aiihci uuigou giuracu uiuuuuou
sind noch viele kleinere, im Walde zerstreite vorhanden, die aber alle
in Schutt nnd Trümmer zerfallen sind. Besonders merkwürdig ist (in
neben einer eingestürzten Pyramide stehender hoher Bogen, der aus be-
hauenen Steinen gebildet ist, nnd dessen Thorweg 14 Fuss breit ist
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110 Stephens und Catberwood: üeber Centrai-Amerika.
Ueber dieses äussert sich Stephens also: Durkness reste upon iu bistory,
but in tbat desolalion and solilude among the ruins arround , it stand
like the proud memorial of a Rotnao triumpb. Perhaps, like Uie areb of
Titus, which at tbis day spans Ibe Sacred way at Rome, it was erected
to commemorate a victory over euemies.
In einem kleineren , verfallenen Gebäude endlich fand man am Ein-
gang, im Schutt versteckt, zwei grosse Steinplatten , aufweiche« mensch-
liebe Figuren eingegraben waren, die ganz den in Palenque befindlichen
glichen. Auf der* einen Platte steht ein Mann in reicher Kleidung, mit
einem Helm, der mit Federn geschmückt ist. Vor ihm liegt eiu Mann
auf den Knien, flehend die beiden Hände erhebend. Au/ der anderem
Steinplatte erblickte man in stolzer Haltung einen ähnlichen Mann, vor
dem eiu anderer kniet, der seine Waffe, ein gezähntes Schwert, über-
reicht. Unten an den Steinen ist eine Reihe Hieroglyphen eingegraben.
Beizufügen ist noch, dass man hier auch mehrere Balken von sehr har-
tem Holz fand, in das Figuren eingeschnitten waren. Der Ruinen zu
Kabah hat kein Spanischer Schriftsteller gedacht, nur hei den Indianern
not sich die Sage erhalten, dass hier einst eine grosse, von ihren Vor-
fahren erbaute Stadt stand.
Am 22. Januar verliessen die Reissenden Nobcacab und begaben
sich nach dem nur vier Leguas entfernten Ranoho Schawill, um die in
der Nähe liegenden Ruinen von Zayi oder Salli zu besuchen. Sie nahmen
in dem von Indianern bewohnten ßaacho ihr Aheteige - Quartier in der
Casa real, die zugleich für die Beberbergung von Reisenden bestimmt
l>t. Da die Indianer nur der Maya-Spracbe kundig sind , so war es sehr
schwer mit ihnen zu verkehren. Den Dollmetecher machte ein Indianer,
den Stephens als Diener von Merida mitgenommen halte. Schon am fro-
hen Morgen des nächsten Tags stieg man zu Pferd, um die ebenfalls in
einem Walde verborgenen Rainen aufzusuchen. Nachdem man anderthalb
englische Meilen zurückgelegt hatte, befand man sich am Fuss eines mit
Bäumen bewachsenen pyramidalen Hügels. Die Diener und mitgenom-
menen Indianer bahnten sogleich mit Aexten einen Weg in den Wald,
und bald erreichte man ein groaee*, aus weissem Sandstein gebildetes
Cfebüude, welches die Indianer Casa grau de nannten. Den ganten Tan;
über war man mit grosser Anstrengung beschäftigt, die Bäume sowohl
in seiner Umgebung, als die, weiche auf ihm standen, wegzuräumen.
Es besteht aus drei terrassenurlig über einander aufgeführten Stockwer-
ken. In seiner Mitte befindet tkh ein 32 Fuss breites Treppenhaus,
durch das man zir Plattform vor dem zweiten Stockwerk aufsteigt. Am
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Stephens und Collier wo od: Ueber Central- Amerika.
114
unteren Stockwerke erkannte man noch seebszehn in Gemacher führende
Eingänge. Daa zweite Stockwerk, schmaler als das untere, zeigte vier
grosse Tbüren, von denen jede durch zwei, 6 Fuss 6 Zoll hohe Säulen,
mit niederen viereckigen Capitälern, in drei schmale Eingänge abgetbeilt
ist. Das Karniess des zweiteu Stocks ist reich verziert. Zwischen den
grossen Tbüren finden sich Zugänge zu Treppen, welche auf die Platt-
form des dritten Stockwerks leiten. In diesem ist eine grosse Anzahl
kleiner Gemächer vorhanden. Ausser obigen Gebäuden worden noch die
Ruinen vialer im Walde zerstreut liegender Bauwerke entdeckt. Darnach
läset sich vermuthen, dass auch hier ehemals eine grosse Stadt stand.
Von Schawill ging die Reise nach dem Rancho Sennacte , wo man
gleichfalls einige alte Bauwerke fand , und dann begab man sich nach
dem Rancho Sabacbse\ Hier wurde abermals ein längerer Aufenthalt ge-
nommen, um den in einiger Entfernung liegenden, noch sehr wenig be-
kannten Ruinen von Labnah einen Besuch zu machen. Am folgenden Tag
erreichte man hei gnter Zeit die einige Leguas entfernten, in einer Ma-
lerischen Gegend zwischen HUgeln zerstreuten alten Bauwerke, welche
Erstaunen erregten. Da auch sie von einem Walde bedeckt waren, so
liess man durch eine grosse Anzahl mitgenommener Indianer die in der
Nahe der grossen Gebäude stehenden Baume fällen und wegräumen. Zu-
nächst wurde die Aufmerksamkeit auf einen 45 Fuss hohen pyramidalen
Hügel gelenkt, auf dem ein schmales hohes Gebäude steht, dessen ver-
zierte Facade nach Süden gerichtet ist. Zn ihm führt eine breite, ganz
verfallene Treppe, die mit hohen Stauden der Agave omericana bedeckt
war. Es hat drei Eingänge, von denen aber einer mit einem Tbeile des
Gebäudes eingestürzt ist Der mittlere Eingang fährt in zwei Gemächer.
Oberhalb eines schmalen Karoiesses befindet sich eine 30 Fase hohe
Wand, die ganz mit Ueberresten colossaler Figuren in Staceo bedeckt
ist. Oben auf dem Rande des Gesimses erblickte man ein« Reihe von
Todtenkopfen , und unter diesen menschliche Figuren in Relief, von denen
Glieder und Waffen übrig sind. In der Mitte erkannte man man oolos-
sale sitzende Figur mit einer grossen Kogel auf dem Haupte, welche
zwei nebenstehende Figuren zu stützen schienen. An allen Figuren war»
den noch Spuren von Farben wahrgenommen. Von diesem Gebäude einige
hundert Fuss entfernt erblickte mau ein anderes grosses, mit einem hohen
reich ornamentirten Karniess versehenes Gebäude, das in seiner Mitte
einen hohen, 1° *'uss breiten Thorweg hatte, durch den man in einen
Prossen Hofraum gelangte. Von diesem aus führten Eingänge in Go->
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112 Stephens und Catherwood: Ucber Central- Amerika.
mächer. Oberhalb jedes Einganges befindet sich eine reiche Verzierung
in Stucco, in der man das Bild der Sonne mit ihren Strahlen erkannte.
Nordöstlich von dem Hügel, auf welchem das Gebäude mit den
colossalen Figuren steht, in einer Entfernung von obngefähr 150 Yards,
liegt auf einer Terrasse ein anderes sehr verfallenes, ganz mit Bimmen
bedecktes Gebäude, welches nur wenige Ueberbleibsel von verzierten
Sculpturcn zeigte. Und noch weiter entfernt in derselben Richtung stiess
man auf ein wahrhaft prachtvolles Gebäude, von dem eine grosse Abbil-
dung gegeben ist. Es steht auf einer sehr hohen, 400 Fuss langen und
150 Fuss breiten Terrasse, die ganz mit Bauwerken bedeckt ist. Die
Facade des pallastartigen Gebäudes bat eine Länge von 282 Fuss. Es
besteht aus drei, im Styl verschiedenen Tbeilen, die vielleicht auch zu
verschiedenen Zeiten aufgeführt wurden. Die ganze lange Furade ist vom
Grund aus mit den reichsten und schönsten Sculpturen verziert, zwischen
denen sich in die Mauer eingelassene kleine Säulen befinden. Auf diesen
ruht ein hohes vorstehendes Karniess mit den verschiedensten Figuren ge-
schmückt. Am linken Ende des Hauptgebäudes , gerade an der vorsprin-
genden Ecke, erblickte man den weit geöffneten Rachen eines Alligators
oder eines anderen Ungeheuers, in dem der Kopf eines Menschen zu se-
hen ist. Längs der ganzen Fronte befinden sich sehr viele Eingänge zu
Gemächern. Auf diesem Gebäude steht wie auf einer Terrasse noch ein
zweites kleineres, welches viele kleine Gemächer enthält.
Nachdem unsere Reisenden mehrere Tage auf die Untersuchung und
Abbildung der Ruinen zu Labnah verwendet hatten, begaben sie sich nach
dem drei Leguas entfernten Rancho Kewick, in dessen Nähe mehrere in
Jiuiuen liegende Gebäude gefunden wurden, von denen Beschreibungen
und Abbildungen gegeben sind. Dann giengen sie nach Xul, wo sie von
dem alten Cur», einem gebornen Spanier, gastfreundlich aufgenommen
wurden. Dicht neben seiner Wohnung stand einst ein pyramidaler Hügel,
«reichen der Geistliche hatte abtragen lassen, um die Steine zum Auf-
bauen seines Hauses, der Kirche und einer grossen Cisterne zu verwen-
den. In die Mauern waren viele alte Steine mit Sculpturen eingesetzt,
zum Andenken, dass hier einst eine alte Indianer - Stadt gestan-
den halte '
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HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
« •
Stephens und Catherwoodt Heber Central- Amerika,
(Fortsetzung.) i
Nach einem abermaligen Aufenthalt in Ticul, wo Stephens an den
Fastnacht« - Belustigungen Theil nahm , die in Stiergefechten , Pferderennen
und Ballen bestanden, wurde die Reise in südlicher Richtung von Nohcacab
forlgesetzt. Kaum waren sie einige Meilen von letzterem Ort entfernt,
so stiessen sie wieder auf die Ruinen alter Gebäude, und auf eine 10 Fuss
breite, ans Steinen aufgeführte alte Indianer- Strasse , Sacbey genannt,
die einst zwischen den Städten Uxmal nnd Kabah bestanden haben soll.
Anf dem Wege nach dem, mehrere Leguas entfernten Dorfe Bolonchen
befanden sieb die Leberreste von mehreren grossen Gebäuden, die mit
Sculpturen verziert waren, welche unter dem Namen der Städte Xampon
and Cbunhubn bekannt sind.
Von Bolonchen aus, wo man das Nachtquartier genommen , be-
suchte man am anderen Tag mit einem freundlichen Cura die in einem
grossen Walde verborgen liegenden Rainen von Labpbak. Unter den vie-
len Ueberresten alter Bauwerke zeichnete sich besonders ein grosses, auf
einer Anhöbe liegendes , aus weissen Steinen gebildetes pallastartiges Ge-
bäude aus, das mit Bäumen bewachsen war. Dreissig Indianer waren
den ganzen Tag über beschäftigt, die Bäume in der nächsten Umgebung
zu fallen und wegzuräumen. Nach Beendigung dieser Arbeit erblickte
man das prachtvolle Gebäude, welches aus drei, in Terrassen Uber ein-
ander stehenden Stockwerken aufgeführt ist. Nur das Erdgeschoss bat
viele, in kleine Gemächer führende Eingänge. Die beiden oberen Stock-
werke besteben aus solidem Mauerwerk, und zu ihrer Plattform gelangt
man anf einer schönen breiten Treppe. An den beiden schmalen Seiten
des länglich viereckigen Gebäudes fand man mehrere grosse, in die Mauern
eingesetzte Steiotafeln , in denen menschliche Figuren in Relief eingegra-
ben sind. Sie gleichen ganz denen in Palenque gefundenen , nur sind sie
weniger gut gezeichnet und ausgeführt. Die Reisenden hatten die Ab-
liebt, hier mehrere Tage zu verweilen, um die alten Monumente genau
tu untersuchen. Sie richteten sich daher in einem Gemache ein , führten
einen kleinen Heerd anf nnd befestigten ihre Hängematten. Es trat aber
XLIV. Mrg. 1. Doppelheft. 8
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tUZi Stephens und Cathcrwood: Ufebtr Cenlrnl-Amerika. .f. .
bald heftiger Regen ein , und Calberwood bekam einen Anfall von kalten
Fieber. Die» nöthigte die Arbeiten einzustellen und den Rückweg an-
zutreten. Das Ergebniss der Bemühungen beschrankte sich auf die Zeich-
nung des Grundplans und der Parade des grossen Gebäudes, sowie auf
die Abbildung der Figuren einer Steintafel. Von Bolonchen gieng die
Reise nach dem erst seit wenigen Jahren angelegten Dorfe Iturbide, wel-
ches in der Nähe der Ruinen der alten Stadt Zibilnacac liegt. Man sieht
hier noch mehrere verfallene pyramidale Hügel , und die Ueberreste eines
134 Fuss langen und 27 Fuss breiten Gebäudes, an dessen inneren Wän-
den sich Spuren von Gemitfden befinden. Die Steine dieser und anderer
Gebäude werden jetzt zur Aufführung neuer Häuser verwendet. In die-
sem Dorfe* welches sich an der Grenze des bewohnten Theils von
catan befindet, wurde die Reise in südlicher Richtung beendigt. Weilar
hin, bis zu dem unter dem 17, Grad n. Br. liegenden See Peten er-
streikt sich eine grosse Wildnias, iu der sich nicht getaufte Indianer von
dun Stamme der Lacaudones aufhalten sollen. In Iturbide herrschte eben-
falls oje Sage, dass sich in den Gebirgen jenseits des Sees eine von
freien Indianern bewohnte Stadt beiladen soll , die noch von keinem Eu-
ropäer besucht wurde, und in der die Indianer noch ganz in dem Zu«
Stande leben sollen, wje zu den Zeiten vor der Entdeckung und Erobe-
mM , Von Iturbide schlugen die Reisenden ihren Weg in nordwestlicher
Richtung ein, um die alte Stadt C Iiichen - Itza zu besuchen. Sie kamen
durch Macroba, die freundliche Stadt Tekex und verweilten einige Tage
in Manu wo noch die Ueberreste alter Gebäude vorbanden sind. In letz-
terer Stadt hielt sich die königliche Familie des Reichs Maya nach dem
grossen Aufstande der Caziken und nach der Zerstörung der Uaephtadt
Mayapan auf. Von hier aus unterwarf sich Tutul Xiu, der leiste Spröss-
ling des alten Königlichen Hauses den Spaniern, unter Don Francisco
Mpntejo, und liess sich taufen. An diesem Orte beüeden aick auch, eoch
die Ruinen eines grosaeq Hauses % welches der spanische Eroberer laflMw
;Ajn, 7. März begab *jck Stephens nach Pete, der Hanptstadt des
Departements gießen, Samens, wo er von dem Gefe politico, öoo Pio
Percz, Fragmente eines alten, in der Maya -Sprache > erfaßten Documenta
erhielt. Heber Tacbxin und Piste erreichte mao am 11. Mün beim Son-
nen-Untergang die prachtvolles Ruinen der «ladt iCkiehntt- Itoa, darea
hohe Gehrde gro^e Schatten über die Ebene warfen und einen wnader-
ynllen, ^nWick darboten. Die La*dstras*e führt zwischen den alten Bau«
r> ,jj g ■ J J J .1 .1 « . * .rl
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Stephens und Calherwood: Uober Central- Amerika. 115
werken zu einer grossen Hacienda, in der die Reisenden eil« freund-
liche Aufnahme fanden. Die »raten Nachrichten über die alle Stadt, welche
neun Leguas von der Stadt Valladoiid entfernt ist, hat im Jahre 1840
Baron Friedrichstbal gegeben. Der Name Chichen ist ans zwei Worten
der Maya-Sprache gebildet , na ml ich Chi Mündung und Chen Quelle, also
Quellen- Mündung. Es befindet sieb hier ein grosses Becken von vor-
trefflichem Wasser, welches von hoben Felsen wänden eingeschlossen ist.
Die zahlreichen, sehr grossartigen Gebäude sind anf einer Flache von
ohagefabr zwei englischen Meilen im Umfang ausgebreitet. Ueber ihre
Lage ist ein Groodriss beigefügt. Im Ganzen sind sie noch gut erhalten.
In der Beschreibung, welche Refer, ganz gedrangt geben wird, folgt er
dem Grundplan.
Das erste grosse Gebäude, welches 250 Yards von der Hacienda
entfernt ist, liegt mit der Parade nach Osten, nnd hat eine Läege von
149 Fuss und eine Breite von 48 Fuss. Es besteht nur ins einem Erd-
geschoss und einem breiten Treppenhaus, durch das man anf das flache
Dach gelangt. Zu beiden Seiten des Treppenhauses befinden sich zwei
Thor wege, und an der Westseite sind sieben Einginge vorhanden. Durch
die Eingänge kommt man in achtzehn Gemächer. In einem derselben fand
msn eine steinerne Tafel, in die sehr roh die sitzende Figur eines Man-
nes mit aufgerichtetem rechten Arm eingegraben ist, Sie tragt eine mit
langen Federn verzierte Kopfbedeckung, ein breites Halsband, Armbän-
der und Sandalen. Am Stein nahm man zugleich einige Reihen Hiero-
glyphen wahr, welche den in Copan und Palenque gefundenen glichen.
Was diese Figur, von der eine Abbildung gegeben ist, eigentlich be-
deute, lies« sich nicht erratben. , . , . : i i i
Ostwärts, in einer Entfernung von 150 Yards, sah man ein aWei-
tes, sehr gut erhaltenes prachtvolles Gebäude , dessen Facade 35 Fuss
lang and 25 Fuss hoch ist. Es wird, wie eine der Hauptgebäude zu
Uxmal, Caaa de las Monjaä genannt. Seine ganze Vorderseite ist vom
Boden an bis zum flachen Dach auf das reichste und schönste mit Mo-
saik-Scuipturen verziert. In das Innere fuhrt nur eine grosse Thür-
OeQnuig, über welcher man zwanzig kleine Felder in v«r Reihen er-
blickt, die mit Hieroglyphen bedeckt sind). Weiler oben, am sehr hoben
Karniess, befindet sich, cioe grosse halbeiförmige Nische mit einer sstseo-
den menschlichen Figur, .deren- Haupt »U einer Federkrone gtttei* ist.
Das flache Dach des Gebäude* war ganz mit tropischen Gewachsen be-
deckt, welche, Uber das Karniess herabhängend, der schönen Facade ein
malerisches Aussehen verliehen.
8*
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116 Stephens und Catherwood: Ueber Central -Amerika.
Das Haus der Nonnen stüsst rückwärts durch eine Verlängerung,
in der sich viele zu kleinen Gemächern führende Eingänge befinden, un-
ter einem rechten Winkel an eine lange, hohe, aus solidem Mauerwerk
aufgeführte Terrasse. Auf dieser steht ein grosses Gebäude, welches
zwei Stockwerke bat, vor denen sich breite Plattformen hinziehen. Zu
diesen gelangt man auf einer 56 Fuss breiten uud 32 Fuss hohen Treppe.
Von den Plattformen führen Eingänge in kleine Gemächer, deren Wände
mit Figuren bemalt waren , von denen sich noch viele Ueber reste fanden.
Ganz in der Nähe der Casa de las Monjas liegt ein 26 Fuss lan-
ges, 14 Fuss breites und 31 Fuss hohes Gebäude, Eglesia genannt. Es
zeichnet sich durch drei breite, reich mit Mosaik - Sculpturen geschmückte
Karniesse aus. Es hat nur einen Eingang, durch den man in ein Gemach
tritt, dessen Wände mit Stucco überzogen sind, und an denen man Spa-
ren von Hieroglyphen fand.
Nördlich von diesen Gebäuden, in einer Entfernung von 400 Fuss,
steht auf zwei hohen Terrassen ein rundes tburmartiges Gebäude, mit
abgerundeter Kuppel, und vier Eingängen, welches 22 Fuss im Durch-
messer bat. Und nicht weit davon entfernt liegt , ebenfalls auf einer Ter-
rasse, ein anderes Bauwerk, welches die Indianer Chichencob nannten,
was in der spanischen Sprache Casa Colorada beisst Es ist länglich
viereckig, und bat eine Länge von 43 Fuss und eine Breit o von 23 Fuss.
Zu ihm führt eine 20 Fuss breite Treppe. An der reich verzierten Fa-
cade sind drei in einen Corridor gehende Eingänge vorhanden. In dem
Gesims des Corridors sind steinerne Tafeln mit Reihen von Hieroglyphen
eingesetzt, von denen eine Abbildung gegebon ist. Aus dem Corridor
gelangt man in drei kleine Gemächer, deren Wände viele Ueberreste von
Malereien zeigten. Ausserdem sind noch die Ruinen mehrerer anderen
Gebäude vorhanden. In die Sosseren Mauern eines derselben sind Stein-
ten eingesetzt, auf denen man viele Figuren von Kriegern mit Helmen
erkannte, welche in den Händen Bündel von Pfeilen oder Speeren tra-
gen. In einem inneren Gemach sind die Wände vom Boden bis zur Deke
mit gemaltes Figuren verschiedener Art bedeckt. Darunter erblickte man,
was sehr zu beachten ist, ein grosses Schiff , ferner Krieger mit Helmen,
Schildern nnd Spicsseu, sowie Männer und Fraueo in eigentümlichen
Trachten, welche von denen der jetzigen Indianer ganz verschieden sind.
Diese Gemälde scheinen sich ouf die Einwanderung eines fremden Volks
zu bezieben. Von jenen Steintafeln nnd diesen Gemälden sind Abbildun-
gen beigefügt.
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Stephens ud Catherwood: üeber Centrai-Amerika. 117
Am weitesten entfernt von der Haciendi in nördlicher Richtung be-
Bodet sich eine grosse, ans behauenen Steinen aufgeführte vierseitige
Pyramide, Castillo genannt. Ihre Grundfläche misst an der Nord- und
Süd-Seite 196 Fuss, und an der Ost- und West- Seile 202 Fuss. Ihre
vier Seiten sind aber nicht genau nach den Weltgegenden gerichtet. An
der West - und Ost - Seite führen zur Spitze breite Treppen. Beiderseits
am Fasse der Treppen erblickte man in Stein gehauene colossale Köpfe
tob Schlangen mit weit geöffnetem Rachen. Die Plattform auf der Spitze
der Pyramide misst gegen 60 Fuss. Auf ihr steht ein viereckiges Ge-
bäude, der eigentliche Tempel, der 49 Fuss lang und 43 Fuss breit ist.
Voo der Plattform führte an jeder der vier Seiten ein Eingang in das
Innere des Gebäudes. Die obere Thürschwelle der Einginge besteht aus
moderigem Sapotenholz, an dem man Schnitzwerk wahrnahm. Die Tbür-
pfosten sind von Stein , und iu diese sind stehende Figuren von Männern
in reicher Kleidung eingegraben , welche wahrscheinlich Fürsten oder Ca-
xiken darstellen. Ihre Kopfbedeckung ist mit langen Federn geschmückt.
Das Antlitz ist würdevoll. Von der Scheidewand der gebogenen Nase
haagt eine Zierrath herab. Das Gebäude enthält ein grosses Gemach,
dessen Dach durch zwei vierseitige Säulen getragen wird. Diese Säulen
«nd an allen Seiten durch eingegrabene Figuren verziert.
In westlicher Richtung von der grossen Pyramide endlich befindet
•ich ein grosser viereckiger Platz, der an jeder Seite 400 Fuss misst.
Dieser Platz ist von mehreren Reiben kleiner niederen Säulen umgeben,
welche theils noch aufrecht stehen, tbeils umgefallen sind. Wozu die-
selben gedient haben mochten, liess sich nicht errathen.
üeber das an grossartigen und zum Theil noch sehr gut erhaltenen
alten Bauwerken so reiche Chichen-Itza geben die alten spanischen
Schriften keine sicheren Nachrichten. Es scheint der Ort zu sein, an dem
die Spanier unter Don Francisco Montejo, nach der Landung über Ake,
m das Innere des Landes vordringend, eine Zeit lang verweilten. Wahr-
scheinlich hatten sie die Kunde voo den grossen Gebäuden erhalten, in
deoen sie sich gegen die Angriffe der Indianer zu vertheidigan gedach-
tea. Sie wurden aber bald nach grossen Niederlagen genöthigt zu der
Koste zurückzukehren.
Nach Beendigung der Untersuchnngeo in Chichen-Itza begab sich
Stephens mit seiner Reise - Gesellschaft am 29. März nach der Stadt Val-
ladolid und von da nach dem Hafen von Yalahqo. Hier mietbete er ein
grosses Canol, um die KUsten zu besuchen und die an denselben etwa
befindlichen Ruinen alter Bauwerke kennen zu lernen. Zunächst besuchte
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fö Stephen! und Catherwood : Ueber Centrtf-Amerika.
er das C«p Cttoche, wo die Spanier zuerst gelandet halten, und begab
steh von da zur Insel Cozumel oder Cozamil, die Juan de Grijatva im
Jabr 1518 entdeckt hat. Die Insel war damals sehr bevölkert und hatte
viele ans Steinen aufgeführte Gebäude, sowie thurmartige Tempel, deren
Bemal Diaz gedacht hat. Auch Cortez hatte sie im Jahr 1519 bei sei-
nem Zug nach Mexico besucht. Stephens fand die Insel unbewohnt ond
gtns mit Wald bedeckt. In der Nahe der Ktlste sliess man auf zwei
alte, aof Terrassen liegende und aus behanenen Steinen aufgeführte Ge-
bäude. Das eine ist 16 Fuss lang und hat vier Eingänge. Das andere,
20 Poss lange ond 7 Fuss breite Gebäude hat nur zwei Eingänge. Auch
sind die Ruinen einer alten von den Spaniern erbauten Kirche vorhanden.
Von Cozumel kehrten die Reisenden zu den Küsten des festen Landes zu-
rück, und besuchten von dem Rancho Tancar aus die in der Nähe der
See in einem Walde liegenden Rainen von Tuloom. Sie bestehen aus
einem grösseren, auf einer hohen Terrasse stehendem Gebäude mit zwei
Flögeln, in dessen Nähe mau die Ruinen von Altarhügeln und verschie-
denen anderen Bauwerken antraf, sowie grosse Mauern, die einst eine
Stadt umschlossen. Die Ruinen von Tuloom sind höchst wahrscheinlich
•
die Ueberreste jener grossen Stadt , deren bei der Expedition Grijalvas
gedacht ist. In seinem Berichte heisst es: „Nachdem wir Cozumel ver-
lassen, sahen wir am zweiten Tag an der Küste eine Stadt, welche so
gross und so schön wie Sevilla war. Am Ufer befanden sich Haufen
Indianer mit Fahnen, die sie schwenkten, znm Zeichen, dass wir landen
möchten. Wir entdeckten ferner eine geräumige Bai, in der die ganze
spanische Flotte hfitte ankern können." Diese Bai ist ohne Zweifel die
ron Ascensiou , welche nur acht Leguas von den Ruinen der Stadt Tuloom
entfernt ist.
An diesem Punkte kehrte Stephens um, und fahr längst der nörd-
lichen Kdste Yucutans hin. Zunächst landete er an der kleinen Insel Mu-
geres, deren Berna! Diaz bei der Expedition von Cortez gedacht hat,
nnd auf der er ein tharmartiges Gebäude erblickt hatte. Hier fanden
die Reisenden auf einem Felsen ein noch wohl erhaltenes Gebäude aus
behanenen Steinen aufgeführt, anf dessen Plattform sich die Ueberreste
eines Altars zeigten. Nach Umschiffung des Caps Catoche wurde im Ha-
fen von Sisan gelandet, in dessen Nahe &uf einem hohen Hügel viele
Ueberreste von alten verfallenen Gebäuden liegen. Hier stand einst eine
Stadt, in der die Spanier unter Francisco Montejo nach ihrer Flucht von
Chichen-Ilza eine Zeit lang verweilten. Von Sisan schlugen die Reisen-
den wieder den Weg in das Innere des Landes ein, nach der 8 Leguas
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Stephen! und Catherwoöd: Ueber Central-Amerikjt Mf
entfernten, sehr freundlich gelegenen Stadt Izamal. In ihrer nächsten
Umgebung sah man mehrere grosse pyramidale Hügel mit Rainen alter
Tempel und viele Ornamente in Stucco. linier anderen wurde der Kopf
einer colossalen Statue gefunden , welcher 7 Fuss 8 Zoll hoch Und 7 Fusa
breit ist, vou dem eine Abbildung gegeben ist. Zo Izamal befindet sich
ein grosses Franciskauer- Kloster mit einer prächtigen Kirche, welche nach
den vom Padre I nana gegebenen Nachrichten im Jahr 1533 auf einer
Erhöhung aufgeführt wurde, auf der früher eine Tempel- Pyramide aUodi
Beim Bau des Kösters hat man die Steine der abgebrochenen alten Ge-
bäude verwendet.
Auf der Rückreise nach Merida hat Stephens endlich noch die Rui-
ne-D der alten Stadt Ake besucht, welche in der Nähe einer Hacienda auf
einem ganz mit Wald bewachsenen Hügel liegen. Auf einer grossen
Plattform, zu der man auf einer 130 Fuss langen Treppe gelangt, sah
man 36 viereckige Pfeiler, welche in drei Reihen stehen. Die 114 bis
16 Fuss hohe und 4 Fuss breite Pfeiler trugen mutmasslich ein Doch,
von dem aber keine üeberreste vorhanden sind. In der Umgegend www
den noch die Ruinen vieler verfallenen alten Gebäude gefunden. Der
Stadt Ake wird in spanischen Schriften bei dem Marsche Don Francisco
Mootejo's von der Küste ins Innere Yucatans gedacht. Er wurde hier
ron einem grosseu Heere Indianer angegriffen und es fand eine zwei-
tägige blutige Schlacht statt, in der <iie Spanier nach grossem Yerlurt
den Sieg errangen. '
Von Ake begaben sich die Reisenden nach der nenn Legnas ent-
fernten Stadt Herida zurück, von wo sie nach kurzer Rast am 16. Mai
die Rückreise nach den Vereinigten Staaten antraten. •
So haben wir den eifrigen, mit grossen Anstrengungen verbünde-
nen Bemühungen und Forschungen Stephens nnd Catherwoods die Unter-
suchung, Beschreibung und Abbildung einer sehr grossen Anzahl, zum
Theil noch wohl erhaltener alten Bauwerke zu verdanken. An Grossar-
tigkeit und Schönheit übertreffen dieselben bei weitem alles, was bisher
von alten Denkmälern in anderen Landern des neüen Continents, im Thale
des Mississippi, in Mexico, Bogota, Quito und Peru aufgefunden worden
ist. Und wie viele Üeberreste solcher Werke mögen noch in den Wal-
duagen Yucatans, Chiapas, Guatemalas und Honduras verborgen liegen,
deren Auffindung und Untersuchung erst kommenden Zeiten vorbehalte*
ist, wenn der sociale Zustand jener schönen Länder geordnet , und die
iVeigung zu archäologischen und historischen Forschungen erwacht sein
wird. Jene Bauwerke liefern einen neuen überzeugenden Beweis gegen
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120 Stephens und Catherwood: Ueber Central- Amerika.
Robertson und andere Historiker, dass der neue Continent nicht bloss von
rohen Völkern und sogenannten Wilden bewohnt war. Es lebten hier
bereits Völker, die eine höhere Civilisatiou erreicht hatten und bei denen
der Sinn für die schönen Künste erwacht war.
Die alten Bauwerke zeigen im Im fange, in der Grossartigkeit und
Erhabenheit der Massen, in der Schönheit der Formen und Verhältnisse,
in der Wahl und Bearbeitung des Baumaterials, sowie in dem Reichtham
und der Ausführung der ornamentalen Sculptiiren eine Vollkommenheit,
die Bewunderung erregt. Und jedenfalls nehmen sie in der Architeclor
einen viel höheren Rang ein, als ihnen ein berühmter Reisender, Herr
von Humboldt (Monumens des penples indi genes de TAmcrique. p. 199)
einzuräumen geneigt war, indem er sagt: „L'arcbitecture ame ricaine, nous
ne saurions assez le repeter, ne peut surprendre ni per la grandeur des
masses, ni par Pelegance des forroes." Jeder Unbefangene indess, der
jenen Bauwerken nur einige Aufmerksamkeit schenkt, wird kein Bedenken
tragen, sie den alten Denkmälern Aegyptens, Syriens, Persiens und In-
diens an die Seite zu steilen.
Bei der Betrachtung der geheimnissvollen Denkmäler einer verloren
gegangenen Bildung, weiche so mächtig die Wissbegierde reizen, drän-
gen sich mancherlei Fragen über ihren Ursprung auf. In welchem Zeit-
alter wurden sie aufgeführt und wer waren die Erbauer? Müssen sie als
die Werke von Völkern angesehen werden, welche vor der Entdeckung
und Eroberung Amerikas durch die Spanier aus Ländern der alten Welt
eingewandert waren, und dahin ihre Cultur verpflanzt haben? Oder wur-
den sie von den Eingeborenen des neuen Continents selbst errichtet,
welche in ihrem eigenen Entwicklungsgang eine höhere Stufe der Cultur
erlangt hatten? Diese Fragen, so anziehend und wichtig ihre Beantwor-
tung für die Welt- und Cultur -Geschichte ist, lassen sich bei der Dürf-
tigkeit, ja in vieler Hinsicht beim gänzlichen Mangel historischer Quellen,
welche durch die Conquistadoren vernichtet wurden, nur sehr unbefrie-
digend lösen. Es kann daher nicht befremden, wenn die Autoren, die
sich mit der Beantwortung jener Fragen beschäftigt haben, in ihren An-
sichten und Meinungen gar sehr von einander abweichen und sich viel-
fältig in Muthmassungen verirrt haben.
Was zunächst das Alter der rätselhaften Bauwerke betrifft, so ha-
ben ihnen oiohrorö ^5i»hnftstell©r ^ C/Obrcrfl ^ ^)up8i^c ^ l^c 01 r* ^ olind
Waldeck u. a. ein sehr hohes Alter zugeschrieben, welches sie selbst auf
einige Jahrtausende vor die christliche Zeitrechnung setzen, und sie hal-
ten dieselben für ebenso alt wie die ältesten Bauwerke Aegyptens, Syriens
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Stephens und Catherwood: Ueber Central-Amerika. itl
■od Indiens. So sagt Le Noir (Antiquito Mcxicaines T. 2 p. 73): „Lei
ter comme les plus aociennes du monde a (rois mille ans. Ceci o'est
point mon opinioo seule ; c'est celle de tous les voyageurs , qui ont vu
les ruines dont il s'agit , de tous les arcbeologues qui ont examine les
dessins, ou In les descriptions; enfio des historiens, qui ont fait des re-
cherches. et qui n'ont rien trouve dans les annales du monde, qui fasse
soupconner Fepoque de la fondalion des tels monumens, dont Torigioe
se perd dans la nnit des temps." Der durch den Anblick der alten Bau-
werke begeisterte Obrist Galindo (Transactions of the American Antiquary
Society Vol. 2) hat selbst kein Bedenken gelragen, in den Ländern Cen-
tral - Amerkas die Heimath und Wiege der ersten Cultur zu suchen. Dies«
habe sich von hier aus nach dem östlichen Asien, nach China, und von
da durch Indien nach Aegypten, und endlich nach Europa verbreitet.
Herr von Humboldt dagegen, der die Ruinen für Ueberreste von
Werken der Tolteken und Asteken hält , meint , es sei kuum wahrschein-
lich, dass sie über das dreizehnte oder vierzehnte Jahrhundert hinausrci-
eben. Dieser Ansicht ist im Wesentlichen auch Stepbens gefolgt, der
gegen das hohe Alter, welches ihnen Le Noir, Dnpaix n. a. beigelegt
haben, den Einwurf macht, dass die Gebäude bei den tropischen Regen«
güssen und bei dem üppigen Baumwuchs in jenen Landern nickt so lange
p_" _ _ nnvM.AifAll.oria Rawaiia \jnn Knlrui'lilllrliorn Allan Man call Ddim«
nuineu uuiwciiciuuiic dcyycisc tum uciruwiiiiiciiciii ailui. mmi sun Damno
auf ihnen gewachsen, wie Waldeck bemerkt, die einen Durchmesser von
8 bis 9 Fuss hallen , und welche auf ein Alter von vielen Jahrhunderten
schliessen Hessen, daher er ihr Aller auf 2—3000 Jahre schätzt. Sehr
za beachten ist , dass die Bauwerke unverkennbar aus ganz verschiedenen
Zeiten sind. Die ältesten Gebäude in Yocatan sind die, welche aus gros*
sen rohen Steinpflöcken bestehen, die ohne Hörtel zusammengefügt sind,
und an denen keine oder nur sehr rohe Scolpturen vorkommen, wie zu
AU und Mayapan und einige andere. Sie scheinen älter zu sein, alz
irgend ein Gebäude in Mexico aus den Zeiten der Tolteken und Azteken.
Neueren Ursprungs dagegen sind offenbar die Gebäude, an denen sich
reiche ornamentale Scolpturen, Reliefs menschlicher Figuren und Tafeln
mit Hieroglyphen finden, wie an den Bauwerken zu Copan, Palenque,
Qairoga, Ca mal, Kabah, Labnab, Cbicben-Itza u. a. Doch hält Refer.
aoeo diese für alter als die Bauwerke aus den Zeilen der Tolteken und
Azteken. Eine aodere Frage ist, wer waren die Erbauer der alten Denk-
»iler? Waren es aus anderen Welttbeilen gekommene Einwanderer, oder
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122 Stephens und Catherwood: Ucber Central- Amerika.
worden sie von amerikanischen Völkern , von L rbewohnern oder Aulock-
tooeo des neuen Continenls aufgeführt? Diese wichtige Frage kann un-
seres Bedanken» nur durch eine Vergleichnng der amerikanischen Bauwerke
mit denen der Volker der alten Welt der Lösung zugeführt werden.
Manche Altert humsforseher , wie Iluet, glanbten eine grosse Aefanlicbkeit
derselben mit den alten Bauwerken Aegyptens gefunden zu haben, wo-
gegen sich aber schon Clavigero erklärt hat. Auch Stephens verwirf!
eine solche Aehnlichkeit auf das bestimmteste, und wir dürfen seiner Aas-
sage um so mehr vertrauen, da er Aegypten bereist hat und mit dessen
Altertümern sehr wohl bekannt ist. Die grossen pyramidalen Geblade
Amerikas sind nicht wie die aegyplischen Pyramiden Grab - Denkmaler,
sondern sie stellen erhöhte Orte dar, deren Gipfel abgestumpft ist und
eine Plattform hat, zu der breite Treppen sich erbeben. Auf dieser sind
kleinere Gebäude, Kapellen, Teocallis oder Cues aufgeführt, in denen die
Bilder der Gottheiten oder Götzen standen, welchen die Pyramiden ge-
weiht waren. Hier waren auch die Altare aufgerichtet, auf denen Rauch-
werk brannte, oder blutige Opfer gebracht wurden. Sie stellten also die
Orte dar, wo die Priester die religiösen Cercmonien vornahmen, welche
das versammelte Volk anschaute. Auf den Pyramiden wurden auch die
astronomischen Beobachtungen gemacht, und von hier aus riefen die Prie-
ster die Stunden ab. An und in den ägyptischen Tempeln und Paliusten
finden sich viele grosse und reich verzierte Säulen mit schönen CapitÖlera,
Solohe sind an den amerikanischen Bauwerken nicht vorhanden, und kom-
men sie vor, was sehr selten der Fall ist, so sind es nur plumpe vier-
seitige Pfeiler , ohne Fussgestelle und Capitäler. Die Bildhauereien an den
Gebäuden zu Copan, Palenquö, Uxmal, Chichen-Itza u. a. unterscheiden
sich ferner dadurch von den ägyptischen, dass sie halb erhaben Sind,
während letztere meistens vertieft sind. In der Darstellung menschlicher
Figuren waren auch die alten amerikanischen Bildhauer viel glücklicher
als die ägyptischen. Das Antlitz der Figuren ist zwar gewöhnlich wie
an den ägyptischen Figuren von der Seite dargestellt, aber die Köpfe
haben fiel mehr Ausdruck und sind mit grösserer Genauigkeit und An-
mut h als jene ausgeführt. Niemals sieht man wie an letzteren das volle
Auge an der Seite des Kopfes. In den ornamentalen Sculpluren endlich,
in den Arabesken, Mäandern u. s. w. der breiten und reichen Karniesse
und Gesimse übertreffen die amerikanischen Bauwerke bei weitem die
ägyptischen, und zeigen einen ganz eigenthümlicheu Charakter.
Den amerikanischeu Pyramiden ähnliche, in Absätzen aufgeführte
grosse Gebäude kommen in mehreren Lindern des westlichen Asiens vor,
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Stephens und Catherwood: Ueber Central- Amerika. 123
wohin die Buddha - Tempel gehören. Der Tempel Sambhunalh, den man
fflr den ältesten io Nepaul hält, ist nach den von Kircpatrick (Panoramie
View of the Valley of Nepaol p. 153) und F. Hamilton (Account of tbe
Kiogdom of Nepaul) gegebenen Nachrichten ein isolirter Hügel mit meh-
reren aufsteigenden Terrassen , auf deren höchster ein grosser allarartiger
Aufsatz ruht Die grosse Pagode Shoe Dagon , das goldene Haus ztr
Rangun am Iriwadi in Birma, das älteste Denkmol im Lande, vor mehr
als 2000 Jahren errichtet, ist nach Crawfurd (Embassy) aus solidem
Mauerwerk bis zu einer Höhe von 178 Fuss aufgeführt, und hat an der
Grundfläche einen Umfang von 1 358 Fuss. An jeder Seite Anden sich
80 Stufen, die zum Gipfel fahren. Auch der pyramidenförmige Tempel
Shoe roeodou io Pegu ist nach Symea (Relation p. 340) im Styl dea
Shoe Dagon erbaut. Die grosse, auf zwei Absätzen rohende Pyramide
ist 361 Fuss hoch. Auf Ceylon finden sich gleichfalls Pyramiden als
Ueberrestc Buddhistischer Tempel, welche L. Fagan (Antiquities of To-
pary naar Miuery : io Asiatique Journal 1634 N« Ser. Vol. 13 p. 169)
beschrieben hat. Viele religiöse Denkmäler und grossartige Ueberreste
solcher Tempel siod ferner auf Java vorhanden, welche in Terrassen auf-
geführt, Pyramiden gleichen (Transactions of the literary Society of Born-2
bay Vol. 2 p. 154). Dahin gehören namentlich die von Brambanon im
Districte van Mataran, die von Büro Bado ins Dittricte von Kadu und
die voo Siogasari im Districte Matang. Unter den vielen Denkmalern zu
Brambanan zeichnen ?ich besonders die Nuinen des Haupttempel6 aus, an
denen Bildsäulen vorkommen, die dem Ganesa, Scbiwa und anderen in-
dischen Gottheiten ähnlich Bind» Auch die Costüme der Figuren an dea
Basreliefs gleichen den Hiadu - Tempeln. Ao deo daselbst befindlichen
Ruinen des Kobuda erblickt man zwei umgestürzte und zum Theil zer-
brochene Statoen, welche die Hüter des Tempels darstellten. Alfa die
grossen Bauwerke zu Brambaoan sind aus beim neuen Bruchstücken und
ohoe Härtel oder Kitt aufgeführt. Der Haopttempel von Boro Bodo ist
eine grandiose pyramidalo Anlage, weiche sich in sechs Absätzen erhebt
und reich mit Nischen verziert ist, io deuen buddhistische Figuren sitzen.
Ao einem Tempel zu Siogasari erblickt man über dem Haupteingang au
4er Westseite ein ungeheures Gorgoncnhanpt , und es sind viele andere
Scalpluren vorhanden. In einem Walde in der Nähe liegen viele mit
Bildwerke bedeckte Trümmer, onter deoeo man Brahma und Wischnu,
deo heiligen Stier, eine mit Blumen bekränzte Iudra und andere indische
Figuren erkannte. Alle jene javanische Denkmaler zeichnen sich durch
einen grossen Heichthum schön gearbeiteter Bildwerke uus, die aber alle
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124 Stephen« und Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
theils dem Kreise der buddhistischen oder brahmanischen Religion ange-
hören, Iheils als eigentümliche phantastische Formen erscheinen, wie an
den schönen Abbildungen von Raflles wahrzunehmen ist. Sehr merkwür-
dige Rainen liegen noch in der Nähe des Dorfs Suka auf einem Hügel
beim Berge Lawu. Eins der Hauptgebäude besteht aus einer abgestumpf-
ten Pyramide, die sich auf dem Gipfel von drei einander überragenden
Terrassen erhebt. Die an denselben befindlichen Scnlpluren und Basreliefs
haben eine merkwürdige Aehnlichkeit mit denen, welche an ägyptischen
Bauwerken vorkommen. Hier frisst ein Ungeheuer ein Kind auf und er-
innert au den Typhon, dort erinnert ein Hund an den Ann bis. ein Kra-
nich an den Ibis. Ferner sieht man das Bild der Palme, der Taube, des
Sperbers, der Schlange, lauter im alten Aegypten bekannte Symbole.
Diese Ruinen gehören einer Epoche an, von der sich auf Java keine
Tradition erhatten hat. In Terrassen aufgeführte pyramidenförmige Ge-
bäude endlich sollen nach Du Halde (Voyage en Chine T. 2 p. 250)
noch in der Mongolei vorkommen, namentlich in der alten Stadt Para
Hotun, die von den Nachfolgern Kublai Khans erbaut wurde.
Die nicht so verkennende Aehnlichkeit der Bauwerke Mittel -Ame-
rikas mit Buddha - Tempeln hat mehrere Archäologen bestimmt, die Ver-
mutung auszusprechen , dass die Erbaoer jener aus einem Lande des öst-
lichen Asiens nach dem neuen Continente gelangt seien. Herr von Hum-
boldt namentlich hat es in seinem Werke über die Monumente amerika-
nischer Urvölker (Vues des Cordilieres et Monumens des peuples indigenes
de TAmörique), durch Yergleicbung des mexikanischen und tibetanisch-
japanischen Calenderwesens , der wohl orientirten Treppen-Pyramiden und
der uralten Mythen von den vier Zeitaltern oder Welt Zerstörungen, wahr-
scheinlich gemacht, dass die westlichen Völker des neuen Continents lange
vor Ankunft der Spanier im Verkehr mit Ost -Asien gestanden haben.
Ein solcher Verkehr lasst sich allerdings bei der Nähe der Küsten beider
Welitheile an der Behrings - Strasse und den vielen zwischen denselben
befindlichen Inseln nicht in Zweifel ziehen, und dafür spricht die grosse
Aehnlichkeit, ja vollkommene Uebereinstimmung so vieler Sitleo und Ge-
bräuche bei asiatischen und west- amerikanischen Völkerschaften. Zur
Bestätigung fuhrt Refer. uur einige Thatsachen an. So ist das Tätowieren
sowohl bei den Indianern Nord- Amerikas, als bei den nord - asiatischen
Völkern, den Tsucktschen, Ainos, Tungüsen, Kirghisen und Ostiaken ein
alter Gebrauch. Die Indianer bemalen das Antlitz mit verschiedenen Far-
ben gleich dem chinesischen Gebirgsvolk der Sifans. Selbst das bei den
nord-amerikanischen Völkern übliche Skalpieren war nach Herodot bei
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Stephens und Catherwood • lTi»h»r rVntm1.Am*«>i*l* 4oc
F •••"^ vt wu • lj v vvl v villi p 1 v/mm v| lt\«i |4 j
den Scylheo im Gebrauch und sie trugen den Skalp gleich jenen als Sie-
geiieichen. Der Kahne ans Birkenrinde bedienen sich Eingeborne Nord-
Amerikas gleich den Tungusen und Samojeden. Die Indianer der Dörf-
lichen Länder des neuen Contineats pflegen beim Wechsel der Jahreszeiten
ihre Wohnplütze zu ändern, wobei sie, wie viele ost-osiatische Volker,
ihre Zellen und Hausgeräth auf den Rücken von Hunden laden. Die
Wiegen der Indianer Nord-Amerikas gleichen denen der Tungusen, und
werden von den Weibern auf dem Rücken getragen , oder an einen Baum
gehängt. Der in vielen Ländern Nord- und Süd - Amerikas üblich ge-
wesene Gebrauch der Quippos oder der Knotenschrift fand sieh nach A.
Remussat (Recnerches snr les langues tartares. Paris 1820 p. 66) auch
bei den Sifans und selbst bei den Chinesen in aller Zeil. Die Indianer
Nord-Amerikas verehren gleich den Barnten die Sonne, richten Gebete
an sie und bringen ihr Opfer. Die scheusslichen Götzen der Asteken
hatten unverkennbar viele Aehnlicbkeiten mit den Gölten des Scbamani-
scben Heidenthums, und deren Antlitz wurde mit Blut beschmiert, wie
es noch bei den Calmucken Gebrauch ist Auch in der Todten-Bestattung
Gaden zwischen nord - amerikanischen und ost - asiatischen Völkern Aehn-
licbkeiten statt. Bei den Assiniboins und Krihs oder Knistenanx am obe-
ren Missouri herrscht der Gebrauch, die Todten in Slrgen an abgelegenen
Orten auf Blume zu setzen. Derselbe Gebranch findet sich nach Pallas
bei den Baltiren und Teleuten von Kuznezk. Die Sioux oder Dacotaa,
sowie die Crows am Yellow Stone River und die M önnitarris legen die
Verstorbenen bemalt, in ihrem -ganzen Anzüge, mit ihren Waffen und
Ge rathschaften, in Fellen eingeschnürt, auf ein hohes, aus vier Pfählen
ruhendes Gerüst Anf dieselbe Weise pflegen nach Schangin die Berg-
Kalmucken ihre Todten in voller Kleidung auf Stangen - Gerüste nieder-
zulegen.
Der Aehalichkeit in vielen Sitten und Gebrauchen ohnerachtet, steht
der von manchen Ethnographen ausgesprochenen Behauptung, dass Ame-
rika selbst vom östlichen Asien aus bevölkert worden sei , entgegen, dass
die amerikanischen Völker, wie Morton gezeigt hat, sich durch eigen-
tümliche Kennzeichen in der Farbe der Haut, in der Form des Schädels
und in den Gesichtszügen von den Völkern der mongolischen Rasse we-
sentlich unterscheiden. Um sich bievon zu aberzeugen, braucht man nur
dlf» tr(l^n«n A kkiMnnnan an Ua»_„ „L nralnliA Pri„» Movimilinn w Wiad
^mm iVUUUCU SlUUllUUllgCIl ZU UCliaCDlCU , WCIl/llö iriUi OidA IIIllllUU V. »T ICU
«ad der Haler Caüin von Indianern Nord - Amerikas aus fast allen Sttfm-
»eB gegeben haben.
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136 Sleühens und Catherwood- lTol>pr f%>ntrnl-4m#>rikfl
Obgleich nach obigen Blittneilungen nicht bezweifelt werden kann,
dass schon io früher Zeil eid Verkehr iwischcn den Ost -Asiaten und
West - Amerikanern statt halle, ao halt ea Herr von Humboldt doch fttr
unentschieden, auf welchen Wegen und mit welchen asiatischen Völker-
schaften die Verbindung stattgefunden bat. Er meint, eine geringe
Zahl von Individuen ans der gebildeten Priestercasio hiltte viel-
leicht hingereicht, groise Veränderungen des bürgerlichen Znstandes
im westlichen Amerika hervoranbringen. Was man aber ehemals von
chinesischen Expeditionen nach dem neaen Continentc gefabelt, beziehe
sich bloss auf Schiflfabrten nach Fosang oder Japan. Dagegen könn-
ten Japaner oder Sian-Pi ana Korea, von Stürmen verschlagen, an
der amerikanischen Küste gelandet sein. Man wisse historisch, dass Bon-
aen und andere Abenteurer das östliche chinesische Aleer bescliiflft haben,
um ein Heilmittel zu suchen, welches den Menschen unsterblich mache.
So wurde unter Tscu'u-sihi~huang-ti eine Schaar von $00 Paaren langet*
Männer und Weiher, 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung, nach Japan
gesandt; statt nach China zurückzukehren, latafM sie sich auf Ninon nie-
der (Kleproth Tableaux historio,ues de TAsie 1824 p. 79; Noureau Jour-
nal asiatique T. 10 1832 p. 335. Humboldt Examen critiqUö T. 2 p.
62 — 67}. Sollte der Zufall nicht ähnliche Expeditionen nach den Fuchs-
inseln, nach Alaachka oder nach Neu - filiformen geführt heben? Da
aber die westlichen Küsten des amerikanischen Conti neu t< von NW gegen
SO, die westlichen Küsten Asiens dagegen von NO gegen SW gerichtet
sind, ao scheine die Entfernung beider Continentc in der milderen, gei-
stiger Entwicklung EulrügJu her en Zone von 45 0 Breite allzu beträcht-
lich, um in dieser eine zufällige asiatische Übersiedlung zu gestatten.
Man müsse daher annehmen, die erste I^nnduug geschah in deaa unwirth
baren Klima von 53° und 65°, und die Bildung sei schrittweise m Sta-
tionen, Wie der allgemeine Völkeraug in Amerika, von Norden gegen
Süden (Relal. bist. T. 3 p» 153} gegangen. . i .
Andere Autoren haben sich Uber eine ehemalige Verbindung zwi-
schen den Völkern das östliche» Asiens and ilea neuen Continents mit
weniger Um>icht ausgesprochen. So meinte der ältere Deguignes durch
seine UnteraHeauUgen der chinesisch en Jahrbücher bewiesen zu haben, dass
die Chinesen bereits seit dem fünften Jahrhundert der christlichen Zeit-
rechnung Amerika gekannt hüllen , und dass ihre Schiffe des Handels wegen
nach dem Lande Füging geaegel* ee*eur worunter das neue Coutinent tet»-
standen werden müsse. Klaproth (Recherches sur le pej* Fusaog, in Nouv.
Annales des Yoyagea T. 21 sec. ser.) dagegen, welcher die von einem
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Stephens und Catherwood ■ Ueber Central-Amerikc, 127
X
buddhistischen Mönche Über Fasan? gegebene Nachricht kritisch beleuch-
tete, hat nachgewiesen , dass darunter nur Japan au verstehen sei. Rein-
hold Forster bat die Vcrmttthung aufgestellt , dass Tataren von der Flotte,
welche Khublai Khan im Jahr 1281 ausgerüstet hatte, uro Japan zu er-
obern, an den Kasten Amerikas gelandet seien, welche unhaltbare Hy-
pothese John Ranking (Hntoricai Researches on the cooquest of Peru,
Mexico and Bogota in the thirteenth Century by the Mongols. London
1827) sieb bemüht bat weiter durchzuführen. Neuerlichst haben Neu-
mann und Eichthal ebenfalls wieder die Behauptung ausgesprochen, Buddha-
Priester hätten Mexico besucht und die Cultur daselbst eingeführt.
Ohneracbtet der oben angegebenen Aebnlicbkeit , welche die allen
amerikanischen Bauwerke mit Buddha -Tempeln haben, muss sich Refar.
doch ganz entschieden gegen die Meinung aussprechen, dass die Erbauer
derselben Buddha - Priester waren, denn die an denselben vorkommenden
Symbole und die ornamentalen Sculpturen sind gänzlich von denen budd-
histischer Bauwerke verschieden. Es lasst sich ferner gegen die Vor-
motbung, dass jene Monumente von einem aus dorn ostlichen Asien ein*
gewanderten Volk« aufgeführt worden sind , der Einwurf machen , dass
die an den Bauwerken Cenlrnl-Amenkas dargestallten menschlichen Figu-
ren sowohl in der Bildung des Kopfes uud des Antlitzes, als in den
Kleidungen, Zierrathen und Wallen auch nicht die entfernteste Aehnlich-
keift mit einem Volke des mongolischen Menschen - Stammes haben. Refer.
hall es daher für gana unwahrscheinlich, dass die alta, einst in den Län-
dern Mittel -Amerikas verbreitet gewesene Gultur, für welche die pracht-
vollen Bauwerke ein so lautes Zeugniss ablegen , durch die rohen, an der
Nordost- Küste Asiens wohnenden Nomaden- und Fischer- Völker einge-
führt worden sei. Zu beachten ist ausserdem, dasB sich die schönen
dien Bauwerke nicht in den westlichen Liindern des neue» Continents
befinden , sondern in- den Ländern an der Ostküste Amerikas, und nament-
lich besonders auf der soweit in den Golf von Mexico vorspringende«
Halbinsel Yocatan. Und endlich vergesse man nicht , dass die mongoli-
schen Völker bei ihren Wanderungen und HeeresnUgen der Verbreitung
der Cuitur und der Künste nicht förderlich waren. Seit den ersten Um-
fallen der Hannen haben sie sowohl in Asien als in Europa die Cultur
vernichtet und die vorgefundenen Kunstwerke zerstört. « • >«
Es ist ferner zu untersuchen, ob die amerikanischen Bau - Denkmä-
ler Aehnuehkeii mit den alten assyrischen Bauwerken haben. Zöega
(üe obeliscia p- 3£0) war es, der zuerst auf die Aehnliehkeii der ame-
rikanischen Pyramiden mit dem Tempel des Beins in Babylon , wie ihn
Herodot (Lib. 1 Cap. 181) und Diodor von SioilieH beschrieben haben,
aufmerksam gemacht bat. Und Herr von Humboldt ( a. a. 0.) sagt: II
est impossible de lire les descriptions qu1 Herodot« ei Diodore de Sicile
nons ont laissces du temple de Jupiter Belus, saus elre frappe de traits
de ressemblance, quoITrent ce monument bnbylonien avec les teocallia
d'Aaahuac. Auch in den neuerlichst von Layard (Niniveh and its re-
mains) gegebenen Beschreibungen der Buinen zu Nimrud, Khorsabad und
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126 Stephens und Cather woo d: Ueber Central-Amerika.
Kalah Schergat gegebenen Beschreibungen sind grosse Ärmlichkeiten
x wischen den alten assyrischen und amerikanischen Bauwerken nicht zu
verkennen. So besteht die Hauptruine in Schergat aus einer sehr gros-
sen Erhöhung , auf der eine Pyramide aufgeführt war, welche von Er-
höhungen umgeben wird, auf denen, nach dem darüber zerstreut liegen-
den Schutt xu schliessen, kleinere Gebäude in einem Viereck standen.
Nach den früheren von Ainsworth gemachten Ausmessungen hatte die
Haupt -Erhöhung einen Umfang von 14,000 Fuss. Ein Theil derselben
acheint natürlich zu sein, und auf die natürliche Erhebung sind Lagen
von an der Sonne getrockneten Lehmsteinen, dem gewöhnlichen Bauma-
terial dieser Gegenden, gebracht worden, um eine grössere Erhöhung zu
{stände zu bringen , welche dann die Grundlage für die darauf errichteten
Gebäude, die Pyramide, die Tempel und Pallaste bildete. Nach Layard's
Untersuchungen scheinen die alten Assyrer stets bei der Anlage eines
grossen Gebäudes zuerst als Fundament eine erhöhte Flache geschaffen zu
haben, die sich oft 40 — 50 Fuss Uber den Boden erhob, und auf die-
ser erst wurden die Gebäude aufgeführt.4) Darin kommen offenbar die
alten Bauwerke der Länder Central - Amerikas , namentlich zu Palenque*,
Copan , Uxmal u. a., mit den assyrischen Bauwerken überein. Noch in
vielen anderen Punkten xeigen sich zwischen beiden grosse Aehnlichkeiten.
Die alten amerikanischen Pallüste bestehen wie die assyrischen meistens
nur aus einem Stockwerk , vor dem sich ein Corridor befindet , von dem
aus die Thür- Oeffnungen gleich in die Gemächer führen. Jene haben
ferner ebenso wenig wie die alten assyrischen Gebäude Fenster -Oeffnun-
gen, Luft und Licht halte daher in beiden nur durch die grossen Thü-
ren Zugang. Die Decken der Gemacher sind nicht aus bogenförmig ge-
sprengten Gewölben gebildet, sondern sie bestehen aus auf einander ge-
legten vortretenden Steinplatten. Sowohl in den alten amerikanischen, ala
assyrischen Gebäuden kommen höchst selten Säulen vor, und diese haben
meistens weder Sockel noch Capitäler, und gleichen nur rohen Pfeilern.
Ausserdem sind sich die Bauwerke auch darin ähnlich, dasa sie sowohl
ausserlich, als die Wände der Gemächer selbst mit senkrecht aufgerichteten
grossen Steinplatten, oder mit Stucco verkleidet waren , auf denen mensch-
liche und Thier - Figuren abgebildet sind. Die menschlichen Figuren an den
amerikanischen und assyrischen Bauwerken Übertreffen in der Correctheit der
Zeichnung und in der Genauigkeit der Verbältnisse bei weitem die ägyp-
tischen. Sehr beachtungswerth ist endlich, dass die alten Geblude Cen-
tral-Amerikas, ausserlich, wie Stephens wahrgenommen bat, mit ver-
schiedenen Farben bemalt waren , und Spuren von Farben hat auch Layard
an den assyrischen Gebäuden deutlich erkannt.
• ' •) Vergl. diese Jahrb. 1850 Nr. 6 p. Si.
v , » • T •••>'!
(Fortnlmng foty in Ar. iL)
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k. 9. HEIDELBERGER MSI.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Bandbuch der römischen Epigraphik ron Karl Zell, Professor an der
Universität zu Heidelberg. Erster Theil: Auswahl römischer /n-
schriflen. Heidelberg. Initersitatsbuchhandlung ron Karl Winter.
1850. 8. 480 S. Mit dem besondern Titel: Delectus inscriptionum
romanarum cum monumentis legalibus fere Omnibus. Edidit Ca-
rolus Zell. Heideiber gae. Sumtibus Caroli Winter. 1850.
Die Taesende von römischen Inschriften, welche noch vorhanden
sind und deren Zahl fortwährend durch neu aufgefundene vermehrt wird,
führen nns so recht unmittelbar in das antike Leben ein nach fast alten
seioen Richtungen; sie bilden den treuesten Codex diplomaticus zur rö-
mischen Geschichte und Alterthumskunde und zugleich eine reichhaltige
Ergänzung zur römischen Literatur. Ungeachtet dessen ist die Kenntniss
dieser Denkmäler und d8s Interesse dafür nicht so verbreitet, als man
glauben sollte. Wahrend kleine Bruchstücke von Grammatikern oder von
untergeordneten Schriftstellern, die man in Handschriften fand, oft grosse
Theilnabme erregen und eine sorgfaltige Behandlung gefunden haben, ist
manche? epigraphische Denkmal von grosser Wichtigkeit von unsern deut-
schen Philologen ganz vernachlässigt worden. Um nur ein paar Belege
dazu anzuführen, erinnern wir an das Monumentum Ancyranum, welches
erst vor einigen Jahren eine sorgfältigere Bearbeitung durch Franz und
A. W. Zum pt gefunden hat und an das wichtige Edict Diocletians De
pretiis rernm, welches einer solchen bis jetzt ermangelt. Die Anregung,
welche F. A. Wolf durch seine Schrift: Ueber eine milde Stiftung Tra-
jans (1608} dem epigraphischen Studium in Deutschland geben wollte,
blieb bis zn dem Erscheinen der Sammlung von Orelli (1828) ohne
besondern Erfolg. Ans jenen beiden Jahrzehnten ist unter den deutschen
Philologen fast nur Osann zu nennen. Die Anregung, welche Hugo
durch seine Arbeiten Ober die Lex De Gallia Cisalpina und Uber die Ta-
bula Heracleensis für die Beachtung der monumenta legalia gegeben
hatte, trug in demselben Zeitraum in den Arbeiten von Dirks en,
Kleoze, Marezoll, sowie in den Sammlungen von Haubold und
Spangenberg ihre Früchte. In den letzten beiden Jahrzehnten, ganz
besonders aber in der neuesten Zeit bat nnter den deutschen Philologen
und Juristen das Interesse für diesen Zweig der Alterthumskunde und die
9
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130 Zeil: Handbuch der röiniscfcen Epfgraphik: \
. * •
Thütigkeit dafür beträchtlich zugenommen , und zwer von verschiedenen
Veranlassungen aus und in verschiedenen Richtungen. Ohne aUe Namen
nennen zu wollen, erinnern wir an jene ausgezeichneten Arbeilen deut-
scher nnd nordischer Gelehrten, welche in Italien selbst, wo die Epi-
graphik immer eine fleissige Pflege Tand, mit den ausgezeichnetsten ein-
heimischen Kennern des Faches so glücklich wetteifern (Kellermann,
Jahn, Henzen, Mommsen, Brunn), oder die wichtigsten epigra-
phischen Urkunden mit kritischer Schärfe neu verglichen (Gö Illing);
ferner Jene, welche in Deutschland Inschriften erläuterten oder antiqua-
riscbe Forschungen Uber einzelne Fragen vorzugsweise aus Inschriften
durchführten (Grotefend, Göttling, Tb. Zumpt, A. W. Zumpt,
Lieberkühn); dann Jene, welche die römischen Denkmäler einzelner
deutschen Länder bearbeiteten (Lehrsch, Hefner); endlich die Be-
arbeiter solcher epigraphischer Urkunden , welche zu den Quellen des rö-
mischen Rechts gehören (Rudorff). Ungeachtet dieser zahlreichen und
grossentheils trefflichen Arbeiten fehlte doch bisher ein Werk, welches
in das Gebiet der römischen EpigraphUc im Allgemeinen einführte und
die Kenntniss desselben unter den jungen Philologen und unter den Freun-
den des dänischen Alter Um ms in der Weise populärer machte, als es
ausführbar und wünschenswerth ist Dazu gehörte eine epigrapnische
Chrestomathie und eine theoretische Anleitung. Die Sammlung von Orelli,
für so wichtig und nützlich sie auch sonst gelten muss, ist zu dem er-
stem Zwecke nicht ganz geeignet. Einerseits ist daza ihr Umfang zu
gross, und andererseits vermisst man darin manche der wichtigsten und
interessantesten Denkmäler. Sie enthält z. B. nicht die beiden oben an-
geführten Urkunden (das monumentum Ancyranum und Edictum Diode-
tiani), sie hat überhaupt wenige monumenta legalia, abgesehen davon,
das« seit dem Erscheinen jener Sammlung eine Menge der interessantesten
Denkmäler erst aufgefunden worden ist. Der oben angegebene Delectus
inscriptionum , welchen der Herausgeber nach der bestehenden Uebung
unsrer Jahrbücher hier selbst anzuzeigen unternimmt, soll nun dem Be-
dürfnisse einer solchen epigraphischen Chrestomathie entgegenkommen.
Ohne über seine eigene Arbeit urtheilen zu wollen, glaubt der Heraus-
geber zur nähern Charakterisirung dieses Delectus, auf folgende drei
Eigenschaften desselben hinweisen zu dürfen: 1) er enthält Proben aus
allen Gattungen von Inschriften und dabei fast alle monumenta legalia,
welche letztere man nirgends so vollständig beisammen ündet als hier; 2) die
Auswahl ist mit vorzugsweiser Beachtung der interessantesten Stucke uud
mit Benützung der besten und neuesten Hilfsmittel und 3) Bich einer
»
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Zell: Handbuch der römischen Epigraphik. 131
systematischen, das ganze epigraphiscbe Gebiet umfassenden Anordnung
ausgeführt Wenn diese Sammlnn * daher euch nicht neue Ergebnisse für
die Wissenschaft bieten kann, so wird sie doch den Vom.* eine, ge-
wissen Heichhaltigkeit , sowie der angestrebten Zweckmässigkeit in 4er
Auswali! und Anordnung ohne Uobescbeidenbeit ansprechen dürfen. Jene
Reichhaltigkeit wäre innerhalb der Grenzen eines massigen Octavbandes
■icfat zu erreichen gewesen, wenn fttr den Druck die bei epigraphischen
Denkmälern sonst wenn anch nicht ausschliesslich doch bei weitem vor-
wiegend gebrauchte Capitalschrift angewendet worden wäre. Diess ist
aber von dem Herausgeber aus guten Gründen nicht geschehen; sondern
die allen Inschriften werdea hier dem Leser in derselben äussern Form
geboten , in w elcher er die alten Schriftsteller 10 lesen gewohnt ist. Ich
habe mich darüber in der Vorrede erklärt. Diese Einrichtung des Druckes
mag allerdings bei dem ersten Anblick manchem Leser zum Anstoas wer-
den, sowie denn vor Kurzem ein gelehrter holländischer Jurist, ein ver-
dienter Kenner und tbätiger Schriftsteller auf diesem epigraphischen Ge-
biet, Professor De Wal von Utrecht, bei einem Besuche, wobei er sich sonst
Ober das Unternehmen beifällig aussprach , mir darüber Bedenken äusserte.
Aber ein genaueres und unbefangenes Ueborlegen der Sache wird allen
Zweifel entfernen. Denn zu welchem Zwecke , in welcher Absicht ist bei
■oflumeotis literatis aller Art ein Wiedergeben der Schriftzüge des Ori-
ginals notbwendig oder wünschenswert»!? Offenbar nur zum Gebrauche
dar Kritik, ^^ie muss aber dann das Wiedergeben der Schriftzilgo des
Originals beschatten sein? Offenbar gaaz treu und diplomatisch genau,
weil die Nachbildung sonst für die Kritik nicht als zuverlässiges Hilfsmit-
tel diesen kann. Wird nun aber diese genaue, treue Nachbildung der
Inschriften einfach durch dif» Anwendung Hm* Drtirklpltarn nnftprar Knni—
lUJl'U ' iUwU vllliOV.il Ulli VH Vi v /» H Tf VN U "tl^ \i C l mJ I Utnlvlvvl II UiiSVl vi »mCI J/I
talschrifl erreicht? Keineswegs. Wer aar wenige römische Steine
gesehen bat, um von den Bronzetafela nicht zu sprechen, kann sieh
davon überzeugen. Durch den Abdruck aller Inschriften, ihre Schrift-
läge mögen noch so verschieden sein, in gewöhnlicher Kapitalschrift ge-
nügt man den Anforderungen der Kritik nicht, für welche nur em treues
Fac simile von Werth ist, und geräth andrerseits in den grossen Nach-
tuet!, dnss man ein viel grosseres Volumen für epigraphische Publikatio-
nen nölhig hat, und dass man die Augen dos Lesers bei der Leetüre
unnöthig aufhält. Diese Süssere Form des Drucks der epigraphischen
Urkunden hat ihrer Popularisirung mehr als man vielleicht glaubt im Weg
gesunden. Kurz, nach demselben Prinzip mttsste man auch die alten
Schriftsteller, deren älteste Handschriften Kapital- oder Uncialschrift
9*
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132 Zell: Lehrbuch der römischen Epigraphik.
zeigen , in der gleichen Form durch den Druck vervielfältigen. Uebrigeoi
ist das in dem Delectus eingeschlagene Verfahren nicht eiomai neu, —
(es wäre dieses , wenn es der Fall wäre , ein Verdienst) — sondern bei
einzelnen grösseren epigraphischen Urkunden, wie bei Gesetzen, Senats-
consulten u. dgl. schon anderwärts nicht selten angewendet, und ebenso
im Ganten bei derjenigen altern epigraphischen Chrestomathie, welche
Fried. Aug. Wolf in der Vorrede seiner Schrift : ..Von einer milden Stif-
tung Trojans'" ausdrücklich als Vorbild für ein neu zu veranstaltendes
Unternehmen der Art bezeichnet: wir meinen Fleetwood Sylloge inscrip-
tionum. Londini 1661. 8. Die Betrachtung der Schriftzüge der alten
Ioschriften ist allerdings von der grössten Wichtigkeit; sie gehört cur
Doclrin der Epigraphik und soll in dem aweiten Theile unsers Hand-
buches, wo wir in lithographischen Tafeln eine Reibe epigraphischer
Schriftproben geben werden, die gebührende Beachtung finden. Dieser
zweite Theil soll im Laufe dieses Jahres erscheinen und ist nach den
Grundzügen, welche der von mir verfasste Artikel Inscriptiones latinae
in Pauly's Roalencyclopädie vorzeieboet, ausgearbeitet worden. Zum
Schlüsse benütze ich diese Gelegenheit, um die Addenda et Corrigenda,
welche durch und ohne meine Verschuldung sich wohl noch vermehren
lassen werden, in Bezug auf zwei Inschriften zu ergänzen. Ich verdanke
diese Verbesserungen dem gütigen Wohlwollen des Herrn Dr. Heinrich
Meyer zu Zürich , welcher in einem an mich gerichteten , für mich sehr
angenehmen Schreiben Uber dieses mein Unternehmen, mir folgendes mit-
theilt. In der helvetischen Inschrift aus Wettingen n. 166 p. 19 des
Delectus ist nicht zu lesen, wie auch Orelli liest (n. 457): Deae Isidi
tempium a solo L. Annusius Magianus de suo posnit vir Aqnens. B.
(oder VI vir d. i. sex vir Aquensis bis); sondern wie Herr Dr. Keller
zu Zürich bei einer wiederholten Untersuchung des Steins gefunden hat:
VII Aquensib. d. i. Septemaquensibus d. i. den Einwohnern von Septem
Aquae. Ferner n. 6 p. 1 des Delectus in der zu Wilferdingen bei Pfora-
liciin \ or einigen Jiilirt^D suf^efundenoD Inschrift ciocr 3Iduer ^mflcerifl^^
welch© 6io Juveoslis Mscrioos dein Jupiter widmete y womit sr slso wohl
den Platz um einen Tempel einschloss , ist nach Herrn Dr. Meyers Ansicht
Vica. Senot. nicht zu lesen vicanus Senotensis als Apposition zu Juvenalif
Macrinus, sondern im Dativ vicanu Senotensibus.
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Karze Anzeigen. 133
Karze Anzeigen.
Pm C ot e iba's Handbuch der Gcschichle. Aus den Handschriften der k. k. Hof"
bibliothek zu Wien, der herzoglichen Bibliothek tu Gotha und der Univer-
sitätsbibliothek zu Leyden, herausgegeben von Ferd. Wüsten f eld. Göl-
tingen , Vandenhoek u. Ruprecht. 1850. VIII u. 366 S. 8.
Der Verfasser dieses Werkes, dessen vollständiger Name Abo Mohammed
Abdallah Ibo Moslin Ibn Kutciba lautet, ist im Jahre 213 geboren, lebte einige
Zeit als Cadbi in Deine wr , bei Kirmesin, (nicht Dinawar bei Carmisiu, wie der
Heraasgeber achreibt) weshalb er auch Aldeinewri genannt ward , hielt sich
viele Jahre in Bagdad als Lehrer der Tradilionsknndc auf nnd starb im Jahre
270 oder 276. Das vorliegende Buch Ibn Kuteiba's, der auch noch andere
Werke literarhistorischen, philologischen und theologischen Inhalts hinterliess,
ist in Europa längst durch Reiske, Eichhorn und Rasmussen bekannt, es ist von
Ersterem ins Lateinische übersetzt . aber nur einzelne Theile dieser Uebersetzuuir
sind später herausgegeben worden. Auch Ref. wollte es schon zum ersten
Bande seiner Chalifengeschtchte benutzen , erhielt aber den Codex der herzogl.
Bibliothek zu Gotha so spät , dass er nur noch in der Vorrede Einiges nach«
Irdj^cD IiöqdI© entlehnt© dcHisdl^cn jedoch nisocho schiitxbiirc IN' ot izen zum zw li
ten Bande. Dass Ibn Kuteiba, als einer der ältesten arabischen Historiker, längst
verdient hätte herausgegeben zu werden, und sich Herr Wüstcnfeld durch diese
Arbeit aufs Neue den Dank der Orientalisten erworben hat, wird gewiss Nie*
mand läugnen, doch geht der gelehrte Herausgeber zu weit,* wenn er in der
Yorrede schreibt: Ibn Kuteiba „scheint bei der ftluhammedanischcn Geschichte
kaum ein geschriebenes Buch benutzt zu haben, wenigstens erwähnt er kein
solches, nennt aber öfters seine Gewährsmänner und die Reihe der Ueb er lieferer
bis zu einem Zeitgenossen der erwähnten Begebenheiten." Ref. scheint es viel-
mehr, dass Ibn Kuteiba nur frühere Werke excerpirt hat und darum anch, wo
iL» -I . n r <. Cli^Ujk |alaan Ana kniaet in Amr l1 or'mAa ii)olr<lio Ihm nnknr 1 a _
um aiese im bmciio jumcm, um ihism in ucr i euuue, wciiiiü luni iiioer mg
und noch a^€40©Ä (i©Äch ic h lÄchrci b©r ^^^funden listic ^ 00 flrro iinti cinsy ILm^ ist«
So findet man vom Regierungsantritte Alwatbik's bis zu dem des Almutamid
(227—256 fast nichts aia die Data der Thronbesteigung, der Geburt und des
Todes der Chalifen. Dass übrigens Ibn Kuteiba Werke seiner Vorgänger benutzt
hat, geht ans vielen Stellen desselben hervor. Er citirt (S. 59) bei dem Tode
des Abd Allah Ibn Abbas den Historiker Alwakidi, welcher schon im Jahre
206 starb und bekanntlich ein Werk Ober die älteste Geschichte des Islams,
besonders über die Kriegszüge der Araber hinterliess. S. 75 werden einige
Verse angeführt, welche bei Gelegenheit der Auswanderung Mohammeds nach
HediM gedichtet wurden und dazu bemerkt, dass Abu-I-Jakzan diese Vene
dem Dichter Hasan Ibn Thabit zuschreibt, während Mahommcd 1. Isbak den
Dichter Sinn ah Ibn Abi Una Alanssari für deren Verfasser hält. Abu-I-Jakxau
starb im Jahre 170 und hinterliess verschiedene historische und genealogische
Werke, aus denen vielleicht Ibn Kuteiba das Meiste, was er über die arabi-
schen Stämme berichtet, geschöpft hat und Mohammed Ibn Ishak, der Schöpfer
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m
arabischer Historiographie, lebte bekanntlich am Höre Manssurs, verfasstc ein
Leben Mohammeds, das allen spätem Biographen Mohammeds zur Grundlage diente
und ein Buch über die Kriegszüge der Araber, das Tabari fast auf jeder Seite
citirt. S. 91 führt der Verfasser über das Alter Omars die Ansicht Ihn Ishaks,
Abu-l-Jakzan's und Alwakidi's an. S. 109 fuhrt er über die verschiedenen
Ehen, welche Sukeinah, die Gattin Hiueins, geschlossen, ausser Abu-I-Jak-
zan noch Ihn Alkelbi und Albeithaiu lbn Aladi an. Erstem nennt er selbst
(p. 266) den gelehrtesten und Letztem ebenfalls als berühmten Genealo-
gen und Traditionskundigen. Auch Almada ini war einer der Vorgänger
lbn Kuteihn's, welcher sowohl über Mohammed als über die Omejjaden ond die
ersten Abbasiden schrieb und im Jahre 225, oder nach Andern im J. 228 der
Hidjrah starb. Der Verfasser selbst macht übrigens gar keine Ansprüche aof
Origninlit.it und hat sein Werk mehr für das grössere gebildete, als das gelehrte
Publikum geschrieben. Kr sagt in seiner Vorrede (S. 1): ..Ich habe in diesem
Buche gesammelt, was jeder, durch hoben Rang, Bildung und Kenntnisse aus
der Masse hervorragende Mensch wissen sollte, denn er kann es nicht entbeh-
ren im Umgange mit Fürsten, Edlen und Gelehrten, denn in jeder guten Ge-
sellschaft wird auf das Eine oder das Andern von dem hier milgefhcfttcn die
Hede kommen, das Gespräch wird bald auf den Propheten führen, bald auf
einen König oder einen Gelehrten, oder einen Stamm oder einen ScMachtag der
Araber, der Anwesende sollte daher mit der Geschichte bekannt sein, den
Aufenthaltsort des Stammes kennen, die Zeit, in welcher der Fürst, von dem
die Rede ist, gelebt hat und den Zustand dor Person, über welche gesprochen
wird u. s. w.M Dann S. 3: „Ich habe mich bemüht, nur das Berühmtere und
Gellufigere auf eine kurze und leicht fassliche Weise darzustellen , ohne mich
in das Ausführliche zu vertiefen, sonst wäre das Buch so gross geworden,
dass ea nicht leicht abgeschrieben und noch weniger auswendig gelernt werden
könnte u. i. w.u
Wir werden bei einer andern Gelegenheit, da hier nur eine kurze An-
zeige des vorliegenden Buches gegeben werden soll, einzelne Stellen desselben
einer nähern Prüfung unterwerfe« , haben übrigens auch schon im zweiten Bande
■nserer Geschichte der Chalifen mehrfach nachgewiesen, dass Ihn Huteiba's An-
gaben keineswegs einen unbedingten Glauben verdienen. Wir begnügen uns
daher nur noch damit , ein kurzes Inhaltsverzeichnis des Kitab Almaarif mitzu-
teilen, das mancher Leser nngern vermissen wird, obgleich es einigermnssen
durch das vom Herausgeber beigefügte Namenregister ersetzt wird.
S. 6, mit welcher die Vorrede endet, beginnt mit der Schöpfung und
der Geschichte Adams, nach dem alten Testamente und talmudischer und mn-
aeimlnnischer Sage, an welche dann die der übrigen Propheten fn folgender
Ordnung sich anreiht: Sehet h. Idris, Nah, Harn, Jafeth , Scham, Hud, Snlib,
Ibrahim, Ismail, Ishak, Issu, Jaktib, Jusuf, Schueth , Balam, Alchidhr, Ejjub,
Musa und Harun, Isehmawil, Talut, (Samuel und Sauf) Dawud und Sulciman,
Lreir (Esdras) und Danrai, Schaja, Hizkil, Alias, Elisa, Isa (Jesus), die Be-
wohner der Höhle (Siebenschläfer), Iskander , Lokman nnd Dsu-I-KiR lein
Unbekannter). S. 27 und 28 enthalten die Gesammtzahl der Propheten und der
geofTenbarton Bücher, S. 29 und 30 (nach dem Sirat Arrasul) die Namen der-
jenigen Araber , welche vor Mehanimed schon an Gott glaubten. Die folgenden
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Kurze Anzeigen.
135
Seiten bandeln von der Genealogie der Araber, an die sich (S. 56) die
Xotammeds und seines Geschlechts reiht, auf welche dann das ganze Leben
dieses Propheten folgt. S. 83 beginnt das Leben Abu Bekr's und der folgenden
Chatten-. Omar, Othman, Ali, Hasan und Husein, wobei jedesmal auch eine
Um Biographie ihrer hervorragenden Sprösslinge raitgetheilt wird. Mit Zobeir
wird die Lebensbeschreibung der Gefährten Mohammeds eröffnet, welche (S. 173)
mit der des Abu- 1- Tu feil endet. S. 174 enthält die Namen derjenigen, welche
Mohammed zu gewinnen suchte und die Namen der Heuchler. Nun beginnt
(S. 175) die Geschichte der Chalifen mit Muawia und endet (S. 200) mit Altnu-
tsmid. Das folgende Kapitel, das sich bis S. 215 erstreckt, mit Abd Allah Ibn
Muli beginnt und mit Abu Muslim endet, ist überschrieben : „Die Berühmten
anter den Vornehmen und Macbthabern, sowie unter den Empörern." Die fol-
genden 32 Seiten (216 — 218) handeln von den berühmten Männern, welche auf
die Gefährten Mohammeds folgten (Tabiin). Dann folgt die Biographie der be-
rühmten Gesetzgelehrten (248—51), Traditionskundigen (251 — 262), Koranleser
(262—265), Genealogen (265—268), Dichter und Grammatiker (268—271) und
Lehrer (271—272). Nun folgen bis S. 304 kurze Notizen über die sich Be-
feindenden, über den Ursprung verschiedener Gebräuche und Gesetze, über die
Moscheen, über die arabische Halbinsel, über die Eroberungen, Stalthalter, be-
rühmte Handwerker, berühmte Männer mit Leibesgebrechen, Schlachttage der
Araber, sprüchwOrtlich gewordene Stämme und Personen und über Religions-
seklen. Den Schluss des Buches bildet die Geschichte der Könige von Jemen
(S. 304—313), von Syrien (S. 313-316), von Hira (S. 316-320) und von
Persien (S. 320-330).
Well.
Die Naturwissenschaft und die Geistesbildung von Hans Christian Oersled.
Deutsch von K. L. Kannegiesser. Leipzig. Verlag von Carl B. Lorch.
1850. XVI S. u. 169 S. 8.
Obiges Buch ist ein Nachtrag zu den von uns in diesen Blättern ange-
zeigten, naturphilosophischen Schriften des berühmten dänischen Gelehrten. Es
enthält acht verschiedene Abhandlungen unter folgenden Aufschriften: 1) Der
allgemeinen Naturlehre Geist und Wesen (S. 1—24), 2) Über die bildende Wir-
kung, weiche die Anwendung der Naturwissenschaft ausüben muss (S.25 — 43),
3) Rede bei der ersten Zusammenkunft der skandinavischen Naturforscher zu
Kopenhagen, 3. Juli 1840 (S. 47—59), 4) Eröffnungsrede der fünften skandi-
navischen Naturforscherversammlung (S. 60—72), 5) das Verhältniss zwischen
den Jongen und Alten, mit besonderer Hinsicht auf den in die Welt eintreten-
den JüngKng (S. 73—93), 6) alte und neue Zeiten (S. 95—112), 7) der Na-
turwissenschaft Verhältniss zu Zeitaltern und deren Philosophie (S. 113—154),
8) das Christenthura und die Geistesbildung unterstützen einander (S. 155— 169).
Die erste Abhandlung ist ein Bruchstück aus der Einleitung zu der „allgemeinen
Naturlehre" des Verfassers nnd ganz in dem Tone und Charakter semer früher
angezeigten Abhandlungen geschrieben. Die Wilsenschaft, welche den Zweck
hat, mit der Vernunft die ganze Natur zu umfassen und zu durchdringen und
sie in ihrem ganzen Zusammenhange darzustellen, ist nach unserem Verf. die
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Kurie Anzeigen.
Naturwissenschaft oder Physik in dieses Worte« ausgedehntester Bedeu-
tung (S. 1). Die Physik ist also in diesem Sinne, in welchem sie gewöhnlich
nicht genommen wird, mit der Naturphilosophie gleichbedeutend. Wir können
diese Anschauung von der Aufgabe der Physik nicht unterschreiben. Allerdings
bat es die Physik mit den Wirkungen der Natur, mit den Naturkräflen nnd
Naturkörpern zu thun; aber sie liefert erst in Verbindung mit Chemie und allen
übrigen Naturwissenschaften, vorzüglich in Verbindung mit Astronomie, Geo-
gnosie, Miuernlogie , Botanik den Stoff für die Naturphilosophie, welche erst
auf dem Boden der einzelnen Naturwissenschaften im Stande ist, ihrer Aufgabe
— der „Durchdringung der ganzen Natur in ihrem Zusammenhange" Genüge zu
leisten. Die Naturphilosophie soll zuletzt alle Naturwissenschaften umfassen,
und ihre Aufgabe ist diejenige, welche der Herr Verf. als die der Physik im
weitesten Sinne des Wortes bezeichnet. Wenn man die Physik als mit der Na«
turphilosophie gleichbedeutend betrachtet, so könnte diese Anschauung leicht
dem gründlichen Studium der Physik schaden, welche nur von der gründlichen
Erforschung des Einzelnen ohne Ueberspringung eines Mittelgliedes zu allgemei-
nen Sätzen aufsteigen darf. Ferner sinkt auch die Physik, die sich in allge-
meinen Sätzen ohne Beobachtungen und Versuche bewegt, zu einer gehaltlosen
oder unbegründeten Hypothcsenmacherei herunter. Es sind übrigens ganz die-
selben Wahrheiten, welche der Verf. in dieser Abhandlung entwickelt, die er
schon in seinen frühern entwickelt hat. Man kann diese auf folgende zurück-
führen: 1) Jede wohlgefuhrte Untersuchung eines beschränkten Gegenstandes
entfaltet uns einen Theil der ewigen Gesetze des unendlichen Ganzen; 2) die
Keuntniss der Naturgesetze ist die Kenntniss von dem Wesen der Dinge; 3) alle
Naturgesetze bilden eine Einheit, die das ganze Wesen der Welt ausmacht;
4) die Natur- und Vernunftgcsetzc sind Eines. Sie sind der Ausdruck einer Idee,
welche mit der in Allem lebenden und wirkenden Vernunft Eines ist; 5) wenn
die Vernunft die Naturgesetze erkennt, erkennt sie daher die iu ihr selbst wir-
kenden Gesetze, erkennt sie sich selbst in der Natur. So richtig diese Haupt-
grundsätze des Herrn Verf. sind, so wenig können wir dem Princip des ein-
seitigen Idealismus beistimmen, das er auch hier, wie in seinen andern natur-
philosophischen Schriften, zur Geltung bringen will. Der „Stoff" ist ihm nämlich
auch in dieser Abhandlung „nichts Andores , als der vermittelst der Grundkräfte
der Natur erfüllte Raum" (S. 7). Anch hier wird also wieder die Ansicht von
dem Verf. aufgestellt ., dass die Körper „Krafterfullte Räume" seien. Dieses heisst
aber die Materie in der That so vergeistigen, dass zuletzt nichts Reelles mehr
von ihr übrig bleibt. Der Stoff ist etwas Anderes, als die Kraft oder der Raum,
und man wird die Materie weder mit der Kraft, noch mit dem Ranme ver-
wechseln dürfen. Kraft ist ein Wirkendes in der Materie; aber die von dein
Verf. ganz richtig als etwas Geistiges oder Ideales bezeichnete Kraft wird ohne
wirklichen Stoff keine Materie, auch kann blosse Kraft als Möglichkeit oder
Können ebenso wenig zur Wirklichkeit werden, als sie den Raum zu erfüllen
im Stande ist. Wenn auch Raum ein Verhältniss ist, ohne welches man die
Körper nicht denken kann, so ist desshalb der Raum noch immer kein Körper;
ja er kann nur ahstrnet für sich gedacht werden; ist aber in der Natur nie von
dem Körper getrennt, ungeachtet er selbst nichts Stoffartiges, sondern nur ein
Verhältniss ist, unter welchem das Stoffartige existirt. Dass die Materie „in
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Kurze Anzeigen. 137
•IJeo Dingen" , wie der Verf. will, „überall dieselbe" ist, wird er schwerlich
auf dem Boden der Naturwissenschaft nachweisen können, welche die Materie
sof gewisse einfache, an und für sich verschiedene Stoffe zurückführt , die nicht
io einander übergehen. Freilich, wenn er alle Kräfte der Natur auf eine Grund-
krau znrüchführt und sich unter allen Körpern nur Krafterfüllte Räume vorstellt,
dann moss zuletzt die Materie dieselbe sein, weil sie nach dem Verf. nichts, als
eine und dieselbe Grundkraft ist, inwiefern sie den Kaum erfüllt. Wir Habe«
aber bereu nachgewiesen, dass diese Anschauungsweise den Begriff der Ma-
terie selbst aufhobt.
Vortrefflich ist io der zweiten Abhandlung die bildende Wirkung ausein-
ander gesetzt, welche die Anwendung der Naturwissenschaft ausüben muss
[& 25-43). Mit Ausnahme der beiden ersten Abhandlungen haben alle andern
mehr eine lokale Beziehung und daher auch ein weniger allgemeines Interesse.
Nr. 3 und 4 sind Reden, welche in den skandinavischen Naturfbrscber-
vertauimlungen zu Kopenhagen von dem Verf. gehalten wurden. Nr. 5 ist eine
Gelegenheit. <r ed t* , welche am Sliftungstage „der Schule für die Nachwelt1* (einer
dareb Privatmittel fundirten höheren Bürgerschule in Kopenhagen) am 4. Mirz
im vorgetragen wurde. Nr. 8 ist ebenfalls eine Festrede zur tausendjährigen
Feier der Einführung des Christentums in Dänemark. Auch die beiden andern
Ktlmmini l. L.„„ mina innlir auf InLila Varlinllni'i-ta „„U.J. Raiiaklinff Hin A Ii _
nummern nnoen eine inciir aui joKaie vcrnaiinisse genenne ne^ienung. uic aü"
handlang Nr. 6 ist für den „dänischen Kalender" geschrieben, Nr. 7 ist eine
Becension von Steffens polemischen Blättern zur Beförderung der speculati-
ven Physik (erstes Heft, Breslau, 1829). Doch haben die letzten beiden Ab-
bandluugen auch allgemeine Gesichtspunkte, welche für ein weiteres Publikum
>on Interesse aind. In der Abhandlung „die alten und die neuen Zeiten" sucht
der Verfasser nachzuweisen, dass die Klage über die Verschlimmerung der
Zeiten unbegründet sei, und dass ein Fortschreiten des Menschengeistes in der
Zeit angenommen werden müsse. Er läugnet ebenso sehr eine Verschlechterung
der Menschheit in körperlicher, wie in intelleclucller und sittlicher Hinsicht. Er
bat seine Betrachtungen unter folgende Ueberachriften zusammengefasst : 1) Die
Wirme der Luft bat sich nicht verändert (S. 98- 100) ; 2) die Menschen wur-
den nicht grösser oder kraftvoller in der Urzeit (S. 100-102); 3) die Lebens-
zeit hat nicht abgenommen, man lebt jetzt gesünder (S. 102-105); 4) das
Menschengeschlecht ist in sittlicher Hinsicht nicht zurück, sondern vorwärts ge-
gangen (S. 105-112).
In den skandinavischen Naturforscherversammlungen zu Kopenhagen war
«er Verf. vorzugsweise bemüht, durch solche Vereine auf die Einheit der skan-
dinavischen Bruderstfimme hinzuwirken.,, Nur durch „Gemeinschaft" kann von
den „geistigen Bestrebungen des Nordens ein recht grosses und unseres Norden*
würdiges Ansehen ausserhalb unserer eigenen Grenzen" gewonnen werden
(S. 61). Der Verf. meint, die Skandinavier sollten sich die Deutschen zum
Master nehmen ; sie wären in der Literatur und Sprache keine Brandenburger,
Hessen, Sachsen, WArtemberger u. s. w., sondern Deutsche ; sie schrieben nicht
-Hessisch, Sächsisch, Würlembergisch" u. s. w. , sondern „deutsch." Die Ein-
bot in der politischen Gesinnung konnte er freilich nicht als Moster aufstellen ;
aber aach die Einheit in der Sprache und Literatur der Deutseben kann nicht
wr Parallele für skandinavische Zustünde dienen, da die schwedische und
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ISS
Karte Anzeigen.
dänische Sprache trotz ihrer Stamraverwandtscbaft wirklich zwei verschiedene
Sprachen sind, und eine ganz verschiedene Literatur haben.' In Deutschland
kann nur ven verschiedenen Mundarten, aber nicht von verschiedenen Sprachen
die Rede sein.
In der Recension über seines Freundes Steffens „polemische Blätter"
theilt der Verf. aus den lettlern S. 137 folgende Stelle mit, welche die An-
sicht'jenes Philosophen Uber den Einfluss der Naturwissenschaft anf die Stellung
der Kirche in merkwürdiger Weise ausspricht (Steffens, polemische Blätter,
Heft 1, S. 64): „Aber am tiefsten musste die frühere Kirche, wo sie noch mäch-
tig war, fühlen, wie erschütternd diese Ansicht" (die Entdeckung des Welt-
systems durch Copernicus) „war. Wenn sie sich auf jene bekannte Bibelstelle"
(von dem Stillesteben der Sonne) „berief, so verbarg sie ihre wahre Furcht.
Dir unerschütterliche, unwandelbare, sichtbare Herrschaft der Kirche konnte
auf einem bewegten Planeten , der mit andern um einen gemeinschaftlichen,
entfernten Mittelpunkt kreiste, keine sichere Heimath finden. Die Axt war an
die Wurzel aller bestehenden NatUransicbt gelegt, das tiefste Fundament alles
bisherigen Wissens war untergraben." lind doch wollte Steffens an die Stelle
der von ihm bekämpften, römisch-katholischen Weltanschauung die Offenba-
rungsphilosofrfiie Schöllings setzen! Mit Recht tadelt unser Yerf. das Mystisch-
dunkle in der Entwicklung der philosophischen Begriffe durch Steffens, und
nimmt ab fremder Gelehrter ein Aergetniss an dieser Eigen thümliehkeit der
Philosophenspracbe in Deutschland. S. 144 sagt er: „Es ist merkwürdig, dass
Deutschlands Philosophen sich sehr häufig so grosse Gleichgültigkeit hinsichtlich
des Vortrags erlaubt haben. Schon die Verwicklung der Perioden erschwer!
die Lesung ihrer Schriften sehr; denn wohl ist es leicht, sich eine verwickelte
Periode zu construiren, wenn sie richtig gebaut ist, was nicht immer der Fall
ist-, aber eine unaufhörlich wiederkehrende Schwierigkeit ermüdet aufs Aeus-
serste. Diese Schwierigkeit wird durch die grosse Häufung von Kunstwörtern
noch vermehrt. Aber nicht bloss im Styl linde t man sich gehindert, onch in
der ganzen Anordnung des Vortrags (ludet man allzu wenig Sorgfalt, um die
schwierige Sache so deutlich zu machen, wie es die Beschaffe aheil der Dinge
zulasst." Nachdem der Verf. sieb über Pascal, E iiier und Fichte ansge-
geaprochen hat, fährt er S. 145 fort: „Bei den meisten andern deutschen Phi-
losophen findet man eine ähnliche Geringachlung derer, welche nicht auf dem-
selben Standpunkte stehen , wie sie selber. Sie äussert sich bald in einer vor-
nehmen Zurückhaltung, bald in einem übermütbigen Tone, der jetzt so oft von
geistigen Don Ranudo's nachgeäfft wird, dass diejenigen, welche durch cm
gewisses Gefühl von eigener Kraft sich haben dazu verleiten lassen, jetzt da-
durch abgeschreckt werden sollten , indem sie ihre Fehler in einem so schrcek-
Uch vergrößernden Spiegel erblicken." Sehr wahr ist, was der Verf. dieser
Rüge S. 146 beifugt: „Ohne Zweifel hat die speculative Philosophie durch ein
Dunkel im Vortrage, das zu ihrer Natur nicht gehört, und nicht gehören kann,
manche WahrbeiUfreunde davon versebeucht und manche Nachbeter angelockt*
Möge die Philosophie immer mehr nicht durch ein dialektisches Spiel mit neu-
erfundenen Kunstwörtern und Kunstformeln , sondern durch das Zurückgehen auf
den Boden der Erfahrung und der Naturwissenschaft nach der Lösung ihrer
Aufgabe, „in das Wesen der Dinge einzudringen", auf eine würdige Weise
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Hreoen , möge sie cDen oirin inren ^»anren praKiiscnen i>erui mr alle anoern
\Vinr»aj-haftnn nrUnncn Ann Pnril.kar im f \.hi ,>»o m*nmm ;„,|„n \V I 4. .. r. c 1. •> f»
n ia>rio«.iiRittn uuinitii, aen rorsener im ueoieie einer jeucn tt isstnsi naii
zu» Richtigdenken über das Weaen, den Ursprung und die Verhältnisse jede*
uingc* anzuleiten, uie rmiosopnie Kann nur dann sien inrem vorgcsiecKten
Ziele nähern, wenn sie eine Philosophie der Natur wird, und diese kann sie
nie ohne die ISalur Wissenschaft werden.
Unter suchungen über die physikalische Geographie der Alpen in
ihren Beziehungen zu den Phänomenen der Gletscher, zur Geologie, Jfc-
teorologie und Pflanzengeographie, von Hermann Sehl ag int tc eil und
Adolph Schlagintueit. — Mit 11 Tafeln und 2 Karten. Leipzig,
Verlag ton Johann Amhrosius Barth. 1850. S. XIV u. 600.
Wie die Schweizer Alpen einst m Sau saure einen getreuen, unüber-
troffenen Schilderer landen, so blieb ea den Brüdern Sch I agintweit vorbe-
baitea, das gründlichste und umfassende Werk zu schaffen, welches wir bis
jetzt ui>er nie pn^sikajistne iieogrnprue ner östlichen Alpen besitzen. Wir sma
aberzeogt, dnst unter den vielen Bürhern, welche dem greisen Nestor der Na-
larwiss enschaflen zugeeignet wurden , wenige ihn so erfrent haben werden, wie
das vorliegende.
Die Untersuchungen der beiden Brüder sind nicht allein auf dre östlichen
Alpen (Kirnthen, T3rol u. a. w.) ausgedehnt; fie waren bemüht, auch die
anderen Alpen- Gruppen mit in das Bereich ihrer Betrachtungen zw ziehen.
Das Werk ist ein so gehaltvolles, das Feld ein so ausgedehntes, die Fülle der
Beobachtungen so bedeutend, das* es ein vergeblicher Versuch sein würde,
auch nur einen gedrängten Auszug aus demselben zu geben. Wir bcschrSnkeit
ans dessbalb darauf, nachdem wir den Haupt-Inhalt angeführt, aus einigen der
wichtigsten Abschnitten das Anziehendste hervorzuheben.
Das Ganze zerfallt in vier Abtheitongen; die erste handelt von den Un-
tersuchungen über die Gletscher; die physikalischen Eigenschaften dea Eises,
die Firaregiooen , Topographie der Gletscher, ihre Stractur, Bewegung, Oacü^
Utionen und Sobstanzvcrlust werden ausführlich geschildert (S. 1—163). Die
zweite Abtbeilung urafnsst die geologischen Untersuchungen, nämlich: 1) Hyp-
sometrische Bestimmungen ; 2) über die Thalbildung und Formen der Gebirgs-
züge ra den Alpen; 3) Beobachtungen über die geognostische Zusammensetzung
der Oetzthater Gruppe und der Tawern; 4) über die Bildung und Temperatur
der Quellen und die Isogeolhermen der Alpen; 5) die Veränderung der Ober-
fläche durch Erosion und Verwitterung (S. 163-319). - Dritte Abtheilung:
meteorologische Lnicrsucnungen. i) verincnung oer lemperaior; &) uoer aen
Mraosphirischen Druck und die Winde; 3) atmosphärische Feuchtigkeit; 4) op-
tische Erscheinungen und 5) Kohlensäure-Gehalt der Atmosphäre (S. 319—409).
Vierte Abtheilung: Pflanzengeographie. Die Grenzen der Vegetation nach der
Hohe; die periodische» Erscheinungen der Vegetation; Einfluss der Höhe auf
die Dicke der Jahrearingc bei den Coniferen; über die Vegetalions-Verhältnisse
de, oberen üüJ»*ebictes.
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Kurze Anzeigen.
Wir wollen zunächst Einiges aus den Untersuchungen Über Gletscher her-
vorheben. Die Gletscher-Manie, von welcher gewisse Naturforscher ergriffen
waren, ist vorüber; der mit grosser Erbitterung geführte wissenschaftliche
Kampf hat längst ausgetobt; aber das Interesse, welches der Gletscher- Welt
und ihren denkwürdigen Phänomenen eigentümlich , ist ein ungeschwächtes.
Um so dankbarer sind die Forschungen der Brüder Schlagintweit anzuer-
kennen, da sie in einige bisher wenig bekannte Regionen gelangten und Er-
scheinungen zu beobachten Gelegenheit fanden, über deren Entstehung wir bis
jetzt im Dunkel schwebten. Die Firnmeere haben schon seit geraumer Zeit die
Aufmerksamkeit der Geologen und Physiker auf sich gezogen. Bekanntlich besteht
ein jeder Gletscher aus zwei l heilen ; der eine, untere ist festes Eis, der eigentliche
Gletscher; der andere ist die Anhäufung von körnigem Schnee, das Firnmeer, in
dem höheren- Thale. Die Dimensionen der Firnmeere sind grösser, als jene des
eigentlichen Gletschers, oft das drei- oder vierfache; ihre Tiefe sehr bedeutend.
Die Structur der Firnmassen ist auch merkwürdig; sie wurden ursprünglich als
Schnee abgesetzt, haben aber ihre Form geändert. Regen und eigenes Schmelz-
wasser bedingen eine eigentümliche Körner- Bildung, wie wir sie auch in den
Ebenen noch im Frühjahr als letzte Spur des Winters wahrnehmen. Firn und
Schnee unterscheiden sich ferner dadurch, dass ersterer schwerer schmilzt; es
kann Schnee auf den Firn fallen, und gleich wegschmelzen; es geht daraus das
Gesetz hervor, dass der Schnee immer körniger und schwerer schmelzbar wird,
je älter er ist. Als bezeichnend für die Firnmeere gilt deren Monotonie, die
den Wanderer in hohem Grad ermüdet. „Wahrend am Gletscher bei jedem
Sohrilt ein veränderter Anblick unsere Aufmerksamkeit fesselt — so bemerken
die Verfasser — zeichnet sich das Firnmeer durch seine Oede und Einförmig-
keit vor allen Alpenlandscbaften aus. Die Neigung ist so gering, die Dimen-
sionen der Firnfeldcr sind so gross, dass wir lange Zeit wandern müssen, ehe
sich neue Gegenstände unseren Augen bieten. Nichts erinnert uns dann an die
Höbe, in der wir uns beGnden. als das tief blaue Firmament über uns, oder
einige beeiste Alpengipfel, deren weisse Contouren bei der Durchsichtigkeit der
Atmosphäre und der Dunkelheit des Hintergrundes in wunderbarer Klarheit, aber
auch nicht ohne grellen Contrast hervortreten. Das Uehrige gleicht fast einer
winterlichen Haide. u Die Spalten des Firn) haben bei weitem nicht die Regel-
mässigkeit, wie jene des Gletschers, und zeichnen sich durch ihre Grösse und
locale Verbreitung aus. Der Firn zeigt sich allenthalben geschichtet; im Allge-
meinen hat eine Jahreslage 0,75 bis 1 Meter Höhe. Als ein fast überall gülti-
ges Gesetz fanden die Verfasser, daas auf Kalkstein es selten Gletscher gibt;
weit© Mulden, wasserdichte Unterlage sind Hauptbedingungen zur Gletscher-
Bildung.
Ueber die Structur der Gletscher werden interessante Beobachtungen mit-
getbeiit; die wichtigsten Resultate derselben sind folgende. Der Gletscher ist
lamellenlörmig aus Lagen von weissem (blasenrcicbem) und blauem (blasen-
freien) Eis zusammengesetzt. Es entstehen durch die ungleiche Schroelzbnrkeit
dieses verschiedenen Eises an der Oberfläche des Gletschers eigentümliche Gur-
ken, die sogenannten Ogiven, die besten Criterien für das Streichen der blaoen
Bänder an der Oberfläche. Die Bänder sind unabhäugig von der Schichtung des
Firns; sie entstehen erat im festen Eise und zwar durch kleine Spaltungen im
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Karte Anzeigen. 141
Folge der Spannung , welche das sich nach nnten bewegende Eis hervorruft. —
Wenn locale Hindernisse der Bewegung sich entgegenstellen , entstehen Spalten
und Risse, oft von bedeutender Breite; sie schlicssen sich, sobald sie den Ort
ihrer Bildung verlassen.
Die Bewegung der Gletscher war bekanntlich eine Streitfrage, ein wah-
res Problem unter den Naturforschern. Die Verfasser theilen umfassende Be-
merkungen über die Methode ihrer Beobachtung, äber die Instrumente, deren
sie sich bedienten, mit, sowie zahlreiche Tabellen, als Resultate der Untersu-
rhongen. Ueber die Ursache der Gletscher - Bewegung hallen wir hier vor we-
nigen Jahren zwei Haupt -Hypothesen. Saussure und Gruner behaupteten
der Gletscher bewege sich als ein starrer, in seinen Theilen unbeweglicher Kör-
per, den Gesetzen tler Schwere gemSss, abwärts (Rutsch -Theorie). Charpen-
tier und Agassi i nahmen an: der Gletscher ist voll Haarspalten, welche sich
durch Schmelzen des Eises mit Wasser füllen, und durch die Yolumen- Ver-
größerung des eingeschlossenen Wassers bei seinem Uebergang in den festen
Zustand wird der Gletscher tbalabwärts bewegt (Dilatations- Theorie). Neuere
Beobachtungen legten die Mängel und Schwachen beider Hypothesen dar. Kor-
bes, der Edinburger Physiker, wies in seinen „Travels trough the Alps" im
Jahr 1844 nach, dnss der Gang des Gletschers sich der Bewegung einer halb-
flüssigen Masse vergleichen lasse. Vieles spricht für diese Theorie, nur darf
man im wahren Sinn des Wortes das Eis nicht als einen halbflüssigen, plasti-
schen Körper annehmen. „Jedoch dürften die Erscheinungen der Bewegung
ihre Erklärung, wohl ähnlich den Formen -Veränderungen einer plastischen
Masse , durch eine Verschiebbarkeit der Theile finden, wobei jedoch vor Allem
die Mächtigkeit des aufgehäuften Materials und die feine Zersplitterung in Folge
der grossen Sprödigkeit von Bedeutung ist." — Die Bewegung der Gletscher
ist bekanntlich im Sommer stärker, wie im Winter, aber nicht der unmittelbare
Einfluss der Wirme scheint — nach Ansicht der Verfasser — die Hauptrolle
dabei so spielen, sondern die Menge des erzeugten Waasers. Die grösste
Schnelligkeit der Bewegung fällt in die ersten Sommermonate; eine Bewegung
von 30 bia 40 Centimetern in 24 Stunden kommt an einzelnen Stellen aller
grösseren Gletscher vor.
Die Oberfläche der Gletscher bietet für den Beobachter ein reiches Feld
— eine ganze Welt denkwürdiger Erscheinungen. Veränderung ist hier die Lo-
sung; ein ewiges Erneuen und Zerstören. In den Sommermonaten verliert der
Gletscher durch Schmelzen einen grossen Theil seiner Masse; die auf seiner
Oberfläche dahin eilenden Bäche sind die Folge davon. Indess erreichen sie
seilen das Gletscher -Ende ; gewöhnlich verlieren sie sich in Spalten. — Die an
dem Ende eines jeden Gletschers hervorkommenden Wasser haben eine Tempe-
ratur etwas über 0°; über jedem Bache entsteht am Ende eine Wölbung, deren
Dimensionen sehr ungleich, nur selten jedoch so bedeutend sind, dass soge-
nannte Gletscher - Thore sich bilden. Die Verfasser theilen die Abbildung eines
solchen am Marceil - Gletscher mit, dessen Höhe am Eingang 20 Meter beträgt;
»e vermochten 210 Meter weit in das Innere vorzudringen. Die Luftströmun-
gen an den Austritts - Stellen befördern besonders die Erweiterung der Glet-
scher-Thore. Zu den bekanntern Phänomenen, bei denen wir nicht verweilen
wollen, gehören die Gletscher -Tische, die Schutt -Kegel u. s.w. — Nach den
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142 Kurze Anzeigen.
I *
Beobachtungen der Verfasser betragt die jährliche Abtragung durchschnittlich
zwischen 3 bis 3,5 Meter; sie wird grosseutbeils durch die Bewegung der Glet-
scher, verbunden mil der speeifiseben Neigung derselben , ersetzt.
Die geologische Abtheilung beginnt mit den hypsometrischen Bestimmun-
gen, die sich indess, ihrer tabellarischen Form wegen, hier nicht oüttheilen
lassen. Alsdann werden verschiedene Ansichten über Thalbildung entwickelt,
die Quer- und Längenlhuler geschildert. Zu jenen gehören das Oetz- und
Müll -Thal, das Fusch- Gasteiucr Thal, zu diesen das Drau - und Kietz - Thal.
Im Allgemeinen ist in den Langenthalern dio Neigung weit kleiner, wie in den
anderen; sie umscbÜesseo die einzelnen Gruppen der Alpen und liegen tiefer
als die Querthäler. Ausser den grosseren TbäJern gibt es noch eine grosse Reihe
kleiner Thal er, welche die Verlas.«- er als secundäre Thäler bezeichnen. Je mehr
sich die Kelten den oberen Enden der Thäler nahem, desto schmaler werden
sie; sie bilden dort einfache Kamme, in denen auch gewöhnlich die hervorra-
genden Bergspilzen liegen.
Die geognostische Beschaffenheit der Gruppe des Oeti- Thaies und der
Tauern ist eine ziemlich einförmige; Glimmerschiefer, Gneias und Hornblendege-
slein sind die vorherrschenden Gebirgsarten; ausserdem erscheinen einige schmale
Züge von Grauwarke- ähnlichen Bildungen, von Thonschiefer und rolhem Sand-
stein. Mehr Verschiedenheit zeigt die unter dem Namen Tauern bekannte Ge-
birgsgruppc. Gneiss und Glimmerschiefer sind die aai meisten verbreiteten Ge-
steine, sie umschliesscn grössere Massen von Chloritscbiefer, von Hornblende-
geslcin, von kalkigem Schiefer; auch Granite und Serpentine erscheinen.
Besondere Aufmerksamkeit haben die Verfasser der Bildung und
ratur der Quellen in den Alpen geschenkt; sie zeigen, wie der Ursprung der-
selben mit der SchicbtcuJage und mit dem allgemeinen geognostischea Charakter
des Gebirges auf's lanigstc zusammenhängt. So bewirkt z. B. beim Kalke die
Porosität und Zerklüftung einen bedeutenden Unterschied von den krysUliiniscnen
Schiefer -Gebilden, die Quellen siud seltener, reicher und kc
aus grösseren Höben mit etwas niedrigerer Temperatur zu Tage. Im Allg«
nen sind die Quellen in gleicher Höhe wärmer, als jene auf Abhängen
Gipfeln ; nach den Beobachtungen der Verfasser scheint 0,8° C. das Minimum an
sein für die Temperatur der höchsten Quellen in den Alpen. Von vielem In-
teresse sind die Mitlheiluugen über die Hydrographie der Hochalpen, über die
Temperatur det Alpenseen, Flüsse,, über die Geschwindigkeit des fliessenden
Wassers (bekanntlich ist die Schnelligkeit der Alpcubäcbe eine bedeutende) u.a. w.
Zu den oft unheilvollen Erscheinungen gehören die plöUlichen
grösserer Wassermassen. Ueberschweraruungen werden nicht allein durch
gen, starken ftegen oder durch Schmelzen des Schnees hervorgerufen, soa
auch durch Entleerung von GleUcherseen, wie dies namentlich im Oeta- Thüle
o*er Fall war.
Aus dun Bemerkungen über Vertheilung der Temperatur lassen sich, da
sie meisleus in tabellarischer Form, nur enige Resultate hervorhoben. Die
mittlere Jahrestemperatur scheint für die höchsten Gipfel - 13 bis — 15° C
Im Sommer beträgt die Abnahme der Temperatur auf 440 Fuss 1* C (im Juli),
im Winter (Januar) auf 710 Fuss 1° C. Der Punkt der raschesten Abnahme
der Temperatur ist ein unveränderlicher; in den Monaten DectmUr und '
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Kurie Anzeigen.
143
ist er am höchsten , von März bis September liegt er in der Nahe 4er Schnee-
Kreuze , im October und November aber etwas tiefer. Als einer eigentümlichen
Erscheinung muss des Gletscher» Windes gedacht werden; über ausgedehnten
Gletschern und grossen Schneemassen nimmt msn zumal an wärmeren Tagen
einen kalten Luftstrom wahr, der auf die Erniedrigung der Temperatur in der
Kähe der Schneegrenze einen bedeutenden Einfluss ausübt. Mit den Tempera-
turen in höheren Breiten verglichen, entsprechen die Alpen -Gipfel beinahe
70» n. Br.
Es folgen nun die Untersuchungen über atmosphärische Feuchtigkeit, über
Thau- und Wolkenbildung, sowie über die Begen - Verhältnisse. Daran reihen
sich die interessanten Bemerkungen über optische Erscheinungen in der Atmo-
sphäre. (Auf Taf. X sind die , zum Theil neuen oder wenigstens verbesserten
Instrumente abgebildet, deren sich die Verf. bedienten, nämlich das Cyanometcr,
Diaphanometer , Pyrheliometer. Prismenporrhometer , Eudiometer, Anthrakose^
ter n. s. w.) Bekanntlich hegte man in früherer Zeit irrthümlicbe Ansichten
über den Kohlensäure- Gehalt der Luft in höheren Regionen , indem man glaubte,
dass die grössere speeißsche Schwere der Kohlensäure ihr Vorhandensein in den
niedrigen Luftschichten bedinge. Schon Saussure klärte die Physiker durch seine
Versuche auf dem Montblanc auf. Die Verfasser fanden bis zu einer Höhe von
10,200 Fuss eine progressive Zunahme, glauben indess, dass die Grenze eines
constanten Maximums nun nicht mehr fern liege. Die Höhe hat durchaus kei-
nen absoluten Einfluss. Merkwürdig ist, dass die unmittelbare Gletscher - At-
mosphäre sich ärmer an Kohlensäure zeigt, als ihre Umgebung.
Die letzte Ahtheilung des Werkes bilden pflanzeugeograpbische Untersu-
chungen , welche namentlich viele lehrreiche Tabellen enthalten, so besonders
eine grössere, die eine Uebersicht der vorzüglichsten Vegetations - Grenzen in
verschiedenen Alpen - Gegenden gibt. Auch über die höchsten Grenzen der
Thiere theilen die Verfasser wichtige Beobachtungen mit; Spuren von Gemsen
fanden sie bis zu 10,500 Fuss, Füchse bis zu 10,000, Vögel bis zu 11,000 Fuss.
Am höchsten unter allen Tbieren scheinen Insekten wahrend des ganzen Jähret
zu leben; sie finden sieb noch 12—14,000 Fuss. Es sind meist Spinnen und
Käfer. Infusorien des Luflstaubes und des rothen Schnees finden nach der Höhe
wohl keine Grenze. — Was die Grenze der Vegetation betrifft , so gibt es Pflan-
zen, welche noch über die Schneelinie hinausreichen ; die Verlasser zählen eine
Menge auf, es sind pbanerogamische Pflanzen, Moose und Flechten. Die Dauer
der Vegetationszeit wird natürlich mit der Höhe immer geringer und betrag!
zwischen 7000 und 8000 Fuss nur 95 Tage, an der äusserten Phanerogamen-
Grenze über 1000 Fuss beschränkt sie sieh auf etwa einen Monat; in ungün-
stigen Jahren bleiben diese höchsten Pflanzen während des ganzen Sommers mit
Schnee bedeckt.
Die gedrängte Uebersicht, welche wir von dem Inhalte des Werkes der
Brüder Schlagint weit gegeben haben, wird beweisen, dass derselbe ein
reichhaltiger und gediegener ist, gegründet auf zahllose, mühsame Beobachtun-
gen und Forschungen in den verschiedensten Alpen -Regionen und auf eine ge-
naue Kennlniss der Literatur des In - und Auslandes. Die Ausstattung des Wer-
kes kann eine prachtvolle genannt werden; neben vielen (über 70) Holzschnitten
find noch 10 Tafeln beigefügt; sie enthalten folgende Gegenstände: Vergleicheode
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Uebersicht charakteristischer Formen an Gletscher- und Wawerns; Abbildung
des Pasterzengletschers ; der Stock- und Marcellgletscher; das Ende des Hinter-
eisgleUchers ; Uebersicht des Venterthales; der Kamm des Grosaglockners : die
Isogeothermen der Alpen; die Höhenisolliermen der Alpen; monatliche Verän-
derungen der Höhenisotherinen ; Instrumente; Zusammenstellung verschiedener
Curven. Die zwei grossen Karten stellen den Pasterzgletscher und die Glelscher-
Gruppe des Oetzlhales dar. Siimmtliche Abbildungen sind von den Verfassern
mit kunstgeübter Hand entworfen.
Wie es heisst, stehen A. und II. Sch I ag int weit im Begriff, die a ra-
demische Laufbahn in München zu betreten. Wir wünschen der ersten baierischen
Hochschule zu dem Besitz der beiden talentvollen Brüder alles Glück.
G. Jheoiirmrd.
Historische Lehrstücke für Religion*- und Staatslhutnskundc Von Karl Adolf
Mein ely hönigl. preuss. Consisforial- und Schulrath. Erster Theil. Bres-
lau 1851. A. Gosohorthj BucUhandl. (L. F. Maske). VI M. 399 S. in gr. 8.
Wenn es uns auch nicht fehlt an geschichtlichen Lesebüchern, Tür die
lugend nach ihren verschiedenen Altersstufen bestimmt und darnach auch ein-
gerichtet, so werden doch diese historischen Lehrstücke schon im Hinblick auf
den Namen dessen, der als Herausgeber hier auf dem Titel genannt ist, unsere
Aufmerksamkeit anzusprechen ein Recht haben. Diese verdienen sie aber gewiss
auch dadurch, dass dieses Werk, nach seiner ganzen Anlage, nach Inhalt, nach
Zweck und Bestimmung , wesentlich von den gewöhnlichen historischen Lese-
büchern abweicht und einen ganz andern Standpunkt genommen hat, durch den
es zu einer höheren Stufe sich erhebt und jedem Gebildeten , nicht blos dem
reiferen Jüngting sich zur Leetüre empfiehlt. Allerdings setzen diese Lehrstücke,
wie uns auch ausdrücklich bemerkt wird, das Elementarische der geschichtli-
ehen Kunde voraus; sie setzen eine gewisse Bildung und selbst eine gewisse
Reife voraus; sie sind ja auch keineswegs blos für die Schule bestimmt, sie
«ollen vielmehr „auch höheren Kreisen Gegenstände, auf welche dieselben ge-
wöhnlich als auf schulmässige herabsehen , in ihrer gewichtvollen Bedeutung für
das Leben herausstellen** und zum Verständnis* dessen, was der Kirche und dem
Staat innerlich Noth ist, den Weg anbahnen. Wir haben also hier keine
Lesestücke zu erwarten, wie sie in den gewöhnlichen Schriften derart enthalten
sind, d. h. Erzählungen einzelner, etwa besonders wichtiger Ereignisse oder
Schilderungen bedeutender Persönlichkeiten in grösserer Breite und in einer
mehr unterhaltenden Weise vorgetragen: in dem, was in diesen Lehrstücken
geboten wird, soll vielmehr unser Blick mehr auf die innere Seite, die der
äusseren Erscheinung und den äusseren Ereignissen zu Grunde liegt, gefuhrt und
vielmehr das, was sich in dem staatlichen oder politischen Leben der Völker,
wie in ihren religiösen Ansichten nnd Anschauungen kund gibt, dargestellt wer-
den, um anf diesem Wege zu einer richtigen Auffassung und Würdigung der
Vergangenheit zu führen, uns wahrhaft zu belehren und damit die höchste Auf-
gabe der Geschichte zu ermitteln, „aus der Vergangenheit die Gegenwart zu
verstehen , in dem Vorübergehenden das Bleibende zu finden und unter schein-
baren Verwickelungen die unwandelbaren Leitsterne und Zeugen der göttlichen
Ordnung festhalten zu lehren." (Schluss folgt.)
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Hr. 10. HEIDELBERGER - 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
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*
i
(Schluss.)
In welcher Art und Weise diese Aufgabe in diesem Werke erreicht wer-
den soll, mag aas einer kurzen Angabe des Inhalts erhellen. Der erste, gleich-
sam einleitende und vorbereitende Abschnitt verbreitet sich über: „Maass und
Ziel des Geschichtsunterrichts" ; er wird besonders von Allen denen wohl zu be-
achten sein, welche vermöge ihres Berufs oder ihrer amtlichen Stellung zur
Ertheiiung des geschichtlichen Unterrichts berufen sind; insbesondere wird hier
auf das bei diesem Unterricht nie ausser Acht zu lassende Ziel desselben hin-
gewiesen, das in der Mitlbcilung der äusseren Ereignisse, also dessen, was man
den geschichtlichen SlofT nennt , sich nicht begnügen , sondern darin nur ein
Jittel zur Erkenntniss und Erweckung höherer Ideen erkennen soll. Die Auf-
gabe (so sebliesst der bemerkenswerthe Abschnitt) besteht eben darin, durch
die Mitlheiiung des Thatsachlichen zuerst auf das Verständniss des Sachinhalts,
dann auf die zu Grunde liegenden Ideen hinzuleiten. Durch dieses auf die be-
zeichneten Stufte angewendete Verfahren würde der höhere Geschichtsunterricht
dem Nachtheile begegnen, dass die deutsche Jugend, wahrend sie mit Notizen
von staatlichen , kirchlichen und literarhistorischen Ereignissen reichlich gespeist
wird, über die Grundverhallnisse des staatlichen, kirchlichen und wissenschaft-
lichen Lebens im Unklaren bleibt, und aus Besorgniss, dass ihr das Verständniss
derselben zu schwer fallen und zum Gegenlheil umschlagen möchte, den poli-
tischen und religiösen Wirren Treis gegeben wird, in welche Unverständige
oder Böswillige sie zu stürzen beflissen sind. Der Geschichtsunterricht halbier
viele Versäumnisse gut zu machen und im Kreise der Schule eine Lücke auszu-
füllen, welche im öffentlichen Leben der Gegenwart sich schon zu einem ver-
derblichen Abgrunde erweitert hatte, als ihr glücklicher Weise noch Einhalt
geschah. (Es wird dann aber auch mehr, als bisher geschehen, auf die Bil-
dung solcher Lehrer zu sehen sein, die es wirklich versieben, diese Lücke aus-
loiallen und der schwierigen, aber lohnenden Aufgabe gewachsen sind.)
Der zweite Abschnitt bringt die mosaische Schöpfungsgeschichte, d. h.
Bichl etwa blos die biblische Erzählung aus der Genesis, sondern eine von dem
höheren Standpunkt des Cbristenthums wie der Philosophie aus gehende Be-
trachtung über dieselbe, wobei ebensowohl auf die Verschiedenheit der Ansich-
ten Plato's und Aristoteles, wie auf Cicero und auf Kant s Lehre hingewiesen
wird; daran schlicsst sich der dritte, welcher in ähnlicher Weise die babylo-
nische, persische und indische Lehre von der Weltscböpfoog mittheilt und wür-
digt, wihrend der vierte die griechische Religionssage und Dichtung über den
Anfang der Welt und des Menschengeschlechts bringt, und hier neben Hesiod,
den gefesselten Prometheus des Aeschyloa, gewiss das tiefsinnigste Drama der
alten Welt , näher nach den darin enthaltenen tieferen religiösen Beziehungen
XUV. Jahrg. 1. Doppelheft. 10
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Kurze Anzeigen.
charakterisirt. Im fünften Abschnitt, welcher die philosophische Speculation
der Griechen über den Ursprung der Dinge uns vorfuhrt, ist es besonders die
Lehre des Anaxagoras, die hier berücksichtigt und mit den Systemen neuerer
Philosophen und Geologen zusammengestellt wird , wesshalb daran auch ein wei-
terer Abschnitt, der sechste: „historische Beziehungen der modernen Geologie
und Petrefactenkunde" sich anreiht. „Die Weltalter nach dichterischer Dar-
stellung und philosophischer Deutung11 bilden den Inhalt des siebenten Ab-
Schnitts, wobei natürlich Hesiods Schilderung den Ausgangspunkt giebt, an den
aber dann auch die Erörterungen und Auffassungen Plato's sich anreihen ; während
unter den Neuern, die Ansichten Rousseau 's und Voltaire'* sowie selbst Kaut's
des Näheren hier besprochen werden. Die schwierige Frage nach der Slamm-
einheit oder StammverschiedenhoK des Menschengeschlechts wird im folgenden
Abschnitte (dem achten) verhandelt, hier auf die verschiedenen Rassen and
deren Beziehungen zu einander Rücksicht genommen, jede in ihren Hauptmerk-
malen geschildert und zuletzt noch über Sprache und Schrift, sowie über die
Erfindung des Geldes gehandelt. Die Behauptung S. 93 von einem möglichen
Zusammenhang der amerikanischen Rasse mit der mongolischen wird freilich
nur bedingt ausgesprochen; wir verweisen auf das in diesen Jahrbüchern S. 124 ff.
darüber bemerkte. Der neunte Abschnitt enthält die Ursprünge und Grundver-
hältnisse des staatlichen Lebens, also Ehe, Familie, deren Erweiterung zu
Stämmen u. s. w. , woran sich dann passend im zehnten Abschnitt eine Erör-
terung über das Entstehen und die Zustände der Knechtschaft, mit besonderer
Rücksicht auf das Griechische Altertlium und die Ansichten der griechischen
Denker, namentlich des Aristoteles und Plato, anknüpft; der eilfte Abschnitt
setzt diese Erörterung in einer Betrachtung und Würdigung des Sklavenwesens
bei den Römern fort und wirft dabei einen Blick auf die heutigen Zustände der
arbeitenden und dienenden Volksklassen , auf den Standpunkt der christlichen
Kirche, wie auf die Irrlehren der Humanilatsphilosophie neuer nnd neuester Zeit.
Die Anfänge des Königthums schildert der zwölfte Abschnitt, der dreizehnte
bringt eine Darstellung des Königthums nach Plato's Auffassung; dessen Ver-
nunftstaat wird im folgenden ausführlich entwickelt, und dann im fünfzehnten
Abschnitt das Königthum nach des Aristoteles Auffassung geschildert. Die drei
folgenden Abschnitte (16, 17, 18) geben eine Darstellung der assyriseb-babylo •
nischen Monarchien, der arischen oder iranischen Völker und der Perser; hin-
sichtlich der Abkunft des Cyrus wird, und mit Recht, des Ctesias Erzählung
vorgezogen; die nähere Ausführung, die wir jetzt über die Herkunft und das
Emporkommen des Cyrus in den unlängst bekannt gewordenen Excerpten aus
Nicolaus Damascenus erhalten haben, scheint noch nicht benutzt, ebenso wenig
die für die erste Periode der persischen Monarchie so wichtige Aufklä-
rungen bietende Inschrift von Bisulun. Fünf nun folgendo Abschnitte (19, 20,
21, 22, 23) sind dem alten Wunderland Aegypten gewidmet, und erörtern die
geschichtlichen Verhältnisse von der ältesten Zeit an bis hl die persische Herr-
schaft herab, dann die Religiouslehre und den Cultns, sowie das Staatswesen ;
die übrigen sechs Abschnitte (24 , 25 , 26, 27 , 28 , 29) enthalten die Anfange
der hebräischen Religions- nnd Familiengeschichte, schildern dann die Auswan-
derung aus Aegypten, die mosaische Verfassung, insbesondere das darin herr-
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Karre Anzeigen.
147
sehende Priesterthum, den Zustand des Volkes in der Wüste, die Zeit Josua's
und der Richter, im leUten Abschnitt Samuel und Saal.
Hiernach mag der Inhalt des Ganzen bemessen worden; die Darstellung,
klar und gedrängt, ist nicht ohne mehrfache Hinblicke auf unsere Zeit und die
Verirr ungen derselben: möge sie zur Beseitigung derselben insbesondere dadurch
beitragen, dass sie die jüngere Generation, der die Geschicke der Zukunft der-
einst anvertraut sind, auf den rechten Grund und Boden zurückführe, auf dem
allein eine erspriessliche Wirksamkeit zu erwarten ist.
Joannii Sin ha ei Kclogarum physicamm et ethicanm libri duo. Accedit Hie-
roclis Com mental ins in aurta carmina Pythagoreorum. Ad MSS. Codd.
recensuit Thomas Gaisford, S. T. P. aedis Christi Decanus neenon linguae
Graecae Prof. Reg. Oxonii: c tyjtographeo Academico MDCCCL 2 Tomi in
gr. 8. XVI 91$ und WS S.
Nachdem Herr Gaisford vor bald zwanzig Jahren das Florilegium des
Stobäus edirt hatte, folgt jetzt die Ausgabe der Eklogen, die wir dankbar
begrüssen, wenn auch gleich die Wünsche sowie die Anforderungen, die man
an eine nene Ausgabe der Eklogen zu stellen berechtigt ist, nicht in dem Grade
in Erfüllung gegangen sind, als sich diess wohl hätte erwarten lassen. Zu den
von Heeren benutzten handschriftlichen Hilfsmitteln ist kaum Etwas Neues hin-
zugekommen: der Augsburger, jetzt Münchner Codex ist zwar genauer ver-
glichen worden, als diess von Heeren geschehen war; ebenso ward eine Hand-
schrift des Brittischen Museums (Cod. Harieianus nr. 6318) eingesehen, aber
bald ohne Werth und Nutzen für die Gestaltung des Textes gefunden, was auch
die in der Prnefatio daraus mitgetheilten Varianten bestätigen: indessen die im
Escurial befindliche Handschrift (angeblich) des eilften Jahrhunderts blieb un-
benutzt, oder ward vielmehr dem Herausgeber zu spät bekannt, um von ihm
benutzt zu werden: was wir, eben weil die bisher bekannten Handschriften des
Stobäua meist von jüngerem Datum und dabei lückenhaft und entstellt sind, um
so mehr an beklagen haben, als dadurch auch dem hier gelieferten Texte die-
jenige urkundliche Begründung abgebt, die wenigstens jeder Heransgeber einer
solchen Schrift sich vor Allem zu verschallen bemuht sein sollte. Bei Slobaus,
einem Autor, der so viele Bruchstücke anderer meist verlorenen Schriftsteller
enthält, der überdem kaum sobald wieder auf eine neue Ausgabe rechnen kann,
wird diess um so nothwendiger erscheinen, wenn man die Bedürfnisse der
Wissenschaft und nur diese ins Auge fasst. Ueber das, was in dieser neuen
Ausgabe geleistet worden ist, spricht sich das Vorwort in folgender Weise ans:
„lgitur diligentfore collatidne (der erwähnten Münchner Handschrift) institnta ad
nuvara editionein paraudarn ine accinxi, in qua animus est non ex incertis con-
jecturis and quoad ejus ficri polest Excerptorum verba ad MSS exeru planum
Man exaet« emendare nec non beud pauca ab Heerenio inconsulto omissa m
snua quaeque locum reponere. Quodsi aliquoties ex editione Heereniana huc
irrepsertnt, id qnod factum esse nunc serius vereor, quae et ipse minus probo
et quae peritioribus displicitura sunt, ea omnia corriget ut poterit aeqous et
eroditior lector." Dastf diese Worte, näher betrachtet, manches Bedenken er-
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regen und Manches tu wünschen übrig lassen, was, nach unserem Ermessen,
dem „acquus et eroditior lector** nicht überlassen bleiben sollte , bedarf kaum
einer weiteren Bemerkung ; wer naher und im Einzelnen sich umsieht , wird
neben mancher Verbesserung des Textes doch dasjenige feste und conseqnente
Verfahren in der Bildung des Textes vermissen , das von einem Herausgeber einer
solchen Schrift wohl gefordert werden konnte. Wir können hier nicht in das
Detail eingehen, um Beweise au liefern, die Jeder bei eigener Prüfung leicht
und bald fast auf jedem Blatte wird finden können , wir wollen hier blos einen
einfachen Bericht abstatten über das, was man von dieser neuen, Manchen er-
wünschten, weil in der Thüt notwendigen Ausgabe der Eklogen des Stobäus
au erwarten, was man in ihr zu suchen und zu finden hat. Das ganze Ver-
fahren des Herausgebers ist ohnehin aus manchen andern Ausgaben auch unter
uns in Deutschland bekannt genug, um eine weitere Verhandlung darüber nicht
nöthig zu machen, und darum haben wir auch wohl kaum nölhig, noch aus-
drücklich hier zu erwähnen , dass derselbe auch hier sich blos auf die Kritik
des Textes beschränkt und alles Andere, was wohl noch gewünscht und er-
wartet werden mochte, bei Seite gelassen hat. Gut war es wenigstens,
dasa die Anmerkungen der Heercn'uchen Ausgabe hier gleichfalls in den Noten
anter dem Text, welche die Abweichung der Lesarten enthalten, wieder ab-
gedruckt sind, während im Texte selbst da, wo Stellen oder Verse aus noch
vorhandenen Autoren angeführt werden, die betreffende Nachweisung des Citata
kl eckigen Klammern beigefügt ist, und am Rande links und rechts die Seilen-
zahlen der Heeren sehen und Canter'schen Ausgabe bemerkt sind. Uebrigens
laufen die Seitenzahlen dieser neuen Ausgabe durch beide Bande fort bis dahin,
wo der Commentar des Hicrocles im zweiten Bande mit neuer Seitenzahl be-
ginnt. Als eine Art von Anhang unmittelbar nach dem Schluss der ethischen
Eklogen folgt zuerst: Appendix ex cod. Ms. Florentino Parallelorum Sacrornm
Joannis Damasceni, nach der in Leyden befindlichen, dem Herausgeber durch
die Güte von J. Geel mitgelhcilten Abschrift, welche der Canonicos Sarti im
Jahre 1781 gemacht hatte, und welche der Herausgeber vergeblich zu erhalten
bemüht gewesen war: die Wichtigkeit dieses Apographums für die Verbesserung,
wie selbst die Erweiterung und Vervollständigung des Florilegiums rechtfertigt
diesen Abdruck, dem einige Roten von Sarti, Mai u. A. beigefügt sind. Darauf
folgen (S. 777 IT.) acht Indices, ein Index tilulorum s. capitum, ein Index Icm-
matum, ein Index exhibens initia senlcntiarum alpbabctiec disposita, ein Index
Graecilalis, voces tum rariores tum philosophico maxime sermoni proprias ex*
hibens; ein Index nomtnum et reruin plcnissimus, ein Index titulorum s. capi-
tum in excerptis Joannis Damasceni, ein Index iemmatuni in excerptia Joannis
Damasceni , und ein Index exhibens initia sententiaram in excerptis Joannis Da-
masceni. Man sieht , von dieser Seile ist in dieser Ausgabe ganz gut gesorgt.
Mit S. 838 beginnen die Addenda zu der im Jahr 1822 erschienenen Auagabe
von des Stobäus Florilegium: es sind meist kurze kritische Bemerkungen, An-
gaben von Varianten oder Verbesserungen , wie sie tbeils von älteren Gelehrten
gemacht, dem Herausgeber aber bei seiner Ausgabe entgangen waren, theils,
und insbesondere von neueren Gelehrten, seit dem Erscheinen der erwähnten
Ausgabe, namentlich auch in einzelnen, dem Stobäus eigens gewidmeten Schrif-
ten (von Halm, Boving, Huschig, wie er Bd, I, p, XU. richtig heisst , wäh-
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read in den Abdruck der Noten S. 835 ff. He rachig steht) versucht worden
waren. Diese in doppelten Columnen auf jeder Seite gedruckten Addenda rei-
chen bis S. 860, wo die Mittheilun? der Varianten der alten Wiener Handschrift
beginnt, welche die Grundlage derjenigen Handschriften bildet, auf welchen
der Text der Editio prineeps des Florilegiums (der ru Venedig 1536 von Victor
Trinra velli besorgten) beruht. Diese Varianten , ebenfalls in doppelten Columnen
anf jeder Seite, reichen bis S. 915 und bilden mit den vorhergehenden Mitthei-
longen allerdings eine nothwendige Ergänzung der 1822 erschienenen Ausgabe des
Florilegiums, welche mithin ohne diese Ausgabe der Ektogen kaum mehr zu
gebrauchen ist. Den Rest des zweiten Bandes füllen, und zwar eigens pagi-
sirt: Pythagoreorum aurea carmina cum commentario Hieroclis ad codicemVin-
dobonensem exacla Aeeedunt annotnliones variorum. Da die meisten Frap-
w vi/ v/uv ib^v saa i- m v i n«vv u ts aiiiimcmwni.j tob ivi um • *\ maiv> nibioivii 1 log
mente der Schriften des Hierocles bei Stobäus vorkommen , so hielt es der
Herausgeber für passend , auch diesen Rest seiner Schriften beizufügen , zumal
da ihm zur Verbesserung des Textes nicht blos die mit grosser Sorgfalt ge-
machte Collation einer Wiener Handschrift zu Gebot stand, sondern auch die
an den Rand eines Exemplars der Ausgabe von Curter geschriebenen Bemer-
kungen von Lucas Holsten ins, welcher Vaticanische und Floren linische Hand-
schriften dabei benutzt hatte. Der Herausgeber hat für den Abdruck des Tex-
tes die Londner Ausgabe von 1742, als deren wahrer Herausgeber nicht sowohl
Richard Warren, sondern Carl As h ton anzusehen ist, zu Grunde gelegt, dann
unter dem Texte die Noten von Ashton, die in sachlicher Hinsicht manches Gute
enthalten, abdrucken lassen und hier und dort kurze, meist kritische Bemer-
kungen oder Kachweisungen beigefügt. Die Seitenzahlen der Ausgaben von
Curter und Keedham sind am Rande links und rechts ebenfalls angegeben, und
an Schlnss fehlt der Index rernm nicht. In der Gestaltung des Textes hat der
Herausgeber Einzelnes, wie bei Stobäus, gleichfalls berichtigt: im Uebrigen
aber denselben Weg der Behandlung eingeschlagen. Eben desshalb unterlassen
wir es auch hier, in das Einzelne der Kritik einzugehen: denn wir können
»ach hier nur, was wir schon oben ausgesprochen, wiederholen, dass es un-
sere Absicht ist, dem deutschen Publikum, das sich für diese Erscheinungen
• essirt, dasjenige zu bezeichnen, was es davon zu erwarten hat, was es
darin wirklieb findet, und was es darin nicht findet und nicht erwarten darf.
Dahin rechnen wir aber, selbst abgesehen von dem, was wir in kritischer
Hinsicht vermissen, auch den gänzlichen Ausfall jeder den Text selbst, dessen
Yerständniss und richtige Auffassung wie Erklärung, also die Sache selbst be-
treffenden Anootatio , der sich kein Herausgeber in unsern Tagen mehr wird
ratschlagen können, wo sich, mit wenig Ausnahmen, die Ueberzeugung immer
mehr befestigt , dass die Philologie noch in etwas An denn bestehe, als in blos-
ser Kritik and Variantenkram, und dass bei aller Anerkennung der Bedeutung,
welche die Texteskritik anzusprechen hat, doch noch etwas Höheres in der
riulologie zu erstreben ist, wenn sie anders sich selbst erhalten und ihre Stel-
lung als Grundlage aller höheren wissenschaftlichen Bildung bewahren will.
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Kurie Auzdgen.
Palastina. Von Karl ton Raumer, Professor in Erlangen. DriHf. ©er-
F. ,4. BrocAA™ /850. JfK/ «. 4S6* S. in ^r. 8.
Bei diesem Werke, das jetzt in seiner dritten Auflage vorliegt, nach-
dem es in den beiden früheren diejenige Verbreitung gefunden, die es durch
die sorgfältige Beachtung aller Zeugnisse der alten Welt und aller Berichte
neuerer Reisenden in der daraus gebildeton Zusammenstellung alles dessen,
was das heilige Land im Ganzen wie im Einzelnen betrifft, mit allem
Recht verdient hat, wird es nicht mehr nüthig sein, Anlage und Charakter, In-
halt und Gang der Darstellung näher zu besprechen, wohl aber wird der auch
nach dem ersten Erscheinen fortgesetzten Bemühungen des Verf. zu gedenke«
•ein , die dem ursprünglichen Werke , ohne Veränderung des Plans und der
ganzen Einrichtung , manche Erweiterung und Berichtigung im Einzelnen haben
•■gedeihen lassen (die erste Auflage hat 346 Seiten , also mehr als hundert we-
niger wie die vorliegende dritte). Dnzu dienten nun hauptsächlich die in neue-
stes Zeit verschiedentlich nach dem heiligen Land und der heiligen Stadt unter-
nommenen Reisen und die Ergebnisse mancher, an Ort und Stelle angestellten
Vorsehungen, von denen der Verfasser für sein Werk erspriesslirhen Gebrauch
durchweg gemacht hat: selbst während seiner Arbeit und während des Druckes
derselbeu ist Mehrere s erschienen, was für die Folge nicht ohne Einfluss auf
manche Parthien dieses Werkes und einzelne Schilderungen desselben wird
bleiben können. Dahin rechnen wir z. R. die Schrift über Bethlehem von
Tobler (s. diese Jahrb. XL1II. Jahrg. S. 622), der jetzt auch einen Plan und
eine Beschreibung Jerusalems hat folgen lassen, oder das, jetzt auch in einer
deutschen Uebersetzung von Meissner (Leipzig 1850) unter uns bekennt gewor-
dene Werk des Amerikaners Lynch über den Lauf des Jordan und das todte
Meer, wovon der Verfasser nur eine verhältnismässig kurze Nachricht (nach
Hilter ) S. 449 ff. geben konnte. Denn diese Schrift giebt uns jetzt die sichersten
und verlässigsten Aufschlüsse über den ganzen Lauf dieses Flusses von seiner Quelle
•n, und über das ihn einschließende Thal, sowie über das todte Meer und dessen
Umgebungen. Auch die, in neuester Zeit so viel bestrittene Frage über die
wahre Lage des heiligen Grabes, worüber selbst unser Verfasser noch in so
weit schwankt, dass er in einem Zusatz S. 396 erklärt, bei der Meinung ver-
bleiben zu müssen, dass das heilige Grab und der Ort der Kreuzigung zu den
zweideutigen Punkten gehören, indem kein Kritiker mit entschiedener Gewiss-
heit die Unächtheit des Grabes bewiesen, Keiner aber auch vermocht, die
Aechtheit desselben unwidersprechlich darzuthun , dürfte durch die neueste Un-
tersuchung von A. Scbaffler (die ächte Lage des heiligen Grabes, Bern 1850. 8.)
doch eine andere Gestalt gewonnen nnd selbst in unsorm Verfasser der Ueber-
Keugung das Uebergewicht verschafft haben, dass, soweit nur immerjmi jetzt
sich die Sache erforschen und ermitteln lässt , der alten TraditiofTihr Recht zu-
zuweisen und demnach mit aller Sicherheit anzunehmen ist: „dass die gegen-
wärtige Lage der Kirche des Ii. Grabes dio Stätte bezeichnet, wo Christus ge-
kreuzigt und in das Grab gelegt worden ist" (Schaffter S. 94). Bei der Angabe
der Quellen würden wir S. 5 da, wo die Itinerarien angeführt werden, zur
Vermeidung von Mißverständnissen , bemerkt haben, dass das Itinerarium
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Kurte Anzeigen.
15t
Hierosolymitanum s. Burdigalense nicht sowohl eine kurze Beschreibung einer im
Jahr 333 p. Chr. von Bordeaux nach Jerusalem gemachten Reise, sondern viel«
mehr eine Reiseroute , d. h. die Angahe der einzelnen Stationen und deren Ent-
fernungen von einander, also eine Art von Wegweiser enthalt, welcher an die
Angabc der Stationen im b. Lande einzelne Bemerkungen der Sehenswürdig-
keiten u. dgl. knüpft; das Ganze scheint von einem Wallfahrer herzurühren,
der einen Wegweiser für seine Landsleute, die eine ähnliche Pilgerreise zu
unternehmen gedächten, liefern wollte. Bei dem Yerzeichniss der Charten von
Palästina S. 14 ff. haben wir die Angabe derjenigen Charte nicht gefunden,
welche durch den grösseren Umfang, sowie durch die Sorgfall und Genauigkeit
der Behandlung, den trefflichen Stich und die herrliche Zeichnung dar Gebirgs-
zuge, gewiss eine der ersten Stellen verdient: Palaestina ex veteris aevi moou-
mentis ac recenliorum observationibus illustravit Marin us Didericus de
Bruyn. Amstelodami, sumlibus de S. de Grcbber 1844. Sculpsit Georgius
Mayr. — Noch andere Aufschlüsse , namentlich für die Geographie und Topo-
graphie auch dieser Landstriche , erwarten wir von der Lesung der neu gewon-
nenen Assyrischen und Babylonischen Keilschriften, welche über tausend, bisher
meist ganz unbekannte Ortsnamen, wie wenigstens versichert wird, uns brin-
gen sollen. Bei dem Zusammenhang der Länder und Monarchien Assyriens wie
Babylons mit Palästina und dessen Geschichte durfte jedenfalls manches Neue
mit allem Recht aus dieser Quelle erwartet werden ; dass wir aber selbst auf
andern schriftlichen Quellen noch Einzelnes gewinnen können, und dass wir
auch hier die Hoffnung nicht ganz aufgeben dürfen , zeigen die unlängst be-
kannt gewordenen, den Herodes und seine Verhältnisse betreffenden Excerpte
in den aus einer Handschrift des Escurial von Feder und Müller (in den
Fragm. llist. Graecc.) edirten Stücken des Nicolaus. Wir haben diese we-
nigen Bemerkungen nicht unterlassen wollen, um damit dem Verfasser einen
Beweis der Theilnabme zu geben, die wir seinem Werke und seinen fortge-
setzten Bemühungen schuldig zu sein glaubten.
Mi ekel Chevalier, Studien über die nordamet titanische Verfassung. Nach
dem Französischen bearbeitet ton Dr. M. Engel. Wien 1849. VI. und
15% S. gr. 8
Vorliegende deutsche Bearbeitung der neuesten Schrift des bekannten
staatswirtbscbaltlicben Schriftstellers Mich. Chevalier verdient eine kurze Be-
sprechung in diesen Blättern schon darum, weil ihr Yerf. nebst Beaumont
und Tocqueville zu jenen Franzosen gehört, denen wir die unbefangensten,
während längeren Aufenthalts angestellten Beobachtungen und treuesten Berichte
über Nordamerikas Zustände verdanken. Zudem erhalten wir hier eine fortlau-
fende, zunächst auf Förderung der Selbstkennlniss der Franzosen — denen
Wahrheit vor Allem Noth thue — abzielende Vergleichung mit französischen
Zustanden, die in Verbindung mit der im vorigen Jahrgang der Jahrb. ange-
zeigten Schrift von Raudot uns einen tiefen Blick in die ganz trostlose Lage
oaseres Nachbarlandes thun lässt , das der Verf. in das letzte (?) Stadium seiner
ttngestaltong getreten glaubt, weil er eine neue Phase nicht einmal für denk«
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Kurie Anzeigen.
bar hält. Die Zuthaten des deutschen Bearbeiters beschränken sich auf einigo
Hinweisungen auf Ocstreichs, seiner Heimath, Verhältnisse und ein kurzes Vor-
wort, worin in den stärksten Ausdrücken das dortige vormärzliche Wallen als
ein solches gebrandmarkt wird, wobei man sich des Zwietrfcchtsäens und
Unterhalten* geistiger Nacht als der sichersten Mittel zum Zweck der Erhal-
tung der Unumschränktheit bedient hohe. Im ersten der 12 Hauptstücke des
Buchs wird die, in Vergleich mit Frankreich, ungleich grössere G o tt innig-
keit, Sittlichkeit und staatliche Bildung der Bürger Nordame-
rika^ hervorgehoben. Besonders merkwürdig ist, dass hier ein Katholik be-
hauptet: es müsse sich erst noch zeigen, ob der Katholizismus, der wesentlich
monarchisch und der Zentralisation förderlich sei, sich mit einer demokratischen
Republik vertrage, also mit dem vieljährigen Streben Frankreichs, Das zu er-
reichen , was in Amerikas Grundgesetz und Sitte längst felsenfest stehe : „völlige
Gleichheit Aller in bürgerlichen uud politischen Verhaltnissen." Bis heute habe
nur die akathnlische Geistesbildung Früchte des Fortschritts und der politischen
Grösse gebracht, die katholische Rückschritt! Dass der Verf. dem Protestantis-
mus hier plötzlich den Akatbolizismus unterschiebt und besonders den Fortschritt
Russlands dabei betont, ist freilich eine ungeheure Verirrung! Uniäugbar
wurzele gerade im überseeischen Protestantismus hie Lehre der Selbstherrschaft
(selfgovernmeut), denn er erziehe mehr als Alles zur Selbstbestimmung und
habe sich frei geholten von der Hierarchie der anglikanischen Kirche, die dem
Katholizismus am Nächsten stehe und dort nur wenig Bekenner zihle •). Ge-
wallig steche die französische Lauheit ab gegen die Wärme des nordamerikani-
schen Religionseirers , dieses Hauptquells aller Sittenstrenge und thatkräftigen
Begeisterung, ohne welche eine demokratische Republik nimmer bestehen könne,
also, ohne eine religiöse und sittliche Umwälzung, euch nicht die französische.
Selbst die amerikanische Uebertreibung der Sonnlagsfcier sei das weit kleinere
Uebel. Frankreich sei überhaupt jetzt ganz überze ugungs los und eben-
darum ohne Willenskraft; es habe nur Verneinungen, nicht einen schaffenden
Gedanken, wie ihn die Nordamerikaner besässen io dem festen Glauben an die
Unübertrelflichkcit ihrer Staatseinrichtungeu und an die Bestimmung der neuen
Welt für sie. Den Beweis ihrer grösseren Sitlenreinhcit gebe schon ihre weit
höhere Achtung des weiblichen Geschlechts, das z. B. dort ganz sicher reisen
könne, des Eides, ja des einfachen gegebenen Worts, das z. B. bei Vermögen-
Steuern dort ganz genüge. Nicht minder stark hebt das 2. Hauptstück (S. 13 ff.)
die hohe angelsächsische Achtung vor dem Gesetz hervor, die schon zur
Zeit der nothgedrungenen Losrcissung vom Mutterlande , anfangs durch blosses
Enthalten von ungerecht besteuerten englischen Waaren , sich bewahrt habe und
seitdem stets, trotz vereinzelter Versuche der Ungesetzlichkeit, z. B. des
Aar on Burr, der Lynchjustiz in den Gränzlanden und einiger Volksgunstbuhler.
*) Dass und warum der Calvinismus mehr als das Lulherthum zu staat-
licher Wirksamkeit überhaupt veranlasse und mehr mit der republikanischen
Form stimme, hat Hundeshagen in der Schrift: »Der deutsche Protestantis-
mus" gut gezeigt. Dass er aber dem wissenschaftlichen Geist weniger Vorschub
thue, scheint der Umstand darzuthun, dass in Nordamerika sehr hohe und sehr
niedere Bildung gleich selten sind.
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Kurze Anzeigen.
153
Dort sei man dem Fluch entgangen , der auf dem ersten Schritt tut Miss-
achüing des Gesellet laste, wonach Gewalt stets Gewalt hervorruft und die
französische Umwälzung ihre eignen Söhne verschlang. Volk nenne man dort
sieht jede Menge, die ihren Eigenwillen durchsetzen möchte oder vielmehr
du hinter ihr stehende Häuflein Ehrgeiziger, das i hr d. h. s ic h das Recht zu-
icbreibe, unter dem Vorwand der unbeschränkbaren Selbstherrschaft des Volks
jederzeit beliebig die Verfassung zu ändern (S. 48), sondern nur die Ge-
lammtheit, die in gesetzlicher Weise selbst oder durch ihre Vertreter sich
ausspricht. Auf anderem Wege erwirkte Gesetze und Verfassungsänderungen
würden einen Sturm im ganzen Lande heran fbeschwören und , verworfen vom
höchsten Gericht, unhaltbar sein, wie Dorr's Fehlversuch (1842) gegen die
Verlassung von Rhode -Island gezeigt habe. Der Kongress und Präsident be-
dürfe darum kein-r Wache; aber die Amerikaner würden 1814, 1830 und 1848
aacb anders gehandelt haben , als die Franzosen. Das 3. Hauptstöck (S. 26 ff.)
zeichnet ans in treffenden Zögen aus Washington'* Leben das wahre Urbild
amerikanischer Bürgertugend und strengsten Gehorsams gegen das Gesetz, auch
wenn es seiner Ansicht nach nicht gut war; demgemäss er an der Spitze des
Heers nie geduldet habe, dass dieses sein eignes Dasein als leitenden Gedanken
obenan stelle. Dicss wird erläutert an seinem kraft - und muthvollen Benehmen
fe|en die empörten pennsylvanischen Soldaten und jene Unzufriedenen über die
auf geistige Getränke gelegte s. g. Federaltaze, die unter seiner Präsidentschaft,
aufgehetzt oWch Clubs nach jakobinischem Muster, 1793 bis zu bewaffnetem
Widerstand (Whiskey- Aufstand) gingen, aber zauberisch schnell durch Aufge-
bot der gesetzlichen Macht, ohne Schuss, zur Pflicht zurückgeführt wurden;
endlich an der Selbstüberwindung, womit er in der bekannten Sache des Major
Andre die volle Strenge des Gesetzes habe walten lassen. Wo seien und Was
seien, fragt der Verf , solchen Gestalten gegenüber, die Republikaner Frank-
reichs, die Leute, die dieses zur Republik gemacht hätten und, Bewunderung
und Hingebung für das Volk im Munde, ohne Ehrfurcht vor dem Gesetze im
Herzen, ihren haltlosen Ansichten zu Liebe sich nicht scheuten, Alle ins Elend
tu stürzen, wie L. Blanc, L. Rollin und Proudhon. Der Verf. zeigt wei-
ter im 4. HauptstBck (S. 38—49), mit wie richtigem Blick, im Interesse der
Sicherung aller Unternehmungen, z. B. im Eisenbahnbau und aller Stiftungen,
wwie der Stetigkeit des Gangs der Regierung die berühmten Verf. des Federa-
Ibl den Vorschlag gemacht hätten, deasen nachmalige Erhebung zum Verfaa-
suogssatz der frühern Selbstherrlichkeit der Einzelstaaten die nöthige Schranke
gezogen habe: dass kein Staat, auch nicht durch spätere (rückwirkende) Ge-
setze die Verträge brechen dürfe — selbst nicht wegen Erschleichung — die
von ihm mit andern Staaten oder mit Einzelen oder von Einzelen unter sich
aaf Grund früherer Gesetze geschlossen worden seien; und dass die Ueber-
wachnng und Auslegung der gesammten Verfassung, also auch dieser Bestim-
mung, dem ganz unparteiischen und unabhängigen höchsten Gericht der ver-
rieten Staaten obliegen soll, welches entgegenlaufende Versuche, z. B. in Geor-
fien und New - Hampshire, sofort Tür nichtig erklärt hat, namentlich auch die
Weigerung des Zahlens von Staatsschulden, wie sie unter Jackson 1837 vorge-
kommen. Im 5. Hanptslück (S. 50-63) über die Clubs schickt der Verf. die
Bemerkung voraus, das* in Amerika die Freiheit und ihr verantwortlicher Ge-
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154
brauch streng Hand in Hand gehe, dass Missbrauch derselben selten und s. B.
beim WafTenrccbl fast nur in den noeh ungeordneten Zuständen neu erworbener
Gebiete ( lerritories) vorkomme, nicht etwa in der Art wie in den Pariser
Schreckensscbauspielen der leisten Jahre. So oft auch Zusammenkünfte su Be-
sprechung öffentlicher Angelegenheiten (Meetings) stattfinden, so kenne man doch
dort wie in England keine organUirten politischen Gesellschaften, die sammt
ihren Tochtervereinen die öffentliche Meinung meistern wollen. Nicht das Ge-
setz ächte solche Clubs, sondern die Sitte, erwachsen aus den bitteren Erfah-
rungen des Jahres 1794, wo mit verderblichem Erfolge der französische Ge-
sandte Gen et dergleichen nach dem Muster der Jakobiner ins Leben gerufen,
die aller wim ts gewühlt und die Regierung verleumdet haben, deren Dasein und
Anmassong daher Washington und alle grossen Staatsmänner Amerikas als
unvereinbar mit dem Bestehen einer gesetzlichen Regierung in den schärfsten
Ausdrücken verdammen. Man habe sich dort überzeugt, dass mittelst des Werk-
zeugs solcher Clubs (deren Name nur, nicht die Sache aus England stamme)
eioe Handvoll grundsats- und gewissenloser Leute von Catilina's Schlage sich
leicht su Herrn aufwerfen könnten ; in Frankreich wolle man Diess aber immer
noch nicht einsehen. Das 6. Hauptstück (S. 64— 77) stellt , zumal nach Adams
und den Urhebern der nordamerikanischen Verfassung, die Hauptgründe für das
Zweikammersystem zusammen, das seiner inneren Vorzüge halber nach
und nach alle Einzelslaaten eingeführt hätten, nicht etwa, nach Franklins,
Türgot's und selbst noch Cormenin's Meinung, aus Nachahmung Englands,
Sobald der amerikanische Kongress nicht mehr bloss ein Kongress völlig sou-
veräner Staaten bleiben sollte, habe man sich einstimmig entschieden für zwei
Kammern, und zwar für einen Senat von längerer Dauer, schon um der uner-
lässlichen Stetigkeit der Gesetzgebung und Regierung und der stärkeren Ver-
antwortlichkeit willen, von weniger (heute 58) und wo möglich noch fähigeren
Gliedern. Dadurch sei, sagt der Federalist, die Freiheit gesicherter gegen Ver-
rath und übereilte leidenschaftliche Beschlüsse, wozu eine zahlreiche Versamm-
lung leicht hingerissen werde; nur zu leicht fehle einer, auf die gewöhnliche
Art zusammengesetzten Kammer genügende Sachkenntniss. Namentlich auch bei
der französischen Nationalversammlung, wie in ganz Frankreich, vennigst diese
und das politische Wissen überhaupt der Verf. im höchsten Grade, und der
Bearbeiter bemerkt dazu : „Hatte nicht der alte östreichisebo Tolizeistaat auf un-
verantwortliche Weise jede Bildung dem Volke fern gehalten, so hätten die
Oktoberszenen nie in den Mauern der Residenz Statt linden können." In allen
amerikanischen Städten über 15,000 Einw. habe man darum neben dem Mavor
ganz ähnlich 2 städtische Körper, das common Council und das board of alder-
men (Senat) eingeführt. Mit einer Kammer müsse die Vollzuggewalt ia stetem
Kampf um die Oberhand liegen, Bestechung oder Einschüchterung anwenden,
an Spielraum für besonnene vielseitige Erörterung fehle es dabei ganz. Der
Verf. thetlt nun (Cap. VII. S. 78—92) die Hauplzüge aus der Geschichte
der Entstehung der norda in erikani sehen Verfassung mit, schildert
das lockere Band des ersten Kongresses, der bei allen papiernen Rechten
z. B. der Verträge, Anlehen , Gesandtschaften, des Kriegs u. s. w. doch ohne
alle selbsteigne Vollzugmittel, also mittellos und lahm gewesen, da die Einzel-
staaten sich die Selbstbesteurung vorbehalten und ein Haupt der Vollziehung der
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Kurie Anzeigen.
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kongressgeselze iu ernennen Bedenken getragen, überhaupt ängstlich im Geist
des Oslracissnus jeder Gefährdung ihrer Unabhängigkeit vorzubeugen gesucht
hätten, bis endlich, als der Geist der Empörung der Gliederstaaten 1785, ohne
Washingtons unbeschränktes Anaehen, fast zur Auflösung geführt hatt«, das
Bedürfnis* nach wirklicher Einheit durch eine Rcichsgewalt überwogen und die
Ktcdersetxung jenes unvergleichlichen Ausschusses herbeigeführt habe, dessen
preiswürdiges Werk — der erste Versuch einer Verfassung für eine grosse Bun-
desrepublik — 1787 die Genehmigung des nGesammtvoIksu erhielt. Die Bedin-
gung des Lebens und Gedeihens dieser Verfassung liege nur in der hoben staatlichen
und sittlichen Bildung dieses Volks, durch welche, wie iu England, auch dem
weniger guten Gesetz in der Ausführung nachgeholfen und auch den Irreligiösen
und Unsittlichen ein wohltaätiger Zwang aufgelegt werde, während a. B. in
Frankreich Jeder seinen Unglauben zur Schau tragen dürfe. Fast dieaelbe Ver-
fassung sei daher in Mexico kläglich gescheitert. Mit allem Recht sei der Um-
bog der Grundrechte darin nur nach Dem bemessen, was damals die Amerikaner
vertragen konnten und ihre Fortentwicklung der Zeit Überlassen. Das Aus-
geben von Papiergeld (8. ilauptst. S. 93 ff.) habe jene Verfassung mit Recht
verboten, da mnn in jenem nach der traurigen Erfahrung der gänalichen Ent-
wert hunjj der 1781 ausgegebenen 2 Milliarden ein sicheres Mittel erblickt habe, um
allgemeines Misstrauen und Missachtung der Regierungen zu säen, ja eine wahre
Pest, so dass dortige Ultradcmokraten, wie Jackson, sogar die Ausgabe von
Banknoten durch Einzelbanken irrlhümlich für unvereinbar mit jenem Verbot
and drm Gemeinbesten hielten; denn hier ist, sobald nur ein bestimmte! Ver-
haltniss zum Baarvorralh nicht überschritten werden darf, nicht nur Einlösung
jederzeit möglich, sondern obendrein die Annahme nicht erzwingbar. Die
Ledru-Rollin's sähen umgekehrt, anstatt der Quelle des Mangels an Ver-
trauen und Arbeit, mithin des Elendes, vielmehr den Stein der Weisen in As-
signaten , natürlich samml dem Maximum und der Schreckensherrschaft , die sich
daran knüpfen, wie in dem Convent mit seinem Robespierre, St. Jüit und
Nara l die Vorbilder für das heutige Frankreich, nicht etwa in den grossen Männern
Kordamerika's. Aber freilich, dort sehe man das Mittel des Volksglüeks in der
Selbstthätigkeit der Bürger, nicht in gebratenen Tauben, die der Staat
beseheeren solle. Im 9. Capitel erläutert der Verf. (S. 108—120) die den eng-
lischen nahe verwandten amerikanischen Begriffe von Freiheit, im Gegensatze
za den französischen von 1793, dahin, dass sie die unbeschränkteste Verfügung
eise* Jeden über seine Kräfte enthalte zum eignen und gemeinen Besten. Beson-
ders hervor hebt er ihre Habeascorpus akte, deren Suspension in Noth Hillen zwar
vorgesehen, aber noch nicht vorgekommen sei. Schwere Geldbnsse stehe auf
«leren Verletzung, die ein Richter auch hier dadurch begehe, dass er auf die
Nachricht von einer mutmasslich gesetzwidrigen Haft hin nicht sogleich ein
wrtt d. h. einen Vorfuhmngsbefehl gegen den Beschuldigten erlasse. Eine solche
Geklbusse sei z. B. gegen Jaekson gleich nach seinem Siege bei Neu-Orleans
erkannt worden! — Die Scbuldhaft sei, ausser bei betrüg lieh ein Bankbruch, kl
den meisten der Vereinten Staaten schon abgeschafft, Einquartierung im Frie-
den sei unstatthaft. Die französischen Verletzungen des Hausrechts, wie sie
wegen Verdachts geschwärzter Waaren unter Begleitung eines Polizeimanna ver-
ebt werden und die schützenden Sätze des Code verspotten , seien dort ebenso
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156 ' Kurie Anxeigen.
unbekannt als die, unter gleichem Vorwand, in Frankreich üblichen schändlichen
körperlichen Untersuchungen (S. 115 f.). Der Verf. bespricht nun im Cap. X.
und XI. (S. 121 — 145) weniger klar und geordnet, als es sonst seine und über-
haupt französische Art ist, die nordamerikanische Präsidentenwahl nach den
Verfassungssälzen wie nach ihrer Gestaltung im Leben, nachdem er vorausge-
schickt, welche Zweifel man anfangs darüber gehabt, ob man ein Haupt der
Vollziehung, auf wielange, wie und mit welchen Rechten wählen solle, so das«
*. B. Beigebung eines Regentschaftrathes, Lebenslänglichkeil und (von Jeff er-
• on) siebenjährige Dauer ohne Wiederwiililbarkeit vorgeschlagen ge we? en. Dies«
Lei ziere würde, wie Ref. mit Tocqueville überzeugt ist, das Bessere sein,
wofür es auch fasst allen aufgeklärten Amerikanern heute gilt. Der Verf. be-
tont es, dass die Rechte des französischen Präsidenten, ausser bei der Beam-
tenernennung , geringer seien und fuhrt aus, dass man es in Amerika bedenk-
lich gerunden habe, einer (schon vor der Wahl vorhandenen) gesetzgebenden
Versammlung die Wahl zu überlassen, da dann Ränke, Bestechungen, auswär-
tiger Einfluas und Binden der Hände des zu Wählenden zum Voraus zu furchten
gewesen wären; daher habe der Kongress nur bei gleicher Stimmenzahl der Be-
werber (wie 1801), oder wenn Keiner Derselben eine unbedingte Mehrheit er-
hallen könne (wie 1825), den Ausschlag zu geben, und zwar dorch Abstim-
mung nach der Staatenzahl. Es habe vielmehr die Wahl des Präsidenten, und
ebenso des Vicepräsidenten, von Wahlmännern zu geschehen, die verfassungs-
mässig nach Gutdünken jedes Einzelslaats zu wählen seien, jetzt aber, ausser
in Südkarolina, überall geradezu vom Volk gewählt würden, und zwar bloaa
hierzu. Sie handelten dabei aber nicht mehr, nach der Absicht der Verfas-
sung, selbstständig, sondern seien bloss die blinden Werkzeuge ihrer Auf-
traggeber, dienten also nur gleichsam zur Vermittlung und Vereinfachung der
Abstimmung, deren gleichzeitige Vornahme in allen Staaten den Zweck
habe, Umtriebe abzuschneiden. Ebendarum dürften die Wahlmännerauch weder
Kongressmitgliedcr noch Beamte, noch in irgend einer Beziehung (!) zum Be-
werber stehen und würden von jedem Staat (also zum Vorlheil der kleinen) in
derselben Zahl erwählt, in der er Abgeordnete und Senatoren zum Congreae
wähle. Der angelsächsische Geist der Einigung und der Volksvertretung habe
bald jeden Einzelstaat gelehrt, seine Stimme auf einen Bewerber zu vereini-
gen, und ebenso würden seit zwanzig Jahren die Bewerber selbst (deren jetzt
nur drei sein können) durch musterhaft eingerichtete Ausschüsse vorgeschlagen,
die, aus Abgeordneten aller Staaten gebildet, irgendwo zusammenkommen und
sich verständigen. Der Verf. empfiehlt Dicss dringend zum Vorbild für Frank-
reich, wo nur der Zufall den Ausschlag gehe und wo der überwiegende Scharf-
sinn, mit dem man alle möglichen Falle in der Wahlfrage vorgesehen habe
(Was in Nordamerika nicht der Fall sei), wegen der unbegreiflichen Charakter-
losigkeit der Franzosen Nichts fruchte, da dieselbe Yerfassungs- und Regierungs-
änderuagen durch Ränke und Flintenschüsse möglich mache. Zum ScbJuss (Cap. XIL
SL 146-154) sucht der Verf. noch die merkwürdige Bevorzugung der Soldaten bei
der Präsidentenwahl (wodurch z. B. der treffliche Clay zu kurz gekommen sei)
zu erklären, theils aus der Ueberschätzung der Kriegsthalen durch alles Volk,
das Neuengiands ausgenommen, das an Bildung weit voranstehe, theils aus dem
Umstand, dass sie weniger Eifersucht, Neid und Verleumdung hervorriefen ; er
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warol endlich die Amerikaner ernstlich vor den, itimal durch die (irischen und
deutschen) Einwanderer und den Pöbel der grossen Städte (wogegen die
Pariser Wahleinricbtung ihm am Meisten Schult zu geben scheint) überhand-
nehmenden Wahlumtrieben und Missbräurhen ; noch mehr aber seine Landsleute,
nid aUc gealterten Völker, die, kindischen Greisen gleich, geneigt seien, in-
dem sie ihr StaaUschiff den Stürmen der Volksregierung anvertrauten, sich
nicht weniger zuzutrauen als dem jugendkrä fügen Volk Amerikas. Wir zwei-
feln nicht, dass die Schrift auch in Deutschland manchem Träumer über die
wahren Bedingungen dieser Regierungsart die Augen öffnen werde, die sosehr
Vielen erst in Amerika aufgehen.
Bauerkeller'g Handallas der allgemeinen Erdkunde, der Länder- und Staa-
tenkunde, ium Gebrauch beim methodischen Vnterricht und Selbststudium,
sorte für Freunde der anschaulichen und vergleichenden Erdkunde über-
haupt, in achtzig Karten nebst einem Abrisse der allgemeinen Erdkunde
und der physischen Beschreibung der Erdoberfläche, mit statistischen Ueber-
sichten und topographischem Register. Bearbeitet von L. Ewald. Hefte
il ms 20. Darmstadt, 18*8, 18i9 und 1850. Druck und Verlag von
Bauerkell et s Präganstalt, Jonghaus und Venator.
Ueber fünf Jahre liefen ab, seit die ersten Lieferungen dieses schönen
Unternehmens von uns besprochen wurden (Nr. 39 des XXXIX Jahrg. die-
ser Jahrbücher). Die uns jetzt vorliegenden Hefte enthalten: von Karten Nr. 33.
Vergleichende Profile von Deutschland und den übrigen europäischen
Ländern; Nr. 56. Niederlande und Belgien; Nr. 57. Europäisch es
Bu>sland: Nr. 59. Schweden und Norwegen, nördliche Hälfte; Nr. 29.
Asien, Uebersicht der Gebirgs- und Tiefländer; Nr. 36. Asien, Uebersicht
der Meer- und Stromgebiete; Nr. 42. Asien, Uebersicht der asiatischen Staa-
ten; Nr. 65. Türkei, Griechenland und jonische Inseln; Nr. 45. Austra-
lien, Neu-Holland, Australland; Nr. 46. Oceanien (in Mercators Projec-
boo) ; Nr. 49. M ittel -Europa, westlicher Theil der Oesterreichischen Mo-
narchie ohne Tirol und Lombardie- Venedig; Nr. 52. Mittel- Europa IV.
(nordöstliches Deutschland); Nr. 30. Afrika, Uebersicht der Gebirgs- und Tief«
linder; Nr. 43. Afrika, Uebersicht der Afrikanischen Staaten und europaischen
Besitzungen : Nr. 48. M ittel- Eu ropa II., östlicher Theil der österreichischen
Monarchie; Nr. 61. Mittel-Europa VI. (Dänemark); Nr. 70. Nordost-
Afrika und Vorder-Asien; Nr. 71. Nordwest- Afrika ; Nr. 72. Süd-
Afrika. Ferner von Städte-Planen: Nr. 79. (Wien, Berlin, München,
Amsterdam, Brüssel, Stockholm, Kopenhagen, Rom, Neapel und Florens.)
Zum Lobe des Unternehmers ist hier nichts beizufügen; wir haben uns
iirüber bereits in unserer früheren Anzeige ausgesprochen. Nur darf nicht un-
bemerkt bleiben, dass, was die Ausführung der Karten angeht, Anschaulichkeit
und Schirfe mehr and mehr vervollkommnet wurden; jede neue Lieferung
iberbietet in solcher Hinsicht ihre Vorgänger.
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I
Kurie Anzeigen.
Ewald steht nun in der Milte einer Arbeit, deren wahrhaft colosselen
Umfang Niemand verkennen wird. Von den vollendeten vierzig Karten ge-
hören zwei der mathematisch-geographischen Section an, drei der
pbysicali sehen und sechsundzwanzig der statistisch-topogra-
phischen Abtheilung Es ist nur sehr zu billigen, dass bei der Wahl, ent-
weder mit Bearbeitung der Karten langsamer vorzuschreiten , oder die gleich-
zeitige Herausgabe des zugehörigen Teiles periodisch auszusetzen, der letztere
Weg eingeschlagen wurde.
Wiederholt empfehlen wir diesen Handatlas allen Lehrern, denen es
Ernst ist mit der Erdkunde, welche ihre hohe Bedeutung für
Geistes- Ausbildu ng nicht verkennen. Es gebührt Ewalds Atlas
die ebrenwertheste Stelle unter den brauchbaren Hülfsmitteln.
Ehe wir schliessen, theilen wir den Lesern unserer Jahrbücher eine
Nachricht mit, die, wir sind dessen gewiss, für viele nur als höchst willkom-
mene zu erachten. Wer spricht nicht von der grossen „Weitmesse"? In den
meisten deutschen Landen rüstet man sich ebenfalls eifrig, auf der Londoner
Industrie- Ausstellung in würdiger Fassung zu erscheinen, ßauerkeller's
Präg -Anstalt wird nicht zurückbleiben. Um nicht schon früher Gebotenes und
vielfach Nachgeahmtes zu liefern, unternahmen dieselben, auf Ewalds sehr
verständigen Rath, zwei geognostisrh colorirte Relief-Karten, eine
Hessen, Nassau u. s. w. , die andere Baden, Württemberg u. s. w. darstellend.
Beide Karten wanderten bereits zur „Weltiuesse". Wir hatten den Genuss, sie
vor ihrer Abreise zu sehen. Von der Ueberzeugung ausgehend, dass — wie
wir in diesen Blättern mehr als einmal geäussert — alle geologisch colorirte
Karten nnr im Stande sind, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, ihrem
ganzen Wesen nach nicht mehr sein können, fügen wir, was die Relief- Karten
betrifft, wovon die Rede, die Bemerkung bei, wie solche, nach der bescheide-
nen Ueberzeugung der Herausgeber, auf strenge Durchfuhrung eines wissen-
schaftlichen Systems keine grosse Ansprüche machen. Sic sollen zeigen, wie)
sich das Relief - die topische Gestalt - mit der geologischen Beschaffenheit
eines Landstriches verbinden lasst. Dem sei wie ihm wolle, Relief- Karten der
Art werden beim Studium der Geologie ein höchst erwünschtes, in vielseitiger
Hinsicht erleichterndes Hüifsmittel darbieten; Lehrern namentlich können sie nur
sehr gut zu statten kommen. Wir zweifeln nicht, dass jene beiden Karten bei
den Fachmännern Englands eine freundliche Aufnahme finden dürften und sehen
ihrer demnächstigea Veröffentlichung mit ganz besonderem Vergnügen, mit wah-
rem Verlangen entgegen. Ist uns ein Wunsch gestattet, so sei es der, dass die
Colorirnug einfacher, weniger bunt gewählt werde,
Leonhard.
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159
i) Grundriss der Geschichte der poetischen Literatur der Deutschen ton Karl
Gustav Heibig, Oberlehrer an der Kreuuchule %u Dresden. Vierte
vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig, Ar neidische Buchhandl. 1850.
XVI n. 46 S. in 8.
t) Wittenstein und Arnim 1632—1634. Ein Beitrag %ur Geschichte des
dreissigjdhrigen Krieges nach handschriftlichen Quellen des k. sächsischen
Hauptstaats-Archivs von Karl Gustav Heibig, Oberlehrer etc. Dres-
den, Verlag von Adler u. Dietse. Vlll u. 37 8. in gr. 8.
Nr. 1 ist in seinen früheren Auflagen bereits besprochen worden (s. diese
Jahrb. 1843 p. 625. 1845 p. 14t. 1848 p. 315); die vierte vorliegende hat
im Einseinen manche Vermehrungen und Nachbesserungen erhalten, ohne dasa
jedoch Plan und Anlage des Ganzen (was man nur billigen kann) einer Aen-
derung unterlegen wäre. Man wird daher dieser neuen Auflage, die sich mit
allem Recht eine vermehrte und verbesserte nennt, die gleichgültige Aufnahme
nnd Verbreitung, welche der Grundriss in den drei früheren Auflagen gefun-
den hat, nnr wünschen können. Das in dieser Auflage hinzugekommene Re-
gister der Namen erlcichert den Gebrauch.
Nr. 2 bildet einen neuen recht dankenswerten Beitrag sur Auf-
klärung eines Verhältnisses, das zwar in neuester Zeit Gegenstand viel-
facher Forschung, wie es die Wichtigkeit der Sache allerdings mit sich
bringt, geworden ist, kaum aber noch bis zu dem Punkt gelangt ist, wo
ein fester Abschluss erfolgen und ein sicheres Endergebniss ausgesprochen
werden kann. Der Yerfassar hat bei der Frage über die Schuld Wallen*
stein 's und über das Vcrhältniss desselben zum Kaiser sich in der Vor-
rede mehr zu Gunsten Wallenstein's ausgesprochen, und nachdem er die ver-
schiedenen Auffassungen der neuesten Gelehrten über diesen Punkt hervorge-
hoben, sein eignes Unheil dabin abgegeben (S. VI): „Will man sich aaf den
hier allein zulässigen Standpunkt eines unparteiischen Richters erheben, so wird
min nach genauer Abwägung der bis jetzt beigebrachten urkundlichen Zeug-
nisse von einem juridischen Beweise eines planmissig vorbereiteten Verratha
des Feldherrn an seinem Kaiser abstehen, aber dennoch die Eutwtckelung der
Tragödie, sowie sie vor sich gieng, nach der gegenseitigen Stellung beider
Tbcile ganz begreiflich Gnden müssen."
Was nun in dieser Schrift selbst aus den bisher nicht benutzten Quellen
des k. sächsischen Haupt-Staatsarchivs bekannt gemacht wird, betrifft zunächst
du Vcrhältniss Wallenstein's zu Sachsen in den mit Sachsen gepflogenen Ver-
handlungen der Jahre 1632 ff. und be3tchl in verschiedenen Briefen Wallen-
steins, Arnims u. s. w. , wobei aber der Verf. sich keineswegs darauf be-
schränkt, blos einen wortgetreuen Abdruck dieser Briefe zu geben, sondern
indem er jedem Schreiben die nöthige historische Einleitung vorausschickt und
•o uns dasselbe in seinem inneren Zusammenhang mit dem Gang der Ereignisse
selber vorführt, hat er ein zusammenhängendes Bild gegeben, welches uns
jetzt möglich macht, einen klaren Blick in das Ganze dieser Verhandlungen zu
werfen. Allerdings ist es dabei des Verfassers Streben, „als Entlastungszeuge"
für Wallenstein und sein in diesen Unterhandlungen eingehaltenes Verfahren
aufzutreten (S. VI) ; nachdem er daher die darauf bezüglichen Briefe mitgetheilt
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160
hat, gelangter S. 24 ff. xu dem aus diesen Urkunden sich ergebenden Resultat,
dass Wallenstein, wenn er es vorzog, mit Arnim Unterhandlungen anzuknüpfen,
statt die schwächeren und uneinigen Feinde sofort aus Schlesien zu treiben, eine
Ausgleichung mit Sachsen und Brandenburg wünschte, um, gestützt auf diese
beiden protestantischen Mächte, theils den Schweden, thcils der kriegseifrigen
aber ohnmächtigen katholischen Partei gegenüber, einen baldigen Frieden her-
beizuführen, der ihm wenigstens einen Ersatz der Yortheile gewährte, welche
ihm zwar der Kaiser zugestanden hatte, aber, wenn es zur Entscheidung kam,
schwerlich einräumen konnte und wollte. Der Verfasser zeigt dann weiter,
wie es nicht Armins, wohl aber der sächsischen Regierung Schuld ge-
wesen, dass die Fricdensunterhandlungen damals sich zerschlugen und die
Feindseligkeiten wieder begannen. Wallenstcin aber, so meint der Verf., er-
scheine vollkommen gerechtfertigt, da er vom Kaiser mit unbedingter Vollmacht
zum Frieden mit Sachsen versehen gewesen und auch von seinen Friedensab-
sichten durch Gallas dem Kurfurston von Raiern habe Nachricht geben lassen.
Die dann folgenden Ereignisse, der nach Beendigung des Waffenstillstandes
wieder aufgenommene Kampf, und die kurz vor YYallenstein's Tod wieder mit
den Sachsen angeknüpften Unterhandlungen bilden den weiteren Inhalt dieser
Schrift, die auf manche Einzelheiten ein neues Licht wirft, namentlich auf die
sächsischen Verhältnisse. Arnim, der kursächsischc General, erscheint nach
diesen urkundlichen Mittheilungen in einem günstigen Lichte; die Art und
Weise, wie er über die Ermordung Wallenslein's in dein letzten der hier mit-
getheilten Briefe nrtheilt, ist interessant genug, um auch jetzt noch beachtet zu
werden. Charakteristisch für die Person des alten Kriegers ist der Wunsch, oder
vielmehr die unlcrthänige Bitte, die er am Schluss dieses an den Kurfürsten
gerichteten Schreibens vom 21. Februar 1634 ausspricht, ihn künftighin mit
Friedenshandlungen zu verschonen und nur zu dem zu gebrauchen, was seiner
Profession gemäss sei; wenn der Kurfürst ihm eine mit Allem wohl versehene,
zuverlässige Armee untergeben wolle, oder wie er sich ausdruckt: „Wen E.
Cubrfl. Durchll. mir eine armee, die Kegen (gegen) des Feindes macht bastant
vnd deren Ich versichert sein Kan vnd andere nothdurftge mittel vnter geben,
Wil Ich mich lieber alle Stunden mitt dem Feinde schmeissen, alss noch ein
eintsiges mahl tractiren vnd hoffen dadurch E. Churf. Durchll. mit göttlicher
Hülfe nützlichere Dienste zu leisten."
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Nr. 11. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBOGHER DER LITERATUR.
John Stephens Incidents of Travel in Central - America , Chiapas and
Yucatan, illuslrated by numerous Engraxings. London, 1841.
2 Voll, in 8.
John Stephens Incidents of Travel in Yucatan, illuslrated by 120 En-
graxings. London, 1843. 2 Voll.
Catherwood Views of ancient Monumenls in Central- America, Chiapas
and Yucatan. New -York, 1844. in Fol.
(Fortsetzung yon Hr. 8.)
Bei der nicht zu verkennenden Aehnliohkeit, die zwischen den al-
ten amerikanischen und assyrischen Bauwerken obwaltet, gewinnt die
ichoo yon Emanuel de Moraez, Robert le Comte, A. Rhode, Cabrera
o. a. aasgesprochene Behauptung von Neuem an Wahrscheinlichkeit, das9
die Phönizier, Tyricr und Sidonier bereits an den östlichen Küsten Ame-
rikas gelegene Länder besucht haben. Bei ihren Fahrten durch die Strasse
von Gibraltar nord- und südwärts, und bei ihrem ausgebreiteten Handel,
durch den sie die Produkte femer Länder in ihre Heimath brachten,
konnten sie auch den neuen Continent erreicht, und dort Niederlassungen
gegründet haben. Vielleicht lag auch das räthselbafte Goldland Ophir in
jenem Welttheil, von wo das Gold kam, das Hiram aus Tyrus dem Kö-
nig SaJomon in so reichem Maass zum Ausschmücken des Tempels sen-
dete. Von den Fahrten der Phönizier nach jenen Ländern mögen sich
auch die alten Sagen der Griechen von der Atlantis herschreiben. Bei
weitem ausgebreiteter noch als bei jenem Volke war die SchifTTahrt und
der Handel der unternehmenden mächtigen Cartliager.
Gegen die Annahme, dass an der Ostküste Amerikas liegende Län-
der bereits von den Phöniziern und Cartbagern besucht worden sind, haben
iwar Gosselin, Mannert, Heeren u. a. Zweifel erhoben. Da es aber er-
wiesen ist, dass jene kühnen Seefahrer sich ausser der Ruder auch der
Segel bedienten, und die hohe See befuhren, so konnten sie bei ihren
Fahrten an den afrikanischen Küsten , in die Region der Passatwinde ge-
langend, leicht durch einen frischen Nordostwind nach den Küsten des
oeoe« Continents getrieben worden sein. Und diese Meinung gewinnt an
Wahrscheinlichkeit durch das, was Herr v. Humboldt (Ansichten derNa-
tar B. L S. 253) Uber die Fahrt nuf dem Atlantischen Ocean sagt:
XLIV. Jahrg. 2. Doppelheft. i 1
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162 Stephcni und Catherwood: lieber Cenlral-Amerika.
„Westliche Strömung und tropische Winde begünstigen die Fahrt durch
den friedlichen Meeresarm, der dai weite Thal i wischen dem neuen Con-
tinent und dem westlichen Afrika erfüllt.u Ferner äussert er: ..der At-
lantische Ocean hat zwischen dem 23. Grad südlicher und dem 70. Grad
nördlicher Breite die Form eines eingefurchten Langenthals, in dem die
vor- und einspringenden Winkel sich gegenüber stehen. Von den cana-
rischen Inseln, besonders vom 21. Grad nördlicher Breite und dem
25. Grad westlicher Länge, bis tu der Nordost - Küste von Südamerika
ist die Meeresflache so ruhig nnd von so niedrigem Wellenschläge, dass
ein u Heues Boot sie sicher beschiflen konnte.- Bei den unter den Phö-
niziern und Carthagern sehr früh verbreiteten astronomischco Kenntnissen
lernten sie wahrscheinlich auch bald, der Leitung der Gestirne folgend,
den Rückweg in die Heimath finden. Und so bieten die physikalischen
Verhältnisse keine erheblichen Schwierigkeiten dar für die Annahme der
Fahrt der Phönizier nnd Carthager nach der neuen Welt.
Abgesehen von einer in dem Buche de Mirabil. anscultat. (ed.
Bekk. Cap. 84 p. 836) enthaltenen Stelle, welche Schrift fälschlich Ari-
stoteles zugeschrieben worden ist, und einer Stelle bei Diodor von Si-
cilien (Lib. V. Cap. 19 und 20), die es wahrscheinlich machen, dass
Amerika den Carthaginensern bereits bekannt war, lassen sich noch an-
dere Gründe anführen. Die Religion der Carthager, wie die der Phö-
nizier, Tyrier und Sidonier, war nach Mttnter's Untersuchungen Sternen-
Dienst. Die vorzüglichste Verehrung wurde dem Gestirn des Tages, der
Sonne, dargebracht, welche sie als das oberste Princip der Natur, als
die zeugende, schalende und erhaltende Kraft unter verschiedenen Idolen
anbeteten. Sonne, Mond und Gestirne wurden auch von den Völkern
Amerikas bei dessen Entdeckung durch die Europäer, sowohl in Mexico
und in allen Ländern Mittel- Amerikas, als in Bogota, Quito und Peru
verehrt, und ihnen wurden Rauch -Opfer dargebracht Dieser Cultns
stammte vielleicht von den Colonisten phönizischer Völker her. Beach-
tungswertb ist es ferner, dass mehrere ältere nnd neuere Autoren, Go-
mara, Jean de Lery, Tbevet, Adair, und neuerlichst wieder Lord Kiogs-
borough, Catlin u. a., in den Gesichtszügen verschiedener Indianer-
Stämme Nord- und Süd -Amerikas manche Aehnlichkeiten mit denen der
Israeliten gefunden haben wollen , und daher selbst eine Abstammung der
Bewohner Amerikas von diesen angenommen haben. Da die Phönizier
und Carthaginienser gleich den Israeliten zu dem Semitischen Volksstarom
gehörten, so durfte jene Aehnlichkeit wohl ebenfalls auf einen früheren
Verkehr derselben mit Eingebomen Amerikas hinweisen. Die angeführten
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Stephens nnd Ca t her wo od: Utber Centrai-Amerika. 163
Grinde macheu es wahrscheinlich, dass an den östlichen Küsten Amerikas
gelegene Länder bereits von den Phöniziern und Carthagern besucht wur-
den, welche hier Niederlassungen gegründet und einen Einfloss auf die
Cultur der Eingebornen ausgeübt haben ntögeo. Durch sie wurde viel*
leicht der Sternen - Dienst und der mit demselben verbundene religiöse
Caltus eingeführt, sowie astronomische und andere Kenntnisse, nament-
lich die Bau- und Bildhauerkunst und mancherlei Sitten und Gebräuche
verbreitet Dennoch ist Refer. weit entfernt anzunehmen, dass die Be-
wohner des neuen Conlinents von einem Volke der alten Welt abstam-
men und aus irgend einem Lande derselben eingewandert sind. Er hält
sie vielmehr mit Isaak Peyrere , BuITon , Blumenbacb , Georg Forster, Mor-
ton ond Priehard für Ureinwohner, Aulochtonen, welche gleich der Flora
und Fauna dieses Welttbeiis in Amerika selbst erschaffen worden sind.
Die Bewohner Amerikas stellen einen besonderen Menschenstamm, eine
eigene Rasse dar, die sich, wie besonders Morton gezeigt hat, von allen
anderen Menschenstämmen durch Eigentümlichkeiten in der Körperbe-
sebaffenheit , in der Farbe der Haut, der Bildung des Schädels und der
Gesichtszüge unterscheidet. Von Völkern des neuen Continents , die eine
höhere Stufe der Cultur erreicht hatten, mögen sie diese non von ein-
gewanderten Völkern angenommen haben, oder mag sie aus ihrer eige-
neo Entwicklung hervorgegangen sein, wurden die in den Ländern Cen-
trat-Amerikas aufgefundenen grossarligeo alten Bauwerke aufgeführt. Für
diese Behauptung, die Stepbens zuerst aufgestellt bat, lassen sich Uber-
zeugende Gründe angeben. Zunächst spricht dafür , dass die an den Bau-
werken zu Palenque, Copan, Uxmal, Chicben -Itza u. a. abgebildeten
menschlichen Figuren, sowie die auf den grossen Monolithen zu Copan
und Qniruga dargestellten colossalen Bilder von Männern und Frauen,
ganz unverkennbar alle die Eigentümlichkeiten in der Form des Kopfs
und den Gesichtszügen darbieten, welche Morton als Kennzeichen der
amerikanischen Rasse aufgestellt bat, und die noch jetzt an un vermischten
Indianer- Stämmen so deutlich hervortreten. Dabin gehören die niedere,
stark zurückweichende Stirue, die nicht schräg geschlitzten Augenlider,
die vorspringenden Jochbeine, eine grosse stark vortretende und meistens
gebogene Nase, künstlich verlängerte Ohren, dicke Wangen, volle Lip-
pen und stark ausgewirkte Kiefergegenden. An den meisten männlichen
Figuren nimmt man ferner keinen Bart wahr. Bei einigen jedoch erblickt
man Kinn - und Schnurrbarte, welche auch D'Orbigny bei verschiedenen
Indianer- Stämmen des südlichen Amerikas wahrgenommen hat.
Ii*
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164 Stephens und Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
Sehr beachtungswerth , und einen wichtigen Beweis für obige Be-
hauptung gebend, ist ferner, dass selbst die ehemals bei 10 vielen Völ-
kern Amerikas üblich gewesene, und hin und wieder bei manchen In-
dianern noch gebräuchliche künstliche Verunstaltung des Schädels an
den meisten Figuren der alten Bauwerke deutlich zu bemerken ist,
welche den Völkern des alten Continents fast ganz unbekannt war.
Der Schädel ist nach oben und hinten thurmartig verlängert an den Fi-
guren zu Paleuque, ganz so wie ihn Pentland an den Köpfen der alten
Peruaner in den Gräbern (Huacas oder Chulpas) am See Titicacca fand,
und wie ihn D'Orbigny von den Mumien der Aymaras beschrieben and
abgebildet bat. Auch die künstliche Abplattung des Schädels, wie sie
noch jetzt bei den Flachkopf- Indianern am Columbia River und bei vielen
Stämmen an dem westlichen Abhang des Felsengebirgs gebräuchlich ist,
wird deutlich an den Figuren in sitzender Stellung erkannt, welche Ste-
phens von den colossalen Stein - Reliefs in dem Hauplhofe zu Palenque,
sowie zu Santa Cruz del Quichä hat abbilden lassen.
Auch die an den menschlichen Figuren der Monumente dargestellte
Kleidung , die Waffen und Zierrathen , die Ohrgehänge, der Halsschmuck,
die Brustplatten, die Armbänder, die Gürtel, die Kniebänder und die
Fussbekleidung sind nicht nur von denen mongolischer Völker, sondern
von denen aller Völker des alten Continents ganz und gar verschieden.
Sie gleichen vielmehr vollkommen denen, welche man bei den Völker-
schaften Amerikas zur Zeit der Entdeckung wahrnahm, und zum Theil
auch denen, die noch jetzt bei den in Unabhängigkeit lebenden Indianern
gefunden werden. An den männlichen Figuren erblickt man ein Stück
Zeug, welches zwischen den Schenkeln durchgezogen ist, und unter dem
Gürtel geschoben vorn und hinten herabhängt. Dieses Kleidungsstück
findet sich noch jetzt bei alten Indianer - Stämmen Nordamerikas und heisst
Breechloth oder Nukkä. An den offenbar künstlich verlängerten Ohren
siebt man Einschnitte, in die grosse Ohrgehänge, Holzblöcke oder Steine
eingebracht sind, ganz so wie es ebenfalls noch bei den meisten India-
nern Nord - und Südamerikas Gebrauch ist. An einigen Figuren sind auch
Zierralhen in der durchbohrten Nasen - Scheidewand aufgehängt. Die
langen Gürtel vieler Statuen gleichen den Wampum - Gürteln , welche die
Chefs der nord-amerikanischen Indianer bis auf den beutigen Tag tragen.
Die Füsse der Figuren sind mit schön verzierten Mokasins bekleidet, wie
sie aus gegerbtem Hirschleder verfertigt noch jetzt bei den meisten In-
dianern vorkommen. Auch in den Kopfbedeckungen, den PerlscbnUreo,
den Brustplatten, den Arm- uud Kniebändern der alten Bewohner zeigen
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Stephens und Catherwood: Ueber Central- Amerika. 165
sich viele Aehnlickeiten mit denen der Indianer -Stämme. Obige That-
sachen unterstützen also die Ansicht, dass die Erbauer der alten Bau-
werke nicht aus einem Lande des alten Continents gekommen sind, und
folglich keine Phönizier oder Carthager, keine Mongolen oder Tataren,
keine Normünner und Walliser waren, für welche sie manche Autoren
ansgegeben haben. Es waren die Eingebornen des neuen Continents
selbst, und die Vorfahren derselben Völkerschaften, die noch gegenwär-
tig diesen Welttheil bewohnen, welche jene grossartigen Bauwerke auf-
geführt haben , die damals aber auf einer höheren Stufe der Cultur standen.
Als einen weiteren Beleg für obige Behauptung muss Refer. noch
beifQgen, dass die Bauwerke Central - Amerikas in den Verzierungen der
Facaden, in den breiten, ungemein reichen und geschmackrollen Gurten,
Karniessen, Gesimsen und Kranzleisten , sowie in den schönen und höchst
mannigfaltigen a la Greques, Arabesken, Labyrinthen und Mäandern einen
ganz eigentümlichen Charakter zeigen, wodurch sie sich wesentlich von
allen Bauwerken des alten Conttnents unterscheiden. Dieser besteht darin,
dass die Ornamente aus vielen kleinen, verschiedenartig geformten ecki-
gen , Würfel - und rautenförmigen oder anders gestalteten farbigen Stei-
nen gebildet, in eine Thon- oder Mörtel -Müsse eingesetzt sind. Durch
ihre verschiedene Verbindung ist eine schöne Art von Mosaik, in den
mannigfaltigsten und reizendsten Formen und Zeichnungen hervorgebracht. '
Wegen dieser Eigentümlichkeit der Verzierungen der alten Bauwerke
kann man den Styl, in dem sie aufgeführt sind, den Mosaik-Baustyl nennen.
Zu Gunsten der ausgesprochenen Behauptung, dass jene Bauwerke
von eingebornen Völkern errichtet wurden, lassen sich ferner die an so
vielen Monumenten vorkommenden, eigentbümlichen Bilderschriften oder
Hieroglyphen aufrühren. Viele hieroglyphische Figuren erblickt map an
den grossen viereckigen Monolithen zu Copan und Quiruga , auf denen
die Figuren von Königen oder Helden in erhabener Arbeit dargestellt
sind, sowie ebenfalls an den Opfer - Allären. Auch fand man solche ein-
gegraben auf den Steinplatten neben den menschlichen Figuren zu Pa-
Ienqur. (Jxmal, Kabah, Chichen-Itza und anderen Orten. In den Ge-
mächern der auf den Pyramiden zu Palenque aufgeführten Teocallis sind
an den Wanden selbst sehr grosse steinerne Tafeln mit zahlreichen und
langen Reihen wohl erhaltener Hieroglyphen eingesetzt. Die symbolischen
Figuren sind gänzlich verschieden von den ägyptischen und allen sonsti-
gen Schriftbildern an Monumenten des alten Continents. In ihrer Gestalt
bieten die Zeichen eine sehr grosse Mannigfaltigkeit dar. Häufig erblickt
man Köpfe von Menschen und Thieren mit verschiedenem Ausdruck. Das
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166 Stephen* und Catherwood: üeber Cenlral-Amerika.
Antlitz ist meistens nach der rechten Seite gekehrt. Bei weitem die
meisten Figuren haben gar keine Aehntichkeit mit bekannten Gegenständ
den. Oefters nur kommt das Zeichen des Kreuzes vor. Die Hierogly-
phen sind in horizontalen oder senkrechten Linien oder Reihen geordnet
und scheinen von links nach rechts gelesen werden zn müssen. Sehr
beachtungswerth ist ferner, dass die Hieroglyphen zu Palenquc, Copan,
Quiruga, Kahah, Chichen-Itza eine sehr grosse Aehnlicbkeit , ja selbst
Uebereinstimmung zeigen. Dicss deutet darauf hin, dass alle jene Bau-
werke von einem und demselben Volke aufgeführt wordeo sind. Ob es
jemals gelingen wird , den geheimnissvollen Inhalt der Bilderschrift zu
entziffern, ist sehr zu bezweifeln. Ganz und gar unwahrscheinlich ist es,
dass die Bilderschrift der alten amerikanischen Volker durch Einwanderer
aus der allen Welt eingeführt worden ist: denn viele Völker dei nörd-
lichen und südlichen Amerika bedienten sich schon io der ältesten Zeit
symbolischer Bilder, wenn gleich oft der rohesteo Art. Diess beweisen
die in Felsen eingegrabeneu Figuren , welche man in vielen, und oft weit
entlegenen Ländern im Inneren Amerikas aufgefunden hat. Der Pater
Marquette sah solche bereits bei seiner im Jahr 1673 unternommeneu
Reise an den Felsenwänden der Flüsse Illinois und Mississippi. Hortsmann
erwähnt ihrer zuerst im Jahr 1750 in Guiana an den felsigen Ufern des
Rupunuri. Herr von Humboldt sah verschiedene, in Granit und Syenit
eingegrabene symbolische Bilder am Orenoko und Cassiquiare. Spix und
Martius gedenken solcher an den Felsen am Rio Yapura, Cupate und
Arara-Coara; und die Gebrüder Schomburgk im Inneren Guianas an den
felsigen Ufern des Essequibo, Corentyn und Cuyuwini. Hieroglyphische
Figuren endlich hat neuerlichst auch der Obrist Acosta in Bogota an Fel-
sen der Ufer des Nagdalenen- Stroms eingegraben gefunden. Im Besitz
einer ausgebildeten Bilderschrift waren auch die Tolteken und Azteken,
und Hieroglyphen sind an der alten Pyramide zu Xochicalco eingegraben.
Vor allen aber verdienen Beachtung die auf Hirscbheuten , baumwollenen
Tüchern und Agave- Papier gemalten symbolischen Manuscripte , welche
die Geschichte jener Völker enthielten , und in denen alte Urkunden, ab-
geschlossene Verträge, gerichtliche Verhandlungen, ja selbst ihre politi-
schen Annalen aufbewahrt wurden. Von dieser Kunst, wie sie einst zu
Tezcuco geübt wurde, hat Don Ferdinando de Alva Ixtilxochitt ausführ-
liche Nachricht gegeben. Was von den alten mexicanischen Bilderschrif-
ten der Zerstörungswuth des ersten Bischoffs von Mexico, Don Juan de
Zumarrsga, und der fanalischen spanischen Mönche entgangen ist, und in
den Bibliotheken zu Oxford, Rom, Bologna, Wien, Dresden u. a. auf-
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Stephens and Catherwood: Ueber Centrtl-Amerika. 167
bewahrt wird, babeo Herr von Humboldt ond Lord Kingsborough abbil-
den lassen. Im Besitz einer Bilderschrift endlich waren seit alter Zeit
bis auf den heutigen Tag die meisten Indianer -Stämme Nordamerikas,
wie sowohl frühere, als nenero Reisende, Hecke weider, I Dun Hunter,
Maximilian Prinz zu Wied, Major Long u. a. bezeugen. Was zum blei-
benden Gedlcbtniss aufbewahrt werden soll, wird in Bildern mit Griffeln
vod Holz, Stein oder Metall auf die innere glatte Kinde der weissen
Birken eingegraben, oder mit Pinseln von Haaren oder Federn in ver-
schiedenen Farben auf eigens zubereitete Häute von Thieren gemalt. So
siebt man die aus Büflelhäuten verfertigten Mäntel der Indianer am Missouri
oft mit hieroglyphischen Malereien verziert. Auch sieht man Hirschhäute
bei ihnen , auf denen die Kriegs- und JagdzUge in Bildern dargestellt sind.
Von Bildhauer- Arbeilen muss Refer. noch der steinernen Figuren
gedenken , welche zwei im Körper verbundene doppelköpGge katzenartige
Tbiere darstellen, die Leoparden oder Panthern ähnlich sind, und die
Stephens zu Copan und Uxmal aufgefunden hat. Wahrscheinlich sind es
Sitze oder Throne; denn auf zwei Steinplatten zu Palenque sind solche
abgebildet, auf denen eine menschliche Figur mit einem unterschlagenen
Beine ruht. Da solche zu Copan, Uxmal und Palenque entdeckt wurden,
so erbellet auch daraus, dass die Erbauer jener Denkmäler ein und das-
selbe Volk waren.
Die grossartigen und prachtvollen Bauwerke obiger Länder Centrai-
Amerikas mit ihren reichen und geschmackvollen ornamentalen Sculpturen,
den Abbildungen menschlicher Figuren und den vielen eingegrabenen Hie-
roglyphen liefern unleugbar den überzeugenden Beweis, dass die Erbauer
in der Architektur und Mechanik, sowie in der Zeichnungs- und Bild-
bauerkunst sehr erfahren waren. Ausser der Kenntoiss des Bearbeitens
und Legens der Steine und der Bereitung verschiedenartiger Mörtel und
Cemente, wussten »ie die Gebäude auch nach den Himmels-Gegenden in
rechten Winkeln aufzuführen. Die schönen ornamentalen Sculpturen geben
Zeugniss für ihren guten Geschmack und ihre grosse Kunstfertigkeit. Ein
Umstand, den man wohl beachten muss, wenn man die Fortschritte der
alten amerikanischen Bevölkerung in der Baukunst gehörig würdigen will,
besteht darin, dass ihnen der Gebrauch eiserner Werkzeuge und Gerät-
schaften unbekannt war, indem man nirgends Ueberreste derselben auf-
gefunden hat. Sie bedienten sich nur kupferner Handwerkszeuge, denen
Zinn oder Silber zugesetzt war. Wahrscheinlich benutzten sie ferner ein
kieselartiges Pulver, mit dem sie durch Reiben die Politur und die feine-
ren Verzierungen zu Stande brachten.
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168 Stephens and Catherwood: Ucber Central- Amerika.
Die Malerkunst wurde ebenfalls bereits von den alten Bewohnern
Central- Amerikas geübt. Abgesehen, dass die Gebäude äusserten mit
verschiedenen Farben bemalt waren, unter denen besonders die rothe
Farbe, wie an den alten assyrischen und aegyptiseben Bauten, die vor-
herrschende war, sah Stephens auch oft die Wände der Gemächer mit
Gemälden verziert, namentlich in den Ruinen zu Ocozingo, Zibilnacac und
Cnichen- Ilza. An letzterem Orte waren die Wände der Gemächer in
der Casa Colorada mit menschlichen Figuren und den Bildern verschie-
dener Gegenstände bedeckt. Unter jenen erblickte man Krieger mit reich
geschmückten Helmen, Schilden und Spiessen, sowie Männer und Frauen
in eigentümlichen Trachten , die von denen der Indianer ganz abweichen.
Auch ist hier ein grosses Schiß abgebildet. Beziehen sich diese Bilder
etwa auf die Ankunft von Fremden, die aus einem anderen Lande ge-
kommen waren? In den Gemächern zu Palenque', Uxmal, Chichen-Itza
sah man häufig die Figur einer aufgerichteten rothen Hand mit ausge-
spreizten Fingern. Das Bild einer solchen rothen Hand kommt noch jetzt
bei den Indianern Nordamerikas vor. Schoolcraft und ( allin sahen es auf
den aus BUffelhüuten gefertigten Zelten und Mänteln der Chefs und der
Zauberer oder Medecine - Men der Sioux , Winnebagos und anderer nörd-
lichen Indianer -Stämme. Nach jenem ist es das Symbol einer von gros-
sem Geiste verliehenen Macht und Würde.
Aus obigeu überzeugenden Gründen hält Refer. dio allen Denkmäler
für Werke eines eiugeborneu amerikanischen Volks. Welchem Volke sie
aber zugeschrieben werden müssen , ist eine Streitfrage. Die meisten
spanischen Geschichtsforscher, und so auch Herr von Humboldt und Ste-
phens, haben sich für die Tolleken und Axleken entschieden, welche als
die ältesten Völker Amerikas angesehen werden , die einen gewissen Grad
der Cultur erlangt hatten. Nach den von Gallatin angestellten, vorzüg-
lich auf Sprach - Forschungen sich stützenden Uotersuchungen (Essay on
the semi-eivilised nations of America; in Transactions of the Americao
Ethnological Sociely T. 1 p. 148) kann nicht in Zweifel gezogen wer-
den, dass in Anahuac schon vor Ankunft der Tolteken, gegen die Mitte
des siebenten Jahrhunderts, Völker gewohnt haben, die in der Cultur
bereits Fortschritte gemacht hallen. Zu diesen Völkern gehörten die
Ulmecas oder Olmecas, die Tarascas, Totonacos, Tlascalas, Zapotecas,
Mixtecas u. a., welche nach Hervas, Valer und Gallatin verschiedene
Sprachen geredet haben; während die Tolteken, und die spater einge-
wanderten Chichimeken, Nahualteken und Azteken eine und dieselbe
Sprache geredet zu haben, und von gleicher Abkunft gewesen zu sein
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Stephens und Catherwood : üeber Centrai-Amerika. 169
scheinen. Bradford (American Antiquities) ferner hat es wahrscheinlich
gemacht, dass viele, ja die meisten der in den Ländern Central -Ame-
rikas entdeckten alten Bauwerke von Nationen herrühren, die nicht zum
Yölkerstamm der Tolteken und Asteken gehört haben. Die Ruinen von
Mitisn, Palenque, Copan u. a., obgleich sie in vieler Hinsicht denen im
eigentlichen Mexico befindlichen ähnlich sind, seien doch offenbar älter,
und mttssten für Werko eines nicht toltekischen Volks gehalten werden.
Zar Zeit, da sich die Tolteken in Anahuac niederlicssen , war es schon
von den Olmecas bewohnt, und diese waren nach dem Zeugnisse von
Don Ferdinando de Alva Ixtlilxochitl , einem Nachkommen der Könige von
Tezcnco, (Histoire des Chichimeques , ou Anciens Rois de Tezcuco; her-
aasgegebeo von Ternaux Compans. Paris 1840) von Osten her in Schif-
fen oder Canots eingewandert. Kamen sie etwa aus einem Lande Nord-
Amerikas , vielleicht aus dem Thale des Mississippi , von wo sie vertrieben
waren nnd wo unläugbar lange vor Einwanderung der Tolteken in Ana-
baac eine alte Cultur verbreitet war. Die Olmecas sollen die grosse
Pyramide in Cbolula erbaut haben, Signenza hat ihnen auch die Erbauung
der Pyramiden zu Teotihuacan zugeschrieben.
Die im alten Königreiche Mechoacan wohnenden Tarasken, welche
eine von der aztekischen verschiedene, sehr wohlklingende Sprache rede-
ten, waren von den Azteken ebenfalls unabhängig und standen ihnen in
der Cultur nicht nach. In ihrer alten Hauptstadt Tzintzöntzon befinden
fich noch jetzt die üeberresle eines grossen Tempels und Pallastes. Die
Totonacos ferner, welche die östlichen Abhänge der Cordilleren gegen
den Golf von Mexico inne hatten, bildeten ebenfalls ein besonderes Reich,
ood redeten eine eigene Spreche. In ihrem Lande liegen die präch-
tigen, mit Hieroglyphen bedeckten Rainen von Papantla und Mapilca.
Iii südlich von Mexico gelegenen Ländern lebten gleichfalls Völker mit
besonderen Sprachen, deren Civilisation älter als die der Tolteken und
Alteken war. So war einst das südwestliche gebirgige Land Oaxaca mit
seinen fruchtbaren Thalern der Wohnsitz zweier mächtigen cultivirten
Völker, der Zopotekas nnd Mixtekas, welche die Herrschaft der Tolteken
and Azteken nicht anerkannt hatten. Die Hauptstadt des alten Reichs
Zapotccapän und die Residenz der Könige von Tiozapothan, in dessen
Nähe San Pablo - Mitlan mit seinen prachtvollen Ueberresten von Tem-
peln ond Pallästen liegt, welche Dupaix (Exped. PI. 30) beschrieben und
abgebildet hat. Hier war einst der Sitz einer mürhtigen Priesterschaft
ond der Begrabnissort der Könige. Auch das Land Chiapa, das alle
Teochispan , in dem die Ruinen von Palenque liegen , scheint den Beherr-
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170 Stephens und Catherwood: Ueber Centrai-Amerika.
schere Nexicos niemals unterthan gewesen ru sein. Nach den Nachrichten
des Bischoffs Francisco Nunez de la Vega (Preambulo de las constitucio-
nes de las Chiapas) wurde das Land vorzüglich von Indianern des Stamms
der Centales bewohnt, welche eine besondere Sprache reden. Sie zeich-
neten sich ehemals durch schöne Manufaktur - Arbeiten aus und hatten
grosse Fortschritte in der Cultur gemacht. Die ehemalige Hauptstadt der
Centales soll Ocozingo gewesen sein. Obgleich auch hier eine der aztekischen
ähnliche Zeitrechnung vorkam , so waren die Figuren zur Bezeichnung der
Tage, Monate und Jahre von denen der Azteken doch ganz verschieden.
Zu den südlichen Landern Mittel-Amerikas endlich, welche der
Herrschaft der Tolleken und Azteken niemals unterworfen waren, gehört
die grosse Halbinsel Yucatan, das alte Land Maya, dessen Geschichte ao
sehr in Dunkel gehallt ist. Die spanischen Seefahrer, welche jenes Land
zuerst besucht haben, stimmen darin Uberein, dass Yucatan sehr bevöl-
kert war, und dass das tapfere Volk, welches dasselbe bewohnte, eine
hohe Stufe der Civilisalion erreicht hatte, worüber sie vielfältig ihr Er-
staunen ausgesprochen haben. Columbus scheint bei seiner letzten -Reise,
im Jahr 1502, zuerst mit Eingeborneo, auf der in der Bai von Hondu-
ras gelegenen Insel Guanaja oder Bonaca , zusammengetroffen zu sein. Es
landete daselbst ein grosses von Westen kommendes Boot mit Indianern,
welche dem Admiral als civilisirte Leute erschienen, die in nützlichen
Kenntnissen grössere Fortschritte gemacht halten, als er bisher auf seinen
Reisen bei Indianern auf den von ihm besuchten Inseln wahrgenommen
hatte. Da sie goldenen Schmuck trugen, erkundigte er sich nach dem
Lande, von wo sie das Gold erhielten, worauf sie nach Westen zeigten.
Hätte Columbus in dieser Richtung seine Fahrt eingeschlagen, so würde
er in kurzer Zeit das Festland der neuen Welt erreicht haben.
Erst im Jahre 1506 entdeckte Diez de Solis mit Vincent Yanez
Pinzon, einem ehemaligen Geführten des Columbus, die Ostküste Yuca-
tans, und im Jahre 1517 erreichte Fraucisco Hernandez Cordova mit
seiner in St. Jago de Cuba ausgerüsteten Flotille das Vorgebirge Catoche.
Da er sich der Küste näherte, kamen ihm mehrere Kähne mit Indianern
entgegen, welche aus baumwollenen Zeugen gefertigte Kleider und Gold-
schmuck trugen. Ihr Aublick setzte die Spanier, welche bisher die Inseln
Westindiens nur von nackten Wilden bewohnt gefunden halten, in grosses
Erstaunen. Die Indianer empfiengen Cordova und seine Mannschaft sehr
freundlich und luden sie ein ans Land zu kommen, wo sie aus Steinen
und Kalk aufgeführte Hüuser und woblbebauto Gärten sahen. Dem Ein-
dringen Cordovaa ins Innere widersetzte sich jedoch das zahlreiche and
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Stephen« und Catberwood : Ueber Centrai-Amerika. 17t
wohl bewaffnete tapfere Volk, und er ward genölhigt, nachdem er Le-
bensmittel erhalten, zu den SchiDen zurückzukehren. Hierauf segelte er
in die Campeche - Bai , wo er ebenfalls eine gule Aufnahme fand. Bald
traten aber Misshelligkeiten ein, und die Spanier wurden von grossen
Haufen Indianern in die Schiffe zurückgetrieben, wobei sehr viele ver-
wundet und getödtet worden. Cordova kehrte nach Cuba zurück, wo er
ao seinen Wunden starb.
Im Jahr 1518 sendete Diego Velasquez, der Gouverneur von Cuba,
seinen Neffen Juan de Grijalva mit mehreren Schiffen nach Yucatau, der
zuerst auf der in der Nähe der Küste gelegenen Insel Cozumel und dann
zu Potoncban landete. Sowohl auf jener Insel, als längs der ganzen
Klbte sahen die Spanier volkreiche Städte und Dörfer mit aus Stein auf-
geführten Gebäuden nnd Thürmen, die denen ihres Vaterlandes ähnlich
waren, daher sie dem Lande den Namen Neuspanien beilegten. Des flo-
hen Grades der Civilisation jenes Landes haben ferner Bemal Diaz de
Castillo (Hist. de la Conquista Cap. 2. 6) und Gryaiva's Haus-Caplan
(Ilinerario. Menusc. 1518, von Ternaux Compans im Jahr 1838 über-
setzt) mit Bewunderung gedacht. Letzterer sagt: .. A en juger par les
edißces et les maisons, ces Indiens paraissent e*lre (res ingenieux, et si
Ton n'avuit vu plusieurs constructions recentes, on ourait pense que ces
batimens etaient Pouvrage des Espagools." Ferner erwähnen sie der in
den Tempeln gesehenen Idole und mancherlei Geräthschaften , sowie vie-
ler schön gearbeiteten goldenen Figuren, Masken, Schmucksachen und
verscbiedeufarbiger Edelsteine , die sie von den Eingebornen zum Geschenk
erhalten halten. Auch Peter Martyr (De insulis nuper inventis p. 334—
340) bat jener Gebäude mit Ausdrücken der Bewunderung gedacht. Co-
golludo, der Geschichtscbreiber Yucatans (Hist. Mb. 4 Cap. 2) führt
folgende Bemerkung von Las Casas Uber dieses Land bei: „Cicrtamente
la tierra de Yucatan da a enlender cosas mi especiales y de major nnti-
quedad , por las graudes , admirabiles , y excessivas maueras de edeficios , y
lettreros de ciertos caracteres, que en otra ninguna parte se hallan."
Dann fügt er noch bei, dass die Spanier, da sie keine Nachrichten über
die Erbauer der allen Bauwerke einziehen konnten, dieselben den Phö-
niziern oder Cartbaginiensern zugeschrieben hätten.
Die zahlreiche und tapfere Bevölkerung Yucatans widersetzte sich,
wie bekannt, mehrere Jahre lang mit glücklichem Erfolge der spanischen
Eroberung. Erst nach vielen blutigen Schlachten und mehrmalige!! Nie-
derlagen gelang es dem Adelantado Montejo und dem Capitön Davilla,
onter Mitwirkung der Franciscaner- Mönche, das Land dem spanischen
Scepter zo unterwerfen.
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173
Stephen! und Catherwood : üeber Centrai-Amerika.
Vom Jahre 1534 an befand sich der Paler Lorenzo de Bienvenida
in Yucatnn, welcher im Jahr 1548 einen Bericht Ober die Zustände des
unter grossen Grausamkeiten eroberten und verheerten Landes an den dama-
ligen Kronprinzen Philipp erstattete (Lettre a Philipp II alors prince he-
riditaire le 10. Fevr. 1548; in Ternaux Compans Recueil. Paris 1838).
Die Stadt Merida, sagt er, wurde im Jahr 1541 in der Nu he der alten
Stadt Tihoo von Montejo erbaut, wo sich viele alte, aus behau enen Stei-
nen aufgerührte prächtige Gebäude befinden, wie sie in ganz Indien nicht
vorkommen. Da sie zum Theil mit sehr grossen Blumen bewachsen wa-
ren, so meinte der Padre, sie ■Otiten schon vor Christi Geburt erbaut
worden sein. Achnliche Gebäude seien ferner im ganzen Lande vorhan-
den. Zu Merida hätten die Franziskaner in einem solchen Gebäude ihr
Kloster errichtet. Der in Yucatan befindlichen alten Pyramiden und Pnl-
läste hat auch Herrera (Hist. general Dec. 4), der glaubwürdigste spa-
nische Historiker, als der Werke vollendeter Baumeister mit Bewunderung
gedacht. Dass die zu Palenque, Copan, Quiruga, L'xmnl, Chichen-Itza
und anderen Orten aufgefundenen Monumente von den Bewohnern des
Landes Maya, welche in früherer Zeit ihre Herrschaft auch über die be-
nachbarten Länder Chiapa, Honduras und Guatemala ausgebreitet hatten,
aufgeführt worden sind, erhellet aus der Aehnlichkeit der an den alten
Bauwerken dargestellten menschlichen Figuren, und den an den grossen
Monolithen zu Copan und Quiruga eingehauenen Königen und Helden, mit
den Eingebomen Yucatans, wie sie Herrera beschrieben hat. Er sagt
von diesen: sie haben ein wohl geformtes Antlitz, sie platten aber den
Vorderkopf ab. In den Ohren tragen sie Ringe. Ihr langes Haar ist in
Flechten geschlungen. Die Anführer zieren den Kopf mit schönen Federn.
Sie haben grosse um die Schultern hängende Mantel, und um die Lenden
ist ein Tuch geschlagen. Sie tragen aus Thierhäuten gefertigte Sandalen.
Die Bewohner Yucatans stammen nicht, wie Einige angenommen
haben, von den Tolteken und Azteken ab, sondern sie sind ein von den-
selben ganz verschiedenes Volk, das wahrscheinlich lange vor Abkunft
jener Völker in Anahuac das Land Maya inne hatte Zu dieser Annahme
berechtigt, dass sie eine besondere Sprache reden, welche von der mexi-
canUchen ganz verschieden ist. Solches ergiebt sieb aus den zahlreichen
Wörterbüchern der Maya - Sprache, welche Pedro Beltram, Andres de
Avendana, Fray Antonio de Ciudad Real, Luis de Villapando, Bonaven-
tura und Hervas verfasst haben, nnd ferner aus den schätzbaren von
Vater, Wilhelm von Humboldt und Gallatin über die Sprache der ameri-
kanischen Völker angestellten Untersuchungen. Die Maya - Sprache wurde
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Stephens und Citherwood : Ueber Central-Araerika. 17S
zur Zeit der Eroberung Mexico'* aach in Tabasco geredet, und mittelst
derselben verkehrte Cortei durch seine Dolmetscher, Jerome de Aguilar
und Malin Iii o oder Donna Marina, mit den Mexicanern. Jener, ein spa-
nischer Geistlicher, der Schiffbruch gelitten und acht Jahre lang in Yu-
catan gefangen war, hatte die Maya -Sprache erlernt. Die Donna Ma-
rina hingegen, eine geborne Mexicanerin, war von ihrer Mutter, der Frau
eines Caziken, nach Tabasco verkauft worden, wo sie gleichfalls die
Maya -Sprache angenommen hatte. Auf solche Weise konnte Aguilar die
spanischen Wörter in das Maya, und die Donna Marina das Maya in das
Mexicanische Ubersetzen. Aus einem kleinen Vocabular der Centales- In-
dianer, welches Stephens in der Naho Palenques verfasst bat, ergiebt
sich, dass das in dieser Gegend übliche Idiom gleichfalls ein Dialekt der
Maya -Sprache ist. Gallatins Forschungen haben ferner dargethan, dass
das Pocomi oder Poeoman, welches die Muttersprache ist, von der die
verschiedenen Dialekte in Guatemala abstammen, der Maya -Sprache eben-
falls nahe verwandt ist. Eine grosse Uebereinstimmnng zwischen Wör-
tern jener Sprachen hat auch Vater bereits bei einer Vergleichung der
Vocabularien aufgefunden. Beachtungswerth ist endlich, dass dieser Sprach-
forscher eine Verwandtschaft des Mayas mit der Sprache der Huastecas
erkannt hat, welche ein von Yucatan weit entferntes, nördlich von Mexico
gelegenes Land bewohnten. Die Aehnlichkeit beider Sprachen und deren
Verschiedenheit von der mexicanischen Sprache wurde auch von Prichard
(Naturgeschichte des Menschen - Geschlechts B. 2 S. 362) nachgewiesen.
Demnach ist es wahrscheinlich, dass daa Volk der Mayas lange vor der
Einwanderung der Tolteken und Azteken in Anahuac die Länder Mittel-
Amerikas inne hatte, und erst durch diese von Norden kommende Völ-
kerschaften in südlich gelegene Lander gedrängt wurde.
Das von den Tolteken und Azteken ganz verschiedene Volk der
Mayas, welches zur Zeit der spanischen Eroberung die Halbinsel Yucatan
bewohnte, und in früherer Zeit seine Herrschaft über Chiapa, Guatemala
und Honduras ausgedehnt hatte, ist unläugbar das einst auf einer hohen
Stufe der Cultnr stehende Volk , welches die grossartigen alten Bauwerke
in jenen LSndern aufgeführt hat , die selbst in ihren Trümmern noch Stau-
nen erregen. Da sie im Baustyl, in den ornamentalen Sculptureu, in
den dargestellten menschlichen Figuren und iu den eingegrabenen Hiero-
glyphen unverkennbar eine grosse Aehnlichkeit zeigen , so können sie nur
einem und demselben Volke zugeschrieben werden. Nach Bradford's
(American Antiqoities) und Gallalin^s Bemerkungen übertreffen die Monu-
mente zu Palen q iiii, Mitlan, Copan, UxmaJ, Chicheu -Itza n. a. in der
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174 Stephens and Catherwood: üeber Cenlral-Amerika.
Grossartigkeit der Architektur, in dem Reichthum und der Schönheit der
Sculpturen bei weitem alle alten Bauwerke Mexicos. Auch die Hiero-
glyphen sind viel besser und sorgsamer ausgeführt, als an irgend einem
alten mexicanischen Gebäude. Demnach mUssen sie als die Werke eines
älteren und nicht toltekischen Volks angesehen werden. Die Toltekeo,
welche in Folge von wiederholtem Miss wachs , Seuchen , Aufruhr und un-
glücklich geführten Kriegen Anahuac gegen die Mitte des sehnten Jahr*
hunderts verliessen , und in Guatemala und Nicaragua eindrangen, wo sie
neue Reiche gründeten, scheinen nie nach Yucatan gekommen in sein,
denn die Maya - Sprache , welche jetzt noch auf der Halbinsel die herr-
schende ist, enthält keine mexicanischen Worte. An die Stelle der Toi-
teken rückten in Anahuac rohe, von der Jagd lebende Völker, die Cul-
huas , Chichimeken , Acolhuas und Azteken. Die Herrschaft der letzteren,
welche in Jahr 1324 die Stadt Mexico gründeten, erstreckte sich aber
nicht nach Yueatan.
Zwischen den schon früh zu einem gewissen Grade der Civilisation
gelangten alten Völkern Mittel- Amerikas, den Toltekeo und Mayas, ob-
gleich sie nach den Sprachen zu schliessen eine ganz verschiedene Ab-
stammung ballen, scheint lange vor Ankunft der Spanier ein Verkehr
u^cslflodöQ IioIjgh ^ und 810 m o ^ c n w c c 1 1 s t* [ s 1 1 1 ^ von t^itioncicr Sitten
und Gebrauche angenommen haben. Dafür läset sich die Aehnlichkeit
anführen , welche zwischen den Mayas und Tolteken nach Herrera (Histor.
gener. Dec 4 Lib. 10 Cap. 14} und Cogolludo (Hist. de Yucatan Lib. 4
Cep. 5) in der Zeitrechnung, den religiösen Gebräuchen, den Künsten
und sonstigen Einrichtungen obwaltete. Nach einem von Stephens mit-
geteilten alten Manuscript über die Zeitrechnung in Yucatan war der
Maya - Calender dem der Mexicaner ähnlich, und wich von diesem nur
in einigen Binzeinheiten ab. Das Jahr wurde in 18 Monate von 20 Ta-
gen ein get heilt, und hatte 5 Einscbsltungs - Tage , welche auf den 13.
bis 17. Juli fielen und als eine unglückliche Zeit angesehen wurden.
Einige astronomische Symbole und vier bieroglyphische Zeichen der Tage
waren mit denen der Mexicaner identisch. Der Tag scheint in 8 Zeit-
räume getheilt gewesen zu sein. Ausserdem hatte man Cyklen von 20
und 52 Jahren. Die Religion der Mayas war , wie auch ursprünglich bei
den Tolteken , Sternen - Dienst , vorzüglich wurde die Sonne verehrt Der
€i* ö C £6 o d i c o s cJ ©r i fcc l( c fl h i u |B © fl^ cd wo 1 c h er ^J^sr iS ci>i fl DO I D (SC h ^j^j d I^^l 8
verwandt ist, scheint in Yucatan niemals Eingang gefunden zu haben,
denn man hat bisher nirgends, weder in den Tempeln, noch in ihrer
Nahe, solche scheussliche steinerne Götzenbilder wie in Mexico entdeckt
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Stephens und Cathcrwood: Ueber Central -Amerika. 175
Die Regierungsform im Lande Hayn war wie in Mexico eine theo-
kratisch- aristokratische, und für die Macht der Priester und Grossen
legen die Tempel - Pyramiden und die in ihrer Nahe befindlichen vielen
Gebinde und schönen Pallaste Zeugniss ab. Eine zahlreiche Priestercaste
scheint in Maya nnd Mexico, wie im alten Aegypten, im Besitze aller
Kenntnisse und Künste gewesen zu sein. Aas der Priesterschaft giengen
wahrscheinlich die Baumeister, Bildhauer, Maler, Feldmesser und Astro-
nomen hervor. Das Volk der Mayas hatte auch auf Rinde oder Pergament
gemalte Bilderschriften , die in Form von Büchern zusammengefallet wur-
den, welche Amalthes hiessen.
Bei der Aehnlicbkeit in den Einrichtungen, Sitten und Gebräuchen
der Mayas, und der ihnen verwandten Völker in Guatemala und Hondu-
ras mit denen der Tolteken und Azteken, welche auf einen frühen Ver-
kehr derselben scbliessen lassen, wäre noch die Frage zu erörtern, von
welchem jener Völker die alte Civilisation der Linder Central -Ame-
rikas ursprünglich ausgegangen ist. Diese Frage lasst sich aber beim
Mangel sicherer historischen Quellen nicht beantworten, doch glaubt sich
Refer. für die Mayas entscheiden zu müssen. Dieses Volk, welches eine
eigene Sprache redet, hatte unläugbar lange vor Ankunft der Tolteken
in Mittel - Amerika festen Fuss gefasst. Auch stand es, nach der Schön-
heit der alten Bauwerke zu scbliessen, auf einer viel höheren Stufe der
Cultur. Tucatan, welches die ersteu spanischen Seefahrer für eine Insel
gehalten haben, ist wahrscheinlich die Insel Antilia, welche die Garthe-
ginienser bereits besucht haben sollen. Bine Insel dieses Namens ist be-
reits auf mehreren alten Karten vor Entdeckung Amerikas verzeichnet,
namentlich auf der fünften Karte des venetianiscben Atlas des Andrea
Bianco vom Jahr 1436, sowie auf der Welttafel des Beclario oder Be-
drnzio von Parma. Aach findet sie sich auf dem von Martin Beheimb im
Jahr 1 492 gefertigten und in Nürnberg befindlichen Globus. Ferner hat
dieser folgende alte Sage mitgetheilt: bei der Eroberung der Iberischen
Halbinsel durch die Araber hatten der ErabischolT von Porto und sechs
andere Bischöffe mit vielen Einwohnern das Land in Schiffen verlassen
und seien auf einer Insel im Westen gelandet. Beheimb setzt die Aus-
wanderung in das Jahr 734 der christlichen Zeitrechnung, wlhrend Fer-
dinand Columbus das Jabr 714 -engiebt, in welchem bekanntlich die
Niederlage der Westgotben am Guadalade statt hatte, und der König
Roderich umkam.
Zu Gunsten der Vermutbnng, dass lange vor Entdeckung Amerikas
dnrch Columbus Europäer nach dem neuen Continent gelangt sein mögen,
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176 Stephens und Cather wood : Ueber Ccn tral-A merikn .
lassen sich auch die rathselhaften Männer Quetzalcoatl, Zamna, Bochica,
Cuculcan und Votan anführen , welche nach den von spanischen Schriftstel-
lern gesammelten alten Sagen alle von Osten her gekommen waren, und
die zur Einführung und Verbreitung der Cultur in den Ländern Mittel-
Amerikas vieles beigetragen haben sollen. Wahrscheinlich waren es
christliche Missionire, die entweder aus der iberischen Halbinsel zur Zeit
der Eroberung durch die Araber dahin gelangt, oder die aus Island und
Grönland eingewandert waren. Dass Normänner von Island aus bereits
in zehnten Jahrhundert Grönland nnd das an der Ostkttste Amerikas ge-
legene Yinland besucht und daselbst Niederlassungen gegründet haben, ist
durch Rafn's Herausgabe alter Islandischer Handschriften ausser allem
Zweifel gesetzt. Zu Anfang des eilften Jahrhunderts nahmen die Nor-
manner in Grönland das Christenthum an, und ea wurden nach und nach
•n der Ostküste mehrere Kirchen und zwei Klöster, sowie an der West-
küste vier Kirchen erbaut In Grönland befand sich ferner viele Jahre
hindurch der Sitz eines Bischoffs.
Von obigen Mannern verdient vorzüglich Quetzalcoatl beachtet zu
werden, den Bernardino de Sahagun, Lopez de Gomara, Garcia, Tor-
quemada u. a. als einen Mann von hohem Wuchs und würdiger Haltung,
mit weisser Haut und langem wallenden Bart, in ein Priester -Gewand
gekleidet, geschildert haben. Einige hielten ihn für den Apostel St.
Thomas. Nach den Nachrichten , welche der glaubwürdigste mexicanische
Schriftsteller, Don Ferdinando d'Alva Ixtlilxochitl (Hist. des Chichimeques,
traduil sur le manuscrü espagnol par Ternaux - Compans. Paris 1840 T. 1
p. 3) von diesem Manne gegeben hat, kam er von der Küste des mexi-
canischen Meerbusens, wo er gelandet war, zu den Olmeken, welche zu
Cholula wohnten. Er sagt von ihm : II enseigna par ces paroles et par
ces oeuvres le chemin de la vertu , les exhorta ä fuir le vice et le peche,
leur donna des lois pour mettre un frein a leurs debauches et ä leurs
turpitudes, etablit Tusage de jeune, et fut le premier qui plante et adora
Ja croix, que Ton nomine Quauboehuitzitotl, ce qui veut dire Dien des
pluies et de la sante, et arbre de la nourriture ou de la vie. Apres
jvoir enseigne tout ce que je viens de dire dans les villes des Ulmeques
et Xicalanques, et particulierement dans eelle de Cbolulan, oü il resida le
plus long temps, voyaut que sa doctrine fructifiait peu, U s'en alla de
cote ou il etait venu, cest a dire de TOrient, et disparut vers la cöte
de Coatzacoalco. Die Mexicaner erwarteten die Rückkehr dieses Mannes,
wie von der von Cortez mitgetheilten Unterredung mit Montezuma erhellet.
{Schlust fotot)
{ % m | ^'J ' J
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Kr. 12. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
1 1
Stephens und Ctetherwoodt l eher Central- Amerika.
(Schluß.)
•
Sehr beacbtungswerth ist, dass Peter Martyr, Lopez de Gomara,
Herrera, Garcilasso de la Vega u. a. auch steinerner Kreuze gedenken,
die in Mexico, Yucatan, Peru und anderen Ländern gefunden waren.
Refer. erinnert ferner an die Figur eines Kreuzes auf einer grossen Slcin-
tafel 2u Paleoque, sowie an ein grosses steinernes Kreuz, welches Paln-
cios zu Copan aufgerichtet sah. Spanische Geistliche haben daraus ge-
folgert , daas der christliche Cultus schon vor Entdeckung Amerikas durch
Colonbus Eingang gefunden habe. Spuren christlicher Religions - Ge-
brauche sind allerdings, wie auch Prescott bemerkt hat, in dem Cnltas
der Azteken nicht zu verkennen. So war eine Art Taufe üblich, wenn
einem neugebornen Kinde der Name gegeben wurde, wobei der Kopf
und die Lippen des Kinds mit Wasser befeuchtet wurden , wie Bernardino
de Sanagan als Augenzeuge berichtet. Gleiches fand nach Herrera bei
den Bewohnern Yucatana statt. Ferner herrschte ein religiöser Gebrauch,
der an daa christliche Abendmahl erinnert, es wurde nämlich die Figur
einer ScfautzgoUheit aus Maismehl mit Blut vermischt gebildet, welche von
den Frieslern geweiht und unter das Volk vertheilt wurde, welches beim
Geouss desselben Zeichen von Demuth und Zerknirschung gab, wie Acosta
und Veyüa angeben. Ferner waren Fasten , Büssungen und eine Art von
Beicht und Absolution eingeführt. Alles diess unterstutzt die ausgespro-
chene Meinung, dass christliche Missionare lange vor Columbus Amerika
besacht haben müssen.
L eber die Geschichte Yucatans kurz vor und nach der spanischen
Eroberung fugt Refer. folgendes bei. Das Land war im Besitz vieler
Bdclen oder Caziken, welche ihre Wohnsitze in eigenen Studien hatten.
Sie standeu unter einem gemeinsamen Uberherrn oder König, der gegen
zwei Jahrhunderte seinen Sitz in der sehr bevölkerten Hauptstadt Maya-
paa halte. Die Caziken waren als Vasallen verpflichtet, an den König
and die Priesterschaft Abgaben lu entrichten, welche in Land es -Erzeug-
nissen, Mais, Caeeo, Gewürzen, wohlriechenden Harzen, Wild und Ge-
flagel , sowie in bäum woll enen Zeugen bestanden. Sie waren ferner ver-
XUY. Jahrg. 3. Doppelheft. 12
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178 Stephen* und Cttherwood: Ueber Central- Amerika.
banden, bei grossen Festen in den Tempeln zu erscheinen, and musslen
bei Kriegen mit benachbarten Völkern Hülfe leisten. In achten Ajan des
Yucatesischen Kalenders, um das Jahr 1402 der christlichen Zeitrechnung,
empörten sich aus unbekannten Ursachen die Vasallen gegen den König
und es brach ein blutiger Krieg aus, in dem die Hauptstadt »layapan
erobert und zerstört wurde. Die königliche Familie floh nach der Stadl
Mani, in deren Besitz sie bis *zur Ankunft der Spanier blieb. Der letzte
König, Tutul Xiu , unterwarf sich mit seinem Heere zu Tiboo bei Merida
dem spanischen Anführer Francisco Montejo. Er liesa sich taufen und
nahm den Namen seines Taufpathen an, als Don Francisco Montejo Xiu.
Nach längere Zeit geleisteten tapferen Widersland unterlagen auch die
unabhängig gewordenen Caziken den wiederholten Angriffen der Spanier.
Sie liesseu sich ebenfalls taufen , und führten als Goberuadores den Namen
der spanischen Taufpathen. Im Jahr 1556 vertheilte Don Felipe Mauri-
ques Ländereien unter dieselben, mit der Verbindlichkeit, in ihren Be-
zirken unter der Leitung von Franziskaner - Mönchen pruchtige Kirchen zu
erbauen, welche noch bestehen.
Am längsten frei vom spanischen Joch blieben die Bewohner der
in einem Landsee (unter dem 18. Grade nördl. Breite) liegenden Insel
Peten grande. Peteu ist ein Kaya -Wort, welches Insel bedeutet. Die-
scr I o s 1 1 h 3 1 1 c s 1 1_ ti der (/flfiiks O/ÄU^ia* ^v^hrcod dos sBüe^^^crkno^^j uod
nach der Zerstörung der Hauptstadt »layapan bemächtigt, wo er eine
Stadt gründete, deren Juarros (T. 1 p. 33 T. 2 p. 142) gedacht bat.
Cortez besuchte Peten bei seinein Zage nach Honduras, wie Berns! Diai
de Castillo (Hist. de la Conquista Cap. 18) beriehlet. Die Stadt mit
ihren hoben Tempeln glänzte weit in der Sonne , so dass man sie in einer
Entfernung von zwei Leguas sehen konnte. Die Einwohner nannten sich
Itzaeken. Im Jahr 1608 und 1619 machten Franciscaner- Mönche den
Versuch, die Bewohner zum Christen ihum zu bekehre», der aber otise-
lang. Erst im Jahr 1697 eroberte Don Martin Ursua, der damalige Gou-
verneur von Yucalan, die Insel und zerstörte die daselbst befindlichen
grossen Tempel, wie Villagutierre (Hist. de la Conquista de la Propecia
de el Itza. Madrid 1701) erzahlt. Die Bewohner Cohen in die Gebirge,
und was aus ihnen geworden, ist nicht bekannt.
Am Schlüsse dos Berichts bleibt endlich noch zu untersuchen, wo-
durch die einst in Yucataa verbreitete Civilisation ihrem Untergang zuge-
führt worden ist. Nach Stephens ist bei den Indianern das Andenken
an die frühere Cullur an ehemals reUhia Künste und so die einstige
Macht und Herrschaft gänzlich erloschen, und es haben aich nur dunkle
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Stephens und Catherwood: l'ober Cenlral-Amerika. 17«
Sagen Ober die alten Bauwerke der Vorzeit erhalten. Dies ist einesteils
eine Folge langjähriger Börgerkriege , welche vor Ankunft der Spanier
das Land verheert haben. Anderntheils wurde der jetzige Zustand durch
die spanische Eroberung herbeigeführt. Die hochfahrenden , fanatischen
und von einer unersättlichen Goldgier beherrschten Spanier machten Yuca-
tan, wie alle eroberten schönen Länder Central- Amerikas , zum Schau-
platz unerhörter Grausamkeiten und Schandthaten , die nicht so sehr der
Verderblheit der menschlichen Natur, als der hierarchischen Anmassung
and Herrschsucht jener Zeit zugeschrieben werden müssen. Pabst Alexan-
der VI. hatte bekanntlich alle Inseln und Länder, welche spanische See-
fahrer in der neuen Welt entdecken würden, der spanischen Krone zum
Geschenk gemacht. Dem gemüss wurde den Capitänen, welche Schiffe
zur Entdeckung und Eroberung neuer Lander ausrüsteten, eine Vorschrift
znr Besitznahme ertheilt, der an Seltsamkeit, Anmassung und Grausam-
keit in der Geschichte nichts gleichkommt, nnd gegen deren Erlass man
versucht sein könute Zweifel zu erheben, wenn sie nicht ein glaubwür-
diger spanischer Schriftsteller, Herrera (Decades de las Iudias Dec 1
Lib. 7 Gap. 15) aufbewahrt hatte. Die von der hohen Geistlichkeit and
den Rechtsgelehrten Spaniens entworfene Vorschrift bestimmte: die Capi-
tä'ne sollten den Bewohnern der entdeckten Länder die Hauptartikel des
christlichen Glaubens bekannt machen, ihnen die Oberherrschaft des Pab-
stes über alle Reiche der Welt verkündigen, and ihnen anzeigen, das«
der beilige Vater ihr Land dem Könige von Spanien geschenkt habe.
Zugleich sollten sie eine Aufforderung erlassen, die ihnen verkündigte
Religion anzunehmen, und sich dem Könige von Spanien und seiner Bot-
mässigkeit zu unterwerfen. Falls sie sich weigerten, seien die Capitäne
ermächtigt, die Widerspenstigen mit Feuer und Schwert anzugreifen, sich
ihrer Besitzungen zu bemächtigen, sie sammt ihren Frauen und Kindern
zu Sclaven zu machen, and sie mit Gewalt zu zwingen, sich der römi-
schen Kirche and dar spanischen Oberherrschaft zu unterwerfen.
Obiger Vorschrift sind die spanischen Eroberer in Yucatao, wie in
allen entdeckten Landern treu nachgekommen, und dabei wurden uner-
hörte Gräuelthaten verübt, welche der entrüstete edle Bischoff de las
Caans ab Augenzeuge geschildert hat. Die gefangenen Caziken, die sich
nickt gleich unterworfen hatten, Warden erwürgt, gehängt oder ver-
brannt Die Indianer wurden mit ihren Frauen nnd Kindern zu Sclaven
fernseht und ihrer Güter beraubt, in welche sich die Eroberer thetlten.
Die Tempel nnd PaUnsto worden geplündert und zerstört, and die Steine
werden zum Aufbau von Kirchen and Klöstern verwendet. Vor allen
12*
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180 Stephen! und Catherwood: Uener Central-Amerikn.
waren es die fanatischen Franciskaoer- Mönche, und an ihrer Spitze Lande,
der erste BischotT in Merido, welche die Bilderschriften, als heidnische
Werke den Flammen Ubergaben, und damit die Geschichts - Werke des
in Boden getretenen alten Yolks der Mayas vernichteten. Im Jahr 1571,
da die Bevölkerung einen Versuch machte, das spanische Joch abzuwer-
fen, veranstaltete der Doctor Don Pedro Sanchez de Agufiar eine aber-
malige Nachsuchung übrig gebliebener hieroglyphischen Schriften, die zer-
stört wurden. So haben denn die spanischen Eroberer in Yucatan, wie
in allen Ländern der neuen Welt, welche in ihre Gewalt gekommen sind,
unter dem Vorwande die Seelen der Eingebornen zu retten, sie ihres
Lands, ihrer Freiheit und ihrer früheren Cultur beraubt. Die unglück-
lichen Indianer, zu Sclaven und Lasttbieren gemacht, wurden gezwungen,
im Dienste habsüchtiger Edelleute und roher Abenteurer, sowie einer
Reichthum und Prunk liebenden Geistlichkeit zu arbeiten. Die jetzige in-
dianische Bevölkerung ist nach dem Zeugnisse von Stephens und aller
glaubwürdigen neueren Reisenden, in Yucatan, wie in Guatemala, Hon-
duras, Mexico und Peru, in Robheit versunken, verdummt, höchst trage,
dem Trünke, dem Spiele und allen Lastern ergeben. Von der christ-
lichen Religion haben die Indianer nur die äusseren Ceremonieo , die An-
betung der Crucifuce, Madonnen- und Heiligen -Bilder, die Prozessionen,
die Beichte und Amulete angenommen, der innere Kern der Religion der
Liebe ist ihnen unbekannt geblieben. Unter aolchen Verhältnissen wird
sich wobl Niemand wundern , wenu bei den Indianern Yucatans jede Spur
einer früheren Cultur verwischt und selbst das Andenken an dieaelbe in
Sagen erloschen ist.
•»
V
Lehrbuch des französischen Strafprozesses ron D. Höchster, Dr. jur.
Adtokaten am rhein. Appellationshofe zu Köln und Docenten des
französischen Rechts an der Hochschule zu Bern. Bern. 1850.
Der französische Strafprozess bat seit dem Jahr 1848 in
eine neue allgemeine Bedeutung erhalten, nachdem er
in den rheinischen Provinzen, die zu Preussen, Baiern und
hörten, eine praktische Geltung hatte. Schon seit Jahren hatten alle
Manner in Deutschland, welche Fortschritte verlangten und wossten, dass
zu den notwendigen Grundlagen der bürgerlichen Freiheit und zum
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TT ,"1 „ 1. . 1 „ _ . ¥ nl>rl%Hilk J.. r.AHBtUSuLM Cl.nLiin.ni.» JQ J
nucnswr. iiCiirDucn aes iraniüsiscnen airaiprozesses* lol
Schotte der Rechtssicherheit ein gut geordnetes, Vertreuen erweckendes
Strafverfahren gehöre, den englischen und französischen Strafprozess zum
Gegenstand ihres Studiums gemacht und als Förderung die Einführung
eines selchen Verfahrens auch in Deutschland aufgestellt. Das Gefühl der
Notwendigkeit der Verwirklichung dieser Forderung war auch in das
deutsche Volk Obergegangen; es war daher begreiflich, dass 1848,
als die Erbebung des Volkes auch in Deutschland allgemein wurde, und
neue Grundlagen eingeführt werden sollten , die öffentliche Stimme münd-
liches und öffentliches Strafverfahren und Schwurgerichte verlangte. Mehr
oder minder klar war dieses BedUrfniss vom Volke gefühlt. Wer aus
den deutschen Landern, in denen der deutsche Prozess galt, nach Köln,
Mainz, Zweibrücken kam, und dort Assisen beiwohnte, kehrte mit der
Ueberzeugung zurück, dass auch den übrigen deutschen Staaten ein sol-
ches Verfahren nicht vorenthalten werden könne. Die deutschen Regie-
rungen versprachen 1848 die Einführung der Mündlichkeit und Oeffent-
tichkeit und der Schwurgerichte, und non musste rasch Hand an das
Werk gelegt werden. Die in den deutschen Ministerien mit Bearbeitung
der neuen Gesetzbücher beauftragten Männer wallfabrleten jetzt nach den
Rheiojregendeii, um au Ort und Stelle das Verfahren kennen zu lernen,
dessen Einzelnheiten durch das blosse Studium des Gesetzbuchs nicht klar
werden konnten. Der französische Strafprozess wurde von jetzt an oll-
gemein der Gegenstand der Forschungen, und alle neuen Strafgesetzbü-
cher Deutschlunds sind im Wesentlichen nur dem französischen Code dio-
stroction nachgebildet. Der Verfasser dieser Anzeige hat seit mehr als
40 Jahren das Studium des französischen , aber auch des englischen Straf-
verfahrens, weit dies das seit Jahrhunderten in Uebung erhaltene und
fortgebildete Verfahren ist, das die Franzosen nur nachbildeten, zu einem
Hsaptgegenstande seiner Forschungen gemacht, er hat es in seiner Wirk-
samkeit selbst durch lebendige Anschauung in verschiedenen Theilen Frank-
reichs, in den Rheinprovinzen , in Belgien and Holland, aber auch in
Italien, wo diess Verfahren ohne Schwurgerichte in Wirksamkeit ist, be-
obachtet- aber er hat es zugleich für Pflicht gehalten, zur Urquelle und
Tnm ttntt^ml*w*A* j;«.a. Vu»f*k»ana Aar*-, aiuvlionkan nnA cr<linKic,-knii Prr»
*«u nuiicriuOQc uicsls vcnaiiiciis, uem cngiisiiieii unu sliiuiusuicu r ru"
zesse, aufzusteigen; Br hat vor einigen Monaten in England durch The il-
aahme an Gerichtssitzungen und vielfache Erkundigungen bei Praktikern
das englische Strafverfahren wiederholt geprüft Die Ueberzeugung des
Verfassers steht fest, dass jeder Gesetzgeber weise handelt, wenn er vor-
erst den französischen Strafprozess zum Hauptgegenstande seiner Studien
macht, aber auch sorgfältig das englische Verfahren prüft, um durch die
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182 Höchster : Lehrbuch des französischen Strafprozesses.
Vergleich«* beider und durch die Benutzung der Erfahrungen beider
Und er su einem festen Urlheile zu gelungen, auf welchen Grundlagen
das ganze Strafverfahren beruhen soll, welches am besten geeignet ist,
die bürgerliche Gesellschaft dUdurcb zu schützen , dnss der wahrhaft
Schuldige sicher überwiesen wird, während zugleich dem Unschuldigen
Bürgschafleu gegen ungerechte Verurteilung gegeben werden und dass das
ganze Verfahren so geordnet wird, dass es auf einem Kamele mit glei-
chen Waffen und dem ausgedehntesten Vertheidigungsrecbte in der Arl
beruht, dass die auf den Grund desselben ergangenen Urlheile auf volles
Vertrauen rechnen können. Jede Gesetzgebung über das Verfahren ist
zum grossen Theil ein Werk der Erfahrung, die daher der weise Ge-
setzgeber sammelt. Der englische, schottische und nordamerikanische
Strafprozess (jeder von diesen ist wieder, obwohl auf gleichen Grund-
lagen gebaut, in den Einzelnheilen vielfach verschieden) bildet eine
Grundform , wahrend der französische Strafprozess als eine zweite Grund-
form erscheint. Das nach dem französischen Gesetzbuch stattfindende
Strafverfahren hat vor dem englischen wesentlich den Vorzug, dass es
einer Gerichtsverfassung angepasst ist, bei welcher ein Ineinandergreifen
verschiedener gut organbirter Behörden die Vereinigung der beiderseiti-
gen Interessen möglich macht, indem der Untersuchungsrichter in einer
energischen Tbatigkeit zur Verfolgung des Verbrechers nicht gehindert
ist, zugleich aber unter der Controle der Rathskämmer des Bezirksge-
richts, bei dem er angestellt ist, steht, wo durch die ordoaaoces de
non heu wohlthatig viele gruudlose Prozesse im Keime abgeschnitten
werden und der Staatsanwalt wie der Angeschuldigte gegen die Verfü-
gungen des Untersuchungsrichters Einspruch einlegen kann , wo zugleich
im ganzen Lande die innerlich zusammenhängende gleichförmige Gerichts-
verfassung auch ein gleichförmiges Verfahren möglich macht, wahrend in
England die Gerichtsverfassung auf der alten Einrichtung beruht, und nur in
London die eigentlichen Collegialgerichte sich beßeden, wo nur zweimal
im Jahre zu den Assisen in den Grafschaften Richter abgeordnet werden,
wahrend das Verfahren in der Voruntersuchung aber höchst verschieden,
und insbesondere in den Grafschaften auf dem Land nach 4er Beschaffen-
heit der Friedensrichter nicht immer genügend geführt wird, aber mich
in London , wo die trefflichen Polizeigerichte mit sehr ehrenwerthen tüch-
tigen Richtern besetzt sind, das Schicksal des Angeschuldigten nur von
einem unter keiner Controle stehenden Einzelnriebter abhängt; Ein wei-
terer Vorzug des französischen Strafverfahrens liegt in der Staatsanwalt-
schuft, durch welche das öffentliche Interesse, dass rasch und Bieber mit
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Höchster: lehrbuch de« französischen Strafprozesses. 183
ausgedehnten Mitteln die Spuren begangener Verbrechen verfolgt werden,
am meisten gesichert ist und die Verfolgung der Verbrecher nicht von
der Laune, oder Indolenz, oder Furchtsamkeit, oder der Scheu vor den
Kosten von Privatpersonen, welche durch Verbrechen beschädigt sind,
abhingt, wogegen in England der Anklageprozess gilt und nicht selten
bewirkt , dass Schuldige nicht verfolgt werden. Als Vorzug des franzö-
sischen Strafverfahrens erkennen wir, dass die Einzelnheiten des Verfahrens,
die wechselseitigen Befugnisse des Anklägers und Verteidigers gesetzlich
so genau geordnet sind , dass dadurch einer leicht gefährlichen Willkür des
Präsidenten vorgebeugt wird, und ein weiterer Vorzug liegt in den gnt
geordneten Verhältnissen des Cassationshofs, an welchen sich auch der
Angeklagte wenden kann, so dass Gesetzesverletzungen vermieden und
die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften gesichert werden , während
zugleich eine Gleichförmigkeit des Verfahreos in allen Gerichten durch
die Rechtssprüche des Cassationshofs verbürgt wird. Dagegen finden wir
nach einer langen Beobachtung des französischen und englischen Verfah-
rens Vorzüge des letzten in der Oeffentlichkeit , die schon in der Vor-
untersuchung herrscht, welche die trefflichste Controle des Richters, so-
wie der auftretenden Zeugen begründet, nicbt selten zur Auffindung
wichtiger Beweise führt, die Geschwornen vorbereitet und wesentlich
dazu beiträgt, dass ein so grosses Vertrauen im englischen Volke zu den
Entscheidungen liegt, weil Jeder weiss, dass von der ersten Ergreifung
des Verdächtigen an dieser unter dem Schutze der OefTeutuefakeit steht
und jede Besorgniss unziemlicher Mittel beseitigt wird. Wir betrachten
dies nla einen Vorzog (von dessen Dasein sich jeder ausländische Jurist,
wenn er auch mit Vorurtheilen nach England kommt, bald überzeugt),
dass schon in der Voruntersuchung der Angesobuldigte das Recht auf die
ausgedehnteste Verteidigung hat, das er des Raths eines Rechtsgelehrten
Beistands sich bedienen, dass er bei jeder Zeugenvernehmung gegenwär-
tig sein und schon hier durch Fragen seine Rechte geltend machen und
zur Entdeckung der Wahrheit wirken kann. In jenem stolzen Gefühle,
mit welchem der Engländer sagt, dass jeder Angeschuldigte sein fair
trial bat, liegt der Grund des allgemeinen Vertrauens und der grossen
Zshl von Verurteilungen. Wir erkennen als einen Vorzug des englischen
Prozesses , dass der Präsident in einer so unparteiischen Stellung sich be-
ladet, keine Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen vornimmt,
und an die letzten nur in seltenen Ausnahmen Fragen stellt, dadurch
aber den Vortbeil gewinnt* dass er die Geschwornen belehren kann,
woran wesentlich die gute Wirksamkeit des englischen Geschwornenge-
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184 Höchster: Lehrbuch des französischen Strafprozesses.
nchts hängt. Ein Vorzug endlich ist die ausserordentliche Einfachheit,
mil welcher die Materialien den Geschwornen vorgelegt werden, die Be-
seitigung aller überflüssigen Verhandlungen, das schöne Verhaltniss zwi-
schen dem Anwalt der Anklage und dem Verlheidiger, die Vermeidung
von Deklamationen und die Einfachheit, mit welcher die Geschwornen,
ohne dass besondere Fragen an sie gestellt werden, nur darüber ihren
Wnhrspruch geben, ob der Angeklagte des Verbrechens schuldig ist,
worauf der Anklageakt gerichtet war.
Wenn wir dennoch die Ueberzeugung aussprechen , dass der Gesetz-
geber eines jeden Landes weise bandelt, wenn er das französische Gesetzbuch
zunächst als Vorbild nimmt und nur prüft, was daran in Einzelnhciten
zu verbessern ist, so Hegt der Grund darin, dass das französische Ver-
fahren mehr auf die gewöhnlichen Voraussetzungen und Verhiltnisse be-
rechnet iit, während die treiTliche Wirksamkeit des englischen Verfahrens,
das auf keinem vollständigen Gesetzbuch beruht, nur von ausserordent-
lichen Zustünden und davoo abhängt, doss dies Verfahren durch Kämpfe
seit Jahrhunderten in das Volk übergegangen und fortgebildet ist, dass
der politische Charakter der Engländer, der entschiedene Nuth dersel-
ben, die lebhafte Tbeilnahme des Volkes an allen öffentlichen Ange-
legenheiten Bürgschaften gibt, dass Verbrechen verfolgt werden, dass die
alles durchdringende Oeffentlichkeit und Pressfreiheit eine Controle aus-
üben, vor welcher, als der ungeheuersten Macht, jeder Beamte und jeder
Bürger zittert, dass die bürgerliche Gesellschart Englands selbst nicht to
durchwühlt und durch wechselseitiges Misstruuen erschüttert ist, und data
die Richter Englands eine Stellung einnehmen, bei welcher vielleicht in
diesem Lande ohne Gefahr ihnen der Einfluss auf die Geschwornen gegeben
werden kann, welchen man schwerlich in einem andern Lande geben
dürfte. Uebrigens kann man aber bei der Vergleichung des französischen
Strafverfahrens mit dem englischen nicht verkennen, dass in dem ersten
die, aus der Zeit des Entstehens des jetzigen Code erklärbar schlaue Be-
rechnung der Vorschriften auf Verfolgung politischer Verbrechen manche
Bestimmung begreiflich macht , während in England , dem Lande, in wel-
chem politische Untersuchungen grosse Seltenheiten sind, weil man in
England am Satze festhält, dass Niemand wegen politischer Meinung ver-
folgt werden soll, das Verfahren nur in seiner Bedeutung bei Verfolgeog
gemeiner Verbrecher betrachtet wird. Es ist nioht schwierig zu zeigen,
dass auch in unseren neuen deutschen Gesetzgebungen, besonders in neuester
Zeit, die Angst vor politischen Verbrechen den Gesetzgeber zu viel be-
herrscht, j
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Höclisltü" • f i t*l) u c 1 1 (Jcs frs t) z oß t s c Ii c t\ Sirtif^ioxcs^cs» 165
Wir sind uberzeugt , dass man den französischen Strafprozess bei
jeder oeuen Gesetzgebung als Grundlage benülzen, aber auch mit dem
grusslen Vortheil für dos öffentliche Interesse einzelne Einrichtungen des
englischen Verfahrens darin aufnehmen kann.
Der französische Strafprozess ist es auch, welcher sich einer wis-
senschaftlich praktischen Ausbildung rühmen kann, welcher sich kein an-
deres Land erfreut. Die Werke von Carnot, Legraverend n. A. werden
von den Juristen eines jeden Landes benutzt werden können. Prank-
reich besitzt aber auch in neuerer Zeit Schriftsteller im Fache des
Slrafrechts, die als Zierde glänzen: Faustin Helie's Werk: traite de
Piastmctioo criminelle ist durch die gründlichen historischen Forschungen,
durch die klare Auffassung der leitenden Grundsätze in jeder Lehre, durch
die Fülle des Materials und' die in allen Einzelheiten jeder Lehre einge-
bende Entwicklung höchst werthvoll. Morin bat durch sein Dictionaire,
durch die vielen^ leitenden Abhandlungen im „Journal du droit criminell
neuerlich durch sein Repertoire sich ein grosses Verdienst erworben , da man
in seinen Darstellungen eine feine Zergliederung praktischer Fragen und kri—
tische Bemerkungen über die wichtigsten Standpunkte findet. Die Werke
von Lacuisine, z. B. über pouvoir judiciaire dacs la direction des debats
sind eine treffliche praktische Anleitung zur Führung der Strafprozesse.
Das Werk von Rauter hat den Vorzog, wie ein deutsches Lehrbuch, klar
aod systematisch den französischen Strafprozess darzustellen. .« m
Was für denjenigen , der mit dem französischen Strafverfahren sich
befreuoden will, aber nicht so leicht die grossen bttndereichen WerkO
der Franzosen durchgehen kann, nnd selbst bei Benützung dieser Werke
sm schwierigsten wird, ist die Gewinnung einer klaren Vorstellung von
dstn Gange des französischen Strafverfahrens, von dem Verhältnisse der
verschiedeneu darin t bat igen Gerichte und Besmten , von dem Kreise ihrer
Befugnisse , von allen Einzelheiten der Behandlung und der Führung eines
Strafprozesses zu erlangen. Nur eine lange Beobachtung des französi-
schen Prozessgaogs, nur eigene Thätigkeit und Th eil nähme, die es mög-
lich macht, in das innere Treiben zu Micken, nur ein genaues Studium
der Entscheidung de» französischen Cassationshöfs , um zu erkennen, wie,
io uer ntcniBiioung uie einzelnen vorsennuen «ngewenuei wernen unu
die verschiedenen Handlungen auf einander folgen, setzen in den Stand,
eine befriedigende Darstellung des französischen Prozesses zu gewahren.
In den deutschen Rheinprovinzen, in welchen sich das französische Ver-
fahren erhalten hatte, bildete sich der Prozess auf eine sehr beacutungs-
würdige Weise aus. Man schloss sich begreiflich ganz an das frantö*
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166 Höchster: Lehrbuch des französischen Strafprozesses.
tisch« Vorbild ir>, befolgte die Aussprüche des Cessationshofes ; allein
man hatte den Vortheil, dass die Regierungen der Staaten , zu welchen
die Rbeinprovinzen gehörten , strenge darauf hielten , dass nur wissen-
schaftlich auf Universitäten gebildete Männer die Stellen der Friedens-
richter erhielten, da überhaupt auf deutschen Universitäten der Strafpro-
zess mehr wissenschaftlich betrieben wurde; da auch in Deutschland über-
all in jedem Kanton tüchtige Gericutsärzte vom Staate angestellt sind, so
erhielt man den Vortheil , dass die Voruntersuchungen nauBg weit gründ-
licher geführt wurden, als diel oft in Frankreich der Fall ist, besonders
an Orten, die fern von grossen Städten sind. Auch hatte das wissen-
schaftlich praktische Studium des Strafverfahrens io den deutschen Rhein-
provinzen eine selbständige Richtung und die Hechtssprüche der Hevi-
sionshofe, s. B. des Hofes in Berlin verdienen Beachtung.
Als seit 1848 für ganz Deutschland der französische Strafprozess
ein allgemeines Interesse gewann , rief das Bedürfnis* in Deutschland
die Erscheinung neuer Schriften über den französischen Strafprozess her-
vor. In allen deutschen Staaten bedurften die Männer, die zuvor, ohne
die grossen politischen Ereignisse, nicht an Einführung des öffentlichen
mündlichen Verfahrens gedacht bitten , und nun rasch mit demselben sich
befreunden musaten , um in ihren Ländern für die Einführung zu wirken,
wissenschaftlicher Hülfsmittel, um schnell das französische Verfahren, du
man nachahmen wollte, kennen zu lernen. Zu diesen Anleitungen gehörten
Li P P er t s Anweisung zur Einführung und Anwendung des öffentlichen münd-
lichen Strafverfahrens. Mainz 1848; die Schrift von Daniels Grundsätze des
rheinischen und französischen Strafverfahrens. Berlin 1848; und die von
Höchster, deren Titel wir oben angezeigt haben. Wir werden davon
einzeln sprechen und an der Darstellung derselben die Anzeige der-
jenigen Schriften anreinen, die in einzelnen deutschen Staaten erschienen
sind, in denen seit 1848 der mündliche PrOzess und Schwurgericht ein-
geführt wurde, z. B. die Arbeiten von Scheuerl, Pixis für den
Baierischen, Hollinger für den Wttrtenbergischen , Kletke für den
Prenssischen und besonders v. Warth für den Oesterreichischen Strsf-
prozess. Die Arbeit von Daniels ist besonders eine wissenschaftlich gute,
auch tüchtige historische Erörterungen .enthaltende Darstelleng. Wegen
ihrer entschieden praktischen Richtung verweilen wir zunächst bei der
neuesten Arbeit, der von Höchster, deren Titel wir oben angegeben haben.
- - ■> f Dem Verfasser kommt der Umstand zu Statten , dass er als lang-
jähriger Anwalt am Appellationshofe zu Köln und als Verlheidiger Gele-
genheit hatte, den Gang des französischen Strafverfahrens mit seinen Ein-
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Höchster: Lehrbuch des französischen Strafprozesses. 187
xeinnenen una mic seinen vieitacnen lomDinationen genau praKiiscn Kennen
sä lernen. Man bemerkt aber auch leicht, dass der Verfasser an ein«
tüchtige wissenschaftliche Auffassung des Strafprozesses sich gewöhnte
and mit den leitenden Grundsätzen desselben sich vertrau! machte. Als
besondere Vorzüge der Schrift erscheinen uns eine grosse Klarheit der
Darstellung, eine gute systematische Anordnung der einzelnen Lebren und
eine feine Zergliederung der gesetzlioheu Bestimmungen, und der durch
die Recbtsfibuog eingeführten Einrichtungen. Da der Verf. aherat» auch
die ergangenen Rechtssprüche des Pariser, sowie des Berliner Cassations-*
hofs angibt, so wird der Werth seiner Darstellung noch erhöbt. Der
Zweck der Schrift ist darauf gerichtet, ebenso dem angehenden Juristen
eine sichere Anleitung für das praktische Verfahren zu gewahren , als
dem Praktiker eine schnelle Lei reicht der verschiedenen Streitfragen zu
geben. Man snuss gestehen , dass der Verfasser seiner Aufgabe treu ge-
blieben ist und seinen Zweck erreichen wird. Zweckmässig linden wir
es, dass der Verf. in jeder Lehre die leitenden Grundsätze an die Spitze
»teilt, so x. B. schildert der Verf. S. 7 das Wesen des Vorverfahrens
ia den drei Grundsätzen, die er kurz entwickelt: 1) es findet Inquisi-
uonsprozoss statt, 2) das Vorverfahren ist geheim, 3) es ist schriftlich;
darüber freilieh, ob man in der Allgemeinheit, wie der Verf. es thut,
den Satz aufstellen kann, dass der Inquisttionsprozesa im Vorverfahren
stattfinde, bat Rezens. grosse Bedenken; denn uns seheint, dass der fran-
zösische Prozess zwar das Aaklageprinzip (wie etwa das englisehe Vor-
verfahren) consequent durchrührt, jedoch viele inquisitorische Element«
darin aufgenommen hat; das Wesen des Anklageprinzips muss aber auch
in der französischen Voruntersuchung entscheiden; denn das Wesen dea
Anklageprozesses ist eben, dass dieser eine erhobene Klage voraussetzt;
ob diese nun von einem Privatmann ausgeht, wie in Engtand, oder wie
im öffentlichen Interesse von einem öffentlichen Ankläger, z. B. in Schott-
land uod Frankreich, ändert nichts; der französische Untersuchungsrichter
ksea doch nicht wie der deutsche von Amtswegen die Untersuchung ein«
leiten (mil scheinbarer Ausnahme bei dem delit flagrant), der Staatsanwalt
macht den Antrag. Nimmt man den Inquisitionsproiess an, so müssle der
französische Untersuchungsrichter auch wie der deutsche Riohter Verhöre mit
den Angeschuldigten vornehmen , und würde zu Zwangsmitteln kommen,
wenn der Angeschuldigte jede Antwort verweigert. Sehr ausführlich ist
im ersten Buche (8. 13—36) die französische Strafgeriehtsverfasiung mit
allen Sireitfragen Uber Zuständigkeit erörtert. In det Lehre von der
Competee* slnWt «r ($. 40) den Grundsatz an die Spitze, dass die Com-
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tS8 Höchster: Lehrbuch des französischen Strafprozesses.
petenz in Strafsachen inner Sache der öffentlichen Ordnung- und der Pri-
vat Willkür entzogen ist. In der Darstellung der Lehre von den Prhju-
dizialeinredcn (S. 57) dürfte manche Behauptung des Verf. durch Be-
nützung der trefflichen Darstellung in Hetie traite de Unstruct. crim-
vol. III. p. 186. eine Modifikation fordern. Eine kurze, aber klare Ue-
bersicht gibt der Verf. S. 57—63 von den Beweisen im französischen
Prozesse. In dem zweiten Buche von dem Untersuchungsverfahren schei-
det der Verf. S. 71 die Vorbereitungsuntersuchung von der Vorunter-
suchung) und nimmt als Zweck der ersten an, den Tb ot bestand einer
strafbaren Handlung derart aufzunehmen, dass sich übersehen lässt, ob
eine Verfolgung überhaupt notb wendig ist, ob ein zu verfolgender Ur-
heber einer Polizei oder correkt. Gerichte zu überweisen ist, oder ob der
Til'lih »«tonst n/lnli rüUp ffl<. i „ 1 „ 1 1 i f «m ,niun|,l ALm V.,|„- Aar llanA
auBiueaiano noen naner festzustellen ist, um sowohl oje naiur oer nana-
lung, wenh sie den Charakter eines Verbrechens an sich zu tragen
scheint, als auch ihren Urheber zo erforschen. Die Voruntersuchung bat
den Zweck, die Natur der strafbaren Handlang und deren vermeintlichen
Urheber daraus festzustellen, dass eine zu diesem Zweck bestimmte Be-
hörde (Rathskammer und Anklagekammer) zu erkennen im Stande ist,
welcke Art der strafbaren Handlung vorliege, und ob gegen den
vermeintlichen Urheber der Verdacht der Schuldbarkeit vorbanden sei.
Die Vorbereilungsuntersuchung wird (nach der Ansicht des Verfassers)
von den Beamten der gerichtrieben Polizei geleitet, die Voruntersuchung
ausscnitessiicn vom uniersuciinugsncnier. nezens. Kann sien mit dieser
Durstellung nicht befreunden. Die ganze Untersuchung von dem ersten
Schritte an, welcher entweder von der Aufnahme einer piainte oder de-
nonciatioo , oder von den ersten Erkundigungen des Staatsanwalts an ge-
führt wird, bis zur Entscheidung der Anklagekammer bei Verbrechen,
ist die Instruction preliminaire im französischen Sinne. Die Darstellung
des Verf. könnte leiebi irre fuhren, und den Glauben veranlassen, daaa
die Handlungen der Vbrbereitungsuntersuchnng nicht Thcile der Vorunter-
suchung seien. Auch ist damit nichts gewonnen, wenn der Verf. sagt:
dass die Vorbereitungsuntersuchung den Zweck hat, den Tbatbestand
aufzunehmen, während doch die ganze Voruntersuchung diesen Zweck
hat, und z. B. in Fällen, in denen es schwierig ist, zu erkennen, ob
i__ V»r*l/»rW.»nA Hnrnli ^iölhcf mnrrt «J.« rlupph frnmrta f «watfttiat um
oer TcriiorDBDv uiircn öctusinioro , ouer uuren ireiHQC Uvwiwiuii um
das Leben kam, oder in Fallen, wo die Frage Über Dasein der Vergif-
tung schwierig ist, die Untersuchung des Thatbestandes die ganze Vor-
untersuchung hindurchläuft. Will man eine Abtheilung in der französi-
schen Voruntersuchung (oder wie sie Mangin in seinem von Helie her-
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nucuNcr . Mnruuvn uc» irauzusisiucu Diruiprfizcssis. IcV
ausgegebenen Werke nennt: instruction eorile) aufstellen, so ist die
Ansicht von Hetie in seiner Einleiten? zu den Werke von Mangin die
richtigste, wenn er iwei Abtbeilnngen macbt. Die erste: qni recueille
les trares da fait et qni rassemble les elemens de la preuve, ond die
iweite: qni apprecie ces elemens et determine le cours, qui doit suivre
la procedore. Die erste ist Werk des Untersuchungsrichters , die rweite
geht von der Rathskammer und Anklagekammer aus. — Herr Höchster
stein nnn in der Vorbereitunguntersuchung (S. 77) das Wirken der gericht-
liehen Polizei dar und dabei von dem flagrant delit, von derAnzeige und
Klage. (Die Benützung des trefflichen Aufsatzes von Helie über Orga-
nisation de la police judiciaire in der Revue de legislation. 1850. Tom. IH.
p. 28. wird dem Verf. für die Ergänzung seiner Darstellung sehr wich-
tig werden). Die Entwicklung der Yoruntersuchnngsbandlungen ist sehr
klar (von S. 91 an) und gibt bei jeder einzelnen Instruktionshandlung
die gesetzlichen Vorschriften und 'die von der Praxis aufgestellten Rück-
sichten so , z. B. Über Haussuchung, Uber Verhöre, die verschiedenen
Befehle, insbesondere über Verhaftung. Ueber manche wichtige Fragen
wünschte man freilich eine nähere Erörterung, z. B. Recht des Untersu-
chungsrichters, Briefe an den Angeschuldigten auf der Post mit Beschlag
zi belegen. Mao weiss, wie die Ansichten der französischen Praktiker
selbst schwanken (z. B. Hangin de Instruction ecrite Nr. 95. Duverger
manuel IL p. 116. und Helie theorie du Code penal II. p. 212). So
hätte such Uber das Wesen des mit dem Angeschuldigten abzuhaltenden
Verhöre mehr gesagt werden sollen (Mangin de Instruction ecrite Nr.
127). Mit besonders klarer Uebersicht ist die Lehre von der Verhaf-
tung ond Freilassung gegen Caution dargestellt (S. 107 — 126). Im
dritten Buche handelt der Verf. von «dem Uebergangs verfahren (S. 132)
nach zwei Abtheilungen: 1) Verfahren vor der Rathskammer, 2) vorder
Anklagekammer. Man könnte leicht versucht werden, zu glauben, das»
diess Verfahren erst nach der geschlossenen Voruntersuchung vorkomme,
was nicht der Fall ist, da ja der Untersuchungsrichter wahrend seiner Un-
tersuchung (Code ort. 127) Bericht erstattet und häufig erst von ihr die
Richtung seiner weiteren Untersuchung bekommt. Hier hätte eine Erörterung
Aber das Verhältnis des Untersuchungsrichters und der Ratbskammer nicht
fehle« sollen (Mangin du Reglement et de la competence Kr. 5—23). Sehr
gut ist Üe Entwicklung (S. 149 — 176) über das Verfahren vor der An-
klagekammer, und wohl zn beachten sind die Bemerkungen des Verl
S. 161 über die Rücksichten, welche die Kammer leiten soll*. Den
Senkst der ersten AbtheUong macht im vierten Buche voo den Slrafge-
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190 Höchster: Löhrbach de« französischen Strafprozesses.
richten und dem Verfahren vor denselben (ßt 17 7) die Darstellung des
Verfahrens vor den Polizeigerichten und S. 2 2 1—29 1 des Prozesses vor
den correclionellen Gerichten. Iii der dritten Abiheiiung folgt die Ent-
wicklung des Verfahrens vor den Assisen. Hier handelt der Verf. S. 343
gut Yon den Geschwornengerichten , betrachtet diess als ein Gewissens-
geriebt , insofern die Jury das Gewissee des Angeklagten vertreten soll.
(Wir zweifeln sehr, dags durch eine solohe ersi neuerlich in Deutschland
vertheidigte Auöossnug, gegen welche die englischen Juristen höchlich
Verwahrung einlegen, eine Klarheit Uber die wahre Stellung nnd den
Umfang der Pflichten der Geschwornen begründet wird.) Kgeothümlicb,
aber geistreich durchgeführt ist die Ansicht des Verf. (_S. 344), dass
die /Jury als Gewissensgericht den Thalrichter, als Volksgericht den
Schul Jnrhter darstelle ■ in der letzten Hinsicht sollen (S. 315) die Ge-
schwornen sich darüber aussprechen , ob die Rechte der Gesasnmtbeit ver-
letzt sind und ob dor Angeklagte sie verletzen konnte. Die Jury soll
die objective und subjec*ire Schuld prüfen. Wir geben dem Verf. seine
Ansicht völlig zu (_S. 316), nach welcher die Geschwornen nicht so zu
betrachten sind, als weun sie nur die Frage, ob der Angeklagte con-
vaineu ist, zu entscheiden kitten, sondern dass sie die ganze Schuld-
frage beurtheilen müssen; wir halten die scharfe Trennung der Thal und
Rechtsfrage für nachteilig; allein deas wegen ist es nicht nothig, die
Ansicht des Verf. zu billigen, der in der Jury aus den zwei Elementen
des Gewissensgerichts und des Volksgerichts ihre Stellung ableiten will.
Gehe man in das Mutterland des Geichworuengerichts, nach England, wo
«s Mae Fragestellung durch den Präsidenten gibt, verfolge man die
Geschichte der Jery seit 1670, wo eigentlich erst die wahre Ansicht
über die Stellung der Geschwornen* sich feststellte, und man wird sich
bald Uberzeugen, dass man nicht nothig bat, zu den gekünstelten neuen
in Deutschland aufgestellten Ansichten seine Zuflucht za nehmen.
Eine Lücke findet sich in der Darstellung des Verf. 8. 33«, wo
er von dem Yerhörn spricht, das der Präsident mit dem Angeklagten,
24 Standen nach der Verbriogung in das Arresthaus abhalten soll. Das
ganze Verfahren, worin vorzüglich auch das Recht der Ergänzung der
Procedur durch den Präsidenten höchst wichtig ist, bedarf einer genauen
Darstellung. (Eine sehr gute Erörterung darüber Endet sich in dem Jour-
nal du droit criminel par Moni.. 1850. Novembre. ». 321.) Dagegen
müssen wir die Darstellung der Verhandlungen in der Assise (S 345
305 ff.) für sehr gelungen erklaren. Man weiss, wieviel durch die
ReckUttsuug geschehen ist, und dass durch du blosse Lesen der ein*
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Höchster: Lehrbuch des französischen Strafprozesses. t91
schlägigen GeseUesstelien Memand eioe klare Uebersicbt des Verfahrens
bekommt, dais vorzüglich die Kenntnis» der ergangenen Rechtssprüche
des Cassationsbofs erst ein klares Bild zu geben im Stunde ist. Der Ver-
fasser hat in alten diesen Rücksichten die Materialien benützt und so mit
guter Benutzung der Aussprüche des französischen und des Berliner Cas-
sationsbofs eine so tief in die Einzelnheiten des Verfahrens eingehende
Darstellung gegeben , dass vielleicht kaum eine almliche vorgelegt werden
kaon; so enthalt seine Schrift gute Erörterungen über Punkte, die der
Code höchstens andeutet, und welche nur durch den Gerichtsgebrauch
richtig erkannt werden können, z. B. S. 399 §. 267 über Sachverstän-
dige, S. 409 über das resume, S. 412 — 22 Über Klagestellung, und
zergliedert mit Feinheit und praktischem Sinne höchst schwierige, ge-
wöhnlich anderswo gar nicht dargestellte und im Geselzbuche übergangene
Punkte, f. B. §. 288—289 über das Berichtigungsverfahren der Wahr-
sprüche, S. 460 über die Auslegung ergangener Urtheile der Geschwor-
Ben. Auch das Ungehorsamsverfahren (S. 167J und die Lehre vom
Cassationsbof S. 484 sind gut erörtert. Das vorliegende Werk darf da-
her als ein sehr brauchbares empfohlen werden und verdient selbst in
einer Uebersetzung zur Kenntniss der Franzosen gebracht zu werden. Der
Verf. würde sich aber dann ein grosses Verdienst erwerben, wenn er
auch die Fortbildung des französischen Strafprozesses durch deutsche Ge-
setzgebung und Rechtsprechung darstellen, die vielfach Verbesserungen
des französischen Verfahrens enthaltenden Bastimmungen der Gesetzbücher
Deutschlands seit 1848 von Baiern, Preussen, Oesterreich, Braunschweig,
Baden, Sachsen, Hannover (die Würtenbergische und die Bernische Ge-
setzgebung bat er bereits angeführt) darstellen und die Erfahrungen
Deutschlands, die Rechtsprüche der deutschen CassationshÖfe mittheilen
wollte. Anf diese Weise könnte er herrliche Materialien zur Gesetzge-
bung und Uebung des Strafverfahrens liefern. Vorzüglich verdienen die
durch den damaligen Justizminister Heintz, der als Praktiker das fran-
zösische Verfahren genau kennen lernte, im Baierischen Gesetze von 1848
bewirkten Verbesserungen des franzÖsichen Prozesses die allgemeine Auf«
merksamkeit. Frankreich wird durch die Benützung der deutschen Er-
fahrungen und durch Beachtung der englischen Einrichtungen dann zu
*
jenen Verbesseningen gelangen, deren Geist bereits der erfahrene Dnpin
ia seinem herrlichen diacours de Fentree vom 3. Nov. 1847 angedeutet hat.
Ullttermstler.
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192 Willst Essay on circurnslantial cvidcnce.
*
An Essay on principles of circumttantial cvidcnce , Wust rat cd bff nw-
merout cases by William Willi. Third ediNon. London #850.
Die Frage, durch welche Mittel die Bürgschaften vermehrt werden
können, das« Geschworne einen gerechten Wahrspruch gehen, wird vor-
züglich da bedeutend, wo der Beweis der Anklage nur auf eine gros»e
Zahl von Vermuthungen gestützt wird, durch deren Zusammentreffen die
Schuld des Angeklagten dargelhan werden soll. Jeder mit der Rechts-
übung vertraute Richter kennt die Schwierigkeilen dieser Urlbeilsfällung
und die Gefahren des sogenannten circumstantiellen Beweises. Es ist be-
greiflich, dass auch in Deutschland, wo seit einem Jahre iu den Staaten,
in denen man sich bisher gegen Geschwornengerichte sträubte, solche
Gerichte eingeführt sind , von Männern , die redlich die Wahrheit suchen,
mit einer gewissen Scheu auf die Wahrsprttcbe der Gescbworne geblickt
wird in Fällen, von denen nur ein Beweis durch Nebenumstände vorliegt.
Schon erbeben sich vielfach Stimmen des Zweifels, ob in solchen Fällen,
in denen man freilich oft die Strenge und Energie der Geschwornea
rühmt, der Wahrspruch der Schuld vor dem Gerichtshöfe der Vernunft
gerechtfertigt werden kann. Gewiss wenigstens ist es , dass in sehr vie-
len Fällen, in welchen in deutschen Staaten Geschworne einen Angeklag-
ten für schuldig erklärten (namentlich bei Anklagen wegen Diebstahls},
die angestellten Richter kein verurteilendes Erkenntniss gefüllt haben
würden; nicht weniger fest steht, dass in vielen Fällen, ia denen deut-
sehe Geschworne auf deu Grund einiger Vcrd&chlsgründe das Schuldig
aussprachen, die englischen Geschwornen das Nichtschuldig erklären wür-
den. Die englischen Bürger wie die Richter Englands billigen die eng-
lische Ansicht, so sehr man sonst in England für die nothwendige Strenge
der Geschwornen gestimmt ist. Es ist passend, den Blick vorzüglich
auf England, das Mutterland der Geschwornengerichte, zu werfen und iu
fragen, worin die Irsacheu liegen, ans welchen das grosse Vertrauen zn
den Urtheilen der englischen Geschwornen und zugleich die Erscheinung sich
erklärt, dass im Allgemeinen diese Geschwornen so schnell (ohne viele
Berathung) und sicher entscheiden, uud in so manchen Fällen das Nicht-
schuldig aussprechen, in welchen deutsche Geschworne verurtheilen.
I A Uli« i< i ••• m » *
. .... . (Schlus* <1W m. • .
.TS* ! . *
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Nr. 13. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Willst Essay on elrrunistantlal evidente.
(ScbhlSS.)
Wir finden nach genauer Beobachtung des Gangs der Verhandlungen
nnd des Benehmens der Geschwornen in den verschiedenen Ländern Eu-
ropa^ den Hauptgrund darin: dass in England, Schottland und Amerika
die Wahrsprüche der Geschwornen aus einem wohllhätigen Zusammen«
wirken der Richter und Geschwornen entstehen nnd dass die Prüfung der
Anklage nach traditionellen Beweisregeln gesichert ist, nach welchen der
Gang der Verhandlungen geführt wird nnd die Ueberzeugung der Ge-
schwornen sich richtet. Es kann hier nicht von einer sogenannten ge-
selllichen Beweistheorie die Rede sein, welche in den deutschen Gesetz-
büchern aufgestellt und in den wissenschaftlichen Arbeiten in dem Sinn
entwickelt war, dass nur bei dem Dasein gewisser Bedingungen ein be-
stimmtes Beweismittel von dem Richter als genügend betrachtet werden
durfte; der richtige Sinn der praktischen Engländer hat sie vor dieser
Ansicht bewahrt, während die Beweislebre, welche das englische Recht
kennt, (mit Ausnahme einiger als Schutzwehr gegen grundlose Anklagen,
z. B. bei Hochverrath wegen der zwei Zeugen aufgestellten Sätze} ein
traditionelles Recht ist, hervorgegangen aus einer langen Rechtsttbung,
abgeleitet aus der Logik und der Erfahrung , fortgebildet durch die Rich-
ter des obersten Gerichts als ein Inbegriff von Regeln, nach welchem der
Prosecu tor seine Anklage zu begründen, der Vertheidiger die Anschuldi-
gungen als grundlos nachzuweisen sucht, wahrend der präsidirende Rich-
ter vorzüglich in seinem Schlug vor tröge ( charge) jene Beweisregeln
(rales of evidence) in der Anwendung auf den einzelnen Fall einzuschärfen
nnd dnreh Hinweisung darauf die Geschwornen zu warnen, ihre Berathung
ihnen zo erleichtern sncht. Vor Allem bewährt sich der Vortheil dieser
Beweislehren bei dem sogenannten Beweise dnreh Nebenumstände (cir-
cumslantial evidence). In England ist die Beweislebre ein vorzüglicher
Gegenstand wissenschaftlich praktischer Arbeilen; zu den alleren treff-
lichen Werken von Philipps, Boscoe n. a. sind in den letzten Jahren
ausgezeichnete Werke von Starkie, Taylor nnd Best hinzugekommen.
Greealears (io Amerika) erschienenes Werk gilt nach in England mit
XUV. Jahrg. 2. Doppelheft. 13
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Will« : Eis ay on circumstantial evidencc.
Recht ols ein höchst werthvolles. Vorzüglich verdient das Werk von
Wills, dessen Titel wir oben angegeben haben, eine grosse Beachtung.
Wenn auch Bentham in seinem bekannten grossen Werke: Rationale mit
seiner feinen Zergliederungskunst und seinem Scharfsinn eine Masse der
geistreichsten allgemeinem Regeln über den Beweis durch Neben umstände
aufgestellt hat, so ist doch das vorliegende Werk von Wills vorzuziehen,
weil es mehr im praktischen Geiste bearbeitet ist, uicht mit einer Masse
abstrakter und willkürlich zu drehenden Regeln sich begnügt, sondern
die Rechtsanwendung durch das Leben selbst erläutert, jede Regel in
ihrer Wichtigkeit durch eine grosse Zahl von wichtigen Slraffallen ver-
ständlich und klar macht and zugleich aus einer Quelle schöpft, welche
sicherer den Praktiker leitet, als allgemeine nur aus gewissen sogenann-
ten Grundsätzen abgeleitete Regeln. Diese Quelle ist der Inbegriff der
Rechtsansichtin, welche von den englischen Präsidenten der Assisen in
ihren cbarges am Schlüsse einer Verhandlung an die Gescbwornen ge-
richtet werden. Es sind hier nicht willkürlich nach der Individualität
eines Richters aufgestellte wechselnde Meinungen des Vorsitzenden, son-
dern in diesen charges liegen die Rechtsansichten, welche über die Be-
urteilung der Beweise bei Entscheidung von Rechtfällen durch die Rechts-
Übung von dem obersten Gerichte Englands als dem Mittelpunkt der
Rechtsprechung seit einer langen Reihe von Jahren fortgebildet wurden.
Da nun die 15 Richter, als Mitglieder des obersten Gerichts, in deu, in
den verschiedenen Grafschaften in gewissen Zeiten gehaltenen Assisen die
Präsidenten sind, so kann man annehmen, das* die von diesen Richtern
ausgesprochenen Rechtsansichlen eigentlich die Ansichten des obersten
Gerichts sind. Eben in der Beweislehro wird dies bedeutend , weil durch
die am Schlusso der Verhandlung vor der ßerathung an die Geschwornen
in den charges erlheilte Anweisung in der Anwendung auf den einzelnen
Fall die Rechtsprechung der Geschwornen eine gewisse Gleichförmigkeit
erhält, und vor Uebereilung gesichert und weil diu ßerathung erleichtert
wird, da der Richter die Geschwornen aufmerksam macht , worauf sie sehen
sollten und sie vor gewissen leicht auf sie wirkenden gefährlichen Ansichten
warnt. Vorzüglich bewährt sich dies trefflich bei dem circnmslantiellen
Beweise, bei welchem die Gefahr, durch einzelne trügerische Erschei-
nungen geblendet zu werden, kühne Schlüsse aus einzelnen Thalsachen
abzuleiten und willkürlich zufällig nebeneinander vorkommende ThaUacben
in eine innere Verbindung zu bringen, so gross ist und leicht unge-
rechte Verurteilungen erzeugen könnte.
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Willst Essay on circumstantial evidence. 195
Hier verdaukt man dem Verfasser des vorliegenden Werkes eine
trefiliche praktische Anleitung zur richtigen Beurtheiluog des circumstan-
tiellea Beweises in Strafsachen. Der Verf. nennt S. 245 die Beweisre-
geln praktische Salze des juristischen Scharfsinns und der Erfahrung, gereift
uod systematisch entwickelt dnrch eine Reihe erleuchteter Männer, Sätze, die
als die trefflichsten Mittel, Wahrheit von Irrthum zu unterscheiden und mög-
lichst der gefährlichen Ueber macht richterlicherBeurtheilung entgegenzutreten
dienen. In diesem Sinne entwickelt der ausgezeichnete Verfasser die Lehre
vom Beweise durch Nebenumstunde , nnd die Vorzüge seiner Schrift sind
1) eine praktische Zergliederung des Wesens dieser Beweisart, 2) die
klare gedrängte Darstellung von mehr als hundert wichtigen Straffällen,
die in England vorkamen nnd geeignet sind , die Gefahren des circum-
stantiellen Beweises, aber auch die Wichtigkeit richtiger Regeln bei der
Beurtheiluog solcher Falle zu zeigen nnd 3) eine grosse Zahl von Char-
ge.*, durch welche am besten die Rechtsansiebton der englischen Richter
ihreo Beweis durch Nebenumalände nnd zugleich die wohlthätige Wirk-
samkeit der Richter auf die Gescbworoen sich ergiebt. — Nicht leicht findet
man in einem Werke so viel richtige rationelle Auffassung mit praktischer
Darstellung vereinigt. Der Jurist eines jeden Landes wird das vorliegende
Bach nicht blos mit Interesse lesen, sondern auch mit Nutzen brauchen.
Wir wünschten , dass die Geschwornen aller L ander mit dem Geiste der
Bechtsaaschauung skh vertraut machten, welche das Werk von Wilhi
durchdringt und dass sie dnrch die darin dargestellten Rechtsfälle he-
werden.
Es ist daher begreiflich, wie auch das Werk von Wills in Eng-
land eine so gute Aufnahme gefunden bat, dass bereits die dritte Auflage
davon erschien. In Nordamerika ist es im Prozesse gegen Webster als
Aatorilat angefahrt worden, nnd eben hören wir, dass in Venedig im
Anhang der dort erscheinenden juristischen Zeitschrift: Eco dei Tribnnali
das Werk von Wills übersetzt werden soll. Stellt man sieb recht klar
die Schwierigkeiten einer richtigen Würdigung des Beweises durch Ne-
benumstande vor, nnd erinnert man sich der Gefabren, denen dabei der
fötaler anagesetzt ist , so begreift man , wie der Engländer kaum glauben
kten, dass man in Frankreich und Deutschland den Geschwornen keine
weitere Anweisung gieht als die, dass sie nach ihrer intime conviction
den Wehrsproch fallen sollen. Mit einer solchen unbestimmten und un-
klaren Anweisung ist eigentlich nichts gesagt. Wie anders steht die Sache
» England, Schottland nnd Amerika! Mit welcher Gewissenhaftigkeit
locht der prfeidirende Richter am Scbtnsse der Verhandlung den Ge-
13*
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196 Wills: Essay on circumstantial evidence.
icbworoen ihre Berathung zu erleichtern, sie auf die richtig leitenden
Regeln der Erforschung der Wahrheit aufmerksam zu machen und vor
einem ungerechten Wahrspruch zu warnen! Vorzüglich in Fällen des
circumstantiellen Beweises bewährt sich ebenso der praktische Sinn der
englischen Richter, als die wohltbätige Wirkung der ch arges, in welchen
die Richter den Geschwornen die Beweisregeln zergliedern. Herr Wills
hat in seinem Werke höchst wichtige charges dieser Art mitgetbeilL Sic
gehen alle aus dem nicht genug zu beachtenden Sinne der englischen
Richter hervor, die notwendige Strenge in der Anwendung der Gesetze
mit einem gewissen Wohlwollen und mit dem Streben zu vereinigen, die
Geschwornen vor ungerechten Wahrsprüchen der Schuld zu bewahren.
Bei jeder Gelegenheit sagen sie den Geschwornen, dass sie da, wo ein
reasonable doubt an der Schuld des Angeklagten vorbanden ist, frei-
sprechen müssten. Wie würdig drückt sich Baron Alderson in seiner
Charge aus (Wills p. 32), wenn er sagt: „Der meuschliche Geist ist
geneigt, mit einer gewissen Lust verschiedene Nebenumstände aneinander
zu reihen, und sie, indem man sie, wenn es nöthig ist, streckt, zu nö-
tigen, Theile eines zusammenhängendes Ganzen zu bilden. Je geistreicher
eine Person ist, desto leichter wird sie bei der Würdigung solcher Ge-
genstände irregeleitet, indem der Geist einzelne noch mangelnde Glieder
xJer Kette ergänzt, und verleitet wird, einzelne Thatsacben als richtig der
vorgefasste Theorie gemäss nnd als noth wendig anzunehmen, um den Beweis
als vollständig zu betrachten." — Als in einem Falle sich ergab, dass lange
Zeit nach VerÜbung eines Verbrechens die gestohlenen Sachen im Besitze
des Angeklagten sich befanden , hielt der Richter Bayley (Wills p. 49)
eine Lossprechung für gerechtfertigt. Als in einem Falle der Angeklagte io
der Voruntersuchung zugestanden halte, dass er bei der Verübung eines
Hördes gegenwärtig gewesen, aber behauptete, keinen Tbeil daran ge-
nommen zu haben, warnte der Richter Littledale (Wills p. 65) die Ge-
schwornen aus der ganzen Erklärung den einen Umstand der Gegen-
wart am Ort der That herauszunehmen. Vorzüglich äussert sich die Ge-
wissenhaftigkeit der englischen Richter auch da, wo der Thatbestand
nicht ganz hergestellt ist. So wird z. B. bei Vergiftungsfallen, wenn
zwar das Geben des Gifts wahrscheinlich ist, zugleich aber sich ergiebig
dass der Tod auch anderen Ursachen zugeschrieben werden kann, von den
I^iciilörci den 0 6 s c Ii w o r n c ti t^in^t3«>cliiirft ^ iio ^ ivo sig crlicL)licli6 Zweifel
haben, lieber loszusprechen (Wills p. 180). Bei Anklagen des Kiudes-
mords ist es eine Hauptrücksicht, ob erwiesen ist, dass das Kind
nach der Geburt lebte, und Baron Parke (s. Wills p. 205) forderte die
»
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Willi! Kssfly OH circmnst Afitinl cvidence.
Jury sorgfältig auf, zu prüfen ob sie Zweifel habe, and im Falle de«
Daseins derselben loszusprechen.
Mit Klarheit entwickelt nun Herr Wills in seinem Werke, mit Be-
rufung auf die in der Rechtsübung ausgesprochenen Ansichten , die Lehre
vom Beweise durch Umstände. Nachdem er (p. 2 — 13) die allgemeinen
Begriffe von Wahrheit, Gewissheit, Wahrscheinlichkeit zergliedert bat,
zeigt der Verf. (p. 15), dass die Unterscheidung von direktem und in-
direktem Beweise nicht, wie man häufig diess aufstellt, scharf entgegen-
gestellt werden kann , dass beide Arten die nämliche Beschaffenheit haben,
Dod nor in der Richtung auf den zu beweisenden Gegenstand sich unter-
scheiden. Er erkennt (p. 2) die Gefahr an, die in Strafsachen durch
dit Annahme von Vermutbungen entstehen kann , und hält es für ebenso
unvernünftig , dem Richter absolute Regeln für Vermuthungen vorzuschrei-
ben, als dem Commandandanten eines Schiffs eine ausnahmslose Vorschrift
für die Führung seines Schiffs zu ert heilen: er tadelt (p. 23) den Ver-
sieb, gesetzliche Beweisregeln vorzuschreiben, um die Beweiskraft ein-
zelner Beweisgründe zu beurtheilen , und bedauert es (p. 26) , dass man
so manche allgemeine Sätze aufstellt, die leicht irreführen können, z. B.
wena man den oft in England behaupteten, selbst von englischen Rich-
tern verbreiteten Satz aufstellt: die Nebenumstände können nicht lügen,
wobei man vergisst, dass ebenso gut bei dem Beweise durch Nebenum-
stlnde Irrtbttmer oder Täuschungen obwalten können ; ebenso irrig ist es,
($.28) wenn man oft von der unumstösslichen Kraft des circumstantiellen
Beweises spricht, wenn nothwendig die Vermuthung der Schuld aus einem
gewissen Umstände sich ergiebt. Uns scheint, dass man überhaupt irrig
▼ob einer ooihwendigen Vermuthung spricht ; — was man so meint,
ist eio Zusammentreffen vieler in einander eingreifenden, sich ergänzenden,
auf eine bestimmte Hauptthatsache wirkenden NebennmstUnde, aber nio
ist es dann eine nothwendige Vermuthung. Nach der gewiss richtigen
Ausführung (p. 32) des Herrn Wills darf man nicht direkten nnd in-
direkten Beweis einander gegenüber stellen nnd streiten, welche Art die
vorzüglichere ist; jede derselben hat ihre eigenthümliche Richtung und
fordert eine besondere Geistesoperation. Wenn auch der Verf. es für
onndglich hilt, alle möglichen Anzeigungen aufzuzählen, so glaubt er
doch, dass man die anschuldigenden Indicien auf folgende Klassen zu-
rückfuhren kann: 1) die Motive zum Verbrechen; 2) Aeussernngen der
verbrecherischen Absicht; 3) Vorbereitungen zur Ausführung eines Ver-
brechens; 4) in der nächston Zeit nach einem Verbrechen vorkommen-
den Besitz die Früchte eines Verbrechens ; 5) Mangel einer genügenden
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198 Will*: Essay on circumstanlial evidence.
Erklärung Verdacht erweckender oder auffallender Erscheinungen an einer
Person, Kleidung, Benehmen derselben und Versuch, durch falsches Vor-
geben Verdacht von sich abzulenken; 6) stillschweigende Zugeständnisse ;
7) Unterdrückung, Zerstörung, Veränderung oder Vorspiegelung von Be-
weisen. Der Verf. zergliedert nun jede einzelne dieser Klassen, indem
er mit Scharfsinn die Natur der in die Klasse gehörigen Anzeigen , die
verschiedenen dabei vorkommenden Gestaltungen , aber auch die Gefahren
entwickelt, welchen dabei der Richter ausgesetzt ist. Sehr gut macht
der Verf. S. 40 darauf aufmerksam, dass der Gesetzgeber und Richter
uicht mit den Motiven der Menschen , sondern nur mit den als ihren Aua-
gangspunkten und Zweck erscheinenden Handlungen und mit äusseren That-
sacben sich zu beschäftigen haben. Er zeigt, wie schwierig schon die
Erforschung der Motive C hifcufi? selbst nur aus Neuenumstanden abgeleitete
^ ' v " ■» w ~ * " ■ ^»»^ w " T mmt ™ ™ www m w w mw mm nw«w mmm mm mm w mm mm mm ^ *w«vw W m
ist, wie das nämliche Motiv zu höchst verschiedenen Handlungen führen
kaun. Interessante englische Strafrechtsfälle , die der Verf. (p. 44) an-
fuhrt, zeigen, wie vorzüglich da, wo über die Thatsache kein Zweifel
ist, z. B. dass der Angeklagte geschossen bat, woht aber die Richtung
die Absiebt streitig ist, in der englischen Rechtsübung auf das Dasein
von Motiven gesehen wird. Eine ausführliche Zergliederung ist (p.47 —
57) dem Indicium gewidmet, das aus dem Besitze der Früchte eines
Verbrechers abgeleitet werden kann. Hier zeigt sich wieder der ver-
ständige wohlwollende Sinn der englischen Richter , welche immer auf die
Lossprechung wirken, wenn ein vernünftiger Zweifel entsiebt; wenn da-
her der Angekagte erst lange Zeit nach VerÜbung des Diebstahls die ge-
stohlenen Sachen besitzt, so leitet man daraus keinen Anschuldigungsbe-
weis ab, weil man so vielerlei Möglichkeiten zugiebt, durch welche der
Angeklagte die Sache auf einem ehrlichem Wege erworben haben kann
(j>. 49); ebenso lüssl man Zweifel an der Schuld gelte», wenn die ge-
stohlene Sache an einem Orte gefunden wird, der nicht ausschliessend
vom Angeschuldigten besessen wird, vielmehr von der Artist, dass auch
viele andere Personen dort sich beGuden und etwas dahin bringen kön-
nen, während die englische Praxis (S. 50) da eine starke Vermutbung
gegen den Augeklagteo ableitet, wenn er Gegenstände besitzt, die von
einer ganzen Reibe von Diebstählen herrühren. Ernste Warnungen spricht
der Verf. (p. 70—71) gegen die Sitte aus, aus einem gewissen auffal-
lenden Benehmen des Angeschuldigten auf ein Gesläodniss der Schuld zu
schliessen. Nicht ohne Gruud sagt er überhaupt (p. 62), dass nicht
weniger als durch Folter auch oin Unschuldiger gefährdet werden kann
durch harte und listige Verhöre. Die Gefahr für Unschuld, wenn aus
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W1Ü0* Es?ay on rircumstantial cviJence. 199
einzelnen Ausdrücken and aue dem Zusammenhange gewisser Aeosserun-
geo einer Person Geständnisse abgeleitet werden, ist in einem Falle, wo
ein gewisser Coleman unschnldig hingerichtet wurde (p. 68), klar nach-
gewiesen. Auf die Flncht einer Person, da auch der Unschuldigste aus
Furcht vor den Qualen einer Untersuchung zum Entschlüsse der Flncht
kommen kann, wollen die englischen Richter nie ein Indicium der Schuld
bauen lassen (Will« p. 70). Sehr lehrreich ist die Darstellung der An-
scbuldigungsbeweise , die man oft aus dem Bemühen einer Person, die
Justiz irre zo leiten, oder aus dem Streben, eine Leiche zu verbergen,
oder ans der Erscheinung, dass oft Verwandte bei dem Tode einer Per*
!oa eilen, die Beerdigung vornehmen zu lassen oder die Section der
Leiche nicht gestatten , ableiten will. Da in allen diesen Pillen auch aus
Yöllig schuldlosen Absiebten sich die Erscheinungen erklären lassen (Wills
p. 75 — 79), so sollte darauf nichts gebaut werden. Eine Reihe merk-
würdiger Fälle dienen wieder zur Erläuterung. Unter den Gesichtspunkt
physischer Eigentümlichkeiten von Personen oder Sachen , die, indem sie
zwischen einem verttbten Verbrechen und der Schuld einer Peason einen
Zusammenhang annehmen lassen, stellt der Verf. (p. 80 f.) die Identität
voo Personen oder Sachen, die Handschrift einer Person, die Zeit der
Verflbong eines Verbrechens auf, und handelt von jedem einzeln vorzüglich,
indem er wieder durch merkwürdige Falle zeigt, wie leicht in Bezug auf
Idealität einer Person ein Irrthum obwalten kann; trefflich ist (p. 108 —
1 15) von der Trüglichkeit der Handschriftenvergleichung gehandelt. Die
Lehre von dem entlastenden circumstantielleu Beweise ist insbesondere gut
voo p. 120 an behandelt, mit Beziehung auf den Beweis der Unmöglich-
keit, dass der Angeklagte das Verbrechen verüben konnte, auf die Abwe-
senheit aller Motive zum Verbrechen oder selbst das Dasein abhaltender
Beweggründe , auf das Benehmen einer Person , z. B. wenn der der Ver-
giftung Beschuldigte selbst von den Speisen genoss, in denen das Gift
sich befunden haben soll. Nicht ohne Wehmnlh bemerkt man hier einen
noch 1815 vorgekommenen Fall (Wills p. 127), in welchem nach aller
Wahrscheinlichkeit eine unschuldige Person hingerichtet wurde, weil die
Geschwornen den entlastenden Umstand , dass der Angeklagte selbst von
den vergifteten Speisen genoss und sehr krank darauf wnrde, nicht be-
achteten. Der damalige Richter hatte sie nicht aufmerksam darauf ge-
macht. — Ein ausgezeichneter Theil der Schrift von Wills ist die Erör-
terung über den Beweis dos Thatbestandes durch Nebenumstände und zwar
in Bezog auf die Frage, wenn es an der Auffindung der Leiche fehlt
oder nur einzelne Theile gefunden werden (p. 162); ferner in Ansehung
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Willi: Essay on circtrmstantial evidence.
der Fttlle, wo es zweifelhaft ist, ob Selbstmord oder fremde Gewaltthal
den Tod erzeugte (p. 169), io Bezug auf Vergiftung (p. 178) und
Kindsmord (p. 203). Zur Erläuterung dieser schwierigen Lehre sind
viele Falle trefflich zergliedert. Kein Jurist irgend eines Landes wird
diese Darstellung ohne grossen Nutzen lesen. Mit feinem praktischen
Sinne sind nun von S. 209 an die Schlussfolgerungen aus dem bisheri-
gen angegeben. Die Beweiskraft der Nebenumstände hängt nach dem
Verf. (p. 210) davon ab, dass die Kraft der Umstände noth wendig zur
Annahme der Gewissheit der zur beweisenden Hauplthatsache führe, weil
jede andere Erklärung oder Vermuthung dem ordentlichen Lauf der Dinge
widersprechen würde, so dass wir nach Erschöpfung jeder anderen Er-
klärungsart entweder die Schuld des Angeklagten annehmen oder jedes
Ergebniss der gewissenhaftesten Forschung uud Erfahrung und olle Ope-
rationen des menschlichen Geistes als nutzlos und trüglich betrachten müss-
ten. Die am Schlüsse aufgestellten Regeln verdienen aligemeine Aufmerk-
samkeit. Das Studium des ganzen Werkes , von dem wir wünschten, dass
es von jedem Geschwornen recht gewürdigt würde, erfüllt, insbesondere
wenn man die grosse Zahl von Fallen liest, die der Verf. erzählt, io
deneu Unschuldige auf Indicienbeweis für schuldig befunden und gestraft
wurden , mit einem eigentümlichen Gefühle über die Trüglicbkeit mensch-
licher Entscheidungen und mit der Erkenntniss der Notwendigkeit, dass
alle Kräfte Aller, welche die Interessen der Menschheit und Gerechtigkeit
würdigen , dabin vereinigt werden möchten, um Formen des Verfahrens zo
ersinnen, durch deren Anwendung Bürgschaften geliefert werde , dass die
Schuldigen sicher ihre verdiente Strafe leiden, aber auch kein Unschuldiger
bestraft werde. In dem würdigen Zusammenwirken derHichter und Geschwor-
nen, aber auch in einer solchen Stellung der Richter, welche das höchste
Vertrauen zu ihrer Unabhängigkeit, Energie, Gerechtigkeit, verbunden mit
dem Geiste des Wohlwollens englischer Richter begründet, liegen ent-
schieden die besten Bürgschaften. Auch die Presse hat dabei heilige
Pflichten, indem sie den rechten Sinn, die Beobachtungsgabe des Volkes
stärken und entwickeln, die Pflichten der Zeugen und der Geschwornen
zergliedern, sie vor gewissen leicht vorkommenden Missgriffen warnen muss.
Es ist erfreulich zu sehen, wie dies auch in England geschieht. In einem
vor uns liegenden Aufsatze : über die Pflichten der Zeugen und Geschwor-
nen in der Wochenschrift: Household Works condueted by Charles Dickens.
Octobre 1850 p. 100 bt dies trefflich durch Zergliederung merkwürdiger
Fälle geschehen.
rontterntAler.
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Schaffner- Geschichte der Rcchtsverfassuns? Frankreichs. 201
Wilhelm Schaffner, Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs.
Frankfurt a. M., Druck und Verlag ton Johann David Sauer-
länder I. Band bis auf Hugo Capet i845. II. III. Band bis auf
die Revolution 1849. 1850. IV. Band ton der Revolution bis auf
unsere Zeit. 1850. —
•
In unserer Zeit ist es nothwendig, eine gewisse Versicherung vor-
aus? eben H lassen , ebe man die Hand an die Beurteilung eines Buches
legt: der Unterzeichnete steht mit der Person des fleissigen Verfassers
dieser Geschichte in gar keiner persönlichen Verbindung, und daher ist
es der rein objective Eindruck des Werks, welcher ihn die Feder füh-
ren lässt. Es ist ein grosses Unternehmen, welchem sich der Verfasser
unterzogen hat, und wir glauben, dass eine solche Arbeit nur dann eine
vollkommen befriedigende Auerkennung verdienen kann , wenn der Schrif-
steller gleich von vornherein eine Art wissenschaftlicher Be-
schränkung sich auferlegt, nach welcher er die grosse Masse der vor
ihm liegenden Materialien überwältigen will. Man wirft so oft den Fransosen
vor, ihre rechtsgeschichtlicbe Arbeiten stünden hinter denen der Deutschen
urück : man hat in einer jetzt untergegangenen und auch in einer andern
Zeitung oberflächlich genug vorgebracht, das vorliegende ßnch trage weni-
ger den Charakter deutscher Scbrtftstellerei , weil es anf durchaus positiver
Grundlage und ohne Construction gearbeitet sei; allein wir müssen diesen
beiden Ansichten widersprechen ; die Franiosen hoben , wenn auch nur in
fragmentarischen Darstellungen, ein viel reicheres und geordneteres Ma-
terial ihrer Rechtsgeschichte und Rechtsgewobnheiten , wie die Deut-
schen, zumal sie niemals die ParticularitBten der Provinzen durch eine
allgemeine Abstraction verwischt haben : und dem Deutschen ist es nun
einmal in unserer Zeit nicht anders gegeben, als dass er seine ganxe
Denkweise auf jeder Zeile soiner wissenschaftlichen Arbeilen der Welt
sehen lasse, seine Subjectivität vorkehre gegeu die Objectivitlt der
Zeiten und Materialien. Dieses ist die vorwirkende Richtung unserer phi-
losophischen Bildung , die sogar in das innerste Mark des Volkes über-
gegangen ist. Unterdrückt kann diese Richtung nur werden, wenn der
Schriftsteller eine specielle Seite seiner wissenschaftlichen Bestrebung her-
vorbebt, und hier überall auf den Geist der Zeit aufmerksam ist, aus
welcher er seine Materialien nimmt. Wenn es unserm Verfasser gefallen
hatte, die Rechlsgescbichte einer einzelnen französischen Provinz ganz dc-
taillirt zu bearbeiten, so würde dem Sachkenner gerade dadurch ein viel
besseres Versländniss der französischen Rechtsgeschichte selbst geworden
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202 Schaffner: Geschichte der Rechtsverfassung Frankreich!.
seiu, als durch die vorliegende grandiose Verbreitung über alle Provimen
Frankreichs. So hat gerade jetzt Dupin iu Nevers ein Buch edirl: Re-
daclion solennelle de la coutume du Nivernais de 1534, wo er zeigt,
auf welche Weise schon damals das Gewohnheitsrecht zu einer lex scripta
gemacht worden ist, und worin man sieht, wie auf solche Art am besten
das Traditionelle des Hechtswissens erhalten wird.
Auf den ersten Band gedenken wir uns nicht einzulassen, theils
weil er nicht sowohl der französischen , wie überhaupt der germanischen
Rechtsgeschichte angehört, und da des Verfassers äussere Rechtsge-
schicbte nichts ist als eine Wiederholung aller jener Verhaltnisse, welche
schon in den deutschen Staats- und Rechtsgeschichten besprochen sind,
dann weil die innere Rechtsgeschichle nicht minder ganz allgemein ge-
halten werden musste, so dass neue Entdeckungen in dieser Pariode von
dem Verfasser nicht gemacht sind. Viele Capitel, deren historischen Zu-
sammenbang der Recensent genauer kennt, namentlich das vierte und
fünfzehnte Capitel, Theile der Kirchenrechts^eschichte überhaupt, haben in
der Darstellung des Verfassers eine vielfach unrichtige Grundansicbt bekom-
men, und es scheint, dass der Verfasser in dieser Beziehung besondere
Studien nicht gemacht hat. Man darf nur lesen , was er S. 52 Über daa
Coocilium von Sardica anfuhrt. Die pseudoisidorischen Decretalen bat der
Verf. nie untersucht, auch kennt er die darüber vorhandene Literatur
nicht, und wie hoch über ihm der so sehr getadelte Laferriere steht,
kann er selbst einsehen, wenn er die geistreiche Behandlung lesen will,
die dieser, auch in der neuesten, besonders von der Revolution her ge-
arbeiteten französischen Rechtsgeschichle (schon in der II. Ausgabe) höchst
schätzbare Gelehrte in der dritten Ausgabe seiuer französischen Rechtsge-
schäfte tom. III. pag. 445—476 Ober diese Sammlung gegeben bat.
Doch genug. Wir können auf keine Weise die Ausführung im ersten
Bande als einen Fortschritt in der Wissenschaft ansehen.
Das interessanteste in der französischen Rechtsgeschichle ist offen-
bar das spätere Mittelalter in seiner Blülhe, also das vollendete Feudal-
thum, die seigneurie, das Standewesen auf dem Lande und in den Städ-
ten, — die Gewalt der Krone und ihre Gerichtsbarkeit, und in Verbin-
dung mit diesen weltlichen Dingen das Hineinscblingen der geistlichen
Hierarchie mit der Bildung der französischen Sprache und Wissenschaft.
Man muss diese Verhältnisse wie das Kunstwesen im Mittelalter bis in ihre
kleinsten Richtungen erforschen; bei unendlicher Mannicbfaltigkeit tritt
überall derselbe Typus hervor, wobei in politischer Hinsicht Alles darauf
ankam, ob dereinst es einer der Gewallen gelungen ist, sich über die
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Corporationen zu stellen , und auf welche Art. Dem Siege dieser Gewalt
Ut deoo auch ihr ausserordentlicher Höhepunkt zuzuschreiben, so dass
nicht einmal, trotzdem die Information in Frankreich unterdrückt wurde,
die geistliche Macht hier etwas vermochte, vielmehr der Absolutismus
auch diese niederwarf, und das Territorialität« - System über das Kir-
chenwesen von Frankreich aus für Europa sich dalirt. Mao
denke nur an die Werke eines Petrus de ftlarca und eines Baluzius, von
denen mehr als aus dem Protestantismus Just Henning Böhmer sein
auch die katholische Kirche niederdrückendes Territorialsystem für Deutsch-
land geerbt hat, wie er selbst in seiner ersten Vorrede zur Ausgabe des
Corpus juris canonici anfuhrt. Allein was eben in Frankreich kommen
i, wo die Rationalität alle Historie niederwarf, trat zuletzt ein — ein
philosophisch d. h. rationell politisches System, und damit die
Revolution , wo es keine Corporationen uod Stände mehr gab , und auch
die einzige bleibende Corporation , wenn man ihr den Namen geben darf,
der geistliche Stand zu sein aufhörte. Zur Bewältigung dieser Ereignisse
muss offenbar die kommende Zeit Schlimmes und Gutes bringen, in
jedem Lande etwas Anderes. Nun zur Sache d.h. zur Beurthei-
lnag des zweiten und dritten Bandes dieses Werkes.
Vor Allem tadeln wir in dem II. uod III. Baude, dass in dieser
wenigstens zwei Periodeu darbietenden Geschichte weder eine chronolo-
gische noch eine synchronistische Ordnung eingehalten ist. Das darüber
gestellte Räsonnement achtet weder Zeiten noch Räume. Auch die
Landenarte im Anfange des III. Bandes ist unpraktisch. Man hätte am Endo
der ersten Periode eioe umfassende äussere Rechtsgescbichte nach den
Provinzen vorausschicken: dann das Gewohnheitsrecht etwa in einer ähnlichen
Abstractioo wie bei Loysei zur inneren Rechtsgescbichte verarbeiten müssen.
Eine allgemeine Betrachtung Uber die Verbindung des ganzen Landes durch
das Köoigtnum hatte als Einleitung zur zweiten Periode dienen können, eine
Wiederholung gerade in der Darstellung des auf die zweite Periode be-
rechneten Werkes von Loysei hätte folgen können. Auch an einzelnen Urkun-
den hatte es nicht fehlen sollen: wie gut wäre es, wenn die Contume de
Paris abgedruckt worden wäre. Doch lassen wir uns jetzt in den Gedanken-
gang des Schriftstellers selbst ein. Er bezweckt offenbar auch hier nicht
neae Entdeckungen zu liefern, sondern nur eine Zusammenstellung, eine Art
räsonnirender Compilalion zu geben, wie sie in der allgemeinen Geschichte
Rotteck und Andere gewähren wollten. Für wen sollte nun das Buch
einen bestimmten Zweck darbieten? für den Anfänger gewiss nicht, denn
es ist zu gehaltreich und zi ungeordoet; für den Gelehrten; er findet
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204 RrhüfTnor' CpurliirhlP <\or Rprht*Vf»rfa«?Tin(7 Frankrpirlia
bekannte Sechen, ja er findet Darstellungen, die nur in der von dem
Verfasser beliebten Manier, ntcbt aber allseitig die Sache auffassen. Auch
der populär gesinnte Literat unserer Tage wird dies Buch nicht gebrau-
chen können, weil es für ihn zu juristisch ist. Dabei begegnet uns nir-
gends eine klare Ansicht nnd lebendige Darstellung vom Gerichtswesen
im Mittelalter, namentlich nicht von dem Einflüsse der königlichen Ge-
richtsbarkeit zur Vereinigung des Rechts in Frankreich, die in der That
die Basis war für dasjenige, was in der Revolution erreicht
wurde: nirgends ein ineinandergreifendes Verhiltniss des Gewohnheits-
rechts, der Einwirkung der jurisprudence und der spätem Ordonnanzen;
ja man kann sagen , der Quellenupparat im Material selbst , bis zur Dog-
matik, in der Exegese und im Glossarium, in der Hinweisung auf Schrift-
steller, in Obersichtlichen Anschauungen ist bei Loysei viel grösser, tüch-
tiger, gelehrter und ist ein ganz anderes Denkmal der Nation, wie in
dem Werke unsers Schriftstellers. Die französische Literaturgeschichte, die
Verbindung derselben mit der Dogmengcschichte, an welche sich die
Franzosen bis in die neueste Zeit immerhin noch anschliessen , ist dem
deutschen Schriftsteller ganz entgangen. Dass in Frankreich die Bartolinische
Schule im gemeinen Rechte noch regiert, wo findet man eine Spur? (Trop-
long etc.) Wie wenig führt er uns in der neuesten Zeit kunstge-
recht anf Pothier hin? Wir machen diese Ausstellungen alle nicht,
um dem Buche seinen Werth zu nehmen , das Buch enthalt einen Bericht
Ober sehr Vieles, was der Verfasser eben zu seiner Freude gelesen
hat, und verdient, dass jeder Gelehrte es vergleiche; und wir wollen
daher auch kurz anzeigen, welche Capitel es behandelt, und wollen zu-
letzt für die Privatrechtsgeschichte auch bemerken, wie wir glauben, nnf
welche Art sie hätte behandelt werden müssen.
Vom ersten bis zu dem sechsten Capitel einschliesslich läuft eine
Einleitung d. i. ein Abriss der politischen Geschichte , eine geographische
Darstellung der einzelnen Provinzen Frankreichs, ein üeberblick in der
Darstellung der Rechtsgeschichte. Wir haben hier manches Raisonnement
gefunden, was wir tadeln können, denn der Verf. selbst wird diese Ein-
leitung für nichts ansehen , als für einen Versuch , eine allgemeine histo-
rische Unterlage dem Buche zu verschaffen. Die ganze Seite 9 enthält
Unrichtigkeiten in der Sache oder im Urtheil — wie kann der Verf. sa-
gen: „auch das Cölibat wurde nun entschieden verlangt*4 , oder was will
er damit sagen? u. s. w. Wras denkt er sich S. 22 unter den damals
bestandenen Inquisitionsgerichten der Kirche — und wo kommt in dieser
Einleitung überhaupt Etwas über den Geist jener Zeit vor?
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Schaffner* Geschichte der Rechlsverfassuu? Frankreichs 205
•
• Als der Verf. ioi gedachten zweiten Bande noch eine I weite
Einleitung zu seiner eigentlichen Hechts geschieh te , die erst im dritten
Bande anfangt, gab, glaubt er: — es lasse sich alles unter die Formen
des Lehenstaats , Königthums , Volksthums und der Kirche bringen — ein
Gedanke, der nichts als ein Wiederhall moderner Ansichten und Vorstel-
lungen ist, auf welchen wir uns nicht einlassen wollen. Bei solchen Con-
slractionen konnte er sich nicht — hingeben einer besseren und mehr
foroollco i c Ii ( u ii ^ lo der fr*<iiiz.osiisc)icri ^^6C>li«^^6scl)icl)t& ^ dio sclion boi
Camus vorkommt, (in der etude du droit francais) nemlich die ganie
Rechtsgeschicbte als Geschichte der coutumes, ordonnauces und der ju-
risprodence oder arre ts darzustellen , denn das Volk , das Königthum und
die Kirche waren ja auch im Lehonstaat, und der Lehensstaat blieb mit
dem Königthum and mit der Kirche und mit der städtischen Freiheit bis
zur Revolution. Es ist eine grosse Täuschung, wenn man den freien
Bürger in den Städten, der sich in alle Formen der Regierung fügen
kann, als eine Macht ansieht, die, wie sie sagen, Uber allen politischen
Partheien stehe: als die Idee, um uns auszudrücken, des Volks-
tums. Wir halten deshalb die ganze Darstellaug des
zweiten Bandes nicht für historisch.
Was namentlich die coutumes betrifft, hätte der Verf. versuchen müssen,
(wie er theilweise es im III. Bande gethan hat} für gewisse Lebren die
Hauptsätze herauszufinden, an welche sich die coutumes gebildet haben,
und diese an einzelnen coutumes, wie z. B. von Paris zu entwickeln \
dadurch wäre selbst die frühere falsche französische Manier beseitigt wor-
den, sich an den Coutumier general oder die Conference des coutumes
zu halten, oder das Pariser Gewohnheitsrecht als tertium comparationis
aufzustellen, oder gar das französische Gewohnheitsrecht mit dem römi-
schen Rechte zu vergleichen , oder Sprichwörter zu commentiren u. s. w.
Ein System kann wohl mit dem römischen Rechte verglichen, werden,
nicht aber einzelne Gewohnheiten, welche ein System voraussetzen.
Auf die coutumes beziehen sich bekanntlich die ordonuances; es
fehlt dabei nicht, dass Lücken aller Art entstehen; diese zu vermitteln
sind die orrets da und aus ihnen entsteht die jurisprudence , wie das
letztere auch heutzutage noch in Frankreich der Fall bt, wo der Code
civil io Anwendung kommt.
Das siebente Capitel ist nicht uninteressant: namentlich der Zustand
der früheren Lehen , späteren und erblichen Leben , des germanischen und
römischen Allod, namentlich, dass man der Erblichkeit wegen auch die
Leben Allod nannte. Nur hätte angegeben werden sollen S. 147, wie
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mSchfiffner' (ieschichte der Rerhtsverfassun? Frankreichs
sich das römische Allod vom germanischen unterschieden hat und warum
das germanische Allod besser war wie das römische? Gerade in solchen
Dingen ist das canonische Recht ganz unbestimmt, weil es den Zweck
hatte , eine Transaction zwischen dem römischen und germanischen Rechte
nicht selten durch Stillschweigen zu machen. Das Wort proprielas be-
deutet oft das römische Allod, oft aber jedes vom Lehen verschiedene
Rprht oft auch das Allod und Lehen zusammen Man sieht dieses schon,
wenn man den Titel der Decretalen Uber das petitorium und possessorinm
vergleicht.
In der ersten Periode dieser Zeit, wo aber nicht allein das Lehen-
wesen regierte, sondern auch eine davon verschiedene Hörigkeit, ja so-
gar das Recht freier Personen und des AHodialguts, hätte man ausgeben
mttssen von den Standen und ihrem verschiedenen Rechte an Leib, Gut
und Ehre , wahrend bei dem Verfasser das Wort Lehenstaat eine zu um-
fassende Bedeutung hat, denn neben ihm bestand doch noch eine schon
von der älteren Geschichte ererbte Heerbobeit, die zugleich eine Terri-
torialhoheit im Frieden war, und welche sich bis zum Königthum erhob.
In der zweiten Periode war dann der bekannte Kampf zwischen deo
seigneur's und dem Königthume, dessen Vollendung das König ih um etwa
in der, weun auch fragmentarischen Darstellung bildete, die wir bei Loy-
sei finden. Auch hier kommen bei unserm Verfasser manche Lebren zu
kurz , z. B. die Lehen sur les Offices , worüber Loyseau ein so gutes Buch
geschrieben bat. Kr fahrt ihn blos an in der Note der Seite 312.
Das Lebenwesen war ein künstliches Institut, der Staat ist ein na-
türliches wie die Familie : das Lehenwesen radicirt sich auf einzelne Gü-
ter resp. Rechte, später sogBr auf Aemter: der Staat verlangt ein zu-
sammenhängendes territorium als sichtbares Ohject der Herrschaft; das
Lehenwesen ist in der Tbat eine societas inaequalis , wie bei der katho-
lischen Kirche, der Staat Ist das Haupt , an welchem organisch die Glie-
der hängen und kann sogar der societas aequulis sich nähern. Im Lehen-
wesen ist Alles ein Gesellschaftsrecht; die Gerichtsbarkeit wird znm
Zweikampf; die Gesetzgebung ist eine Verabredung, sowie die Besteue-
rung; Krieg und Frieden hangt von der Fides ab, die beide Theile ein-
ander gewähren. Dass dasjenige, was künstlich ist, immer künstlicher
werden muss, liegt im Begriffe, sowie im Geiste des Mittelalters selbst,
dessen fein künstliche Entwicklung in alten Dingen der Zweck seiner
Bestimmung war. In dieser Beziehung hat nun der Verf. vom achten bis
tum zwölften Capitel vieles Gute geleistet.
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Schäflfuer- Geschichte der Rechlsverfussunfr Frankreichs 207
Dass das gemeine Lehen rech l in Frankreich nicht vorkam, wenig-
stens nur in einigen Theilen, bat der Verf. gut ausgeführt: ob die Ab-
stractroo des Lebengewobnheitsrecbts , die der Verf. im zwölften Capitet
gemacht bat, genügend ist, will der Recensent hier nicht entscheiden,
weil er darauf gerichtete Studien nicht gemacht hat. Vom Allodialrechte
wollte der Verf. iu diesem Bande nichts sagen, weil er eben einzelne
Perioden nicht gemacht hat, vielmehr diesen Theil in seinen dritten
Band verwies.
Interessanter war für uns dasjenige, was er vom Königin nme und
Kirchenthume in diesem Bande angeführt hat: das erste halten wir für
gelangen, denn die königlichen Griffe waren zu fühlbar: das andere hal-
ten wir für weniger gelungen, offenbar, weil der Verf. im canonischen
Rechte geringe Studien gemacht hat, indem er überall den grosseo Bn-
flass, namentlich auch im dritten Bande, vernachlässigt bat, welchen das
canonische Recht über Prankreich ausgeübt hat. Während ein Kampf über
die sogenannte Hoheit unter den Königen und Päbsten sich erhob, war
der Einfluss des canoniseben Rechts im Kleinen so grossartig unter den
Franzosen , wie bei keinem anderen Volke, und das französische Recht
selbst kann nur verstanden werden, wenn man das canonische Recht
kennt. Die ganze Lehre des canonischen Privatrechts ging in die fran-
zösische Praxis über, wie wir später noch zeigen werden, und gerade
deshalb ist den deutschen Interpreten der neueren protestantischen Rich-
tung, selbst einem Mann, der als Lehrer sogar canonisches Recht lehrte,
wie Zachariä, die Erklärung des französischen Rechts nicht immer ge-
lungen. Die Lehre vom Königlhnm aber ist ziemlich gut dargestellt;
freilich ist diese Lehre eine der verbreitetsten in der französischen
Literatur. Unter den Schriften, die der Verf. S. 275 anführt, finden wir
nur eicht die über das, was gleichsam die Entwicklung des königlichen
Rechts durch die französische jurisprudence nachweist, aus welcher gerade
hervorgeht, wie sich die wissenschaftlichen Anbänger des König-
tums zur Herstellung allgemeiner Ordnung bemüht haben, einmal den
König zu erbeben über die weltliche Hoheit des Kaisers, die der Verf.
unberührt lässt (er hülle hier auf ein eigenes gemeinsames Bestre-
ben der französischen Könige und der venetianiseben Republik hin ver-
weisen könoen), dann über die geistliche Hoheit des Pabstes, wofür er
nur unten im Kircbenrechte spricht (auch hier hätte er der Venetianer
gedenken konneu} , endlich über die Hoheit der seigueur'a, deren histo-
rische Schicksale er wohl angibt , die literarischen Mittel aber nicht zeigt,
durch welche sie mehr unterjocht wnrden, wie durch offenen Kampf.
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208
Schäffner: Geschichte der Kechtsvcrfassun? Frankreichs
Der Ausgang der Dinge war die bekannte Parömie: tot» les bommes de
son royaume lni soot sujets. Selbst die ullramontanen Schriftsteller haben
anerkennen müssen , dass der König den Titel par la grace de Dien ange-
nommen habe, um eine Unabhängigkeit vom Kaiser andPabst, sowie von
Baronen seines Reichs figürlich anzuzeigen, während, wenn andere Per-
sich nicht minder auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit beriefen , sie
noch eine äussere und weltliche Macht dazu nennen mussten, von
welcher sie ihr Recht herleiten , sowohl die Bischöfe, wie die seigoeurs, die
Bischöfe verwebend auf den Pabst, die seigneurs auf die suzerainete. Wie
das Königtbum sich des Einflusses der drei Stände bediente, ist im vier-
zehnten Capitel gut dargestellt. Das Resultat war, dass die Stände
directen Antheil an der gesetzgebenden Gewalt nicht nahmen , uud dass
sich gerade hier zeigt, wie wichtig das Recht der königlichen ord<
ces zu allen Zeiten war. Es hätte sich hier Gelegenheit gegeben,
allgemeine Bemerkungen über den Inhalt der königlichen Ordonnanzen,
dia so gut gesammelt sind, vorzubringen. Die Rechte der Krone selbst
hätten mit Rücksicht auf privatrechtliche Grundsätze noch besser entwickelt
werden können, nämlich als causa individua (das Kronrecht kann nicht
die Erben vertheilt werden), als deutsches Erbrecht, wonach
Annahme bedarf, nach der lex salica mit Ausschliessung der Weiber, als
Singularsuccession, wo der König die Schulden seines Vorgängers nicht
bezahlt, und überhaupt von dem Willeo seines Vorgängers nicht abhän-
gig bt, ein Punkt, der auf die Absolutheit des französischen Kronrechts
Das Kronrecht war daher in
Allodialrecht , was der Verf. besser hätte darstellen können. Unter den
Wirkungen der Krone hätte hier gleich das so wichtige mundiburdium
aufgeführt werden sollen. Der Verf. hat es in das Privatrecht verwiesen,
allein es ist ao wenig pri vat rechtlich in Beziehung auf die dem Könige
unterworfenen Personen, wie das königliche lloheitsrecht in Beziehung
o..f Amm TtTnlnrini nAor ilnniimiim «minpn« Uns V firm 11 n rl c r h a fi c r t> f> h f mI
Hill Uaa i erriiuriuiii uuci uuuiiuiuiu ciuiiicus. i/vs » ui huuuvvuvim «vn **»
heutzutage noch ein öffentliches Recht. In der ersten Hinsicht bat sich
in Deutschland das kaiserliche Recht Uber die Juden analog ausgebildet,
wovon man in Frankreich aus bekannten Gründen nichts wnsste. Dagegen
königliche mundiburdium viele von allen Rechten als Fran-
aus , z. B. die Fremden , und es gab nach dem Typus des Mittel-
(Schlatt folgt.}
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Hr. 14. HEIDELBERGER
1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
(Schluss.)
Das Verhältniss der Stände ist im vierzehnten Capitel etwas zu
dargestellt, und es hätte sowohl hier, wie im fünfundzwanzigsteu
r*nUa1 Rüi>linnnn nalro» An MiA ■ J.n mllaiaii J.. I TnK Ai*/vn n rvc Aam tan Aalatm
la^uei necijuuug getragen werden müssen ues utuergungs uer leuuaien
Ordnung in die der drei Stände und der Entwicklung des Bürgerlhums.
Solche Verhältnisse findet man durchaus hesser dargestellt in den Schrif-
ten der französischen Schriftsteller selbst, die einzelnes Positive und
Historische vorbringen und wenig construiren. Diese Gelehrten gehen bis
i: sie untersuchen nicht nur Reohtssprtchwörter der Zeit,
die Bedeutung der Worte selbst, welche gebrauch!
wurden. Wie unterrichtend ist hier das achte Buch von Pasquier les re-
ch erches de la France. Das Bürgerthum entwickelt sich mit der
Sprache. Das Volksthum ist nur das Genie des Bürgerthums, ea fährt
in der Nation. Pasquier hat in seinem achteo Capitel die
gegeben zu den Rechtssprichwörtern, die Loysei
hat, und in welchen in der That der schon vor der Revolutio
deoe Geist der Nationalität liegt. Es ist noch ungeheuer viel so thun,
um die Vereinigung der Stände im Bürgerthume und den Zustand der
;r Verfasser nur die bekannten
Dagegen können nnd wollen wir lobend anerkennen dasjenige,
was der Verf. Uber das Königlhum, seine Verwaltung, seine Beamten,
die Hoheit des Königthums, die Finanz- und Polizeiverwaltang zusam-
hat, und wobei ihm freilich sehr reiche nnd in einen Cen-
vercinigte Quellen zugänglich waren. Für das Bürgerthum hätte
der Verf. Viel leisten können , wenn er eine recht genaue Darstellung
der Verhältnisse der Stadt Paris gemacht haben würde. Man vergleiche
jedoch dasjenige , was er S. 584 erzählt und Einiges Über die Jurisdic-
hat er II. S. 424 ff. angerührt.
Formelle des Gerichtowesens ist Reissig dargestellt, sowohl
necnis , wie aie ues specieuen iuh.hi»,
XLIV. Jahrg. 2. Doppelheft. 14
uiginzeo
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210 Schäffner: Geschichte der Rcchtsverfassunc Frankreichs
namentlich der Messen, des Handels und der Wechsel. Aus diesem
Verhältnisse ist nothwendig die eigne Verordnung über die Handelsge-
setae hervorgegangen, und dieses war die Veranlassung der gegenwär-
tigen Abtheilung des bürgerlichen Gesetzbuches in den Code civil und
den Code de commerce. Allein der Verf. hätte du Gerichtswesen besser
nach einem dreifachen Gesichtspunkte eingeteilt, nach dem gemeinen
Recht, nach dem besondern Recht und nach dem königlichen Recht der
Billigkeit und der Oberaufsicht über die Seigneuralgerichte. In ähnlicher
Weise, wie sich in England das gemeine Recht und das Billigkeitsrecht,
und io Rom das jus civile et praetorium ausgebildet hat, ist auch in Frank*
reich durch die königliche Auetontat ein Billigkeit»- und Hestitutionsge-
richt in den riquete* ausgebildet wurden, in der That ein Gericht der
Gnade, wo wenn Jemand einen königlichen Brief hatte, die Gerichte
allerorten diesen Punkt des Rechts nach den besonderen Umständen
des Falb besonders zu prüfen und darnach au erkennen hatten. Anf diese
Weise hat die Gerichtsbarkeit des Königs einen ganz allgemeinen Spielraum
durch ganz Frankreich erlangt und dasjenige vorbereitet, was am Ende sich
auletat aum königlichen und obersten Recht der gesammten Privatrechts-
gesetagebung Uber Frankreich entwickelte. Indem der König gerade da*
durch an die Spitze alles Rechts in Frankreich sich stellte, vindicirte er
sich das Princip: au Roi appartient d'oetroyer graces et dispenser contre
le droit commun. Unter dem gemeinen Recht verstand man die raison
canonischen Recht und die Landesgewohuheiten. Durch das jus aequum,
was vom Könige ausging, wurde das Recht nicht verwirrt, sondern
neben dem Buchstabenrechte der gemeinen Ordnung die concreto Billig-
keit gebandhabt. Das System der lettres de grace und die desshalb be-
stehende grossartige Einrichtung gehört zu den reichhaltigsten Quellen für
die Geschichte des französischen Königtbums. Desshalb muss man unter-
aueben die requetes de Photel de Roi, an deren Spitze der Kanzler stand,
und das grosse Werk le grand stille et protocolle de la Chancellerie de
France. Nur darauf hin kann man noch Manches erklären, was jetat im
Code civil vorkommt, a. B. die Ar it. 1304—1314. Wir können uns —
an die Vorschrift dieser Zeitschrift gebunden , auf die weitere Entwick-
lung solcher Dioge nicht einlassen: noch weniger an die ungenügende
Ausführung Uber das Verhlltniss der Advokaten und Notare. Das Nota-
riatswesen war bekanntlich im Mittelalter das grossartigste praktische
Institut, es umfasste das ganze Schreiberwesen, und durchdrang nicht
Hos die Ordnung im Privatrechtswesen, sondern auch im öffentlichen
J • ;
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Schaffner: Geschiebte der Rechtsverfessang Frankreich*. 911
Recht, die notaires da Roi, die geheimen Secrelaire clercs du secrei
eder des finaaces, und die Bedeutung dieses Standes ging auch auf die
geistlichen Gerichte und Verwaltungen über (notarii apostolici). Diesem
Verhältnisse hätte ein eignes grosses Capital gewidmet werden sollen,
wobei uns gewiss nicht verdacht werden kann, wenn wir dem Verf. in
seinem Werke, dem wir schon die Nichtbeachtung der einzelnen Perio-
den vorgeworfen haben , noch besonders vorhalten müssen , dasa er seil
i-anies Material nicht im historischen Geiste der Zeiten , sondern nach dem
Eindrucke bearbeitet hat , welchen die Gelehrten heutzutage von dem In*
einandergreifen der Staatsmaschine haben.
Zwei Richtungen wollen wir hier gänzlich übergehen:
1) Diejenige der Staatsverwaltung in des Verf. Sinne, von der er
selbst sagt: „eine äusserst schwierige Sache, die ebensowenig wie der
Feudalismus bis jetzt eine erschöpfende Beantwortung erhalten hat. Der
Zwack des Werkes gestattet uns freilich eine grosse Erleichterung, wir
haben die Geschichte der Verwaltung bloss Ubersichtlich zu behan-
deln , die administrative Technik nur in ihrem Verhältnisse zur Verfassung
zu betrachten." Auch siebt der Verf. ein, dass hier mit Abstraotionea
nichts zu machen ist. Nur im System der modernen Polizei waren die
Franzosen die Erfinder der jetzigen Ansichten, und es fehlt hier nicht
an tüchtigen Werken darüber.
2) Das Communal wesen. Dieses erfordert ein so grosses Detail-
studiom, dass wir nicht wagen, uns darauf einzulassen. Dass der Verf.
in dem Buche das Unterrichts wesen so sehr übergangen bat, ist auch
ein Fehler, er hätte namentlich von dem Communal Unterricht sprechen
müssen, und er hätte selbst in Beziehung auf Gewerbe eine schöne An-
leitung bei Pasquier gefunden, z. B. über die Barbierer und Chirurgen
(S. 598 der Schrift).
Dagegen wollen wir die letzten Capitel des zweiten Bandes etwaa
genauer ansehen, die sich über das allgemeine kirchliche Verhältnis» der.
gegebenen Zeit in Frankreich aussprechen.
S. 494 bemerkt der Verf.: ..die Kirche ordnete im Mittelalter eine
Reihe von Verhältnissen, die erst allmählig der weltlichen Macht zufielen.*
Allein er führt das Verhältniss der Kirche zum Staat nie gehörig aus:
weder im Standpunkte der Disciplin, noch der Corporationen zeigt er,
dass überall die kirchliche Ansicht, namentlich in der letzten Hinsicht von
den Bruderschaften, die Basis der weltlichen Ordnung wurde. Der Verf.
bitte unterscheiden müssen a) den Einfluas der Kirchengewalt auf daa
rechtliche Leben , ^) den Eiofluss derselben auf daa dogmatische und
u*.
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212 Schäffner' Geschichte der Rcchlsverfassung Frankreichs
moralische Leben. In der ersten Hinsicht bat er wohl Alles erwlhnt,
was sich auf das Verhältniss der Kirche zur Staatsgewalt bezieht,
nur müssen wir anerkennen, dass dieses historisch, d. h. nach Perioden
geordneter und genauer im ersten Bande der Rechtsgeschichte von
Warnkönig vorkommt, wenn auch dieser Punkt nur bekannte, in jedem Buche
klar dargestellte Dinge enthalt, wobei bei unserm Verfasser die innere
Beziehuung, namentlich in der Richtung auf Nachbarländer, z. B. wegen
des in Deutschland bekannten Investituratreites , nicht gehörig vergleichend
hervorgehoben ist. Am allerwenigsten ist der Einfloss gezeigt, der von
Frankreich aus später und namentlich im achtzehnten Jahrhundert auf
Deutschland fiberging; dann ist Vieles sehr ungenau dargestellt, s. B. der
Einfloss des französischen Königthums auf die öcumeniseben Concilien der
neuesten Zeit, die Bedeutung und Richtung des Jansenismus u. s. w. Al-
lein weniger noch ist das Schicksal der Kirche in Frankreich selbst her-
vorgehoben. Dass alle Bestrebung der Calvinislen nicht genügend war,
das katholische Princip in Frankreich zu unterdrücken, dass man sich hier
beglückt fühlte, ein klein wenig an den Aussen werken der Kirche zu
rütteln durch das Phantom des Gallicanismns; dass aber gerade dadurch
die katholische Bildung unter den französischen Geistlichen zur höchsten
Blttthe kam, und die katholisch - theologische Literatur im siebenzehnten
und achtzehnten Jahrhundert dort die besten Bücher besondere für das
äussere moralische Leben findet, hätte nicht übergangen werden sollen.
Aber auch der juristische Einfluss des canonischen Rechts ist nirgends
hervorgehoben. Das zweite, dritte und vierte Buch der Decretalen
Gregors IX. hat wohl nicht ata System, aber im Einzelnen den grösslen
Einfluss auf Frankreich geäussert, in den Rechtsmitteln und der Oassa-
tion, im Eberechte, in der Systematisirung der Verlroge, in der Lehre
von der Veräusserung , namentlich fremder Sachen u. s. w. — was man
in jeder Zusammenstellung der contomes finden kann, sodass, wenn die-
8os aucn nier uoergangen woraen wäre, es uocii im urmen oanae neue
bemerkt werden sollen , freilich verweist der Verf. S. 624 selbst auf den
dritten Band seiner Schrift, aber auch hier ist keine Ausführung. Dass
der Verf. nicht einmal der zweideutigen Gesinnung eines Pithou Erwäh-
nung getban bat, zeigt von seiner geringen Einsicht in den Geist des
ron/micclion HorMc Winkt!» \«-t,rr» tranaran Am Pmflniii Aar «-«IlliflKfln
chuuijisl-ucu ulluis. ?T j uii ig vvaro gor* esen , aen eiduuss uer »eitucnen
Macht dadurch nnrhznu'AMPn die« Hin Rßnnfirialearlirn nnrh in rtA««A««nrin
der weltlichen Jurisdiction unterworfen wurden. Daher kommt die Be-
deutung der rexreance. Was das heissen will S. 661: ..die geistliche
Gerichtsbarkeit habe ursprünglich dem Bischöfe nur im Vereine (?) mit
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Schaffner: Geschichte der RechtSYerfassnntf Frankreichs. 313
der DiöcesangeisUicbkeit zugestanden«, wissen wir nicht. Der Verf. kannte
weder das Kirchenrecht an sieb, noch war er sieh selbst klar. Von vielen
Dingen nimmt der Verfasser keine Notiz. Es war dem Recensenten zu seiner
Zeit höchst interessant, den berühmten Pasquier in seinem dritten Bache
aber kircbenrecbtliche Dinge zu lesen. Mit einer Ungeheuern Klarheit der
Vcrliiiltnissc seiner Z&it^ nicht ^ 10 in Deutschland durch sbstrflcto An-
sichten gehoben, sondern durch lebende Personen und deren Charakte-
ristik gekräftigt, zeigt er die Gesinnung der Franzosen der unmittelbar
vorgehenden und seioer Zeit. Mit welcher Heftigkeit sind sie gegen die
Jeseiten aufgetreten; (chap. 42) und mit welcher Ruhe hatten diese ihre
C ons eq uenzen fortgesetzt, bis zu der Zeit ihrer Aufhobung, die selbst
keinen andern Grund hatte, wie die der Tempelherrn. Aber Uber alle
diese Dinge ist der Verf. , so hinweggegangen , wie wenn sie in Frank-
reich keine Bedeutung gehabt hatten. Doch genug vom zweiten Bande.
Indem wir nun zum dritten Bande übergehen, erklären wir nach
einer genauen Vergleichuug mit dem Werke von Warnkönig, auf
welches übrigens der Verfasser keine Rücksicht genommen hat, dass die-
ser dritte Band der gelungenste Tl. eil des Unternehmens ist, wobei es
weniger bei der äusseren als bei der inneren Rechtsgeschichte an der Ge-
nauigkeit und Bestimmtheit fehlt, welche hier so wesentlich ist. Die
äussere Rechtsgescbicbte wird vom 1. — 8. Capitel, die innere Rechtsge-
schich le des Privatrechts vom 9.— 19. Capitel, des Strafrechts im 20.—
21. Capitel, des Civilprozessea im 22.-26. Capitel, des Criminalpro-
zesses im 27. — 28. Capitel dargestellt. Wir wollen uns nnr auf
einige Capitel des Privatrechts einlassen und gerade hier nachweisen, was
noch bitte ausgeführt werden können: denn diese historische Unterlage
war in der Thal dasjenige, was Tronchet in der Seele trug, als er das
Pf oj d x n ni C od o ci yi I iu ö c Ii l c , ii r für die ii n s s l r ö Roch tß ^oschichto
müssen wir vor der Hand noch bemerken, dass diese gut gelungen ist,
vielleicht hätte etwa im fünften Capitel darauf hingewiesen werden können,
dass der Geist der sich fortbildenden französischen Rechtsordnung sich
ganz besonders in den Colonien des Morgenlandes äusserte, wo man in
den assises klar sieht , wie sich das Bürgerthum neben dem Adel zu ent-
wickeln anfing. Diese assises siod die eigentliche und Hauptquelle des
hervortretenden Bttrgertbums. In dieser Gestaltung liegt so zu sagen auch
der Keim zu der politischen Verfassung der Neuzeit , namentlich Englands
in seinen beiden Kammern, und daher war England nur revolutionär in
religiösen RicWungen, weniger in politischen. Seite 146, 147 wirft der
Verl die schwierigste aller Fragen auf: wie sich die Quellen des Rechts
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214 Schäffher: Geschichte der Rechtsvcrfassung Frankreichs.
in Frankreich vor der Revolution zu einander verhalten haben. Aller-
dings war auch hier der Gedanke, wie er in Deutschland ist, dass
es ein gemeinsames Gewohnheitsrecht gebe: allein er war in Prankreich
besser begründet, denn man hielt sich an das Pariser Stadtrecht, le droit
commun de la France et la coutume de Paris rednits en principes . . et
mis dans Tordre d'un commeutaire complet et methodique sur cette cou-
tume par F. Bourjon. Paris 1747. 1770. — man hatte auch das Pariser
Stadtrecht in den einzelnen Lehren gut verarbeitet, z.B. in der berühm-
ten Lehre des servitudes mit Rücksicht auf erchitectonische Schriften in
Paris 1681 u. s. w. bis herunter auf das treffliche Werk von Pardessus.
Diejenigen, die ein solches gemeines Recht Ifiugnen , verlangten, dass das
römische Recht das gemeine Recht sei; allein sie sagten nicht welches?
darum ist auch das römische Recht durch seine Interpretation ein sehr
vielartiges geworden: diejenigen, die ein gemeines französisches Recht
zugeben, verwerfen wenigstens für den Norden Frankreichs das römische
Recht: aber sie hatten doch überlegen müssen, dass nicht nur in der
Rechtswissenschaft, als auch in den Ordonnances der spätem Zeit eine
gewisse Hinwendung zu dem römischen Recht nicht blos in der Richtung
der Systematisirung der Begriffe, als auch in der Ausfüllung der vom
Gewohnheitsrechte übrig gelassenen Lücken sichtbar werden musste, wie
dieses auch die Abfassung des Code civil bewiesen hat. Das Resultat ist
a) es gibt in Frankreich nur insofern ein gemeines Gewohnheitsrecht, als
man Paris zum Muster nimmt, was aber nicht allerorten anerkannt war,
sondern nur in der isla de France, was aber zur Zeit der Gesetzgebung
in und nach der Revolution anerkannt wurde; b) dieses gemeine Recht
befriedigt nicht alle Bedürfnisse des Lebens, schon weil es kein voll-
endetes System hat ; also muss in das römische und canonische Recht zu-
rückgegriffen werden 1) in das erstere wegen des Systems und der
Consequenzen, 2) in das andere, um eine Vermittlung römischer und
germanischer RechtssMze zu begründen. Also gab es znr Zeit der Re-
volution drei gemeine Rechte in Frankreich , jedes für seinen Kreis: a) das
Pariser Stadtrecht für die Gewohnheitsrechte, b) das römische Recht für
das System und insbesondere für die philosophische Lehre der Verbind-
lichkeiten, c) das canonische Recht für die Vermittelung des Systems und
der Materialien zu einem systematisch gemeinen Rechte der neueren
Welt. Leider ist der Verf. auf diesen Bildungsgang nicht aufmerksam
geworden.
Dieses führt uns nun zu der Beurtheitnng des dritten Bandes hin-
sichtlich der inneren Rechtsgetchicbte des Privatrechts. Der Verf. ist ia
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Schaffner: Geschichte der
Fran kreichs.
der Methode dieser Arbeit nicht mit sich einig geworden. Seine Sab-
jectiYittt in der Vergleichung des Gewohnheitsrechts mit dem römischen
in der Auffindung des Gewohnheitsrechts selbst als eioes all-
gemeinen, die in der That nicht besteht, in der Verwischung aller Gren-
zen bei der Periodisirong der Geschichte gibt so viel Zuverlässiges, dass
das Bach nicht einmal dasjenige ersetzt, was in den Institutionen des
Argou gerunden wird. Wir getrauen uns fast jeden Satz in seiner pri-
Yatrechtlichen Geschichte anzugreifen, zumal seine Abstraction nur aus
den Begriffen gemacht ist, die der Verfasser kannte, nicht aus denen,
die er noch hätte verstehen müssen. Auch in der französischen Rechts-
uns nur Monographien helfen, bei denen sich von
ein allgemeiner Blick Ober ganz Frankreich eröffnen wird, keines-
solche Werke mit allgemeiner abstrahlender Tendenz. Dennoch
wollen wir aoeh hier das Verdienstliche in der Arbeit des Verf. aner-
kennen , denn die encyclopädische Bedeutung lasst sich dem Werke
absprechen. Der vierte Band hat aber auch für diese eocyclopä-
inen Werth. Namentlich hatte der Verf. das Prineip
i , dass jeder Art. des Code civil seine eigene Geschichte
bat Wir wollen ihn daher zu einer neuen Arbeit auffordern: Er soll
sich bestreben, die historischen Quellen zu jedem Art. des Code darzu-
stellen, wobei er von seinen historischen Ansichten besseren Gebrauch
als wenn er eine allgemeine Rechtsgeschichte der Frao-
will. Er wird hier von drei Hauptrichtungen ausgehen
1) von den herrschenden Ansichten der Wissenschaft vor der
Revolution, Pothier u. s. w. ; 2) von den geltenden ordonnonces und
den die neue Zeit ergreifenden , bald zugelassenen , bald verworfenen Re-
i; 3) von dem Gewohnheitsrechte der Stadt Paris. Da«
auch dasjenige erst zur Einsicht kommen, was die
Revolution in der Umgestaltung des Privatrechts gewirkt und nicht ge-
wirkt bat. Was das Strafrecht und die Gerichtsverfassung betrifft, das
wir unberührt: in diesen Dingen besteht in der Gesammtwelt noch
eine Art von Revolution , deren Ende noch nicht vorauszusehen ist.
I
r » I
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*16 Höplher: Der Krieg von 1806 und 1807.
Der Krieg von 1806 und i807. Ein Beiträg zur Geschiente
der Preussischen Armee nach den Quellen desKriegs-
Archivs bearbeitet ton Eduard ton Höpfner, Oberst
aggr. dem Generalstabe. Erster Theil: Der Feld%ug von 1806.
}l 1 Erster Band. Vorrede VI S. 490. Zweiter Band. S. 396. Mit
Schlacht- und Gefechts - Plänen und Beilagen. 8. Berlin , i850.
\sOmvitsswn oet ocnropp.
• *
In dem Ii e kannten Griechischen Sprichwort: .Leiden und ler-
nen11! liegt ein tiefer Sinn, die häufige Unfrei Willigkeit der ge-
priesenen Wissenschaft; sie wird dem von Natnr trägen und hand-
werksmäßigen Menschengeist, etliche Aufnahmen abgerechnet, nur durch
Noth, Hissgriffe und IrrthUmer halbweges aufgezwängt und eingeimpft;
ohne vielfältige Lebenserfahrung gehet sie niemals in Blut und Saft über;
ihre eigentliche Weihe entspringt aus der unerbittlichen Selbstprü-
fung und Generalbeichte begangener Sünden; ihre Wurzeln bildet
mit einem andern Worte die geläuterte, der schalen, dogmatischen Re-
ceptirkunst entgegengesetzte, bescheidene Kritik. Dieses Gesetz gilt
auch von der Kriegskunst, dem Uberaus schwierigen Inbegriff viel-
facher, oft mechanischer Technik und entwickelter, auf einfache Regeln
zurückgehender Wissenschaft. Prüfende und zerlegende Betrachtung des
in That und Fluss gesetzten Heerwesens oder desFeldsugs bildet eine
ihrer fruchtbarsten und lehrreichsten Quellen, welche weder der Strateg
und Taktiker noch der politische, den Hergang der Staaten aufsu-
chende, Historiker übersehen darf. Für beide Richtungen, n am eullich die
streng kriegs wissenschaftliche Seite , füllt das vorliegende Werk eine
fühlbare Lücke aus. Es zeigt, auf gedruckte nnd handschriftliche Hülfs-
mittel gestützt, wie und warum der verhängnissvolle Feldzug des Jah-
res 1806 seine, mit dem tiefsten Fall der Preußischen Militärmo-
narchie endende Wendung nahm, erstrebt strenge Gerechtigkeit gegen
Peind nnd Freund und weiset in angehängten, generslisirenden Betrach-
tungen den Schlüssel der kriegerischen Begebenheiten uach; es behan-
delt den Gegenstand , wie bei den Griechen mit allerdings höherer Kunst-
fertigkeit Polybios, pragmatisch. Diese Arbeil ist daneben auch voll-
kommen zeit gemäss; denn theils befindet man sich an einem Wen-
depunkt, welcher Uber kurz oder lang zu grössern Heeresopera-
tionen führen kann, theils gingen und gehen über die fragliche
Katastrophe oft seltsame, abentheuerlichsle Urt heile und Ansichten um.
Nur zu oft wurde in Bausch und Bogen alles, was der altpreussi-
Höpfner: Der Krieg von 180Ö und 1807.
217
sehen Armee angehörte, als wurmstichig Über dem Knie abgeurtheilt,
selbst die Tapferkeit unbedingt in Frage gestellt, dagegen der Wi-
dersacher masslos, häufig nur nach dem Erfolg und ohne Ken ntniss seiner
Einrichtungen gepriesen. Das bekannte Witzwort Börne'*: „nicht
Preusseu, sondern Friedrich der Grosse wurde bei Jena und
Auers iü dt besiegt", fand bei dem lesenden, oft kopflosen Kultur-
michel, dem reinen Zeitungs- und Broschürenpublikum, unendlichen
Beifall; man bekümmerte sich nicht um weitern Aufscbluss. Und dennoch
liegt in dem humoristischen Wort in so fern einige Wahrheit, als der
grosse König den Fortschritt gegenüber seinen Verhältnissen ver-
körpert und diese Bedingung der Wohlfahrt Erben hinterliess, welche sie
im Heere und Staatswesen keineswegs immer pflichtmässig eingeualleo
haben. „Denke Er nicht, sagte der königliche Greis zum Lieblings-
schüler Büchel, ich habe immer so auf dem Lehnstubl geses-
sen und gerufen: „Ehre komm' her! Hier liegt der König
von Preusseu!" Ne , sieht Er wol, ich habe mir den Wind um
die Nase wehen lassen/*) — Indem mau diese Regel des per-
sönlichen Schadens und Besserns verabsäumte, blieben die Formen ste-
hen; der belebende Geist aber entfloh; dem Ganzen, dessen einzelne
Glieder oft gesund und tüchtig waren, entwichen Seele und ordnende
Uebersicht; es versagte im kritischen Augenblick gegenüber neuen, un-
bekannt gebliebenen Fortschritten und Erfindungen den Dienst, ja, brach
in Folge plötzlich heraufbesebworner Stürme schmählich zusammen. Diess
geschah um so unaufhaltsamer, je weniger der politische Zustand den
Bedürfnissen uud Mahnungen der Gegenwart entsprach und alles mied,
was durch Kraft und staatsbürgerliche Rechte in den getrennten Provin-
zen das Bewusstaein geeinigter Volkstümlichkeit wecken und be-
festigen konnte; man ahnete nicht die Gefahren der staatlichen und mi-
litärischen Verknöcherung und that nichts, ihr gehörig durch zweck-
mässige Reformen za begegnen. Mit vollem Grund wird daher in dem
Vorwort (S. 5) bemerkt: „So wie der Krieg von 1806 in seinem Aus-
gange das Produkt der vergangenen Zeit, so der Krieg von 1813 der
Jahre von 1807 bis 1812. Gott gebe, dass unserm Vatertande die
siegreichen Schlachten der Freiheitskriege nie das werden, was der sie-
benjährige Krieg der alten Armee geworden ist. Die kriegerischen Epi-
soden der Jahre 1848 und 1849, die nur schw floh liehe Feinde
•) Philipp von Büchels militärische Biographie. Von de la Motte
Fouqu*. I, 38.
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318 Höpfncr: Der Krieg von 1806 und 1607.
gegenüber zeigten, können uns wohl nicht zur Sicherheit verführen." —
Der Verfasser, dessen unbefangener Bhck schon in diesen Worten her-
vortritt und sich durch strenge Unparteilichkeit Uberall beurkundet,
schildert zuerst in der gedrängten Einleitung (S. 9—45) den allge-
meinen politisch -diplomatischen Gang der Ereignisse und wie
sie gemach zum Bruch mit Prankreich heranreiften. Es wird dabei
mit Recht, jedoch ohne hinlängliche Bestimmtheit, ausgegangen von dem
Basler Separatfrieden (5. April 1795) und dem Neutralit« tsver-
trag (17. Mai) als Grundlagen der folgeoden, von Preussen beob-
achteten und erst ganz zuletzt aurgegebenen Sonderbundspolitik.
Ihr Schöpfer und Pfleger war der, bisweilen über Geböhr herabgesetzte,
Jedoch von dem Wunsch des Königs getragene Graf Haugwitz. „La
neutralite fut Pouvrage de Haugwitz, sa gloire, son enfant che>iu, heisst
es in einem halb officielleo Aufsatz der Minerva. Die guten und
schlimmen Früchte des mit Geschicklichkeit und Ausdauer fest-
gehaltenen Princips, welches Frieden und Wohlstand, aber auch
Eigennutz, Erschlaff ung und verblendete Sorglosigkeit brachte,
werden darauf hervorgehoben und mit den gleichartigen, vielfaeh ent-
scheidenden Grundsätzen des Regensburger Kcichsdeputationsge-
schafts (1803) in Verbindung gesetzt. Diess geschieht natürlich zu-
nächst in Bezug auf die neuen Territorialverhältnisse Prenssens
und nur in flüchtigen Umrissen. Jedoch konnte dabei immerhin die Frage
scharfer hervorgehoben werden, warum und wie? Frankreich und
Russland in die innern Angelegenheiten Teutschlands verwickelt
wurden. Die Eifersucht der beiden Hauptstaaten zog den beobach-
tenden Fremden gleichsam bei den Haaren auf die heimische Bühne und
gab ihm Gelegenheit , seinen Ehrgeiz abzukühlen. Wie wenig aber tbeuer
bezahlte Erfahrungen und Missgriffe bessern oder belehren, zeigt die
jüngste Geschichte, welche nicht eher den scheelsüchtigen Gegensatz
ruhen liest, als bis sich der östliche Nachbar einmengte und War-
schau zum Sitz der Vereinbarungspraxis wählte. Denn man
wollte es ja so haben.*) — Das erste, ziemlich ausführliche Kapitel
*) Diese Stellung ruhet auf dem frühern Off- und Defensivbflnd-
niss, welches unter dem Namen der heiligen Allianz gestiftet und im
G ruucJ g t\ ig tu b 1 s Hiii^orCtifKii^t ^ nun vc r 1 3 ^ t \% u r tl » fcj i ii u n Iii ftss ^ c l) 1 1 1 Ii c r
obachter der Zeitereignisse schrieb daher in seinem Glossenbüchlein bereite am
17. September folgende Bemerkungen nieder. „Das grosse Concert. — Alle
Welt ist gespannt, das Entree bezahlt, das Publikum ungeduldig, das Orchester
versammelt, aber still. Warum? Es wartet auf den Contrebassisten. Mit
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Höpfncr: Der Krieg von 1806 und 1807. 219
beschreibt die geg enseitig en Streitkräfte (8. 45— 197) and das
Wesen der Prcussiichen und Französischen Armeeverfassung.
Diess ist eine sehr schützenswerthe, ans bisher zerstreuten, theilweise
unbekannten Quellen und Nachrichten hervorgegangene militärisch-
statistische Uebersicht, welche kein Leser ohne Belehrung aus der
Hand legen wird. Schon das Zahlverbaltniss bietet einen bedeutenden
Abstand dar, indem Prenssen 1806 an Feld- und Garnisontruppen für
den Krieg 6915 Offiziere, 247,724 Kombattanten, Frankreich da-
gegen ohne den Rheinbund und die Holländer (etwa 80 — 90,000 Mann)
560,200 Soldaten besass, nicht gerechnet den Generalstab, die Gensdar-
merie u. s. w. Noch mehr hatte die kaiserliche Armee dadurch
voraas, dass sie grundsätzlich keine Ansprüche der Geburt und ähn-
licher Verhältnisse berücksichtigte, für die Militiirpflichtigkeit (Konscrip-
tion) keine ständische korporative Ausnahme duldete, die Ver-
pflegung nicht auf Magazine, sondern auf freilich drückende R e-
qaisitionen im feindlichen oder verbündeten Lande anwies, durch
Feldzöge und Zusammenziehung in grosse Lager, besonders im Jahr
1805, die Mannszucht befestigte und die Schlagfertigkeit nach allen Rich-
tungen erhöhete, die, in den Revolutionskriegen gewonnene Massen-
oder Kolonnentaktik der alten, zu einseitig angewandten Linear-
taktik mit Glück entgegenstellte, Leichtigkeit der Bewegungen nnd
Starke des Anpralls zu verknüpfen trachtete, auf die Bildung desGenie-
eorps und des Generaistabs einer- des leichten Fussvolks anderer-
seits die gehörige Sorgfalt verwandte, geleistete Dienste auf dem Schlacht-
felde glänzend belohnte, stattliche Invalidenhit user besass und trotz des
imperatorischen, einheitlichen Oberbefehls eine Art demokrati-
scher Kraft im Anfrücken handhabte, endlich für Agenten nnd
Späher keine Geldsummen sparte. Napoleon kannte daher, was hier
versehwiegen wird , die Plane und Oertlichkaiten seiner Feinde , auch der
Preossen, im Ganzen sehr genau. Sein Soldat war dabei gnt geklei-
det, bewaffnet und genährt, Vorzüge, welche den Erben Friedrichs
bei der Unendlichkeit des Gepäcks, der Knauserei nnd schwerfälligen Un-
der Ankunft des Russischen Kaisers in Warschau wird das Concert beginnen,
etwa gegen Ende Septembers; das erste Stück spielt in Schleswig-Hol-
stein, das zweite tu Frankfurt a. M. in Betreff des Bundestages, das dritte
in der Schweiz auf diplomatische Art gegenüber Neuenburg, und das
vierte wird einstweilen in Betreff Frankreichs vertagt, jedoch nicht auf-
gegeben."
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m Höpfner: Der Krieg von 1806 und 1807.
Ordnung des Magazinwesens meistens abgingen. Der P reo sei sehe
Krieger stand dagegen nicht nach an Tapferkeit, Mannszucht, Manövrir-
fähigkeit; seine Reiterei übertraf die feindliche an Kraft und Gewandt-
heit, seine Artillerie war gut, aber nicht hinlänglich zahlreich, sein Fuss-
volk kaltblütig, an den Bajonettangriff nach etlichen Salven gewohnt und
rasch von Schritt wie Bewegungen; aber eine Hauptgattung, die leichte
Infanterie, fehlte entweder ganz oder trat nur in etlichen Bataillonen
der Buchsenjfiger und Scharfschützen hervor. Als ein Hauptgebrechen
muss man neben dem ungeheuren, fast orientalischen T r o s s die vielfache
Zusammensetzung der Armee aus Fremden, oft aus Abenteu-
rern, betrachten. Die etalsmiissige Zahl derselben betrug 80,993 Mann
(S. 68), wie man sich dessbalb im Felde eben so sehr gegen Deser-
tionen wie gegen den Feind sichern musste. „Denn die Mehrheit der
Ausländer, beisst es, bestand aus Abenteurern oder Strolchen, welche
von einer Armee zur andern zogen, viel gesehen, viel erfahren hatten,
aber nur nicht was Treue, Zucht und Gehorsam war." (S. 72.J Für die
Eingebornen gelten dagegen zuwider aller Vernunft und Billigkeit
ausserordentlich viele Ausnahmen, welche UieiJs Geburt, theiis Be-
ruf und Vermögen brachteu. Der Adel war persönlich befreit ; un-
bedingt eximirt erschienen die Besitzer adeliger Güter, welche 12,000
Thaler und darüber an Werth hatten ferner , die im Staatsdienst stehen-
den CiviJbeamten , die Söhne der Räthe und expedirenden Secretärs bei
den Landeskollegien, der Konsistorialrälhe und Universittftsprofessoren,
einzelne Städte und ganze Bezirke durch besondere Privilegien, z.B. Ber-
lin, Breslau, das Schleiche Gebirge, das Herzogthum Kleve und Ost-
friesland. Bedingte Ausnahmen galten für die Söhne der Aerste, Pre-
diger, böhern Schulbedieuten, Generalpachler und solcher Kaufleute, welche
jährlich 5,000 Tbaler und darüber in ihrem Geschäfte umsetzten u. s. w.
Mach dem amtlichen Verzeicbniss bestanden 1,197,431 kanton (milittr-)
Pflichtige Feuerstellen mit 3.320.122 kantonpfliebtiaeu männlichen Seelen ;
aber das Verhältnis der wirklich Diensttuenden zu den Dienstfähigen
gestaltete sich bei den unendlicheu Ausnahmen wie 1:7. — Desshalb war
es auch schwer, eine allgemeine, der durchgreifenden Wehrpflicht ge-
wöhnlich verbundene Vaterlandsliebe zu entwickeln-, man hing in der
Armee wie in dem Volk von dem Fleck der Geburt, dem Kreise oder
Bezirk ab und schämte sich bei einbrechendem Unglück nicht, um des
kleinen Stückes oder Lappens willen dem grossen Ganzen den Rücken zu
wenden. — „Die Trümmer unserer Macht, urtheilte daher Massen-
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Höpfncr: Der Krieg von 180€ und 1807.
bach*), werden sich nie wieder zusammenfügen , wenn nicht eine
Staatsverfassung gestiftet wird, deren Schlußstein das feste Ver-
trauen de« Königs zu seinem Volke, und des Volkes zu seinem Könige
ist; eine Staatsverfassung, welche, indem sie Talente entwickelt, nur Ta-
lente belohnt ; eine Staatsverfassung endlich , welche der Theorie der po-
litischen Welt so nahe kommt, als nur immer die Ausführung der Idee
kommen kann!" — Das zweite Kapitel beschreibt die ersten Anord-
nungen Prenssens zum Kriege; es machte, uneingedenk der na-
benden Gefahren, mit Einschlnss von 19,000 Sachsen , nur 150,000 Hann
mobil, verabredete nichts Uber etwanigen Rückzug und armirte, Mag-
deburg ausgenommen, keine Festung. Alles geschah wie in Anwan-
delllog eines verblendenden Fatnms tumultuarisch, plan - und kopflos. Das
dritte Kapitel verfolgt die langsamen und hänflg ungewissen Bewegungen
der Prenssen bis an den Nordfuss des Thüringer Waldes.
(S. 117 — 191.) Dabei werden die eingreifenden Persönlichkeiten mit
Benatzung einer handschriftlichen Arbeit des Generals Clause witz aus-
führlich and in der Regel treffend geschildert Hier und da möchte man
jedoch Einsprache erheben dürfen, indem die Züge bald zu unvollständig,
bald zu pikant ausfallen. Der 71 jährige Herzog Karl von Braunschweig
war allerdings trotz der Kriegskunde und des gesunden Urtheils aus Man-
gel an frischer, entschlussfähiger Kraft für den offensiven Oberbefehl
nicht sehr geeignet , aber sein Harjptmissgeschick bildeten der gleichzeitig
wirksame, vom König präsidirte Kriegsrath und die Anwesenheit einer
Französischen Freundin , welche offenbar die Schwächen und Plane des
alten Herrn belauerte und für die Landsleute benutzte. (S. von Henkefs
Erinnerungen S. 43. Jahrbücher 1847 Nr. 22.) „Der Fürst, bemerkt
Massenbach, (S. 102. II.) besass die Scharfsieh i eines guten, aber den
kraftlosen Willen eines mittelmässigen Kopfes. Er konnte von sich
sagen: Video meliora proboque, deteriora sequor." — Oberst Scharn-
horst, Chef des herzoglichen Generalstabs, ist zu kurz und zu flüchtig
behandelt, denn dass man von dem Cbarakterbilde etwas lernen könnte.
Es ist ein stiller, abgeschlossener Mann, dessen Tiefe und Bedeutung dem
alten , fertigen und geräuschvollen Militärstaale entgehen musste. Es wurde
ihm desshalb Unklarheit, wie auch der Verfasser meint, nicht ohne Grund
vorgeworfen. Eine angemessene Biographie fehlt; Beiträge dazu geben
i
*) Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preussischen Staats.
0, 2, 122.
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223 Höpfner: Der Krieg von 1806 und 1809.
£. M. Arndt, Rahden und Min u toi i in der Schrift über Friedrich
'Wilhelm III. Den ersten, bisher Übersehenen Aufsulz, welchen Scharn-
horst als Hannoverscher Fähndrich den Mililäranstalten des Grafen von
Schaumburg - Lippe widmete, lieferte Schlüter (X. Heft 53.
S. 93 sqq.). An eine geordnete Landwehr dachte schoo der erwähnte
Lehrmeister, dessen berühmter Zögling, scheint es, den Plan weiter aus-
bildete und praktisch anwandle. — Dem 59jährigen Fürsten von Ho-
henlohe, einem lebendigen, gemUthlichen , tapfern und von Natur
eigentlich auch gehorsamen Soldaten, wird bei mittelmässigen Gaben eis
xu hoch fliegender Ehrgeiz vorgehallen. Sein Hauptfehler lag wohl ia
der zu grossen Abhängigkeit vom Generalstabschef , dem Obristen von
Massenbach, einem mehr politischen denn feldherrlichen Geiste. Der-
selbe lebte seit Jahren in der Idee eines festen Bündnisses zwischen
Frankreich und Preussen, welches vom Niemen bis an den Rhein
die leitende Spitze eines mächtigen Föderativstaates bilden und sich
müsse. Den Krieg mit Napoleon hielt er daher, auch wenn man ihn
besser vorbereitet hätte, für eine ungeheure Thorheit und deu nächsten
Schritt zum Untergang. Unklarheit besass er jedoch, wenn seine noch
vorhandenen Denkwürdigkeiten als Massstab dienen sollen, keineswegs;
überall sind die Sachen und Verbältnisse in scharfen , bestimmten Umrissen
dargestellt, oft nicht ohne bedeutende Wahrheit und richtiges Urtheil.
Die angeborne und gepflegte Lust am Theoretisiren und Räsonnireo
tritt aber auch hier wie im Hauptquartier hervor. — Der 52 jährige Ge-
perallieutenant von Rüchel, tapfer, eitel, ehrgeizig, beredt, in dem
unbedingten Preussenthum Friedrichs II. und seiner Schule fest-
gerannt, wäre „hei grösserer Einfachheit ein sehr tüchtiger Führer ge-
worden, doch zur Leitung einer Armee eignete er sich nicht. a — Der
81jährige Feldmarschall von Möllendorf hatte zwar noch einen un-
geschwächten Körper, aber keinen entschlussfähigen Schwung des Geistes,
welcher verkümmert und geschmeidig in kritischen Augenblicken hin und
her schwankte. Der General rhu II, wie Mass enb ach ein Wirtem-
berger, „hatte in der Armee den Ruf von Genialität, beim Könige war
er aber in dem Verdacht grosser Verschrobenheit, und nicht mit Un-
recht." (S. 154) — Der Obrist Kleist (später Graf von Nollendorf),
»eiliger General- Adjutant, „verstand es nicht, seine bedeutende Stelle
auszufüllen und eine entscheidende Stimme zu gewinnen, wozu er mit der
Autorität des Königs im Hintergrunde eigentlich berufen gewesen wäre.14
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Höpmer: Der Krieg von 1806 und 1807.
— Den 70 Jührden, tüchtigen General von Kalkreuth halte die viel*
leicht unkluge Ernennung jüngerer Waffeugefänrten , z. B. Rüche Pf ,
zu selbständigen Kommandos mit so tiefem Ingrimm erfüllt, dass dafür
Worte und Theten zeugten. — Das vierte Kapitel beschreibt die Rü-
stungen und einleitenden Bewegungen der Franzosen
mm Kriege. Sie eröffneten gegenüber dem 128,000 Mann starken
Preassischen Operationsheer den Feldzug mit etwa 200,000 Mann und
gingen sogleich na einem eben so umfassenden als kühnen A n griff Uber,
welcher dnrcb die Besetzung Naumburgs (12. Öctbr.) und der Saalpässe
die linke Flanke des Feindes gefahrvoll bedrohete. Nachdem das fünfte
Kapitel die rathlosen Berathungen in Erfurt geschildert hat , wer-
den in den folgenden Abschnitten (6 — 9) die beiderseitigen Bewe-
gungen und Voranstalten zu den entscheidenden Schlachten bei
Jena und Auerstiidt (14. October) wie diese selber ausführlich be-
schrieben. Der Verfasser hält dabei den rein militärischen Standpunkt fest
und übergeht wohl absichtlich einzelne Züge heldenmüthiger Hingebung.
Dahin gehört z. B. das Benehmen eines 15 jährigen Knaben. „Als, mel-
det Maasen back (II, 155.), daa Schicksal des Tages (bei Jena) auf
dem Wendepunkt stand, als der Feldherr (Hohenlohe) hersprengte, die
Ordnung eines weichenden Bataillons herzustellen: da begleitete ihn auch
der fünfzehnjährige Eberhard, Sohn des Majors, als Ordonnanzoffizier.
Der Jüngling erblickt den zurückweichenden Fahnenjunker, enlreisst ihm
das Panier und ruft: „Mir dieses Ehrenzeichen, Dir die Schande! Auf
mich sehet, Bursche! Hier ist Bure Fahne. Ihr folgt!" — Und so trug •
er die Fahne in die Linie zurück." — Lehrreiche, strategisch-tak-
tische Betrachtungen des zehnten Kapitels beachliessen den ersten Band.
„Der Charakter in den meisten neuern, namentlich von Napoleon ge-
lieferten Schlachten, heisst es neben anderm (S. 480), besteht in dem
langsamen Verzehren der Kräfte, um den letzten Stoss zu tbun , wenn der
Gegner mit seinen Kräften fertig ist, so dass die geringste frische Trup-
penmacht ausreicht, um die erschütterten, gelichteten Massen des Gegners
zu zertrümmern. Bei diesem successiven Gebrauch der Streitkräfte bleibt
aber immer die Grundbedingung, dass der letzte Akt, die Entscheidung,
mit dem Akt der Einleitung und Entwicklung des Gefechts, ein Ganzes
bilde, dass man die Truppen, welche man zur Beschäftigung des Fein-
des u. s. w. verwendet, nicht schlagen, nicht aufreiben las st, bevor die
frischen Truppen auftreten konnten. Diese Grundbedingungen fehlten in
der Schlacht bei Jena preussischer Seit» vollständig, und zeigt dieselbe
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224
Höpfner: Der Krieg von 1806 und 1807.
daher statt eines successiven Gebrauchs der Streitkräfte, ein Gefecht
mit vereinzelten Truppen." — Bd Auers tu dt erfolgte das Unglück
Der Verfasser drückt diesen Gedanken also aos: „Preussiscber Seite
fehlte der Uebergang aus der Marsch-Disposition ton Schlacht-
plan völlig. Niemand wusste was iu thun war; die Truppen gingen
ins Gefecht, ohne zu wissen, was man wollte und sollte." (S. 485.}
Der »weite Band beendigt in den Kapiteln eilf bis zwanzig die Kriegs-
geschichte des Jahres 1806 und erläutert das Dargestellte bin und wie-
der durch Betrachtungen (Kap. 17}. Die Gefechte bei Halle (17. Oc-
tober) und Lab eck (6. Nor.), wo Blücher den Preussucheu Waf-
fenruhm behauptet, und die Kapitulation von Prem lau (28. October)
werden mit besonderer Sorgfalt und Klarheit geschildert. Das letzte Er-
eigoiss, an Saratoga mahnend, bekommt manche, bisher unbekannt ge-
bliebene Aufklärung; der Fürst von Hohenlohe erscheint im Ganzen
ehrenhaft wie Burgoyne am Hudsonfluss; durch Fehlgriffe nnd Missge-
schicke verwickelt, hat er nur die Wahl «wischen Uebergabe und Tod,
sei es, dass ihn die Schlacht oder der Rückzug auf die meistens verlegte
Strasse gen Stettin bereitet;' persönlich willig für das Aeosserste findet
er keinen bestimmten oder mannhaften Entschluss in dem versammelten
Kriegsrath, welcher nichts bietet als dumpfes Stillschweigen. Eine ein*
sige Gegenäusserung würde gezündet und den Pfad gefahr - jedoeb ruhm-
voller Bbre geöffnet und trotz der allgemeinen Erschöpfung dem Soldaten
Kran des Widerslandes gegeben haben. Weil sieh aber Niemand in dem
kritischen Augenblick regte, ging der Kapitulationsantrag durch; etwa
10,000 Mann, 1800 Pferde und 60 Geschütze kamen iu die Gewalt des
schlauen Feindes. Dieser wusste vielfach seine Starke in dem vorange-
gangenen Gesprächen zu überschätzen und bis auf 100,000 Mann zu
steigern,
(Schlusi folgt.)
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fr. 15. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Hftpfuert Der Krle* von tSOG und 1SOY.
(Schluss.)
Der Fürst und der Grossherzog von Berg, heisst es, (S. 188)
r.Ueu bei Seite (vor der Stadt Prenzlau). Der Grossherzog wendete
Alles ao, um den Pürsten von der Misslichkeit seiner Lage zu überzeu-
gen, uod äusserte zn verschiedenen Malen, wie man hören konnte: „Je
Yoos donne ma parole d'booneur que Vous ötes cerne par 100,000 hom-
mes", und bezeichnete sehr lebhaft gestikulirend mit den Hinden die
verschiedenen Gegenden, wo die ganze französische Armee stehen sollte:
»Voll« le corps du marechal Lennes! — Voilä le corps du marechal
Beroadotte! — Voila le corps da marechal Soult! et je me trouve
ici arec — " mit wer weiss wie viel tausend Mann. Der Fürst ritt
zurück und besprach sich mit mehreren Generalen, kehrte dann, als die
FraBzosen ungedoldig wurden, zum Grossherzog von Berg zurück; viele
Offiziere schlugen inzwischen allein und mit Kommandos den Weg nach
Lockeflitz ein und entkamen glücklich nach Stettin. Es kamen nunmehr
die Bedingungen zur Sprache, als während der Unterredung dicht hinter
der Anhöbe, welche die Redenden hinter sich hatten, eine mächtige
Dampfkugel aufstieg. Man fragte sich, was das sei? worauf ein Fran-
zose rief: „An, voila le signal du marechal Soult, qui nous annonce,
qtfl est arrive sur Votre chemin et qu'il Vous a coupe* Votre re*traite.u
Es war jene Dampfkugel nichts anderes als ein preussischer Pulverkasten,
der durch Zufall ohne bedeutenden Knall in die Luft geflogen war; der
Franzose war nur schlau genug gewesen, diess für seinen Vortheil zu
beoolzen" u. s. w. — Wie man sich aber bei besserer Fassung immer-
hin, wenn auch mit grossem Verlust durchschlagen konnte, zeigte der
Prinz August, Bruder des bei Saalfeld gefallenen Ludwig Fer-
dinand. Er leistete, von seinem Adjutanten, dem später berühmt ge-
wordenen General Claus ewitz unterstützt, mit den Trümmern einea
Grenadierbataillons nördlich von Prenzlau bei Ellingen den hartnäckigsten
Widerstand , schlug mehre Angriffe der feindlichen , 2000 Pferde starken
Reiterei ab und kapitnlirte nicht eher, als bis seine 250 Leute meistens
teschotten, verwundet oder in die Sümpfe getrieben waren. Napoleon
XUY. Jahrg. 2. Doppelheft. 15
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226 Höpfncr: Der Krieg von 180« und 1807.
• •
nahm den jungen Mann in Berlin mit grosser Achtang auf und erlaubte
ihm, aich von seinen Wunden bei den Eltern heilen zu lassen; jedoch
dürfe er keinen Briefwechsel führen und müsse sich aller Reden enlbal-
ien. *uo i — 1/98 leiAie , zwanzigste i\a|iiici Bcniiui?! 1 5 ineiinciBO
nach ungedruckten Quellen, die fruchtlosen Waffenstillstands-Un-
terhandlungen zu Cliarlollenburg. Es ist zu wünschen, dass der
Herr Verfasser bald den zweiten Theil seines lehrreichen Werkes liefern
und den Feldzug des Jahres 1807 erläutern möge. Derartige, wenn
auch streng militärische Schriften kommen auch der allgemeinen Ge-
schichte und dem grössern, wahrhaft gebildeten Publikum zu gate.
18. Dec.
Geschichte des sogenannten Tugend - Bundes oder des sittlich - wissen-
schaftlichen Vereins. Nach den Original- Acten ton Johannes
Voigt. Berlin , Decker' sehe Ober-Hofbuchdruckerei. 1850, IL
Vorrede. 120 S. 8. N
Die oft besprochene, bald zu boch, bald zu niedrig angeschlagene
Verbindung der Tugendfreunde wird hier von einem anerkannt tüch-
tigen , gewissenhaften Historiker und unmittelbaren Zeitgenossen das erste-
mal nach den Urkunden geprüft und dargestellt. Viele Vorurtbeile und
Täuschungen zerrinnen sofort bei dem Lichte der Kritik; die von Etlichen
gepriesene, von Andern verunglimpfte Gesellschaft erscheint, auf ihr ge-
ichichtüches Maass zurückgeführt, eis der harmlose Verein vaterländisch
gesinnter, gemeinnUUüch wirkender Männer ohne grossartige, militä-
risch-politische Richtung. Dieses freilich nüchterne, den gewöhn-
lichen Ansichten widerstrebende Endergebniss wird in sechs Abschnitten
dem Leser vorgeführt. Zuerst wird die Entstehung des Vereina eis
Frucht der über Preussen und Teutschland ergangenen , jüngsten
Stürme und beispiellosen Leiden behandelt, der OberGskal Mos qua zu
Königsberg als Finder des leitenden Gedankens bezeichnet. „Nur in der
jnoern, sittlichen Erhebung, in der Wiedererweckung, Stärkung and Be-
währung vaterländischer Tugenden, in der thatkriifligen Wirksamkeit ächt-
patriotischer Gesinnung, glaubte der wackere Mann, müsse die abhaltende
Scbwuogkraft gefunden werden , die das zur fremdherrlichen Dienslbarkeit
entwürdigte Vaterland zur alten Grösse, den tief erniedrigten Thron zu
seinem frühem Glänze wieder emporbringen könne." (S. 3} Die Re-
gierung, unier Steins kräftige and umsichtige Reformhand gestellt,
Voigt: Geschichte des Tugend-Bundes.
bestätigte nach mehrmonatlichem Stillschweigen den Verein für die Aus-
übung öffentlicher Tugenden oder die sittlich- wissen-
schaftliche Gesellschart; jedoch sollte er sich, wie der königliche
Cabinets - Bescheid vom 30. Junias 1808 lautete, ganz in den Grunzen
der Landesgesetie und ohne alle Einmischung in Politik und Staatsver-
waltung beschäftigen, jede Ausartung bei Strafe sofortiger Endschaft
meiden nnd jetzt wie vierteljährig eine Liste seiner Mitglieder einreichen.
(S. 14) — Unter diesen zeichneten sich durch Thatigkeit für die Zwecke
besonders ans der Professor Lehmann in Königsberg, Krug ebenda-
selbst und spater in Leipzig, der Sud-Preussiscbe Justiz- Assessor Heinrich
Bardeleben ans Prenzlau, Verfasser der wirksamen Schrift: „Preos-
sens Zukunft-, der Rittmeister von Dörenberg, der Major von Grol-
■ ii (nachmals General der Infanterie), der Major von Boyeo (nach-
mals Kriegsminister), der Major Prinz Hermann von Hoheniollern-
Hecbingen, der Major Ferdinand von Schill, zu Kolberg aufgenom-
men, der Herzog von Holstein-Beok, die Hauptleute von T h i I e und
von .Ingersleben (spater Oberpräsident am Rhein), Staatsrath von
Ribbeutropp u. s. w. Dagegen suchte mau Stein, Gneisenau,
Scharnhorst, Hüllmano, Schleiermacher n- s. w. umsonst zu
gewinnen, fand überhaupt nicht mehr als 334 meistens in Preussen,
Schlesien, Pommern wohnhafte Mitglieder. Die ursprüngliche Verfassung
und innere Organisation war einfach, aber auch mangelhaft; später, seit
dem Herbst 1 809 , wurde sie sehr künstlich und erstickte gerade dadurch
den belebenden Geist. Obenan stand der Königsberger Stamm verein
als Centraibehörde mit dem hoben Rath und dem Obercensor;
dann folgten Zweigvereine mit Provinzialrätben und Cen-
loreo, darauf Kammern, auf bestimmte Geschäfts thatigkeit angewiesen,
z. B. Erziehung, zuletzt Frei vereine, welche namentlich das Landvolk
für die Absichten der Gesellschaft ergreifen und vorbereiten sollten. Ein
besonderes Augenmerk hatte man auf die kriegerische Ausbildung;
denn neben den gewöhnlichen, für die Stärke nnd Gewandtheit des Lei-
bes bestimmten Uebungeu, wie Laufen, Springen, Werfen, Schiessen,
Schwimmen u. s. w. sollte das sogenannte Mi Ii tä r- Ins ti t u t tbeils „ge-
meinschaftlich die Kriegswissenscbaft nach ihrem ganzen Umfange zu er-
gründen trachten, tbeils einwirken sowohl auf Fortbildung junger Offiziere
in Wissenschaft und Sittlichkeit, als auch auf den gemeinen Soldaten, fttr
welchen man einen vollständigen Unterricht über seine Pflichten auszu-
arbeiten habe." (S. 68.) Offenbar war es daher trotz des gemeinnützi-
gen und philantropischen Gepränges für die eigenllicben Leiter des Veretna
15*
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Voigt: Geschichte des Tugend-Bundes.
Hauptabsicht die ..Wiedergewinnung der physischen und politischen Kraft des
»Staats vorzubereiten, wenn einst Umstände eintreten sollten, die eine solche
Wiedergewinnung begünstigten." Aber eben desshnlb wurde der Zweck,
welcher zunächst eine feindselige Stellung zu Frankreich enthielt,
weder in den Statuten noch sonstwo ausgesprochen, vielmehr stillschwei-
gend festgehalten und verfolgt. Die Gesellschaft hatte insofern allerdings
in ihren ursprünglichen Bestrebungen mittelbar eine patriotisch-
politische Tendenz, welche man aber spater ängstlich zu überkleistern
suchte und gerade dadurch den Verfall beschleunigte. (Vgl. Krug auf
8. 93.3 Dennoch machte die Sache bei der allgemeinen Erschlaffung and
Einschüchterung nur geringe Fortschritte; denn die Einen langweilten sich
bei der philanthropisch - gemeinnützigen Richtung, die Andern schreckte
die hier und da im Hintergrunde erblickte politische Tendenz ab. Umsonst
suchte daher der feurige und thätige Bardeleben durch allerlei pikante
Agilationsmittei in Berlin eine Hauptkammer zu stiften; die Gebildeten
merkten Unratli und die Masse hatte nur für rohe Aeusseriichkeiten Sinn.
„Dieses Volk, schrieb halb unmuthig der Apostel zurück, lasst sieb vor-
züglich bei Weissbier und Taback ergreifen und bearbeiten. Auch
in Frankfurt (an der Oder) wird mit Glück die Sache von dieser Seite
angefasst, da leider mit dem geistlichen Stande überall wenig anzufangen
ist.u (S. 28.) Die unglückliche, kühne Ausfahrt Schills brachte neue
Hemmnisse; denn der Major gehörte, obschon man ihn verleugnete , dem
Tugendbunde an ; eben so war sein Waffengefährte , Lieutenant Barsch,
ein tbitiges Mitglied gewesen, und auch der Graf von Krokow halte
sich, wie der Königsberger Stammverein artheilte und desshalb die Ge-
nannten feierlich ausstiess , der Conspiration schuldig gemacht.
(S. 91.) Fortan kränkelte die Gesellschaft sichtbarlich ; sie suchte hinter
einem papiernen Bollwerk künstlicher, auf allerlei Gemeinntttzlichkeit be-
rechneter Institutionen umsonst Trost und Schirm; der feurige, pa-
triotisch-aktive Geist, in der Mehrheit schon früher schwach, entfloh
oder suchte ausserhalb und unter der Hülle des Vereins für seine Zwecke
zu arbeiten. Jener selber stellte dagegen in den vielen schriftstellerischen
Arbeiten und Pianeu, den häufigen Sitzungen und mündlichen Vorträgen
das bescheidene, langweilige Bild der ordinärsten Gemeinnützlichkeit dar.
Die Gescbäftsabtheilun? für Wissenschaft and Kunst z, B. t heilte
sich zu Königsberg und anderswo in zwei Klassen; die eine sollte sich
tbätig beweisen durch „Einfluss auf die Deutsche Literatur im Allgemei-
nenu (dafür liess sieb, wie zur Ironie, nur ein Regiments - Chirurgus
einschreiben), die andere sich durch „Theilnahme an der nie erschienenen
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Voigt: Geschickte des Tngend-Bundes. 229
Zeitschrift: „Wiedergeburt der sittlichen Welt« betätigen (& 71). Am
meisten wirkten noch auf dem Lande die sogebeisseneo Freivereine
für die materielle und sittliche Wohlfahrt des Volks. Dennoch galt hier
und da die lächerlichste Geheimnissthuerei für offenbar unschuldige
Dinge. So verordnete eine besondere „Lokal-Gesetzgebung" für
die übrigens praktische und wirklich gemeinnützige Kammer in Brauns-
berg: „Stillschweigen, ausserhalb des Bundes, gegen Jedermann
ober das, was in demselben gesprochen, vorgeschlagen, gelesen oder
gethan wird, ist als erstes Gesetz proclamirt worden; selbst die Ehe-
frauen der unter uns verheirateten Mitglieder werden sich damit begnü-
gen, im Allgemeinen zu wissen, dass wir zu einem Männerbunde
geboren, der sich der Tugend und dem Valerlande weiht« (S. 76.)
Derartige Wichtigthuerei für ganz nützliche Debatten über Kartoffelbau,
Gewerblichkeit u. a. w. , wurde aber, von den Gegnern ausgebeutet oder
ins Lächerliche gezogen , auch ernsthaften , patriotischen Absichten mit der
Zeit schädlich, ja, gefahrvoll; streitbare, aaf wirklichen Widerstand ge-
richtete Persönlichkeiten traten entweder aus oder bedienten sieb der ge-
sellschaftlichen Formen und Verbindungen für höhere Zwecke als Kar-
ioffelbau und Entsumpfung wüster Moorgründe. Fremde und heimische
Agenten des Franzosenthums unterliessen es dabei nicht, mit den phi-
listerhaften Wichtigtuern welteifernd, die Tugendgesellschaft durch Zei-
tungsartikel und Angebereien als staatsgeführlich zu verdächtigen, und
edle, vorwartsstrebende Mitglieder erkannten allmählig die Unmöglichkeit,
durch gemeinnützige Philanthropie belebend und aufregend in die dumpfe
Masse einzugreifen. Die künstliche, seit Senil Ts Auftritt einge-
führte Organisation mit vorherrschender Gemeinnützlichkeit brachte daher
bald äusserlich dem sittlich - wissenschaftlichen Verein den Todesstreich;
er wnrde am 31. December 1809 durch königliches Cabinetsscbreiben
ohne alles öffentliche Aufsehen aurgelöst, die gesammte, weitsebichtige
Schreiberei abgeliefert und versiegelt, die Mitgliedschaft weder im Guten,
Doch im Bösen angerechnet und die Censurbehörde beauftragt, keine
Schriften und Aeusserungen Uber diese ganze Angelegenheit veröffentlichen
zu lassen. (S. 106.) — So starb der Tugendbund, nachdem er sich
seit 1809 auf eine zu breite, geräuschvolle Basis gestellt hatte, offi-
ziell; aber der patriotisch - militärisch - politische Gedanke, einmal an-
geregt, blieb aufrecht und unterhielt eiuen engern, wenn auch nicht auf
Statuten ruhenden , werkthätigen Bund , welchen weder die Franzosen noch
die Teutscben Cabinetsregieruogen tödten konnten. Denn der einmal ge-
gebene Anstoss wurde nicht durch den Auflösuugsbefehl erschüttert oder
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Voigt: Geschichte des Tugend-Bnnde*.
ganz gebrochen; »eise Wirk engen dauerten fort und führten einander
Gleichgesinnte zu, welche mit grösserer Thatkraft und geringerm Aufwand
an theoretischem Grübeln den gemeinsamen Feind bekämpften. Man nahm
ia die Gesellschaft auf ohne weitläufige , geschriebene Statuten , man han-
delte in ihrem Geiste ohne die oft lästigen und erschwerenden Abstufun-
gen and Beiwerke der innern Organisation; der Tugendbund wurde mit
einem Wort praktische Wahrheit. Allerdings hat er nicht den unmittel-
baren Anstoss zu der starken Freiheitsbewegung, welche namentlich in
Preussen und Nordteutschland dem Russischen Feldzuge des Jahres 1812
folgte, gegeben, aber doch vielfach und wesentlich die Gemtllher darauf
Torbereitet und gerüstet. Die Gesellschaft, ibrer papiernen, künstlichen
Verfassung ledig, wirkte nur desto freier; mit Grund fragte lange nach
dar Auflösung (14. Jun. 1810) der alte Uhu her naiv seinen Freund
Eisenbart: „a pro po wie stet es mit die Tugend- II ilter?tt*);
denn er wusste recht gut, dass sie nicht todt waren uud handelte in dem-
selben Sinne. Die etwanige Annahme, jene hier mitgetlieilteu Originalactea
hatten, wie der beliebte Ausdruck lautet, den Zeitgenossen eine patriotisch
historische Illusion geraubt, ist daher günzlich irrig; der Bond bestand
fort , aber ohne Papier und gemeinnützlicben Aushängeschild.
Es gibt noch lebende Zeugen, welche ihm angehört und für ihn gewor-
ben haben. Sie fühlen aber schwerlich Beruf, ein flatterhaftes Publikum
der lieben Neugier wegen mit allerlei Aufzeichnungen und patriotischen
Ergüssen zu behelligen und ihm seiue werklose Epigonenpolitik des ewi-
gen Negirens zu verkümmern oder neue Reichs- und Unionsphaatasieen
aufzufrischen.
*) Siehe von Dorow, Denkschriften und Briefe I, 61.
Morl ilaai.
Beitrag zur Kenntnis* der orographischen und geognostischen Beschaf-
fenheil der Nordwest - Küste Amerikas mit den anliegenden Inseln
ton Dr. C. Greving k. 8. 35t S. Mit 5 Karten und 4 Tafeln.'
St. Petersburg bei K. Kray; 1850.
Diese Mittheilongen , welche vorzugsweise die Russisch-Amerikani-
schen Colouieen behandeln, wurden veranlasst durch sehr reichhaltige
Sendungen, welche dar Akademie der Wissenschaften in St. Petersborg
aukamen.
Der Archipel der Aleoten, obwohl seit länger als einem Jahrhun-
hundert durch Schiffe der Russen und anderer Nationen befahren, ist
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Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas. 231
heutiges Tages nicht viel mehr gekonnt, als zur Zeit Cook*?. Die Ge-
fahren, die Mühseligkeiten anf Landreisen in jenen Gebenden sind zu
gross. So weiss man, dass ein Steuermann, im Jahre 1847 abge/chickt,
um das Land zwischen den Quellen des K op fe rf I uss es und des K u s-
kokwain zu untersuchen, mit zwei Russen und vier Aleuten von den
Kaloschen der Tundra erschlagen wurden. — Beim so äusserst Schwie-
rigen der Forschungen, bei der Wahrscheinlichkeit, dass sorgfältige Un-
tersuchungen Oberhaupt, besonders aber die genane orographiscbe und
geoguostische Kenntoiss des ganzen mächtigen Landstriches, wovon vor-
liegendes Werk handelt, nicht so bald erfolgen dürften, müssen die Mit—
tbeilungen des Verfassers dankbar aufgenommen werden. Im Bereiche der
sogenannten todten Natur verhalt es sich, wie man weiss, nicht so wie
in der Thier- und Pflanzenwelt. Ohne Selbst- Anschauung einer Gegend,
ja ohne vorliegende nähere Schilderung derselben, vermögen wir, nach
Musterslücken von Gesteinen und von fossilen Resten — (vorausgesetzt,
dass solche mit Sachkenntnis aufgenommen wurden} — gewisse allge-
meine Schlüsse zu ziehen. Hinsichtlich der Felsarten ist es nicht wie mit
Pflanzen und Thieren; sie bleiben sich gleich unter allen Himmelsstrichen.
Erfahrene Beobachter vermögen selbst, nach dem Physiognomiscben eines
Landes dessen geologischen Charakter einigermassen zu beurtheilen, und
umgekehrt aus der Gestein- Beschaffenheit manche Schlüsse zu wagen,
Über Berg - Gestaltung , Über Wasser- Verlheilung, Über Fruchtbarkeit u. s. w.
West-Hälfte Nordamerikas zwischen der Parallele
der Bai San Francisco und der Mündung des Stachiu, mit
den an der Küste gelegenen Inseln. (Hierzu die Karte „über
Gebirgs -Verbreitung in der westlichen Hälfte von Nordamerika41, und zum
Tbeil anch die Karten „Uber die Nordwest-Küste Amerikas und die anlie-
genden Inseln.4* Auf dieser Körte wurden die verschiedenen auftretenden
Fels-Gebilde durch Farben angegeben.) Von der nördlichen inneren Seite
der Bai San Francisco weiter nach N. sieht man die Fortsetzung des
Californischen Küsten-Gebirges in mehreren nicht bedeutenden
Höhenzügen, wovon der am rechten Sacramento-Ufer hin erstreckte
sich mit einer Gebirgs-Kelte vereinigt , die an der liuken Seite der Quel-
len des genannten Flusses vorhanden. Vom West -Abhang der Sierra
Nevada kommen die Gold führenden Nebenflüsse des Sacramento.
Mit den Winterbergen und der Cascade Range beginut das
eigentliche Columbische Gebirge. Die Gebiete des Columbia-
Stromes (Columbien) und des Fra-Flusses (Neu-Caledo-
nien) find darch physische Beschaffenheit streng von einander geschieden.
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233
Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
Der östliche Tbeil Columbiens hat ein meist freundliches und frucht-
bares Ansehen, und nur an der Küste mächtige düstere Tannenwälder
oder steppenarlige Ebenen. Der Columbia-Strom Iiiesst, nachdem
er die einengenden Felswände des Gebirges verlassen, in einer ausser«
ordentlich üppigen Gegend , wo auch Steinkohlen gefunden werden. Neu-
Caledonien dagegen ist von felsiger Beschaffenheit und von vulkani-
scher Natur. Die Küste längs des westlichen Theiles findet sich mit einer
Menge kleiner Eilande besetzt, deren felsige Gipfel meist mit Schnee
bedeckt erscheinen; in den Schluchten reichen Gletscher bis beinahe
ans Meer.
Insel Sitcha oder ßaraoow, von der nahe gelegenen Ad-
miralität*- oder Kuju-Insel im 0. durch den Chutsnow - Kanal
getrennt, wild und pittoresk. Von allen Seiten erbeben sieb, dieht am
Meere, hohe kegelförmige Berge mit steilen Gehängen und von tiefen
Schluchten durchfurcht. Die geologischen Untersuchungen auf Sitcha
waren bisher von geringem Erfolg. Bei Neu-Archangeljsk tritt
Grauwacke auf im Wechsel mit Thonschiefer.
Edgecumb- oder Krusow -Insel, nach dem, 2852,2 Par.
Fuss Uber den Meeresspiegel ansteigenden, erloschenen Vulkane St.
Lazaro oder Edgecumb benannt. An der Küste basaltische Lava,
stellenweise in Dolerit Ubergebend; die Blasenräume umschliessen Stilbit.
Vom Kegel des Edgecumb wird gesagt, dass er bus „thoniger
Schlacke" bestehe, mit Nestern und Adern von Pechstein.a
Tschitschagow-Insel, durch einen Meeresarm von Site La
geschieden. Grauwacke, Thonschiefer, Hornblende- Gestein und Serpentin
kommen vor.
Festland in der Parallele von Sitcha; Halbinsel
Tscbugatsk; KenaiskiscberMeerbusen; HalbinselAlaeksa.
Gegen Ende Septembers (1841) war es kalt und stürmisch bei
der Abfahrt von Sitcha. In der Nacht gefallener Schnee hatte das,
die Bergscbluchten ausfüllende grüne Eis zum Theil mit weisser Decke
bekleidet. Im Fahrwasser trieben Eismassen umher, die sieb von Glet-
schern abgelöst. Das Trostlose der Küste hat kaum seines Gleichen.
Glimmerschiefer sehr reich an Granaten steht zu Tag. — Die Berge an
der Küste vom Cap Spencer bis zur Mündung des Kupfer-Flusses be-
stehen aus Granit und aus Schiefer. Sie siud cntblösst von allem Pflan-
zen-Wachsthum und bedeckt mit ewigem Schnee. Unmittelbar aus der
Wasserfläche steigen die Höhen empor und zeigen sich so abschüssig,
dasi selbst Steinböcke nach ungefähr dreihundert Toisen nicht
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Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
233
aufwärts zu klettern vermögen. In allen Schlachten ungeheuere Gletscher.
- Vom Cap St. Elias bis Cap Suckling scheint die Küste, seit
man dieselbe kennt, grosse Aenderungen erlitten zu haben, und das
Nämliche dürfte von den , in der Nähe des letzten Vorgebirges gelegenen
Inseln Kajak nnd Wingham der Fall sein. Sämmtüche neuere Hö-
hen-Messungen, so wie andere Beobachtungen beweisen übrigens die Un-
richtigkeit früherer Karten. Am Cap Suckling merkwürdig einge-
schnittene und gezähnte Berg - Umrisse. Mit dem Fernrohr erkannte man,
dass die Oberflächen dieser Höben aas zahllosen kleinen vierseitigen ab-
gestumpften Pyramiden bestehen; nach Betrachtung näher befindlicher Stellen,
beleuchtet durch die Sonne, ergab sich, dass die Gehänge, vom Gipfel
bis zum Fusse, aus Eis zusammengesetzt waren. Eine herrliche Natur-
Erscheinung!
Aus Capilän Be Icher 's Mittbeiluugen geht hervor, dass er Ge-
legenheit hatte, Gletscher und deren ihm unbekannte, in jenen Gegenden
allem Vermulhen nach ungewöhnliche rasche Bewegung zu sehen. Ge-
nauere Untersuchungen würden von nicht geringem Interesse sein. Jene
ewig dauernden Eisinassen dürften au dieser Küste ausserordentlich weit
sich erstrecken. — Am rechteu Ufer von Cook'* lolet kommen Stein-
kohlen vor. In den Jahren 1829 und 1830 fand ein unterirdischer
Brand statt. — Von den geognostischen Verhältnissen der Halbinsel
Aiaeksa ist später die Rede.
Westküste Nord-Amerikas zwischen 59° und 69° Br.
Bei den spärlichen, aus Reise- Berichten von Cook, Kotzebue, Bee-
chey, Lütke, Simpson und Sagosskin entnommenen, geognosti-
sebeo Notizen über die westliche Küste des Festlandes , weiter nach Nor-
den, wozu anch das in der Akademie der Wissenschaften und in ver-
schiedenen Privat -Sammlungen vorhandene Material benutzt wurde, können
nnd wollen wir nicht lange verweilen. Wir beschränken unsere Mitthei-
langen auf einzelne Punkte. Die Insel Steffens oder St. Michael
worde, so erzählen Volkssagen, durch die Kräfte der Tiefen emporge-
hoben; bejahrte Männer wollen sich erinnern, dass das Eiland zweimal
vollständig vom Meer überfluthet gewesen. Olivin führende Basalte und
schlackige Laven herrschen. Eine ähnliche Zusammensetzung ist auch der
kleinen nachbarlichen S che lechow- Insel eigen. — Unfern des Caps
Nügwüljunk, aus granitischem Gestein bestehend, finden sich, in einer
Bucht, in thonig - sandigein aufgeschwemmten Bodeu, Stosszühue, Rippen
und Schienbein - Knochen von Mastodonten. Vou jenem Cap bis zum
Vorgebirge Tolstoj wird das Ufer niedriger, erhebt sich aber sodann
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234 Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
wieder, es erscheinen dreihundert Fuss hohe Thonschiefer - Wände. Zwi-
schen dem Unalaklik und dem Kwichpak wechselt dieses Gestein
mit Grauwacke. — Die zweitausend Fuss Höhe erreichenden Taschutu-
ling-Berge, ostwärts von der Redoule Kalmakow, werden tob
Glimmer -reichem Granit gebildet. — An der inneren Küste des Nor-
ton-Sundes soll Porphyr (was für einer?) anstehen. — Von Port
Cläre nee erstreckt sich an der Küste ein Höhenlug bis zum Cap
Prince of Wales oder Nüchta. Die Ufer vor dem genannten Cap
Werden durch auffüllend steile Felswände begrenzt, von Tieflhtilern durch-
schnitten. Das Cap Prince of Wales selbst ist eine Felsen -Sdule
mit Gestein-Blöcken tiberdeckt. Auch das gegenüber liegende Ost-Cap
der Küste Asiens besteht ans einer jähe abstürzenden felsigen Halbinsel,
vor deren Spitze einige Kirchthurm-ähnliche Massen emporsteigen. — Auf
das Prinz Wales-Vorgebirge folgt uiedriges Ufer nnd hinter diesem
ein sandiger Landrücken. Vom Teufelsberge erstreckt sich ein Lava-
Strom bis znm Meer. — Westlich vom steilen Cap D e c e i t wird die
Küste von dunkelblauem Schiefer und von schieferi?em Kalk zusammen-
gesetzt. Wie gesagt wird, soll zwischen (?) diesen Glimmerschiefer
lagern. Die vorspringenden Punkte des Ufers erscheinen mit grossen
Blöcken Olivin -führender Lava bedeckt. — Im Grunde der Es c li-
sch o 1 1 7 - B o i erheben sich die Hügel nicht über taussend Fuss. Die
Küste 8n der Mündung des Blickland River besteht aus Atlnvtonen nnd
Schlamm -Klippen, nnd ebenso ist das nördliche Ufer der Eschs c hol tz-
Bai beschaffen. Im nördlichen Theil der sich anschliessenden Halbinsel
Choris ein Hut -förmiger Pio und an der Westseite wird das Fels-Ge-
stade von Glimmerschiefer gebildet, in welchem Quarz- und Feldspath-
Gänge aufsetzen, der Turmalin, Granaten und Hornblende führt. — Der
südlichen Spitze der Halbinsel Choris gegeullber erhebt sich das Eiland
Chamisso, in dessen Milte ein Wall von kahlen Felsen den höchsten
Pnnkt ausmacht. Glimmerschiefer, in Gnciss übergehend, herrscht. Er
enthält Granaten, Turmalin und CMorit, umschliesst auch Gänge von Horn-
blende, Quarz, Hornstein und Feldspath.
Bedeutendere Inseln in der UmgebnngAlaesak's. Das
Eilend Kudjak ist gleichsam mit Bergen übersäet, deren einige sehr
hoch sind und von ewigem Schnee bedeckt. Das wichtigste Gestein ist
Tbonschiefer, der sich oft sehr Quarz -reich zeigt. Die Eingebornen
verarbeiten ihn zu Schneid - Gerätschaften und zn Haus -Lampen. An
höheren Stellen der Insel viele verquorzte Holzstämme, andere siebt
man von Eisenkies durchzogen, oder von Eisenoxyd-Hydrat durchdrungen.
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Grcwingk: Nordwest-Küste Amerikas. 235
4
— Unga, von dieser Insel- Gruppe die grösste, liegt am weitesten
gegen Westen. Das Gerücht, es käme hier Diamant vor, hat sich nicht
bestätigt. Nach Handrücken zu urlheilen, führt der Gneiss des Eilandes
Molybdän glänz nnd Gediegen - Kupfer. Analcim- Krystalle werden in Bla-
senraumen einer dioritischen Felsart gefunden. Besonders beachtungswerth
ist der, allerdings laDgst bekannte Umstand, dass auf Unga pflanzliche
Erzengnisse besonders schnell siliciflcirt werden. An höheren Stellen trifft
man versteinerte Klötze und ganze Baumstämme, deren einige noch deut-
lich die mit eisernen Beilen — also zur Zeit der Russen — behauenen
FlSchen erkennen lassen; der Process dauerte demnach ungefähr hundert
Jahre. — Von, den fünfzehn oder sechzehn Inseln der Semenowsky-
Grnppe weiss man so gut wie nichts. Die übrigen zahlreichen Eilande
iwischen Unga und Unimnk zerfallen in die Paw low sehe, Bei«
ko wache und San nachsehe Gruppe. Auf letzterer, die sehr reich
an Seen ist, steigt in. der Mitte ein hoher Kegel empor, der Halibu-
thead. — Amak soll ein erloschener Vulkan sein. Die neueste Kata-
strophe fand im Jahr 1804 statt, wie erzählt wird.
Aleutische Inseln. Von den Fnc Ii s-Ei landen kommt
zuerst Unimak zur Sprache, vor allen der thtttigste Schauplatz vulkani-
scher Phänomene. Die frühesten genauen Nachrichten gab Saikow,
welcher von 1775 bis 1778 auf der Insel weilte. Spatere Mittheilmigen
stammen von Cook, Chudaeko w nnd Sauer. Das am meisten voll-
ständige Bild verdankt man Lütke und Wenjaminow. Das Eiland
lasst sich als Gewölbe eines ununterbrochen thätigen Schmelzheerdes an-
sehen. Der Rücken dieses Gewölbes bildet einen aus SW. nach NO.
streichenden Gebirgszug. Mehrere Essen münden in demselben, welchen
das, in den Tiefen wallende Feuermeer Fnuken und Flammen entsendet.
Diese Wallungen sind so müchtig . dass , ungeachtet der vielen Gichlfänge,
die Heerd - Suhle oft bebt und erzittert. Der zu 1400 Toisen anstei-
gende Scbischaldin — von Eingebornen Agajednn genannt — ist
die erhabenste der Feueressen, von regelmässiger Kegelform, die beiden
Obern Drittbeile der ganzen gewaltigen Bergmasse mit Schnee bedeckt.
Seit undenklichen Zeiten ist der Scbischaldin fettig, stösst indessen
meist nur grosse Rauch - Mengen aus. Besonders heftig waren die Erup-
tionen in den Jahren 1824 und 1825. Nach furchtbarem unterirdischem
Tosen und Knallen — man vernahm dasselbe auf Unalascbka and
Allksa — spaltete sich ein niederer Kamm nordostwürts vom Berge.
An sechs Stetten wurden Flammen onsgestossen und schwarze Asche cm-
porgeicfaleodert. (Wie bekannt pflegt sich die vulkanische Asche erst dann
236
Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
grau gefärbt zu zeigen, wenn die Katastrophe ihrem Ende naht.} In
einem zehn deutsche Meilen entlegenen Dorfe herrschte am hoheo Mittage
die Finsterniss der Nacht. Gleichzeitig stürzte ein Wasserstrom von der
Berghöhe gegen die Südseite der Insel und bedeckte, Bimssteine mit sich
fortführend, eine Landstrecke von mehr als zwei deutschen Meilen. Das
Meerwasser blieb trüb bis zum Herbst. Seit diesem Ereignisse lobte der
Vulkan weniger, aber der Ausbruchstelle von 1825 entstieg ohne Unter-
brechung Rauch. Nach einer Eruption im Jahre 1827 nahmen Fische
«od Schalthiere auffallend ab; erstere trieben in Menge todt auf dem
Meere hin und her und worden ans Land geworfen. In den Monaten
November uod December 1830, der Berg war gerade io dichten Nebel
gehüllt, hörte man wieder ein furchtbares Brüllen, und später wurde
wahrgenommen, dass aller Schnee vom Scbiscbaldin verschwunden
war. Weit erstreckte Spalten zeigten sich auf drei Stilen; schauderhafte
Flammen stiegen aus deuselbeu hervor. Die Eiogebornen glauben nach
allen diesen Eruptionen eine Verminderung der Erdbeben zu bemerken. —
Bei andern Vulkanen, Khoginak, Pogromnoj oder Nosowskoj
u. a. w. ist hier nicht zu verweilen. — Zwischen Unimak uod Una-
laschka liegt die Gruppe der Krioitzün-Insel Unalga, felsig,
die Küsten steil. Akulan, von Bergen durchzogen, welche ein zer-
rissenes Ansehen haben, in der Mitte, als erhabenste Stelle, 3332 Posa
Uber dem Meeresspiegel, ein Vulkan, aus dessen Krater die Aleuten sich
Schwefel holen. Akun, Goloj, Tigalda und Ugamak sind von
uotergeordoetem Ioteresse. ü o a I a s c h k a , 150 Werst lang und 50 Werst
breit, die grösste, am häufigsten besuchte aller Fuchs- und siSmmtlicher
Aleu tischen Inseln, ist in naturhislorischer Beziehung wenig be-
kannt. Für Seefahrer giebt es kaum einen grauenvolleren, öderen An-
blick. Schwarze Lava -Ufer steigen senkrecht aus dem Meere empor, bis
zu Höhen, die ewiges Eis bedeckt. Das ganze Eiland scheint aus dicht
an und ueben einander gereihten Bergen zu bestehen; einige reichen mit
ihren Gipfeln bis in die Wolken. Man unterscheidet drei Gaupt-Gebirgs-
züge, das Makuschin-, Bobrow- und das Koschin-Gebirge. Der
Vulkan - Kegel Makuschin, mit einem Schwefel-führenden Krater, dem
Rauchwolken entsteigen, hatte, so weit zuverlässige Sagen reichen, kei-
nen Ausbruch. Das meiste geologische Material über Unalaschka
brachten Chamisso, Eschscholtz, Posteis und Wosnessensky.
Weniger bedeutend sind die Mitteilungen von Hofmann, Fischer,
Koprejanow und K a s c Ii e w a ro w. Was als nsch warzer, Feldspath-
reicher Porphyr (Thon-Porphyr) u bezeichnet wird, wovon es heisst, dass
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Grewingk: Nordwest-Kusle Amerika«.
237
„Uebergange in Wandelstern statt fänden", gehört, nach unserm Erachten,
ohne Zweifel zum Melaphyr. Das Auftreten von Tracbvt ist durch den
Aussprach L. von Buchas entschieden. Tertiär -Gebilde kommen am
nordoordwesllichen Pusse des Mak uschin vor. Sie führen Tellina lu-
tea, Mya arenaria tar., Venus, Turbo, Trochus, Triton tum anglica-
nm. Auch Stoss- und Mablzäbne von Mammuth sollen sich finden. Im
südlichen Winkel der Ca pitaius- Bucht hat man Braunkohlen ge-
troffen. Gneiss, Syenit, Diorit, Tbonschiefer u. s. w. erscheinen als Ge-
schiebe. — Die Inseln Borjka, Spirkin oder Sidamak schliefen
sieb Una läse hka dicht au; Amachnak hat ihren Sitz inmitten des
Capitains-Ha fe ns, und auf der Westseite dieses Eilandes steigt die
kleine Felsen-Insel Uknadak hoch empor. Umnak, seit 1759
bekannt, wird von Unalaschka durch eine fünf Werst breite Meerenge
getrennt. In der Länge 120, in der Breite 30 Werst messend, hat die
Insel, was Lage und Gestalt betrifft, viel Aebnliches mit Unalaschka.
Aaf der südwestlichen Hälfte zieht ein Gebirge hin, in dem zwei Vulkane,
Retsches ch noj und Sewidowsky, letzterer ist der höchste Punkt
des Eilandes. Man sab ihn öfter rauchen. Umnak scheint nach Uni-
mak der lebhafteste Schauplatz vulkanischer Ereigniate in geschichtlicher
Zeit gewesen zu sein. Obsidian -Blöcke, nicht selten hundert Pfund an
Gewicht, werden getroffen. Sie sollen auf einem Granit-Felsen lie-
gen ( ?). Aos dem Obsidian bereiteten Eingeborne früher Beile und an-
dere Gerätschaften. Viele heisse Quellen beweisen die fortdauernde
Tätigkeit unterirdischen Feuers. Das Erscheinen und Verschwin-
den von Inseln dürfte in diesem Heere häufiger stattgefunden haben, als
solches bekaont geworden. Unser Verfasser weilt bei vulkanischen Vor-
fingen an der Nordseite von Umnak, beim Entstehen des Eilandes St
Johann Bogoslow oder Agaschagoch und (heilt im Auszüge mit,
was in verschiedenen Beise - Berichten , namentlich in jenen von Bara-
■ ow und Tebenkow über den befragten, interessanten Gegenstand
enthalten. — — Eine besondere Gruppe in der Reihe der Fuchs-Ei-
lande bilden die Vierkegel-Inseln, wovon Buch, wie bekannt,
Tennntbet, dass sie die Bildung der Aleutischen Eilande am besten
Charaktere rc n. Kigalgan hatte, so viel man weiss, keine Eruptionen.
Auf Kigamiljach giebt es Stellen, an denen der Boden ganz heisa
>*t, wo man unterirdisches Gelöse hört, auch treten heisse Quellen an
kn Tag. Tanacb-Angunach hat einen thatigen Feuerberg aufzu-
weisen. Ulaeganund Tscheg u lach sollen im Anfang des XVIII. Jahr-
hunderts Eruptions-Phünomehe gezeigt haben. Niehl ohne Interesse
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Grewingk: Nordweet-Küste Amerikas.
sind die drei westlichsten der Fachs- Inseln, Junaska, Tschugul
und Amuchta.
Grewingk wendet sich nun zu den Andrej anowsky-Inselo.
Die erste derselben, auf Amuchta folgend, hatte, 10 viel man weiss,
im Jahre 1790 Eruptions-Erscheinungen. Ein kleiner Pik atösst von Zeit
zu Zeit Rauch aus. Die dem Verf. von daher mitgeteilten Mineralien
sind u. a. Obsidian, Schwefel, Graphit o. s. w. Das lange und schmale
Eiland AmU hat keinen Ihiitigen Valkan aufzuweisen. Dagegen besitzt
die Insel Ate ha drei , Feuerberge: Korowinsky, der häufig raucht,
Kljutschewskoj uud Sarütschew, welcher im Jahre 1813 starke
Ausbruche halte. Am südlichen Gehänge der Konischen Sopka
finden sich Schlamm- Vulkane, von den Russen Teufelsohren genannt. Auf
der Nordseite der Insel Kanaga erhebt sieb ein Kegel, der Rauch aus-
stößt und bis zu seiner Mitte von ewigem Schnee bedeckt wird. Iu
heissen Quellen am Fusse des Berges kochen die Einwohner ihre Fische.
Einer der höchsten Vulkane der Aleutischen Inseln ist auf T a n o a g a
oder Takaawangha. Der Gipfel, in mehrere Spitzen ausgehend,
raucht ohne Unterlans. Das Goreloj - Eiland endlich besteht aus einem
mächtigen rauchenden Feuerberg von Pyramiden - Gestalt.
Die letzten bekannten Vulkane der Aleutischen Inselreihe
finden sich auf den Ratten -Ei landen. Von den sieben Bergen auf
Semisoposchny erreicht keiner über dreitausend Fuss Meereshöhe,
einer derselben stösst Rauch aus. Amtschitka heisst die grössta und
Bildlichste der Ra tten- Inseln. Als vorkommende Gesteine werden
genannt: Thon-Porphyr, Tracbyt- oder Andesit-artiger Phonolitb, Braun-
kohle u. s. w. Weiter hierher gehörige Eilande Ajugadach, Sil-
chin, Knska und Buldür. — Mit den Nahen-Inseln, unter wel-
chen Attu, auch Attak oder Otma die ansehnlichsten, endigt die
Aleutische Iusel-Gruppe.
Wegen ihrer Aehnlicbkeit im Charakter mit den Nahen-Inseln
zählt unser Verf. auch die Commandeur- oder getrennten Ei-
lande auf, obwohl dieseibeo ihrer Lage nach zu Asien gehören. Sie
wurden zuerst von Bering und Steller im Jahre 1741 besucht und
1755 sandte man den Hutten - Verwalter Jakowlew ab, um die Kup-
fer-Insel — wovon Grewingk ein zierliches Karteben, entnommen
aus dem Sibirischen Anzeiger, miltueilt — genauer zu erforschen. Das
ganze EUand ist ohne alle Waldungen und voller Berge, die sehr steil
sind und aus mürbem Gesteine bestehen. Jährlich, wenn der Schnee
schmilzt, stürzeu grosse Felswände herab. Das gediegene Kupfer wurde
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Grewingk: Noadweat-Küste Amerikas. 239
an der nordwestlichen Landspitze gefunden. Nach Er man steht auf der
Insel Zecbslein an; er sagt jedoch vom Kupfer, dass es ein charakteri-
stischer Begleiter der, vom Andesit- Gipfel durchbrochenen Grauwacke-
Formation sei. Jener Gewährsmann erhielt von der Kupferinsel
GaogstUcke von Quarz mit „grün oxydirtem Erze-, und einen „Talk- hal-
tigen derben Kalku, welcher auf dieselbe Weise, wie eine ähnliche Fels-
art bei Nischnej Tagilsk am Ural mit „Kupfergrün und mit Ma-
lachit- durchsetzt ist. „Man wird diese Gesteine, u so fährt Er man
fort, „wohl ohne Weiteres als einen integrirenden Tbeil unter den älte-
sten Kamtschatiscben Niederschlags - Formationen aufrühren, wenn
man den geringen Abstand derselben von der, aus Grauwacke - Klippen
bestehende B er in gs- In sei und die Lage von beiden, einerseits zu den
nicbitgelegenen Punkten der OslkUste der Halbinsel und von der andern
u den westlichen Aleu tischen Inseln in Betracht zieht." Wir
kuQoen unserui Verf. nur beistimmen, wenn er bemerkt, wie es über-
rasche, dass Er man so leicht allgemeine Schlussfolgeu ziehe. Die Küste
Kamtschatkas, gegenüber der Berings-Insel und diese selbst sind
io geologischer Hinsiebt so gut als unbekannt. Nach Belegstücken , die
Grewiugk von Wosnessky erhielt, besteht da& Gestein am nord-
westlichen Eode der Kupfer-Insel vorherrschend aus Trachy-Dolerit,
In diesem Gebilde, oder in metamorph ischen Schiefern, kommen das ge-
diegene Kupfer und Kupferglanz vor, auch Kalkspath- und Quarz-Gänge.
Die Berings-Insel schildert der Verf. nach Steller und
fegt, aus Beschreibungen und Musterstttckcn , die Er mau erhielt, am
Schlosse einige geologische Notizen bei, welche wir, da sie kein ent-
schiedenes Anhalten gewähren, hier übergehen zu können glauben.
Die Pribuelon-Eilande, entdeckt in den Jahren 1786 und
1787, liegen in des Länge der westlichen Fuchs -Inaein and io der
Breite des Tschigiogak auf Alaeksa. Die Gruppe besteht aus zwei
grossen und aus zwei kleinen Inseln. Die Bussen fanden sie unbewohnt,
such waren dieselben Nachbar - Völkern nicht bekannt. Dabei ist jedoch.
Bemerkens wer lh , dass beim ersten Besuche von St. Paul, in einer Bucht
io der Südwest-Seite, dass Gefäss eines Degens und eine Kalkpfeife auf-
genommen wurden, auch war eine Feuerstätte zu aehen. Die äusserten
Eodeo des Eilandes St. Georg bestehen aus sehr schroffen und die
Nordküste aus meist gerade dem Meere entsteigenden Felsen , Uber
deren kahlen Gestein - Wänden selten deutliche wagerechte Lava -Lagen
erscheinen und am Meere Uber dem Wasser- Spiegel sechs Fuss Mächtig-
keit haben ; ausserdem wenige Merkmale vulkanischer Ereignisse, wie
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Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
gesagt wird. Dos Auftreten von Granit und von Gneiss dürfte zu be-
zweifeln sein. Auf der Insel St. Paul sind die Ufer da, wo sie sich
steiler erheben, aus Lagen schwarzer poröser Lava zusammengesetzt; hin
und wieder finden sieb Schlacken- Haufwerke, auch ist von Laven-Bom-
ben die Rede. Möglich, dass das Eiland sein Eutstehen einem Vulkane
Verdankt. Eine deutliche Krater-Bildung mit Spuren vor nicht gar langer
Zeit unterbrochener Tätigkeit.
Der Verf. wendet sich nach diesen Betrachtungen, die orographi-
sebe nnd geognostische Beschaffenheit der Westküste von Nord-Amerika
und der Inseln zwischen Asien und Amerika betreffend, zu den vulka-
nischen Phänomenen an der Nordwest-Küste Amerikas und auf den anlie-
genden Eilanden in geographischer Anordnung. Die einzelnen Vulkane
werden aufgezählt und ihre Eruptions- Erscheinungen nach Jahren gereiht.
Sodann folgt eine chronologische (Jebersicht der vulkanischen Phänomene
auf den Aleutischeu Inseln und auf der Amerikanischen
Nordwest- Küste, beginnend mit dem Jahre 1690 und fortgesetzt bis
1944. Aus dieser Uebersicht, welche Grewingk selbst für keine voll-
ständige augesehen wissen will, scheint sich zu ergeben, dass die vul-
kanische Thätigkeit der Aleulischen Inseln und Alaeksa's, seit-
dem man diese Gegenden kennt, in Abnahme begriffen sei, während
gegenwartig die Haupt- Mündungen des nördlichen Theiles, jenes den
grossen Ocean umgebenden unterirdischen Kanals, auf Kamtschatka:
in der Kljutschews-Kaja Sopka und auf dem Festlande Ameri-
kas: im Vulkane Wr an gell befindlich sind, dieselben auf der Insel-
Reibe zwischen Asien und Amerika, in der Gruppe der Fuchs-
in sein gefunden werden, Ferner ist nicht zu verkennen — eine Be-
hauptung, durch mehrere interessante Thatsachen belegt — dass zwischen
der Thätigkeit oder Ruhe verschiedener einander näher oder entfernter
liegenden Punkte des grossen betrachteten nördlichen Vulkanen - Gürtels
gewisse Beziehungen bestehen. Freilich bringen die erwähnten Beispiele
den Zusammenhang der in verschiedenen Richtungen ziehenden unterirdi-
schen Kanäle nicht zur Evidenz, jedoch spricht dafür auch, dass man
auf kleinen Räumen — wie auf den Inseln Umnak, Unalaschka und
Unimak — die Wirksamkeit einer Feueresse aufhören sieht, wenn die
andere zur Thätigkeit von neuem erwacht.
(Schluss folgt.)
Nr. 16. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Grewlnfk! \ordwe«t-KÜ8te Amerikas.
(Schlug.)
Ob dasselbe Verhältnis? ebenfalls für das Eintreten der Rabe des
nitKsdjak, dem Tschiginagach auf Alaeksa und denPribülow-
Insela in einer Breite liegenden Edgecumb, nach der Erhebung von
St J. Bogoslow gilt, ist schwer zu entscheiden, da die Angaben Uber
die leiste Thätigkeil des Edgecumb zweifelhaft und die Nachricht Uber
den weiter dazwischen liegenden Raum höchst mangelhaft sind. Die
Aleatischen Insel-Reihen mit der Halbinsel Alaeks a östlich und
Jen Common deur-Inscl n westlich, zieht in einer bogeuförmigen
Linie hie, die wie ein Knotenseil zwischen den Fels -Säulen Amerikas
und Asiens angespannt ist, unter der eigenen Last sank uud dabei ihre
Statten gegen einander beugte. Unter den, durch das Streichen der Ge-
birge, durch Erdbeben u. s. w. angezeigten Hebungs-Richtungen, ist die
ans SW. nach NO. die kraftigste und ausgebreitetste gewesen; auch be-
ichrinken sich die, in neuester Zeit beobachteten Erhebungen der Fuchs-*
Iaseln vorzüglich auf dieselbe. Abgesehen von der geognostiseben Zu-
sammensetzung, lässt, mit Ausnahme von den Comma ndeur- I nseln
und von Klein-Alaid, keine Angabe, keine Abbildung, Erhebungs-
Kralere mit aus denselben aufsteigenden Trachyt- oder Andesit - Kegeln .
vermuthen. Man muss sich dessbalb dahin beschränken, fünfundzwanzig
wahre Vulkanen - Inseln anzunehmen. Überhaupt scheinen unter deu
Inseln zwischen Asien und Amerika Eruptions - , Vulkanen - und basaltische
Inseln vorhanden, die drei Formen, in denen, nach L. v. Buch 's An-
schauungs- Weise , Erhebungs- Eilande auftreten.
Der Verf. geht nun zu Bemerkungen über , bestimmt jene von ihm
^gesprochene Vennothueg zu bestätigen, so wie zu einer, dem zu Ge-
bot stehenden Material entsprechenden, Uebersicht der geognostiseben Ver-
hältnisse, welche die besagte Vermuthnng unterstützen und deutlicher
■sehen (8.218—269). Wir bedauern, dass, beim beschränkten Räume,
«s nicht vergönnt ist, Herrn Grewingk Schritt für Schritt folgen zu
fonea, denn es wird gar viel Wissenswürdiges zur Sprache gebracht
Wir erkennen dankbar das so sehr Schwierige einer genaueren Erfon ofcttf
XUY. Jahrg. jfc Doppelheft. 16
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242 * Grewingk: Nordwe*t-Küstc Amerika«.
der geschilderten Gegenden. Möchten Geographen und Geologen zu
Jünger», auf wissenschaftliche Zwecke gerichtete Reisen sich veranlasst
sehen. „Das Berühren einzelner, weit von einander entfernten Punkte,
auf Transport -Schiffen und dergleichen Gelegenheiten, geuügt nicht und
würde Jeder, der auf ähnlichem Wege die na tur Wissenschaft liehe Kennt-
nis« dieser Gegenden wesentlich zu fördern gedächte, wie es schon Vie-
len ergangen, zu spät enttäuscht werden. Diess sind Worte des YerL
denen wir mit entschiedenster Ueberzeugung beistimmen.
Als erster Anhang folgt eine Uebersicht, die an der West-
küste Nord-Amerikas in Steinkohlen-, Juni- und Tertiär - Gebilden,
im Diluvial - Boden und in Alluvionen bis jetzt aufgefundenen fossilen
Thier- und Manzen-Reste betreffend (S. 270—291).
. . Ein zweiter Anhang enthält eine Zusammenstellung der Male-
riaben geboten zu einer Geschichte der Reisen und Entdeckungen auf der
West -Hälfte Nord-Amerikas und in den benachbarten Meeren. An die
Angaben der wiebtigern Gescbichts-Quellen reiht sich eine, eben so voll-
ständig, als, mit grosser Umsicht verfasste, gewiss Yielen sehr willkom-
mene , durch nicht wenige beigefügte Bemerkungen bereicherte, Uebersicht
and Quellen -Nachweisung der Reisen auf der Westhälfte Nord- Amerikas
und 10 dsn ji 3 c 1 1 b h r 1 1 c Ii cd BIccrcD*
Die beigegebeneu Karten stellen, wie solches theits schon aus dem
von uns Angedeuteten zu ersehen, folgende Gegenstände dar: Gebirgs-
Yertheilung in der westlichen Hälfte Nord- Amerikas;
geognostischc und orograpbiscbe Beschaffenheit der
Nordwest-Küste Amerikas und der anliegenden Inseln;
westliche Hälfte der Halbinsel Tschugalsk. Die Ausführung
lässt nichts ku wünschen übrig. Eben dieses gilt von den drei Tafeln,
welche fossile Reste darstellen.
Wir haben nun noch vom Ergebniss einer Reise zu reden , die als
sehr erwünschter Beitrag zur Kenntniss des grossen, östlich von Ural
und westlich von den letzten Marken der krystallinisehen Gesteine Sca
dinavicus begrenzten Beckens zu betrachten ist. Mit dem besprochenen
Werk kam uns nämlich aus Petersburg ein Auszug aus dem Bericht Gr e-
wingk's zu, die von ihm:
»im Sommer 1848 unternommene Reise nach der Halb-
insel Kanin am nördlichen Eismeere14
betreffend. Wir glauben die Leser unserer Jahrbücher zu verpachten,
wenn wir einige Augenblicke dabei verweilen. Der Bericht, wovon die
Rede, tut halt, ausser dem Geologischen, so Manches in geschichtlicher,
*
•« •
v 4
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Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
elhoographischer, technischer und ökonomischer Beziehung Wichtige and
Interessante, das bisher nicht oder nur sehr unvollständig bekannt ge-
wesen Dabin u. a. die Ueberbleibsel verschiedener Religion* - Seelen,
der Bilder - Schriften an der Teufels -Nase u. s. w.
Im Sommer 1848 wurde Grewingk von der Akademie der Auf-
trag, in den Gouvernements Olooelz and Archangel geologische
Untersuchungen anzustellen , vorzugsweise aber die Ufer und Umgebungen
des Onega-Sees und die Halbinsel Kanin genauer zu erforschen.
Von der Stadt Ln dein oje Pole an begannen, längs den Ufern
des Swir, die Untersuchungen, aueb fanden barometrische Melsungen der
höheren Punkte stet*. Bis zur Ledina, einem Nebenflusse des Swir,
nur aufgeschwemmtes Land, Wander - Blocke und Asare. Sodann treten
Diorito auf, Granite und Sandsteine. Letztere, sowie das als „Solo-
mens ky- Fels1 bezeichnete Conglomeret boten am westlichen Ufer des
Onega-See's bis Petrosawodsk, mit ihren Beziehungen zum Dio-
lit, für die Beleuchtung metamorpbiscber Gebilde, nicht unwichtiges Ma-
terial. Zwischen Petrosawodsk und Tiwdija, auch weiter bis
Powenet i, gesellen sich den erwähnten Felsarten Glimmer-, Cl.lont-
nnd Thonschiefer bei, ferner Marmor und Dolerit. Die Untersuchung der-
o
selben, ferner Asar- Gebilde, Fluth -Schrammen ; Gebirgs- nnd Fluss-
Vertheilung gsben Aufschlösse über die Becken - Bildung des Onega-
see'* und über die letzte Ftntb.
Ostwärts von Powenetz eine in neuerer Zeit eröffnete, aber
wieder verlassene Gold - Wäsche. Das , geologisch zum Theil gänzlich un-
bekannte, östliche Ufer des Ooega-See's, auch mehrerere Inseln in
demselben erforschte Grewingk. Ausser neuen Beobachtungen konnte
die Grenze krystallinischer Gesteine berichtigt werden, dessgleichen jene
der Devonischen und der Bergkalk - Formation , auch die, zu einem voll-
ständigen Bilde noch mangelnden, letzten Fluth-Schrammen in Östlicher
Richtung wurden aufgenommen.
Das Ergebnis:; dieser Arbeiten ergänzt die Erklärung der, am West-
Ufer des Sees stattgehabten Hergänge, und wird vielleicht den Streit
über allmälige oder plötzliche Hebung von Scnndinavien, Finland o. s. w.
schlichten helfen. '
Den weiten Bergkalk - Ebenen an der 0 n e g a und Dwina konnte
nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden. Vom Arohangel Aus-
flusse zu den Dwina-Inseln, zur Isakown Gora (Isaaks-Berg)
und zur Brussowiza. An letztem Flusse Sandstein - Schichten, Welche
der Bergkaik-Formation angehören dürften. Bei Metsohka sehr wenig
16»
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Grewingk: Nordwest-Küste Amerikas.
entwickelte Tertiär - Lagen. An der Pinega besonder» Versteinerungs-
reicher Bergkalk, von Gyps und Permischem Zechstein begleitet. Nament-
lich die BelajaGora (weisser Berg), KrassnajaGora (Roth-Berg)
und Ustjohuga sind beachtungswerthe Stellen. In der Taibala
(Wildniss, Urwald), zwischen Ustjohuga und dem Me-sen-FIusse,
noch Kalk-Mergel , sodann folgt der bekannte Pelrefacten-leere Thon und
zeigt sich herrschend bis in die Nabe der Stadt Uesen. Am Kuloj-
Flusse Höhlen gyps und Salzsoolen.
Von S e m s c h a aus längs der Westküste der Halbinsel K a o i n zu
Wasser. An der Bugräniza treten die Schiefer der Halbinsel näher
ans Meer, fallen, noch weiter nördlich, steil zur KUste ab, und in Schluch-
ten und Spalten finden sieb jene kurz verlanfenden, reissenden, mit mäch-
tigen Wasserstürzen versehenen Flüsse, für die westliche Seite Kanin s
so bezeichnend. — Fahrt durch die Tschiscba und Tschescha aus
dem Eismeer ins Weisse Meer.
Für Erhebung der Halbinsel wurden in den häufig die Schiefer
durchbrechenden Gängen, sodann in den vulkanischen Gesteinen Kanin's
Beweise gefunden, und hiermit auch das Verschwinden der, einst zwischen
Kolgujen und Nowaja Semljä gelegenen Iosel Sopka, auch das
Erdbeben von Archangel erklärt. Ueber das relative Erhebungs-Alter
Kanin's, so wie über den Versuch, das wirkliche Alter des Eilandes
— nach Berechnungen, die sich auf sorgfältiges Studium der Tundra
stützen — in Zahlen - Werthen anzugeben , desgleichen über die Bestim-
mung der neu entdeckten Petrefacten-führendeu Gesteine, an der Ober-
fläche der Halbinsel soll später Bericht erfolgen.
Wir empfehlen, und in jeder Hinsicht, diese Schriften Gr ewiogk's
der Aufmerksamkeit deutscher Naturforscher.
Leonhard.
Histoire des Ducs de Guise par Rene de Bouille. Tom. IL 1849.
T. III. et IV. 1850. Paris, Amyot.
Seitdem Referent den ersten Band dieses Werkes in den Jahrb.
vom J. 1849 Nr. 45 u. 46 anzeigte, folgten drei weitere Blinde, wo-
mit nun das Werk vollendet ist. Der erste Band achloss mit dem Hin-
tritt Heinrich 's IL, der in sehr verwickelten und schwierigen Verhält-
nissen den noch schwächeren Franz U. zum Thronfolger hatte. Anstatt
sich zu entwirren , wird jetzt der Parteikampf noch verwickelter und hart-
näckiger» de einerseits die Hugenoten, durch du angedrungene Zuge-
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Renö de Bouille: Hisloire des Ducs de Guis(\
släodoiss ihrer Duldung ermuthi g t , die Schwäche der Regierung zu ihrem
Vortheil auszubeuten suchen . anderseits aber den Guisen . als längst be-
währten Vorkämpfern auf katholischer Seite die Glieder des bourbonischen
Zweigs des königlichen Hauses sich entschiedener als je gegenüber stel-
len. Dazu kam, dass jetzt die nahe Verwandtin der Guise Maria Stuart
Gemahlin des jungen Königs von Frankreich war. Diesem Vortheil stand
swar der Ehrgeiz der Königin Mutter Catherine v. Medicis im Wege.
Dagegen kam es den Guisen zu Statten, dass diese Fürstin, welcher der
fiberwiegende Einfluss des Connelable Montmorency bei Lebzeiten Ilein-
rich's II. lastig geworden war, sich desselben jetzt durch Begünstigung
der Guise zu entledigen hoffte, während auf der Seite der ßourbons die
Hauptrolle dem Prinzen von Conde, Bruder des schwachmüthigen Anton,
Köoigs von Navarra, zufiel. Conde verband mit starkem Ehrgeiz Mut Ii
nad Talente und wegen der Klemme seiner Finanzen war ihm eine grosse
politische Bolle doppelt erwünscht. — Mit lobenswürdiger Umsicht und
Genauigkeit entwickelt der Verf. das ganze Gewebe der gegenseitigen
Ranke, der Verhandlungen und Unternehmungen, womit der Parteikampf,
u welchem sich die grösseren europäischen Mächte, vorzüglich Spanien
nad England mitbeteiligten , fortgesetzt wurde, wobei die Religion den
Deckmantel politischer Interessen abgeben musste. Refer. würde ein Buch
schreiben müssen, wenn er hier vom Inhalt der drei letzten Bände einen
ähnlichen Abriss wie von dem des ersten Bandes zu geben versuchte.
Er muss sich daher auf Andeutungen und Betrachtungen in Beireff der
hauptsächlichen Ereignisse , die für das Endergebniss am meisten entschei-
dend waren, beschranken. — Unausgesetzt blieb das Streben der innig
miteinander verbundenen Glieder des Guisischen Stamms auf die Macht-
übung über Frankreich im Namen des Königs gerichtet. Dabei versäum-
ten sie nie eine Gelegenheit, um durch Vermehrung ihres Guterbesitzes,
ihrer Aemter und Würden sich die Mittel für jene Machtübung zu sichern.
Nach der Thronbesteigung Franz IL kamen die beiden Brüder Franz und
Karl von Guise an die Spitze der Verwaltung; jenem fiel das Heerwesen*
diesem (dem Kardinal) die Finanz- und Gericittsverwaltung anbeim. Im
J. 1559 erschien eine heftige Denkschrift, die das gehässigste Licht auf
ihre ehrgeizigen Absichlee zu werfen suchte , die sich unter andern durch
ito Bemühungen, ihre Abstammung von Karl d. gr. darzutbun, verrathen
bitten (IL 27). Der Kardinal Karl liess in den Städten Heiligen-Bilder
aufstellen, vor denen Kerzen brannten und um die sich Haufen sammel-
ten, welche die Vorbeigebenden zu Ebrfurchtsbezeigungen nöthigten
(p. 33). Diesa erbitterte die Hugenoten, und der Kardinal erhielt von
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Fene' de Bonille: Hisloire de* Don de Guise.
verschiedenen Seileu Warnungen, dass seinem Leben nachgestellt werde.
Aach kam es iu den Versammtungen der Hngeaolen zur ernsten Bera-
thung, ob es nicht znltissig sei, sich mit Waffengewalt der Tyrannei der
Guise eu widersetzen und den Thron von ihrer Vormundschaft zu be-
freien. Juristen und Theologen neigten sich znr Bejahung ( [>. 3G ff.}.
Io einer grossen Versammlung wurde ein gewisser La Renaudie zur
Leitung der ersten Schttderhebuttg , wozu Coligny den PIrii entworfen,
erkoren. Die Verschwürung blieb jedoch den Guisen kein Geheimnis»,
und die von ihnen getroffenen Massregeln brachten es dahin, dass die
Verschwörung von Ainboise, die sich des Siegs schon ganz versichert
hielt, in eine schwere Niederlage für die Hugeuoten umschlug, die sich
plötzlich in ihren eigenen Netzen gefangen sahen. Frans Guise . jetzt
neuerdings zum GeneraUieutenaul des Heichs ernannt, liess doreb ein
Edict »dien Schuldigen Verzeihung zusichern, wofern sie die Waffen nie-
derlegten. Er war auch zum Niederschlagen alles Verfahrens gegen die
Häuptlinge geueigt. Nicht so sein Bruder der Kardinal, der selbst gegen
den Prinz von Conde keine Schonung zulassen wollte. Allerdings be-
zeichneten seihst die angestellten Verhöre Conde* als das eigentliche Haupt
der Verschwörung, und man stellte sie dem König so vor, ah habe sie
feinem Thron uud Leben gegolten. Doch hatte der König den Mntb den
Goisen zu erwiederu: ..Seid es nicht vielmehr ihr, gegen die die Ver-
schwörung gerichtet war? Würden nicht, weuu ihr euch einige Zeit
von Wer entferntet, die l m uhen aufhören ?* — „Entfernten wir uns,
so wBre euer und eurer Brüder Leben keinen Tag sicher.** — Die Kö-
nigin Mutter forderte nun Conde auf, sich durch Absagung von den Ge-
nossen zu reinigen. Der Kardinal aber, der anwesend war, schlug ihm
vor: er möchte einem Verhör, da* die Königin mit Schuldigen vorneh-
men würde , hinter einer Tapete zuhören. Entrüstet antwortete der Prinz
mit dem Gegeoautrag: der Kardinal möchte diese so erniedrigende Rolle
selbst Obernehmen, um mit Gewissheit zu vernehmen, wie man von ihm
und seinem Bruder denke, (p. 55. 56.) ehrenhafter benahm sieb Franz
v. Guise bei dem Verhör, welches Conde nun in Gegenwart der Vor-
nehmsten des Hofs und der fremden Gesandten zu bestehen hatte. Dieser
vertheiditfto sich mit Ruhe und erbot sich, obgleich Prinz von Geblüt,
zum Zweikampf mit jedem Ankläger. Franz v. Guise setzte aber jetzt
die Zuhörer m nicht geringes Erstaunen, indem er erkürte: weit ent-
fernt, au die gegen den Prinzen verbreiteten Gerüchte zu glauben, biete
er sich selbst dem Prinzen zum Seeundanten an. Da sprach Conde*, seine
Treue gegen den König nochmals betheuernd, Worte des Danks für den
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Rene de Booillc: Histoire des Ducs de Guise, 247
Gegner. Hierauf erbat er sich einen Urlaub, um zu seinem Bnider in
Beara zurückzukehren. Auch Coligoy und sein Bruder d'Andelot erbaten
Sick Urlaub, und die Königin ersuchte den erstem, nach der Normandie
tu gehen, um die dortigen Uoruhen zu dampfen. Dieser Auftrag gab
dem Admiral erwünschte Gelegenheit, in seinen Berichten die Schuld der
Unruhen dem Ehrgeil der Guise zuzuschreiben. Dessungeachtet sprach
das Parlament zu Paris, als ihm der Hergang der Verschwörung von
Amboise war rorgetragen worden, dem Herzog v. Guise den Titel: Er-
haller des Vaterlandes zu. So wie aber der Kardinal von Lo-
tbringen nicht aufhörte, den Verdacht gegen Conde zu nähren, so fuhren
auch die Hugenoten fort, den Argwohn gegen den Ehrgeiz der Guise zu
schüren. Selbst der spanische Botschafter rietb damals der Königin Mal-
ter der letztern zeitweilige Entfernuag (p. 64), wührend Elisabeth von
England in einer auch in Frankreich verbreiteten Kundmachung die Gnise,
welche die Maria Stuart zur Annahme des Titels einer Königin von Eng-
land bewogen hatten, als Englands geschworne Feinde bezeichnete, die
die Buhe der Völker ihrem Familieniaterease zum Opfer brächten, (p. 70.)
Catharina von Medicis war bei diesen Verhältnissen fest entschlossen, sich
durch nichts aus ihrer Mittelstellung zwischen den Parteien verrücken zu
lassen. Während sie daher geschehen Hess , dass auf Antrieb des Kardi-
aals von Lotbringen alle Klagen in Religionssacben den weltlichen Ge-
richten entzogen und ganz den bischöflichen Gerichten vorbehalten wur-
den, gab aie auch zu, dass der von ihr zur Kanzler würde erhobene
Michael v. Hospital, dessen bekannte Denkart die Hoffnung einer
Versöhn un g weckte, zur Vorbereitung nöthiger Reformen anf Berufung
der Generalstaaten und eines Nationalconcils antrug. Wirklich kam eine
Versammlung von Notabein zu Fontainebleau zusammen, wo die Bischöfe
von Valence und Vienne mit vieler Schonung von der Hugenotenpärtei
sprachen und auf die Notwendigkeit eines Nationalconcils drangen, wo-
fern e dem gewünschten allgemeinen zu viele Schwierigkeiten entgegen-
ständen. Fasl einstimmig wurde dieser Antrag auf die Berufung der
Generalstaaten zum Beschluss erhoben. Diese kamen im October 1560
mitten unter den fortgesetzten Bestrebungen der Parteien, sich zu ver-
stärken, zu Orleans zusammen. Hier begingen die Guise den schweren
Missgriff, den Prinzen von Conde in Gewahrsam bringen zu lassen, woran!
eine königliche Commission das Tod es url heil Uber ihn aussprach. Schon
war der Tag- für die Hinrichtung anberaumt, und diese nur noch in der
Erwartung Coligny's verschoben, dem ein gleiches Loos zugedacht war,
als unversehens Franz II. schwer erkrankte und starb. Da sein Nacbfol-
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34* Rem* de Bouiltt: Histoire des Daci de Gaise.
ger Karl IX. erst 10 und ]/2 Jahr alt war, befürchteten die Guise, die
Geoeralstaaten würden die Regentschaft dem Antop von Boarbon, König
von Navarra, übertragen. Um dem zuvorzukommen und zugleich die
Nacht der Gaise zu zügeln, trug die Königin Mutter dem Anton von
Boarbon die Leitung des Heerwesens als Generallieutenant des Reiches
an, ond wnsste ihn zu bereden, dnss er urkundlich ihrer Regentschaft
seit der obersten Leitung aller politischen Angelegenheiten die Zustimmung
gab. Dies machte Karl IX. als seinen Willen kund. Catharina sah nun
mit geheimem Wohlbehagen . wie sich die Bourbons mit Montmorency
und den Cbatillons auf einer und die Guise auf der andern Seite bei je-
dem Anlass am den Vorzug stritten. Eiu neuer Versuch des Herzogs
von Gaise, den Prinzen von Geblüt gleichgestellt zu werden, misslang;
ebenso scheiterte der Wunsch des Kardinals Karl aum einzigen Redner
aller drei Stände bei den Generalstaaten erwählt zu werden, an dem
Widerspruch des dritten Standes. Als die Versammlung sieb über die
grosse Schnldenmasse , die anter Franz II. sich angehäuft halte, beschwerte,
trog Anton von Bourbou auf strenge Untersuchung und Widerruf untnäs-
siger Vergabungen an; die meisten waren zu Gunsten der Guise gesche-
hen. Anton von Bourbon verlangte auch, dass ihm die Schlüssel der
königl. Residenz eingehändigt würden, die dem Herzog von Guise an-
vertraut waren. Die Regentin trat ins Mittel und nahm die Schlüssel in
ihren Verwahr. Einem zweiten Begebreu Anton's von Bourbon , auf Frei-
stellung seines Bruders Conde und Niederschlagung seines Prozesses, zeigte
sich Catharina zu willfahren geneigt. Guise erklärte aber, dies verletze
die Ehre des verstorbenen Königs , und Conde setzte zur Bedingung sei-
ner Rückkehr an den Hof die Entfernung des Herzogs. Endlich kam zu
Fontainebleau nach Auflösung der Generalstaaten eine Schein - Aussöhnung
zu Stande. Da weckte aber am Ostertag eine vom Bischof von Valence
Yor dem Hof gehaltene Predigt, welche die Reformideen bevorwortete,
die Glat der Zwietracht aufs Neue. Franz von Guise erhob laute Be-
schwerde, und es bildete sich jetzt schnell ein neuer Bund gegen die
Hugenoten; an ihrer Spitze stand die Trias: Guise, St. Andre und Mont-
morency, der plötzlich mit seiner Partei zerßel. Dieser Bund, den die
Regentia sehr ungern sah , unterstellte sich in Religionssachen der Leitung
Philipps IL Sein Botsehafter nud Guise einigten sich für einen Plan zur
völligen Unterdrückung der HuirenotenDartei . wahrend die Redentin wie-
der mehr Coligoy Gehör verlieh (p. 136). Bald nach der Krönung
Karls IX., bei welcher Guise die Forderung des Rangs gleich nach An-
ton von Bourbon durchsetzte, wurde das auf Betrieb der reformirlen
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Rene* de Bouillö: Histoire des Ducs de Guise.
249
Prediger von Conde und Coligny verlangle Religionsgespräch zuBoissy
veranstaltet. Kardinal von Xournou holte dasselbe widerrathen, der Kar—
dmal von Lothringen aber, seiner Beredsamkeit einen glänzenden Sieg
zutrauend, die Regentin dafür entschieden (j>. 146). Der Jesuitengene-
ral Leines steigerte hier die Erbitterung aufs höchste, indem er den
Untergang des Reichs verkündete, wenn nicht die Hugenoten, die er
)opi , volpi , serpenti nannte , daraus vertrieben würden. Des Kardinals
Beredte Vorträge machten auf Anton v. Bourbon aolchen Eindruck, dass
er sich von der Reform lossagte (p. 159. 163). Dennoch Hess die Re-
gentin , von Hospital geleitet, in der Versammlung zu St. Germain die
öffentliche Religionsübung den Hugenoten verwilligen. Diese Verwilligung,
an der Guise keinen Theil nahm, blieb aber erfolglos fp. 164). Guise
warb nun um Verbündete in Deutschland (p. 166). Doch eio blutiger
Zusammenstoss zwischen seinem Gefolge und den Hugenoteo zn Vassy
gab die Losung zum Ausbruch des Religiooskriegs , der nun Prankreich
lange Zeit zerrüttete. Dieser Krieg, der mit einem Triumphzug des Ver-
teidigers des Glaubens in Paris und mit der Aufstellung einer reformir—
ten Bundesregierung in Orleans unter Conde begann, während die Re-
genlin vergebens zu vermitteln suchte , wird von dem Verf. mit der gröbs-
ten Umständlichkeit beschrieben. Nach dem blutigen Sieg bei Dreux,
wo Conde des Guise Gefangener wurde, musste dieser in einem ärm-
lichen Bauernhaus übernachten. Weil da nur eine Lagerstätte sich fand,
überliest er sie dem Conde*. Doch dieser wollte sie nur mit ihm theilen.
So ruhten der Sieger und der Besiegte neben einander. Letzterer konnte
nicht einschlafen, während der andere ruhig schlief (p. 235). Allein bei
der Belagerung von Orleans, welche Pranz v. Guise mit Erfolg betrieb,
erreichte ihn das Schicksal. Er fiel von der Meuchlerhand eines Edel-
manns, dem er früher nach der Verschwörung von Amboise Begnadigung
verschafft hatte. Umständlich beschreibt der Verf. die Scene des Nords
und des Sterbelagers, auf welchem Guise noch mit der Regentin mehrern
Unterredungen über die Lage des Reichs hatte, (p. 272. 278 ff.) Hein-
rich v. Guise (bisher Joinville genannt) trat jetzt an des ermor-
deten Vaters Stelle. Kam er diesem an Feldherrntalent und vorsichtiger
Klugheit nicht gleich, so übertraf er ihn noch an Herrscbbegierde und
an alleo Talenten und Künsten, die ihrer Befriedigung dienen (p. 302 ff.).
Damals befand aich der Kardinal von Lotbringen zu Trient, wo die Re-
formfreunde aich längere Zeit wie um ihr Haupt sich schaarten. Seine
dortige Wirksamkeit und die Gegenwirkungen Roms, das ihn fürchtete
«ad ihm schmeichelte , sind vom Verf. gut geschildert Er anerkennt des
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250 Rene de Bouille: Iiisloire de« Ducs de Guise.
Kardinals Verdienste für die Reformbeschlttsse und für die friedliche
Schliessung des Coucils , oüue zu verhehle» , das* er sich gleichzeitig alle
Mühe gab, sich der Gunst des Pabstes zu versichern, welche ihn für die
Ausführung der Entwürfe und Absichten seines Hauses in Bezug auf Frank-
reichs Zustände, besonders seit dor Ermordung seines Bruders unentbehr-
licher schien als je zuvor (p. 334). Trotz seinen Reformeifer Hess er
sich noch neue IM'r lind Verleihungen von Seite des Pabstes gefallen, ob-
gleich die Beschlüsse des Concils die Vereinigung mehrerer Kirchenpfrtto-
den verboten. Auch wäre sein vergebliches Werben um die Stelle des
Vorsitzenden Legaten im Concil, welche ihn von Rom noch abhängiger
gemacht hätte, nicht zu erklären, wenn er nicht dadurch sich den Weg-
zur dreifachen Krone zu bahnen gehüllt hätte. Nach seiner Rückkehr
in Frankreich drang er jedoch auf die Vollziehung der Reformbe-
schlüsse und gab selbst davon in seiner Synode zu Rheims das Beispiel
(p. 340 ff.). — Bald hernach bildete sich auf Betrieb der Guise die
später so berüchtigte Ligue, wogegen Jttontmorency und Coligny ihrer-
seits Verabredungen trafen (p. 244. 250). Diess hinderte jedoch die
Regentin nicht, ihre Versuche zur Aussöhnung fortzusetzen. Zu Moulins
kam eine solche zum S oh ein zu Staude. Coligny wurde hier förmlich
für schuldig am Nord des Franz v. Guise erklärt, (p. 364 (f.) Die immer
engere Verbindung des französischen Hofs nit Philipp IL, dessen Heer
unter Alba man ungehindert durch Frankreich zur Unterdrückung der Nie-
derländer ziehen liess, wurde für die Hugenoten das Signal zu allgemei-
WWaffenrüstuni? Schlacht Mete auf Schlacht mit wechselndem Glück.
Der Kardinal von Lothringen entwickelte den tbütigsteu Eifer, um einen,
den Hugenoten günstigen Frieden zu verhindern. — Der Verf. erwähnt
(p. 407) einer Schrift, welche der Leibarzt des Kardinals 1568 an den
König richtete, worin er den Anspruch Frankreichs auf Erweiterung sei-
ner Grenzen selbst über den Rhein beverwortete : Rhenus non limes Gal-
ii», sed modo Danubhis! — Docb weckte der steigende Ehrgeiz der
Guiie die Eifersucht Karb IX. Besonders erzürnte ihn der Versuch des
Herzogs Heinrich , durch Ränke die Hand seiner Schwester zu erhalten.
Er näherte sich nun Coligny, zog ihn in seine Umgebung, nannte ihn
Vater, gab ihm die Erlaubniss sich mit 50 Garden für seine Sicherheit
zu umgeben, verlieh ihm Sitz im Königlichen Rath und überhäufte seine
Fremde mit Ehren und Aemtern (jp. 484). Durch diese aufs Höchste
getriebene Verslei lungskunst gelang es ihm, Coligny ganz zu verblenden,
während er und seine Mutter den Katholiken unter der Hand zu verstehen
gabeu, sie seien durch den kurz zuvor zu Stande gekommenen Vergleich
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Bend de Bouille : Histoirc des Ducf de Guise.
Ton Sl. Germain entsetzlich hintergangen. Den Herzog von Guise aber,
des er »ich fern hielt, Hess er bitten, keinen Versehmach darob zn hegen,
da es in Frankreich keine Person gebe, der er nächst seinen Brüdern
mehr zugethan sei. (p. 480 ff.) Indessen hatten der König nnd seine
Matter Mühe, den Herzog ron Erneuerung seiner Klage gegen die an-
geblichen Mörder seines Vaters abzuhalten. Beide (Guise und Coligny)
Irsfee an Hofe zusammen, als dieser von Blois nach Paris zurückgekehrt
war, om die Hochzeit der Schwester des Königs mit Heinrich von Beanr
iu leiern. Die prachtvollen Festlichkeiten schienen hier eine Aussöhnung
zo verkünden. Gerade dieser Schein aber ward zum Widerspiel unser-
-eben. Coligny drängte den König zur Ausführung des von ihm schon
lia^e betriebenen Kriegszngs zur Eroberung der spanischen Niederlande.
Karl IX., weit entfernt, diesem Plan geneigt zn sein, vorwarf ihn doch
akht, sondern erbat sieb nur Frist, und spielte die Comödie einer Ab-
neigung gegen Gnise so täuschend, dass Coligny allen Warnungen, anf
seiaer Hot so sein, das Gehör versagte. Ingeheim wurde nun zwischen
dem König und seiner Mutter der Beschluss verabredet: weil man nicht
gleich Coligny nnd Heinrich von Gnise aus der Welt schaffen könne,
zuerst jenen und seinen Anhang unter den Streichen des Volks unter
Guisc's Leitung fallen zu lassen , und hernach diesen entweder als Mörder
aut dem Rechtsweg zu verfolgen, oder sich dnreh ergebene Soldaten
seiner zn entledigen. Wegen des dem Coligny bestimmten Looses wurde
jetzt Heinrich von Guise ins Vertrauen gesetzt , und ein zn seiner Partei
gehöriger Abeotbeurer Maurevert übernahm es, den Admiral bei seiner
Nachkehr von Hof nach seiner Wohnnng ans einem Versteck zu erschies-
sen. Die Wunden des letzteren waren jedoch nicht tödtlich. Karl IX.
gab sich den Schein höchster Entrüstung über die Thal und gab Befehl,
ära Morder arfzusuchen . während er den Verdacht auf die Guise zn len-
ken sachte, (p. 500 ff.) Er mit seiner Mutter und beiden Brüdern be-
gibt sich seibat zo Coligny, bezeigt ihn die lebhafteste Theilnahme und
fordert ihn auf, seine Freunde in den seiner Wohnung benachbarten Häu-
sern zu vereinigen. Doch gleich darauf wurde im Louvre , um sich gegen
die Rache der Hugenoten zu sichern , ihre Ermordung beschlossen. Die
Abführung am 34. August 1572 ist unter dem Namen der Bartholin
miusaaebt bekannt. Heinrich von Gube übernahm die Anordnung nnd
Leitung des grisslichen Trauerspiels. Auf* Umständlichste schildert der
Verf. seine Theilnahme. ohne das Mindeste davon in Abrede zu stellen,
selbst nicht, dass er, als Cotigny'a Leiche in den Hofraum seines Patastes
war mnuntergeworfeo worden, ihr mit einem Nastoch das Biet rem
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Rene de- Booüle: Histoire des Ducj de Guise.
Gesicht wischte und de er nun die Züge des Admirals erkannt, die Leiche
mit dem Fuss wegstiess, unter dem Zuruf: „Giftiges Thier! nicht mehr
verbreiten wirst du nun dein Gift." (p. 505.) Auch durch wandelte er
darauf mit seinem Bruder wie ein Sieger die ganze Stadt, die eine Wahl-
stalte des Mords geworden war. Doch liess er vielen Hugenoten, na-
mentlich hundert Edelleuten, die er kannte und von denen er eine Sin-
nesänderung hoffen m können glaubte, seinen Palast Öffnen, um der Wuth
ihrer Verfolger in entgehen (p. 508). — Vor eilf Jahren bat H. Al-
beri zu Florenz ein Leben der Catharina von Medicis veröffentlicht,
worin er seine Landesgenossin von der Beschuldigung, die Urheberin der
Bartholomäusnacht zu sein, zu reinigen sucht. ( S. die Anzeige im Jahrg.
1840. S. 600 ff.) Hr. Bouille scheint dieses Werk nicht gekannt zu
haben. Aber die Thatsacben, die er anführt, stehen ihm schnurstracks
entgegen. Nach seiner Darstellung waren es Karl IX., seine Mutter und
der Herzog von Anjon, die hinter dem Rücken von Gnise mit der tief-
sten Verstellungskunst die Greuelthat vorbereitet und erst dann dem Her-
zog von Guise davon Kunde gegeben haben , als der Zeitpunkt erschienen
war, wo die Vollziehung mit Ueberrascliung der Schlachtopfer unver-
sehens erfolgen sollte, wogegen die Vollziehung selbst, auch nach Bouille
das Werk des Herzogs war, indem er als Haupt der von fanalischem
n.as& gegen die tiugonoien enuiiien, liim ganz ergeuenen voiKsmassen
dazu bereitwilligst die Hand bot. Catharioa von Medicis, indem sie am
Tage nach der Mordnacht dem König von Spanien Nachricht davon gab,
wünschte sich Glück, dass Gott ihrem Sohne die Gnade verliehen, sich
seiner rebellischen Untertbanen zu entledigen. Unser Verf. citirt dieses
Schreiben aas den Papiers de Simancas B. 34 piece 135. Nach der Thal
freilich gab sich Karl IX. in seiner ersten Kundmachung vom 24. August
den Schein, als wäre sie blos das Ergebniss des feindlichen Verhältnisses
zwischen dem Haus Guise und dem Admiral Coligny and ihrem beidersei-
tigen Anbang , ohne dass der König daran Theil genommen , als welcher
vielmehr mittelst der um ihn zu seiner eigenen Sicherheit versammelten
Garden dem Gemetzel Einhalt zu tbun gesucht habe (p. 516). Doch
ward im königlichen Käthe, wo die Kundmachung beschlossen wurde, das
Bedenken aufgeworfen: ob nicht die leberwalzung der ganzen That auf
den H. v. Guiae nicht die Zuneigung der Katholiken für ihn noch steigern
müsse (p. 517). Auch fand es Karl IX. gerat he n, am 26. Augost im
Parlament zu erklären, alles Vorgegangeue sei auf seinen ausdrücklichen
Befehl geschehen zur Bestrafung der Verschwörer gegen ihn und sein
Haus zur Vernichtung der katholischen Religion uad zum Umsturz des
-
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Rene de BouilU*: Histoire des Ducs de Gaise.
253
Reichs (p. 519). Zugleich liess er aber in Deutschland und England
kund thon : er habe sich durch die ihn and den Thron bedrohende Gefahr
genöthigt gesehen, „den Herren des Hauses Guise freie Hand zu lassen"
(p. 520). Der Kardinal von Lotbringen hingegen, damals in Rom an-
wesend, nannte in einem an Gregor XIII. gerichteten Schreiben Karl IX,
„den von Gott gesendeten Vertilgungsengel" (p. 520). Doch, obgleich
jetzt Bekehrungen in Menge erfolgten (die von Heinrich v. Bearn selbst
wir darunter), so erhob sich doch schnell von Seile der Hugenoten,
besonders im Sttden, eine kräftige KriegsrUstung , durch das Versprechen
der Unterstützung von England und Deutschland ermuntert. Auch sah
lieh, nachdem die Angriffe auf Hochelle vergeblich geblieben, Karl IX.
bald zu einem neuen Vergleich bewogen, der den Hugenoten freie Re-
ügioaittbung und den Besitz von Hoc helle. Montauban, Nismes und San-
cerrc zugestand. Nicht wenig trug der Wunsch dazu bei, die Wahl
seines Bruders Anjou zur Krone von Polen durchzusetzen, wo die Pro-
testanten eine grosse Partei bildeten (p. 536). Der Kardinal von Lo-
thringen , indem er de^i König hiefür einen ansehnlichen Beitrag des Klerus
anbot, pries eeine dissimulation pleine de piete, womit er nach dem Be-
durfniss der Zeit sein Reich von den falschen Propheten gesäubert hohe,
und versicherte, der Klerus erwarte nur Schutz für seine Gerechtsame
wjd Befreiungen ; sonst verlange er nichts als die Seelen, vor allen
die des Königs. „La nous donnant, vous la donnes « Dieu, Vous
la donnes a lui et a nous, quand vous y tieudres la vraie et vive foi
calholique, spostolique et romaine, et Tarmeres d'un tele d'extirper les
beresies, les blasphemes" (p. 538—540). Bald nach dem Zug Anjou's
aach Polen starb Karl IX., und jener, der ingeheim nach Frankreich zu-
rückeilte , gab gleich fünf Guisen Sitz in seinem Rath und bezeigte dem
Kardinal von Lotbringen das grösste Zutrauen. Dieser genoss es jedoch
nicht lange. Er starb an einer Verkantung, die er sich zuzog, indem er
einer Processen der Bruderschaft der Weissen, der sich der damals
Frömmigkeit heuchelnde Heinrich III. einverleibt hatte, nackten Fussen
beiwohnte. Die ganze Königsfamilie umgab sein Sterbebett. Selbst die
Königin Mutter ward bis zu Thronen gerührt. Doch sagte sie gleich
nachher: von nun an werden wir Frieden haben (p. 567). Unser Verf.,
der des Kardinals grosse Eigenschaften anerkennt, ohne seine nicht ge-
ringen Fehler zu vertuschen, fuhrt des Urlheil des Jesuiten Daniel an:
La conservation de sa propre graodeur et les avantages de la maison de
Gaiie servaient beancoop a «Dimer aon zele, et tont bieo considere,
254 Rene* de BouilJe: Histoire des Du es de Guiie.
rambition etait sa pasaion dominante (Hist. de France ed. in IV.
T. Vt p. 552).
Damit schliesst der zweite Band. Im dritten Band entrollt sirU
mit der genauesten Umständlichkeit der noch trübere Zeitabschnitt, wo
der charakterlose, ganz elenden Lieblingen (Mignons) hingegebene Hein«
rieh III., obgleich er sich mit einer nahen Verwandtet der Guise ver-
ehlicbt hatte, unaufhörlich zwischen den zwei Parteien der Hngenoten und
der von Philipp II. inspirirten und geschützten und von Heinrieb v. Guise
geleiteten Ligue hin- uud herscb wankt. Bald stellt sich der König, not-
gedrungen , zumal da sein eigener Bruder mit selbstischen Absichten gegen
ihn aufstand, an die Spitze der Ligue, doch bloa um ihre Plane zu ver-
eiteln oder zu durchkreuzen, bald steht er beiden Parteien feindselig ent-
gegen, doch mehrentheils von weit grösserer Furcht vor dem angebliche»
Yertbeidiger der Staatskirche und des Throns als vor ihren offenen Be-
kämpfe» erfüllt. Weil er beiden Parteien nur üisstrauen einflössen konnte,
war er beiden verhasst, und trug die Hauptschuld an der zunehmenden.
Verwirrung und an der Unmöglichkeit einer haltbaren Versöhnung. Zu
einer Entscheidung zwischen dem König und Guise schien es kommen zu
müssen, als letzterer im April 1588 unversehens nach Paris kam, wo
der König von Soldaten umgeben sich aufhielt, obgleich fast die ganit
Bevölkerung ihm bewaffnet und auf's ausserste erbittert gegenüber stand.
Guise wurde von ihr wie ein Abgott empfangen, uud weil sie für aein
Leben besorgt war, setzte sie sich förmlich in Belagerungstaad und er-
richtete Barrikaden. Der König aber , der den Herzog mit Unwillen auf-
nahm, getraute sich nicht, ihn verhaften oder morden zu lassen, sondern
hielt es für gerathener , heimlich zu entfliehen und nunmehr sieb auf eine
Unterhandlung mit Guise einzulassen, die mit der Unterzeichnung aller
von diesem dictirten Friedensbedingungen endete, (p. 284 ff.} Nun berief
aber der König die Generalstaaten nach Bioin. Aach Heinrieb v. Guise,
trotz der Abmahnungen seiner Freunde, folgte der Einladung dahin, auf
das Ansehen seiner Macht vertrauend, die damals ihren Zenitb erstiegen
hatte. Hier jedoch fiel er am 23. Des. . als er gerufen sich zum König
begab, in dessen Vorgemach unter der Hand von Mördern, welche die-
ser gewonnen hatte. Dieae Scene wird umständlich vom Verf. beschrie-
ben (L. VL ob, 2. p. 305—317). Doch verhalf auch dieser Meuchel-
mord dem König nicht zur Macht. Des Ermordeten Bruder Majenne
trat jetzt an die Stelle des erstem , bis aein Neffe (Hei n rieh II. v. Gmse)
.»einer Gefangenschaft entronnen, den Haupteinfluss gewann. Auch dieser
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Rene* de Bouille: Hiftoire des Du es de Guise. 355
wurde dann wie Majenne des Trachtens nach der Krone verdächtigt. —
Aach Heinrich III. sollte das Ende des Bürgerkriegs nicht erleben; er
fiel unter Blörderhand vor den Mauern seiner Hauptstadt, die er belagerte.
Die Fortsetzung des Kampfs der Ligue mit Heinrich von Bourbon,
den der sterbende Heinrich III. selbst als seinen rechtmässigen Nachfolger
bezeichnet hatte, wird nun in den letzten Kapiteln des dritten Bandes und
in den ersten des vierten Bandes dargestellt. Es geschieht dies von dem
Verf. mit der nämlichen Ausführlichkeit und unparteiischen Geschichtstreue,
wie in den früheren Abtheilongen seines Werkes. Die letzten Abschnitte
desselben sind der Theilnabme der Guise an den öffentlichen Angelegen-
heiten unter Heinrich IV. und Ludwig XIII. insbesondere an der Fronde
gewidmet und schliessen mit Auskünften Uber die letzten Geschicke dieses
Hauses bis zu seinem Erloschen. Sein Gestirn am politischen Himmel war
von dem Augenblick verschwunden , wo Heinrich IV. von ganz Frankreich
als der rechtmässige Herrscher anerkannt wurde.
Wenn wir nun das Wesen, den Charakter, die Tendenzen und
Ergebnisse der ungemeinen und nachhaltigen politischen Thätigkeit der
Hauptpersonen des Guisiscben Stammes überschauen, so dringt sich uns
die Betrachtung auf: wie vieldeutig, zweifelhaft und ungewiss der Werth
oder das Verdienst aller Bestrebungen, die mit grossem Geräusch die
Welt erfüllten, vor den Augen der unbefangenen Nachwelt erscheinen
müsse, wenn sie einerseits nicht rein von selbstsüchtigen Absichten sieh
darstellen, und anderseits ihr Erfolg voraussichtlich mit nicht zu berech-
nendem Trübsal und Elend für die Menschheit und die Gesammthcit der
Gesellschaft verbunden war. In solchen Epochen , wo eine ausserordent-
liche Gahrung und Aufregung der Geister in der Gesellschaft entsteht und
die öffentlichen Gewalten sich aus Unverstand und Schwachsinn zur Be-
schwichtigung derselben unfähig nnd unmächtig erweisen, ist es aller-
dings leicht begreiflich, dass ausgezeichnete Talente, von persönlichen
Verbältnissen ermuntert, sich aufgefordert fühlen, die Versäumnisse und
die Unzulänglichkeit der Inhaber der öffentlichen Gewalten durch ihre
persönlichen Anstrengungen zu ersetzen. Nur zu leicht gesellt sich aber
diesem übernommenen Beruf sich voranzustellen die Versuchung, die durch
Lahmheit der Regierung gesteigerte Zwietracht und Verwirrung für Er-
reichung selbstischer Vortheile, als gerechte Belohnung gemachter An-
strengungen über die Gebühr auszubeuten. Nicht ohne Grund flösste die
Art nnd Weise, wie die Guise die Sache des Throns uud des Altars
gegen die Partei der Neugläubigen eigenmächtig verfochten, den Königen
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256 Kene de Bouill« : Hktöire des Dactf de Guise.
und ihren Ratbgebern den Argwohn ein, dass ihrem Kampfeifer ehrgeizige
Familieninteressen zur Triebfeder dienten. Daher entspann sich zwischen
der Regierung , als deren Vorfechter die Guise sich hervortbaten und die-
sen selbst ein von misstrauischer Eifersucht unterhaltener Antagonismus,
der den Wirrsal stets vermehrte und der Herstellung eines friedlichen
Zustandes im Reich hinderlich wurde. Hatte der Ehrgeii der Guise, wie
es manche Tbatsacben und Umtriebe wahrscheinlich gemacht (S. z. B. im
vorliegenden Werk P. III. L. V. ch. 1. p. 31 ff. und cb. 3. p. 252.
255), sich das Endziel vorgesteckt, die Krone der Cspetinger mit Be-
seitigung der Bourbons anf ihr Geschlecht tu bringen, so wurde ihre
Schuld durch das Verfehlen des Ziels uoch lange nicht gesühnt, indem
ihrem herrschsüchtigen Streben ganze Geschlechtsalter und die Wohlfahrt
des Vaterlandes in einem erbitterten Bürgerkrieg auf unabsehbare Zeiten
zum Opfer fielen. Gesetzt aber auch, das Augenmerk der Guise wlre
einzig dahin gerichtet gewesen, die ttets unterhaltene Beunruhigung des
Reichs und die grimmige Spaltung seiner Bevölkerung durch den Eifer
der Glaobensparteien zum Vehikel der eigenen immer höher steigenden
Machtübung zu benutzen, so wäre doch auch diese ehrgeizige Politik
weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen. Ihre Geschichte ist jeden-
falls eine furchtbare Bestätigung , dass die mächtigste , blühendste Monar-
chie dem Untergang nahe steht, wenn ihr Geschick einer Reihenfolge
schwacher und charakterloser Regierungen übergeben und es einer ehr-
geizigen Familie vergöunt ist, den Throninhabern einen langen Zeitraum
hindurch nur die Wahl an lassen, sich entweder zum blossen Vollstrecker
ihres Willens herabgewürdigt oder widrigenfalls von ihnen stets an den
Rand des Abgrunds hingedraugt au sehen.
Constnnz.
Digitized by LiOOQle
Nr. 17. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR
A. Tebeldi, das EigerUhum. Stuttgart. H aUber ger" sehe Verlogshandl.
' • 1848. 148 S. gr. 8.
Aus einem doppelten Grande glaubte der Unterzeichnete eine An-
leige dieser Schrift machen zu aollen, zunächst wegen der hohen Wich*
tigkeit der darin besprochenen Fragen und der eigentümlichen Art ihrer
Beantwortung, die gerade darum besonders zum Nachdenken anregt, weil
sie der herrschenden Zeitrichtung zumeist gerade entgegenläuft, sodann
aber aus dem Grunde, weil es ihm leid seio würde, wenn der sehr be-
achtenswerlhe Kern des Buchs (zumal Kap. 13—16) über der Schale
auch von Andern ebenso übersehen werden sollte , wie er selbst nahe
daran war es zu thun, als er sich bloss das Anfangs- und Scblusska-
pitel angesehen hatte. Denn diese entbalien meist muisigen Ballast tob
herkömmlichen geschmack- uud gehaltlosen Redensarten und Ausrufungen
Ober die Zunahme von Armuth und Elend im Grossen; ja die Einleitung
(S. 1—7) wird nicht selten geradezu lächerlich durch den missglück teo
Versuch des Verf., auf den Krückeu eines von schwäbischen Sprachfeh-
lern strotzenden Ausdrucks sich zum Schwung einer dichterischen Begei-
sterung hinaufzuschrauben, so dass nicht uur der Ernst der Sache dar*
unter leidet, sondern auch ein Entschluss dazu gehört weiter zu lesen.
Auch die auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie sich bewegenden Betrach-
tungen des Verf. (in den ersten 12 Haupbtücken) Uber das Eigen thum
und seinen Recbtsgrund überhaupt gehören grossentheils zu der sehr
schwachen Seite der Schrift, da sie nur etwa Das wiederbringen, was,
unter dem Einfluss des Römischen Rechts und der Ka nt- Fi ch te' sehen
Rechts ansieht, schon in unzähligen Büchern darüber ausgeführt ist. Doch
zeichnet sich die Darstellung des Verf. hier schon mehrfach aus durch
einzele treffenden Bemerkungen und ahnungsvollen Stellen, nicht minder
in der Begel durch eine grosse Anschaulichkeit, Lebendigkeit uud kräf-
tige Kürze des Ausdrucks. Immerhin aber bleibt dieser ganze Theil des
Bachs nur eine Zutbat, der der Verf., um ein Buch über „das Eigen-
thum« zu schreiben, glauben mochte nicht entrathen zu können. Er hätte
jedenfalls besser gethan, sich einfach zu beschränken auf die fast durch-
weg vortreffliche Schilderung der bäuerlichen und gewerblichen Verhält-
nisse der mittleren Zeiten, über die er mit genauer Sachkunde spricht,
XUV. Jahrg. 3, Doppelheft. 17
Uigitized by
258 .! Tebddi: das Eigenthum. T!
und hieran sodann seiua Vorschläge anzuknüpfen zur »Ilmühlichen L'rn-
gestaltung des in Belüg auf Landwirtschaft und Gewerbe heute gelten«
den Rechts, die am so mehr Beachtung verdienen als dieses Recht jene
Hauptgrundlagen alles Wohlslandes nach des Verf. Ansicht, die der Be-
richterstatter vollkommen t heilt, einer stetig fortschreitenden Auflösung
entgegenführt. Den ganzen hier einschlagenden Tbeil des Buchs, beson-
ders dessen 13. — 16. Hauptstück, dürfen wir mit gutem Gewissen Allen,
zumal nnsern Volks- und Staatswirthschaflern empfehlen, da Diese von
der Lichtseite des s. g. freien Eigen th ums so bestochen cn sein
pflegen, das* sie noch immer fast kein Ange haben für dessen täglich
dunkler werdende Schattenseite und für den Umstand, dass in der gan-
zen Geschichte so lose Eigenthums verhält nHsc , wie sie seit 60 Jahren
mehr nnd mehr sich gestaltet haben, ohne Beispiel sind. Ganz ahnlich
sehen wir auch z. B. einen sonst so klaren Kopf wie Thiers, noch
in seinen neuesten Reden und Schriften über das Eigenthum, völlig in
das alle ausgefahrene Geleise zurückfallen, da die tollen Versuche seiner
Landsleute , die Arbeit in (Un -) Ordnung zu bringen , ihn — wie rief«
Andere «— ganz blind für die Mängel der bisherigen Eigenthumsverhllt-
■ *
■iJ.#A n abV fr m%% KoliAti tnliAinAH T \ ' _ ~ ftLA- L. I \J n *• 0 mm n m n ■ ■ f knil«
msse gcmacni zu u einen sineinen« l/iese od er nai aer tctt. grossen iüoiis
erkannt und scharf gezeichnet. Es ist ihm nicht, wie der Schule des
8. g. abstrakten Liberalismus, entgangen, dass die Grundkrankheit uns rer
Eigenthumsgesetzgebung, von der sich im Alterthum wie Im Mittelalter
kaum eine Spur zeigte, in der Auffassung der ganzen Eigenthumsfrage
fast lediglich im Standpunkt des Einzelen liegt, dass das noth wen-
dige Verhittniss der stets wechselnden Zahl der Menschen zu der eben-
falls stets wechselnden Zahl der vorhandenen , zur Bedurfnissbefriedigung
erfoderiiehen Sachen dabei ganz ausser Acht gelassen worden ist, wäh-
rend es von Tag zu Tag gebieterischer Beachtung fodert, je dichter die
Bevölkerung und je drückender die Lebenslage eines immer grösseren
mens dieser DCYuiKerung wiro. noi. no» senon in seinen „urunuzugen
des Naturrechts" diesen Missstand nSher besprochen und eine Reihe von
Beschrankungen des s. g. freien Eigenthums angedeutet , welche das Recht
ihm dringend zu verlangen scheint. Der Verf. geht in seinen Vorschlä-
gen noch weiter als er. Im Wege zum Ziel mag hier oder dort geirrt
fein; dieses selbst aber steht fest; nicht bloss mehr die Wissenschaft,
sondern das drängende Leben gebietet, es unverrückt ins Ange zu fes-
ten. Vorwärtsgehen auf dem bisherigen Wege scheint dem Verf. mit
Hecht unheilbringend für die Menschheit! Ans den ersten 12 HnuptstUckeo
heben wir nur Hinzeies ans.
Digitized by VjOOQle
Tebeldi: das Eigenthum.
I« 1. Kapitel wird das „Recht tu leben«, alt körperlich be-
reites Wesen, als Hauptrecht angeführt, Kraft dessen wir Anerkennung:
tob der Gemeinschaft und Erhaltung aus deren Mitten) En fodern halten;
das Hecht überhaupt wird ganz Kantisrh als blasse Beschränkung der
äussern Freiheit der Einzel en mittelst Zwangs zum Zweck der Ermög-
lich des Zusammen- Lebens und Wirkens erklärt, die, wie jede Schranke,
uDbcqnem, aber doch da« kleinere Uebel sei. Ob Menschen ohne Vor-
nunffgebrauch , wie Kinder, Rechte haben könnten, scheint dem Verf.»
zweifelhaft (!). Im 2. Kap. (S. 12 — 17) „die Gleichheit der
Menschenrechte werden Recht und Staat ewige Naturnotwen-
digkeiten genannt, deren Gestaltungen freilich sterblich seien wie die;
Menschen. Der Verf. fuhrt die Satze ans, daas Ungleichheit immer neue
Ungleichheit gehart und der Gesellschaft ihr Grab gräbt, dass wir nur
gezwangen einer Gemeinschaft angehören können, die auf unsere Kosten
da ist, sofern wir mehr in sie einlegen als von ihr erhalten (gleichwie
» einer Aktiengesellschaft) , dass wir zu ihr in einem bloss t tatsächlichen
Verhältaiss stehen, mithin gegen sie so wem? eine Verbindlichkeit haben
ak sie ein Recht auf ans , dass wir vielmehr austreten oder die ans nach-
teiligen Gesetze umstossen dürfen, sobald wir die Macht daiu haben
i b. die Mehrzahl sind ; endlich dass die Gleichheit Jedem ein Recht gebe
auf so reichlichen Unterhalt, als ihn das Verhältniss der vorhandenen
Sachen zu den vorhandenen Menschen zulasst, aber auch eine Pflicht zu
TOThaltnissmässigem Arbeitbeitrag zur Hervorbringung der nothwendigenv
Sachen. Das 3. Kap. enthalt gewissermassen eine Einleitung und einen
Leberblick Desaeu, was die Schrift dea Verf. hauptsächlich auszuführen
versucht. Es erörtert „die t {tatsächliche Verth eilung des Eigen-
IbiBs* und hebt hervor, dass weder Einer oder Zwei, noch eine Million
»«sehen an Sacken, d. h. an leiblichen and geistigen Lebensmitteln, sich
allein zueignen and brauchen oder aufsammeln«) dürfe was Alle be-
dürfen, also aif Kosten Anderer (Mitlebender oder künftiger Geschlech-
ter); sonst liege darin gleichsam ein Verbot für die Verkarsten, sich
stit zo essen, Häuser tu bewohnen u. a. f. (S. 41), ja ein Diebstahl
[eine Aeusserung, die besser weggeblieben wäre, weil sie anProudhon's
marktschreierisch« Wort erinnert). Der Verf. zeigt, dass, Wer keinen
fruchtbringenden Besitz hat, nur arbeiten könne, wenn er für seine Arbeit
wenigstens soviel erhalt, als er tarn Leben braucht; die Arbeitfähigkeit
• i
•) Dieses Aufstapeln, bemerkt der Verf., sei überall da schädlich und
^gerecht, wo an Lebensmitteln kein Ueberaus« sei nnd enthalte dann Wucher,
17*
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Tebeldi: das Eigenthum.
allein sichere das Recht zu leben in keiner Art auf alle Fülle; die blei-
bende gänzliche Abhängigkeit (Sklaverei) der blossen Arbeiter folge un-
widerlegbar aas dem Umstände , dass die Arbeit ohne Boden und Kapitale
nicht denkbar ist, dass sie nicht schaffen kann, dass, wenn der Be-
sitzer nicht Arbeit dem Arbeiter zugestehen würde, Dieser keine fände
(S. 23); der Verf. zeigt ferner, dass und warum es täglich schwerer
wird, auch nur das Not Ii wendige durch gemeine Arbeit au erschwingen,
dass Maschinen und Hitwerbung, zumal der kleinen Besitzer, — die zu-
mal in den graulichen Versteigerungen an den Wenigstfodernden zu Tage
trete — ■ die Nicht b es itzer, sammt Weib und Kind, trotz aller Arbeit-
überbürdung, doch nur zum kümmerlichsten Pflanzen! eben kommen lasse,
„das sie mit Allem zahlen müssen, was sie über das Thier erhebt"
(S. 42), und er Bndet den Hauptgrund der raschen Aufzehrang des
Mittelstands durch Vermögens - Zersplitterung einer- und Aufhäufung an-
dererseits in der Auflösung jener Schranken von Beidem, die in den
alten Acker verfassungeu und Gewerbeordnungen gelegen
bitten. Was diese Schranken bedeutet und Was die beillosen Gesetze ge-
wirkt haben, wodurch sie, unter dem Schilde der „ Freiheit u (des
Eigen thuras, Gewerbs, Verkehrs), zumal seit der französischen Umwäl-
zung, beseitigt worden seien, schildert der Verf. späterhin näher. In
diesen Gesetzen und ihren Verteidigern erblickt er die naturlichen Feinde
der zahlreichen Klassen, die dadurch um das Recht auf Sachen gebracht
w • mm mm m ■ ■ * mrm mfmm w mm mm ■ mm^mm mm mm m ■ mw mm mm •— mmmmm mm mmmw ^ ■ * ^w*^« mm mW mm VM j% ^* mw ■ ^™ mr w
wären und die man nun mit ungeheurer Tyrannei zwinge, nach den
schmachvollsten Demttthigungen unterzugehen. Daneben wirkten alle die
armseligen Wittelchen , womit unsere Ständekammern den Arbeiten zu hel-
fen suchten, z. B. unentgeltlicher Unterricht, progressive Steuern, Brod-
karten n. dgl. , nicht mehr als Abzapfungen bei Wassersüchtigen. Der
Besitz, ungleich und unstetig, ohne richtiges Verhältniss der Menschen zu
Grund und Boden und zur Arbeit, wie er ist, könne nicht aufrecht er-
halten werden. Entweder die Gesetze werden ihn regeln oder furchtbare
Umwälzungen! Den Verhungernden helfen alle hochklingenden Bürger-
rechte Nichts; Nichts hilft ihnen die lächerliche sog. „Gl eich hei t vor
dem Gesetz-, Nichts, dass sie als „aktive Bürger" verhungern! ruft
der Verf. aus, der Oberhaupt hier ebenso kräftig als treffend die Sach-
lage schildert, die ihm später (Kap. 12) den Stoff abgibt zu einer gaoz
missglückten Parabel unter dem Titel: „eine halb wahre Geschichte." In
4. Kap. „das Eigenthum und seine Erwerbung" erklärt der
Verf. den Begriff des Eigenthums in der gewöhnlichen Weise , zeigt leid-
lich, dass der Satz: „Bezeichnung gebe Eigenthum4'- nur den ganz ver-
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Tebeldi: das
fehlten Versuch enthalte, unsere Eigenthumsverhaltnisse IQ rechtfertigen,
weil er den Grandmangel habe, die durchaus notwendige Beschrän-
kung des Eigenthumerwerbs zu verkennen, die sich aus dessen uner-
läßlicher Vereinbarkeit mit den Rechten und der Freiheit Andrer ergeben,
zonal mit deren unbedingtem Recht auf Leben und Sachen (Lebensunter-
halt), weil er ganz folgerichtig auch die Sklaverei rechtfertigen würde,
da auch der Mensch bezeichenbar sei. Das 5. Kap. fahrt den Satz auf:
„Abgesehen von bürgerlichen Gesetzen ist nur Eigen-
tum, was besessen wird; denn ohne jene sei nur im körper-
lichen Besitz die Möglichkeit des Schutzes und der Erkennbarkeit der
Absicht des Gebrauchs vorbanden , daher dem Volk noch Besitz und Ei-
gentum gleichbedeutend sei und die Römer Letzteres nur bei körperlichen
Dingen anerkannt hätten. Der Verf. will weder von einer ursprünglichen
Gütergemeinschaft, noch von dem erdichteten Ur vertrage als Quell desSon-
dereigenthums etwas wissen (S. 33) , und hält ebenso richtig dafür, dass
aoeh die Formgebung durch Bearbeitung Eigenthum am Stoff nicht
gebeo könne (höchstens Entschädigungsanspruch), sonst gebe dieses der
blosse an sich schrankenlose Wille. Seine Beweisführung ist hier jedoch
ebenso dürftig als sein Satz falsch: „die Naturrechtslehrer erklärten die
Verordnung (!) von Kraft, die Bearbeitung, zum Erwerb von Sachen
nirgend noth wendig." Ein flüchtiger Blick, sei es in Ahrens' oder des
Ref. Buch über Naturrecht, sei es in den trefflichen Art. „
Ton W. Scholz im Staatslexikon, ja schon in Warnkönig's
pniiosopnie wuroe oen veri« vieiieicnc nier unu unernBupi oesnmmi na—
ben, Manches vielseitiger und anders auszuführen. Wenigstens nicht alle
..Juristen" beten die platte römische Theorie von den Rechtsgründen des
Eigenthumerwerbs als rechtsfilosofisches Evangelium nach! Die Haupt-
»ilze des 6. Kap. „inwiefern das Eigenthum in der Natur
tust", sind bereits oben besprochen; es enthalt viel Unbegründetes und
l ebertrieben es , was wir Übergehen. Wahr bleibt nur soviel, dass der
Bedarf (auch der künftige!) und die Sicherung seiner Deckung den Haupt-
inhalt für jede gerechte Eigenthumsgesetzgebung abgeben muss, und dass
dessen Art und Umfang, so sehr verschieden bei den Einzelen, in der
Regel nur für eine enge Umgebung beurtheilbar ist — welch' Letzteres
«üe Gleich macher von Oben vergessen. Im 7. Kap. (S. 45 ff.) wird „der
Binfluss der Erbfolgesetze auf das Eigenthumu besprochen.
Ei wird der sehr schwache Versuch gemocht, zu zeigen, dass nur durch
der Staatsgesetzo der Nachlass nicht herrnlos werde, und
wcsshalb die Arbeit der Nachkommen von Nichtbesitzern
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Tebeld«: da* Eigenthum.
fast immer unergiebig, also die Mittellosigkeit gleichsam vererblich, kurz
eine Pariaklösse und eine tielreicbende Gebnrtaristokratie (der Besitzer)
da sei. Das Erbrecht soll nicht abgeschafft, sondern nur auf ein höch-
ste* Mass beschrankt werden (wie? hat zwar der Verf. nicht gesagt,
aber Andere vor ihm), und Was drüber U der Gemeinde zufallen,
die dann Mittel hätte wirksam der Armutb abzuhelfen. Neu und über-
raschend für die Meisten wird die Ausführung im 8. Kap. (S. 49 ff.) sein :
„Hecht und Eigenthum sind dasselbe, jedes Recht ist B i-
gentbum"; dieses ist nur das Recht in Bezug auf einen bestimmtem
Fall, daa Erscheinende, Körperliche am Recht; das Recht aber ist dos
Wesen (der Grund) , das Innere oder Geistige — das Lebensprinzip —
des Eigenthums, mit dem es entsteht und vergeht, auch wenn sein Gegen-
stand fortdauert: ea besteht in der Beziehung des Guts auf die Person.
Das Fiffenthum ist die Summe der anerkannten Beziehungen einer Sache,
d. h. eines Mittels für menschliche Zwecke , zu nur, nicht die Sache selbst,
auch licht mein Wille; es begreift alle wirklichen und vermeinten, jetzi-
gen und künftigen Güter (nicht bloss die körperlichen Dinge), worü-
ber ich verfügen kann , z. B. auch das Recht auf die Dienste des vor-
ausbezahlten Bzrbiers, ein Jegdrecbt, eine jährliche Rente, eine Bank-
note, einen Steatsschuldscbein , ein Lotterielos , eine schone I rau, das
Recht eine bestimmte Person zu heirathen, den Adel. Geistreich ver-
gleicht der Verf, 4en heutigen vermeinten Gegensatz von Recht und
Eifenthum dem früheren von Kraft und Stoff (8. 52) und erklärt Um
«1 14 flar Wah rtiflhmuuf* (Ihss vie I ß RechtA kpinpn Tb lisch wer Iii hab£D w o
sin nämlich Allen zukommen, z. B. des Jagdrecht, das Rennt Holz aus
dem Urwald zu holen vor 1000 Jahren, wo sie also volkswirtschaftlich
keine Güter (d, h. Vermögenstheile) sind. Jedes bestimmte Recht bedürfe^
nach ellgemeiner Uehereinkunft, einen äussern Gegenstand zur Unter-
lage. Das 0. Kapitel stellt den Satz auf, das Eigezthum ist den
Verfügungen des Staats unterworfen. Daher dürfe, je müsse
er es, sofern es auch eine Staatseinrichtung ist, gleich alleo andern
solchen » z. B. den Strafen, seinen Bedürfnissen aunassen es beschränken
seine Erwerb- und Verhistarten ändern, sofern diese Verfügungen den
Zweek des Ganzen fördern, z. B. das Verbot der Niederreissung oder
Anzundung meiues Hauses, seiner Verwandlung in ein Pulvermagazin, le-
benslanger Verdingung etc, Von den Beispielen solcher Staatseingriffe zu
allen Zeiten, die das 10. Kap. (S. 58-64) in ziemlich bunter Reibe
zus alter , mittlerer und neuer Zeil beibringt , genüge es hier zz erinnern
an die zahllosen und oft schweren Steuern (wezz der Verf. zucn die
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Tebeldi: das Einentham;
»63
Opfer, Lehnwesen und Requisitionen zählt), an die Beschränkungen des
Erwerbs von Liegenschaften über ein gewisses Mass oder durch Nicht-
adlige, des Berg- und Häuserbaus, der Jagd, an die Bestimmungen über
gesetzliche Erbfolge, Majorate, Unteilbarkeit, Ausstattung, Vorkaufs-
rechte etc. Als mittelbarer wirkend werden Zunft- und Iudigenatgesetze,
Aufhebung der Ehescheidung, der Vaterschaf (klage u. dgl. genannt, end-
lich als Beispiele sogar der Wegnahme des Ganzen durch den Staat:
Einführung oder Aufhebung der Sklaverei nnd Leibeigenschaft, Geld- und
and Vermögenstrafen, Einziehung von Klostern und Stiftungen, Verlustig-
erklUrung von Amt und Geschäft, Armensteuero , Rekrutenaushebung etc.
Das 11. Kap. führt eine nicht minder bunte Reihe von Autoritäten dafür
an, dass das Eigenthuni eine Einrichtung des Staats sei, in diesem inten
Rechtsgrund habe, — ein Satz, der über die Grawe der Wahrheit hin-
ausgeht und ausserdem überflüssig ist um zu beweisen, Was er bewei-
sen soll: dass der Staat das Eigenthum zu regeln habe. Im 13. Kap.
(S. 73 — 87) wird lichtvoll dargestellt: das geb un denn Eigenthum
nnd dessen Vortheile für die Gesellschaft. Einleitend wird
hervorgehoben, dais das Sondercigcuthum ohne Frage aus der eigensten
Katar des Menschen entspringe, stärker als Alles antreibe zu Arbeit und
Erwerb für sich und die Seinen, dass Jeder nur das Eigne gern schon«
nnd bessere, dass umgekehrt Gütergemeinschaft jenes Reizes haar sei,
daher Zwang unentbehrlich mache, Sklaverei, Verflachung und Unbildung
nach sich ziehen müsste, dass aber das Eigenthum so wenig wie der
Staat immer ebenso gestaltet sein müsse wie heute. Sonst sei es, soweit
nur mOglicb, auch Gemeingut gewesen, d. h. es habe auf der eisernen
Grundlage des Vortheils der Mehrzahl geruht. Jedes deutsche Dorf, sagt
der Verf., habe bestanden ans einer bestimmten Zahl untrennbarer Höfe,
d. b. unveräusserlicher Lehen (die früher alle drei Jahre verloost wor-
den), die ein Sohn erbte und nicht verschuldet nnd verpfändet werden
durften. Ein besonderes Gemeindegut daneben sorgte für gemeinsame
Anstalten und Vorrüthe , z. B. Saalkorn („Gemeindeschttttkästen") , zumal
für Missjahre etc. Selten war ausser dem Bauerbof sammt Zubehör Et-
was xu erbet), daher keine Heirathen nach Geld; dort blieben die Ge-
schwister als Kneebte und Mägde und hatten, da sie nicht fortgeschickt
werden durften , gesicherten Unterhalt (S. 78). Acbnlich wie der Boden
(die Mark in Höf«) wurde auch die Arbeit als Besitzthum binnen eines
bestimmten Bezirks vertheilt, so dass weder heraus noch hinein ge-
arbeitet werden durfte; man Hess darin für jede Art von Arbeit nur so
viel Meister zu, als von dem Einkommen für die erfoderlicbe Arbeit
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264
Tebeldit das Eigcntlinm.
leben konnten, und seilte für jeden Meister eine unttberschreitbare Zahl
von Hülfserbeilern fest, um dem Einfloss der Glücks- und Unglücksfalle
zu Stenern. Das Meisterrecht war unveräusserlich (unverschuldbar), des-
sen Erbe der gewerbtüchtige älteste Sohn , auch die Wittwe. Die Nach-
geborenen hatten das nächste Recht Hülfsarbeiter zu werden. Nicht die
Willkür der Meister , sondern des Innungsgesetz entschied Uber Zahl, Zu-
lassung oder Entlassung, Lohn, Arbeitzeit und Ruhetage der Hülfsarbeiter.
Sie gehörten zur Familie des Meisters, an seinen Tisch, unter sein Dach
und erwarben stufenweise ein näheres Recht auf die Meisterschaft. „Was
den Grundbesitzern die Gemeinden waren, waren den Arbeitern die In-
nungen." Diese, denen durch Beitrüge der Meister und Gehülfen, sowie
durch Stiftungen, die nöthigen Geldkräfte zuflössen, nahmen sich der Be-
dürftigen, Wittwen und Waisen an, überwachten die Güte der Hand-
werkerzeugnisse , deren Preise, die Sittlichkeit der Gewerbgenossen, die
Einhaltung der Handwerkordnungen , die Zurückweisung der Pfuscher, die
Ehre der Innung. Diese „Organisation der Arbeit11 sicherte das
Loos der Gewerbarbeiter nicht minder als das der Bauern. Es gab sehr
wenig freies (d. b. nicht als Zubehör an den landbau und Gewerbbe-
trieb gebundenes") Kapital, was dann allen Kindern oder aber Stiftungen
zufiel, sich bald wieder verlor, selten Jemanden nöthig, daher schwer auf
7inaon onavnlaili An udr nnA nir>lif * n / '«l s*»1i ü fl Ii » I ri »Ii a n im ßrAcaan «nf.
/Jiuscu «usxiiJiciiicii " oi tum iiii Iii. au ucM. im 1 1 ii 1 1 1 1 » u i Ii im urusscu «IUI
gehäuft werden konnte. Konnten die Bauern auch nicht so woblfeil, wie
heute, Gewerberzeugnisse kaufen, so waren sie dafür auch schuldfrei.
„Die zünftige Zeit verwirklichte die richtigste Vertbeilung der Lebensbe-
dingungen, die der menschliche Erfindungsgeist bisher ins Leben zo rufen
vermochte Sie kannte keine Uebervölkerung. Damals gehörte Jeder
einer Familie an und konnte , ohne festen Besitz , eine neue nicht grün-
den, wozu er auch weit weniger Beweggründe hatte als heute. — Ihre
Vervollständigung erhält diese Schilderung durch die des Gegensatzes : des
freien Eigenthums und seiner Folgen — im 14. Kap. (S. 88
—112). Den Grund hierzu legte nach dem Verf. die im 17. Jahrhun-
dert nach Friedrichs II. glänzendem Vorgang auf grosse stehende Heere
sich stützende unbeschränkte Fürstenscliaft , der Land und Leute als ihr
Sondergut galten, und die mit dem ganzen Zustand der Gesellschaft zur
Zeit des gebundenen Eigenthums unvereinbar war. Dieses musste
also beseitigt werden , um den „aus einer Spitze bis ins letzte Dorf hin-
ein regierten Hilitörstsot möglich zu machen , da es weder Menschen noch
Geld im hierzu erfoderlichen Masse liefern konnte. Steigerung der Be-
völkerung, die immer einige Steigerung der Arbeiterzengnisse mit sich
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Tebeldi: das Eigen thom.
fährt, galt nun als Mass des Wohlstandes und Ziel des Staalswirths.
Dafür war Steigerung der Familienzahl oölbig- und das Hauptmittel hierzu
Zerstückung des Grundeigenthums (der Gemeinde-, Kloster- und
Bauergüter). Man gestattete die Theilnng der Höfe ort selbst Uber das
geringste Mass des Bedarfs einer Familie hinaus. Der Verf. fuhrt gut
aas, wie die gewöhnliche Folge davon war: Verfallen der Geschwister
des kleinen Hofbesitzers ans Proletariat, Rückgang der Viehzucht, des
Getreidebaues und der Ergiebigkeit des Bodens , Entwertbung der nun zu
grossen Gebäude, des Viehs und Gerätbes der Höfe, Zerrüttung der Fa-
milienverhältnisse durch nothgedrungene Gesinde - Ammen- Fabrikdienste etc.,
endlich Lebens Verkümmerung, Er zeigt, dass man, um die Tbeüe der
zerschlagenen Höfe bewirtschaften zu können, und da die Aushülfe durch
das frühere Gemeindegut wegfiel, folge weise auch Pfandschulden er-
lauben musste und auf das gleiche gesetzliche Erbrecht aller Geschwister am
Boden kam. Die Pfandverschuldung enthält aber ..eine Theilung der Scholle,
die noch weiter geht als die thataSchliche Zerslückung.* Der Schuldner
ist für den schuldbelasteten Theil nur Pachter seines Gläubigers , aber ohne
Recht auf Nacblass in Missjahren ; er zahlt für Diesen die Steuer mit, auf
Kosten seiner Lebsucht. Häufige Besilzwechsel , gezwungene Tnglöhnerci
der Bauern nebenher, Eben nach Geld, endlich der Bettelstab seien all-
tägliche Früchte der Vernichtung der alten Ackerverfassungen , deren üble
Einwirkung auf Abnahme der Waldungen und drückende Ungleichheit der
Grundsteuer näher gezeigt wird (S. 96 f.). Ebenso wurden zugleich die
alten gebundenen Gewerbverhlltnisse taglich mehr gelockert oder ganz
anfgelöst , da es galt , die Gewerblhatigkeit künstlich so zu steigern, dass
sie (durch Miterzeugung für s Ausland) eine Bevölkerung (für das Heer)
•iternähren konnte, für die der eigne Boden nicht ausreichte. Zu dem
Ende vermehrte man, auch durch Scholzbriofe , die Zahl der Meister und
sprich die Grossgewerbe (Fabriken) , deren Betrieb einen weiten Markt,
grosses Kapital und meist vielartige Arbeit verlangte, ganz frei von den
Zosflbescbrinkungen auf einen festen Bezirk, eine genau bestimmte Art
der Arbeit, Prüfung der Tüchtigkeit darin etc. Zugleich erlaubte man
bei Kleingewerben beliebig viele Gesellen , deren Mitwerbung ihren Lohn
herabdrückte, Ablohnung bloss mit Geld und nach Stückarbeit, wodurch
Feier- and Krankheittage ihnen ausfielen und sie überhaupt aus der Fa-
milie des Meisters ausschieden — , man beschrankte ihre Lehr- und Wan-
derzeit, verminderte damit ihr Kunstgeschick etc. Von tsusend Zufallen
hingen seitdem die Gewerbe ab , z. B. von Erfindungen, Ansiedlong frem-
der Arbeiter, Mttwerbung etc. Mit Aufhebung der Zünfte vollends hörte
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26«
Tebeldi: das Eigeniham.
der Ge-werbbetrieb auf, ein festes, seinen Mann mit Weib und Kind
reichlich nährendes vererbliches Besilzthum zu sein. Die Erzengangs-
kosten der Waeren stiegen durch die übermässige Mehrung der Gewerb-
leote, die alle leben wollten. Eine künstliche Steigerung des Waaren-
verbrauchs durch schlechte Arbeit, Mode und Luxus ward nöthig. Die
Meistersühne verloren das alte Vorrecht auf die Hülfsarbeiterscbaft. Es
erwuchs ein neues Proletariat aus dieser Lage der Meister und Gesellen.
Dieselbe wurde oft durch Zolle der Nachbarländer noch schlimmer, den
Ausfall bezahlte baußg der Staat durch Ausfuhrbelohnungen. So ward es
t heuer genug erkauft, dass man heute überall kaufen kann und sehr
wohlfeil; denn die Wohlfeilbeit allein bürgt beute für Absatz. Der Rai*
ebere kann aber begreiflich viel wohlfeiler and ins Grosse arbeiten lassen,
ohne oder mit Maschinen. So wird der unbemitteltere Handwerker all-
mählich heraba-ed rückt mm Tupliihner und Fabrikarbeiter Die Bildung
geht rückwärts. Die aufgehäuften Waareavorrätbe drängen zum Jagen
nach Absatz um jeden Preis, sie fuhren eudlieh zum Feiern und -~
Hungern und rufen Heere hervor, bereit zum Umsturz der geselligen
Ordnung. Der Verf. bespricht ferner die Rückwirkung von dem Allem
auf eine immer ungleichere und für die ärmste Klasae bedrückendere Art
der Besteurung, zumal da die indirekte Steuer zur Hauptsache werde,
weil das Kapital sich der direkten entziehe; er zeigt, wie das Kapital
durch die Ungebundenheit des Eigenthums ungeheuer anwuchs und ferner
anwachsen nauss, wie seiner Despotie Alles unterlag, auch der Boden,
der fast ganz beweglich gleich der Fahrniss geworden, teitdem er Ter-
schuldet ^ verflussert uud dorch Anksuf vod Pfflndbricfori erw orben werden
konnte, ohne dass man grundateuerpfliefatig wurde oder Inländer war«
Hierauf schildert Kap. 15 (S. 113 ff.) die heutige Desorg anisirung
der Gesellschaft, ihre Auflösung in feindliche Klassen und Familien,
ment ohne vielfach scharf treffende Wahrheit, und hieran knüpfen sich
im 16, Kap. (S. 122 — 140) Vorschlage zur Beorgan isirung
des Eigenthums. Tiefeingreifend, aber unertasslich scheint dem Yerf.
hier: 1) Allmähliche Rückführung des Bodens auf feste ausreichende
Familienbesitze (Höfe) dadurch, dass jeder Besitz, der diess Mass er-
reicht bat, für untrennbar erklärt wird, dass kleinere Grundstücke nur
von Solchen erworben werden können, die jenes Mass noch nicht er-
reicht haben, ausser ihnen nur (in ErbfäUen) von der Gemeinde, die
dieselben zum Schätzungspreise übernimmt und daun, in Höfe vereinigt,
veräussert. 2) Ebenso allmähliche Theilung zu grosser Besitze (Lehen-
Ritter -Stammgüter etc.) in angemessene Hofe, die von deren Eigen-
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Tebeldi: das Eitfenthnra,
2W
iblimcm &di)s t obDt W ordco niiisscD ^ nicht v c r j) flehtet werden dürfen^
wenn sie nicht Gesammtheiteu gehören. Den Pfandglnubigern sei zu ge-
stalten, auch eiuzele, die Grösse eines Hofs erreichende Theile des Ter*
pfändeten Bodens zu veräussern. 3) Abzuschaffen sei Alles, was dahin
führe, dass die Höfe kein ausreichendes Einkoromen abwerfen, also
vor Allem, und umsonst, Frohnen und geistliche Zehnten, denn jene
seien feudale Gegenleistungen für Auslagen »um gemeinen Besten gewe-
sen, die heute nur der Staat mache (gegen Steuer), die Geistlichkeit
aber erhalte nun auf anderm Wege von den Staatsbürgern Was ihr ge-
bühre. Jeder Hof müsse wieder zum Gesammtbesten für uotheilbares und
■nverpfändbares Erbe des ältesten oder jüngsten Sohnes erklart werden,
haudene Pfandschulden dürften nicht weiter zugeschrieben werden, und der
Kredit müsse künftig nur auf der Rechtlichkeit und Faustpfändern beruhen.
4) Die Gemeinden müssen , um der Kitt zu sein , der die Höfe zur Feld-
mark bindet, ein Eigen th um von Belang haben, aber nicht Uber einen
bestimmten Theil der Feldmark; sie sollen daher, falls sie bisher Um-
] d ^ c ti o d r t fl q t s z u ^ c Ii ii ss c L)ccJ urficu ^ ^ CrSctZilic \\ o t^rljcn der U<ilftc
alles Bodens werden , der einen Hof übersteigt ; alle Körperschaften sollen
von Vermögenseinziehung frei sein und den Eiuzelen in Besteurung, aber
auch sonst (1} in Erwerb- und Eigenthumrecht gleichgestellt werden; —
eine Foderung, bei der der Verf. offenbar an die geistlichen Körper-
schäftc o ^fvlösicr etc. ^ niohl ^oddeht liät * in dtr^Mj lodlo Ildnd Oruud**"
eigenthum , wohl gar unbeschrankt, gelangen zu lassen (wie weiland in
Spanien), nicht bloss volkswirtschaftlich ein Unheil wäre, dem zu be-
gegnen mit Grund neue und alte Rechte für uuerlässlich halten. 5) Zur
Sicherung des Looses der Feldhilfsarbeiter endlich sollen die Arbeitgeber ihnen
Koat und Herberge schuldig sein , für die Arbeitloseo und Arbeit unfähigen
die d Cüi ei odeu s o r ^ c n ^ dl c xu gleich dos W t» c Ii t 1 1 d L) c ti solle lic irölliciidcn
Hilfsarbeitern das Gemeindebttrgerrecbt zu kündigen. — Diess Alles werde
das Land, das jetzt unnatürlicher Weise im Besitz der Städte sei, Denen
zurückgeben, die es bauen; dafür müsse den Städten Schadloshaltung
durch Bildung von Gewerbbezirken aus einer Anzahl Landgemeinden wer-
den, die für ihren Bedarf je auf eine bestimmte Stadt angewiesen seien.
Den Angehörigen dieser Bezirke soll dann , unter Oberaufsicht des Staats,
damit die Landleute vor Uebergrifien sicher seien, die Leitung aller Ge-
werbangelegenbeiten binnen derselbeo zustehen — mittelst Gewerbver-
sataaiiongea — %. B. Bestimmung der Zahl der Gewerbleule etc. nach
dem Bedarf, «J«\ damit Diess, sowie die Sicherung des Looses 4er
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»6$ Tebeldi : das Eigenlhum.
Gewerbgehülfen , die Ueberwachung der Güte der Waaren u, f. f. mög-
lich aei, hält der Verf. für unerläßlich: Gestalten der Nichtdurdung des
Verkaufs andrer als selbstverfertigter Waaren ; Nichlwicderverteihcn er-
ledigter Gewerb- und Fabrikbetriebe (wobei die Hilfsarbeiter nicht zu
kurz kommen können, weil sie die Mehrzahl sind und mitstimmen), Ver-
bot, zu einem Bürgerhaus ein zweites zu erwerben, Schulden auf ein
Bürgerhaus zu legen , sofern es nicht noch für den Geschäftbetrieb über-
flüssige Räume hat ; Verbot der Vereinigung mehrer Arbeitbesitze in der-
selben Hand; Verpflichtung der Gewerbleute zum Selbstbetrieb ihres Ge-
werbs und Vererbung desselben auf Wittwe und filtesten Sohn ; Erklärung
von Werkstatt und Werkzeug für untheilbares Zubehör des Gewerbrechts,
das der älteste Sohn miterbt , ohne an die Geschwister Etwas herauszah-
!en zu müssen, Dritte aber zum Scbätzwerth zu übernehmen haben; Vor-
recht der Gewerbkinder auf die Hilfsarbeit; zünftiger Betrieb aller Ge-
werbe-, Festsetzung der Arbeitst unden und des geringsten Arbeitslohns, und
zwar nach Zeit, nicht nach dem Stück; Verpflichtung der Heister, Kost
•und Wohnung den Gehilfen zn geben ; Versorgung der Armen jeder Ge-
werbgenossenschaft durch diese ; Recht , beirathenden Hilfsarbeitern das
Gemeindebürgerrecht zu kündigen. Heute, wo die Gewerbarbeit meist
gemeine Arbeit geworden und die Mitwerbung so sehr gross ist , scheint
dem Verf. noch ausserdem unerlüsstich : 1) Haushaltvereinigung zu ja
80 — 100, womit auch mancher Beweggrund zum Heirathen wegfalle,
die Zulänglichkeit der Arbeillöhne übersehbar werde etc. Die wirth-
achaftlichen Vortheile davon sind einleuchtend, ob aber dabei ohne Ka-
sernenzucht bei meist rohen Leuten an Handhabung der Ordnung zu denken
sei, scheint dem Ref. fast ebenso zweifelhaft wie bei Fourier"» Pha-
lonsteren. 2) Grosse Findelhäusser; — ein Vorschlag, dessen sittliche
Verwerflichkeit keiner Ausführung bedarf. 3) Beförderung der Auswan-
derung im Grossen, mittelst überseeischer Lnndköufe , angemessener Staats-
vorschüsse , auch in Bezug auf Landwirthschaft und Gewerbbetrieb, fiif die
Dürftigen nebst unentgeltlicher Ueberfahrt. Wie zweckmässig auch die
Gemeinden, nach dem Vorgang des Allerthums, auf eine ähnliche Ablei-
tung ihrer Armen Bedacht nehmen würden , da der Staat unmöglich Alles
ouf sioh nehmen kann, ist für sich klar, und dnrch ein neuerliches Bei-
spiel in Baden bestätigt worden (Ref.). 4) Verbringung schwerer Ver-
brecher in Verbrecheransiedlungen, — worin der Verf. das einzige Mittel
zur Ersparung unmenschlicher Strafen sieht und die ihm in viel zu rosi-
gem Licht erscheint. Um endlieh das Uberwuchernde Kapital wieder in
den Hintergrund zu drangen, will er 1) Besteurung der Fabriken und
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Tcbeldi: das Eigenthum. 269
Maschinen io Verhältnis* tu ihrer grossen Arbeilkraft. fSo seien i B.
die Eisenbahnbesitzer Nichts als Grosafuhrleote , — aber ganz steuerfrei)
Das Gegeolheil rufe Dergleichen künstlich hervor und erdrücke die klei-
nen Gewerbe. 2) Abschaffung der Staats - und Handelsbanken, die beide
nicht vorhandene Gelder vermutben machen sollten nnd wovon letztere
nur die Grossgewerbe unterstützten. Alle Staatsschulden würden am Ende
nicht bezahlt und das Papiergeld entwerthet (daher die vereinten Staaten
von N. A. es nicht dulden Ref.). 3) Verbot aller anf den Inhaber lau-
tenden Schuldscheine und Zinsabschnitto (s. 138), da die Inhaber nicht
zu ermitteln, also durch die Vermögensteuer nicht zu erreichen seien.
Ref. halte dieselbe Massregel noch aus andern Rechtsgründen in seinen
„Grundzogen des Nat. R." gefodert und ist überzeugt, dass sie mit der
Zeit, trotz aller Bequemlichkeit der heutigen unnatürlichen Einrichtung
nnd alles Geschreies der Börsenmänner nnd Aktiensebwindler, als unver-
meidlich werde erkannt werden. Jedenfalls will der Verf. die Zulassung
der Staatsschuldscheine beschränkt wissen. 4) Herabsetzung der Staats-
schnldzinscn etwa auf die Hälfte. Diess werde täglich dringlicher, da
z. B. fünfprozentige Statspapiere , die im Kurs nur zu 60% stünden, weit
mehr als 5% trügen nnd die Völker nicht gehalten seien, ewig die
Sebalden zu bezahlen, die Eitelkeit und Leichtsinn früherer Geschlechter
ihnen anferlegt hätten. — Niemand wird leugnen, dass in der grossen Mehr-
zahl der vom Verf. gemachten Vorschläge ein beherzigenswerther Kern
von Wahrheit liegt, ao sehr sie auch gegeo den Strich der heutigen s. g.
Volks- und Staatwirthschaftlehre sein mögeu, denn diese scheint uns,
wie wir offen bekennen, Nichts weiter zu sein, als eine niederländisch
na tortreue Sohilderung der heutigen, lediglich vom blinden Zu-
fall beherrschten, jedes höheren, leitenden gesellschaftlichen Grundsatzes
and folglich aller Ordnong haaren, wirthscbaftlirhen Vorgänge, die unter
dem gleissenden Schilde der ( individualistischen") Freiheit fder Gewerbe,
des Handels etc.) und der freien Mitwerbung, die Kräfte Aller gegen
Alle zu einem herzlosen Vernichtungskrieg in Bewegung setzen, der den
siehern Untergang der wirklichen Freiheit ood des Wohlstaods der
grossen Mehrzahl io dem Monopol Weniger zur trostlosen Folge hat und
haben muss. Das blosse Gewährenlassen mag in Zuständen, wie
die Nordamerikas, noch auf lange hin ausreiebeo, überhaupt solange
als dabei Jeder seio gutes Auskommen finden kann. Bei uns kann nur
eine baldige feste, durchgreifende Ordnung der landwirtschaftlichen und
gewerblichen Verhältnisse vom Standpunkt des Ganzen aus Rettung brio-
gen vor der Zerreisiung aller geselligen Bande durch den versteckte»
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*7ff Tebeldi: das Eigentum«.
oder offenen Sklavenkrieg des durch untere Gesetze herangezogenen Pro-
letariats, und das blosse Zusehen des .Staats, wie bisher, dünkt ans ein«
Politik tu »ein, deren Kurzaichligkeit ohne Beispiel ist.
K. HMrr.
A critical history of the language and lilerature of antient Greece, by
William Mure of Ca Uhr eil. London: Longman, Brown Green
and Longmans, paternoster-rotc 1850. Vol. 7. XVI und 519 S.
Vol. II. VII und 508 S. Vol. III. VIII und 532 S. in gr. 8.
■
Die erste Kenntnis* von dem Erscheinen dieses Werkes erhielt Ref.
durch die englischen Blatter, welche mit ungeteiltem Lobe Uber dieses
Werk sich aussprachen und dasselbe geradezu als ein solches bezeichne-
ten, wodurch Alles, was bisher Uber diesen Gegenstand geschrieben
worden, völlig Überboten werde, indem, bei dem Ungenügenden aller
bisherigen Versuche, hier zum erstenmal eine Geschichte der griechischen
Literatur im eigentlichen Sinne des Worts hervortrete. Ware diese nun
wirklich der Fall, so wäre vor Allem eine Verpflanzung dieses Werkes
auf deutschen Boden zu wünschen; denn dass die griechische Literatur,
trotz aller Ungunst der Zeit und aller der schon auf Schulen wirksamen
Hemmnisse, doch noch in Deutschland mehr Pflege und eine grössere
Zahl von Verehrern findet, wie in England, wo dieser Kreit enger
gezogen ist, wird Niemand in Zweifel stellen wollen. Der Verf. dieses
Werkes zeigt sich als einen gebildeten, mit Griechenland, griechischer
Literatur und mit den darüber angestellten Forschungen im Genien vertrau-
ten, von Vorurtheilen, soweit sie nicht in englischen Ansichten und Ur-
tbeilen begründet sind , auch ziemlich freien Hann , was seinem ^Verke
die Aufmerksamkeit des deutschen gebildeten Publikums immerhin anwen-
den mag, auch wenn das Endurtheil Uber dasselbe in Deutschland ein
anderes sein sollte, als das, was Englische Blätter und Englische Leser
darüber füllen. Preilicb ist es, so weit wir wissen, die erste grössere
Erscheinung der Art auf englischem Boden , durch welche ein in sich zu-
snmmennangenues oiiu aer gnecniscnen Literatur in ihrem Ursprung, in
ihrem Fortgang und ihrer Eni Wickelung gegeben werden soll; auch soll
dasselbe • wie hervorgehoben wird, keineswegs als eine bloss philologi-
sche Arbeit angesehen werden , sondern als eine Darstellung, bei welcher
die allgemein literarhistorische Tendenz nirgends ausser Acht gelassen
wnrHftn Inu-ipfurr» nun diACA 7watLa ArrAirht aintt rnno uns (1«m
viuruüD. liimcicru uuu uicdu aytoi&c crrviciit »iuu , wog »in ucn«
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Mi
Bericht , den wir hier über den Inhalt und Charakter des Werkes in der
Kflne zu geben versneben, erbellen; es mag: auch damit die oben aufge-
worfene Frage ihre Beantwortung finden, ob eine UebertragungdesGa Il-
ten in deutsche Sprache wünschenswert!! oder selbst als ein Bedürfnis
erscheine. Ref., um hier gleich seine Meinung auszusprechen, hat sieb
von einem solchen Bedürfnis* am so weniger Überzeugen können, als
schon die Breite der Darstellung, die Weitschweifigkeit mancher Aus-
führungen, und die mangelhafte Darstellung anderer Parthieen, deutsche
Leser wenig anziehen wird, die über diejenigen Gegenstände, welche
in vorliegenden drei Bänden bebandelt sind, eben so gut und theilweise
noch besser ans deutschen Werken eine gründliche Belehrung gewinnen
können, so dass die Moth wendigheit einer Uebertragung , wenigstens des
Ganzen, nicht vorliegt. Dass im Einzelnen übrigens Manches vorkommt,
was gereckte und dankbare Anerkennung verdient, wird aus unserer
Anzeige sich herausstellen. Wie der Verfasser seine Aufgabe ge-
fasst hat, wird zunächst aas dem ersten Capitel des ersten Bachs er«
sichtlich, welches auf etwas mehr eis anderlhalbhundert Seiten eine Ein«
Icitun^ bsTiu^t ^ w dclie Ii o u p t s ei c fi 1 1 c h mit' der tlnsclieo ^ dein ersten ^^ol^*
traten der Poesie in den homerischen Gedichten vorausgehenden Periode
sich beschäftigt Der Verf. spricht hier im Allgemeinen sein Staunen aus,
wie das alte Griechenland, ungeachtet des gewaltigen Umfange seiner
Literatur in allen Zweigen und nach allen Richtungen bin, doch ebenso
wenig wie das alte Rom eine Geschichte der Literatur im weiteren Sinne
des Wortes aufzuweisen habe — ein Satz in dieser Allgemeinheil hin-
gestellt, kaum annehmbar, da er die grossen, dahin einschlägigen Er-
scheinungen der spateren Zeil, die freilich im Strome der Zeit unterge-
gangen und nns jetzt nur aus dürftigen Notizen bekannt sind, völlig in
ignorirnn seheint; und dasselbe müssten wir auch von der weiter ausge-
sprochenen Behauptung des Verfassers, wonach es noch auffallender er-
scheinen müsse, dass keine vollständige Geschichte der griechischen Lite-
ratur in einer neuern Sprache an Stande gekommen, als dass die Grie-
chen uns keine solche hinterlassen haben sollten , denken , wenn nicht die
Anführung deutscher Werke der Art, welche der Verf. verschiedentlich
benutzt hat, nns zeigte, dass wir ihm wenigstens den Vorwurf der Un-
bekannlschaft mit dem, was die deutsche Literatur auf diesem Gebiete
aufzuweisen hat, nicht machen dürfen, obwohl wir die ausschliessliche und
bevorzugte Stellung , die er auf diese Weise unwillkührlieh für sein Werk
beansprucht, nicht gelten lassen können. Eher nehmen wir die von ihm
ausdrücklich gegebene Erklärung bin, sein Werk sei unternommen in der
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272 Mar«: hkUnj of thc langtiage and literatnre of Greece.
Hoffnung, den vorhandenen Mangel „in onr national library« hinsichtlich
derjenigen Zeilperiode auszufüllen, weiche die Muster des Geschmacks für
alle folgenden Zeitalter gebracht habe. In sechs Perioden wird das ganze
Gebiet der griechischen Literatargeschichte vom Verf. abgetheilt, eine
erste, mythische, welche die früheste Cuilur der Nation befasst, eine
»weite, poetische, welche von den früheren Erzeugnissen griechischer
Poesie bis auf 560 vor Chr. oder 54 Olymp, reicht; eine dritte, atti-
sche, die mit der Entstehung des attischen Drama und einer prosaischen
Literatur beginnt und mit den Zeiten der macedonischen Monarchie und
ihres Uebergewicbts in Griechenland ihren Schlusspunkt erreicht; die
vierte, alexandriuische, geht von der Gründung Alexandriens bis
zum Ende des griechisch - aegyptischen Reichs; die fünfte, römische,
bis zur Gründung von Conslantinopel; die sechste, byzantinische,
befasst die Periode des Verfalls und des endlichen Untergangs der grie-
chischen Literatur. In den eben erschienenen drei Bänden sind kaum die
beiden ersten, an äusserem Umfang wie an Bedeutung mit den übrigen,
gar nicht zu vergleichenden Perioden behandelt: welchen Umfang daher
das ganze Werk erhalten soll, lässt sieb jetzt noch kaum bemessen. Es
scheint diess auch der Verf. gefühlt zu haben; er sucht sich daher bei
dem gewaltigen Umfang eines solchen Unternehmens, dessen vollständige
Ausführung die Kräfte eines Einzelnen weit Ubersteigt, die Grenzen etwas
enger dadurch zn stecken, dass er für die späteren Perioden das, was
der Fachwissenschaft mehr angehöre , auslassen , und dagegen mehr auf
das Allgemeine der Literatur, namentlich Poesie, Rücksicht nehmen will.
Die Literatur der Griechen umfasst zwar allerdings im weiteren Sinne (so
heisst es S. 7) auch ihre Philosophie nod Wissenschaft (scienee) ebenso
gut wie ihre Poesie, Geschichte und Drama (Als ob das Drama von der
Poesie verschieden wäre!); es wird daher ein Hippokrates nnd Euklid es
ebenso gut dahin gehören, als ein Homer und Herodo tus; aber jene,
wie alle andern in diesen Bereich fallenden Autoren, bilden mehr eiaen
Gegenstand der Geschichte der Wissenschaft Tscience^ als der Literatur
{lettre*)' uod beslellt ibr Werlh hauptsächlich, wo nicht ausschliesslich,
in dem Inhalt ihrer Werke und deren Gründlichkeit, worüber der bloss
literarische Ceosor kaum ein Urtheil auszusprechen verpflichtet sein kann.
(Schhut fotgi.)
• ••• ■ m i ■ •
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Nr. 18. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Mürel hlNtor? of tue lniiguage aucl Uteratiare
of Greeee.
■
(SchlUM.)
Die Besonderheiten des Slyls und der Composition, welche in den
mehr populären Zweigen der Schrift die HanptgegenstHnde der kritischen
Beorlheilung ausmachen, nehmen hier eine untergeordnete Bedeutung an.
Wena daher der Literarhistoriker aus einer gewissen Höflichkeit — by
the received courtesy in such cases — auch nicht frei sein sollte von der
Verpflichtung , solche Werke unter sein Material aufzunehmen , so wird
er doch ihnen nur eine beschrankte Aufmerksamkeit zuzuwenden haben.
Mit diesen so hingestellten Schützen scheint der Verf. gleichsam den Vor-
warfen Torgebaut zu haben, die ihn, wohl nicht ohne Grund, treffen
werden, wenn er, nachdem er die früheste Periode der Literatur, in
drei Bunden in aller Breite und Weitläufigkeit abgehandelt, die folgende
Periode, die der eigentlichen Blüthezeit, kürzer abmacht und Uber einen
Hippokrates und Herodolus, oder über einen Plato und Aristoteles uns
mit einigen Notizen abspeist, wie sie in jedem Schulcompendium sich
finden, ohne in das, was Wesen und Inhalt ihrer Werke und damit auch
ihre Stellung und Bedeutung auf dem Gesammtgebiet der Literatur aus-
macht, etwas naher einzugehen. Ein solches Verfahren würde uns aber
gerade bei einem Autor befremden müssen, der eine vollständige
Geschichte der Literatur zu geben verspricht, und damit die Ver-
pflichtung auf sich nimmt, nicht blos in Einem einzelnen Zweige dar
Literatur, in dem er besondere Studien gemacht und der ihn etwa be-
sonders anzieht, seine Aufgabe durch eine genügende Darstellung dessel-
ben zu lösen, sondern das Gleiche auch in allen andern Zweigen der
Literatur, der prosaischen wie der poetischen, zu leisten. Wir ver-
linten von dem Literarhistoriker keineswegs , dass er uns t. B. eine Ge-
ichichte der Philosophie liefere, und so in das Fach des eigentlichen Phi-
losophen eingreife, aber er muss uus doch mit allen den auf dem Ge-
biete der philosophischen Literatur hervortretenden Erscheinungen bekannt
machen, ihre Entwickelung nachweisen und ihren Charakter, wie ihren
Werth und ihre Bedeutung uns erkennen lassen : und diess wird er eben
XUV. Jahrg. 2. Doppelheft. 18
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I
TjH Marc: history of the langnngc and literature of Greeee.
fo gut auch bei andern Zweigen der Literatur zu leisten haben, wie
bei der Poesie. Dass damit freilich seine Aufgabe erschwert wird,
bedarf keiner Bemerkung: aber entliehen darf er derselben sich in kei-
nem Falle, so bequem diess auch sonst für ihn sein würde. Aller-
dings liegt darip der natürliche Grund, warum wir wohl manche gute
Darstellungen einzelner Zweige der Literatur besilzen: vollständige Litera-
turgeschichten aber zu den grösseren Seltenheiten mit allem Recht ge-
hören. Wie es scheint, bat der Verf. sich besonders mit der älteren
Periode Griechenlands beschäftigt und namentlich die homerischen Gedichte
zum besonderen Gegenstand semer Studien gemacht, da fast die Hälfte
des Raums der drei Bände blos mit den diese Gedichte befassenden Un-
tersuchungen eingenommen ist; hätte er demnach seine Arbeit als eine
Darstellung dieser Periode oder Uberhaupt der homerischen und der ver-
wandten Literatur oder Poesie bezeichnet, so würde man daran keinen
Anstoss nehmen können; indem er aber diese Stadien als eine Geschichte
der griechischen Literatur bezeichnet, so steht die Ausdehnung, welche
hier dieser einzelne Punkt erhält, bei aller Anerkennung dor Wichtigkeit
und Bedeutung desselben, doch in keinem Verhältniss zu den übrigen
Theilen eines so ausgedehnten und weiten Gebietes, wie das einer Ge-
schichte der gesammten griechischen Literatur, von welcher der Verf.
doch nur einen verhältnissmüssig sehr geringen Tbeil hier bearbeitet bat.
Er hat zwar dabei, wie man bald wahrnimmt, das, was die deutsche
Forschung dieses Jahrhunderts darüber bietet , mehrfach benutzt , darin aber
doeb dieselbe offenbar verkannt, wenn er behauptet, dass zwar allge-
mein jetzt auch in Deutschland anerkannt werde, von welchem Werth
und von welcher Bedeutung selbst für die geschichtliche Bestimmung der
homerischen Gedichte die nähere Einsicht in das innere Wesen derselben
(the internal evidence, wie es der Verf. nennt) sei, dass man aber doch
vergeblich sich umsehe nach einer Analysis ihres Textes auf so erwei-
terten und unpartheiischeo Principien, wie sie allein zu bestimmten hUto-
rischea Resultaten fuhren könnten. Aus diesem Grunde eben habe er in
diesem Werke eine solche Analysis zu geben versucht, die, auch abge-
sehen von ihren Beziehungen auf streitige Punkte, in sich selbst als ein
Wünschenswerther Beitrag zur Geschichte der Literatur erscheine. Mau
wird die Bedeutung einer solchen Einsicht in das Wesen und in den
Charakter der homerischen, Poesie , sowie in die Sprache und den ganzen
Ii au derselben gewiss nicht verkennen, zumal wenn es güt, daraus wei-
tere, Schlüsse über die Entstehung dieser Gedichte, ihr Zeitalter u. s. w.
zu ziehen : aber gerade darauf ist ja aach in Deutschland vielfach und ia
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Maro: history oi the language and liternture of Greece. 275
einer solchen Weise hingewiesen worden , dass derartige Behauptungen in
dem .Munde eiues englischen Gelehrten, der gründliche Studien auf diesem
Gebiete gemacht haben will, höchst auffallend erscheinen müssen. Im
»weilen Cspitel: „hislorical value of greek mylhical Matorf* kommt das
Verhlllni&s des Mythus zur Geschiebte zur Sprache , und damit auch die
naiiere Bestimmung der Grenzen beider: dass jedoch dieser schwierige
Gegenstand auf den circa zwanzig Seiten dieses Abschnittes so gelöst sei,
dsss wir fortan zu unterscheiden vermöchten, was jedem dieser beiden
Gebiete zugehöre und in jedem einzelnen Fall zuzuweisen sei, wird Nie-
mand, der diesen Abschnitt näher durchgangen , behaupten wollen. Ein
drittes Cap. behandelt die Urgeschichte (primeval hislory) der griechi-
schen Sprache: hier war ein Zurückgeben auf den Ursprung des Volkes
selbtf, darch die Natur der Sache geboten: und diese Untersuchung hat
der Verf. auch keineswegs abgelehnt. Peinsger und Hellenen erscheinen
ihm hier als ein Volk wesentlich derselben Race, und diese Identität oder
Verwandtschaft der beiden mit diesem Namen in der ersten Geschichte
voq Hellas uns entgegen tretenden Stamme, welche beide selbst dem
gfOiseo indogermanischen Stamme angehören, sucht er dann selbst in
Beug auf die beiden gemeinsame Sprache weiter zu begründen, und
durch ein aus unserer Zeit genommenes Beispiel zu veranschaulichen.
Hiernach verhält sich das Pelasgische zum Hellenischen ( <1. h. zu der in
Griechenland später herrschenden Sprache} gerade wie das Angelsächsi-
sche, Danische und Hollfindische zu dem Deutseben unserer Tage, als dem
caltivirtesten Zweige einer zahlreichen Familie von Zungen. Das Pelas-
gische erscheint dem Verf. als die Familie oder der Baum , das Helleni-
sche iU dessen blühendster Zweig u. s. w. Mit dieser Auilassung ist
Mich die Sache leicht abgemacht : dass sie aber die richtige und histo-
risch begründete ist, damit so wenig bewiesen, als durch da» vom Verf.
angewendete Bild , das uns in dem von ihm gebrauchte» Sinn ebenso uo-
lösend erscheint, wie die Behauptung, das Veriiaitniss der Peiassjer zu
J«n Hellenen erscheine in Manchem wie das der Angelsachsen in den
jetzigen Engländern (S. 50). Man wird daher auch den vier Sülze»,
»eiche der Verf. in dieser Beziehung S. 50 u. 51 aufstellt, schwerlich
allgemeine Gültigkeit zulbeilen wollen. Erstens, heisst es hier, der
Auidruck Peiasgisch bezeichnet eine ursprüngliche Familie von verwandte«
Mb» and Stämmen , von welchen das Hellenische Volk und die Sprache
ihren Ursprung herleitete. Zweitens: während die benachbarten Küsten
des ttitteineers von den frühesten Zeiten an durch Stämme besetzt waren,
welche eine Maunicbfaltigkci t von gänzlich verschiedenen Sprachen redeten,
18*
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276 Mure: history of the language and literalure of Greeca.
so findet sieb innerhalb der Gränzen Griechenlands selbst keine Spar ir-
gend einer nicht wesentlich griechischen Sprache. Drittens: diejenigen
Tbeile der griechischen Bevölkerung, die mit ihren ursprünglichen Satten
auch ihren angebornen Charakter und ihre Sprache unverändert beibe-
halten, sind demnach als achte Sprösslinge des alt pelasgischen Grand-
stocks zu betrachten. Viertens: das Kennzeichen, nach welchem wir
ausserhalb Griechenlands ein pelasgisches Volk von andern fremden Stum-
men zu unterscheiden haben, bildet die Aebnlicbkeit ihrer Sprache mit
dem classischen Griechisch. Der Verf. fühlte wohl, dass er mit diesen
Sätzen sich in einen entschiedenen Widerspruch mit dem ältesten Zeugen,
mit Herodo t us I, 56 und insbesondere 57 setzt; denn dieser lässt sich
Aber die Sprache der Pelasger in einer Weise aus, dass man wohl sieht,
wie zu seiner Zeit selbst keine sichere Auskunft oder eine historische
Tradition darüber vorbanden war; was Herodot darüber augiebt, ist das
Ergebniss der von ihm darüber angestellten Untersuchung, deren Gründe
er eben so offen angiebt, wie das daraus für ihn sich ergebende Resul-
tat, wonach die Pelasger keine hellenische, sondern eine fremdländische
(ß^pßopov rXuiaoav) Sprache redeten, und selbst die Attiker, als Pe-
lasger, mit ihrer Umwandlung zu Hellenen, auch ihre (pelagische) Sprache
verlernten und also die Hellenische anuahmen. Dieses Zeugniss ist in der
Thal zu bestimmt, um uns eine Verwandtschaft oder Identität beider
Sprachen und beider Volksstämme annehmen zu lassen , wie sie nicht blos
der Verfasser, sondern mit ihm auch gar manche deutsche Gelehrte an-
nehmen, die bierin allein die einfache Lösung der grossen Schwierigkei-
ten erblicken, die sich aller wärts in der älteren Geschichte Griechenlands
aufhäufen, wo der Name der Pelasger auftaucht. Aber eben der Gegen-
satz, in dem das Pelasgische überall zu dem speeifisch Hellenischen er-
seheint, lässt uns doch kaum eioe Identität beider in dem Grade anneh-
men, dass beide nur als die Schösslinge einer gemeinsamen (älteren)
Wurzel zu betrachten seien. Wenn nun unser Verf. meint, dass es in
dem Geiste des Geschichtschreibers (in the spirit of the historian's ge-
neral argument) kaum einem Zweifel unterliegen könne, dass er mit
dem Ausdruck barbarisch d. i. fremdländisch nur eine, von der eigenen
Sprache verschiedene , habe sligmatisiren wollen , und andrer Seits eben
so wenig angenommen werden dürfe, dass Herodofs Meinung das Re-
sultat einer wirklichen Analyse ihres Baues oder ihrer Verwandtschaft ge-
wesen, ein Geschäft, wozu Herodo tus eben so wenig disponirt ab) qoa-
lificirt (?) gewesen , mithin seine Angabe keineswegs genügen könne,
um die Verbindung des Griechischen mit dem Pelasgischen zu verwerfen
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More: hislory of the languagc and literalure of Groecö. 277
- so sind diess lauler willkürliche Annahmen , die eine unbefangene
Prüfung nicht aushalten können, und somit in ihr Nichts zurückfallen.
Was der Verf. aus andern Stellen des Herodolus, worin das Gegentbeil
der I, 57 ausgesprochenen Aeusserung sich rinden soll, vorbringt, um
Hellenisch und Pelasgisch als völlig synooym mit einander und dem Bar-
barischen entgegengesetzt zu bezeichnen, wird bei näherer Beleuchtung
eben so wenig Stich halten können. Die in Italien sesshaften Pelasger
gelten dem Verf. (8 58 ff.) ebenfalls für Griechen und werden von ihm
aU ein Beweis für die vorher angenommene Identität des hellenischen
und pelasgischen Stamms wie der Sprache angesehen : beides als selbst-
sündig und frei von fremdem, zunächst orientalischem Einfluss darzustel-
len, ist der Zweck des nächsten vierten Abschnittes, der übrigens ziem-
lich oberflächlich gehalten ist. Zwar erkennt der Verf. an, dass fremde
Ansiedelungen in Griechenland stattgefunden , dass sie anch beigetra-
gen zur Civilisation seiner Bewohner und einen , wenn auch gerin-
gen, Einfluss anf die Sprache ausgeübt; aber er verwirft jede Annahme
von Aegyptischen Einwanderern gänzlich; die Sagen von Cadmus, Da«*
mos bezieht er auf Phönicische Ansiedler, die aus Aegypten vertrieben,
an die Gestade Griechenlands geflohen, wovon auch die Verpflanzung des
(Pbönicischen) Alphabets auf griechischen Boden ein Zeugniss gebe; es
werden daran geknüpft einige das griechische Alphabet betreffende Bemer-
kungen. Mit dem fünften Capitel wendet sich der Verf. zu dem Bau und za
dem Genius der griechischen Sprache, wobei er von dem Satze ausgeht,
dass die griechische Sprache als ein reiner, unverdorbener SprÖssling des
Indo- Pelasgischen Urstamms zu betrachten sei: er bespricht dann den
Einfluss des Bodens und Clima's wie des Nationnlcharakters auf die
Sprache, darauf das Bildungsprincip , das den Sprachen des Indogermani-
schen Stammes gemeinsam sei, und den Gegensatz derselben zu dem
Semnitischen und Chinesischen Sprachstamm, so wie die besonderen Ei-
gentümlichkeiten des Griechischen als eines Zweiges des Indogermani-
schen Stammes. Wir glauben, es hätten, unbeschadet des Ganzen, diene
Betrachtungen wegbleiben können. Dasselbe mag auch von Manchem
geltea, was in dem nächsten sechsten Capitel vorkommt, das von der
hflneren Cultur der griechischen Sprache handelt, und uns in dem, was
*■ fi. über die Bildung der verschiedenen Dialekte gesagt ist, weder neu
noch überhaupt befriedigend erscheint, wenn ein klares Bild gewonnen
und der successive Gang der Entwickelung erkannt werden soll. Hit dem
»iebeoten Capitel kommt der Yerf. noch einmal auf den „original genius
of Grecisn litereturett zu reden; wir zweifeln, ob der Abschnitt, der auch
Vergleich sogen mit dem Charakter der neueren Literatur hineinzieht,
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2V8 Mure: hlltory of tbe language and literature of Grecce.
detitschen Lesern Etwas Neues oder Anwehendes bieten kann. Das achte
Cap.: „roythical poets and works" giebt einige ziemlich allgemein gehal-
tene Bemerkungen Uber die altere griechische oder vorhomerische Poesie
und die als Repräsentanten derselben gewöhnlich geltenden Numen eines
Orpheus, Amphion, Pbilammon u. s. w. Wenn Thracien als das Vater-
land dieser ältesten Singer in der Sage erscheint, so will der Verfasser
diess keineswegs von dem unter diesem Namen gewöhnlich bezeichneten
Lande verstehen, sondern von der, an den Granzen von Böotien und
Phocis gelegenen, den Parnass und Helieon einschliessenden Berggegend,
die ehedem im Mythus den Nomen Thracien getragen, und als das ei-
gentliche Heimathland der frühesten griechischen Sängerschule zu betrach-
ten sei. Feste und sichere Beweise werden freilich für diese Annahme
nicht gegeben, die, so fest auch der Verf. daran hält, doch ganz tinbe-
gründet erscheint. Am Scbluss des Abschnitts wird übrigens vom Verf.
anerkannt, wie diese ältesten Sänger, so gering auch ihre Ansprüche
auf eine „substantial personalityu seien, doch immerhin betrachtet wer-
den müssten a)s die frühen Förderer griechischer Poesie, welche den
Weg zu der Volleudung gehahnt, in der die Poesie in Homer's Gedich-
ten erscheine. Diese üeberzeugung t heilen auch wir, hätten aber dess-
halb gewünscht, diese älteste hieratische Poesie und ihren Zusammenhang
mit den ültesten religiösen Zuständen von Hellas in einer andern Weise,
als es hier geschehen ist, dargestellt zu sehen.
Mit dem zweiten Buch, das die zweite der obeu bemerkten Perio-
den der Geschichte der griechischen Literatur, die poetische, überhaupt
befassen soll, treten wir in diu epische Poesie, und zwar zunächst in
den Kreis der homerischen Poesie ein, deren Behandlung der ganze Rest
dieses ersten Bandes S. 108 — und der ganze zweite Band — mit
einziger Ausnahme von cap. XXI, das von llesiod und von cap. XXII,
das von einigen andern Resten epischer Poesie handelt, gewidmet ist.
Der Verfasser schlägt nun hier einen andern, als den sons* gewohnlichen
Weg der Behandlung ein. Homer, so hebst es hier, existirt nnr in sei-,
nen Gedichten: diese geben daher auch den einzigen authentischen Stoff
für seine Biographie: desshalb muss die Geschichte derselben nothwendig
der ihres Verfassers vorangehen. Und so lässt »ich denn der Verf. erst
in dem letzten der diesem Gegenstand gewidmeten Abschnitte, dem acht-
zehnten dieses Buchs (Band II. S. 192 ff.) auf die Erörterung dessen ein,
was die Person des Homer betrifft: die siebenzehn vorhergehenden Ab-
schnitte beschäftigen sich mit den homerischen Gedichten , d. h. mit flies
und Odyssee, aussehriesslich nnd suchen dabei aHc die Punkte, welche
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Marc t history of the langnage and literalurc of Greece. 270
zumal Mit Wolf die Aufmerksamkeit der Gelehrten Eoropa's so sehr in
Anspruch genommen haben, zu erledigen. Denn der Verf., der wie ge-
legentlich versichert wird (S. 221), selbst früher den Ansichten von Wolf
huldigte, ist durch ein zwanzigjähriges Studium von der Haltlosigkeit der-
selben so sehr aberzeugt worden, dass er ea für seine Pflicht ansieht,
Alles aufzubieten, um auch bei Andern eine gleiche Ueberzeugung herbeizu-
führen. Und diess, nichts Aoderes, ist eigentlich auch das Ziel, das sieb
der Verf. hier gesteckt hat, diess ist die Aufgabe, die er durch diese
siebenzehn Abschnitte, wie selbst durch den achtzehnten, zu lösen ver-
sucht; und es geschieht diess weniger durch äussere Beweise, als durch
den inneren Beweis, der aus dem Inhalt und Charakter dieser Gedichte,
und ans dem Wesen dieser ganzen an Homer'* Namen geknüpften Poesie
entnommen wird. Wie diess geschieht, darüber wollen Wir, da wir das
Ganze dieser Argumentation unmöglich wiedergeben können, wenig-
stens einige Andeutungen hier niederlegen. Wir übergeben die allge-
meinen und einleitenden Bemerkungen, so wie die Angaben Ober die
Zeugnisse der frühesten Zeit für die Existenz einer Ilias und Odyssee und
das, was über die diesen Punkt betreffenden Untersuchungen der alexan-
drinischen wie der pergamenischen Schule gesagt wird, wir übergeben
auch das , was weiter (im 3. Capitel) über Pisistratas und dessen Bemü-
hungen gesagt ist, weil es ohne Belang ist; indess Findet sich hier schon
am Scnlusse (S. 218) als Resultat dieser Untersuchung der Satz ausge-
sprochen, dass Ilias und Odyssee ursprünglich ihrem wesentlichen Be-
stände nach (in its substantial integrity and order) so componirt waren,
wie wir sie jetzt besitzen, dass aber, in ihrem Uebergang auf die Nach-
welt, diese Ordnung, wo nicht gänzlich verwischt, doch durch die Pd-
pularorgane der Ueberlieferung in eine solche Verwirrung gebracht War,
welche eine günzliche Auflösung besorgen Hess; was eben bei dem Fort-
schritt der geistigen Cultur einen regen Eifer hervorgerufen , diesen Miss-
stand zn heben durch grössere Ordnung und Regelmässigkeit bei den
öffentlichen Vorlesungen dieser Gedichte , so wie anderseits auch durch
die Anlage neuer Ausgaben an dem Gebrauch der verschiedenen Staaten ;
dabin werden gerechnet die Ausgaben von Chios, Argos u. s. w., so
wie die des Pisistratus. Das vierte Cap. (S. 219 ff.) sucht insbesondere
aus inneren Gründen den Nachweis des Ursprungs der Ilias und Odyssee
zu führen, wobei wir freilich auf Aeusserungen stossen, die Niemand,
der mit der deutschen Forschung auch nur einigermassen vertraut ist, für
gerechtfertigt anerkennen wird. So heisst es s. B. S. 225 in Bezug auf
diesen inneren Beweis (the internal evidence), welcher jetzt allgemein
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280 Mure: Mitory of the language and Meratnre of Greece.
als die einzige Quelle anerkannt sei , aus der ein klares Licht über die
Geschichte der homerischen Dichtungen zu gewinuen stehe, es sei dem-
ungeachtet kein Zweig der homerischen Frage, der so sehr vernachläs-
sigt worden sei; es sei überhaupt kein Versuch gemacht worden, die
ganze Frage auf den höheren Grund eines Princips zu bringen, welchen
sie einzunehmen fähig sei u. s. w. Allerdings hat der Verf. in seinen
weitschweiügen Untersuchungen, in denen wir gern das Resultat zwan-
zigjähriger Studien erkennen wollen, darauf sein Hauptaugenmerk ge-
richtet, und diess besonders durchzuführen gesucht: allein darin kann kein
Grund zu solchen Aeusserungen oder eine Rechtfertigung derselben gegen-
über dem liegen, was Deutschland bereits in dieser Besiehung geleistet
hat, wo mau eben so gut, und wohl noch besser, als der Verfasser
diess hier zu tbun unternommen hat, auf die innere Einheit der beiden
Gedichte, auf Plan und Anlage, Charakteristik u. s. f. hingewiesen bat,
um sie als Produkte Eines grosscu Geistes darzustellen. Im fünften ([und
sechsten) Capitel folgt eine Analyse oder gedrängte Inhaltsübersicht der
vier und zwanzig Bücher der Ilias mit einigen weiteren Bemerkungen, in
denen z. B. die Integrität des SchifTscatalog's im zweiten Buch der Ilias,
und dessen nolbwendige Verbindung mit dem ursprünglichen Ganzen be-
hauptet wird (S. 263 1T. 508 ff.). Im folgenden, siebenten, Capitel sacht
der Verfasser das, was man die poetische Einheit nennt, in der Ilias,
im Ganzen wie im Einzelnen, zu erweisen; die Charaktere des Achilles
und Agamemnon werden nüher besprochen u. s. w. ; auf den Contrast,
in dem Homers Darstellung und Charakterschilderung zu der weit unter-
geordneten und oft gänzlich verfehlten des Virgilius stehe, wird mehrfach
hingewiesen; so z. B. S. 294 ff. 301 ff. Auch das achte Capitel setzt
diese Betrachtung der einzelnen Charaktere in den homerischen Gedichten
fort und scbliesst S. 361 mit der Behauptung, wie es für den, der die-
ser Untersuchung gefolgt sei, unmöglich erscheinen müsse zu glauben,
dass eine Reihe so trefflich ausgeführter Portraits, „individoalised by so
snbtle a unity of mechanism, not only in their broader features of pc-
ouliarity but in the nicest turns of sentiment and phraseology can be the
produce of the medley of artists to which the Wolßan schooi assigns
them." Cap. IX giebt eine ahnliche Analyse der Odyssee, wie sie im
fünften Absohnitt von der Ilias gegeben war. Cap. X sucht in ähnlicher
Weise, wie früher bei der Ilias, die Einheit der Handlung der Odyssee
zu erweisen und diess durch die Darstellung der einzelnen in diesem Ge-
dicht hervortretenden Charaktere, Scenen u. dgl. noch weiter zu begrün-
den. Hier wird man gewiss Manches Beaclitenswerthe im Einzelnen zur
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richtigen Erkeontniss und Würdigung der Odyssee finden , die der Verf.
(S. 389) ein reiches Gemälde des menschlichen Lebens, wie es in jenem
Zeitalter und in jenem Lande war, nennt, ein Gemälde, das jeden Gegen-
stand in sich fasse, vom Erhabenen bis zum Scherzhaften, vom Forcht-
bsren bis zum Burlesken, während es Uberall ein enges Anschliessen an
die Natur bekunde und uns eben so sehr durch die Reinheit und Wahr-
heit als durch den Glanz der Darstellung ergötze. Einzelne Ungleich-
heiten, wie sie in beiden Gedichten vorkommen und von den Gegnern
der Einheit dieser Gedichte wohl geltend gemacht und seihst hervorge-
hoben worden sind, werden im eilften Cspitel besprochen, um den dar-
aus wider die Einheit genommenen Beweis zu entkräften; im zwölften
wird das Verhältnis* der Götter oder vielmehr deren Dazwiichenknnft und
Eintreten in menschliche Angelegenheiten, dieser divin mechanism, wie
es der Verfasser nennt, behandelt: da dieser Mechanismus in der Utas
wie in der Odyssee, trotz aller Verschiedenheit der Gegenstände gleich
massig hervortritt, so liegt auch darin eio innerer Beweis für die Iden-
tität des Verfassers dieser Gedichte , wie für die Selbständigkeit und Ein-
heit derselben, aU Eines grossen Ganzen. Was sonst den religiösen
Glauben Homer'* und dessen Götterwelt überhaupt betrifft, so ist dieser
Gegenstand in Deutschland von mehreren Gelehrten in einer so erschöpfen-
den Weise behandelt worden, dass man bei einem englischen Schrift-
steller darüber keine Auskunft zu suchen hat. Die drei folgenden Ab-
schnitte (XIII, XIV, XV) sind dem Styl des Homer, seiner ganzen Dar-
stellungs- und Ausdrucksweise, mit Allem, was dazu gehört, gewidmet
und nehmen auch am Schlüsse noch Rücksicht auf die metrische Gestal-
tung ond Behandlung ; Cap. XVI beschäftigt sich mit den Chorizonten und
ihrer Behauptung von der Verschiedenheit des Dichters der Ilias von dem
der Odyssee, so wie den angeblichen Verschiedenheiten beider Gedichte
selbst ; dass auch hier Alles aufgeboten wird , um das Gegentheil zu erweisen
und zu begründen , wird nach dem , was wir schon oben bemerkt haben,
kaum hier näher auszuführen sein. Gegen die Hyperkritik neuerer Zeit
führt der Verfasser manchen Streich. Es will ihm nun einmal nicht ein-
leuchten, dass die älteren Griechen in Bezug auf natürliche Urtbeilskraft
und richtige Unterscheidung und Beurtbeilung desseu, was ihrer Nation
selbst angehörte, den neueren Kritikern an Befähigung nachgestanden,
und dass z. B. ein Aristoteles, Aristarchus und Longinus weniger com-
petente Richter in solchen Fragen der Literatur seien, als Fremde, die
sich mühsam mittelst Grammatik und Lexicou durch die spärlichen Reste
der alten Literatur durcharbeiten, während Jenen noch der ganze Reich-
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282 Mure: history of the linguale and literature of Greece.
thum dieier vaterländischen und heimischen Literatur zu Gebot gestanden.
Dann möchte wohl, setzt er hinzu, ouch in untern Tagen „a German or
Daten professor" kraft aeiner tiefem Einsicht in die abstruseu Mysterien
der allgemeinen Sprachkunde , eine grossere Competenz ansprechen, um
Uber die Anlhenlicität eines Stückes ron Sbeakspeare oder einer Stelle
Müton'a tu urtheilen, als ein Addison oder Wharton u. s. w. (S. 122 ff.)
Die Richtigkeit dieser Sülze, gegenüber so mancher unglücklichen, auch
in unierm Vaterlande geübten Kritik oder vielmehr Hyperkritik wird Nie-
mand in Abrede stellen wollen. Das siebenzehnte Cap. handelt von den
Interpolationen de« Textes der homerischen Gedichte in einer Weise, die
Jeder, der mit diesem Gegenstände und den darüber bei uns geführten
Untersuchungen auch nur einigermasaen vertraut ist, nicht anders als
ziemlich oberflächlich und ungenügend bezeichnen kann. In dem Streben,
die Integrität der liias und Odyssee nach ihrem gegenwärtigen Bestand
zu aichern und diesen als den ursprünglichen darzustellen , geht der Verf.
weiter ab Aristarchus und Aristopbanes , welche den Schluss der Odyssee
mit Bach XXIII, 296 selzten, wahrend der Verf., der allerdings we-
sentliche Mängel in dem darauf noch weiter jetzt folgenden Stück aner-
kennt, doch dasselbe als acht und selbst noth wendig darzustellen ver-
sucht, und, was jene Mängel betrifft, diese zuletzt mit der zum Sprflch-
wort gewordenen Ausflucht entschuldigen zu könneo glaubt, dass der
gute Homer wirklich gegen den Schluss seiner grossen und mühevolles
Aufgabe geschlummert (S. 191 Bd. II.)!
Nachdem also der Verf. durch diese ganze Analyse der homerischen
Gedichte die ältere Ansicht, welche Ilias und Odyssee in ihrer wesent-
lichen Integrität als die Schöpfungen Bines und desselben Dichters be-
trachtet, aufs neue begründet und ins Licht gesetzt zu haben hofft, geht
er in der Person dieses Dichters mit dem achtzehnten Capitel über (II,
p. 192 ff.), wobei er unter den verschiedenen, über Homers Leben auf
uns gekommenen Resten (die Zusammenstellung derselben bei Wester-
maoo scheint der Verfasser nicht zu kennen) demjenigen den Vorzug
giebt, was uoter des Herodotus Namen als angebliche Biographie des
Romer anf uns gekommen ist, „als embodying to all appearence the
oldest as well as the most comprehensive stock of materials." (Auch
hier scheint der Verfasser mit den dieses spätere Machwerk und seinen
Werth betreffenden Untersuchungen der neuerer Zeit wenig bekannt zu
sein). Das Resultat der eigenen Forschung geht nun dahin, dass der
Dichter der llias und Odyssee iolischen Ursprungs gewesen und einer
der früheren äolischen Colonien an der nordöstlichen Küste (wir dächten,
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Mure: hislory of »hc language and literatare of Grece, 383
nordwestlichen) Kleinasiens angehöre (II, S. 199); alle anderen
Ansprüche auf des Dichters Geburtsstütte könnten weder in Bezug auf Alter-
thum noch auf Wahrscheinlichkeit damit in einen Vergleich kommen oder
io einen Streit eingehen (II, S. 201), zumal da, wie der Verf. weiter
dartuthnn versucht, auch alle die aus den Werken Homers abgeleiteten
Data mit dieser Tradition in Uebereinstimmung seien und zn ihren Gun-
sten sprächen (II, 8, 203 IT.): dagegen wird die ganze volle Pflege und
Verbreitung des homerischen Gesangs nach Jonien verlegt und den dort
entstehenden Dichterschulen beigelegt (II, S. 227). Unter dem, was in
diesem Abschnitt noch weiter über die Person des Dichters und seinen
Charakter bemerkt ist, machen wir insbesondere aufmerksam auf die von
§. 13 an laufenden Bemerkungen über das, was eigentlich den Werth
und Vorzug des Homer vor andern Dichtern, namentlich auch der neuem
Zeit ausmache, und wie sich sein Verhältniss , von diesem rein ästheti-
schen Standpunkt aus, zu den Koryphäen der neuern Poesie gestalte:
denn h»er sowohl wie auch in andern Abschnitten fehlt es nicht an Be-
ziehungen auf Shakspeare und Millen , wie selbst auf Dante und andere
Dichter der neueren Zeit; Shakspeare und Dante gellen Übrigens dem
Verf. an einer andern Stelle dieses Werkes (II, p. 126) als die einzi-
gen Dichter der neueren Zeit, die sich einigermassen mit Homer in eine
Parallel.- stellen lassen. Wenn aach diese Dichter in einzelnen Punkten
dem Sänger der Ilias nnd Odyssee gleichstehen oder ihn selbst übertref-
fen, so hat doch keiner derselben alle diese Vorzüge so in sich ver-
einigt, wie der alle Homer, der darum alle andern ttberragt. Als einen
seiner Hauptvorzüge setzt der Verf. au erster Stelle die allgemeine An-
lage und Composition der beiden unübertroffene» , edelsten Muster jeder
heroischen Epopöe; an zweiter Stelle erscheint die glückliche Verbindung
von epischer und dramatischer Behandlung; an dritter, die Zartheit in
den Gedanken, wie die Reinheit des Ausdrucks, worin selbst Dante und
Shakspeare weit hinter Homer zurückbleiben; der vierte Vorzug der ho-
merischen Muse ist ihre reine und ächte Originalität u. s. w. Indem der
Verf. bei allen diesen charakteristischen Punkten der homerischen Poesie
auch auf neuere Epiker Bezug nimmt , fuhrt ihn diess auch zn der Frage
Bich der modernen, romantischen oder sentimalen Richtung der neueren
Poesie und deren Ursprung; er entwickelt dann naher die Gegensätze, in
welchen eben dadurch diese Poesie zu Homer, dem diese Richtung völlig
fremd, ja entgegengesetzt ist, steht. Wir empfehlen diese Bemerkungen
eioer nlheren Beachtung, die sin gewiss verdienen. Cap. XIX beschäftigt
sieh io ziemlich ausführlicher Weise mit den sogenannten Cyclikern und
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284 Mare : hislory of tbe language and lilcratarc of Greece.
deren Werken, von denen hier nähere Nachricht gegeben wird. Der
Verf. beschliesst diete Uebersicht mit einer Betrachtung des Verhältnisses,
in welchem diese Gedichte zur Ilms und Odyssee stehen und erinnert am
Schlüsse daran , wie diese Cycliker keine andern als dieselben Homerideu
seien, welche, nach Wolfs Schule, als die Erweiterer oder als die In-
terpolatoren einer mehr oder weniger ganzen Ilias oder Odyssee erschei-
nen, und als Verfasser einer Anzahl der trefflichsten und charakteristi-
schen Stellen oder Episoden beider Gedichte. Wie kommt es nun, fragt
der Verf., dass diese Dichter, die diese herrlichen Verse gedichtet, dann
als untergeordnete und mittelmässige Dichter und selbst als Plagiarü er-
scheinen (?), so wie sie ihr Talent auf die Abfassung eines Ganzen, eioes
Originalgedichts, z. B. der Cypria oder einer Aetbiopis richten; dieser
Widerspruch wird noch weiter vom Yerf. hervorgehoben , um auch von die-
ser Seite seine Ansicht von der Einheit der homerischen Gedichte und
der Person ihres Verfassers zu rechtfertigen und zu wahren. Cap. XX
hat die homerischen Hymnen und einige andere dem Homer beigelegte
Gedichte, wie die Batrachomyomachie , den Margites u. s. w. zum Gegen-
stande; Cap. XXI behandelt die hesiodeische Poesie; Cap. XXII bespricht
dann noch einige andere verlorene Epea dieser älteren Zeitperiode und
schliesst damit den zweiten Band. Dass die hesiodeische Poesie hier nicht
in dem Umfang und in der Ausdehnung, wie die homerische, bebandelt
ist, wird Niemanden entgehen: im Uebrigen ist der Geist, mit welchem
die Untersuchung auch hier geführt ist, derselbe conservative und positive,
den wir bei der Erörterung der grossen , Homerts Gedichte und ihre Bil-
dung betreffenden Fragen allerwärt* wahrgenommen haben, und der be-
sonders gegen die kritischen Bestrebungen und Ansichten deutscher Ge-
lehrten gerichtet ist. Es geht zwar der Verf. bei dem Namen des Hesiodos
von dem gleichen Salze aus, dass wir nemlich bei demselben eben so gut
wie bei dem Namen des Homer an eine zwiefache Person zu denken ha-
ben, erstens an die bestimmte Person eines Dichters, der als Haupt und
Gründer einer ganzen Dichterschule, durch die von ihm geschaffenen Hu-
sterwerke erscheint, und zweitens an diese mit dem Namen des Meisters
gewissermassen bezeichnete Schule selbst sammt ihren, unter dem Namen
des Heisters bei der Nachwelt verbreiteten Produktionen. Diesen Heister
lässt der Verf. gleichfalls, wie den der andern Sängerscbule, von Aeolien
ausgehen, und bei dem ziemlich gleichmäßigen Charakter der Sprache
wird Homer's Sprache als der Aeolisch - Asiatische , Hesiod's Sprache aber
als der Aeolisch -Böotische Zweig des alten epischen Dialekts bezeichnet.
Der Verf. hat sich in eine nähere Charakteristik dieser hesiodeiseben
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Mure: historv of the lansuagc and lilerature of Grecce. 285
Poesie , in ihrem Verhaltniss f ur homerischen , so wie nach ihren beson-
dem Eigenthümlichkeiten eingelassen, und hier eben so sehr die "EpY*
X-Hu. wie die Theogonie berücksichtigt, wobei er gegen die kritischen
oder separatistischen Ansichten mancher neuern, 'besonders deut-
scher Kritiker mehrfach in ähnlicher Weise polemisirt , wie dies« bei den
Erörterungen Uber Homer der Fall war. Anch die Person des Hesiodns
wird in Absicht auf die angebliche Lebenszeit, der des Homer weit naher
gerückt, als man sonst anzunehmen gewohnt ist. Wir beschränken uns
auf diese Andeutungen, welche genügen werden, die Aufmerksamkeit
derer, welche an don die hesiodeische Poesie berührenden Punkten nä-
heren Antheil nehmen, auf diesen Abschnitt zu richten, welcher auch im
Einzelnen Gelegenheit zu manchen weiteren Controversen bieten wird, wie
z. B. um wenigstens Eiue solche Einzelheil anzuführeu, die Behauptung
S. 378, dass Ovid's Metamorphosen, allem Anschein nach, angelegt seien
nach dem hesiodeischen Muster in dem KatccXoyoc pvauaov. Was in
den diesem Band beigefügten Appendrees auf Hesiodus sich bezieht
(S. 501 ff.), tragt den gleichen Charakter der die Vulgartradition in
Schutz nehmenden und die Integrität der hesiodeischen Gedichte, zunächst
der v£pT> x* ^ UIul der Theogonie, vertheidigenden Richtung gegen
manche von der neueren Kritik erhobene Anstände und Bedeuken. Der
dritte Band , über den uns noch einige kurze Andeutungen hier vergönnt
sein mögen, enthält das dritte Buch oder die Darstellung der lyrischen
Poesie , eben so wohl im Allgemeinen , wie in ihren besonderen Zweigen
und deren Eotwickelung , mit den in jedem einzelnen dieser Zweige
hervortretenden Dichtern , die , nach den in den beiden ersten Capp. ge-
gebenen allgemeinen Bemerkungen, in de» vier folgenden Abschnitten
einzeln behandelt werden, im dritten Cap. Callinus, Archilochns, Simo-
nides und Tyrtäus, im vierten Alcman, Arion, Stesichorus und einige
Andere, im fünften Alcäus, Sappho, Damophyla, Erinna, im sechsten
Mimner mus, Solon und die sogenannten sieben Weisen. Das siebente
Cap. behandelt in zwei Abtheilungen die frühere Geschichte der Schrift,
ihre Einführung in Griechenland, wie ihre erste Anwendung zu monu-
mentalen Zwecken u. dgl. Dass Homer uud seine Zeit den Gebrauch der
Schrift, wenn auch noch in beschrankterer Weise kannte, sucht dor Verf.
auch hier, und im Gegensatz zu manchen dahin einschlägigen Ansichten
Woirs und seiner Anhänger zu erweisen. Aus diesem kurzen Bericht
über den Inhalt dieser drei Bände mag der geringe Umfang des Verhan-
delten im Verhaltniss zu dem, was noch aus dem umfassenden Gebiete
der griechischen Literatur noch fehlt, bemessen werden. Soll das Werk
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Mure: bistory of the language and literaturc of Greece.
in der Weise fortgesetzt werden, so würde es schwerlich zu seinem
Ende gelangen, andernfalls aber, wenn, wie schon oben angedeutet wur-
den, der Verfasser hier einen andern Gang einzuhalten gedenkt, dürfte
eine Ungleichheit hervorgehen , die unsere oben ausgesprochene An-
sicht, welche in diesen drei Banden vorzugsweise die Studien des Ver-
fassers über die älteste Periode der griechischen Coltur und die Entwicke-
lang der Poesie innerhalb derselben, zunächst und vorzugsweise der ho-
merischen Poesie, erkennen will , nur bestätigen dürfte. Noch haben
wir zu erwähnen, dass jedem Hände am Schlüsse eine Anzahl von An-
merkungen oder Excursen, unter der Aufschrift Appendix, beigefügt ist,
welche Uber einzelne Punkte, die in dem Text kurz berührt oder nur
angedeutet sind , sich in grösserer Ausführlichkeit verbreiten und insofern
mit als Belege des Textes dienen können. Dem ersten Bande sind sieben
solcher, bald kürzeren, bald lungeren Appendices beigefügt, unter denen
wir nur auf Appendix F. p. 512 ff. aufmerksam machen wollen, welcher
auf die bei Virgil, Milton, Cervantes, Walter Scott und andern neueren
Dichtern vorkommenden Widersprüche im Vergleich zu den in den ho-
merischen Gedichten von den Gegnern der ursprünglichen Einheit derselben
aufgebotenen Widersprüchen hinweist: es soll damit Hermanns An-
sicht, welche auf solche Widersprüche ein besonderes Gewicht legt, wi-
derlegt und gezeigt werden, wie derartige Widersprüche bei allen grossen
Dichtern vorkommen , ohne dass es desshalb den Kunstrichtern unserer
Tage eingefallen, die betreffenden Dichtungeu von einander zu legen nnd
in eine Mehrheit von poetischen Bruchstücken verschiedener Verfasser zn
zersplittern. So beisst es (um auch hier ein Beispiel anzuführen) unter
andern S. 515: es ist zu bedauern, dass die Professoren Hermann und
Lachmann ihre geistreichen Intersuchungen in der Theorie der ho-
merischen Widersprüche nicht auch auf Virgil ausgedehnt haben*, sie
würden in diesem Fall untrüglich bewiesen haben, und zwar durch die-
selben conclusiven Beweise, welche sie hei der Ibas angewendet habe«,
dass die Aeneis ein Cenlo von römischen Volksgesüugeu sei, die durch
einen Buchmacher des augusteischen Zeitalters, der gemeinhin als der
Dichter der ganzen Aeneis gelte , in ziemlich plumper Weise an einander
gereiht und zu einem Gauzen verbunden wordeo. Ref. theilt nicht die
Ansicht der beiden Gelehrten Uber die Bildung der homerischen Gedichte :
aber eine solche Albernheit diesen Mannern aufbürden zu wollen, kann
nur zeigen, dass der Verf. selbst von den eigentlichen Ansichten dieser
Männer und ihrer Anschauungsweise der alteren hellenischen Poesie gar
Iceinen Begriff hat. Iii ähnlicher, eben so unbilliger und verfehlter Weise
wird in Appendix A. p. 506 ff. von diesen Münnern gesprochen, ihnen
hier Missbrauch der Kritik in jeder Weise vorgeworfen , ab wenn es sich
nicht der Mühe lohne, ihre „Sunluties" auf diesem Gebiete zu wider-
legen. Der Verf. halle freilich , che er an die Widerlegung dieser ver-
meintlichen Subtililüten denkt, erst daran denken sollen, ciue richtige
Kenntniss derselben , die ihm abgeht, sich zu verschaffen. Aehnliche Dinge
behandeln noch einige Appendices, wefche in der Zahl von dreizehn dem
zweiten Bande betgefügt sind. Appendix A. bespricht Widersprüche der
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Kraus*: das Thierreich in Bildern.
287
Art, wie sie in Dante'» Di vi na comedia vorkommen, im Vergleich zu
Homer, während in den folgenden Appendices mehrere die angebliche
Verschiedenheit der Ilias und Odyssee betreffende Paukte noch erörtert
uod in dem schon oben angedeuteten Sinne erledigt werden. Appendix E.
p. 510 ff. sucht die Identität der Pbäaken und der Phönicier (<t>a»>,/s;
und (Potv.xs;) zunächst aus Homer selbst zu erweisen. In ähnlicher Weise
folgt eine Zwölfzahl dieser Appendices dem dritten Bande, von welchen
mehrere eine gleiche polemische Tendenz haben. Auch ist demselben
Bande ein zu allen drei Nauden gehöriger Index beigefügt.
Chr. BÄhr.
Das Thierreich in Bildern nach seinen Familien und Gattungen darge-
stellt ton Professor Dr. Ferd. Kr aus s, Consertator am königl.
Naturalien - Kabinet in Stuttgart. Stuttgart und Esslingen , bei
Schreiber u. Schill; in kl. Folio. I. lind., Säugethier e 1851: VJIJ u.
104 S., mit 43 kolorirten und 7 schwarzen Steindrucktafeln; iu
8 Ueff. ausgegeben. 1848—1850. (12 ß. 30 kr.)
Dieser Band, der soeben vollendet worden, ist ein Theil eine*
grösseren oaturhistoriseben Atlasses, welcher in etwa 200 Tafeln das
ganze Thierreich umfassen soll , und, hat auch die Ungunst der Zeiten nicht
gestattet, das Unternehmen so rasch zu befördern, als es beabsichtigt ge-
wesen uod im Prospectus versprochen war, so müssen wir wenigstens
rühmend anerkennen, duss er den dort voraus bezeichneten Umlang genau
eingehalten hat und daher einen gleichen Erfolg auch für die Übrigen Ab-
theitungen des Tbierreichs iu Aussicht stellt, wovou die Vögel mit CO,
die Amphibien und Fische mit 30, die Kerbthiere mit 30 und die Weich-
und Pflanzen - Thiere ebenfalls mit 30 Tafeln bedacht siud, die zu 15 kr.
Jede iiluminirte Tafel nobst dem zugehüreuden Text berechnet werden sollen.
Die Aufgabe des Unternehmens ist, jede ausgezcichuele, hinreichend
begründete Sippe durch eine Abbildung nach der Natur oder der besten
Originalzeichnungen zu versinnlichen und ihre Charaktere im Text kurz
und bindig auszudrücken, unter Hinweisung auf Lebensart und geo-
graphische Beziehungen: eine Aufgabe mithin, wie sie sich etwa in
Frankreich die Uluslrirte Ausgabe vou Cuvier und Guerin's Iconographie
gestellt haben. Zwar besitzen wir einen Versuch von Schinz und Brodt-
mann, der sich jedoch auf die höheren Thierklassen beschränkt und sich
nicht sowohl die Darslelung der Sippen als der Arten zur Aufgabe gemacht
hat, für die charakteristischen Theile der ersten auch eineu meistens zu
kleinen Maasstab besitzt*, einige audere Unternehmungen, die sich nur auf
die Sippen bezieben, beschranken sich doch in der Regel auf die wichtigsten
darunter uud leiden noch in weil höherem Grade au der Kleinheit ihres
Masses, welches weder eine deutliche Zoichnug bezeichnender Theile
wie Zehen, Ohren, Augen, Zahne u. dgl. gestattet, noch weniger aber
zum Vorzeigen beim Unterrichte hinreichend ist.
.»
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268
Kraus?: das Thierreich in Bildern.
Io welchem Umfange nun der Begriff der Sippe hier genommen
ist, wird sich ergeben, wenn wir anführen, dass der Text von Affen 21,
von Fledermäusen 18, von Raubthieren 42, von Beutellbieren 18, von
Nagern 53, von Zahnlosen 6, von Einhufern 1, von Dickhäutern 9, von
Wiederkäuern 29, von Ruderfüssern 5 und von Walthieren 13, zusam-
men 215 Sippen aufzählt, nach Charakteren, Lebensweise und Verbreitung
beschreibt und durch Abbildungen von 238 Arten erläutert, wo denn eiuTheil
dieser Ueberzahl wieder Untersippen zur Grundlage dient, während das bis
jetzt vollständigste „systematische Verzeichnis der Süugethiere von Schinz"
die auf mehr als 2000 steigende Anzahl der Arten in 234 Sippen ein-
theilt. Wenu in dem Krauss'schen Werke die Affeu, Flederthiere,
Raub- ond ISagc-Thiere weniger zerthcilt sind, als bei Sellins, finden wir
hauptsächlich die Wiederkäuer und Wale nach den Arbeiten von Sunde-
^vall und Ks» bricht wciler zerlegt, übrigens auch andre neue Werke früher
und später zur Ausarbeitung bentttzt. l'nd wenn absichtlich nicht überall
alle vorgeschlagenen Sippen aus denselben aufgenommen worden sind, so
finden wir doch noch manche im Texte angedeutet, zu deren Erläuterung
eine besondere Figur nicht mehr nöthig schien. Der Text ist fleissig be-
arbeitet und scheint uns seinem Zwecke sehr angemessen zu sein.
Was die Abbildungen betrifft, so ist, wie schon erwähnt, ein ziem-
lich grosser Maasstab, verhältnismässig grosser für die kleinsten, kleiner
für die grössten Arten in Anwendung gekommen; die Figuren sind besser
illuminirt , als wir sie in mehreren verwandten Werken gefundeu ; die Stel-
lungen manchfaltig, ualürlich und lebendig, wenn sich auch in einigen
wenigen Fallen, wie auf Taf. 13 ein Einwand gegen die Gruppirung
machen lasst; die Thiere sind mit einer landschaftlichen Dekoration
umgeben, welche ihre Lcbeusweise zu beleuchten dient. Von sämmtlichen
abgebildeten Arten sind 102, oder von je 100 sind 45 Zeichuungen nach
der Natur angefertigt, die übrigen aus andern Werken entlehnt.
Eine willkommene Zugabe bildot aber die Darstellung der Skelette
und Gebbse von 88 Geschlechtern aus allen Ordnungcu auf den letzten 7
Tafeln, wozu dann S. 77 — 96 mit engerm Drucke einen guten und sehr
ausführlichen vergleichend-osteologischen Text nach den einzelnen Ord-
nungen liefert. Es ist diess eine Zugabe, welche allen andern verwandten
Werken fehlt, und die es jedem, welcher nicht Gelegenheit noch Beruf
bat, sich in Mitten einer anatomischen Sammlung zu belehren, möglich
machen wird, sich mit der vergleichenden Osteologie in einem hinrei-
chenden Grade vertraut zu machen.
Ueberblick uud Gebrauch des Werkes werden sehr gefordert durch
ein systematisches, sowie ein alphabetisches Inhalts- Verzeicbuiss und eine
Erklärung der Abbildungen.
Wir glauben daher eine ebenso wohlwollende Aufnahme dieser Un-
ternehmung erwarten, als ihr einen ruhigen gesicherten Fortgang voraus-
sagen zu dürfen.
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Ir. 19. HEIDELBERGER UN.
JAHRBÜCHER DIR LITERATUR.
»
Kurze Anzeigen.
Journal of the American oriental society. toi. I. Boston published hy the society.
1849. 8.
Die Amerikanisch-Orientalische Gesellschaft, welche sich, wie ihre Schwes-
tern in Europa , Beförderung des Studiums der asiatischen , afrikanischen und
polynesischen Sprachen und Literatur zur Aufgabe gesetzt hat, wurde im Ilerbslo
1842 gegründet und hielt im April des folgenden Jahres ihre erste öffentliche
Zusammenkunft unter dem Vorsitze des H. John Pickering, welcher zur
Gründung dieser Gesellschaft das Meiste beigetragen halte und daher auch ihn
bis zn seinem Tode (1846) fortzuführen bestimmt ward. Seit dieser Zeit wurde
der, auch in Deutschland rühmlich bekannte H. Ed. Robinson alljährlich zum
Präsidenten gewählt. Die Anlage einer Bibliothek und die Herausgabe eines
Journals wurde alsbald beschlossen und vorliegender aus vier Heften bestehen-
der Band zeigt uns, dass auch in der neuen Welt, trotz der vorherrschenden
materiellen Interessen, die Zahl und Bedeutung der Mäuner, welche sich der
orientalischen Philologie hingeben, täglich wächst uud dass wir schon in man-
chen Zweigen derselben auch unsre Kenntnisse durch die hier niedergelegten
Resultate ihrer literarischen Thätigkcit bereichern können.
Unter den vielen Aufsätzen und Abhandlungen, welche in diesem Bande
enthalten sind , verdienen folgende eine besondere Erwähnung :
1) Memoir on the bislory of Buddhism , read before the society May 24,
1844 by Edward E. Salisbury Professor in Yalc College. (79-136)
2) A Treatisc on Arab music , chiefly from a work by Mikhaii Mesml-
kah, of Daroascus, lianslated from the Arabic by Eli Smith. (171-219)
3) >'otcs on Arakan by tho late rev. G. S. Comstock, American baplist
missiooary in that counlry from 1834 to 1814. with a map of Ihe province,
drawn to aecompany them : by rev. L. Stilson , missionary companion of the
autbor. (219-259)
4) fomparative vocabularics of some of the principal negro dialects of
Africa, by rev. John Leighlon Wilson, missionary of the American board on
the Gabun. (337-360)
5) Ihe Zulu language, by Rev. James C. ßryant, missionary of theAme-
rican4oard among the Zulus. (383-396)
6) The Zulu and other dialects of southern Africa by rev. Lewis Grout,
missionary of the American board among the Zulus. (397—435)
6) Et-Tabary's conquest of Persia by the Arabs, translated from the
Torkish by John P. Brown, Esq. Dragoman of the anited states Legation at
Constantinople. (435 — 507)
XUY. Jahrg. 3. Poppelheft. 19
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Kurse Anzeigen. f
8) On the Identification of the signs of tbe Persian Coneiform Alphabet,
by Edward E. Salisbury. (517-561)
9) On tlu' present condition of Ute medical profession in Syria, by rev.
C. V. A. van Dyck, M. D. Missionary of the American hoard in Syria. (561 — 591)
Da liier nur eine kurze Anzeige dieses Journals beabsichtigt wird, so
gehen wir auf den nahem Inhalt desselben nicht ein und begnügen uns mit eini-
gen Bemerkungen zu Nr. 7.
Der türkische Uebcrsetzer Tabaris ist, nach der von Herrn Brown mit-
getheilten Ansicht des Ottomanischen Historiographen Asad Effendi , ein gewis-
ser Elias, welcher in Konieh unter den Seldjuken lebte, Diese Ueberaelzung
musste jedenfalls unter Mohammed II. schon verfertigt gewesen sein, da der
genannte Eflendi gelesen haben will , dass sie die Leetüre einer Tochter dieses
Sultans bildete. Mit dieser Behanptnng stimmt der Styl derselben vollkommen
überein. Nichts destoweniger wird diesem Werke eine historische Bedeutung
beigelegt, die es keineswegs verdient. Ref. hat schon, als er den ersten Band
seiner Geschichte der Chplifen schrieb, mehrfach nachgewiesen, dass der per-
sische und türkische Uebersetzer des Tabari das Original nicht nur abgekürzt
und verstümmelt, sondern auch durch Zusätze und Entstellungen, mitunter so-
gar durch absichtliche Fälschungen glnzlich verunstaltet haben. Seitdem Ref.
die Werke des Beladori und Ibn Kuteiba über die ersten Eroberungen der Ara-
ber gelesen, in welchen die Angaben Madaini's, Wakidi's, Ibn Alkeibis und
Anderer, die dem Original werke Tabaris zu Grunde lagen, in Kürze erwähnt
werden, ist seine Meinung von der Unbrauchbarkeit und Unzuverläisigkeit der
türkischen Uebersetzung nur noch fester begründet worden. So wird hier
S. 465 der ganze Zug des Ala Ibn Alhadhrami nach der Provinz Fars, wie ihn
Ref. (Bd. L S. 87) im Auszuge mitgctheilt, vollständig ohne alle Bemerkung
wiedergegeben. Ref. hat schon an genannter Stelle aus reinen Vernunftgründen
die Unwahrscheinlichkeit dieser Erzählung dargethan, nunmehr ist er aber voll-
kommen davon überzeugt, da man bei Beladori ausdrücklich liest, dass Isstacbr
noch im Jahre 29 d. II. in den Händen der Perser und vergeblich sowohl von
Abu Musa als von Orhman Ibn Abi-I-Aassi belagert worden war. Wir halten
es für überflüssig, hier noch weitere Beispiele anzuführen und würden diesen
schon mehrmals besprochenen Gegenstand, unter Andern auch in diesen Blät-
tern, bei der Anzeige der Üeberselznng Tabaris, gar nicht mehr berührt haben,
wenn nicht auch die Zeitschrift der deutsch - morgenlfindischen Gesellschaft einen
längern , wenig Neues bietenden Aufsatz über den türkischen Tabari, und einen
Auszug aus demselben enthielte, in welchem gleichfalls nicht der mindeste
Zweifel über die Glaubwürdigkeit dieses Werkes geäussert wird. Wenn wir
daher mit H. Salisbury darin übereinstimmen , dass es bis jetzt noch nicht ge-
lungen ist, eine ausführliche Geschichte der arabischen Kriege in Syrien und
Fersien im ersten Jahrhunderte der Hidjrah zu schreiben, so glauben wir nicht,
dass Materialien, welche so unzweideutige Spuren späterer Fabrication an sich
tragen, mit Erfolg dazu benutzt werden können, und erst wenn einmal der
ganze arabische Tabari aufgefunden sein wird, dürfte an eine solche Arbeit ge-
dacht werden.
Well.
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29!
Bibliotheca Scriptonim Graccorum el Romano mm Teubneiiana.
Diese neue Sammlung von Ausgaben Griechischer und Lateinischer C'las-
siker, welche mit dem Schlüsse des Jahres 1849 und dem Anfang des Jahres
1850 begonnen, in rüstiger Folge vorwärts schreitet, und zunfichst für den Kreis
der Schale bestimmt, doch am- Ii noch andere, ausserhalb dieses Kreises liegende,
in anderer Hinsicht wichtige Autoren befassen soll, kann gewissermassen als
eiae Erneuerung und Erweiterung eines früheren, von demselben Verleger aus-
gesogenen Unternehmens gelten , dessen Zweck , wie er auch damals in diesen
Jahrbüchern Jahrg. 1826 p. 225 ff. angogeben worden ist, „kein anderer war,
»als für den Schulunterricht, wie für den Gebrauch bei akademischen Vörie-
„rangen und für das Privatsludium Aufgaben zu liefern , die durch einen von
»bischen Lesarten wie von Druckfehlern gleich gereinigten Text, durch richtige
,Iaterpunction und Orthographie, durch deutliche Lettern, guten Druck, durch
»ein angenehmes Aeusserc und bilÜgen Preis allen den Forderungen entsprechen,
»welche man in dieser Hinsicht zu machen gewohnt ist." In wie weit die ein-
zelnen damals erschienenen Ausgaben diesem Zwecke entsprechen, ist am a. 0.
gezeigt und durch die Erfahrung bestätigt worden. Seit dieser Zeit eines Vier-
tetjahrhanderts ist fast bei allen allen Schriftstellern, zumal den nur Schulen ge-
lesenen, mehr oder minder eine Revision des Textes erfolgt, der Grundsatz der
urkundlichen, diplomatischen Ucberliefcrung ist nllerwärts mehr und mehr zur
Gellung gelangt und hat sein Recht, unbeschadet aller Anforderungen und Rechte
der Conjccturalkrilik, geltend gemacht, eben dadurch aber auch nähere Unter-
suchungen nach den ältesten und lautersten Quellen der handschriftlichen Ueber-
lieferang eines jeden Autors hervorgerufen , um damit auch den Werth der übri-
geo Handschriften zu bestimmen und diesen ihre Bedeutung und Stellung bin-
»entlieh der Textesgestaltung überhaupt anzuweisen. Neben diesen immer mehr
hervortretenden Forderungen der Kritik im Allgemeinen, hat sich auch im
Besonderen für die Schulausgaben die Forderung durchgängig revidirter
Texte eben so sehr herausgestellt: die Forlschritte der Kritik im Allgemeinen,
and das Streben, die alten Texte möglich getreu nach der urkundlichen Ueber-
lieferung zu geben, konnte und durfte nicht ohne Wirkung auch auf die Tür die
Schale bestimmten Ausgaben bleiben. Allein diese in der That gerechte und
billige Anforderung ist bisher wenig berücksichtigt worden; es liegt aber darin,
■ach unserer vollen Ueberzeugiuig , nicht blos die Rechtfertigung, sondern viel-
mehr die Notwendigkeit eines neuen Unternehmens, welches, wie das vorlie-
gende, die Ergebnisse der Kritik für die Schule gleichsam flüssig machen und
mm Nutz und Frommen derselben in Anwendung bringen, mithin gereinigte,
auf die urkundliche Ueberlieferung zurückgeführte, correcte Texte liefern soll,
lad dass dieser Forderung im Einzelnen auch entsprochen worden ist, wird
demnächst aus dieser Anzeige im Einzelnen sich herausstellen. Dazu kommt die
durch äussere Verhältnisse hervorgerufene, jetzt immer mehr und immer stärker
hervortretende Forderung, wie nach correcten und Druckfehler freien, so auch
»•besondere nach soleben Abdrücken, welche die Augen nicht angreifen, also
in Druck , Papier und Lettern denjenigen Ansprüchen genügen , welche das in
nageschwächter Kraft der späteren Zeit zu fiberliefernde Auge des jungen
Zögling» xu stellen berechtigt ist, und endlich die in der neuesten Zeit, ebenfalls
19*
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Kurte Anzeigen.
in Folge der äusseren Ereignisse sich eben so sehr geltend machende Forderung
der Billigkeit des Preises. In beiden Beziehungen, wir stehen nicht an es hier
gleich auszusprechen, wird man sich durch das vorliegende, noch näher in sei-
nen einzelnen Theilen zu besprechende Unternehmen vorzugsweise befriedigt
finden: die Lettern sind ungleich grösser und treten durch die bessere Schwirre
mehr hervor, das Papier ist ungleich reiner ausgefallen und der Preis (den wir
darum auch bei jeder einzelnen Ausgabe beizufügen gedenken) so überaus billig
gestellt, dass die gerade in dieser Beziehung und auch raeist nur ans diesem
Grunde so verbreiteten Tauchnitzer Abdrücke, denen wir übrigens nie das Wort
geredet haben, wenn es sich um geeignete Sculausgaben handelte, wirklich zu-
rücktreten müssen und somit bei diesem neuen Unternehmen Alles, was man
von solchen für die Schule bestimmten Abdrücken verlangen und erwarten darf,
in einer Weise und in einem Grade geleistet ist, wie dicss bei keinem der bis-
herigen Unternehmungen der Art der Fall gewesen ist. Was die Frage nach
den für solche Ausgaben etwa zulässigen Anmerkungen betrißt, so kann Ref.
aoeh hier seine, schon früher mehrfach ausgesprochene Ansicht nur wiederho-
len , wornach ihm für den eigentlichen Scbulgebrauch , insbesondere auf den
mittleren Classcn unserer höheren Lehranstalten, diejenigen Ausgaben immer als
die erspriesslichsfen erscheinen, welche jeder derartigen Beigabe von Noten oder
Anmerkungen, sie seien grammatischer oder erklärender Art, gänzlich entbeh-
ren und sich auf Hinzufugung von Summarien oder Wortregistern beschränken,
so dass Alles Andere der Schule selbst und dem mündlichen Unterricht über-
lassen bleibt. Man mag sich einzelne Ausnahmen in besondern Fällen gefallen
lassen: im Ganzen wird die Regel fest stehen und darum werden wir auch dem
vorliegenden Unternehmen Beifall geben, welches jeder solchen Zugabe durch-
aus entbehrt, und dabei doch der Kritik diejenige gebührende Rechnung ge-
tragen hat, die wir auch bei derartigen Ausgaben verlangen, dass nemlich die
Textesabweichungen in der Kürze, es sei am Eingang, also bei der Präfatio
oder auf einigen Blättern hinter dem Text oder auch unter demselben sich an-
gemerkt finden.
Gehen wir nun zu den einzelnen Theilen der Sammlung , so weit sie bis
jetzt erschienen sind, über, so finden wir, dass dieselben ausgegangen sind
theils von solchen Gelehrten , welche schon bei dem früheren Unternehmen mit-
gewirkt und nun die von ihnen damals schon besorgten Ausgaben revidirt haben
und in dieser Revision dem Publikum vorlegen, theils aber auch von Bolchen
{j t- 1 c 1 1 r ( c n ^ \s l 1 1 Ii c sie Ii 9p6Cidl mit i!c n 1. 1 r i zclnc ti *\n t orc n I) esc litil 1 1 ^ t ^ und tlic
Beweise davon mehr oder minder in grösseren Arbeiten oder Ausgaben bereits
gegeben haben: denn es war eben das Bestreben des Unternehmers, für jeden
Autor denjenigen Gelehrten zu ermitteln, der durch specielle Beschäftigung mit
demselben und die daraus hervorgegangenen Leistungen auch am ersten geeig-
net und befähigt zu einer solchen, die Zwecke der Schule zunächst berücksich-
tigenden correcten Ausgabe des Textes erscheinen konnte.
Von griechischen Dichtern sind bisher die folgenden erschienen:
i. Homeri Carmina ad optimorum librr. fidem expressa curanfe Guilielmo Din-
dorfio. EdUio tertia correctior. Upsiae stantibus et tfpis B. G. Teutmeri
MDCCCL. Vol. I Fan I. Uiadis 1-XIl. Vol. /. Fan 11. lliadi$
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293
XU1 — XXIV. XIV und 504 S. in 8. (die Seiten laufen durch leide Par-
te* fort) Vol. II. Odyssea. XU und 391 S. (Der Band m ßy^Sgr.)
2. Acschtjli Tragoediae ex recentione Ricardi Portoni passim reßcta a Gui-
lielmo Vindorf io. Edilio sc nitida correctior. Lipsiae etc. 282 S. in 8.
(10 Sgr., jedes Stück besonders tu 3 Sgr.)
3. Sophoclis Tragoediae. Ex recensione Guilielmi Dindorf ii. Editio
secunda correctior. Lipsiae etc. MDCCCXL1X. 381 S. in 8. (12*1% Sgr.,
jedes Stück besonders su 3% Sgr.)
4. Pindari Carmina cum deperdUorum fragmentis selectis. Relegit F. G.
Schneiderin. Lipsiae etc. MDCCCL. 240 S. in 8. (9 Sgr.)
5. Bucolici Graeci. Theocritus, Bio, Moschus. Recensuit Henricus
Ludolf us Ahr ens. Lipsiae etc. MDCCCL. IV u. 144 S. in 8. (5 Sgr.)
Es ist, wie eben im Allgemeinen bemerkt worden, keine dieser Ausga-
ben mit Noten oder Anmerkungen irgendeiner Art ausgestattet, indem uns blos
die griechischen, neu revidirten Texte geboten werden. Bei Homer sind die
lateinischen Summarien der einzelnen Gesänge der Ilias und Odyssee dem Texte
derselben vorausgeschickt, die Vorrede der früheren Ausgabe ist nicht wieder
abgedruckt, jedoch sieht man bald, dass dieselben Grundsätze, die damals den
Herausgeber leiteten, auch jetzt für die Gestaltung des Textes in gleicher Gel-
tang geblieben sind, und überhaupt die ganze Revision des Textes im Einzel-
nen bestimmt haben. Dasselbe gilt von Sophocles nnd Aeschylns, bei
welchen Dichtern die griechischen Hypotheseis (und sonst Nichts) dem Texte
vorangehen , und jede weitere Annotatio weggefallen ist. Wir können hier, wo
wir blos einen einfachen Bericht über das ganze Unternohmen abzustatten ge-
denken , schon des beschränkten Raumes wegen nicht in eine Kritik eines jeden
dieser Autoren eingeben, aber wir wollen doch nur an ein Paar Beispielen
zeigen , dass wir hier keineswegs blosse Abdrücke der früheren Ausgaben vor
uns haben, sondern dass wirklich eine Revision vorgenommen worden, die
auch das Neueste auf diesem Gebiete der Kritik in Berücksichtigung gezogen
hat. Bei eioer Vergleichung des Textes des aesehyleiseben Prometheus finden
wir, dass z. B. in der kritisch schwierigen, viel besprochenen nnd viel ver-
suchten Stelle Vers 1056 und 1057 (1092 ff. ed. Blomf.) in der vorletzten An-
sprache des Hermes an den Chor, die Lesart der ersten Ausgabe: tt foep eX-
hLvM |ti] icopauaUtv et ö'euruXf)» *t XaXa fiavtüv verlassen ist, nnd gewiss mit
allem Recht, da [diese Lesart keinen befriedigenden Sinn geben kann. Wenn
aber statt des anstössigen et o'tvtuXi) gesetzt wird ?j rou3e r//r( , mit Verschmä-
hong der anderen hier von verschiedenen Gelehrten vorgebrachten Verbesse-
ruogsvorschiäge , so scheint uns doch auch diese Lesart noch manchen, selbst
sprachlichen Bedenken zu unterliegen , die es uns fast bezweifeln lassen, ob man
wirklich sagen könne: q rj/tj eXXeiictt u-tj rcapanaUtv. Beibehalten ist, und wir
glauben mit Recht, die auch schon in der früheren Ausgabe aufgenommene Ver-
besserung Elmsley's Vs. 606 (627 ed. Blomf.). — xixpjpov o «n {ieTcaujuvei na-
&iv, Tt pi)Xap (statt des malten und selbst widersinnigen tt Xp^) ^ Tt
cipaazQv vwoj. Dagegen Ys. 543 finden wir jetzt eine vom Verfasser in der
Zeitschrift für Altcrthuraswissenschaft seiner Zeit gemachte Verbesserung in den
Text aufgenommen : Zfpa yop oü Tpojtecov autovw yvtuaa 0^ei #vaT0.j; £yav statt
iU% Twua, welchem Burney und nach ihm Blomfield noch ein (unnöthiges) tv
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vorsetzten. Eben 10 ist Ys. 426 jetzt richtig Aufgenommen : — aXXov tv itovoic
ha\xivz dJa^avTO^eTOic Ttxdtva Xu;iai; eioiiojxav diov 'AtXov, wo die frühere
Ausgabe noch mit Schütz und Bothe an dem fehlerhaften axafiavtoSerotc
festhielt. Aber an der Veränderung Vs. 378 (386 ed. Blomf.): öpffjc Csoüötjc
eialv laTf^ot XojOt statt der Vulgata voaoJäTjc haben wir ähnliche Bedenken, wie
sio auch von Schneidewin (Gölt. Gel. Anz. 1844 p. 1533) geäussert worden sind:
wir halten die Aenderung für unnötbig und die Valgata schon durch den Ge-
gensatz zu tatpot geboten und daher nothwendig. Als eine bessere, und, wie
wir glauben, durch den Sinn selbst gebotene Aenderung betrachten wir es, dass
die Verse 347 ff. (355 ff. ed. Blomf.), welche noch in der früheren Ausgabe
dem Okeanos beigelegt waren, hier als Worte des Prometheus in unmittelbarer
Verbindung und Anknüpfung an die vorhergehenden Worte desselben erscheinen.
Vs. 49 ist ans der ersten Ausgabe noch beibehalten: ä-'/vt' i r. p 6. '/ 8 Tj r./.rv
dtoioi xotpavetv. Freilich haben so alle Ausgaben und Handschriften ; aber einen
oinigermassen nur befriedigenden Sinn in die Stelle, bei Beibehaltung dieser
Lesart, zu bringen, vermag Ref. in der That nicht. Und so mag das von
Blomfield und Schümann aufgenommene und auch von Andern in neuester Zelt
gebilligte i7ia/ßfr eine Conjcclur Stanley'«, den Voraig verdienen, indem dann
doch ein dem Ganzen entsprechender Sinn sich herausbringen lisst. Bei Pili-
da r hat der Herausgeber die von ihm unlängst in der neuen Bearbeitung der
Dissenchen Atisgabe gegebene Revision des Textes zu Grande gelegt, und,
was wir sehr billigen, unter dem Text ganz kurz die Abweichungen seines
Textes von dem altern der Heyne'srhen Ausgabe bemerkt, auch jeder Hymne,
wie diess auch bei der Dissenchen Ausgabe der Fall ist, die Angabe des Me-
trums vorausgeschickt. Dass die Mehrzahl der Fragmente Pindars, so weit sie
aus Einem oder mehreren Versen bestehen, beigefügt ist, kann der Ausgabe
nur zum Vortheil gereichen.
Bei den Bukolikern (Tbeocritus, Bio und Moschus) erhalten wir den
griechischen Text nebst den griechischen , dem Ganzen vorangestellten Argu-
menten. Eine nähere Erörterung der bei der Textesrevision befolgten Grund-
sätze und ihrer Anwendung in den einzelnen Fällen gedenkt der Herausgeber in
Schneidewin's Philologus zu geben, da der Zweck und der Raum, der ihm hier
gestattet war, diess nicht erlaubte; er bemerkt nur so Viel, dass eine eonse-
quentcre Durchführung des Dialekts ihm nur bei Theocrit I— XV, XVIII, XXV,
-WM II und in den meisten Epigrammen, so wie bei des Moschus Europa und
Mcgara möglich gewesen sei, bei den übrigen, zum Theil sehr verdorbenen
thcocriteisciicn Stücken, wie bei den übrigen des Moschus und Bio er weniger
ängstlich in der Aufnahme von Conjecturen gewesen sei; Verderbnisse in ein*
seinen Versen und Worte sind durch vorgesetzte Sternchen angedeutet.
Von griechischen Prosaikeru erschien:
ii Ilcrodoti Hiitorianm libri IX. Curatit Henr. Rudolph. Dieitck, Up-
siae sumtibus ei typis B. G. T&tbneri MDCCCL. Vol. I. IV *nd 382 8.
Vol. II. 346 S. (Wfi Sgr.)
2. Thucydides de beilo Peloponnesiaco libri och). Rtcognotit Godofredv*
Boehme. Lipriae etc. MDCCCI. Vol. I. Lib. 1-1K. VI und 322 S.
in 8. (9 Sgr.)
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3. Xenophontis Expeditio Cyri. Recensuil Ludovicus Dindorfius,
Ediuo tertia emendatior. Ltpsiac MDCCCLLX. X und 258 S. I '■<' , Sgr.)
Intlilmtio Cyri etc. (me vorher) 7V| Sgr. MDCCCL. XU und 336 S.
Historia Graeca. Recognovit Ludov. Dindorfius. Edith secunda
emendatior. MDCCCL. XVI und 288 S. (7V3 Sgr.) CommenlariL
Recognovit etc. (vie vorher) IV und 146 S. (3*U %J Script Mi-
no ra. Recognont etc. XU und 319 S. (7 Vi Sgr.)
4. Demosthenis Orationes ex recensione Guilielmi Vindorf ii. Lip-
siae etc. MDCCCL. Bditio secunda correctior. Vol. I. Orationes I XIX.
336 S. Vol. IL Orationes XX— XL. 492 S. m gr. 8. (der Bd. su 6 Sgr.)
I. Piatonis Euthyphro, Apologia Socraiis, Crito, Phaedo. Ex re-
eogmtione Cmroli Friderici Hermanni. Lipsiae etc. MDCCCLI. 156 S.
m 8. (6 Sgr.)
Bei H er odo tu s hatte es der Herausgeber nicht darauf abgesehen, eine
neue Hecension des Textes zu liefern — wie wäre diess auch ohne neue, und
xwar namhafte und ältere Handschriften, als die bisher bekannt gewordenen,
wenigen, überhaupt möglich? — er wollte, und diess war allerdings der rieh«
tigere, bei einer Schulausgabe einzuschlagende Weg, einen Text liefern; „quae
Titas virorom doctorum sagacitati demonstratis atque emendatis careret; quare
qaamvis religiöse codicom auetoritati obsequendum pularem, tarnen ubi quae
nollo modo ferri possent aut scriptore qualis Herodotns fnit, indigna exhibe-
baat, si qaae veri similis conjectura inventa esset, cum reeipere non dnbitavi.tf
Ref. kennt kaum einen Schriftsteller , bei welchem die urkundliche Gestaltung
des Teiles, wie wir sie doch verlangen, grösseren Schwierigkeiten unterliegt,
welche hauptsächlich durch die Mannichfaltigkeit und Unstetigkeit der dialekti-
schen Formen herbeigeführt werden. Diese iu eine gewisse Gleichförmigkeil
xd bringen, indem man, wie die Versuche der Neuern diess meist verlangen,
oteh der Mehrzahl von Stellen, in denen eine bestimmte Form vorkommt, die
Minderzahl von Stellen, in denen eine Abweichung davon sich findet, zu andern
unternimmt, führt zu einem so gewaltsamen Verfahren, dass schon Schüfer bei
«nem derartigen Versuche mitten inne hielt , weil er erkannt halte , welch* eine
ferahrliche Bahn er betreten. Hier wird am Ende doch kaum eine andere
Wthl übrig bleiben, als die Annahme, dass Herodotns in Einem und demselben
Fall aoeh verschiedene Formen zugelassen, und hier entweder durch Rücksich-
ten des Tons und Klangs, oder durch andere nns nicht weiter bekannte Gründe,
j» im Ende auch durch Zufall und freies Belieben bestimmt, bald diese, bald
jene Form gewählt hat. Auch wird nie vergessen werden dürfen, dass eine
?entue Collation der ältesten herodoteischen Handschrift gerade in dieser Bezie-
mm*, was die einzelnen dialektischen Formen betrifft, uns noch fehlt. Es war
daher gewiss klug von dem Herausgeber, dass er, da er nun einmal für
einen verlüssigen und richtigen Text, wie ihn der Bedarf der Schule (aus
der wir doch wahrhaftig darum die Leetüre des Vaters der Geschichte nicht
werden verdrangen wollen) verlangt, sorgen musste, sich diesen allerdings ver-
föhrerischen Gleichheitsbestrebungen nicht hingab, sondern an die Grundlage
des von Schweighäuser und Gaisford gelieferten Textes im Ganzen sich lieber
fcdt, dass er nur hier und dort in dialektischen Formen, aber mit der grössten.
Vorsicht, einzelne Aenderungen sich erlaubte, und dadurch einen Text lieferte,
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Kurz*; Anzeigen.
wie er den Bedürfnissen der Sehnte entspricht und dadurch (anrh abgesehen
von den Sasseren Vorzögen des Druckes, der Lettern and des Papiers) den
Vorzug verdient vor andern, namentlich den Berliner Abdrucken der Jahre 1833
and 1845. So hat der Herausgeber, um wenigstens einige Proben hier vorzu-
legen, I, 8 statt I j /tjc 6 Aacx-JXo-j, nach Dindorfs Vorschlag geschrieben Aaa-
xuXeio, eben so I, 32 eitw/siv für eiuo/üiv » eben so VII, 161 Meto für e&eou,
VII, 163 Sjvtovtai für ?jv5(bvrcti , aber I, 11 ist er ihm nicht gefolgt, indem er
evSelv, was Dindorf in iviteiv verwandelt wissen will (ohne hinreichenden Grund,
wie wir glauben), im Texte beliess, eben so I, 48, wo 'iiu geblieben statt
des von Dindorf vorgeschlagenen rfyt. In der Stelle I, 17: ©5rt tvti:iu>icpi)
oore ftjpa; dfoceana, Sa Ik xorra Xwpr,v fctou-eveu, wo Dindorf tvsmjiitpa and
iordvat liest, hat der Herausgeber nur das Letztere aufgenommen, das Erster e,
und wir glauben auch hier mit Grund , abgelehnt. — 1 , 27 wird eben so is vo>
beibehalten, also Dindorfs sv vom bei Seite gelassen, und in demselben Capitel
die Lesart der besseren Handschriften, die durch eine Reihe von Conjecturen
bekanntermassen verdrangt werden sollte, beibehalten, auch hier mit gutem
Recht: Xoßeiv dpo>u.evot A'jSouc ev daXaoag. Dasselbe ist geschehen I, 54 in
Beibehaltung der Formen Tcpouavriji'Tjv xat attXeirjV xcü icpotäptyv: wenn wir aber
II, 15 finden Tapr/tjt etuv , statt der Vulgata TofOCnf*», die Dindorf in TaptX«V»v
verwandelt, so mag man es uns zu Gute halten, wenn wir die Vulgata dem
Einen wie dem Andern vorziehen. Richtiger scheint uns das II, 37 von dem
Verfasser gesetzte £ta«miovTec , wo Dindorf die Vulgata omauieuvwc in StaajAwvt«
ändern wollte. Consequent diesem, wird auch gleich nachher geschrieben
icpOTi|AtovTt; statt TcpoTiiuövre; oder rpotiuiojvrsc. Dass II, 13 ^ — ervoftj
statt ei {xt) gegeben, oder viel mehr beibehalten Ut, wird man nur billigen
können. An mehreren Stellen, wo frühere Herausgeber, insbesondere auch
Schweighäuser Glosseme vermuthelen, hat der Verf. darauf Rücksicht genom-
men , indem er die Worte in eckige Klammern einschloss, wie II, 11 (die Worte
'Apaßiov tov epXo^at X*s«uv) oder I, 38 (die Worte Jie^ftapjjivov -njv axo^v) oder
I, 1 (das Wort X«»p*} nach t« a).).Tj) oder VII, 145 (die Worte 'EXxtjvo» twv
nach Bekker's Vorgang) u. dgl. m. Will man in diesen Stellen wirkliche Glos-
seme anuehmen, dann wird man aber auch, und wie wir glauben, seibat mit
mehr Grund in der Stelle VII, 162 bei den Worten ootoc & 6 vöoe touSs toü
pfjuioTo;, to iUXtt Xsyeiv, die wir nicht einmal für alt -griechisch halten, ein
Glossem anzunehmen und also die Worte in eckige Klammern zu setzen haben,
was hier nicht geschehen ist. Bezweifeln müssen wir, ob in der Stelle VII,
145: ipw oe itpöc "rtvac xa't iXXouc tyxE/p7]u,evot seil, tcoacjagi , die vom Verf.
aufgenommene Aenderung Reiske's: e YxcxpT)|icvot wirklich eine Verbesserang
und keine Verschlimmerung des schwierigen, vielleicht verdorbenen Wortes eyxt-
Xptjjjivoi ist. In einem Ähnlichen Fall VIII, 73, wo wir auf das gleiche Schwie-
rigkeiten bietende Wort exieoto&urjvTat stossen , hat der Verf. ganz wohl ge-
than , keine Aenderung — denn vorerst wird wohl jede solche äusserst unge-
wiss bleiben — vorzunehmen, sondern die Vulgata beizubehalten; in einem
andern VII, 89: ovtoi piv o'to» ijtaXdoctTO, was kaum richtig sein kann,
hat er die Verbesserung von Bekkcr und Dindorf inaXaxo aufgenommen. In
den zwei Stellen, in welchen der Verfasser allein eine eigene Vermuthang in
den Text aufgenommen hat, will uns die eine nicht recht zusageu. I, 189:
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Kurte Anzeigen.
oT/.tfMKtvu; oe ott£o2ot travt« Tpwtov oS&v sXouct Sti tftv yuvatxow sollen wir statt
öStöv lesen osaitnv, riit Herodotus numerum viarum pro numero mulierum varium
faisse tignificaret." Eher möchten wir mit Schweighäaser ö$<ov für ein Glossen
ansehen and ginzlich tilgen ; denn o&ov, wie ElU vorgeschlagen, will uns eben«
sowenig gefallen. Ansprechender wird die Veränderung V, 34 erscheinen: xal>
oira xat icotoc xata rd/o? eaa;avro statt der Yulgata xat Tt!X<K, in welcher
schon Valckenar •///' in rö änderte, dem einige neuere Herausgeber folgten, wah-
rend Andere diese Worte für verdächtig ansahen und in Klammem einschlössen.
Aach die Ausgabe des Thucydides sucht sich auf gleichem Mittelwege
zu halten, indem sie sich zwar möglichst an die handschriftliche, hier in der
That auch besser als bei Herodotus bestellte, Ucbcrlieferung hält und nur in den
Fallen abgeht, wo offenbare Verderbnisse der Handschriften eine Abweichung
nötbig machen, die durch den Zweck einer Schulausgabe allerdings geboten
schien. So schliesst sich dieser Text zunächst an den von Poppo und Kruger ge-
gebenen an; die Stellen, in welchen der Verf. denselben verlassen hat, sind in
der Vorrede aufgeführt, die in sofern als die Rechenschaftsablage dieses kriti-
schen Verfahrens gelten kann, dessen Prüfung auf diesem Wege einem Jeden
leicht möglich ist. Die unter Marcellinus Namen gehende Biographie des Thucy-
dides ist mit etwas kleinerer Schrift vorangestellt, worauf der Text der vier ersten
Bücher folgt, mithin noch ein zweiter Band, welcher den Rest bringt, zu er»
warten steht.
Bei der von L. Dindorf besorgten Ausgabe der verschiedenen Schriften
Xenophons, die hier in einer zweiten und dritten Revision erscheinen, sind
Noten und Einleitungen oder Vorreden gänzlich weggefallen , dagegen jedem
Bande lateinische Suminarien der einzelnen Schriften , welche in denselben ent-
halten sind, und am Schlüsse lateinische Register über die Eigennamen (Index
Nominum) beigefugt ; der l'yropädie vornngedrtickt ist auch das Leben Xeno-
phon's ans Diogenes II, 48 If. Einen ebenso revidirten Text', wie diess durch
die neuern Bearbeitungen von Bekker, Vömel und den Züricher Gelehrten er-
möglicht war, bringt die Ausgabe des Demosthenes von Wilhelm Dindorf.
Auch hier sind die griechischen Argumente jeder einzelnen Rede vorausgeschickt;
Der Abdruck der Reden selbst reicht in beiden Bänden bis zu Nr. XL. oder
der Rede: irpoc Bomdtöv itjoi -rpor/öc ;j.TjTp«n ac p. 1026 der Reiske sehen Ausgabe,
deren Seitenzahlen durchweg am Rande beigefügt sind.
Auf die mit der ersten Abtheilung begonnene Ausgabe der Schriften
Plato's dürfen wir wohl insbesondere die Aufmerksamkeit Aller derer richten,
die sich für diesen Schriftsteller und einer Verbreitung seiner Werke, innerhalb
des nächsten Kreises der Schule wie ausserhalb desselben, interessiren. Dazu
fordert uns schon der Name des Herausgebers auf, der hier vor Allem bestrebt
war, der urkundlichen Autorität ihr Recht widerfahren zu lassen und demge-
mäss noch konsequenter als seine nächsten Vorgänger, die Lesarten der ältesten
Handschrift (des Codex Clarkianus oder Bodlejanus) durchzuführen, ohne jedoch
dabei die Aushülfe zu verschmähen, welche in verdorbenen Stellen oder bei
offenbaren Fehlern dieser Handschrift andere Codices an die Hand gebeu, oder
diejenigen Aenderungen abzuweisen , die durch die Sprache oder den Sinn des
Ganzen geboten waren. Wir haben also hier eine Revision des platonischen
Textes, der möglichst auf seine urkundliche Grundlage zurückgeführt, auch für
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die Lektüre des Pinto, es sei auf Schulen oder Universitäten oder bei Privat-
studien, eine sichere Grundlage bietet. Dabei sollen die Abweichungen des
Textes in den jedem Volumen beizugebenden Prolegomencn ihre Rechtfertigung
erhalten, so dass also auch vou dieser Seile Nichts vennisst wird, was man von
der Gewissenhaftigkeit des Herausgebers erwarten konnte. Die in diesem Bild-
chen enthaltenen vier, auch sonst oft mit einander verbundenen Stucke (Euthy-
phro, Apologia Socratis, Crito, Phacdo) bilden die erste Ablheilnng des ersten
Volumen; die zweite soll den Cratylus und Theätct, die dritte den Sophistes und
Politicus enthalten, und das Ganze baldigst, noch vor Ostern, im Drucke been-
digt sein ; Volumen II. in drei Abtheilungen wird den Parmenides und Philebus,
das Convivinm und den Phädrus, Alcibiades I. und II. nebst Hipparchus, Erastä
und Thcages befassen; Vol. III. in vier Abtbeilungen den Charmides, Lache«,
Lysis, den Euthydemus und Protagoras, den Gorgias und Mcno, den Hippias I. IL
nebst Jo, Mcnezenus, Clitophon; Vol. IV. in zwei Abtbeilungen wird die Politia
bringen, dann den Timäus, Critias, Miuos; Vol. V. die Lcges nebst Epinomis;
Vol. VI. die Briefe und die verschiedenen unachten Schritten, dann die Einlei-
tungen und Vitae Platon's von Alciuous, Albinus, Olympiodorus n. A.
Ausser den Fortsetzungen der noch nicht vollendeten Autoren haben wir
demnächst das Erscheinen der unter der Presse befindlichen Argonautica des
Apollonius (von R. Merkel) und des Arrianns (die Ezpeditio Alexandri von
R. Geyer) zu erwarten.
Von lateinischen Schriftstellern sind, bei völlig gleicher äusserer Aus-
stattung, bisher die folgenden erschienen, und zwar zuvörderst Dichter:
f. P. Virgilii Maronis Opera omnia. Ex recensione Joanni Ckristiani
Jahn. Editio qwuia. Lipsiae: sumptibus et typt s B. 0. Teubneti. MDCCCL.
XXXVI. und 384 S. in 8. (W 4 Sgr.)
2. Q. Hot aii i Flacci Opera omnia. Ex recensione Jon. Ckristiani Jahn.
Editio quarta. Lipiae etc. XU. und 262 S. in 8. <7«/t Sgr.J
3. T. Macci Planti Comoediae. Ex recognitione Alfreds Fleckeiseni.
Tmnus I. Amphilruonem Captitos Müttern Gbriosum Rüden km Trinummurn
compleclens. Praemism est Epistula erUica ad Fridericum Mische lium.
Lipsiae etc. XXX. und 332 S. (12 Sgr.J
4. P. Ovidius JSaso. Ex recognitione lludolphi Merkeiii. Lipsiae de
Tom. II. Metamorphoses. XIV. und 317 S. (7% SgrJ Tom III. Trts-
tia. Ibis. ExPontolibri. Fasti. Halieulica. lipsiae etc. MDCCCLI.
X. und 342 S. {10 Sgr.)
5. Lex. Propertii Elegiae. Edidit Henricus Keil. Lipsiae etc. MDCCCL.
IV. und Iii S. (6 Sgr.)
6. Phaedri Augusii liberti Fabulae Aesopiae quam tetercs tum novae alque
restitulae. Ad optimorum librorum ßdem recognotit alque de poetae vila et
fabulis praefatus est Chrislianus Timotheus Dressler. Lipsiae etc.
VIII. und 84 S. in 8. (2\ z Sgr.)
Die Ausgaben des Virgilius und Horatius, die wir einst von der
Hand des seligen Jahn erhalten haben, verbreitet bereits in drei Ausgaben, ha-
ben hier einen vierten Abdruck erhalten, dem die gleich gunstige Aufnahme,
wie wir hoffen, nicht fehlen wird, da der correkte Text, die besonnene Kritik,
wie sie dieser erfabreno Schulmann nnd Gelehrte geübt hatte, diese Ausgaben
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Karte Anieigen.
auch besonders für die Bedürfnisse der Schule geeignet macht. Gelt es doch
bei dieseo Autoren nicht sowohl die Herstellung eines urkundlich-getreuen Tex-
tes auf neu gewonnener Grundlage, sondern vielmehr die Bewahrung der ur-
kundlichen Ueberlieferung gegen eine Willkür, welche nach rein subjektiven
Ansichten beliebig die Texte gestallen und so gewissermassen zu Produkten eigner
Thätigkeit umzuwandeln sucht. Gegenüber einem solchen Verfahren hatte der
selige Jahn in der auch hier wieder abgedruckten Vorrede zu Horatius vom
1. Oktober des Jahres 1846, die gesunden und richtigen Grundsitze der Hora-
zischen Kritik in einer Weise dargestellt, der kein besonnener Kritiker seine
Billigung wird versagen können. Bei Virgilius ist auch die fntroduetio, welche
eise gründliche und vollständige , durch Nachwcisungen jeder Art, darunter auch
manche neu hinzugekommene, unterstützte Skizze von dem Leben und den Schrif-
ten des Dichters enthält, wieder abgedruckt, was gewiss nur zu billigeu ist.
Wenden wir uns zu Plautus, so weiss Jeder, dass für die Texteskritik
dieses Autors eine neue Epoche begonnen hat, die zuuächst an die kritischen
Forschungen RiUchl's geknüpft, auch diesen Schriftsteller uns in einer möglichst
auf seine urkundliche Grundlage zurückgeführten Gestalt zu bieten sucht. In
die gewöhnlichen Ausgaben, wie sie der Schulbedarf erfordert, ist aber, wenn
wir von den kleineren Ausgaben der von Ritsehl besorgten Stücke absehen,
doch im Ganzen bis jetzt nur Weniges von dieser neuesten Forschung, die uns
den Text der piautinischen Stücke jetzt mit ganz andern Augen ansehen lässt,
übergegangen, so dass wir wohl diese Ausgabe als die erste bezeichnen dürfen,
welche uns den Text des Plautus in dieser seiner urkundlichen Grundlage nahe
gebrachten, aus den Forschungen der neuesten Zeit hervorgegangenen Gestalt
liefert. Für zwei der in diesem Band enthaltenen Stücke (Miles gloriosus,
Trioumnius) lagen Ritscbl's Ausgabeu bereits vor; schwieriger war die Gestal-
tung des Textes der übrigen drei Stücke, die jedenfalls nach den für die Kritik
des Plautus überhaupt jetzt gewonnenen , massgebenden Grundsätzen durchzu-
führen war. liier war nun der Herausgeber so glücklich, durch Vermittelung
des Hrn. Direktor Halm, von Hrn. Schwarzmann eine genaue Collalion des zu
Rom beGndli eben Vetus Codex zu erhalten, der bekanntlich, wenn man von dem
Ambrosianischcn Palimpsest absieht, mit seinem Bruder, dem in Heidelberg zu-
rückgebliebenen oder vielmehr dabin wieder zurückgekehrten Codex Decurtatus,
die letzte Quelle des plautinischen Textes bildet. Wir können hier nicht in das
Einzelne der Kritik des Textes eingehen, verweisen desshalb auf die dreissig
eng gedruckte Seiteu füllende Epistoln critica, in welcher der Herausgeber sein
ganzes Verfahren in der Behandlung des Textes entwickelt und insbesondere
über einzelne Abweichungen sich naher ausgesprochen hat.
Die Revision des Textes der Metamorphosen des Ovidius, welche
den zweiten Band der Opera dieses Dichters bilden, ist zunächst gebaut auf
drei der ältesten Handschriften, welche sich durch die Eigenschaften des Allers,
der Treue und der Sorgfalt gegenseitig in einer Weise unterstützen und ergan-
**u, dass nur selten eine Herzuzichung anderer Handschriften nöthig ward und
zugleich bei der Gestaltung des Textes ein festes und konsequentes Verfahren
durchgeführt werden konnte; es sind diess die zwei Florentiner Handschriften
des eilften Jahrhunderts (Marciauus und Laurentianus), die freilich beide nicht
vollständig sind, indem bei der einen Buch XV. fehlt, und die andere mit
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Buch XII. 280 schliefst, aber nach Versicherung von Hrn. Keil, der beide Hand-
schriften verglich, als die älteste unter allen ovidischen Handschriften in Italien
gelten kann; zu diesen kommt die Erfurter, vom Herausgeber selbst verglichene
Handschrift des zwölften Jahrhunderts.
Ueber den Charakter dieser ältesten Textesquellen und ihre Benützung für
den Text der vorliegenden Ausgabe spricht sieb die Präfatio in einer solchen
Weise aus, dass wir das ganze Verfahren des Herausgebers daraus näher kennen
zu lernen im Stande sind. Dasselbe ist der Fall auch bei dem dritten Bande,
der die oben bezeichneten, in die Zeit des ovidischen Exils fallenden Schriften
befasst, bei deren Herausgabc dieselben Grundsätze festgehalten wurden. Die
Libri Trist iuui und Ibis sind schon im Jahre 1837 in einer grösseren, für
den gelehrten Gebrauch bestimmten Ausgabe des Verfassers erschienen: er be-
dauert für den vorliegenden Abdruck nicht mehr die Florcntinische Handschrift
des X. oder XI. Jahrhunderts, von der er zu spät Nachricht erhielt, benutzt zu
haben; bei den Büchern Ex Ponto leistete eine Hamburger Handschrift des
XI. Jahrhunderts, die in der Vorrede näher beschrieben wird, erwünschten Bet-
atand. Die libri Fastorum erscheinen in einer „legitime recognitio", welche
auf zwei römische, durch Hrn. H. Keil verglichene, Handschritten begründet ist,
die eine stammt, nach der Versicherung dieses Gelehrten, aus dem zehnten Jahr-
hundert und war einst im Besitzthum der Königin Christina von Schweden,
ffr. 170^, die andere, nicht minder ausgezeichnete ist eine vatikanische, schön
geschriebene, in den Abkürzungen der bemerkten Hamburger ähnliche, Nr. 3263.
In den Halieuticis, welche den Schluss des Bandes einnehmen, und auch
dem Herausgeber als ein unvollendet hinterlassenes Gedicht erscheinen , hält
Derselbe Vers 49—81 für ein fremdartiges Einschiebsel, „nisi poeta (wird hin-
zugefugt) revera de piseibus et feris opus condidit, ut librarii inscripserunt."
Die Ausgabe der Elegien des Propertius schliesst sich zun liehst an
Lachmann's Recension an, aber mit grosser Vorsicht, die sich auch in der Auf-
nahme von Conjckturen, die der handschriftlichen Beglaubigung entbehren, durch-
weg erkennen lässt, so dass wir auch hier der Forderung eines auf die ur-
kundlichen Grundlagen (insbesondere des Codex Groninganus und Neapolitanus)
zurückgeführten Textes Geniige geleistet sehen. Dasselbe lässt sich auch von
der Bearbeitung der Fabeln des Phädrus sagen; sie ist mit einer Abhandlang
versehen, welche in einer gedrängten Zusammenstellung die wesentlichsten Punkte
aus dem Leben des Phädrus bringt, und verbindet mit dem Abdruck des Textes
der fünf Bücher des Phädrus in drei Appendiccs auch die übrigen bisher be-
kannt gewordenen Fabelreste; in der ersten die 32 Fabeln aus der Sammlung
des Perollus, in den beiden andern die von Romulos u. A. in Prosa umgesetzten
und dann von Neueren wieder auf ihre metrische Gestalt zurückgeführten Fabeln.
Von den Schriftstellern in Prosa sind bis jetzt die folgenden erschienen:
1. Co melii Nepolis Uber de excelientibus dueibus exlcrarum gentium cum mtis
Calonis et Allici ex libro de historicis Lalinis et aliis Excerpüs. Recognoeil
Rudolph ut Diel geh. Hpsiae, sumptitna et typis B. G. Teubneri MDCCCL.
106 S. 8. (2'/, Sgr.)
2. C.Salusti Crispi Calilina elJugurlha. Revognovil R. Dielt ck EdUis
secunda corrcclior. Hpsiae etc. 38 und 74 S. 8. (38/4 Sgr.)
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3. Caji Julii Caesar is Commeniarii cum supphmenlis A. Hirtii et Alur-
rum. Recognovit Franciscus Oehler. Lipiiae etc. VIII und 460 S.
(«Vt Sgr.)
1 Titi Livi ab urbe condtta liLrt. Recognovit Willi. IV et sstnborn , Lipsiae
elc. Pars 1. Lib. L— VI tmd 354 S. Pars II. It6. VII -X. £ftom.
Lio. XI-XX. Lib. XXI-XXIU. A'A' und 372 S. Pars UI. Ii*. -UTK
— A VA. Lipsiae MDCCCXL XXIV und 368 S. (Der Band m 9 Sgr.)
5. 0. Cur Iii Ruft de gestis Alexandri Magni Regit Macedomm libri gui su-
persunt octo. Recognovit Henricus Eduardus Foss. Lipiiae etc%
XXIII und 211 S. (10 Sgr.)
6. Cot n eli i Taciti Opera qua e supersutit. Ex recognitione Caroli Halmii.
Tomus prior Annales continens. Lipsiae MDCCCL. \W\iu.330 S. (SSgr.)
7. Evlropii Breviartum histonae Romanac Editionem primam curavit Dell,
C. G. Baumgarten - Crusius , alteram Henricus Rudolf us Dietsch,
Lipsiae etc. MDCCCXLDL VIII und 96 S. (21/! Sgr.)
8. M. Tut Iii Ciceronis Scripta quae tnanserunt ontnia. Recognovit Rein-
koldus Kl olt. Partis I. Vol. I. continens libros IV. ad C. Uerennium
et libros II. de Invcntione. Lipsiae MDCCCLI. XXXVIII u. 207 S. (12 Sgr.)
Bei Cornelius ISepos hat der Heransgeber die gebührende Hucksicht
auf Alles das genommen, was in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten her
zur besseren Textesgestaltung und richtigeren Würdigung dieser Reste beigesteuert
worden ist, insbesondere aber anf Nipperdey* neueste Ausgabe; denn diesem
Gelehrten gebührt nach des Herausgebers offener Erklärung das Meiste von dem,
was Neues sich in dieser Ausgabe findet. Indessen fehlt es doch auch nicht an
Stellen, wo der Verf. der eigenen Ansicht folgte, worüber er nähere Auskunft
an einem andern Orte zu geben verspricht. Bei Sallustius hielt sich der
Herausgeber meist an die grössere, von ihm bearbeitete, auch in diesen Blattern
setner Zeit nach Verdienst gewürdigte Ausgabe; indess hat auch hier die sorg-
sam nachbessernde Hand Einzelnes geändert oder berichtigt, was diese Aus-
gabe (die sich auf einen blossen Text beschränkt), allerdings als eine „correc-
tioru erscheinen lässt. Auch bei Cäsar ward Nipperdcy's Ausgabe zu Grunde
gelegt; die Stellen, in welchen der Herausgeber davon abgewichen, und einer
andern Ansicht gefolgt ist, sind in der Vorrede sorgfaltig angegeben, wodurch
die kritische Prüfung wesentlich erleichtert wird. Auch vereinigt die Ausgabe
Alles, was unter Casars tarnen auf uns gekommen ist; den Commentaren über
den Gallischen Krieg und über den Bürgerkrieg reihen sich die übrigen Auf-
sitze über den Alexandrinischeu, Afrikanischen und Spanischen Krieg an, und
darauf folgen, damit Nichts zur Vollständigkeit des Ganzen vermisst werde, auch
die Fragmente der verlorenen Schriften Casars.
Wenn bei diesen Schriftstellern allerdings namhafte Verbesserungen dei
Textes im Einzelnen, wie wir diess den Bemühungen der letzten Decenoien
i, stattgefunden, und der Text in allen Einzelnhciten eine schärfere
und Al> rundung erhalten hat, so befinden wir uns bei Livius in
einem andern Falle. Hier, moss der .frühere Standpunkt, auf welchem noch
der früher bei demselben Verleger in derselben Sammlung erschienene, von
besorgte Abdruck sich gehalten hatte, bei aller
von diesem Gelehrten wie von Andern theilweUe
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geben und ein anderer Weg eingeschlagen werden, wie ihn zuerst Aischefski
in seiner leider noch nicht vollendeten grösseren Ausgabe auch wirklich einge-
schlagen hat,, indem er die für jeden Theil des livianischen Werkes zu Grunde
zu legenden ältesten Quellen des Textes zu ermitteln , und hiernach diesen
selbst zu gestalten versuchte, wobei freilich noch Manches einer näheren Prü-
fung zu unterstellen war, was bei diesem ersten Versuch noch nicht zur völli-
gen Sicherheit und Bestimmtheit gebracht werden konnte. Der Herausgeber
hat sich auf diesen sichern Grund bei seiner Revision des Textes gestellt und
auf diesem weiter schreitend , aurh alles Das zu Käthe gezogen und benutzt,
was von andern Gelehrten in der neuesten Zeit thetls im Einzelnen, theiU im
Allgemeinen, zur Feststellung eines sicheren kritischen Verfahrens und der Durch-
führung fester Principien bei der Gestallung des Textes, bemerkt worden ist,
um so seinem Texte den Charakter einer urkundlichen Treue und der möglich-
sten Annäherung an das Original auch bis in alle einzelnen Formen o. s. w.
zu verschaffen: ein Streben, das nicht unbelohot geblieben ist und seiner Aus-
gabe einen Werth und eine Bedeutung gibt, die den meisten bisherigen Ab-
drücken des livianischen Textes, zumal den auf Srhulcn bisher verbreiteten,
nicht zuerkant werden kann. Dass es übrigens an manchen Abweichungen von
der Ausgabe Alschefski's nicht fehlt, wird man begreiflich finden; die wesentlich-
sten derselben sind in der einem jeden der drei Bando vorausgeschickten Prae-
fatio berührt ; somit ist es dem Kritiker möglich gemacht, dem Verfahren des Her-
ausgebers auch in seinen Einzelnheiten näher nachzugehen und dasselbe sorg-
fältig zu prüfen.
Die Ausgabe des Curtius, erleichtert eben sowohl durch die frühere
Ausgabe Mützell's wie durch die spatere von Zuiupt, ward naeh den Grund-
sätzen eingeleitet, welche der Herausgeber schon im Jahre 1845 in der an
Mülzell gerichteten Zuschrift aufgestellt halle, und es versichert derselbe auch
jetzt, nach der Bekanntmachung der Florentiner Collationcn bei Znmpt in der
in diesem Briefe ausgesprochenen Ansicht nur bestärkt worden zu sein. Wir
finden demnach in dieser Ausgabe eine Anwendung der Grundsätze, welche durch
die besonderen Verhältnisse des Textes und den Charakter der zahlreich be-
kannt gewordenen Handschriften, bestimmt werden; denn, wenn wir auch
eine bessere und allerdings zu bevorzugende Klasse derselben anerkennen müs-
sen (wie dicss auch der Verfasser gethan hat, indem er vorzugsweise deo
Handschriften, welche für die besten gelten — Leidcnsis, Vossianus 1., Bernensi« A.,
Florentius A. B. — folgte), so wird diese doch keineswegs ein so ausschliessliche«
Vorrecht hier ausüben, welches die Benutzung anderer, selbst schlechterer Hand«
Schriften überflüssig machen oder geradezu abweisen könnte. Ohnehin leiden
alle bisher bekannten Handschriften des Curtius an namhaften Verderbnissen,
Lücken n. s. w., die insofern allerdings auf eine gemeinsame Urquelle hinwei-
fen, und eben desshalb in keinem Fall Einer Handschrift eine ausschliessliche
Bevorzugung ciaräumen. Bei einer solchen Beschaffenheit der handschriftlichen
üebeHieferung wird aber auch die Sprache des Curtius doppelte Berücksich-
tigung erfordern, lieber diese bat der Herausgeber ein, wie uns scheint, aebr
richtiges Unheil gefällt, das wir hier desshalb mitzatheilen keinen Anstand noh-
n^©ii • ^ u r 1 1 k o r3 1 1 o ^ c| u l tu {j u 8 m 1 1 m d 1 3 ^ n os \& ^ siiljtili5 8tcju© ä^J^s^^ jJÄC^r^# b&I&ixs ä^^*
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303
pari sermonis consuetudinem aequc remota illa a laeta ubertate Ciceronis atque
ab auslera Taciii brevitate. Mullac igitur codicum vel omnium vel optimorum
lecliones, quac apud Tacitum ferri posscni , apud Curtium rejiciendne sunt atque
emendandac etc.u Der Herausgeber ist bei der Gestaltung des Textes im Ein-
zelnen mit vieler Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verfahren; diese hat ihn auch
bestimmt, diejenigen einzelnen Worte, die in den Handschriften fehlen, aber von
ihm oder auch von Andern in den Text zur nöthigen Ausfüllung der Lücken
gesetzt worden sind, in eckige Klammern einzuschliessen ; während die Vorrede
alle diejenigen Stellen bespricht, in welchen der Heransgeber eigene Conjcktu-
ren oder auch Vermuthungen Anderer, die seinen Beifall gefunden, in den Text
aufgenommen hat; über andere Acnderungen oder Verbesserungen des Textes
gedenkt der Herausgeber in einem demnächst erscheinenden Scholprogramme
nähere Auskunft zu ertheilen.
Die Ausgabe der Annalen des Tacitus, von einem durch zahlreiche
Beiträge für die Kritik dieses Schriftstellers rühmlichst bekannten Gelehrten ver-
anstaltet, hält sich auf dem Grunde der Orelli'schcn und der dieser Ausgabe selbst
zu Grunde liegenden medieeischen Handschriften, jedoch nicht ohne [einzelne
Abweichungen, wozu eigenes Urtheil, zumal in den noch immer ziemlich
zahlreichen, verdorbenen oder verdächtigen Stellen , den Herausgeber geführt
hatte. In dem Vorwort finden sich diese Abweichungen aufgeführt, andere von
Verfasser hier und dort, oder auch von Andern gemachte Verbesserungsvorschläge
sind ebenfalls in diese Zusammenstellung aufgenommen. Das eigene Verfahren
des Herausgebers bezeichnen hinreichend die auch hier zu wiederholenden Worte
der Praefatio: „Ceterum malui in locis miscre corruptis emendationem utconque
dubiam amplecti quam nimia obclorum multitudine legentium enrsum rclardare,
cum in editione apparatu critico carentc magis crimen ignaviao quam temeritatis
extimescendum viderelur."
Bei Eutropius, dessen Ausgabe eigentlich die Erneuerung der im Jahre
1824 von Baumgarten-Crusius besorgten Ausgabe bildet, finden wir eine durch-
gängige Revision des Textes, von der kundigen Hand des neuen Heraus-
gebers veranstaltet, welcher in den auf den Text folgenden Anmerkungen sein
Verfahren im Einzelnen hinreichend gerechtfertigt und in der von ihm einge-
führten Interpunktion gewiss eine richtige und verständige Mitte eingehalten hat
Die Herausgabe der Werke Cicero 's, von der nns hier das erste
Bindchen vorliegt, ist in die Hände eines Mannes gelegt, der, wie Wenige an-
ter den jetzt Lebenden, durch seine gründlichen Leistungen in der Kritik und
Erklärung dieses Autors gewissermassen ein Vorrecht dazu ansprechen, jedenfalls
vor Anderen dazu berufen erscheinen konnte. In den rhetorischen Schriften,
welche dieser erste Band enthält, musste der Herausgeber sich natürlich auf die
neueste Reccnsion derselben in der (zweiten) Züricher Ausgabe stützen; indes-
sen würde man sich doch sehr irren, wenn man einen blossen Wiederabdruck
des Züricher Textes hier erwartete ; im Gcgcntheil , wir finden hier eine voll-
ständige Revision desselben eingeleitet, welche zu manchen und selbst zahlrei-
chen Abweichungen geführt hat, die, soweit diess bei dem beschränkten Raum
möglich war, in den Proocmium Ediloris angegeben sind. Auf dieses Proömiura
folgt als eine sehr zweckmässige Zugabe: Memorabili« Vitae Ciceronis per an-
om digesta. Ch. »Ahr.
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304 Kurze Anzeigen.
Erklärung des Briefes an die Hebräer. Nach dem handschriftlichen Nachlasse des
L. Stengel, ehemaligen Professors der Theologie, von Dr. Joseph Beck.
Karlsruhe, Druck und Verlag der G. Braun'schen Buchhandlung. 1849.
VIU und 238 S. gr. 8.
Bei der Bearbeitung der vorliegenden Schrift befolgte der Herausgeber
dieselben Grundsätze, welche für die Ausgabe des Römerbriefes (Commentar
über den Brief des Apostel Paulus an die Römer. Aus dem handschriftlichen
Nachlasse des L. S t e n g e 1 etc. Freiburg 1836) ihm massgebend waren. Ersuchte
die zerrissene Form eines Collegienhcftes in die Gestalt eines Buches zusammen zu
bringen, und zwar in einer Weise, wie er glaubte, dass sie dem Sinn und Geist
des Verewigten am meisten entsprechend wäre. Er schied darum manches Un~
nöthige und Ueberflüssige aus, entwickelte Anderes zu kurz Behandelte, nirgends
aber wurde etwas Wesentliches geändert oder entfernt, und zwar in Bezug
auf Inhalt uud Darstellung. Dabei nahm er jedoch Rücksicht auf die neuesten
Erklärungen.
Stengel, welcher an der Universität Freiburg im Breisgau über das
Alte und Neue Testament und hebräische Grammatik las, hielt das wissenschaft-
liche Studium der Bibel für die Basis der Theologie und war der festen Ueber-
zeugung, dass vorzüglich von diesem Wege eine Wiederherstellung des religiö-
sen und kirchlichen Lebens ausgehen müsse und werde. Da jedoch die Sten-
gel'sche Schrift vor jetzt bereits zwanzig Jahren entworfen worden und Man-
ches antiquirt war, so musstc der Herausgeber freier und unabhängiger arbeiten,
als bei dem Römerhricfc.
Der Auslegung des Briefes selbst geht eine Einleitung (S. 2—52) voran.
Diese handelt gründlich und ausführlich über die ursprüngliche Sprache, den
Inhalt und Zweck des Briefes, sowie über dir Lage der Judenchristen in und
ausser Palastina, über den Kreis der Leser, über Ort und Zeit der Abfassung
und den Verfasser des Briefes und der Schluss der Einleitung gibt eine Ge-
schichte der Bcarbeiluog des Briefes. Darauf folgt (S. 52—237) die Erklärung
des Briefes selbst.
Der Raum gestattet uns nicht auf Einzelnes einzugehen. Wir begnügen
uns daher im Allgemeinen anzugeben, dass, wahrend ein Tbcil der neuern Exe-
geten mehr nach philologischer Gründlichkeit in Erforschung der Form strebt,
und ein anderer nach tieferer Auflassung des Inhaltes, Stengel, bei seiner vor-*
zugsweise speculativen Richtung, mehr zu der letzten Classc gehört.
Sollen wir nun angeben, was das Wesentliche dieses Commenlars ist,
so besteht es darin, dass derselbe unabhängig ist von jeder kirchlichen und con-
fessionellen Färbung, dass die Erklärung lediglich das Interesse der Wissenschaft
oder, was hier gleich viel ist, der Wahrheit verfolgend, den Sinn der heiligen
Schrift aus ihr selbst zu cruiren sucht. Nur auf diese Weise wird, nach der
Ueberzeugung des Verfassers, ein parteiloses Verständniss der Quellen des Chri-
stenthums erreicht.
Möge die vorliegende Arbeit, welche eine Frucht jahrelanger Studien ist,
bei den Freunden der theologischen Wissenschaft die güustige Aufnahrae finden,
welche ihr mit Recht gebührt.
( Schluss folal.)
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fc 20. HEIDELBERGER 1J51.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
I
k
Kurze Anzeigen.
(Schluss. )
/. Der ÄecA^tmfemcÄf in oVr VoJAs- nnd fcftera ßüromcMe. Eine JficWos
fortschreitende Reihe ton Fragen und Aufgaben. Von Karl Gruber. Elfte
Auflage. Karlsruhe, G. BrauWsche llofbuchhandlung. 1850. IV und
102 S. gr. 8. {Preis 30 kr.)
U. Ausführliche Anleitung sunt Gebrauche des „Rechenuntenichts in der Volks-
und hohem Bürgerschule", nebst der Beantwortung der in diesem Buche
enthaltenen Fragen und Aufgaben. Für den Lehrer bearbeitet ton Karl
G ruber. Dritte, bedeutend vermehrte Auflage. Karlsruhe, Druck und
Veilag der G. Braun'schen HofbuchJutndlung. 1851. XVUl u. 289 S. gr. 8.
(Preis 1 fl. 45 Ar.)
Beide Schriften wurden bereits im vorigen Jahre in diesen Jahrbüchern
besprochen (1850. S. 302 bis 304). Indem wir das damals ausgesprochene gün-
stige Urlheil wiederholen , freuen wir uns, dass seitdem auch der Katholische
Oberkirchenratb diese Schriften zur Einführung in den Volksschulen und der
Grossherzoglichc Oberstudienrath zur Einführung in den höhern Lehranstalten
empfohlen, und dass zugleich das schnelle Erscheinen der neuen Auflagen be-
wiesen bat, dass unsere Schulmänner tüchtige, den Unterricht wahrhaft for-
dernde Lehrbücher zu würdigen wissen.
Die Schrift Nr. I. hat durch eine V. Stufe, welche sich den vier vorher*
gehenden ergänzend anschlicsst, eine nicht unbedeutende Erweiterung gewonnen.
Wir finden in dieser V. Stufe: Praktische Aufgaben in zebntheiligen Brüchen,
Yergleichung der badiseben Masse, Gewichte und Münzen mit den französischen,
Aufgaben über Masse und Gewichte, über das verhaltnissmässige Gewicht der
Körper, über das Miinzwesen nnd Wechselrechnungen. Der Verf., Direktor der
höheren Bürgerschule in Euenheim, versteht es, den Schüler auf leichte, einfache
Weise in die Sache einzuführen und ihn zum sclbststfndigen Rechner zu bilden.
Wir finden hier, wie in allen Schriften des Verf., Klarheit, Gründlichkeit nnd
Meisterschaft in der methodischen Behandlung; daneben aber auch die sorgfäl-
tigste Beachtung der gegenwärtige Verhältnisse, nirgends Veraltetes oder Un-
brauchbares, was namentlich in den Münz- und VYechselrechnungen wohlthuend
anspricht. So bezichen sich z. B. viele VYechselrechnungen auf den Frankfurter
Karszettel vom 6. Mai 1850.
Mit der Erweiterung der Schrift Nr. I. hat auch des Werk Nr. II. an
Aasdehnung genommen, nnd selbst in den 4 ersten Stufen manche Zusätze er-
halten, wie z. B. S- 15 e, §. 23 b und c u. a. w. ; ausserdem wurden die De-
cüaalbrücbe mit grösserer Ausführlichkeit behandelt und die nothwendig aufzu-
stellenden Regeln durch Römische Zahlzeichen besonders hervorgehoben. Die
XUV, Jahr* Z. Doppelheft. 29
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3Q$r j Kurze Anzeigen, .72 .
Aufstellung von Regeln hall der Verfasser sowohl in untcrrichtlichcr als in er-
ziehlicher Beziehung Tür nolh wendig, was er schon io den früheren Auflagen
ausgesprochen hat. Er gibt in der Vorrede zur neuen Auflage eine ausfuhrliche
Begründung hiefür, auf welche wir strebsame Schulmänner hiermit aufmerksam
zu machen uns erlauben. In Bezug auf die Schulen, in welchen man besondern
Werth darauf legt, die Schüler fortwährend in ihren Auflösungen auseinander zu
halten, und in denen man es verschmäht, bis zur Kegel aufzusteigen, sagt der
Verf. S. XI: „Die Lehrer, welche das Rechnen nach Regeln für verwerflichen
Mechanismus halten, sollten doch bedenken, dass sie auf diese Weise das Sa-
chen selbständiger, abgetrennter Wege, das in unserer Zeit ohnehin zur Krank-
heit geworden ist, steigern und nähren, und eines der wichtigsten Bildungsele-
mente unbenutzt liegen lassen. Denn der Unterricht ist vorzüglich dann bildend,
wann er befähigt, sich von dem Einzelnen zu allgemeinen Gesetzen und Wahr-
heiten zu erheben, und das Schulleben hat nur Werth , wenn sich der Schüler
als Glied einer Gemeinschaft fühlt und sich allen in dieser Gemeinschaft gelten-
den Gesetzen zu unterwerfen gewöhnt wird. Die Hauptbedeutung der Schule
beruht darin, dass in ihr ein Leben in der Gemeinschaft müglich ist. Wenn die
Schule dieses Leben nicht fördert und pflegt, so gibt sie sich in ihrer Wesen -
haftigkeit und Notwendigkeit auf. So verwerflich es daher ist, wenn der
Schüler nicht an ein umsichtiges und selbständiges Arbeiten gewöhnt, wenn er
Alles in der Form lernen rauss, in der es ihm von dem Lehrer übergeben wird ;
so wenig kann es • gutgehe jssen werden, wenn sich die Schule nicht eines jeden
Unterrichtes als eines Erziehungsmittels bedient, um den Zögling zum sittlichen
und verständigen Handeln in seiner k aal Ii gen Lebensstellung geneigt und be-
fähigt su wichen." .
Da diese Schriften sowohl für die Volksschule als auch für die hübern
Lehranstalten bestimmt sind, so ist mit steter Berücksichtigung der Schüler und
den von diesen zu lösenden Aufgaben genau das Gebiet abgesteckt und allseitig
begräncit *uf welchem sich eines Theiles der Lehrer der Volksschule, andern
T heiles der Lehrer der höhern Bürger- und Gelehrtenschulen mit seinem Un-
terrichte bewegen soll. Eben so ist über Lehrgang und Lehrform im Buche
selbst das Kötbige gesagt worden. Der Verf. verlangt, dass in der Volksschule
und in den Elementarklasseo der höheren Lehranstalten sich fast alle Irl heile
und Schlüsse unmittelbar an die Anschauung ansch Ii essen. Der Elementar- und
Volksschüler braucht daher nicht, nach der gewiss richtigen Ansicht des Verfa»,
wie der Zögling der höheren Lehranstalten, die Salze und Regeln in ihrer Alt-
gemeinheit auszusprechen, es genügt bei ihm , wenn dieselben in ihrer Fassung
nur für den vorliegenden Fall Geltung haben; auch hat der Elementar* und
Yolksschüler die Richtigkeit der ausgesprochenen Regeln nur an einzelnen Bei-
spielen anschaulich zu machen, während dem Zöglinge der hohem Bürger- nad
Gelehrtenschule, die allgemeinen Beweise hiefür nicht su erlassen sind. Bs wird
diese Ansicht durch Beispiele ausführlich deutlich gemacht,
n . 'f Wir scbliessen diese Anzeige mit der Ueberzeugung, dass der Verf. durch
diese Schriften einen wichtigen Beitrag geliefert bat, wie der Unterriehl ein
Mittel zur Erziehung sein könne und solle, und wünschen, dass die Methode
und die pädagogischen Grundsätze desselben sich in immer weiteren Kreisen Aar«
erhenaiinf fwebatfen.
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307
LmcJUe über die MiUheilungen von Freunden der Natoneisscnschaf ten in Wien;
gesammelt und herausgegeben ton Wilhelm Haidinger, V. Bd. 8.281.
1849. — VI. Bd. 8. 183. 1850; bei Wilhelm Braumüller, k.k. Hofbuch-
händler.
m t
Die vorhergehenden Bände und der Zweck des ganzen Unternehmens
worden bereits in einem früheren Jahrgang dieser Blatter ausführlich besprochen.
Beide Bande sind reich an interessanten Mittheilungen, von welchen wir nur
Einiges hervorheben wollen. f
Vogel, über die Adelsberger Grotte, In neuerer Zeit darf die
berühmte Höhle nur in Begleitung geschworener Führer betreten werden, weil
die KrystallscbäUe derselben durch Fremde und Einbeimische allzusehr ausge-
beutet wurden. Die Adelsberger Grotte nimmt, wie bekannt, unter den deut-
sehen Höhlen eine der ersten Stellen ein; ihre bis jetzt gangbar gemachten,
vielfach verzweigten Gänge messen gegen 3000 Klafter Länge; „den interes-
santesten Anblick gewahrt dieselbe, wenn sie durch Tausend und Tausend Lich-
ter erhellt, wie von zahllosen, in den verschiedensten Farben glänzenden Edel-
steinen ausgekleidet erscheint. Das magische Schauspiel einer solchen Beleuch-
tung wird alljährlich am Pfingstmontage veranstaltet und hierboi in einer der
Felsenhallen, im sogenannten Turnier- oder Tanzsaale ein Ball abgehalten. Ab
jenem Tage besuchen vier bis fünftausend Menschen die Höhle, von denen Viele
aas fernen Landern hinreisen." Beachtung verdienen die bohlen Stalactiten, die
wahrscheinlich in Folge von Unebenheiten der Gewölbe-Decke entstanden sind.
Kotiz über die Grafl. Münstcrsche Petrefacten-Sammlung. Die-
selbe wurde von der Universität München summt der auf 3000 fl. rbein. ge-
schätzten Bibliothek des zu Bairculh verstorbenen Grafen Munster um 3500 fl.
rheinisch erkauft. Die Sammlung, vorzüglich reich an Petrefacten der filteren
geognostischen Formationen, wird auf 60,000 Exemplaren geschätzt. — Mei-
ling, über die Gegend von Kaibol. Porphyre von ausgezeichneter
Schönheit, von Conglomcraten begleitet, treten im Kaltwasser-Tbale bei Raibel
auf. Kach den Beobachtungen Meilings sind sie jünger , als das dortige Ju-
ra-Gebirge, denn der Kalkstein des letzteren erscheint in der Nähe des Poryhyra
doloroitisch, blascnreicb, gewisse Schiefer-Schichten haben starke Biegungen er-
litten. — Morlot, über eoconc Fossilien in Untersteinmark. *—
Haidinger, Theorio der Bildung der PolnrisationsbüscheL —
Freyer, über Proteen aus Krain. — In technischer Beziehung interes-
sant ist die Miltbeilung Hauer s über dio Schieferbrüche in Nordwales; dort
werden im Thüle von Llanberris täglich 360 Tonnen dieses Materials, und jähr-
lich 80,000 L. St. gewonnen. Auf einer Eisenbahn, die mit Locomotiven be-
fahren wird, bringt man die Schiefer an die Meeresküste nnd von der! worden
sie nach allen Theilen von Grosabritanien, nach allen Häfen des baltischen Mee-
res, bis nach Nordamerika verführt. -r- Haidt n gor, Braun - Ebenstem, pfeendo-
Jnorph nach Gyps. — Heer, über dio Fauna von Radoboj. — Fridau,
aber den Ankerit. — Freyer, eher die Schwefe Igrnben von Ra-
doboj. Die Entdeckung derselben fallt in die neuere Zeit; sie wurde durch
Hirten herbeigeführt, welche ein Feuer anmachten und bei dieser Gelegenheit
cht aasbeisseadei Schwofelflötz entzündeten/ Frey er im geneigt, dein Schwefel
80*
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von Radoboj eioon vulkanischen Ursprung zuzuschreiben; ei^ent humliche, im
Franzensslollen aufgeschlossene Schichten - Störungen , durch welche eine S för-
mige Biegung der Schichten hervorgcl» rächt wurde, so dass das Dachgestein
unter dem Mittclgeslein und dieses unter dem unteren Plötz erscheint, bezeich-
nen seiner Meinung nach die Kratcröflnung des ehemaligen Schlarara-Vulkanes.
— Simony, Über den Dachstein-Gletscher. Auffallend ist die Ver-
minderung der Gesammt- Masse des Dachstein-Gletschers, von welcher der be-
kannte Alpenwanderer berichtet; sie erklärt sich wahrscheinlich aus der gerin-
gen Schneemenge des Winters 1847 — 48 und dem darauf folgenden heissen
Sommer. — Morlot, Aber die Geologie von (Jntersteyer. Krystallini-
aches Schiefer- nnd Massengebirge setzt das für sich bestehende Bacher-Gebirge
zusammen; in der östlichen Halflc herrscht Glimmerschiefer, in der westlichen
Granit; Gneiss erscheint nur untergeordnet. Der Glimmerschiefer enthalt ver-
einzelte 1 ager von körnigem Kalk , auch kommt schöner Eklogit und Serpentin
vor. Thonschiefer findet sich am Westabhang des Bachers und bei Windtsch-
gratz. Der bunte Sandslein tritt am nordwestlichen Fuss des Bachers auf. Von
jüngeren Gebilden ist die eocene und miocene Formation entwickelt. — Key-
serling, Aber Nummuliten. — Favre, Ursprung d e s Dol om ites. —
ltforlot, Ober Dolomit. — Haidinger, Uber Datolith; eine höchst in-
teressante Mittheilnng über ein neues Vorkommen des Minerals. Es ist die
schönste, bis jetzt bekannle Varietät dieser Spccies, vollkommen klar und durch-
sichtig; sie kommt auf Gangtrümmern in Serpentin vor, in Gesellschaft von
Analcim, Prehnit, Chabasie, Kalkspath und Caporcianit. Bei dem Umstände,
dass die Mincralspecios , welche Borsäure in etwas grösserem Menge- Verhältnisse
enthalten — so bemerkt ilaidingcr — eigentlich nur von wenigen Fundorten
bekannt sind, zeigte sich bei Vergleichung der geographischen Lage der euro-
päischen, dass sie fast alle in einer von der Meridian -Richtung nicht sehr ab-
weichenden Zone liegen, die nahe zehnmal so lang als breit ist, nimlich die
Borsäure selbst in Volcano und Sasso, ferner der Datolith in Monte Catini,
Togginna, Theiss bei Claussen, Geiss bei Sonthofen, Niederkirchen bei Wolf-
stein, Andreasberg, hierauf der Borazit zu Stassfurt, Lüneburg, Segeberg, end-
lich wieder der Datolith und Botryolilh in Arendal. Nur der Datolith von Utön
lind von Salisbury Craigs bei Edinburgh bezeichnen Elemente einer Querlinie.
Endlich ist noch bemerkenswert!!, dass die ältesten Localitäten dem geologischen
Alter nach die nordöstlichsten sind, Arendal und Utön aof Magneteiscn- Lager-
stätten im Gneiss. Unterbrochen durch die Borazit -Localitäten im Steinsalzge-
birge folgen sich dann die Diorit- Localitäten des Datolith« (Edinburgh einge-
schlossen) Andreasberg, IViederkirchen , Sonthofen, Theiss. Darauf folgt der
Datolith in dem, den Tertiärgebilden angehörigen Serpentin von Toggiana, Monte
Catini. Endlich die der gegenwärtigen geologischen Periode ab abnorme Ge-
bilde angehörigen Gasquellen der Soffioni von Sasso, die gegenwärtig fast
aämmtlicbe im Handel vorkommende Borsäure liefern und die Borsäure de«
Kraters von Volcano. — Gassner, bo tonische Notizen über dcnHoch-
wari im Judenburger Kreise in Steyermark. — Pleas, Bemer-
kungen über Krystallisation. — Fridau, über den Trachy t der
Gegend von Gleichenberg in Steyerma rk. Fridau's Bemerkungen lie-
fen einen ergänzenden Beitrag zu den früheren Schilderungen von L. r. Bach,
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. ! Kurie Anzeigen;
ra den neueren von Partoch nnd Ünger. — Simony, Temperatur der
Quellen im Salakammergute. — Kaiser, Geologie der Umgegend
reo Triest. • »•
Nicht minder reichhaltig ist der sechste Band der Berichte; nnter den
besonders interessanten Bemerkungen and Aufsätzen sind zu nennen: Zeuach-
aer, über den Nerineen-Kal k yon Inwald und Roczny; der pol-
nische Geolog beweist, gestützt auf seine paläentologischen Forschungen, das*
der genannte Kalkstein als ein Aequivalent des von Thurmanu als Calcaire i
Nerinees im schweizerischen Jura bezeichneten Gesteins anzusehen sei. — Un-
ger, Verzeichniss fossiler Pflanzen der österreichischen Ter-
tiirbecken. - Heei, fossile Insecten vonRadoboj; eine Haupt-
rolle unter denselben spielen die Ameisen, die in Radoboj ungemein häufif
gewesen sein müssen. Heer hat bis jetzt 64 Arten beschrieben. — Hauer,
über die Gegend tob Neustadt und Neunkirchen. Die Untersuchun-
gen dieses thffttgen Geologen galten hauptsächlich der Frage, ob hier Nummu-
Ihen zugleich mit Kreide-Petrefacten der Gösau -Formalion vorkommen. Hauer
bemerkt, dass wirkliche Nummuliten gänzlich fehlen, dass alle früheren Anga-
ben über ihr Vorkommen auf Verwechselung mit den ähnlich gestalteten Orbi-
uliten beruhen. Die Gesteine, in welchen letztere sich finden, bilden dio
oberste Etage der Gösau - Schichten , sie lassen sich am besten dem Kreidetuff
von Mastricht, also der obersten Abtheilung der Kreide-Formation gleichstellen.
- Werdmüller von Elgg, über Luftspiegelung; Steiner, meteo-
rologische Beobachtungen in Gratz; Tanzmann, über Gobirgs-
arten von Jdachimst hal. Den neuesten Nachrichten zufolge verspricht der
Bergbau für die Zukunft ein sehr günstiger zu werden. - Ueber DiHnit
und Agalmatolith von Hutzelmann. Der Dillnitt findet sich zu Schemnit*
in unregelmässigen Trümmern auf der Grenze von Diorit und Kalkstein auf einer
Grube. Ein früher als Pimelith bezeichnetes, den Diaspor begleitendes Mineral
stimmt in chemischen und anderen Eigenschaften mit dem Agalmatolith überein.
- Köggerath, über Achat-Mandeln in den Melaphyren. (Wir haben
bei einer früheren Gelegenheit in diesen Blauem der Untersuchungen Nogge-
raüTs gedacht.) - Morlot, über die Niveau-Verhältnisse der Mio-
con-Formation in den östlichen Alpe n. — Haidinger, überPseu-
domorp hosen von Monzoni. Grosse Krystalle von sogenanntem Pyrgont
oder Fassait zusammengesetzt aus ganz kleinen, im frischen Zustand aus dem
genannten Mineral und aus weissem Speckstein, im frischen aus Ophit und licht-
braune ni Speckstein bestehend, denen noch die Form des Fassaita eigen. „Ich
habe Gelegenheit gehabt — so bemerkt Haidinger — mehrere dieser Pseudo-
morphoseu näher zu betrachten, und kann die sonderbare Structar der grossen
frystalle nicht deutlicher beschreiben, als durch die Voratellung: man hatte aua
den erwähnten Kry stallen einen festen, trockenen Teig gebildet , aus diesem ein
Blatt gewalzt und zusammengerollt und daraus dann die grossen Krystalle mit
einem schneidenden Instrumente geschnitten." Unstreitig gehört dieses Vorkom-
men zu dem Merkwürdigsten in dem Bereiche der Pseudomorphoaen. — Altb,
geologisch. Beachreibnng der Umgegend von Lemberg. — Sy-
stematisches Verzetchnise der Land- nnd Fl uss-Conchy Ii en im
Eriaerzogihum Oesterreich, vonParreyaa. — Zepharovich, über
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eine Pieudomorphose von Weissblelerz nach Bleiglanz, von Be-
resowsk in Sibirien. — Koriatka, über den Einflnss der Hohe und
der geometrischen Beschaffenheit des Bodens anf den Erdmag-
netismus. — Morlot, Andeutungen über die geologischen Ver-
h|ltni«*e des südlichsten Theile« von Unlersteycr. . — Peltko,
über den erloschenen V ulkaa Zapolenka bei Schern nitz. Auf der
mittleren Höhe des Berges Kojatin beobachtete Petlko einen deutlichen, wohl
erhaltenen Krater, dessen Breite etwa 40 bis 50 Klafter betrögt. Auch finden
sich zwei Eruption*- Kegel. Der Zapolenka besteht aus einem eigenthömlicnen
Porphyr, der Krystalle von glasigem Feldspath und Blütlchen schwarzen Glim-
mer*, so wie Hornblende umschließt. Auf den Abhängen des Vulkans finden
sich Bimsstein-Blöcke.
j *..•.'..
Tiatuncissentchaftliche Abhandlungen, gesammelt und her ausgebe» eoit
Wilhelm Haidinger, Drittel- Band. In zwei Abheilungen. Mit XXXI II
Tafeln. Wien, 18ö0. Bei Wilhelm Bianmulkr, Buchhändler des K K
Ho/es und der kaiserlichen Academie der Wissen schaffen, gr. 4. & XXL
L 169. II, 284. (Preis 20 (L. CL JhV) , ,
Auch von dem ersten und »weiten Bande der «nalorwiasenichaMiche«
Abhandlungen" war bereit« in früheren Jakrgßngen dieser Blätter die Red«.
Wir wollen diesmal eine Uebersicht des Inhaltes geben , und nur bei selchen
Aufsätzen verthoilen, aus denen sich einzelne Daten hervorheben lassen.
J. Abthcilnng. ft, Fr. v. Hauer, über neue Cephalopoden nna
den Marmor-SchichCen von Uallstadt undAossce. Mit VI lithogra-
phirten Tafeln. - 2. Lipoid, g eegn ostischc Beschreibung der Pri-
vatherrschaft Nadwurn a iu Galizieh; mit einer geognostischen Karte.
— 3. Reusa, die fossilen E ntomostrn reen des österreichischen
TertUrbeckens. Ein Beitrag zur Kenntnis« der fossilen Faüna desselben.
Mit vier lithographirten Tnreln. Die Verdienste von Keoss im die geologischen
Verhilloifsc verschiedener Theile dia österreichischen Kaiserstaates sind bekannt.
Vorliegender Aufsatz liefert einen neue« Beweis von der Thaligkcit de* Ver-
fassers, der früher Brunnonarzt zu Bilin, jetzt Professor der Mineralogie in Prag.
— 4 lieber die Aehat-M andcla in den Äletaphyreu; von J. Süg-
gerath. Wir hatten in dem vorigen Jahrgang; dieser Ktütter Gelegenheit von
einem besonderen , durch den Verfasser uns zogekötnmcnen Abdruck des Auf-
satzes Bericht zu erstatten. — 5. Metallurgische Betrachtungen über
den Sphärosiderit der Karpathen, von Ludwig lloheneggcr. —
(>. Blatter- Alidrucke aus dem Sc h w c f cl - Fl ö tze von Swosso-
avice in Gallizien, beschrieben von F. Hufe r. Mit awei lithographirten
Tafeln. Die genannten Blätter-Abdrucke finden sich in einem lichtgrauen Mer-
gel, auf allen Klüften mit Schwefel bedeckt. Nach Unfrer's Untersuchungen
stinit.it die fossile Flora von Swoaaowiee am meisten mit jener der Wetter*«/
von Bilm, Parschlug überein, weniger mit jener von Kadeboj. Zwei Pflanzen,
die der Tertiär- Flora von ganz Europa angehören, nämlich Carpinus macrop-
tera und Ceanothus polymorphus fehlen auch hier nicht, ohne jedoch bezeich-
nend zu sein. Als charakteristisch rar das Aller der Schichten von Swoaaovrien
gilt wohl Acoritc* intcgerriaia, eine ffanic, die nur den plioeenen Schichten
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zukommt, wonach lieh also die Swoszowiccr Schwefel -Formation als gleich«
xeitig mit den Subapeuninen-Ablagerungen erweist. — 7. Ueber die Conge-
ria Partschii, von Johann Czjck. Mit einer lithographirten Tafel. —
8. Gcognostische Beschreibung des Nerineen-Kn Ikes von In-
wild und Roczyny, von L. Zenschner. Mit zwei lithographirten Tafehr.
Dieser Aufsatz enthalt namentlich ein Verzeichniss der Versteinerungen , welch«
sieb in dem Nerineea-Kalke Finden, und der verschiedenen darunter liegenden
Glieder des Jurakalkes, die an den Ufern der Weichsel bei Krakau entwickelt
sind, nimlich des Coralrag oder weissen Kalksteines mit Feuerstein, des weissen
Mergels und Kalksteines und endlich des braunen Kalksteines. Die beiden ersten
Glieder gehören der oberen oder weissen Etage des Jurakalkes an , so wie der
Neriaeen-Kalk; das dritte aber dem braunen Jura oder der mittleren Etage.—
9. Ueber die Achat-Mandeln in den Melaphyren; zweites Sendschrei-
ben Nöggerath's, mit zwei lithographirten Tafeln. — 10. Tnbicanlis von
Ilia bei Schemnitz, von J. V. Pettko. Mit einer Tafel. — 11. Geogn<w
■ tische Beschreibung des Sch wefel la ger s von Swoazowifce bei
Krakau; von L. Zenschner. Das erwähnte Schwcfellagcr nimmt seine Steiler
mitten im tertiären Gebirge ein; es besteht aus einer Mergel- Ablagerung von
etwa 240 Fuss Mächtigkeit, in der parallele Lager von Gyps und Schwefel
fL Abtheilung. 1. Versteinerungen des Kreidemergel» votf
Lemberg und seiner Umgebung, von Prof. R. Kner; mit fünf lithograV
phirtea Tafeln. Es liefert vorliegender Aufsatz einen trefflichen Beitrug zu den
früheren Arbeiten von Puach, v. Lill und Zetischer Aber die in Gelicien so sehr
verbreitete Kreide -Formation. — 2. Note Ober die iwei weirthfgett
Functionen, von S. Spitzer. — 3. Ueber die krysta HiniacK*
Stroctnr des Metoreisens von Braunau, von J. Ifeumann. Mit einer
lithographirten Tafel. — 4. Höhenmessungen in den noriachen und
rhätiseben Alpen, von WerdmQller vonElgg. Gewährt einen schätz-
baren Beitrag zu den von den Brüdern Schlaginlweit neuerdings in verschiede-
nea Alpen -Gegenden vorgenommenen Messungen. - 5. Versdch einer
Darstellung des Vegetations-Charakters der Umgebung von
Übe; von Dr. C. Schiedermayr. Enthält eine höchst fleissige und vefr-
rtadige Aufzählung der Flora von Linz , die namentlich für die Pflanzen-Geo-'
grapbie des österreichischen Kaiserstaates von hohem Werth ist. - 6. Ucbct
die Summe der Körper- Win kel an Pyramiden, von Riedl von
Leaenstern; mit einer Figurentafel. - 7. Aufsuchung der reellen
aad imaginären Wurzeln einer Zahlen-Gleichung höherenGra-
des, von S. Spitzer. — 8. Gesetze in den höheren Zahlen-Glci-
changen mit einer oder mehreren Unbekannten, von S. Spitzer.
- 9. Gfjognostisch-päläontologische Beschreibung der näch-
sten Umgebung von Lemberg, von Dr. Alth; mit fünf lithographirten
Tafeln. Gibt namentlich eine sorgfältige und reiche Uebersicht der in Lemberga
Umgebungen vorkommenden Petrefacten.
die weder Kunst noch Wissenschaft hold , haben die „naturwissenschaftlichcir
Abhandlungen' «ich dennoch einer günstigen Aufnahme erfreut, und werden
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dies gegenwärtig noch mehr. Auch fernerhin soll das geneckte Ziel verfolgt
werden: E r weite» ueg der Naturwissenschaften. Auf das praktische Lehen sich
begehende Arbeiten, Uebersiclilen , Anzeigen wissenschaftlicher Werke, Aus-
säge aus solchen werden in den „naturwissenschaftlichen Abhandlungen,4* wio
früher, keine Stelle finden. — Die Ausstattung des vorliegenden Bandes ist eine
uDcrsu£ iriänzcntic*
Der wasserreiche artesische Brunnen im alpinischen Diluvium
des oberschwäbischen Hochlandes tu Jsnyn in geognottisch- hy-
drographischer und construcliter Hinsicht, hiebst einem Bei/rage *>ur Kcnnt-
niss der DiUmal-Geriillc der Bodcnscc-Gegcvd% ton Dr. A. E. Bruck-
mann. Mit einer lithographirten Gebiigsdurchschnitls-Zcichuung. Stuttgart.
E. Schwcittrbart'schc Verlagshandlung und Druckerei. i85U S. HO.
, Der Verfasser hat sich sowohl in seinem Fache, so wie als Schriftsteller
einen ehrenvollen Namen erworben; wir erwähnen unter seinen früheren Wer-
ken nur: vollständige Anleitung sur Anlage, Fertigung und neueren Nutzan-
wendung der gebohrten oder sogenannten artesischen Brunne*, eine Schrift,
welche im Jahre 1833 erschien und sich bereits 1838 einer zweiten Auflage
erfreute.
Das Streben Bruckmanns bei seinen Unternehmungen stets auf wis-
senschaftliche Principien gestützt, zu Werke au gehen, kann nur dankbar an-
erkannt werden. Zu oft hat in neuerer Zeit Erfahrung gelehrt, dass die
Anlegung von Bohrbrunnen , um Kosten zu ersparen, in die Hönde Unkundiger
gelegt wurde, denen kaum der Unterschied zwischen einem artesischen Brun-
nen und einem Bohrloch bekannt war; dass in manchen Gegenden Bobrversucho
angestellt wurden , wo man unter keinem Umstände ein günstiges Resultat hof-
fen konnte. Wenn anf solche Weise namhafte Summen verloren gingen, wenn
sich allmählig ein gewisses Misslrauen gegen artesische Brunnen einschlich, wenn
man in den letzten Jahren wenig davon hörte, darf daher nicht befremden. Mit
Recht macht Bruck mann auf diese verschiedenen Uebelstande aufmerksam,
nnd bemerkt ausdrücklich: „ein erfahrener Sachkundiger wird sich nicht wei-
gern, die Hauptbelohnung nur au d<is Gelingen seiner Werke zu knüpfen, und
somit die Ausführung derselben finaneiell zu erleichtern, worauf ich selbst, da
mir nunmehr eine Reihe von Beobachtungen und Erfahrungen zur Seite stehen,
in neuerer Zeit einzugehen, nicht den mindesten Anstand nehme."
Vorliegende Schrift zerfallt in zwei Haupt-Abihcilungen. Die erste eot-
bält die Beschreibung eines seit zehn Jahren bestehenden Bohrbrunnens zu bny.
Die genannte Stadt liegt bekanntlich im südüsthehen Theile des Königreiche*
Würterobcrg, im sogenannten Allgau, in einer Meereshöhe von 2146,5 pariser
Fuss. Der Brunnen hat bei unbedeutender Tiefe in dieser hoch gelegenen Ge-
gend ein überraschend günstiges Resultat geliefert; in einer Stunde fliessen
24840 Maas Wasser aus, welches von vorzüglicher Güte ist. Innerhalb vier
Monaten wurde der artesische Brunnen zu Stande gebracht , und kostete in Allein
1300 Gulden rheinisch. Manche Schwierigkeiten bot die Gebirgsforniation um
Isny, das alpinische Diluvium, welches theils als iosos Gevölle, Ihcils als Sand,
Lehm oder Conglomerat der Molasse aufgelagert ist. Wie bekaunt, bieten Di-
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3t3
laVuA- Ablagerungen bei Erbohrung artesischer Bronnen vielerlei
and machten schon manches Unternehmen scheitern.
Die zweite Abtheilung schildert die geologischen Verbältnisse , die wahr-
scheinliche Transport- Weise und Abstammung der in Oberschwaben verbreiteten
alpiniichen Gerolle und gewahrt somit einen Beitrsg zur Kenntnis« der Diluvial-
Ablagerangen , in welchen der artesische Brunnen tu Isny steht. Der Verf. gibt
eine genaue und ausführliche Uehersicht der Gerölle, welche die ganze Boden-
flache Oberschwabens bedecken. Sie sind ihrer Nalur nach von den in den
Gebirgen Würtembergs vorkommenden Felsarlen gänzlich verschieden,
öfters kleine randliche Hügel und reichen zu Höhen hinan , bis zu welchen
tiges Tages die YYssser nicht mehr steigen (1560 Fuss in den Umgebungen von
Stocknch und Meersburg). Die Gerölle sind meist stark abgerundet, und in
Grosso sehr verschieden; sie wechselt von der eines Hirsekornes bis zu Kopf-
Grösse. Die eigentliche Mächtigkeit dieser Ablagerungen ist noch nicht ermit-
telt; sie mag an manchen Stellen 200 Fuss und darüber beiragen. Nur selten
bemerkt man unter den Diluvial -Geröllen noch einzelne erratische Blöcke in
den Thilern und an den Bergabhtiogen , da die Industrie solche seit lai
Zeit zu technischen Zwecken ausheutet, wodurch ihre Zahl alljährlich
im Bodensee , in ganz Ohcrschwahen bis gegen SchafThausen hin
/' « r /i 1 1 £> Ii n*>j>r- Ii t r it in ilirnr Knc/-Ii o ffnnttA i I n>w>li iimi G«»li1nM #1 nCfl
\jcruiie u«. r«i iiii^lii mn r nt. s< ii.hu mieii m.m 11 zum öiihuij;», u
ans den östlichen Alpen . namentlich aus Graiibundten und Vorarlberg
die Richtung, in welcher die Geschiebe auf inren jetzigen
Vermnthen nach von Südost nach Nordwest.
Brack mann gibt in der zweiten Abtheilimg einen schätzbaren Beitrag
der Diluvial - Ablagerungen des südwestlichen Deutschlands, na-
der früheren Schrift von Fromherz „geognostisehe Beobachtungen
aber die Diluvial-Gebilde des Schwarzwaldes" (Frcibnrg, 1842), und dessen
Anfeatz: „plpinische Diluvial -Bildungen im Bodensee - Becken (Jahrb.
1850, S.641 ff). — Da Bruckmann's Schrift von vielseitigem
lateresse, nicht nnr für Ingenieure, Architecten und Landwirthe, sondern auch
für Geognosten , so wird dieselbe auch ein grosses Publikum finden. Die Aus—
stattung des Werkes ist eine geschmackvolle.
.* i ?,.z
{Jeher das schweizerische Nummuliten-Ttrretin, mit besonderer Be-
rücksichtigung des Gebirges wischen dem Thmter-Sec vnd der Emme. Von
L. R v t i ms y er. Bern , Slätnpfiische Buchdrvcherei. 18ö0. S.120.
Seitdem die Alpen von den Geologen durchstreift wurden — so bemerkt
der Verfasser — boten sie denselben eine Hauptschwierigkeit dar, deren Weg—
fallen das Studium anderer Lander sehr begünstigte, nämlich das Fehlen und
die schlechte Erhaltung der organischen Reste, an deren Stelle die Alpen-Geo-
logen nur die von den Paläontologen selten im Vollwcrth aufgenommenen mi-
neralogischen und petrographischen Charaktere der Gesteinsschichten als Ersatz
hatten. Ein neues Hülfsmittel ist den ersteren eröffnet worden durch
der mieroscopischen Organismen der Vorwelt , deren Kenntniss
duren nie Arnencn ocs ncKanmen oemner uciennen so vteii zraic—
ist, dass das Microseop dem Alpen - Geologen wichtiger geworden, als
ihafte Vorkommen und selbst die Kleinheit nnd Zartheit
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314 Kurze Anzeigen.
diezer Thierüberreste machen es möglich , dieselben in den diebtesten Gesteinen
zn entdecken , in welchen das Dasein derselben bisher nicht geahnt wurde. Wir
wollen versuchen , aas den Mittheilungen des Verfnssers , die von hohem geo-
logischem and palttontologischem Interesse, das Wichtigste kurz hervorzuheben.
Das Gebirge zwischen dem Thnner See und der Emme besteht ausschliesslich
aus neplunischen Gebilden. Als ältestes Gestein ist ein schwarzer Kalkstein zu
betrachten, der zwischen Nasthal und Leerau auftritt, und durch Ammenites
Bucklandi (Sow.) charakterisirt wird; er gehört zum Lias, und liegt am Thuner
See unmittelbar anter Kreideschichten. In vereinzelten Parthieen erscheint am
Fass der Rnlligslöcke eine kleine Ablagerung von Jurakalk, der sogenannte
Chatelkalk, der seinen organischen Resten gemfiss zum Coralrag zu rechnen ist.
Ziemlich weit verbreitet zeigt sich die Kreide-Formation, mit mehreren deut-
lich charakterisirten Abtheilungen. Die Basis aller Ketten bildet der schwarze
Kalk und Schiefer, in welchen Studer and andere Schweizer Geologen den für
das unterste Glied der Kreide-Gruppe so überaus bezeichnenden Spatangus re-
tusus (Goldf) gefunden haben. Auf dem Spetangen-Kalk liegt der, dem Neo-
comien supeneur entsprechende Radisten-Kalk. — Die Nummoliten- Formation
nimmt die oberste Stelle der Kalkalpen ein. Die Petrefacten, welche sich in
der Schweizerinnen Nummuliten-Formation finden , sind besonders Cerithien von
tertiärem Aussehen, Neritinen, zumal aber Orbituliten und Foramiaiferen , unter
welchen Ntimmuüten die hervorragendste Rolle spielen. Wie bekannt, hat man
in neuerer Zeit dem Auftreten der Nummuliten in den tiefsten Schichten des
Tertiär - Gebirges ( eoceae Schichten ) besondere Aufmerksamkeit geschenkt
Murchiaon hat in seiner Schrift „über den Gebirgsbau in den Alpen4 die hohe
Wichtigkeit der Numinuliten mit vieler Lebendigkeit geschildert, da sie zur
Auffindung gewisser Tertiir-Schichten , zur Unterscheidung derselben von Kreide-
Ablagerungen dienen. Zigno, der italienische, mit den geologischen Verhält«
nissen der Vene 'inner Alpen wohl vertraute Geolog, hat erst neuerdings aus-
drücklich bemerkt, dass er aUe Schichten, in denen Noromuliten vorkommen,
in r tertiär halte.
In der zweiten und grösseren Abtheilung seiner Schrift gibt Rütim eye r
eine Uebersicht der Foraminiferen des schweizerischen Nummulften- Terrains,
welcher er eine sorgfältige Zusammenstellung der alteren und neueren Literatur
vorausschickt; jene reicht bis in das Jahr 1565 zurück. Rütimeyer's Werk
wird von fünf Tafeln begleitet; die erste ist eine geologische Karte des Gebirges
zwischen dem Thuner See und der Emme; die zweite stellt Profile dar, and auf
den drei übrigen sind eine grosse Anzahl von Foramiaiferen des schweizerischen
ISummuIiten-Gebirges abgebildet.
V er gleich ende Vebersicht urweltlicher Or§anism.*ttt besonder*
nach ihrem inneren Zusammenhang mit denen der jetzt le-
benden Schöpfung. Dargestellt von Friedr. Rolle. Stuttgart, E.
Schtceiierbart'schc Verhgshandiung und Druckerei. 1851. & IV N, 171,
Die vorliegende Schrift ist mehr für den Anfanger, für den Studirenden,
als für den mit der Wissenschaft Vertrauten bestimmt. Die Entwicklung der
Pctrefacten-Kunde war in den letzten Jahren eine so bedeutende, jeder Tag fast
brachte neue Entdeckungen, so dass selbst der Fachmann der Fülle von
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315
MtTttWftnm gewachsen war. Was zwei grössere, treffliche, mit zahlreichen
Kupfer-Tafeln ausgestattete Werke — Bronne Lethaea geognostica und Geinit*
Veralcinerungskunde — in umfassender Weise geben , sehen wir hier auszugs-
weise in einem Rahmen von kaum acht Druckbogen zusammengedrängt.
Der Ucbersicht der versteinert vorkommenden Orgauismen schickt der
Verfasser einige ein leiten de Bemerkungen über Entstehung, horizontale und
Vertikale Verbreitung der Petrefacten u. s. w. voraus. Die organischen Reste
zerfallen in zwei Haupt- Abheilungen , in pflanzliehe und thierische. Wie
bekannt spielen in dem Gebiet der Petrefakten-Kunde die fossilen Pflanzen eine
weit geringere Rolle als die tbierische» Ucberreste; sie erheben sich nur in und
von der Steinkohle an zu einiger Bedeutung. Man kennt gegenwärtig
gegen 2000 Arten fossiler Pflanzen. Die Flor« der Jctztwelt betrügt etwa
80,000 Arten.
Das viel mannigfaltigere Thier reich zerfällt, wie bekannt, in vier Haupt-
Ahlheilungen I Strahl thier e , Weich thiere, Gliederlhiere, Wirbellbiere) , in wel-
chen eine Annäherung vom Unvollkommeucn zum Vollkommenen auf's Entschie-
denste sich kund gibt. Mit vieler Genauigkeit auf dem beschränkten Räume
zählt der Verfasser dio einzelnen Classen und Ordnungen der vier Reiche nach
einem zoologischen System auf, und fuhrt stets an , für welche Formationen und
Schichten-Glieder einzelne Thier-Familien sich charakteristisch zeigen. — Wir
wünschen und glauben, dass Roll es »vergleichende Ueh ersieht der urweltti-
chen Organismen" als eine fleissige, gedrängte und zugleich praktisch-nützliche
Zusammenstellung eine gute Aufnahme linden werde.
Jahrbuch der k. k. ytologi&cken Reichsa nstalL 1$5U. U Jahrgang*
Nr. 2. April, Mai, Juni. Wien. Aus der k, k. Hof- und Staats-
Druckerei. Bei Wilhelm Braumüller, Buchhändler des k. k. Hofes und der
kais, Academis der Wissenschaften, S. 181—388. #
Die einzelnen Abtheilungen der unlängst ins Leben getretenen „Jahr-
Luche r der geologischen Reicbsanstalt" folgen rasch aufeinander, denn vorlie-
gendes Heft ist bereits das zweite in kurzer Frist und das dritte wird in weni-
geu Wochen erscheinen. An Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit steht dasselbe
hinter dem früheren nicht zurück. Wir wollen versuchen, eine Uebersicht des
Inhaltes der verschiedenen Aufsätze zu gehen und nur bei einigen, wo es
thunlich, verweilen. »•
1. Uebersicht der geschichteten Gebirge der Veuetlani-
scheu Alpen, von A. v. Zigno. Die Arbeit des Verfassers dient als Er-
gänzung zu dem wichtigen Werke Muschifons, über den Gebirgsbau in den
Alpen. Alle Beobachtungen, dio Zigno anzustellen Gelegenheit hatte, bestätigen
die früheren Untersuchungen des englischen Geologen: es gelang ihm nament-
lich, mit Hülfe der Versteinerungen, die verschiedenen Etagen der Formationen
in einer vom Glimmerschiefer bis zu den neuesten Formationen gleichförmig ge-
lagerten Reihe von Schichten zu unterscheiden; auf diese Weise konnte Zigno
die Grenzen der Trias bezeichnen und in der Oolith- Formation die nntere und
mittlere Abtheilung, so wie Sparen der oberen unterscheiden. In der Kreide«
Gruppe gelang ns demselben, den. ifcocomian und Albien nachzuweisen, so wie
jene beiden Abtheilungen der Kreide, die d'Orbigny mit dem Kamen der
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81« Kurze Anzeigen.
turonischen and senonischen Formation bezeichnete. Endlich Klärte Zigno man-
chen Irrt h um hinsichtlich der Tertiär- Gebilde auf; er unterschied eoceno und
miocene Schichten, und wies nach, wie die so ausgedehnte Nammuliten-For-
malion der eocenen Periode angehört. — 2. lieber das hohe Alter des
Kapferbergbaues am Mitterberg in Salzburg, von A. v Morlot.
Aller Wahrscheinlichkeit nach bauten die keltischen Urbewohner des Landes,
welche vor achtzehn Jahrhunderten in Hallstadt mit Werkzeugen von Serpen-
tin, von Bronce und seltener von Eisen den Salzbergbau betrieben, zu gleicher
Zeit am Mitterberge auf Kupfererze. — 3. Ueber die Spuren eines be-
festigten römischen Eisenwerkes in der Wochein inOberkrain,
von A. v. Morlot. — 4. Der Adelsvorschub am Heinzenberg und
Kleinkogl, von J. Trinker. Ein interessanter Beilrag zur Physiographie
der besonderen Lagerstätten Nordtirols. (Adelsvorschub, ein in der bergmänni-
schen Sprache wenig gebrauchtes Wort, bedeutet die von der Streichens - und
Fall-Richtung der dortigen Lager und Gänge abweichende, andauernde Fort-
setzung bauwürdiger Mittel.) - 5. Die Resultate aus Karl KreiTs, Di-
rectors der S lern warte zu Prag, Bereisungen des österreichi-
schen Kaiserstna tes. — (Tabellarische Mittheilungen.) 6. Ueber die Ver-
schiedenheit der Entstehung der S alsablagerungen in denKar-
pathen und in den Salzburger Alpen, von Ludwig Zeuschner.
Der polnische Geolog zieht den Scbloss, dass das sporadische Hervortreten des
Steinsalzes im Salzburgischen , das dort in Spalten oder als stockartige Ausfül-
lung erscheint, die parallelen Thonstreifen im Steinsalze, die vielen eingeschlos-
senen Bruchstücke von Kalkstein , der Mangel an Petrefactcn beweisen , dasa es
als ein wässeriger Brei aus dem Erdinnern hervorbrach. Anders ist der Cha-
rakter der karpathischen Salrablagerungen; sie bilden ausgedehnte, viele Mee-
re«-Muscheln enthaltende Niederlagen, und man kann daher von ihnen anneh-
men, dass sie von einem ausgedehnten Meere ihren Ursprung haben. —
7, Ueber die Entwicklung der oberen Glieder der Kreide-For-
mation nördlich von Krakau, von L. Zeuschner. — 8. Ueber die
geologischen Verhältnisse von Raibl; von A. v. Morlot. Dieser
Aufsatz reiht sich in würdiger Weise den früheren Bemerkungen von L. v. Buch,
Boue, Meiling über die interessante Gegend von Raibl an. — 9. Ueber die
geologischen Verhaltnisse von Radoboj in Kroatien, von A. v.
Morlot. Die Entdeckung des Schwefellagers von Radoboj fallt in das Jahr
Jahr 1841. Abgesehen von ihrer technischen Wichtigkeit verdienen die Umge-
bungen von Radoboj wegen ihres grossen Rcicbthums an Petrefacten der Ter-
ttär-Zeit Beachtung. — 10. Ueber die Regen Verhältnisse der Alpen,
von H. Schlagintweit. Entnommen aus dem grösserem Werke der beiden
Brüder H. und A. Schlagintweit „Untersuchungen über die physikalische Geo-
graphie der Alpen", welches wir in diesem Jahrgang S. 139 If. zu besprechen
bereits Gelegenheit fanden. — 11. Unt ersnch ungen über die Isogeo»
thermen der Alpen, von A. Schlagintweit. — 12. Berichtigung
einiger Angaben Sch lagi nt weit's in Betreff der Tsogcotkermen
der Alpen, von 0. Sendtner. — 13. Ueber den Dopplerit, Bericht
von G. A. Kengoit. Eine Torf-artige Substanz, welche sich im Torf bei
, » . • '.«.'.' I* a if ,
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31?
Aussee im Salzkammergate und nach neueren Angaben auch in Torflagern beim
Bade Goolen unfern Appenzell in der Schweiz findet. — 14. Die neuesten
Forlschritte der Geologie in Russland, von G. v. Helmersen. —
15. Uebersicht der Production und Gel d geba hrung des Przi Lim-
mer Hauptwerkes. (Tabellarische Mittheilungen.) — 16. Bemerkungen
*a den „trigonometrischen Höhenbestimmungen im Troppauer
und Teschner Kreise in Schlesien" von A. Heinrich. — 17. lieber
Salpeterbildung und Gewinnung. Die Frage über Salpetergewinnung
war in letzten Jahren (wo man leider allzuviel von der Substanz gebrauchte!)
vielfach Gegenstand von Erörterungen. Drei einander folgende Aufsitze be-
treüea den Salpeter; der erste, einige Bemerkungen über Sarpeter-Erzeugung
tod v. Reichenbach, untersucht vorzüglich die Theorie der Bildung der Salpe-
tersäure; der zweite von J. Szabo gibt ein Bild des Vorkommens und der Ge-
winnung des Salpeters in Ungarn; der dritte enthält die Berichte Mosers, frü-
her Mitglied einer nach Ungarn zur Untersuchung der ungarischen Salpeter«
Districte abgesendeten Comraission. — 18. Analyse der Bleispeise von
Oeblarn in Obersteyermark, von G. Schcnzl.
Ausserdem enthält das vorliegende Heft des „Jahrbuches der k. k. geo-
logischen ReichsanstAlt" noch zahlreiche Bemerkungen über die Sitzungen der
Gesellschaft, Verzeichnisse eingesendeter Mineralien, Petrefacten u. s. w., auch
fünf Tafeln, worunter besonders eine schöne, zu dem Aufsatze Morlot's gehö-
rige, geologische Karte der Umgegend von Raibl.
Ct. Leonhard.
Die Vorstellungen der alten Griechen und Römer über die Erde alt Himmelskör-
per. Von Dr. Ludwig Oetlinger, Gr. Bad. Hofrath und Professor der
Mathematik. Freiburg 1850. Verlag der Vniversifätsbuchhandlung ton Jt
DiermfeUner. Vill m. 116 8. in gr. 4.
Der Terfasser dieser Schrift hat, wie das Vorwort bemerkt , es versucht,
darin eine Zusammenstellung der Vorstellungen der Alten über die Gestalt, den
Ort, die Bewegung, die Stellung und Grösse der Erde zu geben. Indessen
würde man sich doch irren, wenn man hiernach Nichts weiter als eine trockne
Zusammenstellung aller der einzelnen, üher die bemerkten Punkte aus dem Al-
terthum uns zugekommenen Nachrichten erwarten wollte; wir erhalten viel-
mehr ein vollständiges und zusammenhängendes, dabei wohlgeordnetes Bild der
Anschauungsweise des gesummten Altert hu ms, in seinem inoern Zusammenhang
und nach seinen verschiedenen Stufen und Periodeo der Entwickelung hin-
durchgeführt, wie diess auch nur von einem Gelehrten zu erwarten möglich
war, der eine gründliche philologische Bildung mit denjenigen Studien der
Physik, Mathematik und Astronomie verbindet, die zur Erörterung dieser Punkte
noth wendig sind. Dadurch erhält die Schrift, zumal bei der Klarheit der gan-
zen Entwickelung und der Schärfe der Darstellung, eine besondere Bedeutung
pd last* in ihr die wüjwcbenawcrthe Ergänzung eines Gegenstandes erkennen,
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Sioli in den £C w (i Ii n I ic lic ii Ifsncilbuchcrn d ci h 1 1 c n d c o p p ti ic noch nicht f n
der Weise behandelt findet. Wer die Schwierigkeiten aller derartigen Unter-
suchungen, insbesondere den Mangel an umfassenden oder klaren Nachrichten,
mithin das Unzureichende der Quellen, die um hier meist nicht einmal aus er«
»ier Hand, sondern durch manche Uebergänge getrübt zukommen, kennt, der
wird dem Verf. doppelt dankbar sein müssen für eine Erörterung, welche, so
weit es überhaupt jeut möglich ist , die in Frage stehenden and hier bespro-
chenen Punkte au ihrer Erledigung gebracht lim. Dass zum besseren Verständ-
nis* und zur richtigen Würdiguag der Vorstellungen des Alterthums der Verf.
zuerst einen Ueberblick der Lehren giebt, welche wir den Bemühungen der
neueren Zeit über diese Punkte verdanken, wird man nur billigen können, und
so wenden wir uns sogleich zu §. 5—9, worin der erste Abschnitt: „GestaK
dar, Erde" enthalten ist. Der Verfasser unterscheidet hier eine erste Periode,
wiche bis auf Aristoteles reicht und die Ansichten dar jonischen Philosophen,
des Pythagoras und seiner Schule, der attischen Philosophen u. s. w. befasst.
Es tritt hier die Vorstellung von der kreisrunden Scheibenform, der länglich
ruudcn Scheibenform, der DiscusfOrm , der Cylindcrform , der Tympenonferm,
der Würftlgesialt und Cyliudergestalt mit zwei ebenen Grundflächen hervor.
Die zweite Periode beginnt mit Aristoteles, der des schwankenden Ansichten
ein Ende machte , indem er aus Gründen der Theorie und der Erfahrung zeigte,
dass die Erde nur die Kugelgestalt haben könne. Mit vollem Recht betrachtet
daher der Verf. diesen Philosophen als den wahren Begründer der Lehre von
der Kugelgestalt der Erde. Was nach ihm in der griechischen und römischen
Welt darüber gelehrt ward, führt §. 8 uns des Kälteren vor, während wir zu-
gleich aufmerksam gemacht werden auf die Verschiedenheit dieser Aristoteli-
schen Ansicht von der Lehre eines Huygcns und Newton, so wie der neuesten
Forschung. Im zweiten Abschnitt §. 10 und 11 werden die Ansichten der Al-
ten über den Ort der Erde besprochen und ebenfalls nach Perioden unterschie-
den. Die erste Periode, bis auf Anaximandor, l>etrachtet die Erde als eine
vom Wasser umgebene und auf einer Uuterlage ruhende Ebene, auf welche
das feste Himmelsgewölbe in Gestalt einer Halbkugel sich stützt. Die zweite
Periode, bis Arbtotelos, nimmt das Universum als eine Sphäre, in deren Mit-
telpunkt die Erde frei schwebt. Die dritte Periode, von Aristoteles bis Coper-
nicas, setzt die Erde in den Mittelpunkt des Weltalls, wohin sie durch eine
inwohnende Kraft getrieben und dort festgehalten wird; der Begriff der Schwer-
kraft bildet sich. Auch im nächsten dritten Abschnitt, welcher uns die An-
sichten der Alten von der Bewegung der Erde bringt, ist es wieder Aristo-
teles, der dem Schwankenden der früheren Ansichten und Lehren ein Ende
macht, und die Ansicht feststellt, dass die Erde durch Naturgesetze in den
Mittelpunkt der Sphäre getrieben werde und dort unbeweglich ruhe. Ab-
schnitt IV $. 14 bespricht die Vorstellungen über die schiefe Stellung der Erd-
ain; Abschnitt V $. 15 iL die Grösse der Erde. Die Resultate dieser erschöp-
fenden Untersuchung werden am Schluss §. 18 zusammengestellt; sie zeigen,
dass die im Alterlhum vorkommenden Bestimmungen über die Grösse der Erde
nichts weiter als annähernde Schützungen waren, von welchen die des Ent-
tosthenea (252,000 Stadien) sich noch am Meisten auf das Gebiet der That-
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ttcbett slcWte. Eine weitere Fortsetzung dieser Forschungen über andere damit
zusammenhängende Funkle, über die Zonen, die Wohnorte, die Climale, die
Jahreszeiten u. dgl. würde nur erwünscht sein können.
Kritische BeUräp zur Geschichte und Alterthumshmde Tirols. Von Mathias
Koch. 37 S. in gr. &' "
Diese Schrift eines Mannes, der, wenn es sich um Gegenstände der
Landeskunde Oestreicbs, alter und neuer Zeit handelt, wohl vor Andern seine
Stimme abzugeben berechtigt Ut, hat eine polemische Tendenz: denn sie ist
gerichtet gegen die in neuester Zeit wieder auftauchende, aelbst mit gewissen
politischen Bestrebungen zusammenhängende Behauptung, welche den alten
Etruskern eine Ausdehnung über ganz Tirol giebt, und in ihnen das Urvulk
dieses Landes, in seinem Gesammtumfang , erkennen will. Es musste eine
solche Behauptung, wie sie sogar der neueste Geschichtschreiber dieses Landes,
freilich ohne alle nähere Prüfung und ohne alles tiefere Eingehen in die Sache
selbst, auszusprechen gewagt hat, um so mehr auffallen, als besonnene und
gründliche Forscher der Geschichte Tirols längst den Satz aufgestellt hatten,
dass die erste Bevölkerung dieses Landes, so weit die Geschichte rückwärts
reicht, nur in Kelten zu suchen sei, die anerkanntermassen auch für die an-
stoßenden deutschen Provinzen Oestreichs, für In nc r Ost reich so gut wie für
Ober- und Niederöstreich wie für Salzburg, als die Urbevölkerung gelten müssen.
Der Verf. der vorliegenden Schrift hat nun die ganze Streitfrage, so weit sie
das Land Tirol betritft, auf's Neue in Untersuchung genommen und das Grund-
lose der unlängst ausgesprochenen Behauptung in einer 89 schlagenden Weise
dargethan, dass wir wohl hoffen dürfen, damit die Sache für alle folgenden
Zeiten abgemacht zu sehen. Wohl mögen zersprengte Elruskcr bis zu den
südlichen Abhängen der Alpen — also im heutigen Welschtirol — gelangt sein
and hier sich auch niedergelassen haben; aber in die Alpen selbst haben sie sich
nie verstiegen, sie sind vielmehr da, wo sie unter Kelten an den Abhängen
der Gebirge sich niedergelassen, unter diesen aufgegangen und spurlos ver-
schwunden. Piess ist das Resultat einer gründlichen Prüfung, die wir eben
so wohl auf die Zeugnisse alter Schriftsteller, wie auf andere Beweise, selbst
der sprachlichen Forschung, die uns das Keltische in manchen Ortsnamen noch
jetzt nachweist, gestützt finden. Uud gerade was den letzten Punkt, die Orts-
namen, betrifft, so zweifelt Ref. kaum, dass Manches von dem, was darüber
ein geistreicher Forscher der rhätischen Alpengcbiete vor einiger Zeit schon
vorgebracht hat, indem er in so manchen Ortsnamen des heutigen Graubündtena
(namentlich des romanischen Engadin's) und der angranzenden Striche Tirol'«
etroskische Laute erkennen und damit eine Verwandtschaft der iiitesten Bewoh-
wohner Rhatiens mit den Etruskern begründen will, thcils auf verdorbene ro-
manische Laute, thcils auf keltische hinausläuft.
Noch auf Einen Punkt müssen wir am Schlüsse dieser Anzeige hinwei-
sen: er betrifft die vom Verfasser dieser Schrift hervorgehobene Verdrängung
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des deutschen Elements in Sudtirol. Wenn in dem gemischten Schleswig
die dänische Regierung in den Schulen dänisch lernen hisst, so schreien alle
Zeitungen Über die Tyrannei der Dänen; wenn man aber vernimmt, mit wel-
chen reissenden Schritten die Verwelschung Tirols, namentlich in dem Kreise
von Trient (und von dieser Stadt aus hauptsächlich betrieben) vorwärts schrei-
tet, wie sie bereits Bolzen erreicht hat, welche Stadt schon im Jahr 1845 die
Anforderung stellte, in der HaupUcbule den gemischten Unterricht einza fuhren,
wenn man liest, wie in manchen Gemeinden, in denen noch vor wenigen Jah-
ren deutsch gesprochen ward , die deutsche Zunge jetzt ganz verstummt ist
und nur die italienische Sprache, die in der Schule, auf der Kanzel und in der
Beichte ausschliessliche Geltung erlangt hat, vernommen wird, da schweigen
unsere Teutomanen, ja sie erheben sogar ihre Stimme gegen eine Regierung,
welche das deutsche Element, das ihren Kern bildet, zu schützen, tu erhalten
und zu wahren sucht gegen italische, slavische und madjartsche Invasion! Und
diesi nennt man deutsche Gesinnung , deutschen Patriotismus!
flistoire des Germains depuis les temps les plus recules jusqiCä Charles Magne,
pour servir d'introduction ä Vhittoire de r Empire Germanique, par M. de
Ring, membre de plusieurs socüles sarantes etc. Strasbiwg, Treutlel et WurU
Libraires Grand' me 15. 1850. Vlll und 191 S. in gr. 8.
Der VerfHsser hat zunächst für Frankreich sein Werk bestimmt, um den
Gebildeten dieses Landes eine richtige Ansicht von dem Lande zu geben, aus
welchem das Frankenreich Karls des Grossen hervorgegangen ist. Er schildert
daher in einer klaren und ansprechenden Weise die Zustände des alten Germa-
nien! von der Zeit an, wo es zuerst in der Geschichte auftaucht, und fuhrt uns
dann die verschiedenen Ereignisse, welche dasselbe betroffen, die verschiedenen
Züge und Wanderungen der germanischen Volker, wie die Kämpfe mit Rom,
dann die Niederlassungen jener Völker in verschiedenen Thcilen des römischen
Reiches und die hier von ihnen gegründeten Reiche, insbesondere das in dem
nlteh Gallien gegründete und dessen Geschicke unter den Merovingcrn, die
Kämpfe Karl Martell's und das Reich Pipin's vor, um mit dem Auftreten Karls
des Grossen, womit eine neue Gestaltung und eine neue Ordnung beginnt, seine
Darstellung zu selilicssen, der wir mit aller Befriedigung gefolgt sind. Eine
sehr schöne Charte ist beigefügt.
• • •
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Nr. 21 HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Die Universität Cambridge,
geschildert
von
Dr. *J. a. Tiarh99
Prediger an der deutsch -reforrairten Kirche in London.
Erster Artikel: Die Colleges.
* • . ■ ■ ■
Vorwort. Die nachfolgende Schilderung der Universität Cam-
bridge tritt nicht in der Form auf, welche die in neuerer Zeit allein ge-
bräuchliche in diesen Jahrbüchern ist: in der Form einer Recension. Es
wäre nicht schwer gewesen , sie durch Voranstellung einer andern Schrift
Uber den nämlichen Gegenstand und durch einige Bezugnahmen darauf in
diese Form zu bringen. Allein, wozu eine solche Erkünstelung ohne in-
nere Wahrheit? Wir glauben den Aufsatz aach in der Gestalt, in wel-
cher er vorliegt, getrost zur Aufnahme in diese kritische Zeitschrift em-
pfehlen zu können. Enthält er auch nicht die Bcurtheilung eines Buches,
so enthält er doch die Uberall zum Urtheil und zur Vergleichung auffor-
dernde Darstellung einer grossen wissenschaftlichen Anstalt, die wahrlich
wichtiger ist, als ein einzelnes literarisches Product. Durch die ins Einzelne
gehende Genauigkeit, Treue und Anschaulichkeit wird die Schilderung für
jeden wissenschaftlichen Mann, namentlich für den Philologen, Historiker
und Theologen in hohem Grade anziehend und belehrend sein, und indem
ans in der Charakteristik einer der beiden alten Hauptuniversitäten Eng-
lands ein Bild des englischen Universität*- und Bildungswesens überhaupt
dargeboten wird, veranschaulicht sich uns zugleich auf die lebendigste
Weise der Unterschied zwischen diesem und dem deutschen, und wir
können nicht umhin , sehr bedeutsame Parallelen zwischen beiden zu ziehen.
Auch durch ihren würdigen Verfasser hat diese Darstellung ein ge-
wisses Anrecht an die Jahrbücher unserer Hochschule. Herr Tiarks, seit
mehreren Decennien deutscher Prediger in London , hat früher auf unserer
Universität Theologie studirt, ist spater von der hiesigen philosophischen
Pacultat mit der Doctorwürde beehrt worden und steht fortwährend mit
mehreren Lehrern der stets von ihm dankbar geehrten Anstalt in geistiger
XLIV. Johrg, 3. Doppelheft. 21
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322 Tiarks: Die Universität Cambridge.
uudjnteriirischer Gemeinschaft. Gegenwärtig nun beiludet sich ein Sohn
des Herrn Dr. Tiarks als Studierender im St. Johns College zu Cambridge ;
dadurch ist er zu wiederholten Besuchen dieser Universität veranlasst
worden, und so ist ans unmittelbarer Anschauung und lebendigem Inte-
resse ohne irgendwelche Absichtlicbkeit der nachfolgende Aufsatz entstan-
den, der schon in einer kürzeren Skizze die Thcilnahme von Freunden
im Vaterlande des Verfassers, Jever, erregte, jetzt aber in vollständi-
gerer Ausführung, wie wir hoffen, auch in einem grosseren Kreise,
wohlwollende Aufnahme finden wird.
Die Universität Cambridge nmfasst 17 Colleges oder Halls: 1. Tri-
nity College (in 1850 525 Studenten); 2. St. Johns College (345);
Cujus College (HO); Christi College (52); Queens College (93);
Emmanuel College (93); Corpus Christi College (08); St. Katharina
HaU (79); St. Peter's College (50); Cläre Hall (50); Jesus College
(59); Magdalene College (61); Trinity Hall (48); Sidney College
(31); Kings College (12); Penibroke College (23); Downing Col-
lege (11).
Die Zahl der Studenten ist demnach in 1850: 1742. Colleges und
Halls sind in Cambridge von gleicher Bedeutung. Die meisten liegen in
der längsten und sohönsten Strasse von Cambridge in Trumpington Street,
und hinter denen, die an der einen Seite der Strasse liegen, befinden
sich hübsche Anlagen mit schönen Spaziergängen. Die andern liegen zer-
streut in der Stadt, st. Peters ist von allen das älteste, gestiftet 1257.
Jedes College hat, gleich einem Kloster, einen oder mehrere Höfe in
der Milte, und Thore, die jeden Abend geschlossen werden. Um diese
Höfe herum siud die Wohnung des Master, der Fellows und der Under-
graduates, die Kapelle, das Speisezimmer und die Bibliothek des College.
Die Zahl der Undergraduates in Trinity und St. John's ist so gross, dass
Die alle im Collego Wohnung erhalten können, und die Studenten des
ersten Jahres müssen sich Zimmer in der Stadt miethen. Alle Colleges
(mit Ausnahme von King's, das besondere Privilegien hat) stehen unter
den Gesetzen der Universität, von welchen hernach die Rede sein wird;
aber jedes College hat wiederum seine eignen Statuten und Gesetze. An
der Spitze eines jeden College steht als Haupt ein Master (der von King's
wird Provost und der von Queen s President genannt). Dieser hält keine
Vorlesungen in seinem College; er kann zugleich Professor der Univer-
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Tiarks: Die Universität Cambridge. 323
«tat sein; er führt nur Oberaufsicht in seinem College und vertritt das-
selbe bei der Universität. Jedes College hat eine gewisse Anzahl Fel-
lows, von denen hernach noch weiter geredet werden muss. Ans den
Fellows werden die College Tutors oder Lehrer gewählt, die aber selten
eine Professur haben, die Examinatoren wie auch der Dean nnd die
ihrigen Beamten , der Kassenführer, der Verwalter, der Bibliothekar n. s. w.
Die Studenten oder Unlcrgraduates sind dreierlei. I. Fellow Commoners,
diese sind gewöhnlich Söhne adeliger Persouen, oder bejahrte, bemittelte
Leute, die sich erst spät zum Studium entschlossen haben, und sie heis-
ren so, weil sie mit den Fellows an Einem Tische essen, haben aber
auch diese Ehre tbeuer au bezahlen. Die Zahl der Fellow Commo-
ners ist nie gross. St. John's College bat jetzt nur 4. 2. Pensioners,
diese machen den grüssten und bedeutendsten Tbeil der Studenten au?,
and werden nach dem Lateinischen , pernio Zahlung , so genannt , weil sie
für Mittagslisch, Zimmer, Unterricht u. s. w. zum Vollen bezahlen,
a. Siaars , von diesen giebt es in jedem College nur eine bestimmte Zahl.
In St. JowVs College sind in jedem Jahre wenigstens 14 Vacanzen. Zu
diesen melden sich gewöhnlich zwischen 40 und 50 neue Studenten, und
aas diesem werdeu nach vorhergegangenem Examen die 14 besten in die
racantea Stellen gewühlt. Im ersten Jabre bezahlen die Sizars nur obn-
gefahr die Hälfte von dem, was die Pensioners zu bezahlen haben. Am
Ende des ersten Jahres werden ans diesen wiederum die besten ausge-
wählt, welche dann proper Sizars heissen und fast alles ganz frei haben.
Die Zahl dieser ist in Triniry College 16, in St. John's 9. Das Wort
Siiir iat veraltet. Es kommt von einem alten Substantiv, size, Portion,
dem Verb to size, in Portionen anstheilen. Arme Studenten erhielten in
alten Zeiten z« Mittag eine bestimmte Portion unentgeltlich, daher der
Name. Shakespeare gebraucht das Substantiv Size in diesem Sinne im
King Lear : it is not for you , to cut my Sizes short (es ist nicht deine
Sache, mir meine Portionen zu verkürzen. Daher wird eine dürftige
Kost auch noch heutiges Tages short commons genannt). Die Aufwartung
am Tische der Fellows, die früher den Sizars oblag, hat schon längst
aufgehört. Sie essen auch jetzt noch erst dann, wenn die Fellows und
Pensioners gegessen haben, aber nicht nach bestimmten Portionen, son-
dern nach ihrem Appetit: und daher bewerben sich auch nur unbemittelte
Studenten um diese Sizarhips. Masters, Fellows und Undergraduates ha-
ben ihre caps (Mützen) and gowns (Talare), ohne welche sie selten
aus dem Hause gehen. Kein Undergradnate darf ohne cap nnd gown in
der Stadt umhergehen. Begegnet ein Undergraduate anf der Strasse dem
21*
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324
Jiarks: Die Universität Cambridge.
Vice - Chan cellor, oder irgend einem Master, von welchem College es
euch sein mag, oder einem Proctor, oder einem Fellow seines College
im Universität*- Ornat, so muss er die Mütze vor ihm abnehmen; aber er
bat nicht nöthig , von irgend einem Notiz zu nehmen , der ohne Ornat in
gewöhnlicher Kleidung einhergeht. Ich kann nicht umhin, hier eine kleine
charakteristische Anekdote einzuschalten. Der Master von — College ist
nicht sehr beliebt bei den Studenten. Er spazierte eines Taget in ge-
wöhnlicher Kleidung in den schönen Anlagen hinter Trinity, St. Johns
und Cajus College. Ein Undergraduate eines andern College gebt an ihm
vorbei, ohne die Mütze abzunehmen. Der Master ruft ihn zurück und
fragt ihn: do you know who I am (Wissen Sie, wer ich bin?) Der
Student antwortet: if you had your cap ond gown on, I shonld say you
were the master of — (Hatten Sie Ihre Mütze auf und ihren Talar an,
so würde ich sagen , Sie seien der Master von — ) ; der Master darf
nichts sagen. Die im Gesetz bestimmte Studienzeit umfasst elf Terms
(Termine). Jedes Jahr hat drei 1) Michaeimas Term, Michaelis Termin,
vom 10. October bis zum 16. December; 2) Lent Term, Fasten-Termin,
Tom 1 3. Januar bis zum Freitag vor dem Palmsonntage ; 3) Easter Term,
Oster-Termin , vom 2. Mittwoch nach Ostern bis Ende Juni. Allein jeder
Student, dessen Name vor dem Ende des Oster-Termins ins Buch des
College, in das er zu gehen gedenkt, eingetragen worden ist, bekommt
einen Term auf seine Rechnung, oft ohne Cambridge gesehen zn haben,
und fängt sein oeade misch es Jahr am 10. October an. Wer in ein Col-
lege aufgenommen zu werden wünscht, wird entweder von dem ersten
Tutor und einigen andern Officianten des College examinirt, oder er sen-
det an den ersten Tutor ein Empfeblungs-Schreiben von einem Master of
Arts, der seine Studien früher in demselben College gemacht hat, und
der sich für seine Tüchtigkeit verbürgt Wird er zugelassen, so hat er
gleich Caulion-money (Sicherheit zur Deckung gewisser Ausgaben) zu
bezahlen, und dieses ist für einen Fellow Commoner L. 25, für einen
Pensioner L. 15 und für einen Sizar L. 10. Ist dieses Geld bezahlt, ao
wird sein Name auf eine grosse im College hängende Tafel gemalt, und
er ist ein Mitglied desselben. Die Universitäts-Matriculation aller, die
ihre academische Laufbahn im October angefangen haben, findet erst im
November, am ersten Tage der zweiten Hälfte des Michaelis-Termins statt.
Mit einem Tutor an der Spitze ziehen sie an demselben Tage und zur
seihen Zeit aus ihren verschiedenen Colleges ins Senalhaus, wo der Vicc-
Cbancellor, die Proctors (Procura tores) und der Registrator sich versam-
meln. Die Colleges werden aufgerufen Eins nach dem andern, nach der
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Tiarks: Die Universität Cambridge.
325
Zahl der Studenten, erst Trinity , dann St JoWs u. s. w. Der Name
eines jeden wird ins Universitätsbuch eingetragen, und nachdem er das
gteicfafolgende Versprechen gegeben hat, händigt der Registrator ihm
einen gedruckten Auszog aus deo Statuten ein , die sich auf seine Pflich-
ten beziehen.
Professio in matriculatione.
CanceRario, procancellarioque academiae Cantabrigiensis , quatenus jus
fasque est et pro ordine in quo fuerim , quamdiu in bac repnblica degam,
comiter obtemperabo; leges, statuta, mores approbatos et privilegia Can-
tabrigiensis academiae, quantum in me est, observabo; pietatis et booa-
rom literarum progreasum et hujns academiae s tat um, honorem etdigni-
tatem tuebor, quoad vivam, meoque suffragio atque consilio rogatus et
uon rogatus defendam.
Haec omnia in me recipio et polliceor me fideliter esse prae-
Der Tutor eines jeden College bezahlt für seine Studenten die Ma~
Iriculations - Gebühren , und jeder Student findet diese aufgerührt in der
College - Rechnung , die er um Weihnachten erhält.
Weil die Hasters der Colleges, die Professoren der Universität,
Fellows des einen oder des andern College gewesen sein müssen, und
weil nur diejenigen zu Fellows erwählt werden, die sich in den Exami-
nibos ihres College und dem zweiten Universitäts-Examen besonders aus-
gezeichnet haben, so scheint es am passendsten, hier zuerst einen Be-
richt über die Studien folgen zu lassen. Die Studien der Universität sind
unbedeutend und die eigentlichen Professoren haben wenig zu thun, ob-
gleich neulich eine kleine Veränderung gemacht worden ist, wodurch
einige Professoren einen etwas grössern Wirkungskreis erhalten haben.
Die College- Studien sind die Hauptsache, und da die Studenten aller
Colleges zwei Universitäts - Examina zu bestehen haben, in welchem ihnen
dieselben Sachen vorgelegt werden, so sind diese Studien, mit kleinen
Abweichungen, ihrem Wesen nach in allen Colleges dieselben. Bekannt-
lich wird in Cambridge auf Mathematik ein bedeutendes Gewicht gelegt.
Ausserdem werden die klassischen Studien gründlich getrieben , wie her-
nach gezeigt werden wird. Auch das Neue Testament wird vorgenom-
men, jedoch so, dass das meiste dem Privatfleiss überlassen wird, wie
überhaupt bei jedem Gegenstände der Tutor von Jedem, der etwas ler-
nen will und im Examen gut zu besteben wünscht , nicht wenig erwartet.
Biblische Geschichte und Kirchengeschichte muss Jeder studiren, denn er
wird darin zu seiner Zeit examinirt. Aber es werden darüber in den
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326
Tiarks: Die Universität Cambridge.
Colleges eben so wenig Vorlesungen gehalten , als über Profan- Geschichte.
Die Fragen jedoch, die im Examen Ober klassische Literatur vorgelegt
werden, und die schriftlich ohne alle Hulfsmiltel in Gegenwart des Exa-
minators beantwortet werden müssen, zwingen einen Jeden wenigstens
die alte Geschichte fleissig und sorgfältig zu studiren. Mit Paleys Evi-
dences of the Christian religion , Paleys moral Philosophy und einem Aus-
züge aus Locke on the human understanding muss auch Jeder vertraut
sein. Dogmatik und Moral, wie diese auf unsere Universitäten vorge-
tragen werden , kommen hier nicht vor. Keiner ist gezwungen Hebräisch
zu lernen, nnd noch vor zwanzig Jahren gab es unter den Predigern der
Englischen Kirche äusserst wenige, welche auch nur die ersten Elemente
gelernt hatten. Manche Bischöfe kennen kaum die Buchstaben. Seit eini-
gen Jahren scheinen aber Manche die Wichtigkeit dieses Studiums erkannt
zu haben, und es fängt an, etwas mehr getrieben zu werden. Zwei
oder drei Bischöfe wollen keinen Candidaten ordiniren , der nicht etwas
Hebräisch versteht. Die meisten jedoch verlangen auch jetzt noch keine
Kenntniss desselben. Der alle liebenswürdige, vor anderthalb Jahren ab-
geschiedene Bischof von Nor wich, Dr. Stanley, mit dem ich vor 5 oder
6 Jahren im Hause des Preussischen Gesandten, Dr. Bunsen, eine lange
und angenehme Unterredung hatte, sagte mir, dass er, wenn seine Stn-
dirzeit nicht vorüber wäre, besonders Deutsch und Hebräisch studiren
würde, und dass er sich vorgenommen hätte, keinen Candidaten zu or-
diniren, der nicht etwas Hebräisch verstehe, eben weil er selbst den
Mangel der Kenntniss desselben so schmerzlich fühle. Es fehlt auch in
Cambridge durchaus nicht an Gelegenheit und Aufmunterung zu diesem
Studium, und es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass es mit der Zeit für
diejenigen, die sich dem Dienste der Kirche widmen, zum Zwangstudium
gemacht wird.
Die Studenten eines jeden College werden, was ihre Studien be-
trifft, eingetheilt in first year's men (genannt Freshmen), second year's
men (junior Sophs), third year's men (senior Sophs). Im ersten Jabro
haben alle, die demselben College angehören, dieselben Studien zu trei-
ben, wenn auch in den grössern Collegen unter der Leitung von meh-
reren Tutors, und alle sind gezwungen, die Stunden der für sie be-
stimmten Tutors zu besuchen. In der Mathematik wird im ersten Jahre
nur Euclid, Trigonometrie und Algebra vorgenommen. Eine Lady Sedier
vermachte im Jahr 1710 ein Kapital, aus dessen Zinsen in jedem Col-
lege ein Lecturer über Algebra besoldet werden sollte. Der Master eines
jeden College schlägt zu dieser Stelle einen Fellow vor, der dann von
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Tiarks! Die Universität Cambridge,
einem Professor der Mathematik exominirt , und wenn er gut besieht, als
Sadlerian Lectorer in seinem College angestellt wird. Der von Emma-
nuel College erhBlt L 60, die von den andern Colleges jeder L. 40
jährlich. Dafür giebt jeder ohngefähr 40 Stunden im Laufe der 3 Terms
des ersten Jahres.
In St. John's College, iu welchem mein Sohn ist, hatten die Stu-
denten des ersten Jahres im Laufe des nun vergangenen academischen
Jahres das dritte Buch der Annalen des Tacitns, Sophoclis Electra und
das Evangelium Matlhäi. Jeder Tutor gab in der ersten Lection über
jeden dieser Gegenstände seinen Schülern eine Uebersicbt von dem, was
im Examen von ihnen erwartet würde, und empfahl ihnen die Bücher,
aus welchen sie die ihnen nötbige Belehrung erhalten konnten. Die Sacho
wurde dann ohngcfiibr betrieben wie bei uns in einem philologischen
Seminar. Der Tutor Hess irgend einen, bald diesen, bald jenen, einen
kurzen Abschnitt übersetzen, corrigirte, wenn entweder falsch oder nicht
elegant übersetzt wurde, knüpfte Fragen an die Ubersetzte Stelle und
nachte seine grammatischen , historischen und antiquarischen Bemerkungen.
Am Ende des ersten Termins wurde au vier auf einander folgenden Ta-
gen Examen abgehalten über das, was im Laufe des Termins abgehan-
delt worden war, und am Ende des dritten Termins, mit welchem das
erste Jahr sich schliesst, wieder an vier Tagen über die andern Gegen-
stände, die erst im weiten und dritten Termin vorgenommen waren. In
vielen Colleges, auch selbst in Trinity, findet nur Ein Examen am Ende
des Jahres Statt. In St. John's und einigen andern macht man diese
Theilnng , um die Gegenstände nicht zu sehr anzuhäufen. Das Examen
ist scharf und durchaus unparteiisch, theils viva voce, theils schriftlich.
Was jetzt folgt, bezieht sich blos auf die Studenten des ersten Jahres,
und zwar nur auf die in St. John's College, weil ich nur über diese
specialia habe erfahren können. Am Ende des ersten Termins wurde in
Gegenwart des Masters, Dr. Talharn, und einiger andern Officianten vivfi
voce examinirt über die ersten 4 Bücher des Euclid, über Paleys Evi-
dences, und über Stellen aus dem Tacitns. Ein Student musste nach dem
andern , so wie er aufgerufen wurde^ vor den Examinator treten. Aus
dem Eoclid musste er zwei Probleme, die ihm angedeutet wurden, ohne
Buch aus dem Kopfe lösen, zwei Fragen über Paley beantworten, zwei
ßtellen ans dem Tacitus übersetzen nnd auf zwei Fragen Antwort geben.
Fflr jedes Problem , das er ganz richtig löseto , für jede Frage , die er
richtig beantwortete, für jede Stelle, die er richtig übersetzte, wurde
eine gewisse Anzahl Zeichen hinter seinen Namen gesetzt. \" Aber dag
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328 Tiarka: Die Universität Cambridge.
♦
allergeringste Versehen machte dieser Zeichen verlustig. Alle werden am
Ende des Examens in 4 Klassen getlieilt, und diese Klassen werden ge-
ordnet nach der Zahl der Zeichen, die Jeder bekommeu hat.
Von viel grösserer Bedeutung war aber das schriftliche Examen.
Alle versammelten sich in einem grossen Zimmer, setzten sich an langen
Tischen nieder, auf welchem sie Papier, Federn und Dinte vorfanden.
Die Examinatoren legten Jedem ein gedrucktes Papier vor, das 21 al-
gebraische und arithmetische Aufgaben enthielt. Zur schriftlichen Lösung
derselben wurde ihnen dritlhalb Stuuden vergönnt. Nun ging's Schreiben
los. Nichts wurde gehört als die Federstriche. So wie die vergönnte
Zeit verstrichen war, musslen alle Federn niedergelegt werden, und die
Examinatoren, welche die Zeit Uber zugegen gewesen waren, nahmen
die angefüllten Papiere , mit den Namen der Schreiber bezeichnet, zu sich.
Für jede Aufgabe, die jeder Einzelne richtig und vollständig gelüsel hatte,
kamen diesem wieder eine gewisse Zahl Zeichen zu Gute. Es würde
vielleicht manchen Mathematikern nicht uninteressant sein , solche alge-
braische und arithmetische Aufgaben zu sehen. Aber ich wage es nicht,
die in diesem Examen gegebenen hier mitzutheileti , weil sie zu viel Raum
einnehmen würden, und die Zahl derjenigen, die sich dafür interessiren,
doch nur klein sein möchte. Sie sind selten ganz leicht. Die Herrn in
Cambridge haben eiue gewaltige Fertigkeit, immer neue aufzufinden. Weil
alle Aufgabeu gedruckt werden, so kommen die einmal gegebenen nie
wieder vor. An einem andern Tage, an welchem sie sich wieder zu
der ihnen bestimmten Stunde an ihre Tische gesetzt hatten, wurde Jedem
ein gedrucktes Blatt vorgelegt, das eiue Stelle aus einem alten histori-
schen Buche enthielt. Dieses musste ius Lateinische übersetzt werden,
wozu ihnen wiederum dritthalb Stunden vergönnt wurden. In jedem Col-
lege giebt es immer manche, die sich besonders auf Mathematik legen,
und deren Sache das Lateinschreibeu eben nicht ist. Diese liessen hier
die Augen Uber das ihnen vorgelegte Papier laufen, warfen es auf den
Tisch, setzten ihre Mütze auf und gingen davon. Ultra posse nemo ob-
ligatur, dachten sie vielleicht mit Justinian, und die Examinatoren konn-
ten nichts weiter thun, als hinter ihren Namen schreiben, nichts gelie-
fert, keine Zeichen. Die Fragen über das dritte Buch der Annalen, die
in diesem Examen, womit der erste Termin sich schloss, vorgelegt und
die schriftlich beantwortet werden mussten , theile ich vollständig mit, um
zu zeigen, wie viel erwartet wird, und weiche Kenntnisse diejenigen
haben müssen, welche den Erwartungen entsprechen können. Die Ab-
fassung der Fragen wird von den Vorgesetzten des College einem Fellow
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Tinrks: Die Universität Cambridge
329
aufgetragen , gewöhnlich einem solchen , der mit dem Unterricht nichts zu
thon gehabt hat, um Parteilichkeit zu vermeiden, indem der Unterricht
in den grösseren Colleges von mehreren Tutors in verschiedenen Klassen
gegeben wird. Einige andere Fcllows werden zu Examinatoren bestellt,
welche die gelieferten Arbeiten genau zu untersuchen und einem Jeden
die für seine gelieferte Arbeit verdienten Zeichen zu geben haben.
Die folgenden Fragen und Aufgaben wurden von Rev. John Spicer
Wood M. A. abgefasst, während Rev. A. M. Hoare II. A. und Rev. J.
Field M. A. Tutors gewesen waren. Weil Niemand ein Bnch bei sich
haben durfte, so waren die zu Ubersetzenden Stellen ohne Angabe der
Capitel des Buches abgedruckt, werden aber hier nur angezeigt, indem
Jeder, der auf die Sache einzugehen wünscht, leicht seinen Tacitus zur
Haod nehmen kann.
Taciti Anualium Lib. III.
St. John's College Dec. 1849.
1. Welcheu Bericht giebt Tacitus von der Clandischen Familie?
Was war ihr allgemeiner Charakter? Zeige vermittelst eines Stamm-
baums die Verbindung der verschiedeneu Claudischen Kaiser, und des
Geroianicus und der Agrippina mit dem Augustus und miteinander? Gieb
eise kurze Skizze von den mit dem Tode des Germanicus verbundenen
Begebenheiten, und erkläre die gegen Piso vorgebrachte Beschuldigung:
— petitam armis rem publicam, utque reus agi posset, acie vietnm.
Uebcrsetze cap. XX.
a) Was war das Wesen des imperiuiu währeud der Republik? der
lex curiata de imperio? Wie unterschied sich der Titel Imperator unter
den Kaisern von dem frühern Titel? War der von Tacitus erwähnte Fall
des Blaesus denen ganz gleich, die wahrend der Republik vorkamen?
Erkläre: nrbe egressus repetendis auspieiis.
b) Wie war der Zustand Deutschlands zur Zeit des Augustus und
Tiberiiis, sowohl innerlich, als auch im Yerbältniss zu Rom? Gieb die
Geschichte des Maroboduus. Wo lag sein Reich? Wie weit erstreckte
es sich? und was war das Wesen nnd der Zweck seiner Institutionen?
3. Uebersetze cap. XXIX. Welchen Titel und welches Geschäft
halten die Mitglieder des Vigintiviratus? uud welche Veränderung machte
Angostus darin? Wann durfte Jemand unter den Kaisern per legis quaes-
toram petere ? Wie wurden die Gesetze genannt, worauf angespielt wird,
und welche Tendenz battteu sie? Was bedeutet dignitas in der Angabe
des Tacitus :, dignitatem nostram a Vespasiano inchoalam, a Tito auetam,
■ Domitiane» longius provectam non abnuerim? Verbinde dieses mit
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S30
»
Tiarks: Die Universität Camaridge.
•ädern Aussagen, um dem Gebortsjahr des Tacitus aaf die Spnr zu
Konifocn.
4. Sora Asiae in eum, qui consolarinm Maluginensi proximus erat,
collata.
Wie thetlte Augustus die Provinzen ein , und nach welchem Grund-
salze? Wie waren die Provinzen Asiens nnd Afrika* von den übrigen
verschieden? Was meint Tacitus mit der Phrase, domi retinere, ange-
wandt auf die Verwaltung Aegyptens? Aus welchen Gründen hat man
vorgeschlagen, in der folgenden Stelle praetorem in proconsulem za ver-
ändern: nec multo post Granium Marcellum praetorem Bithyniae quaestor
ipaius Caepio Crispinus majestatis poslulavit?
s Wie wurden die Provinzen vertheilt? Worauf gründet Maluginen-
ais seine Ansprüche, und was wurde dogegen erhoben?
üebersetze cap. XXXII.
a) Was bedeutet concordia? Gieb mit Daten die Schrille an, die
flrmandae concordiae bis zur Erbauung des Tempels Concordiae genom-
men wurden. Gieb die Umstände an, welche zur Errichtung dieses Tem-
pels führten?
b) Erkläre deutlich die Natur des ager publicus und der possessio
und erläutere es durch neuere Analogien. Was war der allgemeine Zweck
der Leges Agrariae? Gieb deutlich die Uehel an, welche T. Gracchus zo
hejlen wünschte, und was er zu dem Ende vorschlug? Erkläre vollstän-
dig die Verhandlungen, auf welche in den Worten nec minor largitor
nomine senatns angespielt wird.
c) Erkläre das Verhällniss, in welchem die Italier vor dem Social-
Kriege zu Rom standen. Gieb ganz genau mit Daten die Begebenheiten
•o, welche zu diesem Kriege führten, den Forlgang und das Ende
desselben.
d) Gieb die Geschichte der Lex Julia und Papia Popp aea, wie such
einige von ihren Hauptverordnungen. Wann wurden die Beschränkungen
der Coelibes aufgehoben? üebersetze und erkläre
Natorum mihi jus trium roganti
Musarum pretium dedit mearum
Solus qui poterat: valebis uxor
Non debet Domini perire munus. (Marlial.)
Sedere in equitum liceat an tibi scamnis
Videbo, Didyme; non licet maritorum. (Martini.)
6. üebersetze cap. XXXIII.
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Tiarks: Die Universität Cambridge.
331
a) Gieb einen Beriebt über die Leges Sumptuariae. Was sagt Ta-
cilus ron der Abnahme des Luxus zu Rom?
b) Was isl die leitende Idee im Gebrauch des Coejunctivs ? Zeige
dieses in der eben gegebenen Steile. Fuhre Stelleu an , in welchen Ta-
cilus von frühern Schriftstellern im Gebrauch dieses Modus abweicht.
Verteidige das Tempus in der folgenden Stelle: tantumque severitate pro-
feclum, ut vexillum veteranorura , non amplius quingenti numero, easdem
Tacfarinatis copias praesidium aggressas fnderint.
7. Uebersetze cap. LXVII.
■3 Unterscheide zwischen interrogentur und inferrogarenfnr ? '
b) Erkläre die Bedeutung des Worts majestas. Wie ging es ru,
dass es so gebraucht wurde, wie es im Texte gebraucht ist? Aufweiche
Vergehungen bezog sich die lex majestatis wahrend der Republik? und
wie wnrde es unter den Kaisern ausgedehnt? Zeige durch Ausdrücke
and Stellen , die in diesem Buche vorkommen , die weite Ausdehnung der
Wirksamkeit dieses Gesetzes.
c) Was versteht man unter actor publicus und maneipium? Gieb
die Form an, wodurch maneipium bewirkt wurde. Zeige deutlich, was
der Zweck der oben erwähnten Verhandlung war,
• •* .
Zur Uebersetsung dieser Stellen und zur schriftlichen Beantwortung
dieser Fragen wurden drei Stunden vergönnt. Es wird freilich niemals
erwartet , dass irgend Jemand in dieser Zeit alle diese Fragen beantworte.
Man will aber gerne sehen, wer die ausgebreitetste und geläufigste Kennt-
nis» hat. Ehe die Studenten die Feder ansetzen, lesen sie gewöhnlich
das ganze Papier durch und fangen damit an, worin sie sich am besten
in Hanse fühlen, um so viel als möglich zn thun, und arbeiten fort, bis
ihre Zeit abgelaufen ist , und ihre Arbeit ihnen weggenommen wird. Viele
übersetzen zuerst alle Stellen, und sehen dann zu, welche Fragen sie
beantworten können. Auf die Quantität und Qualität des Gelieferten wird
gesehen , nicht auf die gegebene Ordnung. Nach der Quantität nnd Qua-
lität werden die Zeichen gegeben. Als das ganze Examen vorbei war,
werden alle Zeichen, die Jeder an den 4 Tagen erhalten hatte, addirt,
und die Klassen geordnet. Das zweite Examen fand Statt am Ende des
dritten Termins, also am Schlüsse des ersten Jahres. In der Mathematik
die Übrigen Bücher des Euclid, Trigonometrie, mündlich und schriftlich,
wie zuvor, algebraische und arithmetische Aufgaben, den erstem ähn-
lich, aber schwerer. Statt Paleys Evidences, Locke on Che human
understanding. Statt des lateinischen Exercitiums mnsste eine Stelle aus
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332
Tiarks: Die Universität Cambridge.
einem englischen Dichter in griechische Jamben übersetzt werden. Aber
die Zahl derer, die es wagten die Feder anzusetzen, war nicht sehr
gross. Dazu gehört Talent und Uebung, und wer nicht auf der Schule
eine Fertigkeit darin sich erworben hat, findet wenig Zeit, sich noch
darin zu üben. Die Versmacherei wird in den meisten Schulen stark
getrieben.
Von grösserer Bedeutung war wiederum das schriftliche Examen
Uber Sophocles Electra und Ober das Evangelium Matlhäi. Auch die in
diesem Examen vorgelegten Aufgaben tbeile ich vollständig mit, um io
der Angabe der Studien des zweiten und dritten Jahres kurz sein zu
können.
Sophoclis Electra.
St. John's College. Mai 1850.
1. Uebersetze: Tij; TCOif)os<uc rj jiev dia fnu,fjo£o>c SXt] ionv,
waitep O'j Xevai;, tporroio'ta ts xa» xo>uxt>dta, dC aTtocft&ias du-
TOD T0$ 7lO'.T}TOU — eSpOl{ 3' Sv Gt'JTTjV fJLoAlOTa TTOU h dlftüpa/lßoi;
Plat. Rep. III. p. 394. Erkläre die Anspielung in dieser Stelle. Zeige den
Ursprung und die Entwickeloug des tragischen Dialogs. Welche Regel bat
nach Hermanns Vermuthung bei der Anordnung und Verbindung der
Schauspiele geleitet, welche eine Trilogie bilden. Erläutere dieses durch
die Oresteia. Wer war der TpaYu>äoö'tokaaxotXo; ? Welche Schritte tbat
ein Dichter, um ein neues Stück auffuhren zu lassen?
2. Wann wurden die Pythischen Spiele eingeführt? Gieb die an-
dern Panhellenischen Feste an. Welche ahnliche Feierlichkeit riefen die
Athener wieder ins Leben? und wann? Wie wurde das Ende der Per-
sischen Invasion in der nächst folgenden Feier der Olympischen Spieler be-
zeichnet? Gieb die politischen Wirkungen an, welche durch diese Pan-
hellenischen Feste hervorgebracht wurden. Beschreibe die Lage von
Delphi und Cressa. Was war die Ursache und der Erfolg des ersten
heiligen Krieges? Wie gab er den Vorwand zum zweiten an die Hand?
Gieb eine Skizze von den Hauptbegebenheiten des letztern.
3. Uebersetze v. 42. ou r«p 3e — 48
a) Warum lässt Sophocles den Boten angeben, dass er von Pha-
noteus komme? Welche Idee ist verleiblicht in der Gegenwart des Py-
lades? Wie ist dieses von Aeschylus ausgeführt, und von Euripides nicht
berücksichtigt?
B) Erklare vollständig den Gebrauch von oü julvj und gieb Beispiele.
Ist die Leseart G7ioirciuaü)Otv in v. 43 zulässig?
4. Ueberselze v. 899 a>< Sb. — 915 Taw.Ttuia.
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Tiarks: Die Universität Cambridge. 333
d) Warum wird u.rfA gebraucht in 911? Ueb ersetze : Xfltl taut'
hc otxiav IXtouv kl &WWOV, oT jirj&e ßa&C«v i$rjv a&T(i>. Demosth.
Mid. §.21 aoch: xor ot foopurcaTOi To$e6ftaotv Ix «oXXou £x0VT€C
ÄXxjjv, oi; fii]£& STie/.DcV; ts ijv. Thuc. IV. 32. In y. 914 liefet Brun ck
IXav&av av ; zeige, dass diese Veränderung unnöthig ist.
ß) Zeige die Abstammung der Wörter tayM und iptvuc Welche
Ideen waren damit verbunden? Wem lag nach der frühem griechischen
Ansicht die Pflicht ob, Blut tu rächen? Wie konnte die Rache abge-
wendet werden und in welchen Fallen?
5. Leb ersetze v. 720 xeivo; 6° oV auxYjv. 735 <p£pü>v.
a) Beschreibe die vornehmsten Kämpfe bei den griechischen Spie-
len, und erkläre die Ausdrücke, welche oben vorkommen. Was ver-
sieht Herodot unter otxuz TeftpuntOTpd<pc<;?
p) Gieb ganz genau die Bedeutungen der Präposition Ix an, und
erläutere sie durch Beispiele. Gieb Stellen an, in welchen Sophoclea
transitive Verba als intransitive gebraucht. Was ist die gewöhnliche Be-
deutung der Verba in — etvü>-uvo> und — aivw?
6. Erkläre die folgenden Constructionen.
Hier folgen 6 Stellen, deren Construction etwas ungewöhnliches
hat. Zur schriftlichen l .'Übersetzung dieser Stellen und zur Beantwortung
der Fragen wurden wieder drei Stunden vergönnt.
Das Evangelium Mattbäi. Cap. I— XVIII.
St. John's College. Hai 1850.
1. Gieb einen kurzen Bericht von den vornehmsten noch vo Hin-
deren Handschriften des griechischen Testaments, sammt ihrem wahrschein-
lichen Alter. Gieb die Geschichte der Septuaginta. Wie kann man es
sich erklären, dass die Citationen im N. Testament und in frühem Kir-
chenvätern nicht völlig mit den Worten der Septuaginta Übereinstimmen?
Schreibe nieder, was du von der Hexapla, der Vulgate und dem Textus
Recentns weisst.
2. Was weiss man vom Matthäus aus seinem Evangelio? Wie
reden die andern Evangelisten von ihm? Wie können wir uns von der
Authenlicität dieses Evangeliums überzeugen? Welche Kotzer früherer
Zeit corrumpirten das ursprüngliche Evangelium?
3. Warum giebt Matthäus die Genealogie des Joseph und nicht die
der Maria? Wie gebt es aus dieser hervor, dass Jesus von David ab-
stammte? Wie weicht er von Lucas ab? v
Uebewetzc Cap. 1, 22—25.
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334
Tiarks: Wo Universität Cambridge.
Wann wurde dies« Weissagung gegeben ? Zeige , wie nichtig die
Bemühungen der Juden aind, diese Weissagung anders iu deuten. Er-
kläre genau den letzten Vers, und beantworte die Einwürfe, welche gegen
die Anwendung des Titels äsircapftivoc auf die Jungfrau Maria gemacht
worden sind. Welche Weissagung führt 'Bischof Pearson an zur Bestä-
tigung der Ueberzeugung der Kirche in allen Zeiten?
4. Uebersetie Cap. U, 6.
Gieb <4ie Worte Aiicua's , und erklare die scheinbare Verschieden-
heil. Wer waren die Magi? Wo kommt das Wort wieder im N. T.
vor, und in welcher Bedeutung? Welche symbolische Bedeutung hat
man aus ihren Gaben ableiten wollen?
5. Uebersetze Cap. VIII , 28—32.
Vergleiche dieses mit der Nachricht im Marcus and Lucas? Wie
lüsst sich die Verschiedenheit erklären? Was war der wahrscheinliche
Zweck des Wunders? Führe andere ähnliche an. Erkläre ~i tjuiv xat
ooi. Wie ist diese Redensart verschieden von xt rjuac?
6. Uebersetze Cip. XII, 31. 32.
Erkläre, was mit dieser Blasphemie gemeint ist. Citire den Ar-
tikel : Of Sin alter Baptism. Beweise aus dieser Stelle die göttliche Per-
sönlichkeit des heiligen Geistes. Welche Ketzer leugneten die Lehre, und
auf welcher allgemeinen Kircheaversammlung wurde diese Ketzerei ver-
dammt? Welcher Zusats wurde auf dieser Kirchenversammlung zu Einem
von den Glaubensbekenntnissen gemacht?
7. Gieb des Herrn Antwort auf die Frage: warum redest du zu
ihnen durch Gleichnisse? Zeige, wie man den verschiedenen Zweck, den
Matthäus und Lucas bei der Abfassung ihrer Evangelien hatten, in den
von iedem milpetheillen Gleichnissen erkennen kann Ciph lettre rfpn
Hauptunterscbied an , der in der Moral des Gleichnisses vom Unkraut und
vom Netze Statt findet, und zeige, wie beide zu demselben Zweck miss-
braucht worden sind.
8. Uebersetze S. Cyril. Hierosol. Catech. XVII, 85.
Gieb ganz genau den Unterschied an zwischen Xourpov fieTOVOt«;
und Xotrrpov TzoÜJ.tfsveriaz.
Wie weit ist die allegorische Interpretation historischer oder pro-
phetischer Schriften durch apostolisches Beispiel gerechtfertigt? Welche
Stelle aus Pauli Episteln verdrehten die Mystiker, M Gunsten ihrer Aus-
lcgungsweise?
So viel Uber die Studien des ersten Jahres. Alle, die durch die
Zahl ihrer Zeichen in die erste Klasse kommen, erhalten Belohnungen.
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Tiarks: Die Universität Cambridge 33 1
Jeder voi ihnen kann sieb Bücher wählen , die mit dem Einbände nicht
über zwei Pfand Sterling kosten. In St. John's wird gewöhnlich 150
Pfand jährlich dazu ausgesetzt. Die Examina in den andern Colleges
werden auf eben die Weise gehalten, obgleich die Gegenstände fast in
jedem College verschieden sind. Denn die Wahl hängt von dem Master
und deo ältesten Fellows eines jeden College ob. In der Mathematik
ffelit es in jedem College so ziemlich gleichen Schrittes von Termin zu
Termin vorwärts. ; .
Ehe ich zu deo Studien des zweiten Jahres tibergehe, muss ich
etwas vorgreifen, und ein Wort über die beiden Universitats- Examina
sagen, weil diese einen Einfloss auf diese Studien ausüben. Alle, die
fünf volle Termine hinter sieh haben, haben das erste Universitflts-Exa-
men zu bestehen. Dieses Examen heisst tbe previoos Examina tion , die
Studenten nennen es aber the little Go (der kleine Gang ins Senatshaus,
wo dieses Examen gehalten wird). Die Examinatoren werden vom Se-
nat ans den FeUows verschiedener Colleges erwählt, und die Anfgabea
werden schon im Laufe des ersten Jahres in jedem College durch einen
geschriebenen Anschlag bekannt gemacht. Die Aufgaben für dieses Exa-
men, das im April 1851 Statt finden wird, sind folgende: 1) das Evan-
gelium Marci, 2) Paleys Evidences, 3) die Geschichte des Alten Testa-
menls. Piatos Apologie und Crüo. Horotius Ars Poetica. Eecjids erstes
und zweites Buch, AJgebra und Arithmetik. Diejenigen, welche gut be-
steben, kommen in die erste, diejenigen, welche nur bestehen, in die
zweite Klasse. In ihren Klassen werden sie aber nur alphabetisch ge-
ordnet. Die Namen aller, welche durchgekommen sind, werden öffent-
lich bekannt gemacht, und erscheinen immer in den fünf Haupt-Zeitungen
Londons. Von dem, dar durchfallt, sagen die Studenten he bas been
plucked (er ist gepflückt worden). Diejenigen , welche durchlallen, kön-
nen sich xu einem zweiten Examen stellen, das im folgenden October
gehalten wird. Dieses Examen nennen die Studenten the post mortem
examinatioo. Kommen sie in diesem durch, so verlieren sie nichts, fal-
len sie aber auch hier durch, so verlieren sie ein Jahr, indem Niemand
zum zweiten Examen zugelassen wird , der nicht durch' s erste gekommen
ut Nach Ablauf des eilften Termins im Januar findet das zweite Uni*
versitäts-Examen für diejenigen Statt, welche ihr erstes Examen best an-
grosse Gang}. Diejenigen, welche in diesem Examen bestehen, werden
unmittelbar darauf zu Balchelors of Arts (baccalaurei Artium) gemacht,
auf eine Weise, die ich hernach ausführlicher beschreiben muss und genau
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336 Tiarki: Die Universität Cambridge.
beschreiben kann, indem ich im vorigen Jänner Augenzenge davon ge-
wesen bin. Das Examen ist ein zweifaches, und es steht einem jeden
gänzlich frei, zu welchem von beiden er sich stelle» will. Das Eine ist
für Candidates for Honors, das Andere für solche, die sich mit einem
ordinary degree begnügen. Die letzten werden Poll-men genannt (ot
rcoAAöQ , die ersten honor-men. Gewohnlich entschliesst Jeder sich, wenn
nicht schon früher, am Anfange seines zweiten Jahres , auf welches Exa-
men er sich vorbereiten will , und darnach werden von da an seine ma-
thematischen Studien geordnet, indem von den honor-men sehr viel, von
den Poll-men verhältnissmässig wenig erwartet wird. Von da an heisst
ea von dem Einen he reads for honors, von dem Andern he reads for
the Poll. Die Candidates for honors haben erst an drei auf einander
folgenden Tagen ein schriftliches Examen in den mathematischen Wissen-
schaften zu bestehen. Von dem, der durch dasselbe nicht kommt, sagt
man he hns been gnlphed, und ein solcher bat dann die Wahl, in den
Poll-men überzugehen und sein Glück unter diesen zu versuchen, oder
bis zum nächsten Jahre zu warten. Diejenigen , welche über die drei Tage
glücklich hinauskommen, werden dann an sieben auf einander folgenden
Tagen wiederum in der Mathematik und Astronomie , in Kirchengeschichle,
in der Apostelgeschichte und einer der längeren oder zweien der kür-
zern Epistel und Paleys natural philosophy examinirt. Die , welche durch-
kommen, werden in drei Klassen eingeteilt, je nachdem sie bestehen.
Die der ersten Klasse beissen Wranglers, die der zweiten senior opti-
nies (der englische Plural von optima), die der dritten junior optimes.
Der erste Wrangler heisst senior Wrangler, und bat nicht allein, wie
hernach gezeigt werden wird, grosse Ehre, sondern wird auch bald zu
einem Fellow seines College erwählt Den untersten der Wrangler nen-
nen die Studenten the golden Spoon (den goldenen Löllel), den unter-
sten der senior optimes the silver Spoon (den silbernen Löffel) und den
untersten der junior optimes the wooden Spoon (den hölzernen Löffel)
Die letzten zwölf der junior optimes nennen sich die zwölf Apostel. Die
Poll-men werden nach überstandenem Examen in vier Klassen getheilt.
Aus den Poll-men , welche durchfallen , wählen die Examinatoren oft noch
zwei oder drei ans Mitleiden aus, wenn ihre Aufführung während ihrer
universiiaihLeit gut gewesen ist una lassen sie mu üurcniouieu. uieso
werden the elegant extracts (die eleganten Auszüge) genannt.
(FortseUmg folgt.)
*
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Nr. 22. HEIDELBERGER 1851:
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
TlurkHi Die Vnlverflltut Cambridge.
(PorUeUung.)
Die andern Durchgefallenen können sich im October noch einmal
(post mortem examination) examiniren lassen, und kommen sie dann
durch, 10 erhallen sie ihren Grad und werden Bachelors of Arts, wo
nicht, so müssen sie bis zum nächsten Jahre warten. Nicht selten trifft
es sich, dass einige lustige Bursche sich mit Fleiss pflücken lassen, um
nur länger auf der Unirersilät im College bleiben zu können. Im liltlo
Go Examen kommen noch dann und wann komische Sachen vor. Wenn
solche rostige Bursche (fast men werden sie genannt, wahrend die fleis-
sigen reading men licissen) im Laufe des Examens deutlich sehen, dass
sie durchfallen werden, machen sie noch gern einen Spass, ehe sie ab-
gewiesen werden. Im letzleu Examen wurde Einer gefragt: which wero
the names of the twelve Apostles? (wie heissen die zwölf Apostel.) Er
antwortete: the first was Clay, and the secood was Craigh, but I do
not remember the names of the olher ten (der erste war Clay, der
iweite Craigh , aber ich erinnere mich uicht der Namen der andern zehn).
Er dichte an die letzten zwölf junior optimes dieses Jahres. Ein ande-
rer antwortete auf eine ihm vorgelegte Frage: I have <io idea of what
it tan be, bnt I hope you will be so kind as to give me some Infor-
mation on the subject; it might be useful to me in afler-life (ich
habe keine Idee davon, was es sein kann, über ich hoffe, Sie wer-
den die Gttte haben, mir einige Belehrung darüber zu geben, es könnte
mir im nachherigen Leben nützlich sein). Vier Wochen nach diesem
great 60 , nachdem schon der Grad des B. A. ertheilt worden ist, folgt
noch ein Universitats- Examen in der klassischen Literatur. Zu diesem * '
wird Niemand gezwungen. Bis zu diesem Jahre konnten nur Honor-men,
Wringlers senior und junior Optimes sich dazu stellen, welche im Poll
in der ersten Klasse erschienen. Dieses Examen, wie auch das des Poll,
wird hernach näher angegeben werden. Es wurde hier nur darauf hin-
bedeutet , um es verständlich zu machen, warum die Studien derjenigen,
die ihre academische Laufbahn zur selben Zeit angetreten haben, von dem
tweiten Jahre an in manchen Stücken von einander abweichen. Die
XLIY, Jahrg. 3. Doppelheft. 22
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338 - Tiarks: Die Universität Cambridge.
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Candidates for honors, die nur fUr Mathematik Sinn und Geschmack ha-
ben und Wranglers zu werden wünschen , bereiten sich der Mehrzahl nach
nur auf die klassischen Aufgaben vor, die im Utile Go Examen vorkom-
men , und sobald sie dieses hinter sich haben , werden die Klassiker an
den Nagel gehängt. Diejenigen, welche die Klassiker der Mathematik
vorziehen, suchen in der letztern oft nur so weit zu kommen, dass sie
ihre Stelle unter den Honor-men oder in der ersten Klasse der Poll-men
zu Anden hofTen dürfen. Fleissigen und talentvollen jungen Leuten ge-
lingt es manchmal, in beiden eine hohe Stelle einzunehmen; Wranglera
zu sein und in der ersten Klasse im klassischen Examen zu erscheinen,
ist keine unbedeutende Ehre. Auch trifft es sich, dass diejenigen, die
nur so weit in der Mathematik zu kommen suchen, dass sie Honor-mea
zu werden hoffen , sich betrogen finden. Am Ende der drei ersten Tage
heisst es von manchen gulphed. Mit diesen sieht's dann Übel aus. Auf
das Poll Examen, das unmittelbar auf das andere folgt, sind sie nicht
vorbereitet, und haben wenig Hoffnung in die erste Klasse zu kommen.
Auf diese Weise wird ihre Hoffnung, im klassischen Examen hoch zu ste-
hen, oft gänzlich vereitelt.
Viele von denen, welche Candidates for Honors zu werden geden-
ken, nehmen schon im ersten Jahre Privat - Unterricht bei einem Fellow,
aber fast alle im zweiten Jahre , entweder in der Mathematik oder in den
Klassikern, oder in beiden. Die besten Fellows, die keine Tutors sind,
aber in ihrem Examen hoch gestanden haben, sind wahrend eines Terra
oft den ganzen Tag mit Privalstunden beschäftigt, wofür anständig be-
zahlt wird. Für L. 14 per Term geben sie täglich Eine Stunde, für
L. 7 per Term drei Stunden wöchentlich. Einen solchen Privat-Lehrer
nennen die Studenten a coach (eine Kutsche) und von dem, der einen
solchen bat, heisst es he has a coach (er hat eine Kutsche), oder he
is Coaching with so and so (er kutschirt mit dem und dem).
Um zum Studium der klassischen Literatur zu ermuntern, findet in
St. Johns College gleich nach dem little Go im April eines jeden Jahres
ein voluntary classical Examina tion Statt. Zu diesem können die Männer
des zweiten und dritten Jahres sich stellen, wenn sie wollen. Die Ge-
genstunde des Examens werden schon früh durch einen schriftlichen An-
schlag bekannt gemacht. Für's nächste Examen, im April 1851, sind fol-
gende bestimmt:
1. Cicero'* de oratore erstes Buch. 2. Die Wespen des Aristo-
phanes. 3. Das achte Buch des Thucydides. Das Examen ist schriftlich
und mündlich denen des ersten Jakes üluilich. Zugleich werden auch
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Tiarks: Die Universität Cambridge.
339
Uebersetzunflren ins Lateinische und Griechische in Prosa und Versen ire-
fordert Alle , die in die erste Klasse können , erbitten Belohnungen an
schönen Büchern.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen kann ick mich über die
Studien des zweiten und dritten Jahres kurz lassen.
Die Poll-meo gehen nicht Uber die Gegenstände hinaus, die in
iwlwtt a&JLdU€D York oro Iii öd | u o ei Dohiucn 1/11 zw t cd Jshf o d ur so den
mathematischen Vorlesungen Theil, in welchen diese Gegenstände abge-
handelt werden. Diese sind, ausser dem Euclid, Algebra und Arithme-
tik, Mechanics und Hydrostatics. Die Honor-men dagegen gehen weiter
und treiben sammt Mechanics und Hydrostatics auch Conics, Statics, Dy-
namics und Newtons prineipia, und zwar nicht allein in den College Ver-
lesungen, sondern sie bereiten sich auf diese unter der Leitung eines
Privatlehrers vor. Die eben angegebenen Gegenstände, die in dem so-
genannten liiile go Examen vorkommen , werden in jedem Jahre in allen
Colleges mit den Studenten des zweiten Jahres durchgenommen. Weil
es aber iu jedem College Manche giebt , die* im Lateinischen und Grie-
chischen nicht besonders beschlagen sind, so gehen die Tutors nicht be-
sonders tief in diese Gegenstände ein, sondern sorgen nur, so viel als
möglich, dafür, dass auch die schlechtesten durch 's Examen kommen.
D it*s c \orIcsuu^cn ^cwülircn d&licr such doli B ö^sc rn ^\ co i ^ Nutt^cn^ uod
wenn diese sich zu den Vorlesungen über die oben genannten Gegen-
stände des voluntary classieal Examen, die in jedem Jahre gehalten wer-
den, melden, so wird es ihnen vergönnt, die erstem nicht an besuchen.
Sie haben sich jedoch privatim auf jene Gegenstände vorzubereiten, weil
im Examen darüber keine Rückzieht darrauf genommen wird, ob sie diese
w^rÄc ä u o ^ c w l) es u c h t litt L) c u ö d ©■r ßicii t « ^^^us den S iuderitcn dos ä^tV^ Ii 01
Jahres viel zu schaffen macht , und von wenigen mit Lust und Liebe ge-
trieben wird , ist Paleys nsoral Pbilosophy. Wer aber die dafür im Exa-
men gegebenen Zeicbeu nicht verlieren will, mnss sich nolens volens
daran machen. Denn ausser dem Universitäts Utile go Examen findet für
die Studenten des zweiten Jahres auch noch ein College Examen Statt
Uber die im Laufe des Jahres abgehandelten Gegenstände, und zwar auf
dieselbe Weise wie im ersten Jahre, und diejenigen, welche wiederum
in die erste Klasse kommen, erhalten anch wiederum ihre Bücher-Preise.
Die Poll-men gehen auch im dritten Jahre nicht über die erwähn-
ten mathematischen Gegenstände hinaus, haben aber die Vorlesungen zu
besuchen, welche über die lateinischen nnd griechischen Schriftsteller und
die Bicher des N. Test, gehalten werden , die f ür s Poll Examen bestimmt
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Tiarks: Die Universität Cambridge.
worden sind. Diese sind für 1851 Euripides Medea, und das 44. Bach
des IM», im N. Test die letzten 14 Capitel der Apostelgeschichte und
der erste Brief an die Coriotber. In den beiden letztem werden auch
die Honoremen examinirt und haben sich desswegen auch darauf vorzu-
bereiten, aber mit den beiden erstem brauchen sie sich nicht zu beschäf-
tigen, wenn sie nicht wollen; und keiner von ihnen thut es, der sich
vor dem obengenannten gulphed ziemlich sicher fühlt. Die Honor-men,
die sich nur auf das Eiue der letzten Universität - Examina vorbereiten,
beschuftigen sich im dritten Jahre ganz besonders mit den höhere mathe-
matischen Wissenschaften und der Astronomie, und diejenigen, welche
auch ins klassische Examen zn gehen gedenken, studiren die Klassiker
besonders unter der Leitung eines Privatlehrers. In den langen Sommer-
ferieu, die vom Anfang Juni bis zum zehnten October dauern, bleiben
viele von den Honor-men, besonders die des letzten Jahres, die meiste
Zeit Über im College , um unter der Leitung eines Privatlehrers ihre Stu-
dien fortzusetzen. Für Honor-men, die eine hohe Stelle einzunehmen
wünschen, ist dieses unumgänglich nothwendig. In St. Jobn's College
herrscht ein solches Streben, dass von den 345 Studenten im August die-
ses Jahres über 100 sich im College aufhielten, um ihre Studien fortzu-
setzen. Fanllenzer werden in den Ferien in keinem College geduldet,
dürfen sich überhaupt nicht in Cambridge aufhalten. Diejenigen, welche
zu bleiben wünschen, müssen am Ende des dritten Termins um Erlaubniss
ansuchen, und diese wird nur solchen gegeben, von welchen die Tutors
überzeugt sind , dnss sie arbeiten werden.
Der letzte elfte Termin, der dem letzten Examen unmittelbar vor-
hergeht, wird zur Repetition aller Gegenstände angewandt, Uber die
Examen gehalten wird, und von welchen jetzt eine allgemeine Ueber-
sicht folgt.
1) Das Examen der Honor-men.
Jan. 2. Donnerstag Morgens von 9 —12 Euclid and Conics.
Nachmittags von 1 J — 4 Arithmetic, Algebra and
Plane Trigonometry.
Jan. 3. Freitag Morgens von 9 — 12 Statics and Dynamics.
Nachmittags von 1} — 4 Hydrostatics and Optics.
Jan. 4. Sonnabend Morgens von 9 —12 Newton and Astronomy.
Nachmittags von 1J— 4 Problems in all the pre-
ceediug subjects.
Dieses sind die oben erwähnten ersten drei Tage , an welchen ent-
schieden wird, ob diejenigen, die sich einstellen, honors verdienen oder
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Tiarks! Die Universität Cambridge." 341
Bichl Wer keine honors verdient, wird jetzt abgewiesen, he \* gnU
phed. Für die derselben würdig befundenen folgen dann noch sie-
ben Tsge. /
Jio. 13. Montag Morg. von 9 —12 Natural. Philosophy.
Nachm. „ 1» — 4 Pure Hatbematioa. , . .
14. Dienstag Morg. „ 9 —12 Problems.
Nachm. „ i\ — 4 Natural Philosoph^! . s ; : *
15. Mittwoch Morg. „ 9 — 12 Problems.
Nachm. „ 4 Pure Mathematics. . i
16. Donnerst. Morg. „ 9 — 12 Problems. " - • m
Nachm. „ 1J— 4 Pure Mal Lemmies and Natural
Philosoph*. : \ ' ! '
17. Freitag Morg. „ 9 —12 „ V '
Nachm. „ 1i— 4
18. Sonoabd. Morg. „ 9—12 Paley and Ecclonastical Hiitory.
Nachm. „ 1{— 4 Acts and Epistles. f
19. Montag Morg. „ 9 —12 „ M ; •
Nachm. „ 124— 34 Paley and EccIeeiasticalHistory.
i*i •• .• »
2) Das Examen der PoU-raen. ... .... : . ,
Jan. 8. Mittwoch Morg. von 9 —12 1. Division Euclid. , ,
Nachm. n 12{— 34 2. Div. Arithmetic and Algebra-
a 9. Donnerst. Morg. „ 9 — 12 i. Div. „ n
Nachm. „ 12|— 34 2. Div. Enclid.
, 10. Freitag Morg. B 9 -12 l.Div. Mechanics and Hydro-
statics,
Nachm. „ 12^ — 34 2. Div. „ w . . /
„ 11. Sonnabd. Morg. „ 9 — 12 l.Div. Latin Subjecl.
Nachm. „ 124— 34 2.Div. Greek Subject.
„ 18. Sonnabd. Morg. „ 9 —12 l.Div. Paley and Ecclesiasti-
cal History.
Nachm. H 12J— 34 2. Div. Acts and Epistles. .
„ 20. Montag Morg. n 9 —12 l.Div. n ' * • [
Nachm. „ 124—34 2. Div. Paley and Ecelesiaati-
c«l Uitlof» m>.
„ 21. Dienstag Morg. „ 9 —12 l.Div. Greek Subject.
Nachm. 4 124—34 2. Div. Latin Subject. !
Am nächst folgenden Freitage, also am 25. Jan., wird das Resul-
ötTentlich durch einen Anschlag bekannt gemacht.
342 Tiarks: Die Universität Cambridge.
Die Ilonor-men bilden drei Klassen, Wranglers, Senior optimes, Junior«
optimal, die Poll-men vier, erste, zweite, dritte und vierte Klasse; und
in den verschiedenen Klassen werden sie nach Verdienst, nach der Zahl
der Zeichen, die jeder bekommen hat, geordnet. Schon am folgenden
Tage, 8m Sonnabend den 25. Jan., wird dann allen, die durchgekom-
men Bind, der Grad eines Bachelor of Arts ertheitt auf eine Weise, die
ich {etat zuerst angeben will.
Um diese Ceremonie mit eignen Augen anzusehen, ging ich im
vorigen Januar nach Cambridge. Obgleich das Senatshaus, wo die Ce-
remonie Statt findet, nie vor 10 Uhr Morgens geöffnet wird, so war es
doch schon um halb 10 Uhr von Herrn und Damen belagert, die einen
guten Platz zu haben wünschen. Der untere Theil des Hauses fasst eioige
Tausend Menschen, und alle Mitglieder der Universität, Fcllows, Masters
of Arts und selbst Fellow - Commoners haben das Recht , Freunde oder
Bekannte, Herren und Damen dort einzuführen. Oben zieht sich eine
ziemlich breite Gallerie um das ganze Zimmer. Hier haben die Under-
graduates und das Publikum Zutritt. Als die ThUre sich anfthat, entstand
ein solches Gedränge unter denen, die nach langem Warten zuerst hin-
einzukommen suchten, dass ich meinem Freunde, der mich einführte, zu-
rief: „man glaubt zu schieben, und man wird geschoben", und in we-
nigen Minuten war das Zimmer gedrängt voll. Nach einigen Ceremooien,
die in einem andern Zimmer abgemacht wurden, wurde der Vice-Chan-
cellor, von den Proctors und einigen Masters of Colleges begleitet, von
den Bedells nach seinem Throne geführt, alle in vollem Ornat. Der
erste Bedell rief den Vätern der verschiedenen Colleges zu, ihre Söhne
in Bereitschaft zu haben. Der senior Wrangler hat die Ehre, von dem
Vater seines College erst ganz allein dem Vice- Chancellor vorgestellt zu
werden. St. Jobu's College hat vier Jahre hinter einander die grosse
Ehre gehabt, den senior Wrangler zu produziren. Der Vater (ein Fel-
low und Tutor seines College) nimmt seinen ausgezeichneten Sohn bei
der rechten Hand und stellt ihn dem Vice - Chancellor mit diesen Worten
vor: Mgnissime Domino, Domine Pro* Cancellarie, et tota Universitär,
praesento Vobis hunc juvenem, quem scio tarn moribus quam doctrina
esse idoneum ad respondendum quaestioni, idque tibi fide mea praesto
totique Academiae.
Der senior Wrangler legt dem folgenden Eid ab:
I do sincerely promise and swear, that I will be faitbful and beer
true allegiance to her Majesty Queen Victoria, So help me God. I do
sweer, that 1 do Crom my beert abbor, detest, and ahjure es impious
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i Tiarki: Die Universität Cambridge. $43
and heretical that damnable doctrine and position; Thal princes cxcom-
municated or deprived by the Pope or any authority of the See of Rome>
may be deposed or mardered by tbeir subjects or any other whotsocvcr.
Aod I do declare, that no foreign prince, person, prekite, State or po-
tentate halb or ought to have any Jurisdiction, power, superiority, pre-
eminence or anthority ecclesiastical or spiritual within this realm. So»
neip nie uua.
Darauf lieset der älteste Praetor , der zur Linken des Vice-Chan-
cellors steht, ihm folgende Erklärung vor:
Affirmabis, quod nihil ex iis omnibus sciens volens praetormisisti,
qoae per leges et comprobatas consuetudines hujus Academiae ad hunc
gradum, quem ambis, adipiscendum aut peragenda aut persolvenda re-
quiruntur, nisi quatenus per Gratiam ab Academiae concessam tecum dis-
pensatus fueris.
Dabis fidem, quod Cancellario et Pro-Cancellario nostro comiter
obtemperabis; et quod Statuta nostra, Ordinationes et Consuetudines ap-
probatas observabis.
Dabis fidem, quod in Bibliothecam publicam et Museum honoratis-
simi Domini Vico-Comilis Fitzwilliam admissus, jure isto ita uteris, ut
quaotom in te est, nihil inde detrimenti capiat vel Bibliotheca vel Ha-
seum praedictum.
Dabis fidem etiam, quod Compositionem inter Academiam et Colle-
gium Regale factam, sciens volens non violabis. In haec autem verba
jurabis secundum tenorem senatusconsulti in cautelam jurantium facti.
Ita le Deus adjuvet et saneta Dei evangelia.
Nachdem der senior Wrangler darauf geantwortet hat: Ita afTirmo
el tla do fidem, kniet er vor dem Vice - Cbancellor nieder, legt seine
ausgestreckten Hände auf dessen Kniee. Der Vice - Cbancellor fasst beide
Hände und spricht folgende Worte : Auctoritate mihi commissa admilto te
ad respondendum quaestioni in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.
Amen, und nimmt die Mütze ab. Der senior Wrangler ist dann fertig.
Dann folgen zuerst die Väter von Kings, Trinity nnd St. Jobn's Colleges
mit ihren Sühnen; jeder Vater stellt aber nur fünf von diesen zugleich
vor, immer mit den Worten: Praesento vobis hos jnvenes, quos scio etc.
Dann folgen die kleineren Colleges nach der Seniorität der Väter and
thuo dasselbe. Wenn alle vorgestellt worden sind, stellen sie sich wie-
des in Parteien von fünfzehn nach ihren Klassen, Wranglers, senior Op-
times, junior Optimes, erste, zweite, dritte und vierte Klasse der Poll-
men, in der Ordnung, in welcher sie auf der Liste der Examinatoren
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Tiarkf: Die Universität Cambridge,
stehen , in einem Halbkreise um den Vice - Cliancellor. Der erslo von
jeder Partei legt im Namen Aller der Königin den Eid der Treue ab,
aber jeder Einzelne muss, während fünf ein ihnen vom Bedell gereichtes
Testament fassen, die Betheurungsworte wiederholen und das Testament
küssen. Wenn dieses geschehen ist, spricht der iiiteste Proctor: eadem
juramenta, quae praestitit Uenricua Guilielmus Besant (senior Wraugler
dieses Jahres} in sua persona, vos quoque praestabitis in vestris perso-
nis. Dann wird die genze Formel wiederholt. Affirmabis etc. und alle
fünfzehn, einer nach dem andern, sprechen i In olTirmo et ita do fidem.
Darauf kniet dann Jeder einzeln vor dem Vice - Chaucellor nieder, und
wird mit denselben Worten gerade wie der senior Wrangler aufgenom-
men, auetoritate mihi commissa. Diese Partei entfernt sich, die nächst-
folgende wird vom Bedell aufgerufeu, und dieselbe Ceremonie wird wie-
der durchgemacht. So geht es fort, bis Alle aufgenommen worden sind.
Der Anfangs ganz gefüllte Saal wurde gegen das Ende ziemlich leer, und
als die unterste Klasse daran kam, blickte man vergebens nach einem
andern Zuschauer um. In der letzten Abtheilung der untersten Klasso
erschienen ein paar Männer, die gewiss Uber 40 Jahre alt waren. Es
ist nämlich nichts Ungewöhnliches, dass Männer, die ein Geschäft treiben,
Lust bekommen, Prediger zu werden. Einige von diesen ziehen mit Frau
und Kindern nach Cambridge, wohueu dort in ihren gemielheteo Häu-
sern, lassen sich in ein College aufnehmen und gehen durch den vorge-
schriebenen Cursns. Aber ihre Köpfe sind gewöhnlich zu alt, und sie
kommen desswegen auch oft nicht über die unterste Klasse hinaus. Sie
erhalten ihr B. A sowohl als die andern und können sich , sobald sie eiue
Stelle bekommen können, beim Bischof melden und sich von dessen Caplan
examiniren lassen. Das allerdrolligste bei der ganzen Sache ist dieses.
Während dieser Ceremonie werden die Studenten oben auf der
Gallerie laut und erlauben sich die stärksten Ausdrücke des Wohlgefallens
oder des Missfallens über hohe und niedere Personen, z. B. Einer, der
dem Kanzler, Prinzen Albert, gewogen ist, schreit mit lauter Stimme:
three cbeers for Prince Albert (drei Hurrahs für den Prinzen Albert),
seine Gönner, fichreien Hurrab, aber sejne Gegner sucheu ihre Hurrahs
durch Zischen, Brummen und Heulen zu erstioken. Dann ertönt wieder
aus einer andern Ecke eine Stimme; three $toans for Lord John Kussel,
Die mit einer starken Stimme Begabten brummen und beulen wie Bären
und Wölfe. Der Herzog von Wellington war der Einzige , der lauter
cbeers bekam. Die Proctors und ihre Gehulfen, welche die Studenten
Bullenbeisser (bul dogs) nennen , sind als Wächter Uber Ordnung bei den
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Tiarks! Die Universitiit Cambridge.
345
lustigen Burschen gewöhnlich sehr verhasst , und dos three groans for tbe
Proctors and their bulUdogs, bleibt selten aus. Einige Damen hatten
sich bis zum Ellbogen des zur Linken des Vice - Chancellors stehenden
Proctors gedrängt, um den admittendis ins Angesiebt schauen zu können«
Mit einem Male Hess sich eine Bramorbassstimme hören: three cheers for
Ladies near the Proctors. Zwischen Trinity und St. John's College ist
grosser Wetteifer, nicht ohne Neid, indem Trinity sich in den Klassi-
kern, St. Johns in der Mathematik gewöhnlich auszeichnet. Ruft ein
Johnian: three cheers for the Master of St. John's, so stimmen alle
Johnians ein , aber die Trinitarians zischen und heulen und so vice versa.
Ist irgend «in Professor, Master oder Tutor eines College hei den Stu-
denten besonders beliebt, so bekommt er an diesem Tage seine cheers;
ist er aber verhasst, seine groans. Während dieses Lärms setzen der
Yice- Chancellor , die Proctors und der Bedell ganz ruhig, ohne sieb
an etwas zu kehren , ihr Geschäft fort. Als die Damen beschämt durch
ihre cheers, sich aas der Is'übe des Proctors entfernt hatten, schob ich
mich an ihre Stelle und hielt aus, bis der Vice -Chancellor die Sitzung
schloss.
Vier Wochen nach der Ertbeilung des B. A. Grades, findet dann
noch ein Examen in den Klassikern Statt, wozu, wie gesagt, nur Ho-
nor-men und Poll-men erster Klasse sich einstellen dürfen, aber es nicht
brauchen, wenn sie keine Lust dazu haben. Diejenigen, welche durch
dieses Examen kommeu, werden auch iu drei Klassen getheilt, und die
Gesammtzahl nennt man the classical Tripos. Dieses Examen wurde erst
in 1821 in Cambridge eingeführt, scheint aber mit jedem Jahre grösse-
res Interesse zu erregen, und alle Colleges suchen das klassische Stu-
dium zu befördern. Es wird auch schriftlich gehalten auf eine ganz ähn-
liche Weise, wie die oben angegebenen College Examen, nur mit dem
Unterschied, dass die Examinandi auch nicht im Entferntesten wissen,
worüber sie examinirt werden sollen. Ohne Buch, ohne Schreibmateria-
lien gehen die Candidaten ins Senatshaus, wo ihnen ihre Aufgaben ge-
druckt vorgelegt werden.
Da ich oben ein solches Examen genauer beschrieben habe, wiU
ich hier nur die Stellen angeben, weiche die Candidaten im letzten Exa-
men zu übersetzen hatten. An jede Stelle knüpften sich natürlich wie-
der manche Fragen, die aber hier, um Weitlau ftigkeit zu vermeiden,
weggelassen werden,
Montag den 17. Februar musiten von U— 11$ Uhr 26 Zeilen aus
einem englischen Dichter in griechische Jamben übersetzt werden, von
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Tiarki: Die Universität Cambridge.
121—34 Cie. in Q. Caeciliura Divinatio XVII. Cic.de Legg. II. 26. Tac.
Hiat. V. 13. Säet Vit. An*;. LXXIV. .
Dienstag den 18. Febr. von 9—11} Uhr 40 Zeilen ans Middle-
ton'a Life of Cicero in lateinische Prosa -, von 12 } — 3} eine kurze Stelle
aus Homers II. XII. 421 sqq.; aus Hesiods Theog. 847 sqq.; aus
Soph. Trach. 503; aus Aristopb. Plut. 265 sqq.
Mittwoch den 19. Febr. von 9— 11} 14 Zeilen aus Spencer it
lateinlache elegische Verse; 12 Zeilen aus Shakespeare in lateinische ly-
rische Vera«.
Donnerstag den 20. Febr. von 9— 11} 30 Zeilen aus Arnold'*
römischer Geschichte, und 20 Zeilen aus einem Buche, betitelt: Modem
* Pafaters, in griechische Prosa; von 12}— 3} Thucyd. IV. 60.61. Plalo's
Parmen. $. 14. 15. Arist. Etb. Nie. III. Dem. c. Timocr. §. 183—185.
Freitag den 21. Febr. von 9—11} 18 Zeilen aus Juv. Sat. VI.;
13 Zeilen aus Luc. Phars. IL ; 15 Zeilen aus Stat. Theb. VII. Aescb. Af.
1178—1107. Pindar. Nem. IV. 1-22. Theoc. Id. 145—149; von 12
—3} 20 Zeilen aus Plautus. Lucretius IV. 96—108. Aeneid. XI. 140—
169. Hör. Lib. II. Sat. VII. 75—94. Fasti III. 135—150.
Sonnabend den 22. Febr. von 9—12 Liv. XXII. 10. Caesar B.
Civ. IL 32. Cie. Epp. ad All. V. 21. Herod. VI. 53—55. Isaeus Ttspl to»
Atx. xXrjpoo 16.
Die Zahl der Wrangler war in diesem Jahre 37, die der senior
optimes 45, die der junior optimes 39. In der ersten Klasse des clas-
sieal Tripos 12, in der z weiten 7, in der dritten 10.
Am 31. October 1848 verordnete der Senat noch einen dritten
bonor-Tripos , genannt the Moral Sciences Tripos. Dieser tritt aber erst
In 1851 ins Leben, und es ist noch ziemlich ungewiss, ob viele sich
zu diesem Examen stellen werden. Nur solche dürfen sich stellen, die
achon Bachelors sind. Die allgemeinen Gegenstande, über welche ext-
minirt werden wird, sind: Moral Philosophy, Polilical Economy, Modern
History, General Jurisprudence, the laws of England.
Dazu kommen noch folgende speciellen: 1) Plato's Cbarmides.
Protagons. Rep. I. 2) Aristoteles Nie. F.th. 3) Cicero de Finibus.
4) Grotius de jure Bell, et Pae. I. 1. 5) Stewards Outlines of Moral
Philosophy. 6) Of Things Allowable. Die Examinatoren aind lauter Pro-
fessoren. Der Zweck dieses dritten bonor-Tripos ist, diejenigen zur Er-
weiterung ihres Studienplans aufzumuntern , welche nicht geneigt sind, die
sauren angreifenden Studien zu treiben, welche die Vorbereitung auf den
mathematischen oder klassischen Tripos unumgänglich nölbig machen.
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Titrkf! Die Universität Cambridge. . 347
»
Diese mussten sieb bisher mit dem Poll begnügen, und ohne hooors die
Universität verlassen. Aber die nöthigen Vorbereitungen auf das Poll-
men Examen nimmt die Zeit derjenigen bei weitem nicht in Ansprach,
welche gut vorbereitet zur Universität gehen und mit ziemlicher Leich-
tigkeit arbeiten. Der Zweck ist gewiss löblich, ob er aber den Erwar-
tungen entsprechen wird, ist noch ziemlich nngewiss. Unter den gegen-
wärtige« Studenten scheint er keinen besonderen Anklang gefunden
zu heben.
Hier ist nun vielleicht der passendste Ort, einige Worte über da«
Üben der Studenten einzuschalten. Bf ist schon erwähnt worden, das*
in den grosseren Colleges, besonders in Trinity und St. John's, bei wei-
tem nicht alle Wohnung erhalten können, und dass die Studenten de«
ersten Jahres sich gewöhnlich in der Stadt Zimmer mietben müssen. Aber
sie dürfen nur bei solchen Leuten wohnen, welche vom Vice-Chancellor
die Erlanbniss erhalten haben, Zimmer an Studenten zu vermieden, und
nur solchen Leuten wird diese Brlaubniss gegeben, an denen kein Makel
klebt. Jeder, der Zimmer au einen Studenten vermiethet, ist verpflichtet,
ein Bach zn halten, und jeden Abend darin zu verzeichnen, um welche
Zeit der bei ihm wohnende Student nach Hause gekommen ist. Eine
Abschrift davon muss am Ende eines jeden Monats dem Dean des Col-
lege, zu welchem der Student gehört, zugeschickt werden, und wer
überführt wird , ein falsches Verzeichnis gemacht und eingesandt zu he-
ben, verliert die Licenz, Zimmer zu vermiethen. An zwei Abenden in
der Woche darf ein Student bis 12 Uhr aus dem Hause sein, aber an
den andern Abenden nicht nach 10 Uhr, und daher ist es nach 10 Uhr
in den Strassen von Cambridge fast todtenstille. In den Colleges haben
die Pförtner dieses Verseichniss zu lialton. Die Wohnungen in den Col-
leges sind mehrentheils geräumig und beqncm. Jeder Student hat drei
Zimmer, ein Studienzimmer, Bettzimmer und eine Kammer für Kessel,
Kaffee- und Theetopf, Teller, Tassen u. s. w. Die Zimmer enthalten die
nötbigen Möbeln; und sobald ein Student seine Zimmer bezieht, werden
diese von einem vom College bestellten Manne taxirt, und der Betrag
wird auf seine Rechnung gesetzt. Nach zwei- oder dreijähriger Be-
nutzung erhält er aber bei seinem Abgange zwei Drittel von dem aus-
gelegten Geld« zurück. Es steht natürlich einem Jeden frei , sich seine
Zimmer zn verschönern und bequemer einzurichten ; aber will er die an-
geschafften Sachen zurücklassen, so muss er sich mit dem vom Taxirer
•
bestimmten Preise begnügen. Die Miethe für solche Zimmer ist, je nach-
dem sie gelegen sind, zwischen 12 und 24 Pfund Sterling des Jahres.
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Tiarks: Die ünivewitit Cambridge.
Die Aufwartung ist mir dürftig-. Jedes College stellt die nöthige Anzahl
alter Weiber an, die in der Stadt wohnen und einen guten Ruf haben.
Diese kommen frUh am Morgen, reinigen die Zimmer, xünden das Feuer
an, stellen das Geschirr zum Frühstück auf den Tisch und machen
das Bett. Des Nachmittags kommen sie bloss, um das Theezeug anf den
lisch zu stellen. Sie erhalten dafür von jedem Studenten ein Pfand Ster-
ling per Term. Alles Uebrige hat der Student selbst zu Ihno, und läset
er im Winter am Tage sein Feuer ausgehen, so hat er es selbst wieder
anzuzünden, oder muss im kalten Zimmer sitzen. Intime Freunde besu-
chen sich oft zum Thee auf ihrem Zimmer. Alle, auch diejenigen, welche
in der Studt wohnen, müssen im College zu Mittag essen. Die Tutort,
Fellows und Fellow-Commonera sitzen an einem erhöhten Quertische, die
Pensionen an iangeu Tischen längs der Halle, die Sizars an einem Ne-
bentische. Das Essen ist einfach, aber sehr gut und nicht übermässig
theuer. Weis wird selbst von den Tutors und Fellows nicht am Tische
getrunken. Wer Bier zu haben wünscht , hat besonders dafür zu zahlen.
Hat der Dean oder ein Tutor irgend einem Studenten etwas Besonderest
mitiutbeilen , sei es Angenehmes oder Unangenehmes, so geschieht es
gewöhnlich bei Tische durch einen besonders dazu bestellten Mann, z. B.
bat Jemand zwei Mal eine Vorlesung versäumt, so kommt der Mann,
klopft ihm auf die Schulter und sagt: Herr N. N. wünscht Sie za sehen,
und er mm sich einstellen, wenn er nicht Gefahr laufen will, relegirt
10 werden. In jedem College wird de* Morgens um 7 Uhr und des
Abends um 6 Uhr Gottesdienst in der Kapelle des College gehalten.
Einer von den Tutors oder Fellows , welche ordinirt sind , lesen die Mor-
gen- und Abendgebete aus dem Common - Prayer book und die Studen-
ten des zweiten Jahres , Jeder eine Woche lang , Einer den für den Tag
bestimmten Abschnitt sus dem Alten, ein Anderer den aus dem Neuen
Testamente. Ein solcher Gottesdienst dauert eine halbe Stunde. Alle,
die im College wohnen, müssen wenigstens 9 Mal die Woche, Sonntag
eingerechnet , und die in der Stadt wohnen , wenigstens 7 Mal dem Got-
tesdienste beiwohnen. An der inneren Thüre der Kapelle steht ein Mann,
der eine Liste aller Studenten des College bat, und ein Zeichen hinter
dem Namen dessen macht, der in die Kapelle tritt. Dieser Mann muss
am Ende der Woche dem Dean darüber Bericht erstatten, und ist Je-
mand ohne Ursache zu oft abwesend gewesen, so erhält er einen Ver-
weis vom Dean, welcher nicht unbeachtet bleiben darf. An den Sonn-
tagen und einigen andern Festtagen erscheinen Alle in einem weissen,
einem weiten und langen Hemde ähnlichen Gewände, genannt surptice.
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Tiarks: Die Universitär Cambridge.
An den andern Tagen erscheinen sie in ihrem gewöhnlichen gown, aus-
ser denen, die zu lesen haben. Diese müssen immer weiss gekleidet
sein. Einigen sind freilich diese Gottesdienste lästig; aber sehr Vielen
gewahren sie grossen Genuss, und diese lassen es bei der vorgeschrie-
benen Zahl nie bewenden , und es ist auch nicht zu bezweifeln , dass diel
schönen Gebete des Common-Prayer book und die vorgelesenen Ab-
schnitte des Wortes Gottes bei Vielen eine gesegnete Wirkung haben,
und dass dadurch in manchen, die ohne Sinn und Gefühl für Religion
kommen , ein religiöser Sinn erweckt wird , der im nachherigen Leben
schöne Früchte trügt. In Deutschland bespöttelt man diese Einrichtung
der englischen Colleges zu leicht und zu viel. Aber sie verdient das
wahrlich nicht. Ich habe mehrmals einem solchen Gottesdienste mit Freu-
den beigewohnt. An jedem Sonntage wird in der Universitäts-Kirche,
welche dem Senatsbause gegenüber liegt , des Nachmittags um 2 Uhr
gepredigt, und zwar abwechselnd von Mitgliedern der Universität, die
ordtnirt und wenigstens M. A. sind. Auch dieser Gottesdienst wird von
den Masters, Tutors und Fellows, wie auch vou den Studenten fleissi£
besucht. Aber sehr Viele beschränken sich nicht darauf, sondern besu-
chen auch noch des Morgens oder des Abeods eine Kirche in der Stadt.
Obgleich es auch in Cambridge nicht an solchen fehlt, welche ein
Instiges Leben dem Studium vorziehen, und sich lieber in einem Billard-
zimmer als in ihrem Studierzimmer aufhalten, so ist doch im Allgemeinen
das Leben der Studenten sittlich und ordentlich. Commersche und Trink-
gelage, Paukereien, wie sie auf deutschen Universitäten Statt finden,
giebt es hier nicht, und den meisten Studenten fällt es nie ein, in ein
Wein- oder Bierhaus zu gehen. Kartenspiel ist streng verboten. Die
Haaser in der Stadt, in welche die lustigen Bursche sich gern begeben,
werden von den Proctors und ihren Geholfen nie aus den Augen verlo-
ren. Ein Proctor bat das Recht, irgend ein Haus in Cambridge zu jeder
Stande des Tages und der Nacht zu durchsuchen oder durchsuchen zu
lassen, und sollte ein Student in einem Hause von üblem Rnfo ertappt
werden, so würde Relegation die Folge davon sein. Die Hauplvergatt-
gungen nnd Erholungen der Studenten sind: lange Spaziergänge in der
Mitte des Tages, die nicht leicht von Einem versäumt werden. Freunde
gehen natürlich gern zusammen; das berühmte englische Cricket- Spiel,
an welchem selbst Tutors und Fellows nicht seilen Theil nehmen, und
das Rndern in kleinen Böten auf dem kleinen Flusse Cam, der durch diu
Garten der Colleges fliesst , ja durch St. John's College , von welchem ein
Hof durch eine Brücke mit den beiden andern in Verbindung steht. Dia
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350 Tiarks: Die Universität Cambridge.
Studenten nennen diese Brücke den Isthmus von Suez. Ueber eine ta
grosse Beschränkung der Freiheit hat noch nie ein Student Klage erho-
ben, der ein Leben zu führen wünscht, wie es sich für einen gebildeten
und sittlichen Menschen geziemt im Geaentheil. sie freuen sich dieser
ernsten Disciplin, durch welche sie nichts verlieren, aber viel gewinnen.
Denn sie werden dadurch vor den Neokereien und Störungen der zur
Rohheit und Uusiltlicbkeit Geneigten sicher gestellt. Wie viel manche
jüngere Studenten auf den deutschen Universitäten von den filtern rohen
und wüsten oft zu leiden haben, und wie sie von diesen in ihren Stu-
dien gestört werden, weiss Jeder, der Student gewesen ist, und die Zahl
derjenigen, welche in spätem Jahren ein solches Treiben billigen oder
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Iii essen die Quellen, aus welchen unbemittelte und fleissige Studenten
Unterstützung erhalten können, in solchen Strömen als in England. Fast
alle öffentlichen Schulen baben Stipendien, welche Exhibilions genannt
werden, von 10 bis 80 Pfand jährlich. Diese werden, ohne Unterschied
des Standes denjenigen Schülern verliehen, welche sich besonders ans-
zeicbnen und die Universität beziehen wollen. Wenn sie die Universität
bezogen haben, erhalten sie am Schlüsse eines jeden halben Jahres das
ihnen bewilligte Stipendium, müssen aber jedes Mal ein von den Vorste-
hern ihres College ausgefertigtes Certificat einliefern, dass sie wahrend
des halben Jahres ihre Pflichten erfüllt und ein ordentliches Leben geführt
haben. Sie bleiben entweder drei oder fünf Jahre im Genuss desselben.
So erhielt mein Sohn bei seinem Abgange von der Schule der Mereers-
Company in London , in welcher er zehn Jahre unentgeltlichen Unterricht
erhalten hatte und drei Jahre primus in ordine gewesen war, ein Sti-
pendium von fünfzig Pfund Sterling jährlich auf fünf Jahre, wird ea
wenigstens noch anderthalb Jahre über seine Universitäts-Zeit hinaus
niessen. Die Zahl solcher Schulstipendien ist sehr gross , die meisten sind
von woblthätigen Privatpersonen gestiftet.
Mehrere von den Corporalionen der Stadt London haben auch
Stipendien von drei bis dreissig Pfind jährlich zu verschenken,
erhalten jedoch nur unbemittelte Studenten, die den Beweis liefern
nen, dass sie zur Vollendung ihrer Studien Unterstützung nötbig haben.
Die bedeutendsten dieser Corporalionen sind: die Goldsmiths Company,
Marcers Company, Merchant Taylors Company, Slonmongers Company,
Fishmongers Company. Die Mitglieder des Verwaltungs-Ausschusses ha-
ben darüber zu verfügen. Diese Stipendien werden gewöhnlich auf drei
Jahre verliehen.
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Tiarks* Die Univer&itiit Cambridge.
Aber noch viel bedeutender sind die Scholarships und Exhibitions
der College«. Jede» College bat deren viele, aber von sehr verschie-
denen Wert he, von fünf bis hundert Pf und jahrlich, gestiftet von rei-
chen und wohlthatigen Personen , die mit dem College verbunden waren,
oder von dem College selbst. St. John's College z. B. bat hundert und
vierzehn Scholarships nnd manche Exhibitions. Der 1839 verstorbene
Dr. Wood , Master dieses College und Dean von Ely , stiftete neun Ex-
hibitions, jede von 40 Hund jährlich, für fleissige und ordentliche Stu-
denten, welche Unterstützung nöthig haben. Diese werden gewöhnlich
den proper Sisars gegeben. Die Scholarships sind verschiedener Art,
viele bloss für Studenten, die in besonderen Schulen erzogen worden
sind, andere für nahe und entfernte Verwandten der Stifter, andere für
solche, die in gewissen Grafschaften geboren sind, und einige, die unter
keiner Restriction stehen. Alle werden auf fünf Jahre gegeben, und in
jeden Jahre wird eine gewisse Anzahl vacant. Der Master und die se-
nior Fellows wählen nach vorhergegangenem Examen in die vacanten
S Icll c q, W^cr ein ^cliolursiiij) crliult^ hört o u f sPtMisioncr zu soid ti d d
wird Scholar. Kein Sizar kann Scholar werden. Bei der Verleihung der
Scholarships , welche unter den oben genannten Restrictionen stehen, haben
der Master und die senior Fellows oft keine Wahl, und nicht selten er-
halten diese solche, welche sich keineswegs auszeichnen und sie auch
nicht wurden erhalten haben , hatten der Master und die Fellows völlige
Freiheit in der Wahl gehabt. Wo sie diese haben , geben sie die Scho-
larships denen , die in den College Examinibus , wie auch in dem beson-
dern Examen für dieselben am höchsten standen, aber sehr wenige er-
halten sie vor dem Anfange ihres dritten Jahres. Weil sie fünf Jahre
Scholars bleiben und die damit verbundene Einnahme ziehen, so ist es
ziemlich einerlei, ob sie im ersten, zweiten oder dritten Jahre erwfchit
werden. Die Vorsteher des College sind aber der Meinung, dass die
Aufschiebung der Wahl bis zum Anfang des dritten Jahres Vielen wah-
rend der beiden ersten Jahre zum Sporn dient, nnd lassen desswegen
gewöhnlich bis dann warten . obgleich sie sich niemals bestimmt darüber
aassprechen. Daher kommt es dann auch, dass in St. Johns College
nor 40 Uodergraduates Scholars sind , wahrend 74 schon B. A. geworden
nnd das College verlassen haben. Die Gesetze und Einrichtungen wegen
dieser Scholarships sind nicht in allen Colleges dieselben, weichen aber
in der Hauptsache so wenig von den angegebenen ab, dass es nicht
nöthig ist, von den andern etwas zu sagen. Manche, die sich schon auf
der Schale ein Stipendium erworben haben, und dann auch noch ein
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352
Tiarks: Die Universität Cambridge.
Scholarship erhalten, können ihre Ausgaben mit dem Ertrag derselben
völlig bestreiten, einige sollen sogar noch etwas übrig behalten. Denn
wer aich einschränkt, in den Ferien nach Hause geht und sich mit den
College Vorlesungen begnügt, ohne unter der Leitung eines Privatlehrers
zu studiren, kann, besonders in den kleineren Colleges, mit 80 Pfund
jährlich auskommen. Wer aber das ganze Jahr hindurch einen Privat-
lehrer hat, aich in den langen Sommer-Ferien im College aufhält und
aeine Bibliothek zu vergrössern wünscht, giebt ganz leicht, ohne im ge-
ringsten Aufwand zu machen, jährlich 150 Pfund aus. Der Unterricht in
den Colleges ist sehr billig. Fürs ganze Jahr zahlt der Sizar nur drei
Pfund, der Pensioner zehn, der Fellow- Commoner zwanzig, der Edel-
mann, d. h. der Sohn eines Peers vierzig. Die oben erwähnten Matri-
kulationskosten sind für einen Sizar 1 Pfund und 5 Schillinge , für einen
Pensioner 2 Pfund und 10 Schillinge, für einen Fellow - Commoner 5 Pf.
und für einen Edelmann 10 Pfund.
Ausser den College Scholarships und Exhibitions giebt es noch
viele University Scholarships und Belohnungen für gekrönte Preisschriften.
Einige sind nur für solche, die schon B. A. geworden sind, aber noch
nicht M. A. (Master of Ans ) werden können, nndere für Undergraduates,
einige für beide. Der Chancellor, jetzt Prinz Albert, giebt jedes Jahr
zwei goldene Medaillen, jede 15 Pfund an Werth, die im classical Tri-
pos am höchsten stehen, wenn sie zugleich im malhematical Tripos
Wranglers oder senior Optimes gewesen sind. Die beiden Parlamente
glieder für die Universität Cambridge geben zusammen jährlich GO Gui-
neen. Von diesen erhalten zwei Bachelors und zwei Undergraduates
jeder 15 Guineen für die beste Dissertation über einen gegebenen Gegen-
stand. Sir William Brown bestimmte im Jahre 1775 drei goldene Me-
daillen, jede fünf Guineen werth, für drei Undergraduates, eine für den
Verfasser der besten griechischen Ode, eine für den Verfasser der
besten lateinischen Ode, und eine für den Verfasser des besten lateini-
schen und griechischen Epigramms. Der Marquis Camden giebt jährlich
eine goldene Medaille für den Verfasser des besten lateinischen Gedichts
in Hexametern.
(Schluss fotyt.)
«
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Nr. 23. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBOGHER DER LITERATUR.
Tlark8t Die Universität Cambridge.
(Schluss.)
Rev. Robert Smith D. D., vormals Moster of Trioity College, ver-
machte ein Capital, hinlänglich, um jährlich von den Zinsen zwei an-
gebenden Bachelors, die sich in den mathematischen Wissenschaften aus-
zeichnen, jedem 25 Pfund zu geben. Die höchsten Wrangler erhalten
diese Preise ganz gewöhnlich. Rev. John Hube , B. A. of St. Jobn'e
College, vermachte ein Capital, das 100 Pfund Zinsen tragt, wodurch
der Verfasser der besten theologischen Abhandlung in englischer Sprache
aber einen bestimmten Gegenstand jährlich belohnt wird. Um diese Be-
lohnung können Undergraduates sich eben so wohl bewerben als Bache-
lors. Aber Undergraduates, wenn sie auch die Fähigkeit haben, eine
solche theologische Abhandlung zu schreiben , können unter gewöhnlichen
Umstanden selten die dazu nöthige Zeit finden , und desswegen trägt ge-
wöhnlich ein Bachelor diesen Preis davon. Die Abhandlung muss der
Verfasser auf seine Kosten drucken lassen.
Die Freunde des General-Lieutenants Sir P. Maikland sammelten im
Jahr 1845 tausend Pfund, schenkten diese der Universität Cambridge und
verordneten, dass alle drei Jahre die Zinsen dieses Capitata zu Ehren
ihres verdienstvollen, verstorbenen Freundes verwendet werden sollten,
um den Verfasser der besten Abhandlung über einen mit der Ausbreitung
des Christentums durch Missionstbätigkeit verbundenen Gegenstand zu be-
lohnen. Um diesen Preis dürfen nur Bachelors sich bewerbeo. Die ge-
krönte Abhandlung muss der Verfasser nicht allein auf eigne Kosten
drucken lassen, sondern auch 150 Exemplare davon dreien Inatituten,
zweien Missions- Gesellschaften und einer Schule in Madras unentgeltlich
Riebard Burney, M. A. of Christes College, vermachte im J. 1848
der Universität 3500 Pfund, angelegt zu 3 Procent in den englischen
Fonds, und bestimmte die Zinsen dieses Capitata für den Verfasser der
besten englischen Abhandlung über einen moralischen oder metaphysischen
Gegenstand, über Gottes Dasein, Wesen und Eigenschaften, oder über
die Wahrheit der christlichen Religion. Kur Bachelors des ersten Jahres
XLIY. Jahrg. 3f Doppelheft, 23
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Titrks: Die Universität Cambridge.
dürfen sich um diesen Preis bewerbeo. Die gekrönte Abhandlung wird
auf Kosten des \ Hassers gedruckt.
Rev. C. W. Le Bas M. A., vormals Fellow of Trinily College, war
30 Jahre Lehrer an dem College der Ostindischen Gesellschart zu Hai-
leybury. Seine zahlreichen früheren Schüler sammelten vor einigen Jah-
ren ein Capital von 1920 Pfund und legten es an in den 3 Procent
Zinsen tragenden englischen Fonds, und bestimmten, dass zu Ehren ihres
geliebten Lehrers mit den Zinsen dieses Capitals der Verfasser der besten
Abhandlung Uber einen Gegenstand der allgemeinen Literatur, dann und
wann mit Bezug auf das jüdische Reich , alljährlich belohnt werden solle-
Auch um diesen Preis dürfen sich nur Bachelors bewerben.
Die Scholarships , worüber die Universität zu verfügen hat, siod
folgende: 1) Cravens, fünf Schotars, von welchen jeder jährlich 75 Pf.
•rb»m 2) Batties, ein Scholar, mit einer jährlichen Einnahme von
30 Pfund ; 3) Browue's, ein Scholar, jährlich 21 Pfund; 4) DaViea\
ein Scholar, 30 Pluud jährlich; 5) Beils, acht Scholars, jeder 50 Pf.
jährlich; 6) Pitts, ein Scholar, 50 Pfund jährlich.; 7) Porton' s, ein Scho-
lar, 60 Pfund jährlieh; 8) Tyrwhitfs, bloss für'a Hebräische, sechs
Scholars, von welchen drei jährlich 30 Pfund und drei jährlich 20 Pf.
erhalten; 9) Crossens, drei Scholars, jeder 20 Pfund jährlich.
Diese Scholarships werden auf sieben, fünf oder drei Jahre ge-
geben, und ist die Zahl der Scholars drei oder darüber, so findet ge-
wöhnlich jedes Jahr eine neue Weh» Statt. Die Examinatoren sind ent-
weder von den Gründern der Scholarsbips bestimmt worden, oder Werden
von dem Vice-Chanceilor ernannt. Gewöhnlich sind es Professoren oder
Masters dieser oder jener Colleges. Von diesen werden auch die Auf-
gaben bestimmt, und da diese ein tüchtiges Studium erfordern, so haben
diese Scholarsbips auf Tausende, die sich darum bewerben, einen be-
deutenden Einfluss fürs Lebeu, wenn auch die Wissenschaft, im deut-
schen Sinne des Worts, dadurch nicht besonders gefördert wird.
Es ist wohl kaum nölhig zu erwähnen, was aus dem Gesagten
ziemlich von selbst hervorgeht, dass das Studium, das in den Colleges
getrieben wird, kein eigentliches Fach-Studium ist. Alle, welchem Fache
sie sich auch widmen wollen , treiben grösstenteils dieselben Studien,
wenn auch Einige auf diese, Andere auf jene mehr Zeit und grösseren
Fleiss verwenden, und nicht wenige gehen uach Cambridge, ohne zu
wissen, welches Fach sie ergreifen wollen. Am besten ist unstreitig für
Theologen und Schulmänner gesorgt. Die oben genannten Hooor-raca
künuea ohne weitere» Studium in gelehrten Schulen als Lehrer auftreten,
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Tiarks: Die Universität Cambridge. 355
and wenn sie sich dem Schalamte widmen wollen, so sichert ihr Stand
im Universitäts-Examen ihnen auch eine baldige gute Stelle. Diejenigen,
die sich dem Dienste der Kirche widmen wollen, erhalten durch ihre
College -Stadien und die Vorlesungen einiger Professoren, wovon uoch
etwas gesagt werden wird, solche Vorkenntnisse und Anleitung zum
selbststandigen Studium, dass selbst solche, deren Talent nnr mittelmäs-
sig ist, sich leicht und sehr bald die zum Eintritt in ein Kirchenamt nö-
thigen Kenntnisse erwerben. Obgleich in drei Colleges, Cajus, trinity
Hall, Downing, etwas Jurisprudenz, wie es scheint, gelrieben wird, so
erhalten doch die Jurisien für ihr Fach nichts als allgemeine Bildung und
Geistesstärke. Und doch ist die Zahl derjenigen , die sich der Jarispru-
denz widmen wollen, stets bedeutend in Cambridge, und wenn es wahr
ist, was Lord Brougham diesen Sommer im Ober-Hause erwähnte, nem-
lich, dass die grössten und vorzüglichsten Richter Englands Cambridge
Wrangters gewesen seien, so ist es kaum zu bezweifeln, dass ihre ma-
thematiscbeir Studien ihnen eine besondere Kraft nnd Schärfe des Geistes
gegeben haben, und Ruhuken hatte gewiss nicht unrecht, als er im Elo-
gium Tib. Ifemsterhusii schrieb : Geometria animum a sensibus ad ea, quae
menfe contnemur, intelligendu traducit aeuitque in vero judicando. Et
qoisqoam dnbitabit, quin, qui hac diseiplina ingenium subegerit, etiam in
lileris oostris acutius cernat iis, qui nunqum attigefint pulverem eruditam?
Hemsterfiasio quid Gemetria profuerit, sciunt, qai vel scripta ejus cogno-
rint vel sermones. Quicquid ex ore exibat, quiequid literis mandabalur,
etiam in critico gencre, facile prodebat ingenium adsnetum geometricae
snbttliUti. Nihil samebat temere, sed a certo cognitis et perspieuis via et
ratiooe progrediebatur ad ea , quae inde necessaria conseentione effice-
rentur. Merkwürdig ist es auch, dass viele der vorzüglichsten Prediger
Englands Cambridge Wranglers gewesen sind. Der berühmte Henry Mel-
vill, der vielleicht jetzt von allen im höchsten Rufe steht, war im Jahre
i93i der zweite Wrangler. Obgleich Herr Melvill Vorsteher des Col-
lege der Ostindischen Gesellschaft zu Haleybury ist, nnd ats solcher eine
bedeutende Einnahme hat, wurde er 18 19 zu einer Stelle in der City
erwählt, die ihn verpflichtet, jeden Dienstag Morgen zu predigen, wofür
er jährlich 500 Pfund erhalt. Ein Verleger schickt jeden Dienstag einen
Schnellschr eiber in die Kirche, der die Predigt wörtlich niederschreibt,
die dann sogleich gedruckt wird, und wenigstens 6000 Exemplare wer-
den wöchentlich davon verkauft, ein Beweis, in welcher hohen AchtuBg
der Mann steht. Die Juristen müssen sich in England durch ein saures
mühevolles Privat -Stadium der englischen Gesetze die ihnen nüthigea
33*
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Tiarks: Die Universität Cambridge.
Kenntnisse zu erwerben suchen , und dieses Stadium fangen sie erst nach
vollendetem Universitäts-Cursus an. Die Mediciner slndiren eigentlich in
den Hospitälern, in welchen Vorlesungen über alle Theile der Hedicin
und Chirurgie aufs schönste mit der Praxis verbunden sind.
Humanitatis Studium ist es besonders, was in den Colleges der
englischen Universitäten getrieben wird und gefördert werden soll. Gerade
wie Hemsterhuis und Huhnken es haben wollten, wie es aber schon zu
ihrer Zeit in Holland und Deutschland aufgehört zu haben scheint. Dono
Ruhnken sagt in jenem Elogium: Hic locus me admonet, ut justum meum.
vel Hemsterbusii potius, dolorem et querelam eflundam. Veteres hoc
humanitatis Studium sapientissimo consilio tarn late patere voluerunt, ut et
mathematicas artes et pbilosophiam omnem complecteretur. Veterum auc-
toritatem secuti sunt viri immortales , qui seculis deeimo quinto et deeimo
sexto, pulsa harbarie, pristinam bonis literis dignitatem restituerunt Ve-
rum brevi post exorti sunt literalores, qui, finibus Ulis latioribus per
summ am ignaviam contrahendis, sibi servarent Grammaticos , Oratores,
Poetas, Historicos, valere juberent Mathematicos et Philosopbos. Sic hu-
manitatis diseiplina, rebus magnam parlem ex ea sublatis, prope tote
facta est diseiplina verborum. Ex eo tempore philosophi ejusmodi Ute—
ratores cum arte sua contemserunt; liferat ores de bumaniorum literarum
conlemtione ad ravim usque declamarunt, ne illud quidem intelligentes,
sua culpa literarum dignitatem concidisse. Hos si ad majorum insiituta
revocare conemur, forsitan operam perdomus. Sed profecto, si reclis
eonsiliis locum dare velint, una superest ratio, qua et literas et semet-
ipsos a contemtu vindicare queant. Revellant terminos humanitatis, quoa
ignavia constituit, reeipiant in artium chornm, quas inde ejecerunt, et
Hemsterbusii exemplo, literarum Studium cum Mathesi et Philosophie con-
jungant. Ob das richtig ist oder nicht, Uberlasse ich andern au ent-
scheiden. In Cambridge halt man es für's Richtige, und meine Absicht
ist hauptsächlich zu referiren , was in Cambridge geschieht. Schölling und
Hegel kennt man freilich in Cambridge nicht, aber Plato, Aristoteles und
Locke werden nicht vernachlässigt. Auch wird wohl nicht leicht Jemand
leugnen, dass ohne Plato und Aristoteles Niemand ein gründlicher Philo-
soph je geworden ist, und es ist auch gewiss etwas Wahres in den
folgenden Worten Ruhnkeu's enthalten: Ceterum in Metaphysica , quae
vera certaque sint, et in quibus firme consistere possis, apud Veteres se
reperisse omnia dicebat. Novarum opinionum subtilitatem ut facile ag-
noscebat, sie earum le vitalem et inconstantiam vel hoc argumenta de-
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Tiark«: Die Universität Cambridge. 857
monstrabat, qnod quotiescunque novus Metaphysicus existat, toties prior
loco, quem tenuit, pellatur.
»
Bis zum Jahre 1849 war keio Undergraduate gezwungen, irgend
eine Vorlesung eines Professors der Universität zu besuchen. Die Col-
lege-Studien waren für Jeden völlig hinreichend, um Bachelor of Arte
zu werden, und die meisten Professoren kündigten ihre Vorlesungen ver-
gebens an. Jetzt sind alle gezwungen , wenigstens einige Vorlesungen
der Professoren zu besuchen. . Diese neue Verordnung wird in einem
zweiten Artikel über die Universität näher angegeben werden, in wel-
chem zugleich alles das, worauf hier nur hingedeutet werden konnte,
ausgeführt werden soll.
Die Pönitentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen, in ihrem
Wesen und Wirken , mit Vorschlägen tu einer verbesserten Straf-
Systeme. Von W. F. Moos er, Direktor der Anstalt. Mit acht
lühogr. Tafeln. St. Gullen. ScheiÜin t#. ZoUikofer. 1851. VI u.
344 S. gr. 8.
Ueber den rechtlichen und sittlichen Erfolg und Werth der Strafe
entscheidet die Antwort auf die Frage: Was aus der durch Gesetz und
Urtheil benannten und angeordneten Strafe in der Anwendung, also in
der lebendigen Wirklichkeit, erfahrungsmässig wird — Was sie wirkt
und ihrer Gesammtbeschaffenheit nach wirken kann. Das Gewicht dieser
Frage für die ganze Rechtsgesellschaft kann kein Denkender verkennen
und es fängt allmählich an auch von den Recbtsfachmännern erkannt zu
werden, die lange genug ihrem Beruf völliges Genüge gethan zu haben
glaubten, wenn sie nur nach dem todlen Buchstaben des Gesetzes den
Verbreebern die Rechnung gemacht hatten und nicht im Mindesten
danach fragten, ob dieselbe nicht ohne den Wir Iii gemacht sei d. h. ob
im Zuchthause demnächst im rechten Geist Gesetz und Urtheil vollzogen,
ob also mittels der Strafe wirklich dem Recht und Staat von Seiten
der Verbrecher, und umgekehrt den Verbrechern von Seiten des Rechts
und Staats, zu Theil werde Was ihnen gebührt und förderlich ist oder
nicht. Leider war Beides, Was untrennbar zusammenhängt, bisher in der
Regel nicht der Fall. Jeder Beitrag zur Beleuchtung des rechten Wegs
zu einem erfreulicheren Ergebniss muss willkommen sein und wir be-
grfissen als einen solchen auch die lichtvolle und verständige Darstellung
Digitized by
358 Mooier* I)ie PfoitenÜaranslaU Bl Jakob bei St. Gallen.
4es Verf. Auf diese aufmerksam zu machen, cinzeles besonders Merkens-
werte auszuheben auch für Solche, denen die Schrift nicht zur Iiand
ist und gelegentlich ein Bedenken auszusprechen um der guten Sache
willen, ist der Zweck dieser Zeilen. Wir knüpfen zunächst an die
Schlüsse au , die der Verf. selbst aus seiner zehnjährigen Verwaltung der
neuen s. g. AupunTscben Strafanstalt St. Jakob gezogen und zumeist im
letzten (10.) ^8P* & 325 IT. als „Ansichten über das AubunTsche und
Peunsylvanische Strafsystem und Vorschlüge zu einer yerbesserlen Straf-
rechtspflegeu ausgesprochen hat, und worauf sich der Wunsch stutzt,
den er in der, seine Schrift, als Bericht an den Kantonsrath von St. Gal-
len, eiuleilenden Ansprache kund gibt: „dass der Kantonsrath sich dar-
aus Uberzeugen möge, dass dessen Ziel durch Erbauung dieser Strafan-
stalt und die Befolgung dieses Strafsystems nicht völlig erreicht worden
sei und auf dem Wege nimmer erreicht werden könne, ja dass die
ganze Strafrechtspflege in ihrem jetzigen Bestände nie nnd nimmer zu
einem die Rechte der Bürger möglichst sichernden Ziele führe.* Wie
die Kantonsregierung und der Verf. dieses Ziel aufgefasst haben , erhellt
aus Folgendem. Ein Bericht des kleinen Raths (S. 13 ff.) Uber die Straf-
weise in den früheren Haftörtern des Kantons, zu St. Leonhard und im
s. g. grünen Thurm (der die Kettcnstrbflinge aufnahm), sagt: „Die Be-
nhandlung der Sträflinge stimmt ganz Uberein mit der anderer Staaten,
„wo man sich keine Rechenschaft vom Zweck der Strafe gibt und, ge-
dankenlos oder durch die Oertlichkeit gezwungen, die Uebung fortbe-
stehen lösst, die man von den Vorfahren kennen gelernt hatu — —
„daher kommt es denn auch, dass die Sträflinge das Zuchthaus in der
„Regel schlechter verlassen als sie es betreten haben" — „das Schellen-
„haus bleibt eine Schnle des Verbrechens für Diejenigen, die bei ihrem
„Eintritt noc|i leicht hallen gebessert werden können" — „Sühne fUr
„das Verbrechen ist nicht einziger Zweck der Strafe, Besserung ist ein
„ebenso wichtiger Zweck, den der Staat nie bei Seite setzen darf, und
„die bürgerliche Gesellschaft hat ein Recht zu fordern , dass ihr der Ver-
brecher wenigstens nicht schlechter wieder gegeben werde als sie ihn
„früher ausgestossen hatte. u Auch der Verf. sieht den Strafzweck
(S. 325) in Sühnung begangener und Vermeidung künftiger Verbrechen
entweder durch sittliche Besseruug oder Einschüchterung; die Strafe soll,
ihm zufolge, als Heilmittel für sittlich Kranke, alle diese Gefallenen auf-
richten, sie zur Einsiebt ihrer Schuld und der Gerechtigkeit der Strafe
(d.h. ih rer Notwendigkeit und Wohlthätigkeit für sie selber wie für das
Ganze Ref.) bringen, sie aussöhnen mit Gott, Nebenmenschen nnd ihrem
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<
Mooser: Die Ponitcnliaranstalt St. Jakob 1>oI St.' Gallen. 859
Schicksal, ihre geistige Wiedergeburt bewirken (S. 25) , dabei den Men*
sehen im Verbrecher möglichst schonen und als Selbsteweck ehren
(S. 29 f.); er verlangt klares Aussprechen des Strafzwecks im Gesetz
und innigen Zusammenhang desselben mit der Strafanwendung
in dem Hinwirken auf das gleiche Ziel; er fodert, wie Jeder der dal
Üben, zumal von Verbrechern, kennt, dass die Strafe ihrem Zweck an*
gepasst, nicht dieser, also der Geist, dem starren, todten Buchstaben
geopfert werde. Dass Diess nur geschehen könne mit Rücksicht auf
das während der Strafliaft wirklich Erreichte oder nicht Erreichte, ver-
steht sich von selbst. Auch der Verf. verlangt also, wie alle verstän-
digen Strafanstaltvorsteher, die wir je kennen gelernt haben, diese Rück-
sichtnahme. Er sagt z. B. (S. 267): Gnade, ohne vorheriges Gntacbteo des
Vorstandes, das auf unzweifelhafte sittliche Umwandlung lautet, wirke nnr
schädlich, da darin ein Mittel der Strafkürzung liege, ohne dass der
Sträfling seinen bösen Sinn geändert, also sie verdient zu haben brauche.
Er bemerkt dabei sehr richtig, wie höchst unrecht und die Besserang
hemmend, ja vereitelnd, das unzeitige HolTnnngmachen auf Gnade sei,
weil sich dann hierrauf alle Gedanken richten; er fügt aber ohne allen
Grand hinzu , dass Rückfällige n i e begnadigt werden sollten. Hat doch
er selbst aufgefodert, man solle billiger Weise eine gänzliche Um-
änderung eingewurzelter böser Neigungen bei Niemanden, vollends nicht
bei Verbrechern, in kurzer Zeit verlangen. Was ist nun Rückfall andere
als ein Beweis, dass eine solche Aenderung — gewöhnlich sogar durch
Mitschuld des Staats und seiner Strafanstalt — - noch nicht eingetreten,
dass also noch ferner darauf hinzuwirken sei, batd kürzer, bald län-
ger, aber doch wahrlich nicht gerade immer in der alles Rechtsgrandes
baren geometrischen Progression, wonach das Gesetzbuch von
St. Gallen die Rückfalle gestraft wissen will ! — Ebenso findet der Verf.
richtig Gnade am Ort, wo nach dem Wortlaut des Gesetzes der Richter
barter urtheilen roasste , als das Verbreohen nach heutigen Rechtsbe-
griffen es fodert uod wo „eine Verletzung der Hechtssicherheit nicht mehr
zo befürchten ist4* (m. a. W. wo schon anfangs der Ansatz einer so
langen Strafzeit unnölhig war oder hin tenn ach als onnötbig sich er-
wiesen hat Ref.}. S. 244 wird erzählt, dass, in Folge eines Berichts
des Verf. über die schlechte Aufführung eines Sträflings (der durch einen
Merkwürdig schlauen Betrug sich oftmals ins Krankenzimmer zu bringen
gewusst halte), die Antwort erfolgt sei: »dnss auf diesen Bericht die
Regierung sich bewogen gefunden, die Strafzeit, die in dem gefällten
Unheil auf wenigstens zwei Jahre festgesetzt sei, um ein Jahr zu ver-
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860
Mooser: Die PönitcminrarJstalt SL Jakob bei St. Gallen,
längern«, — eine Verlängerung, die geholfen habe, zumal da die Aus-
lieht auf abermalige Verlängerung im Hintergrund gestanden. Der Verf.
schlägt in diesem Sinn als wesentliche „Ergänzungsschule" der „Straf-
besserungsanstalttt ( wie er nicht Übel Pönilentiaranstalt verdeutscht) eioe
besondere „Bewahr- und Versorgungs (!)- Austalttt vor, worin er „auf
unbestimmte Zeit" 1) alle solchen entlassenenen Zuchthaus -Sträflinge unter-
gebracht („versorgt") wissen will, — gleichsam zufolge einer still-
schweigend mit jedem Strafurlheil verknüpften Bedingung — , die keine
rechtliche Aufführung in der Freiheit hoffen lassen oder sich seitdem deren
unwerth gezeigt haben (und die bisher in St. Gallen leider vom Schatz-
aufsichtverein in die Gemeindearmenhäuser empfohlen nnd unter die Ge-
meindepolizei gestellt worden seien), 2) — und zwar im Verwaltungs-
wege, alle solchen wirklich gefährlichen oder (!) öffentlicher Unterstützung
bedürftigen, ganz verwahrlosten, liederlichen Müssiggünger, Taugenichtse
und Verführer, die nicht einer Verbrechcustrafe verfallen wären. Aus
dieser Anstalt sollten die Gebesserten auf Vorschlag des Vorstandes „auf
Wohlverbalten hin", d. h. donec se bene gesserint, entlassen werden.
Erst dünn gebe es für die Sträflinge keine Hoffnung als durch Besserung.
So unsweifelhaft Diess aacb ist, so werden sich dennoch die Meisten
noch lange gegen alle Dem ähnlichen Vorschläge wehren, weil diese zu
hart Verstössen gegen die Vorurtheile, die leider noch herrschend sind.
Zugleich müssten nach dem Verf. die Arbeithäuser für Korrektionelle,
zwischen welchen ond den Verbrechern ohne Unrecht doch eine Gränze
nicht zu ziehen sei, aufgehoben werden (namentlich das St. Gallische zu
St. Leonhard), zumal da sie meist nur neue Auflagen der alten „Uu-
zuchthäuser« und Verbrecherschuleu seien, wie z. B. die 42% Rückfäl-
lige aus St. Leonhard bewiesen, die nur allein wieder ebendahin oder
nach St. Jakob gebracht worden seien, die andern ungerechnet Ebenso
müsse in St. Gallen die einfache Gefangenschaft, die noch jetzt viel ärger
sei als Zuchtbaus (wegen arbeitlosen Zusammensperrens mit Strolchen,
ohne Rath und Trost in unge wärmte, schlechte Gefängnisse) umgestaltet,
von 6 auf höchstens einen Monat beschränkt, endlich aber auch vor
Allem die Schändlichkeit der lebenlangen Ehrlosigkeit der Züchtlinge
beseitigt werden (S. 343 f.), bei welcher die Aussicht auf Uhren Wie-
derherstellung nur ein elender Trost sei. Wie oft wird doch diese ein-
fachste Foderung des Rechts und der Meuschlichkeit noch laut und nach-
drücklich geltend gemacht werden müssen, bis alle Gesetzgebungen uns-
rer Zeit ihr entsprochen haben! — In St. Gallen fand der alte Volks-
wahn, dass jede Berührung mit peinlich Bestrallen die Ehre beflecke,
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Mooser: Die TÄnilentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen. 361
(reuen Ausdruck und voll sie Nahrung im 70. Satz des G. B. von 1819,
der sie sogar ausschliesst „von jeder Zusammenkunft oder Gesellschaft
ehrlicher Leute/1 Diese Ehrlosigkeit alten Stils, die ein liebloses Zurück-
flössen durch alle Welt habe mit sich bringen müssen, wie der Verf. mit
Recht bemerkt, ist «war, sammt Pranger und Scbandsäule, durch das
neoe Gesetz über die Strafgatlungen von 1838 beseitigt und die bürger-
liche Ehre lebt nun von selbst auf mit Ablauf der Strafzeit, mit Aus-
nahme des Rechts der Stimm- und Wahlfähigkeit sowie des Zeugnisses,
das erst 10 Jahre spüler aufleben soll! (S. 34). Ebenso sind seitdem
(Kap. 3.) Öffentliche Zwangarbeilen und Ausstülpungen abgeschafft und
letxtere durch die (nichtöffentliche) Strafe von 15— 60 Stockschlagen (I)
ersetzt (wie in Russland die Knute durch die Peitsche Ref.), die Landes-
verweisung ist auf Fremde beschränkt , die Geldstrafe auf den Betrag von
100 bis 3000 (I) Gulden, die Todesstrafe, die nur einfach sein darf,
auf den Fall vollbrachten Mordes; die Freiheitstrafe aber hat die grosse
Ausdehnung von 3 Monateu bis zu einem Jahr erhallen und zwar, im
Gegensatz sur früheren Uebung, mit steter Aufsicht und Arbeit in der
Anstalt, Schlafen in Einzelzellen, Stillschweigen bei Tage, Einschränkung
der Lebensbedürfnisse auf das Unentbehrliche; den entlassenen Kantonsan-
gehörigen aber, die ein Vierteljahr bis zu 3 Jahren, gleich Bevogteten,
unter einen Schutzaufseber gestellt werden, muss fortan jede Gemeinde
die Niederlassung gestalten.
lo früherer Zeit war zwar (nach Kap. 1.) hn Gebiet des jetzigen
Kantons Gefaugnissstrafe schon vor dem 16. Jahrhundert üblich, ward
aber meist durch ürfede abgekürzt und schwere Verbrecher schickte oder
verkaufte der Fürslabt oft nach Venedig auf die Galeere, Was auch
im Rheinthal noch 1689 geschoben sei. Dem Ref., der nur wu9ste, dass
die Galeerenstrafe in Venedig selbst sehr bäaflg gewesen, weil man dort
Ruderknechte in Menge brauchte und sie am Liebsten umsonst hatte, war
diese Mittbeilung merkwürdig. Der Verf. berichtet ferner in seiner ge-
schichtlichen Einleitung, das erste Zuchthaus in St. Gallen habe Fürstabt
Beda 1781 gestiftet, die Gesetze von 1807 und 1819, deren letzteres
Aenderungeo des ersten keineswegs im Sinne der Menschlichkeit anordne,
enthielten noch für den ersten Rückfall bedingte, für den dritten unbe-
dingte Todesstrafe , die Freiheitstrare sei seltner und , zumal bei Fremden,
durch Pranger, Brandmark und Prügel, auch wohl (bei Landstreichern)
durch Lebenstrafe ersetzt, die gesetzliche Sonderung der Sträflinge nur
hinsichtlich des Geschlechts und der rückfälligen Weiber durchgeführt
worden. Einem „Zuchtmeister" habe Alles obgelegen, Pflege, Aufsicht
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362 Mooscr: Die Pönllentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen.
(an der die Slriflioge selbst Tbeil hatten), Arbeit der Züchtlinge, da-
her es an Allem fehlte, Zusammenschlafen und alle Greuel der alten
Unzucbtbäuser im Schwange waren , die Rückfälligen die Hälfte und drü-
ber ausmachten etc. Diess Alles änderte sich seit Beiiehung der Straf-
anstalt St* Jakob, die für Gemeinschaft bei Tage, Vereinzelung bei Nacht
l>erecbeet, für etwa 111,000 Gulden bei St. Gellen im Ganten sehr
zweckmässig erbaut und eingerichtet ward. Das 2. Kap. gibt die nähere
Beschreibung, die durch eine Anzahl guter Baurisse verdeutlicht wird.
Ilit dem Mittelbau in panoptischem Zusammenhang stehen drei Flügel, da-
xwischen sind in Garten verwandelte Spazierböfe. Der vorliegende Be-
richt ihres Vorstandes Uber das dort Geleistete während der 10 Jahr«
vom Anfang 1840 an bis zu Ende 1849, wo die Zahl der Gefangenen
93 betrug, ergibt eine Gesammtznbl von 518 (darunter 93 Weibern),
wovon 71 dort starben, also etwa 8°/0 (!). Diese ausserordentliche
Sterblichkeit hatte nach dem Verf. ihren Hauptgrund darin, dass in den
ersten Jahren nicht gehörig gegen Feuchtigkeit gewirkt war und eine
ganz misslungene Luftheizung bestand, bei der selbst Pflanzen zu Grunde
gingen und die seitdem durch eine höchst gelungene Dampfheizung «od
Lufterneuerung ersetzt ist; dass ferner Viele eine lange Untersuchungshaß
in schlechten Gefängnissen ohne Bewegung durchgemacht, zudem vorher
«ein wüstes Ubeu geführt hatten, endlich in ansteckenden Krankheiten,
die überall eine schlimme Sache seien, „wo die Stritflingo nicht in ge-
reumigeu, gehörig veatilirten und heizbaren Zellen völlig abgesondert
werden können.'- Fügen wir hierzu die übrigen Vorzüge der Ein-
zelhaft, die der einsieht volle Vorstand einer, altem Anschein nach,
musterhaften Strafanstalt auf Grundlage der Gemeinschaft zugesteht, und
die begreiflich um so mehr ins Gewicht fallen , so kann es uns nur freuen,
in der Hauptsache Das ganz bestätigt zu seheu, was wir darüber im
3. Stück des neuen Arch. d. Krim. H. v. 1850. Nr. 17. ausgeführt ha-
ben. Die Thatsache liegt vor, dass rückfällig im weitesten Sinn des Worts
fast nur Solche geworden sind, die unter zwei Jahren in St Jakob
zugebracht haben (nümlich 43 auf überhaupt — soweit bekannt — 55,
also etwa l/7 der Gesammtzahl von 384 entlassenen Sträflingen) 5 und
daraus scbliesst der Verf. , dass das daselbst herrschende System bei kurz-
zeitigen Haften keine guten Früchte briuge, ebenso auch nicht bei solchen
Sträflingen, deren Scham- und Ehrgefühl nahezu erstickt ist, denen Cha-
r ti Vi t l r uo d \Vill 1 1 1 s l\ r ti f t 3 L) ^ c 1 1 und (i 1 0 d j b c 1 «in c 1 11 fiidssi £ c s * Icictitsin"-
niges Leben sich gewöhnt haben. Bei ihnen könne nur Einzelhaft helfen;
sie kämen sonst nicht zum Insicbgehen , da das Beisammensein mit Andern
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Mooser: Bio Pam'lentiaranslan St. Jakob bei St. Gallen. 363
sie viel zu sehr zerstreue. Dieses habe überhaupt das Schlimme (S.331),
dass die Busen sich unter Ihresgleichen fühlen, auch ohne Mittheitangen,
daher ihr Trotz stammen Beifalls sich zu erfreuen habe, dass ferner ihre häss-
licbsten Leidenschaften (Missgunst, Schadenfreude, Unverträglichkeit etc.}
stets nene Nahrung finden und sie einander stets verfolgen, selbst nach
der Entlassung. Der Verf. lüsst nun einen Entlassenen eine an sich ge-
machte traurige Erfahrung darüber erzählen , die völlig genügt, »lies Lob
der Gemeinschaft, was er Demselben (auffüllend gezwungen und un-
beweisend) in den Muud legt, ganz zu entkräften. Der Verf. bestätigt
weiter, dass der Erfolg der Gemeinscbafthaft durchaus abhängig sei
von der allseitigen Tüchtigkeit der Angestellten (wahrend die EiozeHiaft
schon durch sich selbst Bedeutendes leistet); dass es diesen und zumal
dem Vorstand, wie wir am oben angef. Orte gezeigt haben, trotz alles
unpraktischen Verschreib ens einer bestimmten Zahl von Besuchen, ganz
unmöglich sei, persönlich mit jedem einzelen Strüfling zu verkehren, so-
bald die Anstalt, wie fast alle, zu bevölkert sei, während St. Jakob nur
zwischen 70 und 100 Sträflingen zu haben pflegt; dass nur die Zelle das
Individualismen möglich und für Zuspruch empfänglich mache, daher
auch die Geistlichen in ihr weit mehr wirken könnten als durch den Got-
tesdienst. Man nehme hinzu, dass eben weil nur hier das Individualismen,
die Grundbedingung jeder vernünftigen Erziehung, denkbar ist, die un-
natürliche ausnahmlos äusserlich gleiche Behandlung wegfallen kann und
muss, die mit Grund Hr. Mooser, selbst auf Kosten n*es Gefühls des Vor-
stands, bei der Gemeinschaft für nöthig hält, nur um jeden Schein der
Parteilichkeit zu meiden; dass Das, wodurch das unerlässliche Gebot
des Stillschweigens, nach dem Verf., den Meisten als Wohlthat erscheine
(S.228), durch die Zelle, aber ohne die Nalurwidrigkeit einer tantaiiseb
quälenden Versuchung, von selbst geleistet werde, ohne die grössto
Schwierigkeit der Beaufsichtigung, ohne zahllose Ordnungstrafen, ohne
Gefahr der Verschwörung, des spätem Wiedererkennens etc. Hiergegen
kommeo die einzelen Vortheile sicher gar nicht in Betracht, die das Zu-
sammensein allerdings haben kann , zumal durch Anregung des Wetteifers,
das Absehen mancher Handgriffe (S. 139) bei der Arbeit, überhaupt
durch das Beispiel von Ihresgleichen im Guten (was keinesfalls dem
Beispiel im Bösen die Wage hält! Ref.), das leichtere Erkennen des Cha-
rakters u. A. m., was der Verf. anführt. Er sagt , dass das, übrigens nicht
unbedingte, Verbot des Redens nicht durchzusetzen sei, verderbliche
Verständigungen aber in St. Jakob ebenso selten (?) als iu der Unter-
suchungshaft häufig seien, Verschwörungen bisher unerhört, wozu wohl
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364 Mooser: Di© Ponitcntiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen.
auch die Doppelstellung der Aufseber mitgewirkt habe, die zugleich die
(Gewerb-) Lehrer and von der Mehrzahl als ihre Wohlthäter angesehen
seien. Wie wichtig ihrerseits Pflichttreue, Takt und Festigkeit sei und
dasa darum, wie er federt, „ihre Wahl bedingt, ihre Entlassung unbe-
dingt in die Hand des Vorstands gelegt werden sollte**, wird Niemand
bezweifeln; denn gehörige Aufsicht und Behandlung der Sträflinge ist
offenbar für die Gefttngoisszucht am Wichtigsten (S. 204), mehr
noch als zweckmässiger (panoptischer) Bau des Hauses und strenger Ge-
aetzvoltzug. Die häufigsten Verstösse wären Unordnung und Unredlichkeit
und flössen meist aus übler Gewohnheit und Unachtsamkeit. Als Rechte
der Sträflinge, die sie eifersüchtig wahrten und zu mehren suchten, nennt
M. gehörige Kleidung, Nahrung, Gesundheitpflege, also auch nicht über-
flüssige Arbeit, das Recht nicht strenger als die andern, überhaupt in
jeder Hinsicht als Menschen behandelt, nicht in verschlechternde Umgebung
gebracht zu werden ( — ergo!), endlich über ihre Vorgesetzten Be-
achwerde führen zu können.
Ordnungstrufen, die nach dem Verf. sehr ungleich, ja ent-
gegengesetzt bei verschiedener Gemüthsart wirken, darf nach der Straf-
anstaltordnung (S. 59 ff.) nur der Vorsteher verhängen und er hat dar-
über Buch zo führen. Diese sind: Ermahnungen, Schmälerung der Kost,
ganz oder theilweise Verlust des Ueberverdienstes (zumal bei Trägheit,
Arbeitweigerung und boshaftem Schädigen von Werkzeug und Stoffen),
Einsamkeit bis zu 14 Tagen mit oder ohne magere Kost, Dunkelzelle
• bei Wasser und Brod, bis zu 8 Tagen (!) , zumal im Fall von Gewalt
und Beleidigungen, wiederholten Lügen, Diebstählen und Fluchtversuchen.
Bei letzteren und Drohungen sind auch Fesseln, jedoch nur mit Bericht,
statthaft. Ebenso ist fUr das maximura der Dunkelzelle und für die end-
lieb „nach Umständen" zu verhängenden, beziehungsweise (höchstens) 12
oder 18 Stock- oder Ruthenhiebe, Zustimmung des Aufsichtraths erfodert,
und hier noch ausserdem vorherige Androhung. Wir können es nur
bedauern, dass auch der sonst feinfühlige Verf. sich verleiten liess, für
dieses verführerische Auskunftmittel zu stimmen, weil „im Ganzen Ver-
einzelung, Hunger und dunkle Zelle nur langsam, nicht schnell und kräf-
tig, also nicht zureichend, und bei voller Anwendung nachtbeilig für die
Gesundheit wirkten (S. 249), überdiess die Deutschen leichter als Fran-
zosen und Ilaliener d emüth igen de (!) Strafen ertrügen" (!), — ver-
muthüch ohne immer bis zur Mordlust erbittert zu werden. Was die
Prügeleien, auch bei Deutschen, wirken, davon liesse sich manches Un-
erbauliche erzählen; Gutes wirken sie nie, da die Verbrecher sich
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Mooser: Die Pönitentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen. 365
schimpflich misshandelt fühlen. Dafür spricht auch die Miltheiluog des
Verf., dass die meisten der verabreichten Prügel — wovon also der
gute Erfolg jedenfalls die ersten Male ausblieb — „zwei heimatlose Bu-
ben" bekommen haben; nicht minder der Umstand, dass er selbst sich
einmal verfuhren Hess, mit Prügeln wenn auch nur zu drohen, um ein
Geständnis? zu erpressen , wozu doch schwerlich ein Richter, geschweige
ein Vorsteher einer Strafanstalt heute mehr irgendwo ein Recht hak
Aus der in 160 Sätzen bestehenden Strafanstaltordnung , die im
Ganzen sehr verstündig abgefasst ist, scheint uns ausserdem noch Folgen-
des bemerkenswertb : Nicht bloss das Strafurtbeil, sondern auch der
Schlussbericht des Verbörrichters wird dem Vorsteher der Anstalt mitge-
theilt; alle Sträflinge haben die ersten 4 bis 20, Rückfällige bis 40 Tage
in der Zelle zuzubringen (die der Verf. als Zuchtmittel auch bei sonst
herrschender Gemeinschaft für anwendbar hält bis zu 6 Monaten}. Alle
werden in 4 Klassen geschieden, deren erste — unbegreiflicher Weise!
— neben Denen, die sich schlecht betragen haben, bisweilen Solchen
die auf Lebenszeit verurtheilt sind, alle neu Eintretenden auf 3 Monate
nnd alle (Gewerb -) Lehrlinge auf ein Jahr enthalten und gar keinen An-
theil am Arbeitverdienst abwerfen soll, dagegen der 2., 3. und 4. Klasse
je 3-, 2- oder 1 monatlich ein Verwandtenbesuch oder Brief erlaubt und
je der 0., 5. oder 4. Theil des Arbeit Verdienstes als durchaus (von
Ansprüchen) freies, jedoch in Sterbfällen dem Staat zufallendes (!) Son-
dergut gutgeschrieben wird, wovon die 3. nnd 4. Klasse sogleich einen
Theil gut verwenden darf. Wo das Unterscheidende und der Vorzug
dieser Klasseneinteilung gegen die gewöhnliche liegen soll, die der Verf.
ganz verwirft, ist uns unklar geblieben, da es nirgends scharf angegeben
»L Wir begreifen nicht, wie man nach 2 ganz verschiedenen Gesichts-
punkten, „nach Fleiss und Betragen u und doch auch wieder „nach den
Berufarten a (S. 140) eine verständige Eintheilung zu Stande bringen will.
Die Kleider der Sträflinge werden über Nacht ausser der Zelle aufgehängt.
Diese gehen, die Hände anf dem Rücken (!), spazieren; sie wünschen
dem Aurseber gute Nacht, gehen nach 8 Uhr zu Bett ohne Licht, was
gar nicht in die Zellen darf. Wie Diess möglich gemacht wird, z. B. im
Winter beim Aufstehen um 6 nnd Anziehen, ist nicht gesagt. Von vor-
geschriebenem Beten der Sträflinge ist mit Recht keine Rede, wohl
aber von einem durch die Aufseher zu sprechenden Gebet. Die Ena- und
Erbolungszeit beträgt von Anfang März bis Ende Septembers 8 Vit sonst
2 Stunden (ein auffallend grosser Unterschied, der indesa Manches für
sich haben mag). Diese Zeit kann im Hof, im Arbeits al oder in der
* ■ ■ % . •
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366 Mooser: Die Pönitentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen.
Zeile angebracht werden. Keiner darf zur Aashülfe verwandt werden,
i. B. in der Küche. Jeder erhält 2mal die Woche je % Pfund Fleisch.
Der scharfe Arrest bringt „magere" oder Hunger-Kost mit sieb, nämlich
nur Ys Pf. Brod (sonst wird 1 und Weibern 2/4 Pf. täglich zu Theil)
und je den andern Tag 2 Schoppen Suppe (sonst jeden Tag 3 Schoppen,
Morgens, Mittags und Abends). Gesang beim Gottesdienst muss unter-
bleiben (warum?). Zum Unterricht im Lesen etc., zunächst für die weniger
als 34 Jahre alten Sträflinge, wird besonders auf die Geistlichen gerech-
net und bei den Weibern auf eine Aufseherin oder ein anderes von
Christeuliebe erfülltes Frauenzimmer, — was Alles uns eine sehr unzeitige
Sparsamkeit zu sein scheint. Jedem zu Entlassenden wird vorher das
(schreiend ungerechte Ref.) Rückfallgesetz vorgelesen und eio Schutzauf-
seher bestellt, der auch seinen Ueberverdienst zu verwalten hat. Die
Anstellungszelt bei der Anstalt ist, Wohlverhalten vorausgesetzt, ein Jahr,
beim Vorsteher 4 Jahre. Dieser schliesst die Verträge über Lieferung
von Lebensmitteln etc., darf aber nicht denselben Backer und Metzger
haben wie die Anstalt und weder Gefangene noch Bedienstete derselben
für sich brauchen. Er hat nur allein an Hauptbüchern 12 zu führen!
Der Werkmeister (von dem nicht klar ist, welcherlei Geschäft er eigent-
lich verstehen muss) darf sich, bei Dienstentlassung, nirgends selbst, zu
eignem Gewinn, beim Geschäftsbetrieb der Anstalt betheiligen. Die Auf-
seher sollen sieb vor aller Vertraulichkeit mit den Sträflingen hüten und
sie mit „Ihr" anreden, nicht mit dem bekannten „traulichen Du.u Männ-
liche (weibliche) Aufseher dürfen nie allein die Quartiere der weib-
lichen (männlichen) Sträflinge betreten und Keiner darf weder strafen
noch schimpfen.
Ein eigentliche Gefängnissgeseflschaft, die sich kräftiges Älitwirken
für die Besserung der Sträflinge während der Haft zum Ziel setzte,
besteht freilich nicht und kann begreiflieb, wenigstens mit Erfolg, nirgends
bestehen wo die Sträflinge in Gemeinschaft sind; wohl aber besteht ein
Schutzaufsichtverein zur Fürsorge für das Forlkommen nnd die sittliche
Förderung der Entlassenen, deren Jedem der Ansschuss jenes Vereins
einen Schulzaufseher bestellt. Die Geldmittel bestehen, ausser dem Son-
dergut der Entlassenen, aus milden Beiträgen Einzeler, der Mitglieder,
der Gemeinden, endlich des Staats. Dass man die Entlassenen nicht mehr,
wie Aussätzige, fliehe, sei schon eine gute Wirkung des Vereins. Die
Hälfte von 275 überhaupt entlassenen Kantonsbürgern führe sich ganz
klaglos auf und 102 davon konnten als ganz gerettet gelten (S. 313 f.).
Der Verf. theilt noch eine grosse Zahl Tafeln und Rechnungen über
das Wirtschaftlich© und die Verwaltung der Anstalt mit, wodurch der
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Mooser: Die Poniientiaranstalt St. Jakob bei St. Galten. 367
Ueberblkk sehr gewinnt, ebenso alle die Verwaltung und Beamten der
Anstalt, sowie deren Aufsichtrath („ Direktionskommission tt) betreffenden
Kantonalbeschlüsse, wovon hier nur bemerkt sei, dass die 5 Glieder des'
Aufsiebtraths, den der kleine Rath ernennt, je Uber das Sittliche, mit
Eiaschluss der Strafen und des Schutzaufsichtwesens, über die Hausord-
nung (woraus wir oben Einiges mitgctheilt haben), die Arbeit, die Ver-
pflegung und das Rechenwesen zu berichten haben. Viele treffenden nnd
sinnigen Bemerkungen im ganzen Buch geben sprechendes Zeugniss von
der Tüchtigkeit, mit der der Verf. seine Aufgabe als Vorstand denkend
und bändelnd erfasst hat, besonders auch das letzte und vorletzte (über
die sittlich-religiösen Zustände redende) Kap. Wir beben daraus und aus
dem 5. nnd 6. Kap. über die Gesundheit und Beschäftigung noch Einiges
aus. Blosses Bibellesen und Beteu, sagt der Verf. sehr wahr, bilde
nur Heuchler; eine Sammlung, auch von belehrenden Büchern, sei
nöthig. Die Aafgabe sei überhaupt, die bösen Gewohnheiten und Leiden-
schaften abzugewöhnen, blosses Einseben des Fehlers, vorübergehende
Reue und gute Vorsätze, kurzer Schlummer der sündhaften Neigung durch
Absebneiden der Gelegenheit, genüge nicht. Am Schwersten sei (Was
auch Obermaier bemerkt hat) den Charakterlosen und Gleichgültigen
beizukommen. Eine Hauptschwierigkeit liege überhaupt darin, dass die
Mehrzahl der sittlich Kranken selbst Sitz und Wesen der Krankheit nicht
erkennt und sie dem Seelenarzt möglichst verborgen hält. Zuerst sei das
äussere Leben derselben umzugestalten, Gehorsam (Gesetzachtung), an-
fangs mittels Furcht vor Strafe, sodann Ordnung, Reinlichkeit uud Arbeit-
samkeit ihnen anzugewöhnen, auch um der Gesundheit willen. Mit der
Arbeitlust, dio durch die Aussicht auf steigenden Ii eher verdienst und auf
das künftige Fortkommen, nicht minder durch die möglichst freie Wahl
der Arbeit, ja selbst durch eiu freundlich anerkennendes Wort, wie der
Verf. an mehren Beispielen zeigt, nicht selten merkwürdig angeregt werde,
erwaobe oft erst Gesetzachtung uud Einkehr bei sich selbst. So könne
die Arbeit ein Hauptbestandteil der Straferziehung werden und eine Wohl-
that für den Sträfling, aber freilich nur wenn sie ihn nicht zur lebenden
Maschine mache, nicht einseitig und allmählich stumpfsinnig, ihn nicht mit
Hass und Widerwillen erfülle oder seine Flüchtigkeit nähre, wie diess
Alles in Fabriken mehr oder minder der Fall sei; sie müsse vielmehr
seine Selbsttätigkeit wecken und nähren, ihm Freude machen konneu,
ihn beruflüchtig und erwerbfähig machen. Ref. freut sich sehr, hierin
der vollsten Bestätigung der Sätze zu begegnen, die er über die Gefäng-
nissarbeiten in dem oben erwähnten Aufsatz ausgeführt bat. Noch führt
der Verf. an, dass zuerst die Arbeit nur aus einer gewissen Leere nad
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368 Mooser : Die PönitentiaranMalt St Jakob bei St. Gallen.
Langweile gesucht zu werden pflege, dass bei auffallend Vielen auch das
Anschaffen eigner Werkzeuge Arbeitlust etc. geweckt habe. Er zeigt
sehr gut (S. 1 1 9 11 ) , wie verkehrt es sei, bestimmte Arbeitaafgaben zu
geben, weil es unmöglich sei, diese nach den Kräften richtig abzumessen,
ttberdiess der Gunst nnd Parteilichkeit dabei steter Vorschab geschehe.
Als Arbeit überverdienst kam in 10 Jahren allen Sträflingen zu Gut der
Betrag von 6088 Gulden, Einzelen bis zu 133 G. Besonders Handwerke
YOa 10 Hauptarten werden in St. Jakob uuter Leitung gewerb verstundiger
Aufseher betrieben, — Was bei einer volkreicheren Anstalt zu wenig
wäre. Für Sträflinge von höherer Bildung erwies sich besonders passend
die Buchbinderei. Mit allem Recht erklärt sich der Verf. ganz gegen das
10 häufige Wollespinnen und Waschen der Männer, als ganz unpassend,
aowie Überhaupt gegen alle zu anstrengenden oder das Atbmen beschwe-
renden Arbeiten (wohin aber doch wobl auch das Rosshaarzupfen zu
zählen wäre, das wohl kaum weniger als das Wollespinnen die Scbwind-
lucbt, diese Pest aller Zuchthäuser, befördert! Ref.}. Nie musste ein
Sträfling wegen Arbeitmangels feiern während 10 Jahren! Eine Hauptur-
sache des Wahnsinns (der in St. Jakob unter 548 nur 2mal entschieden
auftrat), zumal fixer Ideen, scheint dem Verf. zu liegen in dem Mangel
«ioer vernünftigen Geistesthätigkeit durch solche Arbeit, wobei Etwas zu
denken ist, wie er (S. 115) sehr gut zeigt; in Schweigzwaog oder Ver-
einzelung siebt er nur Nebenursachen. Ebenso gegründet ist ohne Frage
seine entschiedene Missbilligung des Verpachtens sei es der Arbeit der Sträf-
linge an Unternehmer, wobei zudem der Vorsteber leicht zur Null werde,
sei es der Verköstigung , oder gar das Halten einer Wirtbschaft auf eigne
Rechnung durch den Vorsteber, wie es auch in der Schweiz noch hie
nnd da vorkomme, — bei welch1 letzterem Unfug gar nicht mehr die
Rede sein könne von einer Straf- und Besserungsanstalt, vollends wenn
dazu der weitere Unfug komme, dass nicht Taback und, ausser als Arznei,
alle geistigen Getränke verbannt seien, dass Überhaupt die Allmacht des
Geldes noch ebenso wie ausser der Anstalt Unterschiede der Lage her-
beiführen dürfe. Sehr zu beachten scheint uns noch die Bemerkung
(S. 95 f.): dass genügende und genug abwechselnde Kost für die Sträf-
linge unerlässlich sei, um nicht den herrschenden Gefängnisskrankheitea zu
verfallen, weil ihnen die günstigen Bedingungen fehlten, uuter denen der
Freie auch eintönigere und geringere Nahrung ertragen könne ; dabenaman
auch iu St Jakob von dem einjährigen Versuch, nur e i n m a I die Woche
Fleischnabrung zu geben, wieder habe abgeben müssen. Zum Schluss
erwähnen wir noch, dass der Verf. dem Benennen der Sträflinge nach der
Nro. auch eine gute psychologische Wirkung beimisst (welche?), und
dass der Gesammtverdienst der Anstalt 70081 Gulden betrug d. h. 5697
Guldea weniger als die Verpflegkosten, wozu noch die Verwaltungskosten
mit etwa 50444 nnd das Sondergut aus dem Ueberverdienst mit 6087 G.
kömmt, so dass die Gesainmtkosten 141,310 G. während 10 Jahren aus-
machten, der erfoderliche Staatszuschuss mithin 62,229 Gulden.
Jhi. Bftder.
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Hr. 24. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Kriegs- und Staatsschriften des Markgrafen Ludwig Wilhelm von
Baden über den spanischen Erbfolgekrieg. Aus den
Archiven ton Karlsruhe, Wien und Paris. Mit einer geschicht-
lichen Einleitung und Facsimile, herausgegeben ton Freiherrn
Philipp Röder ton Diersburg, grossh. badischem Oberst etc.
2 Bde. in 8. Karlsruhe 1850.
Et ist ein höchst erfreulicher Beweis des unzerstörlichen Geistes
ernster wissenschaftlicher Forschung in Deutschland, wenn in einer so
stürmischen Zeit, wie die jüngst vergangenen Jahre, ein Werk von sol-
cher Gediegenheit, wie das vorliegende, zur Vollendung geführt werden
konnte. Der hochgeachtete Herr Verfasser, ein verdienstvoller Militär,
der seine ausgezeichnete Befähigung zu kriegsgeschichtlichen Arbeiten
schon vor einem Jahrzebent dnrch seine Beschreibung der Tttrkenfeldzüge
des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden bewiesen hat, liefert
uns in dem vorliegenden, von emsigen und gewissenhaften Studien zeu-
genden Werke die Geschichte des zweiten Abschnittes in dem vielbe-
wegten und thatenreichen Leben dieses vaterländischen Helden, eines der
grössteo Heerführer, die Deutschland je besessen, und auf den das Va-
terland noch in den spatesten Zeiten als auf einen seiner würdigsten Söhne
mit dem gerechtesten Stolze zurückblicken wird. Dieses Werk, in wel-
chem wir mit grösster Befriedigung eine vortreffliche Ausfüllung einer
wesentlichen Lücke in unseren Geschieht werken über das verflossene Jahr-
hundert erblicken, verdankt zunächst seine Entstehung einer Anregung,
welche dem Hr. Verfasser nach Herausgabe der Tttrkenfeldzüge des Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden von Seite Sr. königlichen Hoheit
des Grossherzogs Leopold von Baden, des erhabenen Beschützers und
Beförderers der vaterländischen Wissenschaft, geworden ist, und freudig
wird die Wissenschaft dem Herrn Verfasser das Zeugniss geben, dass
seine Leistung das ihm bewiesene höchste Vertrauen in vollem Maasse ge-
rechtfertigt hat. Insbesondere aber muss sich die deutsche Geschichts-
forschung Sr. königlichen Hoheit dem Gross herzöge von Baden, und
den Prinzen des königlichen Hauses zu grossem Danke für die werktä-
tige Unterstützung verpflichtet bekennen, wodurch eben so, wie früher
die Herausgabe der Geschichte der Türkenfeldzüge, so auch das Erscheinen
XL1Y. Jahrg. 3. Doppelheft. 34
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360 T. Röder: Kriegs- und Slaalsschriften des Markgrafen Lndwig v. Baden.
dieses Urkundenwerkes möglich gemacht worden ist. Sowie diesem Werke
eine allgemeine deutsche , ja eine europäische Bedeutung zukommt, da es
Ereignisse beleuchtet, welche Jahre hindurch alle Grosstaaten des west-
lichen Europa in die angestrengtesten politischen und kriegerischen Kampfe
verwickelten, so hat es eine ganz besondere Bedeutung für Baden und
sein erhabenes Rcgenlenhaus , indem es einen der ausgezeichnetsten Spros-
sen dieser erlauchten Familie, einen der bedeutendsten Männer seiner Zeit
überhaupt, in dem wahren Lichte seines Verdienstes und in dem vollen
Glänze seines Feldherrn-Talentes , so wie auch seiner acht vaterländischen
Gesinnung abspiegelt, und das an sich schon iu der Geschiebte bell strah-
lende Bild dieses grossen deutschen Heerführers von den Schalten befreit,
welche theiis Neid and Missgunst des Auslandes, theils der Unverstand
und die Leichtfertigkeit inlandischer Geschichtschreiber Uber einzelne Züge
desselben zu werfen sich nicht entblödet halten. Das vorliegende Werk
ist um so mehr zeitgemäss erschienen, als auch an anderen Orten sieh
die schriftstellerische Thäligkeit in der neueren Zeit der Forschung Uber
den spanischen Erbfolgekrieg zugewandt halte, und insbesondere der brit-
tische General Murray die zu Blenheim aufgefundene Correspondenz dos
Herzog von Marlborough von 1702—1712, und der k. k. österreichische
ObristUeutenant Heller die militärische Correspondenz des Prinzen Eugen
von Savoyen aus dem Kriegsarcbive zu Wien herausgegeben haben, und
letzterer insbesondere nachgewiesen halle, dass die Sartorius'sc he Samm-
lung der {unterlassenen Schriften des Prinzen Eugen von Savoyen unacht
sei. Mussle schon die Tbatsacbe, dass nunmehr feststand, dass den Ge-
schieh ts ehr eibern des dreizehnjährigen spanischen Erbfolgekrieges bis jetzt
wesentliche und unentbehrliche Quellen gefehlt hatten, dem Herrn Ver-
fasser zur Pflicht machen, die von ihm seit Jahren mit unausgesetzter
Beharrlichkeit und Opfern jeder Art gesammelte Correspondenz des Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden gleichfalls zu veröffentlichen, so fand
sich derselbe hierzu noch mehr durch die fast durchgängig wahrheitswi-
drige unwürdige Behandlung und Auffassung des Markgrafen in den mei-
sten gleichzeitigen Schriften veranlasst. Wir wollen hier mittbeilen, wie
sich der Herr Herausgeber hierüber selbst in dem Vorworte ausspricht,
da dies am besten erkennen lösst, was der Geschichtsforscher von der
Yorliegenden reichen Urkundensammlung zu erwarten hat , und was durch
dieselbe wirklich geleistet worden ist „In keiner Periode des thaten -
und ruhmreichen Lebens des Markgrafen liegen offenkundigere Thalsachen,
sprechendere Anerkennungsdocumente seiner unsterblichen Verdienste um
du Erznaus und deutsche Vaterland vor, und in keiner Periode neigen
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v. Röder: Krieg und Staatsschriften des Markgrafen Ludwig v. Baden. 871
sieb die Geschicbtschreiber selbst bis auf die neueste Zeit verbissener, sie
xn bestreiten , zu verdunkeln , und dem acht deutschen Helden den wohl-
verdienten Platz neben Eugen und Marlborough zu entreissen. So wird
er in des Engländers Coxe Leben und Denkwürdigkeiten des Herzogs
von Marlborough als ein abgelebter, grämlicher, ränkesüchtiger Neider,
als dos hemmende Prinzip aller arossen (_ oncentionen der beiden fnlleiren
dargestellt, und mit gewohntem Eifer, wenn es sich um die Unterdrückung
vaterländischer Verdienste handelt, sind ihm viele deutsche Autoren, und
namentlich Haussier im Leben des Prinzen Eugen von Savoyen blind-
lings gefolgt. Der Heransgeber der Denkwürdigkeiten des Marschalls
Cttinat gebt weiter: er glaubt sich auf der Spur einer verräterischen
CorresDondenz des Markgrafen mit dem französischen Heerführer, und
bringt zu seiner Entdeckung das Facsimile eines dem Markgrafen fälsch*
beb unterstellten Schreibens bei. Endlich finden sich in Hcller's oben
erwähnter militärischer Cprrespondenz Eugens zwei Briefe des Prinzen mit
verdächtigenden Zweifeln gegen die Treue des Markgrafen, die leider
schon wieder in Mailaths Geschichte des österreichischen Kaiserstaates
(4. Band der Gesch. der Europäischen Staaten von H eeren u. Uckerl)
ihren Weg gefunden haben, und von hier weitere Verbreitung drohen."
Es darf als das sichere , urkundlich documentirte Resultat der Forschungen
des Herrn Verfassers des vorliegenden Urkundenwerkes erklärt werden,
dass das Facsimile in den Denkwürdigkeiten von Catinat der Abdruck
eines Briefes des Herzogs Ludwig von Burgund, und nicht des Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden ist, und dass Prinz Eugen, als er dem
Kaiser Leopold die geheime Ueberwachung des Markgrafen zusagte,
sammt dem Kaiser als die Beute einer jämmerlichen Mystiication der auf
den Sturz des Markgrafen hinarbeitenden Feinde desselben am kaiserlichen
Hofe dasteht. Das vorliegende Werk enthält 357 Urkunden, welche der
Herr Herausgeber aus seiner mehr 1300 Documente enthaltenden Samm-
lung ausgewählt hat. Dem Abdruck der Urkunden ist eine geschichtliche
Einleitung vorangestellt (S. 1 100), in welcher der Hr. Verfasser eine
Uebersicht der Ereignisse und namentlich der kriegerischen ThäÜgkeit des
Markgrafen vom J. 1700—1707 (seinem Todesjahre) gibt Die klare
und concise Darstellung in dieser geschichtlichen Einleitung, die gleichsam
die Anweisung zur zweckmässigen Durchlesung der Urkunden, und den
Faden an die Hand gibt , an welchem dieselben an einander gereiht sind,
verdient alles Lob, und ist um so mehr anerkennungswürdig, als der
Herr Verf. der bei der Reichhaltigkeit des Stoffes sich so leicht darbie-
tenden Verlockung zur Weitschweifigkeit glücklich widerstanden hat Wir
34*
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372 v. Röder: Krieg«- und Staatsschriüen des Markgrafen Ludwig Baden.
erhalten in derselben in scharf und glücklich gezogenen Umrissen ein
frisches und doch wohldurchdachtes Bild der damaligen Vorgänge, na-
mentlich tritt der Ideengang des Markgrafen , das Eigentümliche seiner
Stellung und die Schwierigkeit derselben, auf deren richtige Auffassung
und Schilderung es hier zunächst ankam, sehr deutlich und wohlgeord-
net hervor. Wir müssen daher diese Darstellung jedem dringend nach-
zusehen empfehlen, dem es darum zu thun ist, sein Unheil über die da*
maligen Zeitereignisse, und namentlich Uber die Persönlichkeit des Mark-
grafen und seine Stellung zu den anderen beiden grossen Heerführern,
dem Herzog von Narlborough und dem Prinzen Eugen von Savoyen zu
berichtigen. Wenn man hier aus den Urkunden die unwiderleglichen Be-
weise sieht, wie der Markgraf von dem Kaiser gleichsam allein, ohne
Trappen , ohne Geld , ohne Kriegsmaterial , an den Oberrhein gestellt wor-
den war, mit der Aufgabe, die grosse Strecke von Basel bis nach Lan-
dau ohne alle anderen Hülfsqnellen, als sein Genie, zu decken, wenn man
da sieht, was der Markgraf mit der grössten und aufregendsten An-
strengung seines Geistes und Körpers acht Jahre hindurch gegen die un-
endlich überlegenen französischen Armeen geleistet hat, dann tritt erst die
ganze Heldengrösse dieses Mannes in das rechte Liebt, und kann nicht
▼erfehlen, die gerechte Bewunderung der Nachwelt zu fesseln. Freilich
erklärt es sich, dass ein solcher Mann, wenn er von Allem entblössr,
auf der Vorhut von Deutschlands Marken stehend , und die dem gesamm-
ten Deutschland drohenden Gefahren klar erkennend, bei dem kaiserlichen
Hofe auf die Beschaffung der nöthigen Mittel an Truppen, Geld und
Kriegsmaterial drang, um die Operationen am Oberrhein mit Kraft und
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Aussicht auf Erfolg vornehmen zu können, den Höflingen sehr unbequem
erscheinen mnsste. Eben so erklärt es sich, dass der Kaiser, wenn man
ihm vorlog , dass der Markgraf über mehr als 40,000 Mann verfüge,
während er alles in allem oft kaum 1 3,000 Mann, und unter diesen kaum
die Hälfte kainoffabig hatte, wenigstens für Augenblicke, bis diese fal-
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sehen Berichte durch die Thatsachen Lügen gestraft worden waren,
darüber zweifelhaft und bedenklich sein mochte, warum der Markgraf
nicht zur Offensive am Oberrhein übergehe. Was sich aber am leich-
testen begreift, ist die Bitterkeil und der Aerger, welcher sich des
nen Berichten über die geringe Zahl und mangelhafte Ausrüstung sei-
ner Truppen keinen Glauben schenkte, und ihm in Augenblicken, wo er
selbst kaum eine Hand voll Leute zu seiner Verfügung hatte, noch die
Zumulhung machte, canze Heffimenter als ihm überflüssi» zur Unterstützung
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v. Ruder: Kriegs - nnd Staatsschriften des Markgrafen Ludwig v. Baden. 373
de» Prinzen Engen nach Italien, oder des Herzogs von Marlborough an
den Niederrhein zu senden. Unter solchen Umständen verdient das Feld-
herrntalent des Markgrafen , der keinen Augenblick versäumte, wo irgend
ein Vortheil Uber den Feind zu erreichen war, der mit ungemeiner En t-
s ch I osso oh dt immer dl © r c i fl i c Ii s C 0 \ - e Ij rl c ^ u d iq^ \ p r h n o d ^ u o d boi der
grössten Ueberlegenheit des Feindes noch rettete nnd deckte, was nur
irgend möglich war, eine Anerkennung und einen Ruhm, der ihn jeden-
falls ebenbürtig neben seine beiden berühmten Mitfeldherrn, den Her*
zog von Marlborongh und den Prinzen Eugen von Savoyen stellt
Von hohem Interesse ist es, aus den vorliegenden Urkunden die viel-
fachen, ununterbrochenen Beweise der höchsten Achtung und namentlich
der hohen Anerkennung seiner Kriegserfahrenheit von Seiten des Prinzen
Eugen nnd des Herzogs von Marlborough zu entnehmen. Eben so in-
teressant ist es auch, die Kriegspläne des Markgrafen zu durchgehen.
Hierbei zeigt es sich namentlich, wie woblberechnet diese Plüne waren,
besonders der Feldzugsplan für das Jahr 1705, wonach gleichzeitig die
Offensive am Oberrhein und an der Mosel ergriffen werden sollte. Als
die von dem Markgrafen richtig vorhergesehene Folge der Nicbtbefolgung
dieses Planes, wobei man es auch ebenfalls wieder für unnöthig hielt,
ihm Truppen, Geld und Kriegsmaterial an dem Oberrhein zukommen zu
lassen, zeigte sich bald die Erfolglosigkeit der Unternehmungen des Her-
zogs von Marlborough an der Mosel — einerseits eine grosse Genugtu-
ung für die militärische Tüchtigkeit des Markgrafen — anderseits für das
Reich ein sehr trauriges Ereigniss. Dass die persönlichen Feinde des
Markgrafen nicht unterdessen, diese Erfolglosigkeit der Unternehmung des
Herzogs von Marlborough einer eigensinnigen Untätigkeit des Mark-
grafen zuzuschreiben , ja dass der Herzog von Marlborough selbst in dem
Umstände, dass er vom Oberrhein aus nicht unterstützt worden war, die
Rechtfertigung für sein gescheitertes Unternehmen suchte , ksnn nicht be-
fremden: dass aber zwischen dem Markgrafen und dem Herzog darum
kein gespanntes oder eifersücbtelndes Verhältniss bestand, zeigt sich am
deutlichsten daraus, dass der Markgraf, als er von den am Hofe zu Wien
gegen ihn ausgestreuten Verleumdungen Kunde erhielt, sich darüber be-
klagend an den Herzog von Marlborough selbst waodte, und von diesem,
dem der klägliche Zustand , in welchem man die kleine Armee des Mark-
grafen von Seiten des Kaisers gelassen hatte, wohl bekannt war, auch
die freundlichsten und ehrenvollsten Erklärungen erhielt. Fortwährend
hatte der Markgraf unterdessen bei dem kaiserlichen Hofe die dringend-
sten Vorstellungen gemacht, um von der Wichtigkeit des Oberrheines zu
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374 v. Röder: Kriegs- und Staatssrhriften des Markgrafen Ludwig T. Baden,
überreugen, und deingcmiiss den Kaiser dorl 10 einer grossortigeu Kraft-
entwickelung zu veranlassen. Seine Stimme fand bei den damaligen finan-
ziellen nnd militärischen Verlegenheiten des Kaisera kein Gehör — und
leider bat selbst unser Jahrhundert die Wichtigkeit eines festen militäri-
schen Verteidigungszustandes des Oberrheines und der Pässe des Schwan-
waldes noch nicht gehörig würdigen gelernt! Umsonst flehte der treue
Wächter an der deutschen Gränze — ein wahrer Markgraf — in Wien
auch selbst nur um Verbaltungsbefehle, da er mit seinen wenigen ver-
nachlässigten Truppen keine eigene Verantwortlichkeit weder für ein
System der Offensive noch der Defensive übernehmen könne: ab eil
achter Soldat seines Kaisers erklärte er sich jederzeit bereit, sieh mit
der gloria obsequü zu begnügen. Aber auch nicht einmal Verhaltangs-
befehle konnte er erlangen, sondern wurde stets auf sein eigenes Gut-
halten verwiesen, dagegen aber ihm nicht undeutlich zu verstehen ge-
geben, dass man von ihm mit Ungeduld grosse Kriegsthaten und Erfolge
erwarte. Solchergestalt geistig gleichsam auf die Folter gespannt, kör-
perlich an einer unheilbaren Wunde leidend , musste sich einer der erstes
Helden, die Deutschland je gehabt, aufreiben, mit dem Schmerze in
sterbenden Herzen, dass Deutschlands Kaiser und Fürsten ihm die weni-
gen Mittel vorenthielten, mit welchen sein grosser Geist ausgereicht ha-
ben würde, seine Sache siegreich zu behaupten und rasch den unheil-
vollen Krieg zu enden. Der Markgraf wusste, wie oft nnd hart er bei
dem Kaiser verläumdet wurde, war aber zu stolz, im Gefühle seines
Werlhes und seiner Treue , sich ande rs als gelegenheitlich in seinen Brie-
fen mn A»n Ifnisor *u rArMfurl i uam Dia CIaIIaii c*in»r *\ <■ I»rrw Ii« n ivaIpKa
iou au ucu naoci bu i ciuuci wg cu. i/io avcunii dviuci obuiviuou, ttciuuw
sich hierauf beziehen, lassen bei allem dem gerechten Unwillen, der sich
darin ausspricht, doch eine grosse Gutmütigkeit in dem Grunde seiner
edlen Seele nicht verkennen, die sich mitunter sogar in naiver Weise
ausspricht. „Mir gehet esu, schreibt der Markgraf Urk. 264 — „ posi-
tive auf solche Weis, indem nichts mehr auf der Welt geschiebt, das
ich nicht gethan haben muss, und bin ich dies zu meinem Leidwesen
dieses eine Zeit hero so gewöhnet, dass ich fast erschrecke, wenn mir
üble Zeitungen aus Spanien und Portugal kommen, weil ich besorge, es
werde mir auch die Schuld dessen in der Welt aufgebürdet werden." —
An einem anderen Orte schreibt der Markgraf an den Kaiser (Urkunde
342): „Ja ich kann nicht leugnen, dass es mir schmerzlich fallet, alle
Jahr accnsirt zu werden als wann ich etwas unterlassen thäte, was zu
E. K. M. und des publici Diensten gereichen könnte , und von einer klei-
nen und von allem destituirten Armee eben das prtdentirt werden sollte,
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v. Röder: Kriegs- and Staateschriften des Markgrafen Ludwig v. Baden. 375
was Armeen von 60 und 70,000 Blann vielleicht zu prästiren Mühe finden
würden.* An schmerzlichsten acheint ea den Markgrafen berührt En ha-
ben, dass die öffentliche Meinung über seine „Ehr- und Reputation« irre
geleitet werden sollte, wo er sich doch seiner grossen Anstrengungen,
seines rastlosen Eifers und seiner verhSltnissmässig zu seiner sehwachen
Armee beispiellosen und fast unglaublichen Erfolge bewusst war, oder
wie er sich ausdrückte , er noch keine Ursache gefunden hatte, sich über
die Hilfe Gottes und einer Discontinuation des Glückes „zu beklagen44
(Ork. 273). Wenn der Markgraf in diesem Schreiben die Hoffnung
ausspricht, dass durch seine Erklärung werde verbindert werden, dass
ihm „künftig nicht der Prozess in der Welt blindlings hin gemacht werde",
so ist diese gerechte Erwartung durch die dankenswertbe Bemühung des
Heransgebers der vorliegenden Urknndensammlung sicher in Erfüllung ge-
kommen. Die Geschichtschreibung hat durch die Feder des Herrn Ver-
fassers der geschichtlichen Einleitung ihren schönsten Beruf geübt, die
Ehre eines grossen deutschen Mannes von der Verunglimpfung des Neides
wmA Hpp ParthAilirtilrffit Amr 7«if ironnevon und Aar Roer )• mn»7 im er HnrrTi Aia
uuu uci i viMiwiiivuncit uci tiüiigcuusocii uuu uci uc9i-iiuiui£Uiig uuitu uro
leicniieriige nacn>precnerei nacmoigenuer uescnicnicnmacner una uescnicnt—
Verfälscher zn reinigen, und dem fleckenlosen Bilde die wohlverdiente
Strahlenkrone des Ruhmes wieder aufzusetzen. Selbst die Gegner und
Verunglimpfer der Verdienste des Markgrafen wagten nie, ihm vielseitige
Kriegserfahrung und Genialität abzusprechen: gleich ehrend für den Her-
zog von Marlborough und den Markgrafen aber ist die Art und Weise,
wie sie sieb ersterer nach dem Empfange der Nachricht vom Tode des
Markgrafen über dessen grosse Persönlichkeit in einem Schreiben von
17. Januar 1707 an den General Janus aussprach: und auch von Oester-
reichlicher Seite ist noch in neuester Zeit dem Andenken des Mark-
grafen eine wohlverdiente gerechte Würdigung geworden , nämlich durch
die Feder des Grafen Mailath in der Geschichte des Oesterreichischen
Kaiserstaates, worin dieser von dem berühmten Markgrafen sagt: „In 26
Feldzügen , 25 Belagerungen , in 1 3 siegreichen Schlachten hatte er sein
kriegerisches Talent bewährt: er war des Kaisers grös ster Feld-
herr, bevor Eugen auftrat." Erinnert man sich, dass zur Zeit des
spanischen Successionskrieges die Lage von Oesterreich noch verzweifel-
ter wer, wie in dem Jahre 1848, damals nicht nur ebenfalls der Krieg
in Italien und der Aufruhr in Ungarn wüthete , und die Ungarn bereits bis
vor die Thore von Wien streiften , sondern Uberdiess noch Frankreich die
Binde in Italien offen im Spiele hatte und einen Kampf mit dem Kaiser
an der ganzen Rheingranze entlang führte, dass Bayern mit den Feinden
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376 v. Röder : Krieg«- und Staatsschriften des Markgrafen Ludwig Baden*
Oesterreichs verbunden war , und die Übrigen Reichsfürsten , Preussen und
Hannover inbegriffen, den Kaiser nur höchst lässig unterstützten, tbeila
•ich ganz theilnahmslos verhielten, so wird man verstehen, was der
Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden für Oesterreich war, und
reich er sieb und seinem erlauchten Hause erworben hat. Die Vorsehung
hat noch jederzeit Uber das Oesterreichiscbe Haus in den gefährlichsten
Augenblicken ihre schützende Hand sichtbarlich ausgestreckt, und ihm in
der Stunde der Noth immer einen Kranz von „Männern der retten-
den Thatenu erweckt. Das grossherzogliche Haus Baden aber darf
sich mit gerechtem Stolze rühmen, dass unter allen diesen Männern kei-
ner, und Überhaupt unter den deutschen Fürstenhäusern keines ist, dessen
Haupt für den Kaiser und das Reich mehr geleistet, gewagt und geopfert
hätte, als der Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden. Der Herr
Verfasser, der so mannigfache Urtheile der Zeitgenossen Uber den Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden zusammengestellt hat, hat es
unterlassen, auch die Schilderung beizufügen, welche von ihm Rinck in
s. Leben und Theten Leopold 's des Grossen, Leipz. 1708 S. 172 gibt.
Wir lassen sie hier zur Ergänzung folgen, Uberzeugt, dass dem Herrn
Verfasser dieser kleine Nachtrag zur Charakteristik seines Helden nicht
unangenehm sein wird, nnd sich in mancher Hinsicht das Bild dadurch
vervollständigt uud in einzelnen Zügen seine Bestätigung erhält, welches
„Prinz Louis von Baden" — schreibt Rinck — „war ein rechter Kriegs-
mann und von Jngend auf zum Soldaten gemacht , wie er in dieser Pro-
fession erzogen war, also gelangte er vermittelst seiner natürlichen Nei-
gung zu den Waffen gar zeitlich zu einer ungemeinen Vollkommenheit
Er war voller Mutb, Hitze und Tapferkeit, hurtig, wachsam und in Ein-
richtung seiner Truppen gar ordentlich ; vom Werde kam er nicht leicht-
lieb, und grosse Dinge zu thun war er allezeit geschickt. Jedoch war
er such nicht gantz ohne Gebrechen , weil er mit seiner eigenen Meinung
gar zn feste bestünde und wenu er davon abtretten und dem, was andre
riethen, folgen sollte, that er es allemal ungerne und suchte immer et-
was von seinen eigenen Anschlägen einzumischen. Zu der Armee schickte
er sieb hesser als an dem Hof, weil er seiner Zunge den Zügel schies-
sen liess und die Fehler und Gebrechen der vornehmsten SlaatsminUter mit
allzu grosser Freiheit beurtheilte. Hierdurch machte er sich unterschiedene
Feinde, allein die Grösse seines Gcmüths und das Glück im Kriege hub
ihn empor über alle.«
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v. Röder: Kriegs - und SfaaUschriften de* Markgrafen Ludwig v. Baden. 377
Diesem Bilde erlauben wir uns nur noch eine einzige kleine Be-
frachtung beizufügen. Wahrlich der Markgraf LudwigWilhelm muss
ein grosser Mann gewesen sein, da selbst das, was an ihm die Zeitge-
nossen tadeln, seine offene, rückhaltlose, männliche und echt soldatische
Freiin üthigkeit, eine seltene Tugend ist. Hätte die Stimme des
Markgrafen durchdringen und am kaiserlichen Throne die verdiente Be-
achtung finden können, so wäre es wohl in vieler Hinsicht um Oester-
reich besser gestanden.
Zoepfl.
Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtkunde zur Be-
förderung einer Gesammlausgahe der Quellenschriften deutscher
Geschichten des Mittelalters herausgegeben ton G. H. Pertz.
Zehnter Band. Mit zwei Steindrucktafeln. Hannover. In der
Itahn'schen Hoßuchhandlung 1851 VI und 710 S. in 8.
Dieser sehnte Band einer in regelmässiger Folge die Herausgabe
der Monumenta Germaniae begleitenden Zeitschrift giebt uns eben so wie
der nächst vorhergehende, in diesen Blättern (Jahrg. 1848 p. 5 16 ff.)
besprochene Band die volle Beruhigung, dass das grossartige, in einer
besseren Zeit begonnene G es a mm t unternehmen nicht unter den Stürmen der
Zeit erlegen, sondern ungehemmt seinen geregelten, durch die äusseren
Verhältnisse nicht gehinderten Fortgang nimmt, und dass die frische Thä-
tigkeit der Männer, die ihre Kräfte und ihre Zeit zu diesem Ebrendenk-
mai deutscher Nation vereinigen, in keiner Weise durch äussere Ver-
hältnisse gelähmt oder erschlafft ist. Diess zeigen, abgesehen von so
manchen Mittheilungen im Einzelnen, an denen auch dieser Band reich
ist, insbesondere die grösseren selbständigen Arbeiten, die wohl die
Hälfte dieses Bandes füllen und zugleich als die notwendigen literarischen
Einleitungen und Erörterungen zu mehreren der in der Fortsetzung der
Monumenta demnächst erscheinenden oder zum Druck vorbereiteten Schrift-
steller erscheinen. Die ersten 74 Seiten dieses Bandes nimmt ein genaues
Register Uber die in den zehn ersten Bänden der Monumenta enthaltenen
Geschichtschreiber und Gesetze ein, von Herrn Dr. Wattenbach gefertigt,
welcher damit einem schon vielfach gehegten Wunsche entsprochen bat.
Darauf folgt (S. 45—86) der Abdruck eines von dem Herausgeber in
der Akademie zu Berlin (am 13. März 1848) gehaltenen Vortrages Uber
das Heldengedicht von König Heinrichs IV. Sachsenkriegen. Dieses Ge-
dicht, dessen unbekannter Verfasser — nicht Rupert, Bischof von Bam-
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378 Parti: Archiv Bd. X.
borg, unter dessen Namen dasselbe in einer unlängst erschienenen Lite-
raturgeschichte aufgeführt wird , während doch schon Goldast selbst diese
Vermuthung aufgab — durch seine eifrige Parteinahme für Heinrich IV.,
im Gegensatz zu Bruno und Andern, die Aufmerksamkeit lange auf sich
gezogen hatte, galt darum bisher für eine wohl zu beachtende, wenn
auch mit Vorsicht, eben aus dem bemerkten Grunde zu benutzende Quelle
für die Geschichte der Kämpfe jenes Fürsten mit den Sachsen: hier aber
wird zu zeigen versucht, dass der ganze Inhalt des in einer allerdings
guten , dem classischen Epos nachgebildeten Form gehaltenen Werkes statt
Thatsacben, nur Redensarten biete, dass er zunächst aus Lambert von
Hersfeld geschöpft, dessen Erzählung jedoch manche Aenderungen erlit-
ten, und in eine Form gebracht worden, die allerdings Werk eines Verfas-
sers sei, dem man, nach Fassung und Inhalt seines Products, eher eine
Stelle im sechzehnten als im eilften Jahrhundert anzuweisen habe. Und
so kommt der Redner auf die Vermuthung, dass Conrad Celtes der
wahre Verfasser dieses Gedichts sei , von dem wir auch nur eine einzige,
dem sechzehnten Jahrhundert angehörige Handschrift zu Hamburg be-
sitzen. Ein Facsimile dieser Handschrift ist beigefugt. Der dritte Auf-
satz von Herrn Roger W i I m a n s (S. 87 ff.) verbreitet sieb über
die Quellen der Gesta Roberti Wiscardi des Guillermus Apuliensts, wel-
ches Werk bereits druckfertig für einen der nächsten Binde der Monu-
mente vorliegt. Die spärlichen Nachrichten, die uns über diesen Autor
zugekommen sind, und nur ans dem von ihm binterlasseneu Werke sich
entnehmen lassen; der eben so dürftige Faden der schriftlichen Ueberlie-
feruag dieses für die Geschichte der Normannen so wichtigen Werkes
selbst, machte eine einleitende Untersuchung Ober den Antor und sein
Werk, insbesondere Uber die Quellen desselben eben so wünschenswerth
als uothwendig. Und es spricht die ganze Untersuchung, wie sie hier
geführt wird, allerdings für den Werth dieses Dichters, den Wilken
schon als accuratissimus scriptor bezeichnet hatte; die auffallende Ueber-
einstiramung , welche in den beiden letzten Büchern mit Anna s Alexias
karvni^r! I# nimmt a',i\an uruanHiokan TLu;i Aar llnl .»n/iliniiit o i r> Aawan
iici Turiiiii , uiiijuik tincu w csGuiiiGiicii i neu ucr uuicrsuiiiuug eiu, ugtcu
Ergebnis* auf eine beiden gemeinsame Quelle in dem von der griechi-
schen Geschichtschreiberin citirten Latinus (6 Aorivoc) führt, einen Au-
tor, der uns freilich sonst gar nicht bekannt ist, nach einer hier aufge-
stellten Vermuthung (vgl. S. 109 — Iii) aber in dem Archidiakon Jo-
bannes von Bari erkannt werden soll. S. 122 ff. kommt ein anderer
Aufsatz desselben Gelehrten, welcher zeigen soll, dass die dem Amatus
von Monte Cassioo durch Champolüon beigelegte Chronica Roberti ßis-
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Peru: Archiv Bd. X.
37»
eardi, — ein Theil der von Carusius und Kurator! (SS. T. VIII) her-
ausgegebenen historia Sicula des Anonymus Voticanus keineswegs
von Amatus herrührt. Mit besonderer Befriedigung haben wir den nun
folgenden Aufsatz des Herrn Wilmans (S. 131 ff.) gelesen Über die
Chronik Otto'* von Freisinge n> deren Herausgabe in den Monu-
mentis Viele mit uns verlangend entgegensehen. Vor Allem ist es der
geschichtliche Standpunkt dieses Geschieh tschreibers , der hier in einer
Weise dargestellt und beleuchtet wird, die wir in der vor einigen Jah-
ren erschienenen Monographie eines andern Gelehrten über Otto und seine
schriftstellerische Thatigkeit nur zu sehr vermisst haben. Denn gerade
dieser von der Mehrzahl der gleichzeitigen , wie der vorausgehenden Ge*
schichtselireiber abweichende Standpunkt und die in Folge dessen der
ganzen Darstellung zu Grunde liegenden Principien lassen nns in Otto
von Freisingen einen Mann erblicken, welcher eine neue Epoche der
Gescbichtscbreibung des Mittelalters gewissermassen begründet. Es ist
diess der religiös -kirchliche Standpunkt eines Augustinus und Orosius,
auf den Otto sich gestellt hat. Ibm war die Weltgeschichte ein grossei
Trauerspiel, in dem wir nur das Elend und die Hinfälligkeit aller irdi-
schen Dinge zu erkennen vermögen: diess nachzuweisen und darzustellen
ist der Zweck seiner Geschichtschreibung, die auf einem höheren Boden
wurzelt, und eben nur in Beziehung auf diesen die Ereignisse berück-
sichtigt und darstellt. Wenn es auffallen mag, einen Schriftsteller des
zwölften Jahrhunderts diesen seit Orosius mehr oder minder im Gan-
zen verlassenen Standpunkt wieder und zwar in viel schärferer und be-
stimmt ausgesprochener Weise einnehmen zu sehen, so wird der Grund
davon wohl nor in der Persönlichkeit des Mannes, in seiner religiöse»
Gesinnung und asketischen Richtung, wie in einem gewissen inneren
Zwiespalt, in den ihn die Streitigkeiteu seiner Zeit, zwischen Kirche und
Kaiser, gebracht hatten, zu suchen sein. Diesen letzten, bisher noch
wenig beachteten Punkt hebt der Verf. mit aller Schürfe (S. 135 ff.)
hervor, und er gründet darauf sein Unheil über Otto, der in Folge die-
ses Zwiespaltes sich Uber die Parteiansichten seiner Zeit zu erbeben und
einen höheren, allgemeinen Standpunkt der Betrachtung zu gewinnen
sachte. Leber die beiden Kedactionen der Chronik, über die Abfassung
der Gesta Friderici mit der Fortsetzung Radevic's, über die Quellen
Otto's u. s. w. verbreitet sich der Verf. mit aller Genauigkeit ; hier wird
auch die Frage nach der clossischen Bildung Otto's verhandelt , insbeson-
dere auch der Punkt, ob Otto das Griechische verstanden habe. Nach
dem, was hier beigebracht ist, steht Ref. nicht an, diess zu verneinen,
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rerlz: Archiv Äd. X.
und eben so auch die andere Frage zu verneinen, ob Otto den Aristo-
teles im Original gelesen habe. Dass er vielmehr nur lateinische, aus
dem Arabischen gemachte Uebersetzungeo vor sich gehabt, scheint ans
die richtige Ansicht zu sein, die wir eben so auf Johannes von Sales-
bury und andere Schriftsteller des Mittelalters anwenden möchten. Was
Otto aus Plato anführt, hat er jedenfalls nicht aas Plato selbst genom-
men, dessen Schrifen der gelehrte Bischof nicht kannte, sondern es ist
aus irgend einem andern Autor, oder aus der durch den lateinischen
Grammatiker Chalcidius bekannt gewordenen Uebersetxung des Tunaus ge-
nommen, welche letztere, wie noch unlängst Haureau (De la pbilosophie
acolastique I. p. 81 ff. vergl. p. 76) nachgewiesen, früher schon im Mit-
telalter verbreitet und viel gelesen war. Bei der Untersuchung über die
Quellen Ottos und den Nachweis derselben zeigt es sich, dass Augu-
stinus (De civitate Dei) und Orosius allerdings die Hauptquellen bilden,
Und dass Otto, wo der Letztere ihn veriiess, hauptsächlich dem Ekke-
hard gefolgt ist. Wie selbst in geographischen Dingen, über die Ein-
theilung der Erde und dgl. Otto von Orosius noch ganz abhängig ist, hat
unlflngst noch Santarem in seinem für die Geschichte der Geographie des
Mittelalters so wertvollen Essai sur l'bistoire de la Cotmographie etc.
(Paris 1849) I. p. 62 gezeigt. Welch bedeutender Apparat für die
Heransgabe Otto's zusammengebracht worden ist, und was wir hier von
der neuen Gestaltung des Textes zu erwarten haben, zeigt der Schluss
der Abhandlung zur Genüge. Nun folgt S. 144 ff. eine ahnliche, mit
aller Genauigkeit in alles Detail eingehende Untersuchung Ober die Chro-
nik Albe rieh's von der Hand desselben Gelehrten, der die einschlä-
gigen kritischen Fragen über den Verfasser dieser Chronik , die Zeit ihrer
Abfassung, den Plan uud die Anlage des Werkes, dann insbesondere
über die Quellen (die hier von S. 195—240 im Einzelnen nachgewiesen
werden) in einer umfassenden Weise behandelt und man kann wohl sa-
t gen, erledigt hat. Am Schluss giebt der Verf. noch eine Zusammen-
stellung aller der in dem Werke befindlichen, die Gelehrtemreschichte
betreffenden Angaben dieser Chronik, so wie der aus dem Corpus jur.
canon. gemachten Entlehnungen. Der sechste Aufsatz: Paulus Dia Co-
nus Leben und Schriften von Dr. Bethmann S. 247 ff. bildet nebst dem
darauf unmittelbar folgenden siebenten desselben Gelehrten: die Geschieh t-
ichreibung der Langobarden S. 335 ff. ein diesen Kreis der Literatur er-
schöpfendes Ganze, indem hier nicht blos Alles, was Stoff und Material
betrifft, vollständig zusammengestellt, sondern auch mit derjenigen kriti-
schen Schärfe behandelt ist, die hier allein zu sicheren Resultaten führen
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Peru: Archiv Bd. X.
381
kann. Und diese, da sie aus den Quellen selbst und deren sorgfältiger
Prüfung hervorgegangen sind , lauten freilich in Manchem gar verschieden
von dem, was wir bisher Uber diesen Autor, sein Leben und Wirken,
seine gelehrte Thätigkeit und seine Schriften iu lesen gewohnt waren.
Wenn nun keine ins Einzeln gehende Charakteristik der einseinen Schrif-
ten, der prosaischen wie der poetischen des Paulas, so genau auch
deren Aufzählung ist , gegeben wird , so erklärt sich diess aus der Natur
und Beschaffenheit, wie aus dem Zweck dieses Aufsatzes, der durch eine
kritische Untersuchung Uberhaupt das festzustellen suchte, was über Le-
ben und Schriften des Paulus mit Sicherheit auszumitteln war. Wir be-
schranken uns daher, den Gau? der Untersuchung und die HauDtresultata
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derselben in der Kürze darzulegen. Zuerst werden die Quellen über das
Leben des Paulus besprochen; sie liegen zunächst und hauptsächlich in
dessen eigenen Schriften, namentlich auch in seinen Gedichten, welche
zu einzelnen , kritischen Erörterungen mehrfache Veranlassung geben. Die
Gebort des Paulus, worüber sich nirgends eine bestimmte Antrabe findet
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wird um das Jahr 730 mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit angesetzt, nnd,
auf die Autorität des Mönchs von Salerno, Forojuli, das heutige Cividale
del Frinli, als der Ort der Geburt angenommen, gegen die gewöhnliche,
aber durch kein einziges , bestimmtes Zeugniss bekräftigte Weinung, welche
zu Aquiieja den Paulus, des Warnefrid Sohn, geboren werden lässt. Aua
Hildric's Grabscbrift wird sein Aufenthalt am Hofe des Königs Ratchis
(744—749) zu Pavia nnd seine Erziehung daselbst hergeleitet, Paulos
selbst spricht nur beiläufig davon (II, 27. vgl. VI, 7) und nennt uns
noch in späteren Jahren seinen dortigen Lehrer Flavianus (VI, 7); als
Knahe erlernte Paulus auch das Griechische das um diese Zeit also noch
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auf den gelehrten Anstalten Italiens Pflege fand. Sein nachheriges Ver-
falltniss zu Desiderius, als dessen Notarius er gewöhnlich auf die un-
sichere Angabe Leo's und Anderer betrachtet wird, bleibt, wie hier ge-
zeigt wird, ganz ungewiss, wenn auch gleich ein Aufenthalt an dem
Hofe des Königs nicht unmöglich, ja selbst wahrscheinlich ist. Mit mehr
Sicherheit stellt sich das Verhältnis* des Paulus zo Arichis von Benevent,
and dessen Gemahlin Adelperga, einer Tochter des Desiderius, heraas;
an den Hofe des Arichis mag Paulus auch einige Zeit zugebracht haben.
Dass er damals schon in den geistlichen Stand getreten war, kann mit
Sicherheit angenommen werden , obwohl eine nähere Bestimmung der Zeit
und des Ortes, wo dieser Eintritt erfolgte, nicht möglich ist. Um 782
muss es schon geschehen sein, da Karl der Grosse in dem Rundsehreiben
Über die Uomiliensammlung , Welches bald nach diesem Jahre fällt, den
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382
Peru: Archiv Bd. X.
Paulus ab Diaconus bezeichnet; die gewöhnliche Annahme, dass Pau-
lus Diaconus der Kirche zu Aquileja gewesen, beruht nur auf der An*
gäbe des Mönchs von Salerno, welche die Andern nachschreiben; der
Verf. glaubt aber darauf, bei dem Mangel aller andern Zeugnisse, kein
Gewicht legen zu dürfen: nur das glaubt er, der Grabscbrift gemäss, an-
nehmen zu können, dass Paulus zu Monlecassino Mönch ward und zwar
yor 782, vor seiner Reise nach Frankreich. Die Veranlassung zu dieser
Reise liegt nicht so ganz klar vor, obwohl der Aufenthalt in Frankreich
und die näheren Beziehungen des Paulus zu Karl dem Grossen und des-
sen Hof ausser Zweifel gestellt sind. Ob die Gefangenschaft des Bruders,
dessen Freilassung wie die Rückgabe des eingezogenen Vermögens Pau-
lus bei dem Kaiser zu erwirken hoffte, oder ein von dem Letztem an
Paulus seiner Gelehrsamkeit wegen ergangener Ruf, wie Siegbert und
Andre melden , die Veranlassung dazu gab , wird schwer zu entscheiden
sein. Neben poetischen Leistungen, welche den Paulus insbesondere, wie
es scheint, an die Umgebung Karl's fesselten, war es auch, wie hier
S. 265 hervorgehoben wird, die damals so seltene Kenntniss des Grie-
chischen, welche ein Aufsehen erregte, das unsern Verfasser zu der
Vermuthung führt , dass hier vielleicht der Anfangspuukt für das Studium
dieser Sprache gewesen , welches in den Klosterschulen von Metz, Elnon,
St. Riquier schon unter Karl dem Grossen sich nachweisen lasse. Wir
glauben jedoch in dieser Hinsicht bemerken zu müssen dass auch auf den
im südlichen Frankreich befindlichen Bildungsaustalten das Griechische sich
aus der früheren Zeit erhalten hatte; darauf führen wenigstens, auch
ausser dem, was bei Gramer (Diss. de Graecis medii aevi I. p. 33 1t)
darüber bemerkt ist, manche Spuren in den Schriften des von Angelo
Mai im fünften Bande der Classici Auetores publicirten Grammatikers Vir-
gilius, der in das Zeitalter Karls des Grosseu gehört und zwar nach
Toulouse, namentlich die Stelle p. 38, wo er den Cornelius, einen sei-
ner Lehrer, als „graecae et hebraicae linguae promptissimum Interpretern u
rühmt; wenn diess anders keine Phrase ist, wie sie Einhard (Vit. Ca-
rol. 25) von Karl dem Grossen, Theganus (Vit. Ludovic. 19) von Lud-
wig dem Frommen, Widukind (II, 36) von Otto dem Grossen gebraucht.
Indessen findet sich bei demselben Grammatiker Virgüius (p. 98.99)
eine Vorschrift über ein bei dem Uebersetzen aus dem Hebräischen
und Griechischen zu beobachtendes Verfahren, eben so auch p. 104.
115. 119. Bemerkungen Uber Griechisches in grammatischen Bespre-
chungen kommen z. B. vor S. 19. 85. 115. So wird S. 55 das in
griechischer Sprache abgefasste Werk eines Virgiüus Asianus politischen
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Peru: Archiv Bd. X.
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Inhalts, wie es scheint, de statu regali in fünf Büchern erwähnt, welches
Galerios „noslri temporis gremoiaticus« ios Lateinische ubersetzt habe;
S. 128 ist von einem Gregoriiis in Aegypten, „graecis studiis valde de-
ditusu die Rede, welcher dreitausend Bücher „de Graecorum historiis ge-
schrieben, dann von einem kürzlich verstorbenen Balapsitus in Nicomedien
„qui nostrae legis libros, quos ego in graeco habui sermooe, me jubente
vertit in latinum.« Auch die weiter erwähnten drei Julian! (in Ara-
bien, Indien, Afrika), „quos Aeneaa mens praeeeptores babuit, quorom
libros meditante notaria arte in lucrosam descriptionem transtulitu mögen
wohl Griechisch geschrieben haben. Und wenn Virgiliaa selbst S. 118
bemerkt: „De graecis metris aulem, quorum natura dissimilis est et
longo diverse, nihil hic disputare necessariom reor, cum latinum opus
efficiam", so ISsst diess doch auf eine Kenntniss der griechische«
Sprache und Metrik schlössen. Alle diese Stellen können jedenfalls zei-
gen, dass im südlichen Frankreich die Studien des Griechischen nicht un-
tergegangen waren, auch wenn wir damit das Verdienst des Paulus Dia-
konus nicht schmälern, sondern nur in seiner Ausdehnung beschranken
und etwa auf die östlichen uod nördlichen Striche Frankreichs verwei-
sen wollen.
Unser Verf. kommt weiter unten S. 275 nochmals auf diesen Punkt
zurück, indem er unter dem, was den Paulus im Frankenreich insbeson-
dere ausgezeichnet, die dort so seltene Kenntniss des Griechischen her-
vorbebt. Br theilt bei dieser Gelegenheit einige bisher unbekannte Data
über die Kunde des Griechischen in Italien mit, und bemerkt, wie von
Rom aus diese Kunde auch nach England schon früher gekommen, aber
von da nicht vor Paulns über den Kanal nach Frankreich sich verbreitet-,
er hat zu diesem Zwecke in einem Anhang S. 333 f. aus einer Limoger
Handschrift des zehnten Jahrhunderts eine längere bemerkenswerthe Notiz
Über die Verbreitung und den Gang der gelehrten Studien , sowie die
Reihenfolge der Hauptlchrer und Gelehrten wörtlich mitgetheilt. Hier-
nach wären Theodorus, ein Mönch aus Tarsus in Cilicien und Adrianus
„abbas scolae Graecorum11, Minner in griechischer und lateinischer Lite-
ratur wie in den „artibus liberaiibus" wohl gebildet, von Rom aus durch
den Pabst (a papa Romano, heust es blosj, d. i. durch Gregor den
Grossen nach Britannien entsendet worden, um dort das Licht der Wis-
senschaft und gelehrte Bildung zu verbreiten. (Wir bitten, Beda Hist.
Eccles. |V., 1. nachzusehen; vergl. Cramer p. 39 ff.) Aus ihrer Schule
ging Aldbelm (den wir auch jetzt, seit dem Bekanntwerden seiner gram-
matisch-metrischen Schriften mit ihren zahlreichen Anführungen klassischer
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Pcrtz: Archiv Bd. X.
Schriftsteller, als einen klassisch gebildeten Mann kennen gelernt haben),
hervor, welcher den Beda zum Nachfolger hatte. Dann folgt Einer „cu-
jus nomen excidit", welcher den noch gebildeteren Rabanus Mauraa hin-
terliess, der „ab episcopis Gallicanis sive a regibus Fron cor um transmari-
nis (daraus sieht man, dass der Verf. diese Notiz in England schrieb) a
pertibus docendi causa accitus ac postmodo episcopatus bonore dilatus"
durch Akuins Unterricht bereichert ward. (Nach der gewöhnlichen An-
nahme ward Rabanus in früher Jugend von Fulda durch den dortigen Abt
Ratgar nach Tours geschickt, um daselbst unter Alcuin seine Studien zu
vollenden, von wo er nach zweijährigem Aufenthalt in die Heimath zu-
rückkehrte.) Alcuin, eifrig auf Förderung des Unterrichte bedacht, fin-
det in Smaragd us einen Nachfolger, dieser io Theodulph, dem späteren
Bischof von Orleans. Qui, heisst es dann weiter, per Jobannem Scoti-
genam Heliam aeque ejusdem gentis patriotam virum undecunque doctissi-
mum philosoficis artibus expolivit etc. Und weiter unten in der Recept-
tulatio nomiiium heisst es „Theodulfus Jobannem et Heliam rebaaii, sed
non imbuit.u Hiernach musste also Johannes Scotigena (ohne Zweifel Jo-
hannes Scotus Erigena) seine Bildung wohl auf anderm Wege erhalten
haben, und da wir diesem grossesten Denker des karoliogiscben Zeitalten
jedenfalls eine umfassendere Kennlniss des Griechischen nicht absprechen
können, auch wenn er Plato und Aristoteles, die er ettirt, nicht im Ori-
ginal geleseo und vor sich gehabt hat, was uns gewiss scheint, so wer-
den wir damit auf die durch Paulus von Pavia aus, wo er das Griechi-
sche erlernt hatte, Uber die Alpen in das Frankenreich verpflanzten und
dort in einzelnen Klosterschulen der westlichen und nördlichen Tbeile ge-
pflegten Keime des Griechischen zurückgeführt und werden es dann auch
erklären, wie der Verf. zu der Behauptung gelangte, daaa Paulus wohl
mit Recht der Vater dos griechischen Unterrichts diesseits der Alpen ge-
nannt werden könno (S. 276). Die füuf Citate aus Plato, welche bei
Scotus Erigena De Divis, nalur. vorkommen, sind sammtlicb aus dem Ti-
mäus, der durch die lateinische Uebersetzung des Cbalcidius bekannt ge-
worden war : s. Haureau am o. a. Orte. Ebeo so wenig hat Scotus den
Aristoteles im griechischen Original gelesen. Diess wird jedoch immer
nur von den bemerkten Theilen des Frankenreichs gelten können: für
Verdienst des Paulus wird dadurch in keiner Weise verkürzt.
(Sckluss folgt.)
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Hr. 25. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR.
Pertzt Archiv Bd. X.
(Schluss.)
Die dem Paulus gleichfalls beigelegte Kunde des Hebräischen bezwei-
felt aber der Verf.; das oben angef. Zeugniss vod Cornelius, dem Lehrer des
Yirgilius, könnte, was wir jedoch bei so manchen Uebertreibungen der Art
in jenem Zeitalter kaum wagen, allerdings dagegen geltend gemacht
werden. Uebrigens fordert die hier berührte Frage nach der Fortpflan-
zung und Erhaltung der griechischen Sprachstudien im karoliogischen
Zeitalter , nach den hier gegebenen Mittheilongen aufs Neue zu einer
genaueren Untersuchung dieses Gegenstandes auf, der eben in Beeng auf
Scotus Erigena wahrhaftig von keiner geringen Wichtigkeit ist. Cramer
ist in der Disserlalio de Graecis medii aovi (s. diese Jahrb. 1849 p. 61 6 ff.)
Pars prior noch nicht bis au dieser Periode gelangt, eine Fortsetzung
seiner Forschungen ist aber, soweit wir wissen, noch nicht erschie-
nen. — Ob in dem von der Pariser Akademie gekrönten Memoire des
Herrn Renan: sur Tetude du Gree et des langues orienlales en Occident
pendant le moyen age (Paris, 1849. 8.) sich ein Mehrere« findet, vermag
Ref. der die Schrift bloss aus einer Anzeige kennt, nicht au bestimmen.
Kehren wir von dieser Erörterung wieder su Paulus zurück, so
finden wir io dem von ihm um diese Zeit (783) in Folge eines Auftrags
Karls des Grossen veranstalteten Homiliarius — eine Sammlung von Ho-
milien zum kirchlichen Gebrauch — immerhin ein neues Zeichen der Be—
deutung und des Ansehens, welches Paulus sich bereits gewonnen hatte.
In die gleiche Zeit des Aufenthalts im Frankenreich — in dem Oktober
des Jahres 783, wie der Verf. weiter unten S. 306 gezeigt hat, fällt
auch die Abfassung der Geschichte der Bischöfe von Mets (Gesta Epis-
coporum Mettensiura); gegen Ende des Jahres 786 wird, nach der Aus-
führung des Verf. S. 267 ff. wahrscheinlich die Abreise aus dem Fran-
kenreich und die Rückkehr nach Italien erfolgt sein, ohne dass sich je-
doch dieser Punkt völlig ins Reine bringen lasst, indem wir auch Uber
die Veranlassung zu dieser Rückreise, und die Art und Weise, wie sie
geschab, nicht näher unterrichtet sind. Jedenfalls — diess bleibt sicher
— befand sich Paulus im Jahre 787 su Benevent und zu Monte Cassino,
in welchem Kloster er dann den Rest seiner Tage in wissenschaftlichen
XL1Y. Jahrg. 3. Doppelheft. 25
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,386 PcrU: Archiv Bd. X.
Studien, Unterricht u. s. w. verbrachte und wo er auch jedenfalls ge-
storben Ist, und zwar am 13. April, ohne dass das Jahr des Todes be-
kannt ist. Nach Mabillou's Yermuthung setzen die Meisten das Jahr 799;
unser Verf. möchte lieber einige Jahre früher den Tod des Paulus an-
nehmen, der in einem Gedichte, das um 783 — 786 fällt, schon von sich
die Worte gebraucht: jam gravante senio.
An diese Untersuchung über das Leben des Paulus knüpft sich eine
HptmrMiincr seiner treistiffen Thatiakcit Uherhannt der verschiedenen Rieh-
long wird, wie sie es verdient, hervorgehoben, dann die umfassende Bil-
dung und die vielseitige Belesenheit des Mannes, seine, im Verhfiltniss zu
Andern, noch correkte und einfache Schreibart, die von so mar
Schwulst und Flitterwerk gleichzeitiger und späterer Scribenten sich
so fern halt, wie von den Barbarismen eines Gregor von Tours. Einzel-
nes, was vielleicht Anstoss erregen und als Abfall von der reinen Gas«
sicitlt früherer Zeit getadelt werden könnte, wird durch die richtige, von
io manchen unserer Sprachrigoristen und Classicisten , welche von der
Fortbildung der lateinischen Sprache nach den Zeiten des Untergangs des
abendländischen Kaiserthums in das Mittelalter hinein, bei ihrer völligen
Urkunde dieser ganzen spat er n Literatur gar keine Idee haben, gänzlich
Verkannten Bemerkung (die man wahrhaftig nicht oft genug wiederholen
kann) erklärt und damit auch gerechtfertigt : dass die lateinische Sprache
im Mittelalter keine todle war. sondern als eine wirklich
ihre eigentümliche, nicht zu bindernde Entwicklung
manche Abweichung von dem filteren Redegebrauch eingeführt und ge
Wissermassen zur Regel erhoben ward. Die Einfachheit und Natürlich-
st der Schreibweise des Paulus tritt auch in den verschiedenen P<
, die, ziemlich frei von der gezwungenen Nachbildung
Dichter des karolingiseben Zeitalters und manchen, von diesen beliebten
Künsteleien, uns in Paulus einen gewandten, wenn auch nicht gerade von
der. Natur dazu geschaffenen Dichter erkennen lassen. Auch wird man
nicht übersehen dürfen, dass die Zeit, in der Paulus lebte und schrieb,
Ton dem Gelehrten vor Allem auch dichterische Leistungen verlangte, d.h.
aass er m oen schwierigeren rormen aer poetischen Darstellung sien nm
gleicher Gewandtheit zu bewegen wisse. In der Geschieh tschreibung
wird freilich, nach dem Urtheil des Verfassers, der bei dieser Gelegen-
heit die Bildung und den Gang, den die christliche Geschichtschreibung
^Ics ansehenden ^Iittelslters Überhoupt ^^e ^v o n ne n tiat, nsher bespricht,
CjJanzen auch nur als ein O^ompiiator erscheinen ,
>
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Perti: Archiv Bd. X.
es ist, „Vorhandenes in bequemerer Form zu sammeln und weiter zu
überliefern, Nichts Neues zn schaffen"; indessen tritt doch hie und dt
ein gewisses kritisches Verfahren in der Auswahl und Prüfung der Quel-
len hervor und vor Allem eine Wahrheitsliebe, die von allen Parteian-
sichten sich fern zu halten, und dadurch eine gewisse Selbständigkeit des
L'rtheils und volle Unparteilichkeit zu gewinnen sucht.
Durch Paulus ist uns die la ngobardische Volkssage in treuer Auffassang
erhalten, die fünfzehn Auszüge und die sehn Fortsetzungen, welche seine
Langobardengeschichte in der nachfolgenden Zeit erhalten bat, die zahl«
reichen Handschriften — an hundert dreizehn, darunter fünfzehn
verlorene, lassen sich nachweisen — sprechen zur Genüge für das An-
sehen und die Bedeutung eines Mannes, der einen gleichen Einfluss auf
die Nachwelt auch durch seine andern Schriften geübt hat, der insbe-
sondere dnreh seine oben schon erwähnte Geschichte der Bischöfe von
Metz die Veranlassung zn ähnlichen Schriften gab, wie sie alsbald fast
an allen Bischofsitzen des Frankenreichs unternommen wurden, und für
uns jetzt eino Hauptqnelle der Geschichte jener Zeit überhaupt bilden. •
Nach dieser Charakteristik der ganzen literarischen Thätigkeit des
Paulus geht der Verf. zu den einzelnen Früchten derselben, so weit wir
sie noch kennen, über, indem er dieselben der Reihe nach einzeln auf-
führt, zuerst die poetischen Erzeugnisse, dann die prosaischen, und bei
jedem die nötbigen literarischen Nachweisungen aus Handschriften und
Ausgaben liefert Da wir noch keine Gesammtausgabe der verschiedenen
Schriften des Paulus besitzen, in die Monumenta Germaniae aber doch
nur die auch dahin einschlägigen historischen Werk desselben aufgenom-
men werden können, so ist für den künftigen Bearbeiter einer solchen
Ausgabe, wie sie doch das Bedürfniss erheischt, in einer Weise vorge-
arbeitet, wie man diess nur selten antreffen wird. Es erseheinen in die-
ser Reihe die Versus de miraculis S. Benedicti und der Hymnus de S.
Benedicto aus Hist. Langob. I., 20. in einem Anhang S. 325 ff. nach der
bisher nicht bekannten ursprünglichen Form mitgetheilt, die Versus de S.
Scolastica, die aus einer Vaticanischen Handschrift, der einzigen bis jetzt
von diesem Gedicht bekannten des zehnten Jahrhunderts, in Prosper! Mar-
tmengii poeinata (Rom. 1590. 4. im dritten Bande) und daraus bei Ma-
billon Act. 1, 42 abgedruckt sind, dann der in der Tbat weltberühmte,
in das Brevier aufgenommene und in der katholischen Christenheit noch
immer am Feste des b. Jobannes abgesungene Hymnus de S. Johanne
baptista, endlich ein Hymnus in translatione S. Hercurü, welcher (nebst
einem andern Hymnus de passione S. MercuriQ unter des Paulus Namen
25*
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388
Peru: Archiv Bd. X.
tn einem allerding» seltenen Boche des Petrus Pipernus De magicis efTec-
tjbus Neapol. 1634. 4. p. 147 erwähnt wird, ohne dass eine hand-
ichrift liehe Quelle bis jetzt ermittelt wäre; bei der Seltenheit dieser
Schrift hat der Verf. das Ganze in einem Anhang S. 332 abdrucken las-
ten; der, wenn auch nicht in allen Strophen gleichmässig durchgeführte
Beim, der hier ziemlich ausgebildet erscheint, erregt bei dem Verf. eini-
ge» Bedenken hinsichtlich der Aechtheit dieses Hymnus in translat. S.
Merc. Indessen auch bei dem andern hier ebenfalls in der ursprünglichen
Form mitgetheilten Liede, den Distichen oder Versus in lande S. Bene-
dict! (so lautet die Aufschrift statt der gewöhnlichen de miracnlis
S. B.) finden wir, dass die erste Hälfte des Hexameters sich immer in
der letzten Hälfte des darauf folgenden Pentameters wiederholt, was doch
ebenfalls auf Anwendung gleichförmiger Ausgänge scbliessen lässt, die bei
den stropbenartig gebildeten Hymnen, die zum kirchlichen Gebrauch, d. h.
zum Absingen bei festlichen Gelegenheiten bestimmt waren, ihrer Natur
nach schon frühe und selbst schärfer noch sich geltend machte. An
diese Gedichte reihen sich die versificirten Epitaphien nebst den verschie-
dentlich hier ermittelten Snuren anderer Gedichte des Paulus namentlich
■a ^* na ♦ i ■ \*ss •* + \* • nass • s an sxj an sna an snj es \* n \* s \m %0^m t w an e st \m m% aa ana «a^s ^ mm sae-as \& mm w s i wsn
ton seinem Verkehr mit Karl dem Grossen.
.-'„-, Wir fugen diesen noch bei die von M. Haupt in den Berichten der
Leipz. Akad. d. Wissensch. 1850. 1. p. 6 CT. unlängst aus einer Leipziger
Handschrift herausgegebenen Poesien des Paulus: ein schönes Gedicht
auf den Corner See (es heisst in der Handschrift: hos versus Paulus dia-
conus composuit in laude Larii laci) und ein Epitaphium Sophiae Neptis,
beide in Distichen, sowie ein drittes Gedicht auf das Grab der Ansa. Das
Epitaphium Sophiae Neptis kennt auch unser Verfasser (S. 319) aas der
Pariser Handschrift, in der es mitten unter den erwähnten Gedichten des
Paulus steht, er hält es aber doch für zweifelhaft, da in derselben Hand-
Schrift sich auch Gedichte Alcuins, Peters von Pisa, Bedas finden, und
demnach das Gedicht eben so gut auch von Peter von Pisa stammen
könne. In der Leipziger Handschrift folgt es unmittelbar auf das erst
erwähnte, in der Aufschrift dem Paulus Diaconns beigelegte Gedicht, und
eben so scbliesst sich weiter daran das Gedicht Super sepulcrnm domnae
Ansäe reginae, welches nach Haupt unbedenklich auch dem Paulus Dia«
conus zuzuschreiben ist, vielleicht auch noch ein viertes (item versus in
tribunali), das als Inschrift einem der Paläste zu Saierno oder Benevent
diente.*) Eine Zeitlang waren wir auch der Ansicht, dass der Paula t
*) Die von Haupt am o. a. Orte p. 11 ff. aus derselben Handschrift mit*
geseilten Gedichte auf Sonne und Mond, die auch bereits in der lateinischen
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Perlz: Archiv Bd. X,
889
Qauestor, dessen Verse einigemal in der durch Mai zuerst bekannt ge-
wordenen Metrik AldhelnTs (p. 231. 238. 239 Opp. ed. Gile) ange-
führt werden, einmal auch mit dem Beisatz: „in gratiarum actione" viel-
leicht mit diesem Paulus diaconus für Eine und dieselbe Person zu
halten sei, wenn nicht der Zusatz Quaestor, der sich bei unserem
Paulus nirgends bis jetzt gefunden hat, sowie das uns ganz unbekannte
Citat: in gratiarum actione ein gerechtes Bedenken erregen müsste.
Nun folgen die Briefe, in Allem vier \ der an Karl den Grossen ge-
richtete, von Einigen bezweifelte, wird mit MabiUon für acht angesehen;
eben so auch die unlängst von Tosti, aber nur in ihrem Anfang mitge-
teilte, dem grösseren Theil nach noch ungedruckte Expositio in regulam
S. Benedict!, und der längst bekannte Homiliarius, dessen Entstehung zwi-
schen die Jahre 782 und 786, und zwar im Frankenreiche, verlegt wird;
Ausserdem werden noch vier andere Homilien, welche durch den Druck
bekannt geworden sind, nachgewiesen. Näher verbreitet sich der Verf.
über die ebenfalls angefochtene Vita S. Grogorii Magni, für welche doch
das eigene Zengniss des Paulus und das des Johannes Diaconus spricht,
und über die Gesta episcoporum Mettensinm; dann folgt das im Mittel-
alter so sehr verbreitete, auch uns noch durch zahlreiche Handschriften
erhaltene Geschichtswerk, durch welches Paulus für seine und die folgende
Zeit einen Nutzen stiftete , den das Werk für uns allerdings jetzt nicht
mehr hat, da wir die Quellen des Ganzen besitzen, das sammt den nach
Paulus Tode daran gereiheten Fortsetzungen unter dem Namen der Hi-
storie miscella bekannt ist, während der dem Paulus angehörige
Theil der sechszehn ersten Bücher als Historia Romana bei Leo und
auch in einigen Handschriften betitelt erscheint. Die früher hinsichtlich
d s g s ^VI^drk©Ä ^ s c i d c i* Z u s s tu m c o s c t z u n ^ und 0 1 1 d u n ^ d & c h den c 1 d z c 1 d oki
Theilen herrschende Verwirrung der Ansichten ist jetzt allerdings geho-
ben, nnd wird, unter Bezugnahme auf die von Champollion und Papen-
cordt darüber gegebenen Aufschlüsse das ganze Sachverhaltes* hier klar
nnd bündig entwickelt. Die ersten zehn Bücher enthalten das Breviarium
des Eutropius, das bekanntlich daraus zuerst im Druck bekannt ward, in
einer im Ganzen unveränderten, wohl aber mit mancherlei (aus Aurelius
Victor und Orosius hauptsächlich entnommenen ) Zusätzen begleiteten Fas-
sung, und waa von Paulus (ßüch XI— XVI) daran gefügt ward, ist eben
Anthologie (V, 1 u. 15 oder nr. 10] i, 556 bei Meyer) stehen, werden aller-
dings, ihrer pantheistischen, heidnischen Fasiung wegon, weder einem AIcuin,
nach einem Paulus Diaconus beizulegen sein, sondern einer frühem Zeit an-
gehören.
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Peru: Archiv Bd. X.
10 eine reine Coropilation aas Orosias, Prosper o. A. mit Beibehaltung
der Worte dieser Autoren. Ueber die Fortsetzung dieses Werkes, als
Historie Miseelia durch Landulphus Sagax, Uber die verschiedene Abthei-
lung der BOcher u. dgl. m. werden hier die aas der Untersuchung so
Tieler Handschriften sich ergebenden Resultate mitgetheilt; die neue Aus-
gabe (in den Monumentis Germ.) wird vor Allem, heisst es S. 310, auf
genaue Nachweisung der Quellen gerichtet sein. Und dass diess bei ei-
ner solchen Compilation aus Quellen, die jetzt bekannt und zugänglich
sind, für den Geschichtsforscher, wie für den geschichtlichen Gebrauch
überhaupt das Nöthigste ist, bedarf keiner Erörterung. Mit gleicher Ge-
nauigkeit verbreitet sich der Verf. Uber Alles das, was die Abfassung
der Historie Langobardorum betrifft, er fuhrt die Quellen des Werkes
an, den Einfluss desselben auf die folgende Zeit und die mehrfachen Be-
nutinngen und Fortsetzungen desselben. Für die neue Herausgabe in den
Monumentis ist ein Apparat von nicht weniger als neun und sieb en-
zig Handschriften zusammengebracht; wir dürfen also hier eine, so weit
als mir immer möglich, vollständige Erledigung Alles dessen erwarten,
was in den Bereich der Kritik gehört. Am Schluss des ganzen Aufsatzes
verbreitet sich der Verf. Uber die zweifelhaften Schriften des Paulus oder
solche, die ihm mit Unrecht zugeschrieben werden. Unter den erstem
finden wir eine in einer Vaticaner, ehedem pfälzischen und ursprünglich
Lorseber Handschrift von H. Keil An all. Gramm, p. 16 entdeckte Schrift
grammatischen Inhalts: Ars Donati quam Paulus diaconus exponit; indes-
sen nach dem, was der Verf., namentlich in Bezog auf den Verkehr die-
ses Paulus mit Karl dem Grossen, selbst Uber Grammatik und dergL
bemerkt hat, kann es wahrhaftig nicht befremden, wenn Paulus so gut
wie Alcuin euch Uber Grammatik geschrieben, uro auch von dieser Seite
die neuerstehende Bildung in Karls des Grossen Reich möglichst zu for-
den und su verbreiten. War die Schrift wirklich an Karl den Groaseo
gerichtet, wie in dem Verzeichniss der Lorscher Handschrift steht (item
Pauli diaconi ad Karolum Regem), so lösst sich die Richtigkeit der An«
nähme kaum bezweifeln. Die aus dem alten Lorscher Katalog hier auf-
geführten Glossae Pauli diaconi beziehen wir auf die Excerpte aus
Festos; aber diese sammt der vorangestellten Epistola ad Carolum regem
(worunter jedenfalls Karl der Grosse zu verstehen ist) setzt der Verf.
geradezu unter die mit Unrecht unserm Paulus beigelegten Werke, ob-
wohl er anerkennt, dass jedenfalls ein Zeitgenosse Karls des Grossen
and somit auch unseres Paulus der Verf. sei. Denn er glaubt, dass ein
Bnch, Uber welches noch der letzte Herausgeber (0. Müller) ein so Ober-
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Peru: Archiv Bd. X.
ans ungünstiges Urtheil biusichtlich der Zusammensetzung und Bildung,
des planlosen Verfahrens und der Sorglosigkeit wie selbst Verwirrung
bei dem Excerptiren fälle, einen so gebildeten Mann, wie Paulus Diaco-
nus war, nicht zum Verfasser haben könne, wozu auch noch die Unge-
wißheit der handschriftlichen Ueberlieferung hinzukäme. Allein, wir ge->
stehen offen, Müllems Urtheil erscheint in Manchem zu hart, wir glauben
auch überhaupt nicht, dass an einen Paulus Diaconua, der in der zweiten
Hälfte des achten Jahrhunderts lebte, so strenge Anforderungen hinsicht-
lich seines Verfahrens bei solchen Excerpten zu stellen sind, abgesehen
ron Manchem, was kaum dem Excerptor aufgebürdet werden darf,
wohl aber als Schuld der verdorbenen und mangelhaften schriftlichen
Ueberlieferung anzusehen ist Ans diesen Gründen halten wir uns lieht
für berechtigt, nach dem, was bis jetzt vorgebracht worden, dem Paulus
diese Excerpte, die ganz in Art und Weise jener spätem Glossen und
Excerptensammlnngen überhaupt gehalten sind, abzusprechen, um so mehr
als wir dafür ein ziemlich frühes Zeugniss bei Hincmar in einer in das
Jahr 870 fallenden Schrift (s. Opp. T. U. p.413) anführen zu können
glauben. Der inhaltsverwandte Aufsatz Über die Geschichtschreibung der
Langobarden (S. 333 ff.) behandelt einerseits die Volksgeschichte, unter
besonderer Berücksichtigung der Sage, die sich gerade bei diesem Volke
noch tiefer, als bei andern Völkern in die historischen Zeiten herabzieht,
und eine grössere Bedeutung erlangt hat, hier aber in ihren einzelnen
Elementen, in denen wir sie noch verfolgen können, nachgewiesen wird;
andererseits werden die Königsverseichnisse , deren Ursprung in den Ge-
setzesbüchern zu suchen ist, nach ihrer Reihenfolge und ihrer Abstammung
von einander besprochen. Unter Nr. VUL S. 415 ff. gibt Herr PerU
Nachricht über eine der ältesten Handschriften des Schwabenspiegels, von
welcher einige Bruchstücke, die als Einband eines auf der Berliner Biblio-
thek befindlichen Exemplars der Opuscula des Felix Hemmerlin benutzt
wurden, von ihm entdeckt worden sind. Da die Schriftzüge eher gegen
die Mitte ala gegen den Schluss des dreizehnten Jahrhunderts führen, so
wäre damit allerdings auch ein äusserer Beweis für die um diese Zeil
— zwischen 1225 und 1235 eben so sehr wegen der Erwähnung der
Fr an eise an er als wegen der Decretalen Gregors IX. — anzusetzende
Abfassung des Schwabenspiegels gewonnen. Der Verf. verbreitet sieh
Ober die Beschaffenheit dieser Reste und durchgeht auch die übrigen in
das dreizehnte Jahrhundert fallenden Handschriften dieses Rechtsbuchs;
ihre Zahl ist allerdings, im Verhöltniss zu der grossen Zahl der in das
fünfzehnte Jahrhundert gehörigen, nur gering, und erscheint die ganze
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Peru ! Archiv Bd. X.
Untersuchung nach den Handschriften wie nach der Beschaffenheit des
Textei überhaupt noch immer nicht ganz geschlossen. Den Rest des Ban-
des von S. 426 an nimmt die Beschreibung der von Hrn. Dr. Witten-
bach in den Jahren 1847 — 1849 nach Oesterreich unternommenen Reise
ein, woran sich von S. 447 an die Verzeichnisse der einzelnen Hand-
schriften in den verschiedenen bei dieser Reise untersuchten Bibliotheken
nnd Archiven der österreichischen Lande — es sind in Allem sochs and
zwanzig — anreihen, so weit nämlich diese Handschriften mit der Her-
ausgabe der Monumenta und den Zwecken der Gesellschaft in irgend einer
näheren oder entfernteren Beziehung stehen. Abgesehen von der Ge-
nauigkeit, mit welcher die Handschriften im Einzelnen aufgeführt und nach
ihren einzelnen Bestandtbeilen hier verzeichnet werden, hier und dort
auch unter Mittheilung von einzelnen, merkwürdigen oder unbekannten
Stücken (wie t. B. S. 632. 635 ff. n. s. w.), wird man sich freudig an-
gezogen fühlen von der Betrachtung eines wissenschaftlichen Strebens,
das selbst den Stürmen der letzten unruhevollen Zeit nicht unterlag, son-
dern unbekümmert um diese Bewegungen ein höheres Ziel verfolgte, wel-
ches der wahren Ehre und dem wahren Ruhm unseres Vaterlandes in
der Förderung wissenschaftlicher Zwecke mehr genützt hat, als alle die
aus ganz andern Motiven hervorgegangenen, jetzt schon verschollenen Be-
strebungen unserer neudeutschen, märzlichen Zeit. Die freundliche Aufnahme
und die wohlwollende Förderung und Unterstützung, die der Reisende
allerwfirts in Oesterreich für seine Zwecke fand, wird mit gerechter An-
erkennung hervorgehoben; sie zeigt aufs Neue die Gesinnung eines Bru-
derstamms, den blinde Vermessenheit noch vor Kurzem von uns trennen
und nbstosseo wollte. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, einzeln
diese in österreichischen Bibliotheken und Archiven befindlichen Hand-
schriften aufzuführen, oder anf einzelne derselben , je nach ihrem Umfang oder
nach ihrer Bedeutung und Wichtigkeit aufmerksam zu machen ; wir müssten
sonst diese Verzeichnisse abschreiben; aber Eine Bemerkung liegt uns zu
nahe, als dass wir sie unberührt lassen könnten. S. 522 wird unter den
Wiener Handschriften eine aus dem Kloster Fürstenfeld stammende Hand-
schrift des XV Jahrhunderts genannt, welche verschiedene rhetorische und
grammatische Schriften, dann von f. 211 bis 245 Briefe des Cicero, fol.
183 ff. Des compendium Anthonii Haneron etc. enthält; hierbei wird be-
merkt: „Enthält auch wirkliche Briefe s. XV. von P.Luder, Poggiusu.A.
nach Heidelberg gehörend." Haben wir diess so zu verstehen, dass die
Handschrift oder doch der letzte diese Briefe enthaltende Theil nach Hei-
delberg gehört, so werden wir billig fragen, wie nnd auf welchem Wege
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Pcrlz: Archiv Bd. X«
ist sie nach Wien gekommen? Es könnte dies» nnr bei oder nach der
Wegführung der Heidelberger Handschriften nach Rom im Jahr 1623 ge-
schehen sein ; denn dass trotz aller von Leo Allatius angewendeten Sorg-
falt nnd Wachsamkeit (wie wir diess früher nachgewiesen haben) doch
einzelne Handschriften abhanden gekommen sind , welche dann in an-
dere Orte sich zerstreut haben, davon liegen uns mehrere Spuren vor,
deren weitere Verfolgung wir einer andern Gelegenheit vorbehalten müs-
sen. Gehört die Wiener Handschrift auch unter die Zahl der auf dies»
Weise diesseits der Alpen gebliebenen Heidelberger oder Pfalzischen Hand-
schriften? Zur sicheren Beantwortung dieser Frage wird vor Allem eine
nähere Besichtigung der Handschrift selbst erforderlich sein.
Ein genaues Register, wie es allerdings, schon wegen der Hand-
schriftenverzeichnisse nothwendig war, von der Hand des Hrn. Dr. Wat-
tenbach gefertigt, beschliesst diesen Band. Chr. Bfihr.
Geschichte der Chalifen, nach handschriftlichen, grösstenteils noch un-
benutzten Quellen bearbeitet von Dr. Gustav Weil, Professor
der morgenländischen Sprachen und Bibliothekar an der Univer-
sität Heidelberg. Dritter und letzter Band. Von der Einnahme
von Bagdad durch die Bujiden bis zum Untergange des Chalifat*
von Bagdad. 334—055 d. H. = 9 i5 — i258 n. Chr. Mit einem
Register zu sämmtl. 3 Bänden. Mannheim. Bassermann, iSol. 8.
Der Verf. hat auch in diesem Theile die bei Bearbeitung der bei-
den ersten Bände befolgte Methode beibehalten, sein Hauptaugenmerk war
das Chalifat von Bagdad, die sich um dasselbe gruppirenden Dynastien
wurden je nach ihren nähern oder fernem Beziehungen zu demselben mehr
oder weniger berücksichtigt und nur die Atabeks uud Ejjubiton mit mehr
Ausführlichkeit behandelt, weil hiedurch einzelne Partien aus der Geschichte
der Kreuzfahrer ergänzt und berichtigt werden sollten.
Die eigentliche Chalifengescbichte hatte mit dem Tode Almustassmis
(S. 478) geschlossen werden können, doch würde der grössere Leserkreis
den noch folgenden Ueberblick (S. 478 — 488) über die weitern Fort-
schritte der Mongolen, den Untergang der Ejjubiten, die Schattenchalifen
in Egypten und die Herrschaft der Mamluken gewiss eben so ungern
vermissen, als der kleinere der Historiker und Orientalisten den folgen-
den Anhang (I — VI) Uber die ältesten Turkomanenfürsten , deren Namen
nnd Genealogie noch so sehr im Dunklen sind und die mit der in diesem
Bande enthaltenen Geschichte der Seldjuken nnd Samaniden eng ver-
knüpft sind.
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394
Weil: Geschichte der Chalifen. 3. Bd.
Mit dem Anhange zum zweiten Bande (I — XXI), welcher dem
Vorliegenden beigegeben wird, erfüllt der Verf. nnr das, was er in der
Vorrede in demselben versprochen hat, nämlich die Fortsetzung der ira-
nischen Literaturgeschichte bis gegen die Mitte des vierten Jahrhunderts,
d. h, bis zu dem Zeitpunkte, wo sie noch immer als ein ergänzender
Theil der politischen Geschichte betrachtet werden kann, und in den ver-
ton Charakter angenommen hat
w^mmm mm mmm mm mm w mmm mm mm B% mm mm \m mmm mmm w mm MV W *
Endlich ist auch noch ein Anhang zum ersten Bande (I— X) bei-
gefügt, welcher in Kürze die ersten Kriege und Eroberungen der Ara-
ber nach der Leydener Handschrift des Beladori angibt, welche der
Verf. erst nach Vollendung des ersten Bandes benutzen konnte.
vom Verf. selbst mit der grüssten Sorgfalt gefertigt worden und hat ihn
zur Entdeckung und Verbesserung mancher Fehler, insbesondere bei Ei-
gennamen geführt. Er bittet etwaige Beurlheiler seines Werkes die hier
auch zu den ersten Bänden nachgetragenen Berichtigungen zu berücksichtigen.
Täuscht sich auch der Verf. keineswegs über die Mängel, die an
leiner Arbeit haften, so bat ihn doch die Ueberzeugung viel Neues und
Berichtigendes zu bieten mit Freudigkeit erfüllt, und da er der Erste nach
den zuverlässigsten Quellen eine klare l'ebersicht der ganzen Chalifenge-
achichte zu liefern versucht hat, so hofft er auch, dass sie mit gebüh-
render Nachsicht aufgenommen wird. Well.
Propädeutik der praktischen Philosophie, insbesondere der philosophischen
Politik in ihrer Anwendung auf die politischen und socialen Prob-
lerne der Gegenwart. Von Dr. Karl Hermann Scheidler,
ord. Hon. Professor der Philosophie in Jena. Zum Besten Schles-
wig-Holsteins. Jena. Braasche Buchhandlung. i85t. Auch un-
ter dem Titel: Handbuch der philosophischen und konstitutionellen
Politik. Heß I. (Propädeutik.) XII. S. u. £64 S. Heft U. (Chre-
stomathie.) LV1 S. u. 96 S. 8.
Die vorliegende Schrift des durch seine Psychologie, die Grund-
linien der Hodegetik und andere philosophische Schriften rühmlich
bekannten Herrn Verfassers hat nach dessen eigener Andeutung einen
zweifachen Zweck. Sie soll die „Grundlage oder Einleitung" eines „aus-
führlichem Handbuches der philosophischen und konstitutionellen Politik"
seyn. Dann „soll diese Schrift auch ein Ganzes für sich bilden als eiae
Ein- und Anleitung zum Studium der praktischen Philosophie überhaupt",
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Scheidler* Propädeutik der praktischen Philosophie 39S
nämlich „der philosophischen Staats- und Rechtslehre, sowie „der Volks-
und ßtaatspadagogik" (S. IL>
Was die Aurgabe der praktischen Philosophie für das öffentliche
Leben betrifft, so kann diese gegenüber den Extremen der Revolution
und Reaktion allein durch eine weise Reform in Staat und Kirche
erreicht werden, welche unverrückt das Ziel der Humanität für die
Völker und die Einzelnen im Auge behält. Wir verweisen hier auf das,
was der Yerf. S. XII. sagt. Referent stimmt ganz dem daselbst geäus-
serten Wunsche des gelehrten Herrn Verfs. bei, dass die Erziehung eine
„sittlich-religiöse'' seyn, dass man es immer mehr sich zur Aufgabe ma-
chen sollte, „die Ideen des wahren Rechts und Staats und die nachhal-
tige Begeisterung für dieselben, damit zugleich den freien Gehorsam ge-
gen die Gesetze und die Verfassung und die freudige Aufopferungsfähig-
keit für das Wohl des Vaterlandes zum Gemeingut Aller zu machen.u
Der erste Abschnitt der allgemeinen Einleitung in die
praktische Philosophie handelt „vom Philosophiren und der Philo-
sophie überhaupt« (S. 1—33). Was den BegrifT der Philosophie be-
trifft, sagt der Verf. ganz richtig, dass dieser „nicht vom Standpunkt"
eines bestimmten Systems oder einer einzelnen Schule, sondern vielmehr
vom allgemeinen kulturhistorischen Standpunkte aus bestimmt werden
müsse, dass „die Philosophie als eine Thatsache der wissenschaftlich ge-
bildeten Nenschheit zu betrachten", also „zu ermitteln sei", „was der
menschliche Geist mit der Aufstellung dieser Wissenschaft bezweckt bat,
welche Probleme sie zu lösen bestimmt ist, und welche Wirksamkeit oder
praktische Bedeutung sie für das wirkliche Leben der Geschichte und Er-
fahrung zufolge wirklich gezeigt hat oder zeigt" (S. 9). Er ist daher
für eine historisch-genetische Erklärung des Begriffs der Philosophie, und
will bei der Begriffsbestimmung dieser Wissenschaft auf „die Thätigkeit
des Menschengeistes zurückgehen, dnreh welche alle Philosophie entsteht."
Damm läset sich der Begriff der Philosophie, worin Refer. dem Vcrf»
tollkommen beistimmt, allein durch die richtige Auffassung dessen ge-
aflgend bestimmen, was „Philosophiren" heisst. — Ist doch die Philoso-
phie selbst nur ein „Endresultat" dieses Philosophirens.
Der Begriff „des Philosophirens" wird S. 14 dahin erklärt, dass
man sich unter „Pbilosophiren" das „wissenschaftliche und schlechthin
selbständige, von fremder Meinung unabhängige Nachsinnen oder Forschen nach
den letzten Gründen, Gesetzen oder Zwecken oder dem wahren Wesen und
Zusammenhange des Seyns der Dinge überhaupt" vorzustellen habe, dass sich
dieses Forschen „namentlich auf denjenigen Theil des Seyns der Dinge beziehe,
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396 Scheidler: Propädeutik der praktischen Philosophie.
der für den forschenden Menschen der wichtigste ist, seines eigenen Lebens
nämlich oder seiner wahren Bestimmung." Wenn wir gleich hierin keine wirk-
liche Definition erkennen können, ond Viel Parapbrastisches in der Er-
klärung finden, wie z. B. dass „jedes, schlechthin selbständige" Forschen auch
oothwendig „ein von fremder Meinung unabhängiges" ist, wodurch der
letztere Beisatz hinwegfällt, so sind doch alle wesentlich zum Begriffe
des Philosophireos gehörige Merkmale von dem Verf. angegeben. Der
Verf. unterscheidet im Philosophien S. 17 und 18 das kos molo gl-
iche, das ethisch-psychologische, das religiöse und das
kritische Problem. Er bezeichnet S. 23 alles Philosopbireo als „ein
rationelles Erkennen", und die Philosophie „als eine rationelle Wissen-
schaft." Der Begriff der „ rationellen Wissenschart" wird dahin erklart,
dass ihr „Grundstoff nicht aus Sinneswahrnehmung oder äusserer Erfah-
rung geschöpft wird, sondern in der Vernunft selbst liegt." Wenn der
Verf. S. 14 mit Recht das Philosophiren als ein schlechthin selbständiges
Forschen nach den letzten Gründen, Gesetzen oder Zwecken oder dem
wahren Wesen und Zusammenhange des Seyns der Dinge bestimmt, so
ist doch das erste Objekt der Philosophie die Erscheinung, sowohl die
äussere, als die innere. Von dem Dingo muss sie ausgehen, wenn sie
den Grund, das Gesetz, den Zweck, das Wesen des Dinges erkennen will.
Ja, das Ding zeigt ihr den einzig richtigen Weg, auf welchem man zur
Erkenntniss seines Wesens kommt. Der Inbegriff aller Dinge aber ist
die Natur. So bleibt das Objekt der Philosophie die Natur, und die
Philosophie darr sich nicht als eine einseitig a priori construirende, oder
absolut spekulative Wissenschaft den empirischen Wissenschaften entgegen-
atellen. Die äussere Naturwissenschaft (Somatologie) und die innere Na-
turwissenschaft (Psychologie) müssen der Philosophie das Material zu al-
len ihren Forschungen geben. Es war eine verkehrte Entwicklung in
unserer neuer« Philosophie, hauptsächlich durch die frühere Ideotitätslehre
S c h e 1 1 i n g ' s und II e g e V s Idealismus hervorgerufen, eine Philosophie
der Geschichte vor aller Geschichte, eine Philosophie des Weltprocesses
vor aller Naturwissenschaft, ohne Erfahrung aus sich selbst heraus con-
struiren zu wollen. Man hatte die verkehrte Ansicht, nach seiner Sub-
jektivität die Welt modeln zu wollen, und die also subjektiv zugestutzte,
von der Phantasie ersonnene Welt für die objektive selbst zu, halten,
anstatt frei von jedem Vorurlheile die Eindrücke der Natur, zu welcher
auch unser Geist nls integrirender Theil gehört, zu belauschen, und auf
diesem allein richtigen Erfahrungswege zur Philosophie der Natur aufzu-
steigen, welche sich an das Ding selbst und nicht an seinen Schatten hält
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Scheidler: Propädeutik der praktischen Philosophie. 397
Wir begnügen uns mit dieser Andeutung, da hier nicht der Ort zu einer
weitem Ausführung dieser Streitfrage zwischen dem Realismus and Idea-
lismas ist. . *
Der zweite Abschnitt (S. 34 ff.) amfasst „die nähere Erör-
terung der praktischen Philosophie." Der Verf. erklart zu-
erst den Unterschied zwischen der Lebensansicht des „sogenannten ge-
meinen Menschenverstandes " and derjenigen Lebensansicht, welche von
der praktischen Philosophie „als Wissenschaft" aufgestellt wird, um da-
mit das erste Hauptmerkmal der praktischen Philosophie zu bestimmen
(§. 10). Durch die wissenschaftliche Form ist ferner die Lebensansicht
der praktischen Philosophie von „den Bilderspielen der Phantasie" in der
Poesie und Mythologie unterschieden (§. 11). Sie trennt sich aber auch
durch die Selbständigkeit oder Unabhängigkeit von aller Autorität wesent-
lich von den „in den positiven Religionen, Gesetzen, Sitten und Gebräu-
chen liegenden und sich offenbarenden Lebensansichten" (§. 12).
Die praktische Philosophie wird als die Wissenschaft von der
Lebensweisheit, oder auch unter Beziehung auf Fr ie s (Ethik, S. 1)
als „die philosophische Lehre von der Mens eben Weisheit" bezeich-
net. Eben so weist der Verf. auf ihre Bedeutung als Lehre „von dem
Werth und Zweck des Menschenlebens", als die Lehre vom „höchsten Gut"
(summum bonumj, wie letztere das klassische Alterthum auffasste, hin (§.13).
Die praktische Philosophie ist nach dem Herrn Verf. nicht nur,
wie diess bei andern praktischen Wissenschaften, z. B. der praktische!
Geometrie, Astronomie, Theologie, Medicio, Jurisprudenz u. s. w. der Fall
ist, eine Anwendung der theoretischen Philosophie aufs Leben, son-
dern sie (die praktische Philosophie) bat ihre eigenthümlichen Prinzipien,
und ist in ihren grundwesentlichen Lehren von der theoretischen (na-
mentlich der Metaphysik) ganz unabhängig. Ohne theoretische Philoso-
phie kann unserer Ansicht nach von einer praktischen als Wissenschaft
keine Rede seyn, sonst wäre Uberall, wogegen der Verf. sich doch selbst
erklärt, zwischen den gewöhnlichen praktischen Ansichten des gemeinen
Menschenverstandes und der praktischen Philosophie kein Unterschied.
Ab Rechtsphilosophie, Politik, Moralphilosophie u. s. w. ist in der Thal
die praktische Philosophie nichts Anderes, als die auf das Recht, den
Staat, den sittlichen Willen und die sittlichen Handlungen des Menschen
richtig angewendete Philosophie. Wenn auch die Alten ihre Philosophie
in Logik, Physik und Ethik tkeilten, und die Politik als eine Wissenschaft
betrachteten die das Beste der Gesammtheit bezweckte, während die Ethik
das Beste des Einzelnen verwirklichen sollte, so zeigt sich doch in der
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398 Scheidler: Propädeutik der praktischen Philosophie.
Thai immer in ihrer Politik und Moral eine Anwendung der Principien
ihres theoretischen Systems. Diess hat auch die neuere Philosophie ge-
zeigt. In der Rechts- und Moralphilosopbie Kant's, Fichte'», Schöl-
ling'*, Hef eis zeigen sich die obersten Grundsätze ihrer theoretischen
(metaphysischen) Weltanschauung wieder.
Der dritte Abschnitt (S. 56 ff.) nmfasst die „Bedeutung and
Wichtigkeit der praktischen Philosophie für das wirkliche,
namentlich das sociale und politische Leben."
Mit Recht macht der Herr Verf. §. 15 auf den Satz aufmerksam:
„Wissen ist Macht" (mens agitat molem). Aber, wenn auch die Phi-
losophie wirklich einen so bedeutenden Einfluss auf das Leben äussert,
dass „die wissenschaftliche Cuitur alle übrige bedingt", so stimmen wir
doch dem Verf. vollkommen bei, dass sich die Philosophie nur da wahr-
haft entwickeln kann, wo sie ..als freie, von aller Autorität unabhän-
gige Forschung Eingang findet. u Sehr richtig bezeichnet er (nach Fries,
Metaphysik, S. 21), den religiösen Irrthum, d. b. den Aber-
glauben „als den mächtigsten Feind nicht nur der Wahrheit und Schön-
heit, sondern auch des Friedens und der Gerechtigkeit für die ganze
Menschheit."
Wenn auch der Herr Verf., worin ihm Ref. ganzlieh beistimmt, mit
eben so vieler Umsicht und Wahrheitsliebe, als hellem religiösem Sinne
auf die hohe Bedeutung des Chris tenth ums für die Selbslverständi-
guug ues lucnscueugusies am weis», so w im gewiss mii voiiKommen giei-
eher Begründung von demselben der Beisatz (S. 64) gemacht, welcher
euch ganz die Ansicht des Hefer. ist: „In keinerlei Hinsicht darf der
Begriff der christlichen Philosophie in dem Sinne genommen werden, als
wenn die Lehren der Philosophie auf die Autorität des christlichen Kir-
ch eng lau bens gegründet werden, und die praktische Philosophie aller Fra-
gen sich enthalten musste, welche schon durch die positiven Satzun-
gen der Kirche und des Staates entschieden wären.tt Selbst „als christ-
liche Philosophie tt muss die Philosophie „vor Allem ihr eigenes unver-
äusserliches Recht der freien Forschung und des f r eien A usspre-
c he ns ihrer Resultate um so entschiedener geltend machen, als bievon
die auf friedlichem Wege zu bewirkende Anerkennung und Geltendma-
chung der Menschenrechte Aller vorzugsweise abhängt1' (S. 71}. Die
„neuere, nothwendig christliche Philosophie1' bat die „richtigen, von ihr
anerkannten Grundgedanken des Christenthums tt , die Ideen des Got-
tesreiches und „die aus der Würde der Persönlichkeit folgenden all-
gemeinen Vernunft- und Menschenrechte« zu entwickeln und ins
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Scheidler: Propädeutik der praktischen Philosophie. 399
Leben iq fahren. Die praktische Philosophie kann übrigens ihre sociale
Aufgabe, „echte, sittlich-religiöse und politische Aufklärung zu verbreiten"
(S. 81}, durch die äussere Bedingung der Denkfreiheit und selbständi-
gen Stellung des Gelehrtenstandes" allein gewiss nicht erreichen. Hiera
sind auch innere, wesentliche Bedingungen nötbig, zu welchen der Herr
Verf. „die rücksichtslose Wahrheitsliebe", die sittliche Tapferkeit und die
daraus hervorgehende „Freimütigkeit des Gelehrtenstandesu zählt, welche
Eigenschaften er auch mit Recht „als die Gesinnungstüchtigkeit" (ein in
neuerer Zeit oft sehr missbrauebtes Wort} oder „Charakterstärke" (an
welcher es leider den Gelehrten oft sehr fehlt}, bezeichnet.
Alexander v. Humbold sagt: „Man muss den Muth einer ei-
genen Meinung haben." Sehr beherzigenswerth ist Göthens Wort aus
Hermann und Dorothea (S. 85):
„Der Mensch, der tur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Uebel, und breitet es weiter und weiter !u
Der Verf. setzt S. 85 ff. auseinander, dass ohne rechtliche und sitt-
liche Bildung der Einzelnen von einer politischen Volksbildung und von
der Lösung der Aufgabe der Politik, der politischen Charakterbildung,
keine Rede seyn kann. Er bezeichnet als die Elemente „der staatsbür-
gerlichen Tugend" (S. 86} den freien Gehorsam gegen die Gesetze, die
echte Vaterlandsliebe, die Pietät oder Achtung gegen die Geschichte des
Vaterlandes und das wahrhaft Besteheude und zugleich das geregelte
Streben nach Fortschritt auf gesetzlichem Wege." Ohne solche Tugenden
sind ihm mit Recht Constitutionen oder Verfassungen „leere Worte" oder
„todte Formen" (S. 86.}.
Aber auch die religiöse Bildung ist , wie der Herr Verf. S. 92
ausführt, zur Erreichung der politischen im guten und- richtigen Sinne
des Wortes unumgänglich nothwendig. Es ist, wie der Herr Verf. sagt,
eine „in praktischer Hinsicht wichtige Aufgabe der philosophischen Poli-
tik, nachzuweisen , wie Recht und Sittlichkeit in einem viel höhern Da-
seyn, als dem menschlichen, begründet sind." Darum muss das politische und
sociale Leben „die Religion schlechterdings als eigentliche Basis" anerkennen.
Beherzigenswerth ist, was der Verf. gegen deu Jungbegelanismus und
französischen Socialismus und Communismus S. 96 ff. erinnert.
Mit vieler Umsicht wird S. 102 der kosmopolitische Charakter des
Christentums dargestellt. Das Christentum stützt den Staat „uicht auf
Gewalt, sondern „auf das Recht" und dieses letztere auf „die Pflicht oder
Sittlichkeit und Religion." Es geht von „der Anerkennung von ange-
bornen oder allgemeinen Vernunft- und Menschenrechten" aus, wodurch
die Aufbebung der Sklaverei und die bürgerliche und politische Freiheit
angebahnt wurden. Es erkennt als „leitende Grundgedanken" die Wahr-
heit und Freiheit an, und „verwischt darum allen Aristokratismus und Ab-
solutismus unter jedweder Form", so dass man die Religion des Christen-
thums mit Recht „als die Religion der Freiheit bezeichnen muss" (S. 109.).
Die philosophische Politik hat darum „den richtig verstandenen,
ron allem mystischen und pietistiseben (und mittelalterlich romantischen)
Beiwerk" gereinigten Begriff des christlichen Staats in Schutz zu
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400 Scheidler: FrODadeutik der praktischen Philosonhi«
nehmen und ihn als mit dem Begriffe des „Rechts- oder Vernunftstna-
tes" gleichbedeutend zu betrachten (S. 119.}. Das Christenthum bahnte
-die politische und bürgerliche Freiheit in „Verbindung mit dem germani-
schen Volksthumu an. Daher weist der Herr Verf. ganz richtig auf den
christlich - germanischen Staat als die Hauptstütze dieser freiem nnd ver-
nünftigeren, aus dem Christenthume hervorgegangenen Staatenentwicklong
hin. Wenn der Herr Verf. auch allerdings mit vielem Geschicke hiervon
den Werth des neuern Repräsentativ- oder konstitutionellen Systems an-
zuknüpfen und darauf aufmerksam zu machen weiss, so wird doch schwer-
lich der unbefangene Kenner des Alterthums die von den Herrn Verf.
-6. 121 ausgesprochene Behauptung unterschreiben, dass, wahrend diese
(die konstitutionelle Staatsform) „dem heidnischen klassischen Alterthum
unbekannt war, in dessen sog. Republiken oder Demokratieen von wah-
rer bürgerlicher und politischer Freiheit eben so wenig (sie!) die Rede
war uud seyn konnte, als sich dieselbe in den neuern christlichen, bloss
romanischen oder slawischen Staaten findet." (V) S. 132 werden die
Lichtseiten „des deutschen Volksthums " entwickelt. Doch lassen sich
mehrere der dort angegebenen Vorzüge auch bei andern christlichen
nicht-germanischen Völkern der Neuzeit nachweisen. Zudem könnte die
Geschichte unserer neuesten Zeit ein reichlicheres Material für die Dar-
stellung der Schattenseiten des deutschen Volkes bieten. S. 145
wird die Bedeutung des deutschen Corporaliv- oder Zunftwesens ent-
wickelt, und auf den Zusammenhang desselben mit dem „socialen Prob-
leme der Gegenwart, der Arbeiterfrage" (S. 152) hingewiesen.
Das zweite Heft der politischen Propädeutik enthält eine Chre-
stomathie der philosophischen und konstitutionellen Politik. — Sie
omfasst Auszüge aus den politischen Schriften von Dahlmann, Schön,
Schmitthenner, Jordan und Sismondi. Die beiden hier ange-
zeigten Hefte werden von dem Herrn Verf. nur „als Grundlage oder Ein-
leitung", auch als „Probe" eines ausführlicheren Handbuches der philoso-
phischen und konstitutionellen Politik augesehen. Ueber den Plan des
Ganzen, sowie „über die dermalige Stellung und Aufgabe der staatswis-
senschaftlichen Studien" überhaupt und der Staats- und Rechtsphilosophie
insbesondere soll sich ein drittes, bereits unter der Presse befindliches
Heft dieser politischen Propädeutik aussprechen. Das grössere Handbuch
wird in der Form seines Handbuches der Psychologie und seiner Grund-
linien der Hodegelik von dem Herrn Verf. ausgearbeitet werden. Wir
wünschen der vorstehenden, zu einem gemeinnützigen, edlen Zwecke ge-
schriebenen Propädeutik recht viele Leser, und erwarten recht bald das
Erscheinen des grösseren Werkes über die Politik, sowie die Vollendung
der angezeigten Propädeutik durch Ausgabe des dritten Heftes. Möge
im vollsten Sinne des Wortes der Ausspruch wahr werden, mit welchem
der Herr Verf. seine Theorie der politischen Propädeutik schliesst (S. 164):
„Die gegenwärtige Krise muss mit dem Siege der Ver-
nunft and der bessern Elemente enden."
Relehlla Melden,
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Nr. 26.
HEIDELBERGER
1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Unsere jungheget sehe Weltanschauung oder der sogenannte neueste
Pantheismus. Allen Denkenden J. P. Romangs (sie!) gewidmet ton
A. E. Biedermann. Zürich. Druck und Verlag ton Friedrich
Schulthess. 1649. IV S. u. 207 S. S.
, : • »
Obige Schrift bat eine polemische Tendenz und ist gegen das Bach
des schweizerischen Theologen, J. P. Romang „der neueste Pantheismus
oder die junghegePsche Weltanschauung" gerichtet, auf dessen Vortage
und Mangel wir in diesen Blättern, Jahrgang 1849, S. 236ff. hingewie-
sen haben. Die Schrift J. P. Romang's bekämpft vorzugsweise die jung-
hegelscbe Richtung in der Schweiz. Als Hauptrepräsentanten derselben sind
Zeller und Biedermann bezeichnet. A. E. Biedermann tritt in der
obigen Schrift gegen die ihm von Romang gemachten Vorwurfe auf.
Er theilt seine Rechtfertigung in folgende Abschnitte: 1) Aulass und Ab-
sicht (S. 1—9), 2) Gott als absolute Substanz (S. 10 — 40), 3) Gott
als absoluter Geist (S. 40—69), 4) Gott als höchstes Gut oder die
sittliche Wellordnung (S. 69 — 97), 5) Gott als allgemeines Wesen den
Menschen (S. 97-11J), 6) das Wesen der Religion (S. 111—138),
7) die religiösen Tugenden (ß. 138— 164), 8) das ewige Leben (S. 164
bis 179), 9) unsere sociale und kirchliche Stellung (S. 179—207.)«
Ein näheres Eingehen in die A. E. Bied er man n'sche Schrift
wird «eigen, in wiefern es dem Verf. gelungen ist, die Romang 'sehen
Vorwürfe abzuweisen.
A. E. Biedermann behauptet, dass die von J. P. Romang
entwickelte „junghegersche Weltanschauung-' auf „einem Fundamental-
missverständnissetf (S. 4) beruhe. Der Verf. gibt zu, dass das von Ro-
mang dargestellte System der „ junghegefschen Weltanschauung wirk-
lich existire." Aber die „Romang'sche junghegersche Weltenschaiung^
fügt er S. 5 bei, „ist nicht die meinige und nicht die meiner Mitarbei-
ter an der Kirche der Gegenwart. u Dnser Verf. hat also gegen die
wirkliche Existenz einer atheistischen Richtung des Junghegeith uma nichts
einzuwenden, nur weist er es zurück, wenn man seine Ansicht mit diesem
modernen Atheismus vermengt. Er will sich darum in seiner Schrift nur
-auf das beschränken, was ihn speciell angeht." Der Verf. will den
„neuesten junghegerschen Pantheismus u , wie er in „seinen theoretischen
Grundlagen" nnd „praktischen Couequenxen* von Romang „dargestellt"
XII V. Jahrg. 3. Poppelheft. 26
Digitized by Google
40$ I Biedermann: Junghegel'scbe Weltanschauung.
und „gewürdigt worden ist, „nicht vertheidigen«, iondera er will nach-
weisen, dass diese» moderne System „ nicht dasjenige derer4* sey, die
„Rom an g als die namhaftesten Vertreter mit aufs Korn nimmt tt (S. 6.).
per Verf. tritt also eigentlich nicht gegen die ganze Anschauung des
Botnang' sehen Buches, sondern gegen die ihm in demselben gemachten
Vorwürfe auf, die er „Missverständnisse'4 nennt.
Wir gestehen gerne zu, dasa sich die Philosophie von keinem theo-
logischen Systeme, von keinem Auctoriltttsprtncip irgend einer Kirche ihre
Weltanschauung vorschreiben lassen darf, dass mit der Zerstörung des
freien Denkens und freien Forschens atich die Philosophie zu Grabe ge-
tragen wird; aber wir haben immer und zu jeder Zeit es missbilligt,
wenn ^ie Philosophie den auf dem Wege freier Forschung gewonnenen
Begriffen einen theologischen Mantel umhängt, um unter dem Schutze ei-
ner solchen Verhüllung im Kreise der Kirche zu wirken, und Ansiebten,
die vom Standpunkte des Cbristenthums atheistisch erscheinen müssen, za
^ellristlichen44 und „religiösen44 umstempeln zu wollen. Wenn Hegel
aus dem reinen Seyn den Vater, aus dem Andersseyn desselben den
Sohn, und aas dem Andern dieses Andersseyns, das wieder zum reinen
Seyn zurückführen soll, den b. Geist dialektisch- spitzfindig heraus demon-
striren wollte, gab er damit nicht das Losungszeichen zu jener, jetzt noch
bei Yiden beliebten Art von theologisch-philosophischer Taschenspi elerei,
welche speculativen , abstrakten Begriffen beliebige theologische Namen
der orthodox -christlichen Dogmatik umhängt, um auf dem Boden der
Kirche theologisch zu wirken? Wir glauben, dass eine solche Vermen-
gung theologischer und philosophischer Anschauungen, die man mit dem
unpassenden Namen „der Religionsphilosophie44 bezeichnet hat, eben so
lehr der wahren Philosophie, als der wahren Theologie schade. Sie
schadet der wahren Philosophie, weil theologische Kunstausdrflcke religiö-
ser Mysterien, die nie ein Objekt des Wissens, sondern nur des Glaubens
werden können, als Bezeichnungen für Begriffe genommen werden, die
VOr dem Forum der Vernunft einen ganz andern Sinn haben müssen, als
vor dem Forum der Kirche. Die mysteriösen Dogmen der christlichen
Theologie werden Gegenstande der Philosophie, und so schlägt urplötz-
lich die Philosophie wieder, wie dieses schon im Mittelalter geschehen
war, in Scholasticismus um, dessen Charakter sich in den religionsphilo-
Sophiichen Schriften HegeTs und Schelling's unverkennbar zeigt.
L Man gewöhnte sich auf solche Weise daran", die philosophischen
Begriffe in theologische Namen umzusetzen, und mit Worten anstatt mit
Begriffen zu spielen. Daher kam es, dass die gläubige und ungläubige
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. jungneget icn© ™ ciiauaciiauuny.
403
Partei anter den christlichen Theologen in Hegel'f Heligionsptailosophie
das Evangelium ihrer orthodoxen oder belerodoxen Lehre fand. Diese
Vermengung philosophischer und theologischer Anschauungen war aber
auch nicht minder der Theologie selbst schädlich. Man hielt, »ich an die
neoesten positiven Glaubensbekenntnisse der einzelnen christlichen Kirchen,
die Man je nach dem Standpunkte der Partei auf sogenannte philosophi-
sche Weise au begründen versuchte. Man nahm die Anschauungsweise
einer orthodox theologischen Gegenwart also für die einsig christliche
Anschauungsweise, und hob so den für die echte theologisch-wissenschaft-
liche Forschung so wichtigen Unterschied zwischen Urchristentums und
späterer christlicher Kircblichkeit ganz auf, wie sich diese Aufhebung * B.
in FeoerbaclTs Wesen des Christenthums so weit verstieg, das We-
sentliche im Christen! hu mc und die Auswüchse des mittelalterlichen Ro-
manismus als identisch zu bezeichnen, und die Elemente des letztern in
den Evangelien nachweisen zu wollen. Man adoptirte ferner in der Theo-
logie philosophische Begriffe , die einen ganz andern Sinn hatten , ala die
Worte der Theologie, welche zur Bezeichnung aolcher Begriffe gewählt;
wurden. So vertheidigte man mit Feuereifer philosophisch die Existenz
Gottes im Sinne del Christenthums, während man mit dem christlichen
Worte den bis zum „reinen Seynu verflüchtigten, abstrakten Begriff ver-
band; ao vertheidigte man mit Feuereifer philoaophiach die Unsterblichkeit
im Sinne des Christen t hums , während man mit diesem chria Hieben Wort*
den Begriff eines Aufhöreos des individuellen Bewosstseina und einer Ewig-
keit des absoluten Geistes oder des Geistes an sich (in der Abstrattion)
verband. Dieses hatte notbwendig Heuchelei und Zweisüngigkeit zur
Folge, und konnte unmöglich dadurch gerechtfertigt erscheinen, daaa man:
die theologischen Namen brauchte, um bei der orthodoxen Partei nicht,
auzuatossen. Nur die wahrhaft rationelle Entwicklung, die für die wahre
Sache auch den wahren Namen hat, kann als eine philosophische bezeich-
net werden. Man kann es aber nicht billigen, dass dasjenige von der
Philosophie „als christlich" adoptirt werde, was selbst im Sinne und
Geiste des Urchristenthums ala unchristlicb bezeichnet werden muss. Hat
die Philosophie den Muth, gegen das Christentum aufzutreten, so darf
sie diesa nie, wenn sie auf den Namen einer freien Wissenschaft Anspruch,
machen will, unter den christlichen Formen, als eine „christliche11 Philo-;
sophie thun. Darum steht Fauerbach, unter den Gegnern dea Chri-
stenthums ehrlicher da, weil er offen nnd nirgends verkappt auftritt, weil
er nirgends „christlich« sein will , sondern überall aeine Weltanschauung;
ab die Negation des Chris tent hu ms geltend zu machen sucht, während/
36*
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404 Biedermann : Jungbegel'sche Weltanschauung.
Andere, die mit ihm gleich denken, für ihre negativen Begriffe positive,
christliche Worte wählen, um ihre Verneinung des Chrislenthums als
Christentum erscheinen zu lassen.
A.B. Biedermann gehört nach der vorliegenden Schrift xu
denjenigen Anhängern der HegeTscben Schule, welche den Boden des
Christenthums nicht verlassen, sondern im Gegentheile auf demselben ihr
kirchliches Gebäude errichten wollen. Er sagt S. 197 wörtlich: „Wir
aber behaupten, dasa unsere religiösen Ueberzeuguugen , unser Glaube
kein anderer sei, als der des gläubigen Christenvolkei evangelischer Kirche,
dass wir mit den gläubigen Christen von allen Bildungsgraden Glieder an
einem Leibe seien, dessen Haupt Jesus Christns ist, dessen Seele sein
gott menschlicher Geist ist, und dessen Leben in allen Gliedern, bei ver-
schiedenen Verrichtungen, in der Durchdringung, Erleuchtung, Heiligung,
kurz in der Hinanfuhrung der Menschheit zu ihrem absoluten Ziele besteht.
Die Vermittlung dieses gottmenschlichen Lebens ist der Zweck der Kirche,
und ist für uns derselbe, wie für jeden Gläubigen. Darum stehen wir
in der Kirche, wirken in der Kirche und für die Kirche.«
Während der Verf. nun sich mit seinem Gegner, dem Pfarrer Ro-
ma ng, auf denselben religiösen Standpunkt dadurch stellt, dass er „kei-
nen andern Glauben", als den „des gläubigen Christeuvolks evangelischer
Kirche" haben will, versichert er in demselben Buche S. 20 : „Zur Stunde
weiss ich nichts Anderes, als dass Hegel die Grundlage meines philo-
sophischen Denkens bildet, und wenn ich auch unbekümmert um das, was
Hegel da oder Hegel dort gesagt, selbständig auf dieser Grundlage
weiter zu bauen mir bewusit bin: so weiss ich doch, dass ich damit
bis jetzt weder ein Uber Hegel Hinausgeschrittener, noch von Hegel
Abgefallener bin.«
Unser Verf. stellt sich also auf den schwer zu verbindenden Boden
„des gläubigen Christenvolkes evangelischer Kirche« (S. 197) und „He-
gels" (S. 20). Wie ihm diese schwierige Aufgabe gelungen ist, soll
eine näherer Betrachtung seiner Schrift zeigen.
Der Verf. spricht sich, während er auf dem Boden „des gläubigen
Chriatenvolkes evangelischer Kirche stehen will«, dagegen aus, dass Gott
als „im Geist, als ein reales denkendes Subjekt" aufzufassen sei (S.44).
Er gesteht zu, dass „das religiöse Bewusstsein« Gott „als wollende, als
Alles (auch das Schlechte?) wollende, allmächtige Persönlichkeit" ver-
lange« (S.45). Er meint ferner, dass „das religiöse Bewnsstsein" sich
Gott „als wissende, allwissende Persönlichkeit« denke. Er erklärt, dass
er die „von aUen Seiten mit solchem Ungestüm erhobene Forderung",
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Biedermann! Jungnegel'gche Weltanschauung. 405
das „Göttliche müsse «in Geist, ein denkendes, wollendes Subjekt, eine
Persönlichkeit sein'4, so sehr er „Berechtigtes in ihr anerkenne, doch so,
wie sie erhoben wird, nicht für berechtigt11 anerkennen könne. Er er-
klärt diese Fordernng nicht nur „nicht für berechtigt u , sondern „gera-
den für unrichtig/ Der Verf. hält also diese Forderung „sich Gotl alt
Geist, als denkendes, wollendes Subjekt" zu denken, als für eine „ be-
rechtigte14 und zu gleicher Zeit für eine „nicht berechtigte." Er glaubt
diesen Widerspruch, eine berechtigte Forderung zu einer nicht berech«
tigten zu machen, mit der Einschränkung aufzubeben t die Forderung sei
so unberechtigt, wie sie erhoben wird. Was er an der Art und Weise
der Erhebung dieser Forderung tadelt, spricht er S. 49 deutlich in den
Worten ans: „Wer uns immer und immer mit der Persönlichkeit Gottes
kommt, ihn als Geist, als wissendes und wollendes Wesen bezeichnet,
der bat ganz etwas Anderes im Sinn, als worauf wir hier vorläufig hin-
zielen, wenn wir das Göttliche absoluten Geist nennen, der denkt nicht
daran, diesem Geist, dieser Persönlichkeit an der äussern Realität der
Welt die natürliche Basis zn geben, die sonst aller Geist an seiner na-
türlichen Individualität hat. Im Gegent heile, man abstrabirt von der Ge~
sammtbeit des weltlichen Daseyns, setzt diese Persönlichkeit als vor- und
abgesehen von derselben, rein für sich dastehend; abstrabirt sich vom
Geist, den man kennt, für jenen ein Wissen und Wollen nur mit Auf-
hebung der Schranken, und bedenkt nicht, dass uns die Wirklichkeit Geist
nur nnter der Bedingung und Voraussetzung leiblicher Individualität, also
auch seitlich räumlicher Schranken zeigt, und mithin vom Begriffe dessel-
ben dies wesentliche Moment wegzulassen durchaus nicht erlaubt; bedenkt
nicht, dass wirkliches Wissen und Wollen des Geistes gerade auf dem
Gegensatze der innern Unendlichkeit seines Wesens and der Endlichkeit
seiner Existenzbasis beruht, in deren sich selbatvermittelnder Dialekttik das
Leben, die Realität des Geistes besteht. Das Alles bedenkt man nicht,
hilt sich ans Wort, nnd setzt einen wissenden und wollenden Geist vor-
aus, dem man aufs Sorgfältigste alle Bedingung zum Geistsein, zum Wis-
sen and Wollen, wie wir von all dem nur irgend etwas wissen, ab-
spricht. u Er tadelt die Anschauung als unwissenschaftlich und unhaltbar,
wenn man die Ansicht vertbeidigt, dass der „Geist überhaupt ein für
sich existirendes, denkendes und wollendes Wesen von einer besondere
geistigen Substanz sei, von dem nichts hindere, anzunehmen, dass es im
Menschen zwar aufs Innigste mit einer materiellen Leiblichkeit (sie !) ver-
bunden sei, und in seinem Denken und Wollen durch dieses Werkzeug
wesentlich modificirt werde, dass aber Gott ein reiner, in schrankenlosem
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Biedermann: Jnnghegersche Weltanschauung.
Wilsen und Wollen allbefessender Geist sei" (S. 50). Gott soll zwar
„ein geistiges Wesen", aber „kein Geist", „kein wissende! und wollen-
des ßebjekt" sein.
Die Attribute, welche dss Wesen des Geistes ausmachen, sind das
Wilsen und das Wollen, und man kenn sich keinen Geist ohne Wissen
und Wollen denken. Das menschliche Wissen und Wollen ist beschrankt
und endlich; es ist kein absolutes Wissen und Wollen. Daraus folgt aber
nicht, was der Herr Yerf. will, dass man sich in Gott weder ein Wis-
sen noch ein Wollen denken könne. Was werden wir von einem We-
sen sagen, das nicht weiss und nicht will? Wir werden es gewiss nicht
Geist nennen, uud doch nennt der Verf. Gott „einen absoluten Geist",
während er dem Geiste diejenigen Grundeigenschaften abspricht, welche
er haben muss, um Geist zu sein. Wenn Gott kein menschliches Wissen
nnd Wollen hat, folgt daraus, dass er gar kein Wissen und Wollen hat?
Wenn Gott „ein absoluter Geist" ist, folgt daraus nicht viel mehr, dass ihm
Wissen und Wollen im absoluten Sinne des Wortes zukommen müsse?
Man muss, wie der Verf. will, dem Begriffe Gottes als eines absoluten
Geistes „die äussere Realität der Welt als natürliche Basis geben" (S. 19);
man darf nicht, wenn man Gott als absoluten Geist denkt, von „der Ge-
eammtheit des weltlichen Daseins abslrahiren" , man darf ihn nicht als
„vor- und abgesehen von dieser, rein für sich dastehend" denken, man
darf sich in Gott „nicht ein Wissen und Wollen" denken mit ..Aufbe-
bung der Schranken." Ist denn ein Geist, der die „äussere Realität der
Welt als naturliche Basis" braucht, um zur Entwicklung zn kommen, der
die „Gesammtheit des weltlichen Daseins" zu seiner Existenz voraussetzen
muss, ein absoluter Geist? Gewiss nicht. Der Begriff des Absoluten ist
der negative Begriff des Unbedingten, des Schrankenlosen. Der absolute
Geist setzt nicht die „äussere Realität der Welt als natürliche Basis" vor-
aus, er braucht nicht die „Gesammtheit des weltlichen Daseins" zu seiner
Existenz als vorausgesetzte Bedingung. Er muss, wenn er absolut ist,
in sich und durch sich , an und für sich sein , und nicht erst dnroh die
Voraussetzung eines Stoffes werden, in welchem Werden schon notwen-
dig der Begriff der Veränderlichkeit liegt Ist Gott ein „absoluter Geist",
wie ihn der Verf. nennt, so kann der Begriff des Wissens und Wollens
nicht von ihm getrennt werden, ist er absolut, so kann man nicht za
seiner Existenz ein Anderes, als er ist, voraussetzen, um erst durch die-
ses Andere seine Existenz zu begründen. Wenn Gott nach dem Herrn
Verf. weder Wissen noch Wollen, weder Bewusstseiu noch Geist, weder
ein für sich existirendei, wissendes und wollendes Wesen, noch ein Sub-
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Biedermann i Jungbegel'scho Weltanschauung, 407
jekt, noch eine Persönlichkeit ist, was ist er dann? Er kann, wen u der
Verf. keine andere Grundlage, als Hegel, hat, nichts Anderes sein, all,
das „Seyn und sonst Nichts", oder das, „was an sich noch Nichts ist,
aber alles Mögliche werden kann." Dass der Verf. aus seinem Gottes*
begriffe „alles Mögliche" machen kann, hat er von S. 51 an in der De-
duktion bewiesen, in welcher er das Wissen und Wollen in dem Gofc*
tesbegriffe in negiren sucht. Es ist ein Widerspruch, Gott zu einem,
absoluten Geiste zu machen, und ihm das Wissen und Wollen abzuspre-
chen, ohne welches er aufhört, ein Geist zu sein. Man darf nicht in der,
Retorte der Abstraktion so lange Begriffe abziehen, bis kein Begriff mehr
übrig geblieben ist, und dieses residuum eines absoluten Nichts zu Gott
machen. Wenn man dies tbut, muss man wenigstens, wie Feuerbich,
den Muth haben, zu sagen, dass man es zn einem Nichts vergeistigt hat,
Man muss nicht Namen, wie „Gott", beibehalten, wenn man den Begriff
Gott aufgegeben hat; man darf dieses aber am allerwenigsten dann thun,
wenn man, wie der Yerf., sich auf den Boden „des gläubigen, evange-i
tischen Christenvolkes« stellt, und sogar, wie der Verf. S. 197, ein
christlich frommes Glaubensbekenntniss ablegt. Hierin liegt die Halbheit,
hierin liegt der Widerspruch. Nichts verwirrt die Begriffe mehr, als
das Beibehalten von Worten, deren Sinn und Bedeutung man längst auf-
gegeben hat, und mit denen man einen fremden Sinn, eine fremde Be-
deutung verbindet, während die gläubige Masse, mit der man sich au^
den nämlichen Boden stellt, damit den ursprünglichen, längst gewohnten
Sinn verknüpft« >>
Der Herr Verf. wird nicht läugnen wollen, dass Christus und die
Apostel, von deren Aussprüchen „das gläubige evangelische Christenvolk",
sich unmöglich entfernen kann, so lange es „gläubig" ist, Gott einen,
Geist nennen, der das Gute weiss und will, dass sie Gott ein unbeschränkt
tes Wissen und Wollen beilegen , dass sie ihn zu einem denkenden uud
wollenden Subjekte machen, welches zu seiner Existenz nicht die „Gesammt-
bei! des weltlichen Daseins" voranszusetzen braucht, oder die „äussere
Realität der Welt" zur „natürlichen Basis" macht-, er wird keinen Au^
genblick bestreiten können, dass Christus und die Apostel Gott als einen
wissenden und wollenden, unbeschränkten Geist denken, dem sie weder
das Bewusstsein, noch die Subjektivität streitig machen, dass zu seiner
Existenz kein Anderes vorausgesetzt wird, dass im GegentheUe alles An«?
dere erst durch ihn wird, und in ihm ist. Und doch sagt der Verfasser-
6. 197: „Unser Glaube ist kein anderer, als der des gläubigen Christen-
Volkes evangelischer Kirche", und dieser Glaube ist, dass er nach seinem
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409 Biedermann! Junghegersche Weltanschauung.
eigenen Bekenntnisse, wie alle andern Christen, ein Glied sei ..an dem
einen Leibe, dessen Haupt Jesus Christus ist." Er nennt die „Seele"
dieses allgemeinen christlichen „Leibes" den „gottmenschlichen Geist"
Jesu Christi.
Und ist augenscheinlich die ganze philosophische Deduktion des
Gottesbegrilles , wie sie der Verfasser gibt, nicht etwa nur im Wider-
spruche mit den Symbolen der Kirche, von welchen die rationelle oder
philosophische Auffassung des Christenthums allerdings abstrahiren muss;
nein, im Widerspruche mit der ganzen Anschanungs- und Denkweise der
ersten Stifter des Christenthums, insbesondere Jesu selbst, den der Verf.
fum „gottmenschlicben Haupte des Leibes" macht, zu dem das „ganze
gläubige Christenvolk evangelischer Kirche" gehört, von dessen „religiö-
sen Ueberzeugungen" , von dessen „Glauben" der Verf. nicht anweichen
will? In diesem Widerspruche ist der Verf. befangen, und auch die
geschikteste Dialektik ist nicht im Stande, denselben aufzulösen. Wir
haben den Verf. gegeB manche unbegründete Vorwürfe im Romani-
schen Buche in Schutz genommen; aber diese Vertheidigung des Verfs.
ist eher dazu dienlich, die gemachten Vorwürfe zu bestätigen, als sie zu
Widerlegen. Ich habe in meiner Anzeige des Rom an g* sehen Buches
nachgewiesen, dass dasselbe theilweise Biedermann, am meisten aber
Zeller unbegründet zu nahe getreten ist. Die Apologie musste aber
eine andere, als die vorliegende, sein, um den Gegner geschickt zurück-
zuweisen. Wir geben es gerne zu, dass der Ton der Ro mang' sehen
Schrift theilweise „hämisch" und „gehässig" wird; aber um eine In die-
sem Tone theilweise abgefasste Schrift gründlich zu wiederlegea, bedurfte
ei eines andern Tones, und diesen finden wir auch in der vorliegen-
den Rechtfertigungsschrift nicht. So sagt unser Apologet von einem
Witze Romang's S. 73: „Und doch ist es nur ein Witz, wie man
etwa beim Weinglas einander mit närrischen Consequenzcn aus ernsten
Behauptungen necken mag. Aber auch da würde man einem langweili-
gen Gesellen, der nichts wüsste, als immer und immer wieder nur den
einen und selben Witz todt zu reiten, am Ende doch die Thtlre weisen.
S. 82 bemerkt der Verf., dass sein Gegner Romang „mit der Hartnäckig-
keit des Juden Sbylock an seinem Vorrechte festhalte, den Worten
Anderer den ordentlich schlimmsten Sinn auspressen zu dürfen." Er wirft
Romang S. 94 „eine hohle Vorstellung", einen „inhaltslosen Rahmen"
vor, in dem er „Crethi und Plethi zusammenstopfe."
Der Verf. gibt die Existenz einer auf absolute Negation alles und
jedes religiösen Elementes ausgehenden Partei in Deutschland tu, und
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Biedermann: Janghegefrche Weltanschauung. 40$
spricht sich darüber S. 94 also aus: „Allerdings gibt es Leute und zwar
namentlich in Deutschland eine Legion (sie!), die, zerfallen mit den
Autoritäten des Glanbens, berührt vom Geiste der Neuzeit, aber ohne Be-
ruf and Geschick, die geistige Autonomie sich selbst zu erarbeiten, sich
vielmehr nur anter eine andere Autorität begeben, die sie eben so we-
nig verstehen, als die aufgegebene, sich an die Fersen der Philosophie
anheften, welche im Geruch des entschiedensten Fortschrittes steht, ein-
zelne negative Sätze von ihr aufschnappen (sie!), sich, wenn es hoch
kommt, eine allgemeine Anschauungsweise daraas abstrahiren, and diese
dann, je nach sonstiger, mehr sinnlicher oder geistiger Beschaffenheit ihres
Wesens, in materialistischer oder spiritnalistischer Weise ausfallen." „Wer
nun aber dieses Geschlecht bekämpfen", fährt der Verf. weiter fort, „seine
Einbildung von Fortschritt, Aufklärung n. s. w. in ihrer Leerheit nnd Nich-
tigkeit blossstellen wiH, und das ist der praktische Zweck von Romang's
Bach — that der wohl recht aod klug daran, wenn er diese Leute in
ihrer Meinung, mit der Philosophie der Zeit auf einem Boden zn stehen
nnd an ihren Frücbten sich zu laben (sie!), noch bestärkt, indem er
diese Philosophie zu ihnen herabzieht, sie auf gleichem Fuss mit ihren
plumpen Vorstellungsweisen behandelt?"
Romang war also nach des Verf/s eigenem Geständnisse aller-
dings zur Abfassung seines Buches gegen diese Partei berechtigt-, nur
hätte jener, wie der Verf. meint, die Ansichten dieser haltlosen Partei
nicht mit den von dem Verf. aufgestellten Behauptungen vermengen sollen.
Wir haben schon früher auf das Irrthttraliche in dieser Vermengung in
so fern aufmerksam gemacht, als Romang sehr Vieles von dem, was
er Biedermann zum Vorwurfe macht, theils nicht belegt, theils mit
Schriften Anderer belegen will. Aber wir glauben nicht, dass ein«
philosophische Deduktion, wie die in der Apologie unseres Verf/s, ge-
eignet sein dürfte, die von Romang über die Partei und selbst theil-
weise über den Apologeten ausgesprochene Meinung zu widerlegen.
Wenn die einen „plump" aussprechen, was die andern mehr verblümt
thnn, ist da ein so grosser, ein so auffallender Unterschied zwischen den
Mitgliedern der Partei, dass man wirklich mit dem Verf. behaupten kann,
man habe „das Haltlose plumper Vorstellungsweisen auf Rechnung der
Philosophie gebracht?" (S. 95.) Ist das wirklich, wie der Verf. saft,
eine „Prostitution des eigenen wissenschaftlichen Denkens?" Der Verf.
beruft sich auf seine „freie Theologie", und gesteht, dass er in diesem
Werke sich „nach der ganzen Tendenz und dem Tone der Schrift von
Feuerbach und den andern religionsfeindlichen Philosophen" unter-
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410 Biedermann: Junghegel'schc Weltanschauung,
schieden habe. Der Verf. stellt also Feuerbach auf einen andern
philosophischen Standpunkt; er macht ihn tu einem „ Religion! feind",
Während er selbst ein ReligioosTreund, ja ein Glied des Leibes sein will,
dessen „Seele der gottmenschliche Geist Jesu Christi ist. ^ Und doch steht
Feuerbach als Philosoph höher, als unser Apologet, weil er sich Yon
den Terminologie en der Heg einsehen Schule frei gemacht und offen und
ehrlich, ohne Furcht vor irgend einer Gewalt das «iUheilt, was ihm als
Resultat der Philosophie gilt, während Andere es mit den Kunstwörtern
der Schule, dem grossen Haufen weniger zugänglich, ungefähr auf die-*
selbe Weise behaupten. Der Verf. sagt, dass er iu seiner Schrift „die
freie Theologie44 das Unwahre in Feuerbach's Augriff auf Christen-
tum und Religion überhaupt in seiner Haltlosigkeit nachweisen wollte,
er sagt von Feuerbach's Wesen des Gbrislenthums , dass ihn „dieses
vielberufune Buch von Anfang an angewidert habe, und dass ihm dieser
Eindruck geblieben ser ( s. 98j. Und doch ist der Verf. in der „freien
Theologie" nach seinem eigenen Geständnisse (S. 97) davon in „seinen
Bestimmungen über das Wesen der Religion ausgegangen, dass das Gött-
liche, mit dem der Mensch in der Religion in Verkehr tritt, in Wahrheit
das allgemeine Wesen des Blenschen sei?" Eine Behauptung,
die wahrlich nicht weit von der F e u erba ch' sehen entfernt liegt, so
•ehr der Verf. versichert, dass ihn das Feuer ba c IT sehe Buch „jetzt
noch anwidre." Der Verf. gesteht S. 101 zu, dass er sich „allerdings
einen Theil der Schuld beimessen11 müsse, was die ihm rücksichtlich die-
ser seiner Behauptung gemachten Vorwürfe betreffe"; „aber", setzt er
ebendaselbst bei, „soll es denn nicht die erste Regel für die Kritiker
sein, die Worte zunächst in dem Sinne zu nehmen, den der Autor ihnen
gibt?" „Ein Zweites", fügt er noch bei, „ist es dann erst, zu unter-
suchen, ob der Autor auch ein Recht zu seinem Sprachgebrauch hatte."
Sowie die Worte vorliegen, müssen sie überall in dem Sinne genommen
werden, den sie nach dem allgemeinen Spracbgebrauche bei allen ver-
nünftigen Menschen haben. Wenn sie einen ganz andern Sinn haben
sollen, als sie in der Sprache selbst führen, so ist schon von vornherein
dieses der allergrüsste und unverzeihlichste Fehler der Wissenschaft t in
den leider die Philosophie der Hegel'scheo Schule sehr oft verfallen
ist. Wenn aber der Verf. diesen Sinn nicht einmal so entwickelt, dass
er als ein anderer erscheint, als der des Sprachgebrauches ist, so darf
er seinem Gegner in der Thal keinen Vorwurf machen, dass er ihm zu
nahe getreten sei, oder ihm Unbegründetes entgegengehalten habe. Das
ist eben das Vorzügliche in FeuerbaclTs philosophischen Untersnchun-
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Biedermann: Junghegcl'sche Wellanschauung. 411
gen, daM keine Möglichkeit verschiedener Auslegung in der Bestimmung
seiner philosophischen Begriffe übrig bleib*, ein Vorzog, den alle Gegner
an diesem Philosophen anerkennen müssen, während die auf dem Boden
des AUhegelthums Stehenden sich vergebens abquälen nod abmüden,
kirchliche Sätze, welche die Schale aufgegeben hat, durch philosophische
Terminologieen scheinbar zu retten, indem sie die Worte in einem an-
dern Sinne nehmen, als ihnen die Sprache gibt. , .. ♦ t ,
Mit Worten lüsst sich leichtüch streiten, .
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte lüsst sich trefflich glauben,
Von Worten lässt sich kein Jota rauben !
Was der Verf. frtther unterlassen trat, sucht er nun in der vorlie-
genden Schrift gegen Botnang näher zu begründen, das* er die Be-
hauptung „dos Göttliche ist das allgemeine Wesen des Menschen" in ei-
nem andern Sinne, all in dem Fe u erb n c IT sehen, genommen habe.' ff
Der Verf. nennt das FeuerbacITsche Bach ein „geistlose*« und
„schlechtes* (S. 99); er sagt, dass Feuerbach das Becht, das „Gött-
liche in den Umkreis des menschlichen Wesens hereinzuziehen1' in „ganz
unverantwortlicher Weise missbraucht habe" (siel). Der Verf. will sich
?on Feuerbach dadurch unterscheiden, dass, während nach Feuer-
bach der Menschengeist selbst Gott sein soll, nach ihm das allgemeine We-
sen des Menschen „das Absolute" ist. Allerdings erscheint auf diese
Weise die Behauptung des Verf/s als eine andere. Was er aber unter
seinem Absoluten versteht, haben wir oben gezeigt. Es ist ihm weder
Geist, noch ein wissendes und wollendes Wesen , noch ein Subjekt, noch
eine Persönlichkeit. Da der Verf. sich nun mit dem „gläubigen evan-
gelischen Christen volke tt auf denselben Boden stellen will, so Wird von
diesem Standpunkte die Feuerbacn' sehe Behauptung und diese Anschau-
ung so ziemlich die gleiche Bedeutung haben, da weder die eine, noch
die andere der Ansichten selbst auch nur der des Urchristentums ge-
nügen kann. \ * i
Von dem Absoluten sagt der Verfasser gegen Roroang S. 189:
„Bxistirender Geist ist das Absolute allerdings nicht11, und sucht diese
Behauptung damit zu rechtfertigen, dass er beifügt: „Aua dem ei ufachen
Grunde, weil die Existenz zeitlich - räumliches , beschränktes Dasein ist,
nnd ein solches nur die auf sich selbst leicht reflektirende Vorstellung dem
Göttlichen zuschreiben kann.u Aber es ist ein grosser Unterschied zwischen
Existenz nnd Scyn oder Existiren und Daseyn. So wenig Seyn und Daseyn
dasselbe sind , so wenig kann man Existenz und Daseyn als dasselbe be-
zeichaen. Der Verf. kann seine „zeitlich-räumliche Beschränktheit44 nur auf
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412 Biedermann: Junghegeftche Weltanschauung.
• • • | • • •
das Daseyn als ein vorübergehendes Moment des Seyos, nicht aber auf
das Seyn an und für sich beziehen. Man spricht auch darum nur von
der Existenz, nicht aber vom Daseyn Gottes. Wenn das Absolute, wie
der Verf. will, „geistig" aufgefasst werden soll, und doch nach ihm ..kein
existirender Geist" sein darf, so bleibt nichts Anderes übrig, als das Ab-
solute als „ einen nicht existirenden Geist " zu betrachten. Dass ei-
nem solchen „Wissen« und „Wollen* abzusprechen ist, ist leicht er-
sichtlich, aber nicht so leicht, was mit einem Geiste anzufangen sei, der
nicht exislirt, und weder Wissen noch Wollen hat, dabei aber doch Gott
und zwar im Sinne „des gläubigen evangelischen Christenvolkes u sein soll.
Man verdankt es vorzüglich Feuerbach, so wenig wir sonst mit der
religiösen Anschauungsweise dieses Denkers einverstanden sind, dass der
früher so hoch gestellte Werth der Heg er scheu Terminologieen , in
welchen unser Verf. sich beinahe abschliessend bewegt, in unserer Zeit
bedeutend gesunken ist. Seit der Kern dieser Kunstausdrucke auch dem
grössern Publikum in der Auslegung und den logiseben Consequenzeo der
Jung heg ersehen Schule nakt enthüllt worden ist, bat Heg er s Re-
ligionsphilosophie aufgehört, das Evangelium der Orthodoxen und der My-
stiker zn sein. „Wirkliches Wissen und Wollen", fährt der Verf. fort,
„nämlich Beides, wie wir es am existirenden Menschengeiste kennen,
schreiben wir der absoluten Substanz auch nicht zu; das ist wahr, und
zwar aus demselben Grund, weil zu Wissen und Wollen als wesentliches
Moment eine in Zeit und Raum endliche Existenzbasis des Geistes gehört.« ,
Wir kennen allerdings empirisch das Wissen und Wollen nur in unsern
und in andern existirenden Menschengeistern; aber wir stellen unserm
eigenen Geiste das Ideal des unendlichen Geistes, unserm beschränkten,
endlichen, unvollkommenen Wissen und Wollen das Ideal eioea unbe-
schränkten, unendlichen, vollkommenen Wissens und Wollens, eines voll-
kommen wissenden und wollenden Wesens entgegen, nnd so entsteht in
uns selbst, also auf anthropologischem Wege der Gottheitsbegriff als
nnser Ideal. Folgt aber daraus, dass Gott uns als Ideal erscheint, not-
wendig, dass dieses Ideal keine Realität hat? Der Verf. spricht zuerst
davon, dass Gott (S. 139) „allerdings nicht existirender Geist u sei.
Plötzlich verwandelt er einige Zeilen weiter unten diesen existirenden
Geist in einen existirenden Menschengeist, und wenn er die Behauptung
aufstellt, dass Gott Gott im christlich religiösen Sinne und doch kein exi-
stirender Geist sei, so müssen wir allerdings unser Bedenken gegen die
Unvereinbarkeit dieser entgegengesetzten Doppelansicht erheben, werden
ihr aber augenblicklich beistimmen, wenn er nach der Umwandlung des
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Biedermann: Junebecersche Weltanschauung. 413
existirenden Geistes io einen existirenden Menschengeist zu der Ansicht
übergeht, dass Gott kein existirender Menschengeist sei. Man wird aber
Wohl daraus, dass Gott kein existirender Menschengeist sei, unmöglich die
von dem Verf. aufgestellte Meinung folgern wollen, dass Gott nicht all
„existirender Geist" aufgefasst werden dürfe. Der Yerf. spricht Gott das
„Wissen" und „Wollen" ab, weil zu beiden „als wesentliches Moment
eine in Zeit und Raum endliche Existenzbasis des Geistes" gehöre. Wir
geben gerne zu, dass zum endlichen Wissen und Wollen eine endliche
Existeuzbasis gehört, und dass «in Geist, der nicht existirt, auch nicht
wissen und nicht wollen kann; aber bei einem unendlichen Geiste wird
die Existenzbasis eine unendliche sein müssen, da sein Wissen und Wol-
len nur als ein unendliches aufgefasst werden kann. Die endliche Exi-
stenzbasis findet daher bei dem Wissen und Wollen des Göttlichen keine
Anwendung. Der Verf. sagt sich S. 161 vom „materialistischen Panthe-
ismusu oder „Atheismus" los, und nennt dennoch sein System die „juug-
hegel'scbe Weltanscbauung.u Seine Anschauungsweise geht aber mehr
wieder zur althegeTschen Schule zurück, da er durch Dialektik und
Anwendung der philosophischen Kunstwörter der Schule die theologischen
Begriffe festhalten will, diesen aber, wie seither gezeigt wurde, eiuen
andern Sinn unterlegt. Ein Hauptvorwurf , der von theologischer Seite
der Weltanschauung des Junghegelthums gemacht wnrde, ist die
schon 1833 in den Schriften des Dr. Friedrich Richter von Mag-
deburg in populärer Form ausgesprochene, entschiedene Bekämpfung des
Unsterblichkeitsglaubens, welcher als ein wesentlicher Bestandteil des
*• • »
urchristlichen Lehrbegriffes bezeichnet werden muss.
Der Verf. behandelt darum von S. 164 an diesen Gegenstand in
einem besondern Abschnitte unter der Aufschrift: „Das ewige Leben."
Auch in diesem Abschnitte finden wir ganz denselben Charakter,
wie wir ihn in den übrigen Abschnitten des vorliegenden Buches ge-
■
funden haben. Der Verf. will nicht auf der gleichen Stufe mit der ab-
soluten Verneinung der Junghegelianer stehen ; seine junghege I-
*sche Weltanschauung soll eine „durchaus christliche" sein, und doch
sagt er zuletzt dasselbe in HegePschen Kunstterminologieen über diesen
Gegenstand, was andere Junghegelianer, wie Richter, Feuerbach,
Bruno Bauer u. s. w. ohne jene Kunst ausdrücke oQener gesagt haben.
Er zeigt vorerst eine grosse, religiöse Begeisterung für das „ewige
Leben." „Das Ziel des Menschen und seine absolute Hoffnung, sagt der
Verf. S. 164, ist das ewige Leben, das Erlangen desselben das Endziel
des Glaubens. Wer das ewige Leben lüugnet, der hebt die Religion auf,
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414 Biedermann: Junghegeracbe Wellanschauung.
wie, wer Gott leugnet. Mit Gott nimmt er dem Menschen den Anfang
und Aasgang, mit dem ewigen Leben das Endziel der Religion. Der
Verf. ereifert sich gegen R o m a n g , dass er von dem letztern in Betreff
dieses wichtigen Punktes nicht verstanden worden sei. „Ist Dicht u, ruft
er S. 167 ans, „die Tiote in der Feder des Philosophen erröthet beim
Niederschreiben dieser geistlosen (sie!) Ausführung ?u Der Verf. klagt
Dhmlich darüber, dass er von seinem Gegner nicht verstanden worden
sei, wenn dieser ihm vorwarf, „der Einzelgeist als solcher wäre nach
des Verf.'s System nur verschwindendes Moment; nur vermöge er sich
zum Bewusstsein des Ewigen zu erheben und im Augenblick dessen zeit«
liebes Gesammtieben mit zu leben.* In seiner Rechtfertigung sagt aber
der Verf. wirklich nur das mit andern Worten, in den Kunstausdrücken
der Schule, was ihm sein Gegner zum Vorwurfe gemacht hat. Wir lesen
S. 169 unseres Buches: „Ewiges Leben ist nichts anderes, als Leben,
•
äusseres Dasein, das mit dem Allgemeinen, Ewigen, Ideellen, dessen Er-
scheinung es ist, in Einheit und so dessen zeitlich einzelne Wirklichkeit
ist." „Wer nuntt, fügt er bei, „den Werth des Menschenlebens nur
darnach misst, ob und wie weit er in einer solchen Lebensgemeinschaft
mit dem Ewigen stehttf, . . . „der glaubt christlich an das ewige Leben. u
„Das concrete Sein in dem ewigen Gott ist für den endlichen Geist das
ewige, selige Leben«* (S. 170). Sein ewiges Leben ist keine Fortdauer
der Seele nach dem Tode mit Fortdauer des persönlichen Bewusstseins;
es ist ein ewiges Leben in diesem zeitlichen Leben, eine Rückkehr zum
Absoluten. Dieses ewige Leben ist nach ihm „die absolute Hoffnung des
Menschen" und „das Endziel der Religion" (S. 172). Wie stark diese
Hoffnung seyn mag, geht daraus hervor, dass nach des Verf/s Deduktion
es zum Wesen des Absoluten gehört, kein existirender Geist, kein wis-
sendes und wollendes Wesen zu sein. Was soll aus der armen „Un-
sterblichkeit" werden, wenn der Mensch mit einem weder existirenden,
noch Wissenden, noch wollenden Wesen Eines wird? Wie der Verf.
Über die Unsterblichkeit der Seele denkt, und wie wenig diese mit den
Ansichten des „gläubigen evangelischen Christcnvolkcs " übereinstimmt,
mit dem der Verf. als Glied su „ einem Leibe " gehören will , dessen
„Haupt Christus" ist, geht aus seinen Aeusserungen über den „Unsterb-
lichkeitsglauben" von S. 174 an hervor.
f " „Der Mensch ist sterblich, sagt er daselbst, aber seine Seele? Da
liegt's. Man nimmt die Seele für ein besonderes, im Unterschied von
der leiblichen Existenz des Menschen noch fUr sich existirendes X, Ober
dessen Existenz das Schicksal und Aufboren der leibhaften Existenz des
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Biedermann; Junghcgcl'scbo Weltanschauung.
Menschen noch nicht so anmittelbar entscheidet. Das ist aber eine in
Beziehung auf die Seele abstrakt materialistische, in Beziehung auf den
ganzen Menschen dualistische Vorstellung." Wie man die Ansicht, welche
die Seele als ein „besonderes, von der leiblichen Existenz des Menschen
unterschiedenes Wesen" annimmt, in „Beziehung auf die Seele u eine
-materialistische" nennen kann, ist nicht wohl einzusehen, wohl aber, wie
man sie dualistisch nennen kann. Dass aber diese „ dualistische u, oder
vielmehr ideelle Ansicht von der Seele im Gegensatze gegen daa ma-
len eile Dasein des Leibes „die urchristliche" ist, und dass also des Verf.
Philosophie mit der christlichen Anschauungsweise in Conflikt kommt, (euch-*
tet von selbst ein.
„Von dieser Vorstellung aus", führt der Verf. S. 174 fort, „welch*
neben der leiblichen Existenz des Menschen seiner Seele, die doch nichts
Anderes, als dos seiner einzigen Existenz zu Grunde liegende, geistige
Wesen ist, selbst noch eine besondere Existenz für sich zu-
schreibt, kann man nun allerdings ins Blaue (sie!} weiter fragen: Wie
lange wird sie wohl nach der aufgelösten Verbindung mit dem Leibe
fortexistiren ? Hat sie nicht vielleicht schon vor dieser Verbindung exi-
stirt?* „So kann man ins Blaue hinaus (sie!} von Präexistens
und Fortdauer nach dem Tode, von einer Fortführung der Seele von
andern zu andern Daseinsw eisen während Weltaltern, ja wahrend aller
Zeit, phantasiren (sie!} und demonstriren." Wenn wir aber von dem
Dasein nach dem Tode so wenig haben sollen, als von dem nach einer
„nicht so geringschätzig abzuweisenden Vorstellung vorausgesetzten, vor-
irdiseben Dasein, so kommt das Ganze ziemlich misslich für uns heraus."
„Denn", sagt der Verf. „nicht das concreto, bestimmte Ich", sondern daa
„einfache Seelending (sie!} ohne Continuität des Bewusstseinsu mtisste
vorher dagewesen sein (S. 175}. Man kommt also nach des Verf.'s ei-
genem Geständnisse mit der Unsterblichkeit „ohne Continuität des Bewußt-
seins" schlecht weg; eine solche Unsterblichkeit sieht nach seinen eige-
nen Worten „misslich" aus. Der Verf. sagt S. 176, dass die Unsterb-
lichkeitsfrage „keine Sache mtissiger Neugierde, sondern ein Gegenstand
des tiefsten, heiligsten Interesses sei." Diese Unsterblichkeit ist ihm
aber nichts Anderes, als sein oben entwickeltes „concretes Selbstbewusst-
sein des ewigen Lebens" (nicht ein Selbstbewusstsein nach dem Tode,
sondern in diesem Leben, das eben dadurch ein ewiges Leben wird}.
Von einer „Continuität des ßewusstseins" nach dem Tode ist in diesem
sogenannten, ewigen Leben, das nach des Verf.'s Ausdrucke die „absolnte
Hoffnung des Menschen41 ist, gar keine Bede. Der Glaube „an diese
Ewigkeit", wie sie der Verf. nennt, muss bei den Menschen, wie er sagt,
„immer durch die Vorstellung der Unsterblichkeit hindurch." Bei „denen,'
welche nicht zum philosophischen Denken kommen (sie!}, wird diese
Vorstellung im Allgemeinen auch das Medium bleiben, durch das sie sich
das Selbstbewusstsein der Ewigkeit vermitteln, die Form, in der sie an
die Ewigkeit glauben." Nur sollen sich diese, welche das „philosophische
Denken nicht haben", in diese Vorstellung des Unstcrblicbkeitsglaubena
»nicht ao verbeissen", dass sie „sich selbst überreden, dass alle höchsten
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416 Biedermann: Junghegel'scbe Weltanschauung.
und beiligsten Interessen des Menseben in Frage gestellt, ja verneint wür-
den durch die Verneinung jener Vorstellung.11 Es ist hier nicht davon die
Rede, wozu sich die Menschen überreden, sondern davon, dass gerade
diese und keine andere Vorstellung die Vorstellung des Christenthums von
der Unsterblichkeit ist, welche der Verf. als eine Ansicht von Menschen
bezeichnet, die kein philosophisches Denken haben. Jedenfalls wird uns
der Verf. zugestehen, dass ein Jeder die Unsterblichkeit „mit Continnität
des Bewusstseius " nach dem Tode uubedenklich dem „ ewigen Leben"
vorziehen wird, das nach dem Verf. nichts Anderes ist, als ein Bewusst-
sein des Ewigen in diesem Leben oder eine Rückkehr zum Absoluten,
das weder existirender Geist ist, noch Wissen oder Wollen bat. Wir
gehen darum nicht recht ein, warum der Verfasser gegen den „materia-
listischen Unglauben tf rücksichtlich der Unsterblichkeitsfrage so eifrig
S. 177 und 178 zu Felde zieht, da es zuletzt ganz gleich ist, ob man
den Geist, von dessen „ewigem Leben" man spricht, in der Materie oder
in einem allgemeinen, abstrakt geistigen Wesen ohne Bewusstsein ab-
sterben lasst. Nicht das Bewusstsein des ewigen Lebens in diesem Leben
ist die Unsterblichkeit im Sinne des Christenthums (und von diesem will
ja der Verf. nicht abweichen), sondern die „Continuitat des Bewusstseins"
nach dem Tode.
Wir haben diese Bemerkungen vorzugsweise dcsshalb gemacht,
weil der von Romang angegriffene Verf. sich auf den Standpunkt des
„gläubigen" Christenthums stellt, und dieses dennoch mit dem Hegel-
thume auf eine Weise amalgamirt, dass seine Ansichten wohl allerdings
vom Standpunkte des He geloschen Systems als consequente Folgerun-
gen, nicht aber, wie der Verf. selbst will, als „ christliche d Ansichten be-
zeichnet werden können.
Wir stimmen übrigens gerne demjenigen bei, was der Verf. gegen
die unbegründeten, politischen Verdächtigungen in der Roman g' sehen
Schrift S. 186 ff. anführt.
Wenn Referent auch dem Verf. rüeksichtlich seiner Identificirnng
des Christenthums und Junghegelthums nicht beitreten and
das Junghegelthum nicht als christlich und das Christenthum nicht
als hegelisch bezeichnen kann, so stimmt er doch ganz und gar den Schluss-
worten des Buches (S. 207) bei: „Mag es auch bei der freiem Debatte
mitunter scharf hergeben, und oft das Gemeinschaftliche hinter dem Tren-
nenden zurücktreten, ja von demselben ganz verschluugen zu werden
drohen: so kann dennoch, wenn beide Parteien nur in gleichem Wahr-
heitssinn und auch darin sich begegnen, dass sie denselben im Gegner
nicht verkennen, eine tiefere Einigung aus ihr hervorgehen, in welcher
beide Theüe und die gemeinsame Sache wahrhaft gefördert sind."
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Ir. 27. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
. »
r
Die Grundlagen des gemeinen deutschen Hechts ton Dr. T. Bracken-
hoeft. Erste Lieferung , enthaltend die allgemeinen Grundlagen
und die geschichtlichen Grundlagen der ältern Zeit. Würzburg.
Stahersche Buchhandlung. 1851. IV und 138 S. 8.
■
•
Die Eigentümlichkeit der germanischen Rocbtsanscbauung, die ihr
üb Gegensätze zur römischen beiwohnt, in einer Darstellung des quellen-
mässigen Stoffes auszuprägen, ist der Zweck dieser Arbeil. Sie stellt die
eigentümlich deutsche Rechtsorganisalion als das Gebiet von (gerantirten)
Zuständen dar, welche Mittel für Sonderzwecke gestalten, nnd eine Ge-
nossenschaft der Substanz, welche diese Mittel biedet, Übrig lassen. Nach
ihr ist der wissenschaftliche Begriff des reinen Rechtsverhältnisses, bezie-
hungsweise des PAichlverliälluisses , sowohl des privaten als dea Öffentli-
chen, in dieser naturwüchsigen oder geschichlwUchsigen Organisation nicht
ausgebildet. — Ihre Erkenotniss erfordert daher eine besondere wissen-
schaftliche Conslruktion ihres Elements, des Zustandes, der sich als eine
historisch entstandene Vorstellung darstellt, welche durch eine Gewerung
(Garantie} zur Herrschaft gelangt ist. Der Verf. erlaubt sich seine An-
sicht von der Bedeutsamkeit dieses Begriffes hier auszusprechen. Ihm er-
scheint ein wissenschaftlicher Begriff des Zustandes, als einer Mittelgestal-
tung zwischen dem privaten und Öffentlichen Rechtsverhältnisse, beziehungs-
weise Pflichtverhaltnisse, nicht bloss fUr die Erkenntniss ehemaliger Or-
ganisationen, als Wurzeln der heutigen, sondern auch für die unmittelbare
Erkenntniss des beutigen Rechtszustandes von Bedeutung. Denn so lange
nicht die obrigkeitliche Macht von blossen (verantwortlichen) Magistraten
getragen, und so lange nicht der Rechtsstreit auf die Bedeutung einer
bloss ephemeren Erscheinung zurückgeführt ist, wird das publicistische Ge-
biet und das Gebiet der prozessualischen Thätigkeit immer das der Zu-
stande sein. Beide Gebiete sind Extremitäten des Recbtsorganismus , die
nicht leicht zu einer solchen Ausbildung gelangen werden, dass jenea von
rein rationellen Rechtsbegriffen beherrscht würde, nnd dieses keiner Ent-
wicklung von Zustanden bedürfte, um zu der zur Anwendung des rich-
terlichen Zwanges erforderlichen Gewissheit zu fuhren. Der Begriff dea
Zustandes wird also noch lange praktisch bleiben. So wie sich das Ge-
biet dea Publicistischen heutzutage von der geschichtlichen Entwicklung
XUV. Jahrg. 3. Doppclheft, 27
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418 Brackenhoeft : Grundlagen des gemeinen deutschen Rechts.
von Zuständen, die bald sieht, bald in Bewegung ist, eingenommen findet;
10 ist dasselbe in Ansehung des Gebietes der prozessualischen Thutigkeit
der Fall, so lange es nicht gelingt, Entstehung und Entscheidung des
Prezesses ohne vermittelnde Fiktionen in einen und denselben Zeitpunkt zn
bannen, sondern man genöthigt ist, in der Entwickelung des prozessualischen
Stoffes Stadien hervortreten zu lassen, in denen sich Zustände als Mittel
der Entwickelung gestalten, z. B. der Zustand der Präclusion. Und auch
wenn eine Organisation entstehen sollte, die den Begriff des Zustandes
für die unmittelbare Anwendung bedeutungslos machte, so würde doch
immer das Dasein der obrigkeitlichen Macht, das Dasein des Prozessinsti-
tuts, von Zuständen getragen werden müssen ; ja, es wird in einem Kechts-
zustande, der eine historische Entwickelung unter sich hat, nicht leicht
fehlen, dass das Dasein eines Bechtsgegenstandes , z. B. ein Nutzen einer
Substanz getrennt von dieser als Gegenstand einer Servitut, eben nur
durch diesen positiven Bechtszustand getragen wird. Die Erkenntnis» des
Unterschiedes zwischen dem reinen abgeschlossenen Rechtsverhältnisse, be-
ziehungsweise dem Pflichtverhüttnisse , erscheint demnach atf unentbehrli-
cher Schlüssel zur Erkenntniss jeder Rechtsorganisatbo. Der hier ange-
kündigte Versuch einer Ausführung dieser Anschauung an dem Stoffe des
deutschen Rechts, bat zunächst in einer Einleitung die Orientirung in dem
Geiste jener Anschauung zu vermitteln gesucht, im ersten Abschnitte die
Begriffe des Rechts und seiner Quellen in ihren verschiedenen Gestaltan-
gen, und der deutschen Arten derselben, entwickelt und bebandelt in
zweiten Abschnitte den historischen Stoff der altern Zeit von diesem Stand-
punkte aus. Der Verf. darf es seinen Kräften nicht zutrauen, dass diese
Ausführung frei von Mängeln geblieben ist. Allein er hofft, dass das
Aofdecken ihrer Mängel durch unbefangene Prüfung anderer die gegebene
Anschauung um so fruchtbarer für die Wissenschaft machen wird. Der
Verf. hat sich bestrebt, in Einfachheit und Kürze den Stoff in dem Um-
fange darzulegen, wie der Zweck eines Lehrbuches es fordert, um das
Buch zu diesem Zwecke geeignet zu machen. Brackenhoeft.
■
_
Die Bürgschaft nach gemeinem (Zivilrecht, historisch-dogmatisch darge-
i .sUsUl um Dr. Wilhelm Girtanner, Professor des Rechts an
m. * Ä tf^f* fJft$s?&r&%t&t fttf i/^/iö. I» Historische j\ht fi£t l uii * IirfsißS t$acf\m
das römische Recht. Zweites Buch: Dogmengeschichte des MU-
telalters und der neueren Zeit. Zusammen: S. 314. Jena bei
Karl Hochhausen. 1850.
» * f 4
Es ist diess ein interessantes Werk, welches schon jetzt vor seiner
Vollendung der Aufmerksamkeit der Juristen empfohlen zu werden ver-
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uirtanner. uie Durgvcnnii nncn gemeinem i/iYurecn«. vi ~
dient. Auch zeugt dasselbe von soviel Ffeiss und Gründlichkeit, dass sich
die Kritik aofgefordert fühlen musi, diejenigen Bemerkungen nicht zu ver*'
schieben, ron denen der Herr Verfasser bei Bearbeitung det letzten
and Hanpttheils seines Bncbs vielleicht noch irgend einen Nutzen zie-
hen konnte.
Von den beiden vorliegenden Bändeben nämlich nmfasst dos erste
die Entwicklung der Bürgschaft bei den Römern, das zweite die GeictrfcWa
der tfauptdogmen im Mittelalter und der neuern Zeit, der dritte Band soll
die systematische Darstellung des praktischen gemeinen Rechts der Bürg-
schaft bringen. Hier können wir nun ein Bedenken Über die Anordnung
des Stoffs nicht unterdrücken. So viel leuchtet um ein, dasi die Ge-*'
schichte der Bürgschaft bei den Römern abgesondert vorweg behandelt
werden musste. Denn unsre heutige Bürgschaft hat zu ihrer Grundlage
die G es a m ml ent Wicklung der Bürgschaft bei den Römern und setzt also
die ganze Darstellung dieser in ihren Hauptmomenten voraus. Älterdings1
hat nun die Bürgschaft in ihrer jnstinianeisthen Gestalt noch seit den/
Glossatoren eine Fortbildung erfahren, indess war diese doch nicht so"
durchgreifender Natur, dass sie eine von der Lehre des geltenden Rechts
abgesonderte geschichtliche Darstellung forderte. Nun aber gar eine blosse
Geschiebte einzelner Hauptdogmen seit dem Mittelalter der eigentlich dog-
matischen Darstellung voranzuschicken, scheint uns durchaus unangemessen/
Denn einerseits gibt solche noch nicht einmal die Geschichte des Instituts
selbst, sondern nur einen Theil des Materials dazu, anderseits gibt'
es gar keinen Grund, eine abgesonderte Geschichte einzelner Controversen
der systematischen Darlegung des heutigen Rechts vorangehen zu lassen.
80 steht denn dös zweite Bändchen des Werks, obgleich dasselbe in an-
derer Hinsicht, wie wir sehen werden, besonders verdienstlich ist, als eine
gewiss er ma ss cn fragmentarische Sammlung von Materialien da, die erst im
dritten Bande gehörig verwerthet werden sollen, woraus denn wohl Wie-*
derholungen nnd unbequeme Rückverweisungen entspringen werden.
Soviel vom Plan des Ganzen. Gehen wir nun auf den Inhalt der
vorliegenden Bündchen etwas naher ein, so beabsichtigen wir dabei we-
niger eine Kritik von Einzelnheilen, als Hervorhebung des Neuen und Ei-
genthomlicben.
Im ersten Bandchen werden die Besonderheilen der Verbürgung
durch Sponiio mittelst einer Hypothese Ober die Geschichte der Slipula-
lionsform zu erklüren versucht , wornach die Sponsio ursprünglich aus-
schliessliche Anwendung im Prozess gefunden und hier zuerst ihren reli-
giösen mit dem weltlichen Charakter vertauscht habe. Die Ausführung'
27*
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430 Girtanner: Die Bürgschaft nach gemeinem Civilrccht.
dieser Hypothese scheint uos (für eine Monographie) zu skizzenhaft. Aus
dem Abschnitt über die fidejussio sind mehrere interessante Erörterungen
hervorzuheben. Dahin gehört die Exegese der bekannten I. 25 D. b. t.
die Bebandlnng der Frage, wieweit die Exceptiouen dem Bürgen zustehen,
ferner ganz besonders die Darlegung des Zusammenhangs der Sätze, dass
die fidejussio nicht in aliam rem und in duriorem causam zulässig sei.
Die Ansicht des Verf. über den Ursprung des Constitutum ist unter guter
Benutzung der vorhandenen Notizen scharfsinnig durchgeführt. Beachtens-
wert ist der Abschnitt Uber das mandatum qualificatum, neu, aber begrün-
det insbesondere das bei dieser Gelegenheit vom mandatum tua gratis
Gesagte. In dem Kapitel vom Untergang der Bürgschaft gibt der Verf.
eine Auffassung der Correalobligation, die durch Hervorhebung einer bis-
her kaum beachteten Seite allein die Wirkung der litis contestatio ge-
nügend erklären dürfte. Anziehend ist die Erörterung der möglichen
Fortdauer der Bürgschaft nach Untergang der Hauptschuld mit Bezug auf
den Salz: quae initio recte coustiterunt, resolvuntur cum in eum casum
ceciderunt, a quo non potuissent incipere. Da sich die.«e Erörterung rein
auf dem historischen Standpunkt des römischen Rechts hält, so erregt sie
unsre Erwartung auf die Behandlung der Frage im dogmatischen TheiL
Der zweite Tbeil, die Dogmengescbichle, zeugt von dem grossen
Fleiss des Verf. Man spricht heutzutage viel von Dogmengescbichle und
macht auch hie und da kleine Ansätze dazu, allein in der That ist in
dieser Hinsicht noch wenig geschehen. Der Verf. hat sieb die Mühe nicht
yerdriessen lassen, eine wirkliche Geschichte der Hauptlehren in der
Bürgschaft zu geben. Das Vcrzeichniss der hier benutzten Schriftsteller
weisst (ohne die gangbaren Lehr- und Handbücher) an 200 Namen nach
nnd man Uberzeugt sich leicht , dass der Verf. seine Citate nicht bloss
aus andern Büchern abgeschrieben hat. Unter diesen Schriftstellern sind
mehrere ziemlich seltne, die bisher, wenn auch oft citirl, doch nur sei-
ten wirklich eingesehen worden sind. Die Punkte, über die sich die dog-
mengeschichtliche Abiheilung erstreckt, sind folgende: 1) das Verhältnis
des Bürgschafts- zum Inlercestionsbegriff; 2) das Verhältnis der ver-
schiedenen Verbürgungsformen des römischen Rechts zu einander; 3) der
Schutz des Bürgen in seinen verschiedenen Richtungen ; 4) die Bürgschaft
der Frauen; 5) die der Geistlichen und Soldaten. Die gründliche Be-
handlung des zweiten Punktes wird es dem Verf. möglich machen, im
dogmatischen Theil eine wirklich begründete Ansicht über die Frage
auszusprechen, was denn eigentlich unsre Bürgschaft sei, ob fidejussio oder
constitutum u. i. w. Wes man so gemeinhin ohne rechte dogmenge-
.• • •
Digitized by Google
Girtannert Die Bürgschaft nach gemeinem Cmlrecht. 4it
schichtlichc Kenotniss über diese Frage sagt, entbehrt meist des rechten
Fundaments.
üeberhaopt hoffen wir, doss der letzte Theil dieses Baches ans Licht
stellen werde, welchen praktischen Gewinn die Dogmengescbichte ab-
zowerfen im Stande ist.
Zum Schluss noch ein paar Worte Uber das Formelle. Die Dar-
stellung des Verf. hält sich genau an die Sache, ist elegant und concis,
aber ("möge er diess beherzigen !) mitunter durch zu grosse Kürze schwer-
Terständlich. Der Verf. überhüpft gern Mittelglieder der Entwicklang.
Zuweilen entsteht aus dem übertriebenen Laconismus etwas geradezu un-
richtiges. So ueisst es z. B. S. 89, die Entscheidung in 1. 95, §. 3 D*
de fideijuss. spreche „gegen die Consequenzen aus der Entstehung (der
Bürgschaft) auf das Fortbestehen." Diess ist weder deutsch noch richtig.
Denn der Verf. kämpft ja nicht gegen den Schluss vom Entstehen auf
das Fortbestehen, sondern gegen den Schluss, dass eine Bürgschaft anter
gewissen Umständen nicht fortbestehen könne, weil sie unter den-
selben nicht hätte entstehen können. So beisst es ferner p. 92: „Die
fidejassio sicherte nur gegen die Gefahr, die auf dem Können oder
■
Wollen des Hauptschuldners beruhte." Es muss offenbar heissen: Nicbt-
können. Beiläufig: gesagt, ist es dem Verf. hier auch begegnet, sich selbst
so widersprechen. Denn S. 79 ff. hat er gerade gezeigt, dass die fide-
jussio nicht nur gegen jene Gefahren sichert. Uebrigens macht sich in
Hinsicht des gerügten Fehlers der Darstellung im zweiten Bandchen ein
Fortschritt bemerklich.
Leider bat das sonst gut ausgestattete Buch mehr Druckfehler als
billig. Der Verf. hat sich bemüht sie aufzufinden and entfaltet biebei
einen gewissen Fanatismus, indem er S. 314 unter den „sinnentstellen-
Druckfehlern" aufführt: „statt Cynus lies Cinus."
Ernst v, Stockmar.
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Herausgegeben von dem
Landesarchive w Karlsruhe durch den Direktor desselben J. J.
Mone. Zweites, drittes, viertes Heft. Druck und Verlag der
G. Brautfschen HofbuclUiandlung. 1850. (Ersten Bandes S. 129
bis 516.} 8.
• •
Ref. hat schon vor geraumer Zeit die Anzeige obiger Zeitschrift in
diesen Blattern gegeben, um gleich mit dem ersten Hefte ihr Erscheinen
frendig zu begrüssen; s. Jahrg. 1850, p. 566 ff.
Digitized by
412 Mann* Zeitschrift für die Geschickte des Oberrheins.
Da Plan und Ausführung auch der drei letzten Hefte sich gleich
geblieben ist, so erübrigt nur, auf den lohalt aufmerksam zu machen,
wobei Ref. der leichtern IJeberaicht wegen die Arbeiten eines jeden der
drei Mitarbeiter zusammenstellen will.
Vom Herusgeber selbst sind folgende Aufsätze: I. Ueber
JUmenpflege vom 13.-16. Jahrhundert (S. 129 163). II. Stenerbe-
wittigung im Bisthum Speier (1439 — 1441. S. 163 — 169). III Alle
Hohl- und Fläckeumaasse (S. 169 — 171). 1Y. Zur Geschichte des pfäl-
zischen Zollwesens (S. 171 — 179). V. Ueber Gesindewesen im 15. und
lßr Jahrhundert (S. 179— 197). Vi Ueber Schulwesen vom 13. und
^..Jahrhundert (S. 257 — 302). VII. Flusabou am Oberrhein vom 1 4L
L t5 19. Jahrhundert (S. 303 308). VRI. Urkunden über Bücherw^esen
im XV. Jahrhundert (S. 309—314), endlich X. Ueber Allmenden vom
jl3.—16. Jahrhundert (S. 385—451).
Schon diese Aufzählung wird den Reicblhum und die Wichtigkeit
.der von Mone mit jener ihm cigenlhUralichen Klarheit und Kürze behan-
delten Materien darlbun; es sipd zum Jheil Probleme, an denen die Neu-
zeit noch immer, und wie uns bedünken will, nicht immer mit Glück exr
perimentirt. Dass also dje Versuche früherer Jahrhunderte vom Verf. bei-
gebracht sind, wird ihm jeder Verständige Dank wissen ; die eigenen An-
liefen, womit er die urkundliche Forschung einleitet oder schliesst, er-
lauben uns die Grenzen dieser Anzeige nur bei den wichtigsten Materien
anzudeuten. Wir müssen, im Uebrigen auf die Zeilschrift selbst verwei-
len.— Die Armenpflege und Sorge für die Kranken erkennt
der Verf. als ureigcntbuniliche Früchte der christlichen Liebe, mit wel-
chem Motive weder die heidnische Humanität, noch die politische Noth-
wendigkeit eine Vergleichung ausbalte, indem erstem nur nach Laune (?)
gebe, letztere die Mittel um so schneller erschöpfe, je mehr sich das
christliche Almosen davon zurückziehe. Letzteres, nicht aus Gemeindebei-
trägen, sondern auf Privalalmosen und deren Sicherung, also Stiftungen,
beruhend, lehnte sich zum Zwecke sicherer, leichter und wohlfeiler Ver-
waltung auch an ewige Corporationen und zwar bei kleinen Stiftungen
an die Kirche, bei grössern (Spitälern u. drgl.) an die Gemeinden.
So zerfällt die Abhandlung ganz natürlich in zwei Abiheilungen: kirch-
liche nnd Gemeinde- Armenpflege. Mit ersterer hing die Unterstützung
der Studiereuden, die Spende an arme Schüler zusammen, weiche — zum
Theil vom Einkommen nachlässiger Geistlicher (Neglektengelder) — für
kirchliche Dienstleistungen Gaben erhielten uud — da sie meist geistlich
wurden, ihr erworbenes Vermögen Iheilwaise zu ähnlichen Stiftungen ver-
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llonc : Zeitschrift für die Geschichte deg Oberrheins. 423
wendeten (S. 130). Eine Eigen thümlichkeit dieser Spenden war ferner
ihr Bestehen aus Nttnralien — eine Schutzwehr gegen leichtsinnigen Ver-
brauch — nnd die öffentliche Verkeilung, meist beim Besuche gestifte-
ter Seelenmessen (S. 132—138). All diese Sitze sind mit einer Menge
Regesta belegt (S. 135—141). Die letztem nun, namentlich ans Jahr-
tagstiftungen geschöpft, bei denen sogar Sorte uod Form des Brodes be-
stimmt ist, Hessen sich aus gleichzeitigen Quellen leicht vermehren. Ref.
indessen erlaubt sich bei dieser Gelegenheit nur auf das alte Anniversa-
rienbuch der kleinen Stadt Hufingen aufmerksam zu machen, welches in
zwei Exemplaren daselbst vorhanden ist nnd eine mehr gesicherte, zur
Benützung geeignetere Aufbewahrung verdienen würde.
Einen sehr wichtigen Theil dieser Regesta bildet S. 14101 die
Stiftung des bischöflichen Spitals an der Rbeinbrücke zu Konstanz darch
Bischof Heinrich von Klingenberg. Ref. erlaubt sich, einen Versuch, die
in den Chroniken von Konstanz — wie der Verf. ganz richtig bemerkt
— untereinander verwechselten Spitalstiftungen jener Stadt nach seinen
Auszügen zu entwirren. Es sind drei Spitäler zu unterscheiden, von de«
nee nur die zwei ersten den Charakter kirchlicher Stiftungen trugen, das
letztere, noch bestehende, der Stadtgemeinde gehört. '
L Das Spital des hl. Conradus (Hess Mon. GneYf. p. 87 IT.).
Bf ward ausserhalb der Mauern gestiftet und von Bischof Gebbarl von
Zähringen dorthin verlegt, wo spater das Kloster Mauste Hingen sieb erhob.
(Gerbert Hist. Nig. Silv. III. 54.) Trotz der wahrscheinlich darch die-
sen Bischof erneuerten Dotation scheint es arm geblieben zu sein, da
schon dessen Nachfolger Ulrich von Froh bürg (Dilingen, Kiburg) gele-
gentlich der zweiten Beisetzung des hl. Konrat es für angemessen erach-
tete, dasselbe aas den Beiträgen der zu dem Feste herbeigeströmten Gros-
sen neu zu begaben und zugleich nach Kreuzlingen zurückzuversetzen, wo
er ans den nemlichen Beiträgen das Kloster S. Ulrich gegründet hatte.
(Vergl. die Urk. Heinrich V. v. 7. Jan. 1135 bei Gerbert a. a. 0.) Ei
sind dieses wahrscheinlich die von Mone (S. 142) im Testamente Bi-
schof Heinrichs aufgeführten ..lepros i extra muros Cons tan tienies" nnd
„leprosi in Crucelingenu im Konstanzer Necrologium p. 38. p. 57. Noch
heutzutage heisst im Volksmunde die kleine, dem Kloster Kreozlingen ge-
genüber liegende Kirche mit byzantinischen Sculpturen ..die Siechenkapelte. *
iL Daa Spital Bischof Heinrich's voo Klingenberg.
Es ist das vom Verf. behandelte. Eine Anordnung desselben findet sich
auch im Testamente des genannten Bischofs vom 22. Juli 1299. (Const.
Copialb. im Karlsr. Arch. Fol. VI und VI des Anhangs.) Eine neue Be-
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424 Mone: Zeitschrift für die Geschichte dei Oberrheins.
gabung, beziehungsweise Regeneration, geschah am 14. November 1299
(Ebenda*. Fol. 52) durch Güter, welche Conrad von Diessenbofeo dem
Bischof aufgab und dieser dem Spitale und der dazu gehörigen Magdale-
nenpfründe vermacht (nomine et vice Capelle S. Marie, quam dotare in«
tendlt et hospitalis, quod in domibus vicinis fundare intendit.)
III. Das städtische Spital. Schon im Testamente Heinrich'!
von Klingenberg 1299 hospitale aatiquum genannt, auf der untern Markt-
stülte gelegen (hospitale in foro antiquo in einer andern Urkunde), bis
es in das aufgehobene Augustiner - Eremitenkloster verlegt wurde. Als
Stifter ist auf einer Gedenktafel Johannes Unricbt angegeben, der nem-
liche vielleicht, welchen auch das Anniversarienbuch des Klosters Maria-
hof bei Neidingen (s. d. Ref. Bearbeitung desselben im Programme des
Gymnasiums zu Donaueschingen 1845.1846) als Stifter (etwa um 1250)
aufführt. Da Stiftungen und Beiträge bürgerlicher Geschlechter seine Do-
tation mehrten und nach der Art seiner Verwaltung gehörte indessen die-
ses Spital zur Klasse der Gemeindearmenpflege, welche (S. 148—163)
die aweite Abtheilung der Abhandlung enthalt.
Um sich über die folgenden Abbandlungen kürzer zu fassen, er-
wähnt Ref. nur, dass die Urkunden über Steuerbewilligung dei
verschuldeten Bisthums Speier durch die Bemerkung eingeleitet
aind (S. 163), dass sie autokratisch, ohne Bewilligung der Stände ge-
schah, weil es bei der ordentlichen Steuer sich 1) nur um zweckmässige
Erhöhung der bestimmten Bete handelte, 2) die Gülten und Zinse auf
Privatverträgen beruhten, 3) bei Zeitpacht, Zoll und Ungelt, obgleich sie
der Willkür unterlagen, alte Gewohnheit massgebend gewesen sei Dass
letzteres nun mit gewisser Einschränkung anzunehmen sei, scheinen dem
Ref. nicht nur die gleichzeitigen Klagen der Unterthanen anderer Länder,
sondern auch die Vorstellungen der ständischen Vertretung zu beweisen,
wo diese — wie z. B. in Würtemberg — schon eingeführt, oder an-
gebahnt war. Klein an Umfang, aber unentbehrlich für richtige Anschau-
ung politischer und agronomischer Verbältnisse ist die gleichseitige Re-
duktion der verschiedenen Hohl- und Flächenmasse am Boden-
see und im obern Elsass (S. 169 — 171). Um die Vereitlung ei-
ner Gleichheit des Masses und Gewichtes für ganz Deutschland , welcher
Wunsch mit so vielen aodern in die Brüche gekommen ist, recht schmerz-
lich zu fühlen, darf man sich nur aus dieser Abhandlung überzeugen, dass
Dicht nur in der Seegegend neun verschiedene Hohlmasse zu redacireo
waren, sondern dass sogar die einzige Stadt Konstanz sechserlei Masse
hatte: rauhes und glattes, Stadt- und Hofmaass, brent und Humpolt.
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Mone: Zeitschrift für die Geschichte des Öberrheint. 435
•Aas der Geschichte des pfälzischen Zollwesen* he-
ben wir nur die Herabsetzung des pfälzischen Rheinzolls für die Murg-
schiflerschaft (S. 173 ff.) hervor. Letzteres Institut, welches für die Nah-
rungsfähigkeit einer nicht unbeträchtlichen Strecke Badens von grosser Be-
deutung ist, bat zwar an v. Kettner (Beschreibung des Murg- und Oos-
thals. Frankfort, 1843) schon seinen Geschichtschreiber erhalten. — El
ist aber diese Zollordnung vom Jahr 1481 ein um so schätzbarerer
Beitrag, als sie das älteste Aktenstück der Gesellschaft um 150 Jahre
Oberragt. Bemerkenswerth findet der Herr Verf. (S. 175) den in den
Unterschriften des Vertrags feststehenden Unterschied zwischen Schiff-
berrn (nach dem Verf. Eigentümern der Waldungen und Grosshänd-
lero) and Rheinflössern, die nach seiner Ansicht den Holzbandelim
Kleinen an beiden Rheinufern trieben. — Ref. glaubt nach den gleich-
zeitigen Urkunden und Zollverordnungen für die Kinzigthnter Schifferschafl
(im sehr interessanten s.g. Kinzigthaler Lagerbuch des F. F. Arcbives in
Donaueschingen) annehmen zu dürfen, der Ausdruck SchifTherr sei die
corrumpirte Schreibung des noch gtfng- und gäben Schiffer (fUr Holz-
flösser, Uebersetzung des nauta auf dem Steine des Aliquandns zu Ett-
lingen und Baden), freilich ganz in der gleichen Bedeutung, wie der
Verf. annimmt. Rheinflösser aber durfte jene Bewohner der Rheinorte be-
deuten, die sohon damals, wie jetzt zu Kehl, Steinmauern, Mainz u. s. w.
geschieht, die Thal-„Gestierett zu grössern Flössen zusammensetzten und
tbeils um Lohn, theil mit einigem Antheil an Gewinn bis Holland führten.
Als besonders reichhaltig nnd äusserst schätzbarer Beitrag zu Hauti'a
Geschichte der Neckarschule in Heidelberg erscheint die Abhandlung
und Urkunden Uber das Schulwesen im XIII.— XVI. Jahrhundert
(S. 257—302). Gerade für unsere Tage einer leidenschaftlichen Erör-
terung dieses Gegenstandes von der und jener Partei erscheint diese Abhand-
lung und die Art ihrer Abfassung um so willkommner, als der Verf. bei aller
Strenge und Festigkeit seiner politischen und kirchlichen Ansichten gera-
dezu seine Absicht dahin ausspricht, nur „nachzuweisen, wie das frühere
Scbalwesen beschaffen war.« „Die Erklärung der Urkunden", sagt er,
„liegt mir näher, als eine bearbeitete Darstellung des Gegenstandes. Mag
man mit den frühem Grundsätzen des Schul weseus einverstanden sein,
oder nicht; — das hat auf meine Arbeit keinen Bezug, denn ich habe
nur nach meinen Quellen zu zeigen, welche Grundsätze gegolten und wie
nnd was sie gewirkt haben. Diese objektive Behandlung des Gegenstan-
des greift keinem Urtheile vor, nöthigt aber jeden Beurtheiler, mit Er-
wägung und Umsicht zu verfahren." Die beigebrachten Urkunden be-
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426 Mone: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhena,
treffen meistens die Kloster- and Sti Rs - Schulen zu Basel, Konstanz, Speier,
Bruchsal, Frankfurt, Gengenbach, Sackingen. Ref. halt für nicht unnotbig,
iiier zu bemerken, dass auch städtische Schulen an Hott weil und Vellin-
gen schon au Ende des XIII. Jahrhunderts von weltlichen Lehrern ge-
leitet wurden. Er besitzt aus dieser Zeit z. B. ein Siegel, auf welchem
ein Lehrer in weltlicher Tracht abgebildet iit, der einen vor ihm knie-
enden Knaben segnet, mit der Umschrift: „Conradui Magister puerorum
Rotwile.« — ...
Leider gebietet der Umfang dieser Anzeige, die übrigen Abband-
lungen zu Ubergehen, um noch einige Worte dem Abschnitte Ober All-
menden und Gemeinde wesen anzufügen. Freilich ist für Baden
diese Angelegenheit durch Gesetzgebung und Vergleiche erledigt, allein
dennoch bietet das Beigebrachte des Anziehenden zur Genüge. Wir be-
ben z. B. daraus eine für die Geschichte des mit unserm Herscherhause
10 innig verbundenen Fürstenbergischen Stammes äusserst wichtige Ur-
kunde hervor, welche zugleich auf die letzteu Zeiten des bobeostauftschen
Kaiserhauses einiges Licht wirft. Es ist der schiedsrichterliche Sprach
Uber die Gemeiomark vou Villingen von 1225, ausgestellt von Konrad
?, Winterstetten, dem kaiserlichen Vogte jener Stadt (qui civita-
tem Vilingin auctoritale domini regis, qui diebus Alis eam tenuit .. pro-
cura vimusj. Diess ist denn nun der urkundliche Beweis, dass Villiugen,
die Hauptbesitauag der Zubringer, sodann Uracher und Fürstenberger auf
dem Schwarzwalde auch nach dem Stthnungsvertrage Friedrich IL und
Egino1! im Bart (zu Ulm Sept. 1218, Hagenau, 6. Sept. 1219) vom
zähringischen Erbe durch das kaiserliche Haus zurückbehalten wurde. Dies
lisst nach dem Wortlaute der angeführten Hagenauer Urkunde nur die
doppelte Erklärung zu, dass entweder zur Zeit des Ulmer Vertrags die
Hohenstaufen jene Stadt schon erobert halten, oder dass Friedrich II. sie
behielt, als Pfand für die von Egino dem Jüngern ihm versprochenen
20,000 Hark Silbers, von denen der Graf, aufgemuntert dnreh seinen
Bruder, den Kardinal Konrad von Porto, mit 17,000 Mark im Rückstand
blieb, wie der Kaiser gegen den Papst klagt. (Ep. Fried, bei Raumer,
Gesch. der Hohenst. III. 187. 2. Aufl. und Stalin II. 458). Ja es ist
sogar wahrscheinlich, dass die Hohenstaufen bis zu ihrer ungunstigen
Stellung beim Tode Friedrich II. im Besitze von Villingen blieben, denn
die Freiburger Grafen Urkunden in diesen obern Gegenden 'stets zu Sin-
delatein — einer von Villingen 1 Meile entfernten Burg — nnd erst
1254, also im Todesjahre Konrad's, da die herzoglichen Rechte und der
Hallsbesitz Conradm s manigfach bedroht war, nennt Heinrich von Für-
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Monc: Zeitschrift für die Gescbiclila des Öherrheias. 4M
stenberg die Vilünger Barger seiner Stadt und urkundet daselbst. Es
dürfte dieser Umstand , der vom Geschichtscbreiber des Fürstenbergischen
Hauses, Münch, übergangen ist, auch den Partebtaadpankt der j Ungern
Linie des Freiburgischen Huuses beim Beginn des s. g. Zwischenreiches
festzustellen geeignet sein. Ref. erlaubt sich, noch nebenbei zu bemer-
ken, dass unter den Zeugen „Otto, Rudoi/us Joheli" (S. 408) Johelarii
su lesen ist Es ist das in Viilinger Urkunden des XIIL und XIV. Jahr-
hunderts häufig vorkommende Patriziergeschlecht, dessen Name spiter
Jöchler und Johler wurde. Ebenso dürfte Konrad von Wiulerstetteo —
um eine Verwechslung mit seinem in die Genealogie schwer einzureihen-
den Verwandten, dem Minnesänger Ulrich v. W., zu vermeiden —
eher als Beschützer der Dichtkunst, denn als Dichter aufzuführen sein.
(Vergl. Stalin iL 614. 765.)
Die von Bader in der Zeitschrift eingereihten Abhandlungen sind:
L Die alte Thal Verfassung von Schönau und Todtnau (S. 197 — 221),
iL Dia Nellenburgisch - Vehriugischen Siegel (S. 221—224). III. Der
älteste Güterbesilz des ehemaligen Reichsstifts Salem (S. 315— 354) und
IV. Das ehemalige St. Blasische Amt Klingenati mit Klingenden Rege-
sten (S. 452—476.)
Die Abhandlung I. ist mit ihren Aktenstücken nicht nur eine sehr
anziehende Untersuchung über die Rechtsverhältnisse der schwarz wiilder
Bauern, sondern auch vollkommener Neubruch auf diesem Gebiete der Un-
tersuchung; — denn dass bei Gerbert diese Verhältnisse fast unberührt
blieben, hatte in der Stellung des Stiftes zu den Thalbauern seinen gu-
ten Grund. Der Verf. hat daher durch seine urkundliche Nachweisunaj,
wie diese wilden und doch durch frühen Bergbau bedeutungsvollen Ge-
genden (das ofEcium Scbönawe) unter verschiedenen Rechtsverhältnissen
von den ursprünglichen Herrn, den Dynasten von Grinchea, Werra, Wal-
deck, Eichstätt, Künaberg an St. Blasien gediehen, bevogtet wurdeu, manche
Lasten des Vogtrechtes loskauften und endlich 1321 das abgedruckte
erste Tbalrecht erhielten. Einen Auszug daraus zu geben, darauf müssen
wir leider verzichten und den Leser auf die Abhandlung selbst verweisen,
Mr. IL gibt einen willkommenen Nachtrag über die Wappen der Besitzer
der Grafschaft Nellenburg, wodurch die richtige Beantwortung einer von
Raf. in der Anzeige des ersten Heftes aufgeworfenen Frage angebahnt
wird. Die Ansicht des Verf. ist, dass ein Wappen der ursprünglichen
Nelleoburger zwar nicht mehr zu ermitteln, dus der darauffolgenden Ki>
burger (Winterthurer) Besitzer der Nellenburgiichen Güter wahrscheinlich
der rothe Löwe auf goldenem Schilde gewesen sei. Doch da dieser Gu-
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438 Mone : Zeitschrift für die Geschichte def Öberrheins.
terbesitz nach der Beweisführung im I. Hefte (S. 89) nur etwa 50 Jahre
dauerte, so dürfte dieses sphragistische Rüthsei ohne sichere Losung blei-
ben. Sicher ist das Vehringisch-Nellenburgische Wappen in 3 Hirschge-
weihen (ursprünglich nach dem Verf. wohl nur einem) nachgewiesen,
dessen auffallende Farben (blau auf Gold) dem Streben zugeschrieben
wird, das Wappen von dem würtembergischen zu unterscheiden. — Von
besonderer Wichtigkeit für die badische sowohl als würtembergische und
hohenzoller'sche Topographie, ist die Abhandlung III, deren Benützung sich
kein gewissenhafter Besitzer des altern Lexicons von Schwaben, des
Würtembergischen, des badischeu von Kolb und Huhn wird entschlagen
können. Ref. anerkennt wenigstens dankbor, wie oft Text und Anmer-
kungen ihm bei seiner Bearbeitung der Regesten der älteren Grafen von
Heiligenberg von wesentlichem Nutzen waren. Bei gleichem Verdienste hat
die letzte Abhandlung des Verf. noch den besondern Vorzug eines we-
sentlichen Beitrags zur Geschichte eines bedeutenden und abgesehen von
leiner Versippung mit den Herrn von Krankingen, Werrach, Tiefenstein,
schon durch sich selbst mächtigen Dynastengeschlechtes, welches in sei-
nen Verzweigungen in Altenklingen, Hohenklingen, Klingenberg und durch
seine Verbindung mit dem Hochstifte Konstanz mehrere Jahrhunderte lang
einen bedeutenden Einfluss in Sudwestschwaben ausübte. Mit Hilfe die-
ser Regesten, welche die Zahl achtzig erreichen und den Sammlungen des
Kircbenratbs Kircbhofer in Stein dürfte die Genealogie dieser Dynasten
nunmehr hinlänglich aufgeklärt sein.
Archiv Rath Dambacher endlich bat im 2. — 4. Hefte (S. 224
— 256. S. 354— 385. S. 476— 499) die Arbeit bis zum Ende des XIII.
Jahrhunderts fortgesetzt, über welche Ref bei Anzeige des I. Heftes mit
gebührender Anerkennung sieb ausgesprochen hat. Die nemliche Umsicht in
den beigegebenen Anmerkungen, die gleiche Sorgfalt in Behandlung der
Urkunden, Beschreibung der Siegel, welche wir in der ersten Anzeige
rühmten, ist auch hier zur Anwendung gekommen. Leider muss Ref.
sich auch hier auf die Verweisung zur Arbeit selbst beschränken, deren
Reichhaltigkeit für die Geschichte der edlen Geschlechter und der Lan-
desverhältnisse Mittelbadens aus dem Umstände erkannt werden mag, dass
für einen Zeitraum von etwa 150 Jahren nicht weniger als hundert Ur-
kunden und Regesta zu Tage gefördert worden sind. Nur die Bemer-
kung erlaubt sich Ref. noch, dass er seiner in der Auzeige des I. Hef-
tes ausgesprochenen Vermnlhung über die Lage des eingegangenen Or-
tes Eicbelbach hier (S. 243) die Meinung entgegengestellt sab, es sei in
der Nähe von Rotbenfels gelegen gewesen. Da nicht nur in dieser Ge-
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gend auch ein Bach vom Eichel berge herabkommt, der sich in die Murg
ausmündet, sondern bemerkbare Trümmer auf den Feldern und traditio-
Delle Gründe die Anlicht des Herrn Verf. unterstützen, so zieht Ref. gerne
seine Vermuthung zurück.
Die Benützung des ganzen Bandes ist durch ein vollkommen er-
schöpfendes Register (S. 499—516) erleichtert.
So schliesst Ref. seine Anzeige mit dem — wie er hört, durch
die Absatzverhaltnisse gerechtfertigten Wunsche, dass jeder Gebildete Ba-
dens es sich zur Ehrensache machen mOge, durch das kleioe Opfer des
Allkaufpreises der aufopfernden Tbatigkeit der genannten Männer und den
guten Absichten der Regierung entgegen zu kommen, welche bekanntlich
aneb nicht geringe Opfer zur Unterstützung des Unternehmens gebracht hat.
Rasiadt. Fickler.
•»
. . • .f
Homerisches Glossarium. Von Ludwig Boederlein. Erster Band.
Erlangen, 1850. Bei Ferd. Enke. XIV und 260 S. gr. 8,
«
Seit Jahren schon durften wir erwarten und hoffen, dass Herr Pr.
D. mit einem Werke dieser Art hervortreten werde: nicht nur weil er
für die lateinische Sprache in seinem grösseren Werke, Lateinische Sy-
nonyme und Etymologieeo in VII Bauden von 1826 — 1839 und in sei-
nen beiden Lehrbüchern (Handbuch der lat. Synonymik 1840, 3. Ausg.
1849 und Handbuch der lat. Etymologie 1840), sich als Meister auf
dem Gebiete etymologischer Sprachforschung gezeigt, und notwendiger-
weise auch dabei vielfach das Griechische hereingezogen hat, sondern
auch in mehreren lateinisch geschriebenen Programmen Proben seiner Studien
aal dem Gebiete hat erscheinen lassen, das vor mehr als 30 Jahren Butt-
mann in seinem Lexilogus (1. Bd. 1818) zu bebauen anfing, und schon
mit dem 2. Bande (1825) geschlossen hat, ob er gleich noch (wahr-
scheinlich kränkelnd) bis zum Jahr 1829 lebte. Ohne Zweifel durch Butt-
mann angeregt, begann Herr Fr. D. schon vor einem Viertel Jahrhundert
seine Forschungen zu publiciren, indem er im Jahr 1825 sein Schnlpro-
gramm: Commentatio de vocabulo tijXüYETOC herausgab. Manche ahnliche
Proben folgten, bis er endlich, im Jahr 1840, sein Glossarii Homeriej
Specialen beim Prorectorats Wechsel erscheinen liess, das er mit der Er-
klärung eröffnete, er trage schon seit langer Zeit Bemerkungen, die sich
ihm. bei sciDCD 1* ors cli u o ^ cn ergeben liobcn^ xn einem (jlosssriurn Hobää**
ricum zusammen, habe aber bisher, durch eine Aensserung Lobecks ein-,
geschüchtert» die dieser aber selbst sich nicht zur Richtschnur nahm, zieh
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zur Herausgabe nicht entschliessen können. Endlich , nach abermaligem
«ehujlhrigen Zuwarten erscheint der erste Th«l des Werkes, das, wie
der Verf. hofft, in noch iwei Binden, wie der vorliegende, wird zu
Ende durchgeführt werden können. Möglich: doch mag er, als er im
Jahr 1&26 den ersten Band seiner lateinischen Synonymen und Etymolo-
gieen herausgab, wohl auch jenes Werk auf nur wenige Binde angelegt
und schwerlich daran gedacht haben, dass er 13 Jahre später den sieb-
ten Band als Schlussband erscheinen lassen werde. Wie dem sey: wir,
und gewiss recht Viele mit uns, heissen das Werk willkommen und wer-
den, wenn es aucb nicht bei den versprochenen drei Bänden bleibt, ge-
wiss nicht das unter Umständen eben so oft falsche, als wahre Sprücb-
wort aussprechen , ein grosses Buch sey ein grosses üebel. Es scheint
dem Ref. übrigens zweckmässig, vor dem Eingehen auf Beurteilung des
Gänsen und Einzelnen, noch Einiges aus der Vorrede zu besprechen.
Der Verf. will bei seiner Wortforschung das Zurückgehen bis auf
deren letzte Wurzel, als ausserhalb seines Planes liegend, denjenigen
Sprachforschern überlassen, welche die samratlicbeu Indogermanischen
Sprachen beherrschen und sie vergleichen können: auch habe er nicht
einmal die Wörter eines und desselben Stammes immer zusammeugruppirlj
sondern nur so viele, als sich zusammen vertragen und rieh als Geistes-
verwandte anerkennen würden. Dagegen wollen wir, obgleich Mancher
Etwas einwenden möchte, nicht Einsprache thun. Aber wenn es S. IV.
heisst: „Die Grundsätze meines etymologischen Verfahrens auseinander
zu fetten, wäre hier nicht der Ort. Es ist vor zehn Jahren in meiner
lateinischen Wortbildung und bruchstückweise hie und da im Uuche selbst
geschehen. Hier nur einige Andeutungen.44 War hier, d. h. in der Vor-
rede, nicht der Ort, so konnte eine Einleitung das Nöthige dazu thun,
mit besonderer Rücksicht auf die griechische Sprache nnd auf das, was
sich seit seinen frühem Forschungen entweder noch mehr begründet oder
vielleicht als nicht haltbar erwiesen bat Es folgen nun freilich Anden-
tangen der befolgten Grundsätze selbst. Aber der Verf. spricht nicht ganz
entschieden und nicht ohne einiges Schwanken, nnd da Pott irgendwo
den Wunsch aussprach, es möchte die Berechtigung zur Annahme fingir*
ter Formen (Heischeformen) durch bestimmte Gesetze modificirt und auf
bestimmte Granzen zurückgeführt werden, so Mgt der Verf. bei: „Möchte
er doch diese von ihm gestellte Aufgebe auch selbst lösen! Denn der
Etymolog bat je grossere Freiheit, um so grössere Gewissensangst, und
totins agitur, ubi nihil licet, quam ubi omaia.tt — Er habe, setzt er
hinzu, einstweilen, bis eine solche Theorie ans Licht trete, „im benölhig-
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Döderlein: Homerisches Glossarium.
len Falltf nach dem Glauben gehandelt, als ob in der Sprache jede Forts,
welche idealiter vorhanden war, und den Gesetzen der Sprachfortbildung
gemäss existireu konnte, auch realiter existirt habe. Br habe übrigens
jede Heiscbeform mit gesperrter Schrift drucken lasseo, um vor ihr zu
warnen und sie als einen blossen Geist kenntlich au machen. — Diess
Alles deutet noch auf einiges Schwanken, das, wenn die oben gewünsch-
ten Gesetze gefunden und die Grenzen abgesteckt würden, den jetzt be-'
folgten Grundsätzen einen bedeutenden Stoss oder Holt geben könnte.
Einerseits hält sich der Verf. an die Tradition, verwirft sie aber, wo sie
ihm durch ein Missverstäudniss der homerischen Sprache entstanden scheint,
und erklärt es für erlaubt, dass man sieb unabhängig von den alten Er-
klären! halte, und mittels der im Lauf der Jahrhunderte gewonnenen
grammmalischen Erkenntnisse glauben dürfe, man verstehe den Homer
besser, als sie es konnten. Gut. Nur bleibt vor der Hand auf jeden
Fall Manches bloss subjektive Ansicht, die es sieb gefallen lassen muss,
dass ihr eine andere subjektive Ansicht entgegentritt: ein Erfolg, auf den
der Verf. gefasst erscheint, wenn er S. IX der Vorrede sagt: „Die vor-
liegende Arbeit enthalt unstreitig viel Neues. Das ist bekanntlich ein
zweideutiges Lob, und desshalb im Munde des Verf. kein Selbstlob und
kein« Anmassung. Ich wünsche, dass möglichst viel davon auch wahr
seyn möge : findet aber nur ein Dritttbeil die Zustimmung der Sachkundigen,
und darf ein zweites Dritttheil als eine nützliche Zusammenstellung von
Bekanntem gelten, so werde ich mich trösten können, und mich nicht
schämen müssen, falls das dritte Dritttheil aus zweifelhaften Aussprüchen
und unhaltbaren Vermutbungen und vielleicht gar aus nachweisbaren Irr-
thümern bestehen sollte." Diese gewiss nicht hochgespannten Erwartun-
gen dürften wohl weit übertroffen werden, und wenn auch manches
Nene sich nicht halten lässt und manches Wahre nicht neu ist, so wird
gewiss Niemand in den pentametriseben Xenienseufter über Hrn. D\s Werk
aussprechen: Wäre daa Nene nur wahr, ach, und das Wahre nur neu!
Indem der Verf. die Bestimmung seines Werkes für zweierlei Leser
bespricht, entgebt ihm uicht die Bedenklichkeit, dass man, wahrend man
nach mehreren Seiten hin ein Buch nützlich machen wolle, Gefahr laufe,
seinen Zweck nach allen Seiten hin zu verfehlen. Er hat es aber den»
noch gewagt, sein Glossar für philologische Sprachforscher und zugleich
Tür solche Schulmänner mnndreebt zu machen , die den Homer au erklaV
ren beben. Die Letztern können und sollen nicht durchaus identisch mit
den Erstem seyn, noch weniger sollen die Schulmänner ihre Schüler der
Mehrzahl nach zu Männer der ersten Ari heranziehen wollen, denn nur
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Doderlein : Homerisches Glossarium.
Sprachkenntniss, nicht Sprachforschung, ist ein wesentlicher Tbeil der all-
gemeinen Bildung. Den Schulmännern tu Liebe hat Hr. Pr. D. die Auf-
lösung des Rathseis gewöhnlich der Aufgabe und Entwickelung vorange-
stellt, die doch jener der Natur gemäss hätte vorausgehen sollen, damit
sich die Entwickelung aus jener Aufgabe ergebe und der Leser die Lö-
sung mit finde ; auch bat er denen zu Liebe, die nicht eigentlich Sprach-
forteber sind, Einzelnes ausführlicher behandelt, auch ausgemachte Satze
und bekannte Erscheinungen erklärt und entwickelt, was den Forscher,
als etwas ihm Bekanntes, ermüden könnte. Er selbst hätte lieber sich der
ihm mehr zusagenden Kürze beflissen.
Nach einem kurzen Rückblick auf Butt mann 's Lexilogus, dessen
erster Baud jetzt 32, der zweite 26 Jahre alt ist, bemerkt Hr. Pr. D.,
es sey seitdem für die homerische Wortforschung im Einzelnen ml, im
Grossen wenig geschehen; Manches sey Frucht eines ernsten Studiums,
Anderes nur so gelegentlich, dilettantisch, vorgebracht, sey auch noch
weniger als das. Was er von dergleichen vereinzelten Beitrügen benutzen
konnte, habe er benützt, Manches geflissentlich ignorirt, um nicht für Po-
lemik Raum in Anspruch zu nehmen.4) Dass er für den Schluss des
Werkes ein alphabetisches Register verspricht, ist erwünscht; noch er-
wünschter wäre eins schon bei dem ersten Theiie, denn Mancher wird
sich für die einzelnen Theiie nicht gern, (wie der Verf. meint) sondern
ungern mit der beigegebenen Uebersicht behelfen.
. Soll nun Ref. seine Ansicht von dem Werke im Allgemeinen aus-
sprechen, wozu man nicht erst das Ende oder die Vollendung abzuwar-
ten braucht, so wenig, wie bei des Verf. oben angeführtem frühern Werke;
so muss er es für eine wahre Bereicherung unserer Literatur auf diesem
Gebiete erklären, und zwar uiebt bloss darum, weil eine Menge homeri-
scher Wörter erst jetzt unter ihre richtigere Stimme gebracht und darum
auch erst jetzt richtig verstanden werden können, sondern weil auch der
Sinn ganzer Stellen klarer aufgefasst ist, manche durch ansprechende Con-
jecturen verbessert werden, und gelegentlich auch auf andere Schriftstel-
ler ein Licht fällt und Winke zu ihrer Verbesserung gegeben sind.
*) Da der Verf. im J. 1830 seine Commentatio de Alpha iotensivo ser-
monia Gratci (Erl. 24. S. 4) geschrieben hat, die er selbst in unserm Werke
S, 50, Not. 48 anführt, mit der Erklärung: „Die Existenz eines <x intensivi ist
anerkannt, es handelt sich bloss um seine Genesis" u. s. w.j so wünschte Ref.
wohl zu wiesen, ob er das Osterprogramm des Gymnasiums zn Cöslin vom
J. 1846: De alpha intensiv u von Dr. F. H. Uennike (28 S. 4.), der das
Döderlein'sche Programm an mehreren Stellen bespricht, nicht kannte oder ge-
flissentlich ignortrte, um nicht für die Polemik Raum in Anspruch zu nehmen ?
Hr. H. bestreitet das a intensivum.
u«* rSrhluM fnlot )
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Fr. 28. HEIDELBERGER 1811
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
(SchlüM.)
Zwar fehlt es gar aicbt an Stellen, wo, wie bei manchen Stellen feiner
frühem Werke, der Verf. etwas zu kühn erscheint, wo er, nach unserer
Ansicht, mit einer Art von Zwang Unvereinbares zusammenstellt, wah-
rend Naheliegendes nnd Verwandtes auseinandergehalten wird. Aber weit
öfter begegnet man Erörterungen und Zusammenstellungen, die so schla-
gend, treffend und einleuchtend sind, dass man sich wundert, fast ärgert,
dass man nicht salbst auf das gekommen ist, was so nahe lag und nun
so offen da liegt. f
Wenn nun der Ref. , um seine Tbeilnahme oder vielmehr sein In«
teresse an dem Werke zu bethatipen ans welchem viel gelernt zu haben,
er offen gesteht, einen Tbeil des Buches mit Bemerkungen, Zusätzen, Ein-
wendungen oder Ausstellungen begleitet, so beobachtet er nur seine Q*t
wohnbeit, die ihm fast noch nie missdeutet wurde, und wobei er eben
seine aubjective Ansicht ausspricht.
S. 3 will es dem Ref. gar nicht einleuchten, dass eXXo;, stumm, du
«
überdies.«» auch nach Andern durch schnell zu erklären ist, und vielleicht
nur durch die Aussprache sich von saäo^ unterscheidet, durch Trübung des
et privat, in a aus aXaXoc entstanden seyn könne , wie «070; aus acpyo;.
Diese Vergleickung hinkt stark; so wahr es ist, dass ctpYo; aus 2epyo$
zusammengezogen ist, wovon sich sogar bei Hesvchius die doppelt digam-
mirte lakonische Form xaßepyoc findet ), *o passt es doch gar nicht zu
einem Beweise oder einer Identificirung von eXXoc mit aXaXo?. — S. 5.
steht: den Commentar zu dem Worte xopu&atoXoc gebe II. VI, 49. Dort
findet sich aber nichts, was hierher zu beziehen wäre oder passte. Ret
glaubt, es werde VI, 469 f. gemeint sein: Tapßrjoa; xaXxövTsio'e X6<pov
tkiuoxatt>jv, deivov an axparaTTj; xopudo; veuovia votJooc;. — S. 6,
*) Thiersch in seiner Gramm, des homer. Dialekts p. 166, $. 153 be-
merkt, es stehe bei Hesychius opoviucdcaroc Aaxouvec, und sagt, man müsse lesen
e>u |ucda»tcc« Ref. hat vom Hesychius keine Ausgabe als die von Hagenau 1521 fol.,
die correcter ist als die Ed. prc. Aid. Dort aber steht Ta^t^-pq. epyou jusdeuwe.
Ref. vermuthet appc, ou |ucfcutoc.
XUV. Jahrg. 3. Doppelheft. 28
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Döierkio: Homeriich« Glossarium.
• - • •
& 9. DU hier (wie früher im 6. Tneil der lateio. Synon. ood Etymol.
a 332) wieder vorgebrachte Ableitung des lateinischen Wortes serös
(vom ^eptoc, kürzer rjspoc) werdeo wohl Wenige, wahrscheinlich noch
Wenigere überzeugend fioden. Der Verf. sagt selbst, sie sei gewagt:
bei Pott and fienfey finde er selbst keinen Versuch. Es mag diese Män-
ner eben die Unsicherheit des Feldes der Vermuthungen abgehalten ha-
ben, auf dem sich auch frühere Etymologen ohne Befriedigung ergangen
haben, z. B. Becmanus in der Manuductio ad L. L. , Martini im Lex.
Philol., G. J. Vossins im Etymol. L. L. , mit nicht besserm Erfolge, als
der alte Isidoras, welcher sagt: serum tempus, quo obserantar fores, portae,
januae. — • Wenn S. 12 a^eoftcti, als entstanden aus ^äCs^äi, cr/otbs'i-
Oai oder aus dr/fCsoOm, &yßbz3$m erklärt wird, so war es doch natür-
licher, bei dem nothwendigen Gedanken an cr/öo;, auf das gleichgebil-
dete jiq/vVo; zu blicken, bei dem man doch zuerst an jiGfe» denkt nnd
tchwerlich auf ein |iox«Ceo^at, fioxa&o&at, fioyjCeoftat und fioxefleodm
kommen wird, womit wir übrigens des Verf. Ansicht von den Verbis
anf *L jew, — oseiv und — detv nicht bestritten haben wollen. S. 15
wird der Name "Aprfi durch Äipv^, ötsi'piov zu erklären versuch!, ood der
Gedanke hübsch auseinander gesetzt. Ob aber auch wahr? Freilich, wenn
Uns der Verf. eine bessere Ableitung geben heisst, werden wir lieber ein
Nichtwissen gestehen, als, ihm noch weiter folgend, in dem lateinischen
Mars am m einen Rest von \ii~A und demgemitss in Mavors eil griechi-
sches jmee — - aoproc erkennen. So falsch das „Jam, qoi magna vorte-
ret llavors*, das Cicero (N. D. II, 26) dem Stoiker Baibus in den Mund
legt, sein mag, so ist es doch ansprechender, als diese Erklärung, wobei
wir uns übrigens vor der Deutung verwahren , als ziehen wir das An-
sprechende dem Richtigen in irgend einer Weise vor. — S. 20 ist aus
II. XIV, 150 cilirt tn 6*&*03ovre ÄStfaÖlJV. Diess Findet sich aber weder
dort, noch sonst irgendwo. Aber II. XII, 148 steht Ao^jict) ^d&asovTS
itspt oq>fetv ftpW» uXtjv, und II. XV, 150, die vom Verf. gemeinte,
aber falsch citirte und falsch geschriebene Stelle : tw tffltt Socvte raTaofrrjv.
— S. 24. Ohne das Wort ijpto^ mit Herr und dem lateinischen herus
fdenliGciren zn wollen, welches der Verf. eine oberflächliche Identrfici-
rnng nennt, möchten mit uns doch Viele in der Benennung fjpios^ stiebt
ohne inneres Widerstreben „zu Luft gewordene Menschen, in der Luft
schwebende Geister" jßjspoJTül) erkennen, gleichsam „ossiaoische Lnft-
geistertt, wenn schon nicht zu lüugnen ist, dass, abgesehen von den ho-
merischen Heroen, in dem griechischen Volksglauben, wo sie Übrigens
von den Dämonen und Genien unterschieden wurden, ihnen etwas Gei-
. '» • *•
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«5
sterfaaftes zugeschrieben wurde, \ ergl. Creuzer's Symb. uod Mythol. III.
S. 736 ff. — 8. 3Ä wird uns angesoonen, die Quelle, tot^t), als Femi-
Dioform von lrrflöc, feist, zu betrachten, uod es wird Bit Scharfsinn, aber
doch nicht überzeugend, ein Zusammenhang der Begriffe nachzuweisen ge-
sucht, euch von dem Sprachforscher mit kritischem Scharfsinn an den
Sp ro ctiforsch c r mit poetischem Sinn sppdlirt . yycoq sfacr üucIi dieser nicht
zustimmt, so Will der Verf. lieber das Etymon ruihselhaft nennen, als
mit Damm irr/Y*] ton meiv oder mit dem Etym. M. von injöav ableiten.
Und so woUen wir denn aach lieber cum non liquet ratheo. — S. 34.
Wenn es richtig ist, da», wie hier angegeben ist, icacoaXoc den Nagel,
um Etwas daran aufzuhünffen bedeutet das lateinische nessulus aber die
Bedeutung eines befestigenden Riegels bat, so trifft Jenes allerdings in
der Steile U. V, 209 f. orcö ftaoodAoo örpcuX« to^-eXoll^v zu, and so
braucht es auch Pindarus Ol. I. 25: Acopiav a7io «popjiLrya rcaoaaXoö.
Xcqxßavs. Aber nicht passen will des Aeschylus Gebrauch im Prometheus
Opomqj tw'yw : so wie nicht zu der Bedeutung von pessulus, obgleich mit
dem Akte des Hephastos dem Entkommen des Prometheus ein starker Rie-
gel vorgeschoben war. — S. 38, wo von den vom Hephästos seinen
Dreifüssen angesetzten Rädern die Rede ist, wird II. VIII, 376 citirt: die
Stelle ist aber II. XVIII im angef. Verse. — Wenn Hr. Prf. D. 3»
unter frrwfc anführt: „agea, via in navi dicta, quod in ea maxima quae*
que res agi solet. und Gl. Labb. agear: itapauixov [der Verf. vermuthet
fcapafieveuv , nach der Analogie von aywv]/caL ndpodtK rcXotou, so ver-
misst man die Angabe, woher denn diese zwei Stehen sind, was gegen
die Gewohnheit des Verf. ist. Ref. fand sie bei Festus (in der Ausg.
des Verrius Flaccns und des Sex. Pompej. Festus von Jos. Sealiger ap.
Santandr. 1593. 8.) p. VIII. Im Commentar dazu macht Seal., nachdem
er die griechische Glosse gegeben, folgende Bemerkung: „Conjunctio xot
superflua est. Cetera corrnptissima ita legenda : Agea Ttapä 'Evvuo r\
zopoÄoc T&oioo. Isidoras in Etymologicis Lib. XIX. Agea, inquit, viae
• 4 ...
sunt, vel loca in navi, per quae ad remiges bortator accedit. de que En-
nies: llulta forom, pontes et ageaque longa repletur. Haec ille, quae
emendalionem nostram conürmant.u *) — Wenn es S. 40 heisst ays-
*) Zur Vollständigkeit fügt Ref. noch bei: dass die Stelle des Isidor M
der Ansg. des Dionys. Gothofredas v. J. 1622 im 2. Cop. p. 1256 steht, wo
der Vers des Eneius hei&st : Multa foro ponet et agiavia longa repletur. K.
Spangenberg in seiner Ausg. der Annalen des Erraios (Lib. Vit, 52. p. 99) gibt
28*
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436
Xefy sei „Xetav aitcrpuaa oder besser Xetav ircarouaa", so wir es noch
besser, zu sagen, sie sei Xetav ayouaa, sei es nun afta?oooa oder *sita-
fOOoa. — S. 46 steht durch eine kleine Uebereilung, TtaA'.vaypSTo; heisse,
was sich nicht wieder sammeln lässt. Das heisst es nicht ohne den
Znsatz c/j, welcher auch in der angeführten homerischen Stelle, der
einzigen, wo es vorkömmt, dabei steht. Wenn der Verf. in der Note
18. 6. 51, in dem <x, von ova bei Zusammensetzungen hergeleitet, die
Bedeutungen zurück und wiederum, also auch eine Art von Verneinung
erkennt, und demnach in der Präposition äva die entgegengesetzten Be-
griffe von nicht und sehr annimmt, so mnssRef. doch gegen diese En-
antiosemia Etwas einwenden. 'Ava ist nun einmal der Gegensatz zn xotd,
wie ovo zu xat(u>. Ist nun in xaxaveuü) das bejahende Nicken, so kommt
diess daher, weil der Bejahende mit abwärts (vorwärts} nickendem Haupte
diess andeutet; verneint er, so wiegt er das Haupt nicht vorwärts (ab»
WÄrts), sondern aufwärts (rückwärts;. Die Verneinung isl aber nicht
im Zurückdrehen oder Zurückwerfen, sondern im Aufwerfen des Kopfes.
So ist es denn auch mit avaßXaatavetv. Sagt der Verf., die Wiederho-
lung ist ein Bild der Fülle, so bemerken wir, dass zwar allerdings , wenn
eine abgeblühte oder scheinbar abgestorbene Pflanze wieder frische Spröss-
linge nnd Blttthen treibt, diess avaßXasravetv ist, die Präposition aber
als Gegensatz des Abblühens, Ablebens, das Aufleben andeutet, das anfs
Nene leben, aber, genau genommen, nicht das Wiedcrleben oder ins Le-
ben zurückkehren, folglich dva wobl einen Gegensatz zu xata, aber keine
Negation bildet, wie das Linke dem Rechten wobl gegenüber oder ent-
gegen steht, es aber nicht negirt,*) — Wenn es heisst, vor Gaisford
bei Hesiod. Theog. 832 habe man ayaopou accentuirt, Mutze« in Tkeog.
p. 342 f. (nemlich De Emendat. Theogon. lies.) habe jedoch genügend
ihn nach Merula's Conjectur (p. XVI II. und p. CCCCXIsq. Lugd. Bat. 1595. 4.):
Multa foro ponens, ageaque longa repletur; führt aber die Correctur von Jo.
Scheffer de Militia Navali an (sie steht Lib. I. cap. 6. p. 50. ed. Upsal. 1654.
4.): Hnlta foro ponunt, agearia longa replentur.
*) Vergleichen wir noch avcrßoRvav: ein Schiff besteigen, von der niedri-
gen Kaste, vom Wasserrande, an Bord, also hinaufsteige«, dann: von der Küste
landeinwärts, also auch wieder hinaufsteigen, wess wegen man ja sagt, Xeno-
phon's dvoßaaie schildere eigentlich vom zweiten Buche an eine xato^aote Fer-
ner dwafetv (mit und ohne' vfjat) auf die hohe See fahren, und xaTdtjtiv ein
ßchiff von der hohen See in den Hafen bringen; beides darum, weil der am
Ufer Stehende den fernen Horizont als höher erblickt, der dem Lande zu Fah-
rende (an eine flache Küste) das Land tiefer za sehen glaubt.
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437
nachgewiesen , dass die altera griechischen Grammatiker aroopoc vorzo-
geo; so bemerken wir, dass nicht nur in der Amsterdamer Ausgabe des
Hesiodus cum notis varr. von 1701 an der angeführten Stelle io der Nota
des Guyetus oVjfaupoo steht, sondern auch schon im Texte der seltenen,
Cristinischen Ausgabe von 1570. 12. — S. 67 werden die Leser ge-
warnt, sich bei dem homerischen fiopfiupsiv (II. V, 599) nicht durch
murmurare and murren und das ganz spate fiopfjtupt'Ceiv verführen zu las-
sen, es mit dem Scboliasten für onomatopoetisch zu halten: da es das
reduplicirte fiupeiv (Hes. Scut. 132) sei und (hassen heisae, nicht rau-
seben, noch bei Homer immer jrjpeoftai in Thriinen zerfressen bedeute,
auch rauschen an den Stellen II. V. 599. Will. 403 nnd XXI, 325
(wo immer &pp<5 bei jAOpjiupstv steht), weder zu diesem, noch xu t6ü>V
passe, ood wenn A pol Ion. im Lex. Horn, sage fiopfiupcov. «poßep&v, so
müsse man aus Schol. ad II. XVIII, 403 lesen cpoßepüK Cst»>v. Hierzu be-
merken wir, dass die letztere Verbesserung schon Villoisoo vorgeschla-
gen bat, wobei wir hinzufügen, dass das Qeh dem aeppo; wohl zukommt,
weil der Schaum nicht ohne ein Zischen ist, auf jeden Fall aber ein
durch starkes Strömen schäumendes Wasser ist, Voss also wohl über-
setzen konnte (V, 599): voll Schaum hinbrausen ihn sieht, und Wie-
dasch: mit Schaum hinrauschen ihn sieht. — S. 68 wird ans Od. XIII,
274 5<ppa-ftXeuexat citirt, die Stelle steht aber XIV, 400. — S. 9a
oben wird Tibullus IV, 5, 9 citirt und gesagt, das lateinische manus, gut,
sei jetzt nicht mehr bloss durch den Cerus manus bekannt, seit Bachmann
dort aus den Mss. Mane geni, cape tnra libens wiederhergestellt habe,
statt Alme oder Manne Scaliger, der im Jahr 1577 den Tibullus neben
Catnllus und Propertius herausgab, that, als ob er zuerst richtig Magno
gebe. Dieses findet sich aber auch schon in einer Gryphisna vom Jahr
1546 und einer Aldina von 1558, die Ref. vor sich bat; eine Veneta
vom Jabr 1500 (nicht Aldina ; s. Ed. Bip. p. XLIIsq.), die Ref. auch ein-
sah, bat noch Mane. Ref. bemerkt nur, dass nicht erst seit Lachmann
Mane geni wiederhergestellt im Text steht, sondern seit Voss, in seiner
Aosg. vom Jabr 1811. Ref. hat selbst für Voss fünf Mss. im Jabr 1809
in Leydeo ans der Bibliothek des Is. Vossius verglichen, nnd in vieren
derselben magne, in einer mane gefunden. — Um unsere Bemerkungen
zu sebfiessen, wollen wir ohne weitere Erörterungen noch eine Anzahl
Ableitungen anführen, die uns nicht zusagen, weil sie allzu gezwungen
erscheinen. S. 52 wird bdkoaaa mit acaXaCeiv, ftf* mit <m&xt, d^aat
mit ara'Cetv, Oa'pooc mit oreppo? verglichen; S. 55 gilvns (unser gelb)
mit YfiXav; S. 61 wird mit dem homerischen fyiusiv das Lateinische roe-
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43Ö
are, movere und mutans zusammengestellt, and behauptet, da« in dieselbe
Familie auch ftpac'ßeiv, ijiudBttV und uiflwetv gehören; S. 64 t fy6n>c «ad
^/ißpoc unter jzopec&at, anch orfwpT); ß. 71 sehen wir öXf/n£ mit veles
vnd wild, ojuat^t: mit miles, Plankler mit rJ^^aodai zusammengestellt;
8. 103 wird sogar die Idealität des ö\>; mit dem deutschen za und eng-
lischen too vermuthet.
- ' Ref. kann aber nicht scliliessen , ohne nochmals das grosse Leber-
gewicht neuer und treulicher Etymologien, die Berichtigung des Verständ-
nisses vieler Stellen, nicht bloss bei Homer, endlich auch die Verbesse-
rung mancher Lesarten hervorzuheben, und xnr Probe hier Einiges bei-
lusetzen. S. 3, Note 5, findet sich eine Verbesserung des Herodotus bei
der durch Leeart und Erklärungen von den Herausgebern öfters bespro-
chenen Stelle 1, 75 öpYTjV cr/oor, ob man so, oder o^rv oux axpo;
lesen müsse. S. Bährs Herodot Th. I. p. 188 und das. die Anmerk.
Unser Verf. sagt dazu: „Homer hat axpo; ner in localer Bedeutung;
Herodot braucht es schon bildlich, aber nur im Sinn von herrlich. Ea
Miss heisseo t>,pv äxpypo; nach Aeschyl. Prom. 678, was eben diejenigen
verstanden wissen wollten, welche die Negation zwischeneinsetzen zu
müssen glaubten." Voss übersetzt dort: linzaam im Jähzorn. 8. 5 wird
hei xopuftoioXoc die Bedeutung Heimbuscbsehülller and Monje's gewalti-
ger Stürmer im Uelmbuseh zorückgewiesee ; dam oupoc die Bedeutung
Seewind vindicirt (S. 9), weil es nur in Verbindung mit wcta&ev, ixf«-
voc, xaXAi/ioc einen günstigen Fahrwind bedeute, S. 10 oeAAa das We-
hen öder der Wind, aber nicht Sturm; S. 23 aqtoirj eher Pfeil, ab
Wurfspiesa; S. 3t £xr.ay/.o;, der das Blut in den Adern ersUrren macht,
eigentlich und tropisch; wobei der Verf. die merkwürdige Aeuiserung
anfügt (m einer Note): ..Ich entsage also hiermit dem uralten Irrthum,
den ich 40 Jahre lang habe verbreiten helfen, dass 8X7torrA.oc statt Ix«
kXoyqc, von ixitXrpGStv stehe (folglich soviel als flXTt/jyxTtxo; sei.)" —
Jetzt verbindet er es mil dem Stamme IhftvävatL S. 25 empfiehlt sich sehr
eine Verbesserung tu Od. VIII, 187, wodurch nctxerüc au einem Sub-
stantiv wird, und zugleich der Sien gewinnt. [Weniger empfiehlt sich
dem Ref. S. 34 au Od. XXI, 419, die Vermutbnng e/cov für saöjv.) —
S. 38 wird orrcmiat Od. VI, 58, besser ab bisher (ich will fahren) er-
klärt, so dass Iva-* bloss das Objekt von nXuviouoa ist. — S. 44 f.
wird über ärrepü^OC sehr befriedigend gesprochen, euch ist die Note 41
sehr gehaltreich, während ßuttmann im Lexüogus II, S. 98 — 100 sich
offenbar selbst eicht mit seiner Erörterung befriedigte. — S. 53 finden
wir eine gute Berichtigung des Verständnisses der homerischen Stelle Od*
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Dü derlein : Homerisches Glossarium.
439
XVI, 202, gegen Voss und Buttmann (aus/. Gramm. IL S. 94), dass öccu-
uiCsiv sieht auf rcorripa allein, sondern auf Ttaxlpa fväov £ovia fcehe,
bUo hier nicht die Bewunderung, sondern die Verwunderung bezeichne.
Ebendaselbst findet sich auch eine gute Bemerkung Uber Oppian. HaL IV,
138, wegen crrafofACtt und avauofiai, mit Beziehung auf Schneidens An-
steht nnd Lobeck's im TTjficrnxov, p. 95. Ref. bemerkt bloss dazu, dass
Rittershnsins in seiner Aasgabe ttratofisvoi bloss am Rande als Lesart
tafibt, äY«uöfavoi aber, in der Bedeutung von bewundern, anstaunen,
in Text behalten hat. — S. 54 wird sehr empfehlend die Bedeutung der
Wogen frohe oder der auf dem Wagen prangende (Poseidon tkftlo?)
nachgewiesen, statt der Uebersetzuog von Stollberg: Gestadumgurler ,
Vom: Erdumgürter, Wiedasch: Erdumslurmer; S. 56 finden wirza Od. iX
230 den Vorschlag, itpo<ppu>v toyovüc tt xod *}mo$ 'tow> wohl be-
grüüdet: nuch wird S. 78 in II. VIII, 70 u. a. 0. xavY)Xsp}C durch sehr
schmerzhaft (von dXrstv) besser, als bisher erklärt, und 8. 79, das noch
oie recht erklärte, ftaXdiBÖV/ , Od. VII, 123, durch die Verbesserung
ftttöcedov (Greg. Cor. p. 454) klar. Sehr gut wird S. 81 im Schol.
Vea. bei Villoison: hm ök ttjv ßoußpoxmv t6v ofexpov l&H&KO nicht
mit J. Bekker in ouctgv, sondern in olorpov verwandelt, nnd 8. 89 äji-
wpr(:i; nicht durch an beiden Füssen lahm, sondern an Händen nnd
Füssen müde erklärt, was sich an seinem hinkenden Gang verrathe* AnJi
dttrfte die Verbesserung S. 90 B. XIX, 62 ^uofievetov utcÖ x^p^v IjjtbiJ
Iito UTjVi'aavTOC sich empfehlen. Gelegenheit wird S. 39 zum Mo-
ralins Od. III, 27, 41, richtig bemerkt (gegen Orelli), dass fugiens sich:
raf so mm um beziehe, dach Anleitung von Odyss. IX, 562, ousvtjvwv
Wpcjv (nicht Stand haltend.). S. 100 findet sich auch eine sich sehr
empfehlende Vermulhung über ftpqiviptfrt* und S. 112, Note 94, da«
scharfsinnige Bemerkung nber terrov »J<pa(veiv und <I>apo; Gcpaivetv.V-' i
Doch genug, und vielleicht mehr als genug, um unsere Leser, na-
mentlich die Erklärer des Homer auf Schalen, auf den Reichthum des ge-
diegenen Werkes aufmerksam zn machen, wiewohl diess nur Wenige jetzi
weh bedürfen möchten; zugleich auch, um dem Verf. zu beweisen , wre
sehr wir aberzeugt sind , dass die Kenntniss der homerischen Sprache,
namentlich die Wortforschung , durch sein Werk , zn dessen Vollendung
wir ihm Kraft und Math wünschen , wesentlich werde gefördert werden.
Ref. hofft in einiger Zeit Müsse zn gewinnen, auch das neuumgearbeitete
Werk von Nägelsbach, Anmerkungen zur Mas, in diesen Blättern bespre-
chen zu können. . : ' ' ■■ ' -1 ' r'f'- 5
Ulm. €»• M. losetii •
44*
v. Raaroer: Antirraarische Briefe.
Antiquarische Briefe ton A. Böckh, J. W. Loebell, Th. Panofka,
F. t>. Raumer und H. Bitter. Herausgegeben ton Fried-
rieh r. Raum er. Leipzig. Brockhaus. 1851. S. 256. 8.
t ■ •
Bekanntlich gab der weise ind milde Alkuin dem bisweilen un-
gestümen, jüben Kaiser Karl die Lehre, er möge nach dem Vorgang der
Apostel, den eben bekehrten, noch halb heidnischen Sachsen Milch
darreichen, eine nahrhafte, dabei leicht verdauliche Speise. Diese Regel
gilt auch für die politischen und literarischen Verhältnisse Teutsch-
lands. Umgekehrt, oder zu rauh behandelt wird es über kurz oder lang
in den aeltsamen Veitstanz der letzten drei Jahre zurücksinken, zumal er
bei dem Uebergewicht des Komischen doch auch manches Tragische dar-
bietet. In Beireff der Alterthumswissenschaft, welche ja bei-
nahe am Boden lag, bat der berühmte Herausgeber mit seinen gleich-
stehenden Freunden hier Alkuins Weg eingeschlagen und dabei daa,
durch die Frankfurter, hier uod da noch gültigen Grundrechte aner-
kannte Asiociationsprincip benatzt. Denn das ganze Büchlein ist
die Frucht des von den Gescllschaftsgliedern gegebenen Beitrags, gleich-
sam ein antiquarisches Pickenik oder Gastmal. Mannigfaltigkeit
und Anregung musste dabei vorherrschen, heiterer Scherz dem Ernst
zur Seite geben, aus der unendlichen Masse des Stoffs ein Bruchstück,
oft von geringem Schein, herausgegriffen , beleuchtet und im Zusammen-
hang mit der Gesammtheit nachgewiesen werden. Auf Erschöpfung
kam es dabei häufig nicht an, wohl aber auf das Herausstellen minder
beachteter Seiten und gemeinfasslicher , gleichsam praktischer Satze.
Eben so wenig konnte die Form streng gebunden erscheinen ; sie wählte,
wie es im Gespräch begegnet, mit Plan häufige Abschweifungen vom je-
maligen Hauptgegenstand ; mit einem Wort, sie trachtete nach einem grös-
seren Publikum; sie ging über den Kreis der eigentlichen Gelehrten und
Fachleute hinaus in das pulsirende Leben der Gebildeten ein, und
lochte demselben einzelne Aufgaben der strengen, abgeschlosseneu Wissen-
schaft mindestens interessant zu machen. Aber auch die eigentlichen
Altertumskenner werden dabei nicht leer ausgeben uud manches Nene
finden, z. B. Bückh's Mulhmassuug, die bisher dem Xenopbon beige-
legte Schrift vom Staat dar Athener gehöre dem ultra-aristokratiscbeo
Scbreokensmann , Kritias, an. Die Beweise sollen später nachgeliefert
werden. — Dem Innalte nach könnten die Briefe in drei Ahlheilungen
zerfallen, in literarhistorische, tbeologisch-philosophisch-
didaktischo und philologisch - artis tische. Die erste Klasse
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v Ronmpr* Anlinunrisclie Briefe.
T « llllUIMCI . numjuuiwwww • W»
wird hauptsächlich durch v. Räumer und Böckh vertreten; ne behan-
delt besonders Xenophon und Piaton (Br. 1. 2. 3. 4), Tacitoe
und Thucydides (Br. 6. 12), Pausanias (Br. 13), Herodot
(Br. 13 und 6), Polybius (Br. 15), Dionysius von Halikarnaae
(Br. 16), Appian (Br. 17) u. s. w. — Dabei unterlässt es der Verfc
nicht, manche beachtenswert he Winke über das Studium der Geschieht©
and die historische Kunst zu geben. Ja, Böckh ist so dreist, dass ei
letztere geradezu für äusserst schwer und fast nur den Alten, d. h. Rö-
mern nnd Griechen, in letzter Vollendung erreichbar hüll, eine Aumas-
sung, welche ihm von den allezeit fertigen Chronisten der Tagesbegeben-
heiten übel verdeutet werden möchte. Auch die sogeheissenen Ueber-
allhistoriker, welche jeder Richtung des Zeitbewusstseins folgen und
ein Gesammtbild desselben geben wollen, dürften nicht beistimmen.
Es beisst nämlich S. 57 also: „Thucydides, wünsche« Sie, hätte Athen in
aller Vielseitigkeit seiner Gloria geschildert. Sie verlaogen von ihm mo-
derne Universalität ; er aber wollte von Dem schreiben, was er verstand,
es genügte den Alten beschrankte Aufgaben zu lösen, wir werfen uns
immer gleich ins Unendliche, wie schon Göthe gesagt hat, und kommen
darum auch nicht zu abgerundeten Werken und plastischen Gestaltungen
nnd werden niemals fertig. Die politische Geschichte soll die ganze
Literatur-, Kunst- und Sittengeschichte umfassen; die Literaturgeschichte
pfropfen wir voll mit politischen und andern Thatsachen. Die Alten kann-
tcn den Grundsatz von der Theilung der Arbeit so gut wie wir, und
befolgten ihn besser als wir in Kunst und Wissenschaft. Darin liegt ihre
Virtuositit." Da ist einmal der Nagel auf den Kopf getroffen. — Die
zweite Gattung der Briefe, theologisch- philosopliif ch-didak-
tischen Inhalts, beschädigt sich mit Platon's Phödon und der Un*
ilerblichkeitslehre (Br. 18. 21. 22. 23), alter und christlicher
Philosophie (Br. 23 nnd 24), welche letztere besonders Ritter erör-
tert (Br. 24), dem Fortschritt der Menschheit mit Bezug auf Ari-
stoteles nnd Leibnit(Br.26). Merkwürdig ist die Nachricht (S. 209),
dass etliche hoebmüthige Kritiker den nordamerikauischen Staatswesen
Jefferson in Bezug auf transcendentale Philosophie, namentlich die Un-
sterblichkeitslehre, einen Philister gescholten haben. Diesen Beinamen
kann sich der Mitbegründer der wirklichen, nicht oneiropoli tischen
Union immerhin gefallen lassen, auch wenn seine Bedenken gegen die
Stichhaltigkeit der Platonischen Beweise unbegründet sein sollten. Hatte
man nur in Teutschland statt der mystisch-staatsrechtlich schwärmen-
den Hohl- nnd Querköpfe der Paulskirche und des Martinstiftes eine»
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44* \. Räumer: Antiquarische Briefe.
derartigen Philister gehabt! Die d o k t r i n ü r - b u r s c h i k o s c n Trän-
mereien würden daoo nicht oufges liefen sein. Und wie viel Geld, Zeit
und Schmach hätte man sich erspart! — Der Herr Herauggeber, be-
lehrt durch seine legislativ-diplomatischen Reisen nach Frankfurt und Pa-
ria, spricht auch deaahilb nicht viel von den kostspieligen Luftgebilden,
sieht jedoch woW zu schwarz, wenn er den Teutaeben mit ihren 40
Millionen Köpfen daa Schicksal der Griechen, Theilung und Interthä-
nigkeit unter die Fremden, vorhersagt. „Und wird nicht, bei* > t es S. 139,
den Deutschen ein gleiches Verderben, wie damals den Griechen bereitet,
durch wilde (jetzt gezähmte) Demagogen, arglistische Diplomaten, eitele Kö-
nige waren sie es a 1 1 e i n? ), kurzsichtige Volksslämin* (warum setzen sie keine
Brille auf?) und habsüchtige Grossmäcbte?" — OhaeSparta's Widerspruch hätte
Athen für Griechenland, ohne Oesterreichs Widerspruch Preuaaen
für Deutschland ein ähnliches Ziel (die Einheit) erreicht« (S. 149). —
Dergleichen unionistische Nachklänge sind theiis unzeitig, dn der
Bundestag wiederhergestellt ist, thejls unrichtig, weil ja Oester re ich
immer und nicht ohne Grund zu Teutschland gezahlt wurde. Mit
vollem Recht wird dagegen die religiös-kirchliche Unduldsamkeit
bekämpft ued die Ketzerverfolgung die rabeuachwarze Seite christ-
licber Kirchengeschichte genannt, welche für die Zukunft unmöglich ZU
machen, noch immer eine Hauptaufgabe unserer Zeit bleibe (8. 152}. — *
Dean didaktischen Gebiet gehört der neunzehnte Brief ao, in welchem
vom Erlernen der alten Sprachen gehandelt wird. Herr von
Kaum er entscheidet sich für dio Uncrlisslicbkeit gegenüber den künfti-
gen Gelehrten, hält aber für die Unstudirten den Gebranch guter
Übersetzungen in Volkzbibliolheken für hinlänglich (S. 196}. In Be-
zug auf denselben , trotz der häufigen Besprechung nicht erledigten Ge-
genwand schlägt Herr Penofki (Br. 20) vor, bei Erklärung der Klas-
siker schon auf Schulen die alte Religion, Mythologie und Kunst
zu berücksichtigen und dafür Bildwerke zu gebrauchen, welche un-
mittelbar auf Phantasie und Anschauungs vermögen des Schülers belebend
zurückwirken müssen. Schwerlich wird man das hier Gesagte missbilli-
gen oder die Entrüstung tadeln, welche den Briefsteller bei der Gleich-
gültigkeit gegen das von ihm bereits vor Jahren durch den Druck dar-
gebotene Hnlfs- und Schulmittel, ein antikes Bilderwerk, überläuft. Mit
Fug und Recht wird auch die Viel- und A Her welts wisse rei künf-
tiger Philologen und Gymnasiallehrer getadelt; sie sollen neben den al-
ten Sprachen und darauf bezüglichen Hilfswissenschaften auf der Ueiver-
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v. Räumer: Antiquarische Briefe,
443
iscb und Sanskrit hören, um das Oberlehrerexamen glücklich zu besteben
und dann aar den Gymnasien in diesen verschiedenen Fächern, je Dach
Bedürfnis* zu unterrichten (S. 199). Das ist, könote mao beifügen, der
gerade Weg zur civilisirten Barbarei, die Schulbildung zur
Bestialität, wie sie einst der treffliche Evers in Aaran vom Stand-
punkt des handgreiflichen Ntttzfichtettsprincips ausgehend dem Begriff und
Wort nach feststellte. *) : ' * ' « "
Die dritte Ablheitong der Briefe konnte mao die philologisch-»
artistische oder ästhetische nennen; ihr Haupt Vertreter ist, wah-
rend auch Böckh and v. Raum er gelegenheitliehe Beitrüge tiefem,
Penofka (Br. 6—8, Br. 20 u. 25). Bei dem vielen Lehrreichen trifft
man dennoch bisweilen auch auf Gegenstände bestrittener, zweifelhafter
Art. So wird die Arkadische Stadt der Kleitores um einer scharf-
sinnigen Hypothese willen anf KAcdOim , KXim zurückgeführt und ähnlich
dem Lateinischen Cliternum als Spinnstadt, Ort der Spindler,
gedeutet. Allein hier gehet der gelehrte Verf. wohl zu weit and rer-
gisst die zunächst gelegene Wortwurzel, welche auf Berg- oder Schloss-
stadt leitet. Denn ausdrücklich beisst es ja bei Paasanias (VIII, 21,
3): ,, K I i t o r liegt in der Rhene; ringsum streichen nicht gar höhe
Bergeu (welche also die Stadt förmlich einschliessen und ihr den Namen
geben.). Wozu soll man da an die Spinnerin und die Spindler den-J
fte»? Glücklicher werden dagegen Lannvium alt Wöllstadt, Cl**
ternmti als Spionstadt aad das hier angesehene Geschlecht der Co-i
)ei als Spindler gedeutet. Solche Wortspiele in manchen Studio- und
Familiennamen erläutert der Verf. bisweilen durch entsprechende, aber
bedeutungslos gewordene Falle der Neuzeit. So sagte ein be-
kannter Reuender, heisst es S. 68, bei dem Bestich der preusmehen Kö-
nigsstadt: „Von Raumer habe ich leider nicht angetroffen? er durch-
nisit wieder weite Räume und bereist jetzt Nordamerika." Einer beson-
ders gastfreundlichen Aufnahme erfrente ich mich bei den verschiedenen
Gliedern der Familie Beer, einer der angesehensten in Berlin. Dürften
wir, kommentirt nun Herr Panofka, von Seiten des Verf.'s ein Wort-
spiel voraussetzen zwischen dem Eigennamen Beer und dem Stadtnamen
■ • / * f ! " • i • • ' , !
•.:•>•:• ! r . : » .1 '• , ' vv ! ; .!
*) Ein geborner Hannoveraner kehrte dieser geistvolle Schulmann, Mok
ster des Fachs, nach fünfzehnjähriger Abwesenheit in das Land der Tromm-
ler und Träumer, gen Oneiropntngonien, zurück (1817), und ärgerte
sich etliche Jabre später buchstäblich zu Tode. Das erwfihnte, eines neuen Ab^
drucks würdige Programm erschein 4*0? tä Aorta. :j.m. >■> i > - f
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^^^^^ Üöq ncior * n 1 1 cj u tir i sc Ii o Bnofc#
Berlin Bern; Biirenstodt nach der etymologischen Abteilung) ? oder
dürfen wir noch dem Vorbild von Lanuvinm, das die angesehene Familie
4er Co 1 ei (Spindler) ans Licht rief, annehmen, weil die Stadt Berlin
einen Bären als Wappen gebraucht, gebore daselbst die Familie Beer
an den bekanntesten? wogegen nicht bloss die vielen Wolf, die unsre
Residenz zu ihren Einwohnern zahlt, protestiren werden, sondern noch
die erhebliche Zahl der Beer beiderlei Geschlechts, denen man in an-
dern Städten Deutschlands begegnet, an zeugen vermöchten. Hierana folgt,
dass Vieles, was im Alterthum noch eine ernste Bedeutung nnd tiefern
Sinn in sich schliesst, welche erfrischt zu werden verdienen, mit der
Zeit diesen gänzlich verlor und völlig zum Spiel von Willkür und Zu-
fall herabsank."
Dagegen scheint dem geistreichen Herrn Verfasser des 25. Briefes,
wenn nicht gerade in dem Wesentlichen, doch in Nebendingen
9twas Menschliches widerfahren zu sein. Es wird nämlich aus dem mit-
telalterlichen Chronisten Malalas (Buch II, S. 46) eine immerhin merk-
würdige und bisher wenig bekannte Stelle in Bezug auf den Seher Ti-
r es ins ausgehoben und erläutert. „Er rieftt, lautet sie nach der ge-
gebenen Uebersetzung, „aus der Verbannung den böotiscben Philosophen
Tiresias zurück, den Thiertödter, der reich an Vermögen und Weis-
heit war, der bei den Hellenen das Dogma einrührte. Alles werde ron
selbst gebracht und die Welt s ei ohne Vorbedacht." Diess
ist undeutlich und nioht ganz richtig übertragen; es muss heissen: „Das
All werde vom Zufall und durch eigene Kraft regtrt(oui-
nia fortuito ferri, autouaTO); <pepsaf>ai toi navra) und die Welt sei
ohne Vorsehung." — Tiresias war also ein Freigeist und
Materialist. „Und die Priester", heisst es weiter, „machten ihn zur
Abreise fertig, und er wurde verbannt in das Heiligt h um des Apollo
Daphnaios, weil er einen frauenartigen Sinn hätte." Letzteres,
meint der gelehrte Briefsteller, beziehe sioh auf die Schwatzhaftigkeit,
welche nach Apollodor (HI, 6, 7) den Menschen denunzirte, was
die Götter verheimlichen wollten , und daher nach Etlichen die Blindheit
nur Strafe empfing." Dass ferner ein solcher irreligiöser Sinn des Ma-
terialisten Tiresias als frauenartig von Mala las, beisst es weiter
bezeichnet wird, dürfte Leserinen dieses Briefes gewiss um so mehr
fiberraschen, als in unsere Tagen er mit grösserem Recht als männer-
artig sich deHniren liesse" (S. 229). Mag nun auch der letzte Vor-
warf nicht ohne Grund sein, so dürften die Leserinnen, welche et-
wa nicht den emaneipirten Weibern angehörten, kaum ohne Scbaam-
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Räumer: Antiquarische Briefe.
445
röthe den wehren, von Panofka nur ungenau gegebenen Sachverhalt
bei Mala las vernehmen. Tiresias beschäftigte sieb mimlich, um*,
kurz nach der Urschrift zu bezeichnen, in Folge seines w e i l> is c h- üp-
pigen und dabei neugierigen Wesens mit der Empfängnis s und der
Entwicklungsgeschichte des menschlichen Embryo, er unter**
sachte, den spatern Physiologen anticipiread, wie das Weib, welchem
der Mann beiwohnt, empfangt, wie sich die Wesenheit (tj yfac) des
Bluts mittheilt den Knochen, Flechsen, Muskeln, dem Blut und Fleisch, wie
das lebendige Wesen (der Bmbryol genührt und geboren wird* Was
ferner Herr Panofka Uber Tiresias als Thiertödter su Gunsten
der, dem Philosophen und Seher nicht gerade geziemenden Ja gd Ii eb-
bt her ei beibringt, wird von ihm mit Recht wieder in Zweifel gestellt und
■Ii [.schweigend zurückgenommen; denn das Beiwort bezieht sich offenbar
auf die wunderbare Schlangentödtung, welche novellenartig erzählt,
den Tiresias anfangs in ein Weib, darauf nach siebenjähriger Ver-
mammung wiederum in den Mann umwandelte, durch Juno's Zorn der
Augen beraubte, durch Jupiter'« Gnade mit der Seherkraft begabte (Apol-
lodor III. 6, 7, Ovid. metam. III, 320). Das Genanere der sinnreichen
Obscönitüt ist bekannt und gehört überdies» zu den beliebten, von
Frankreich auf Teutschland Ubergegangenen Geheimnissen des Volks
(mysteres du peuple).
Als eine, könnte man sagen, politisch-historische Beigabe
erscheint, von ähnlichen Untersuchungen nicht weiter begleitet, der letzte»
27. Brief Löbell's Uber Spartanisches Staatswesen. Ein bestimmtet
Endergebniss wird aber nicht gewonnen; der Gegenstand ist so reich,
dass er Iiier nur angedeutet werden kann. Auch Herr Löbell erklärt
•ich jetzt, vom Herrn Grote in London gewonnen, wider die angebliche
Gleichheit der Spartanischen Ackerloose. Man hatte das übri-
gens in Teutschland schon vor fünfzehn Jahren tauben Ohren gepredigt;
der Prophet gilt aber daheim nichts.
Man ersiebt aus diesen Proben, wie lehrreich und manniobfaltig
die antiqunriacben Briefe sind und desshalb wobl die Aufmerksamkeit
des denkenden, nicht rein der Zeitungs- und Broschürenliteratur früh n en-
den Publikums erregen müssen.
• • • . •
: . ' . . ... ! ! »
Erinnerungen aus Paris. 1847—1848. Berlin bei Herb. 185t. S. 267. 8.
^1 1 1 dchor S p 3 d d qd £^ u o d c d ^ s llicfil£6it blicke* d 8 s ^^oä- * vttd In
Und auf die „gute Stadt Paris.41 Bei der geringsten Bewegung de»
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446 Erinnerungen aus Paris.
Volkes, ja, bei etwas lautem Gerede auf der Tribüne spielen die Tele-
graphen, eilen die Couriere, trommeln die fleitungee fttr Krieg oder Frie-
den. London mit seinem Grosshöudcl und Parlament, mit seiner der*
malifen Welliuduatrieausitellunsr. dem nut erdachten Abieiter, tritt nichts-
desto wenig er ia den Hintergrund. Auch bewahrheitet sich der alte Sati,
dass nicht sowohl die Dinge an sich als die Vorstellungen von
denselben Furcht und Hofnung, Freude und Betrübnis», Vergnügen und
^cbniGrz crv\ cckLn. Denn ^ \n ldd müh Qiifrjclil)^ prüfen und
Will, liegen indem gegenwärtigen, abgespannten und doch
Zustande anderer Lander, namentlich der Teutschen, vielfachere keime
der Beunruhigung als in dem, mindestens äusserlicb geeinigten Republi-
kanismns der Franzosen. — Diese werden daher, falls nicht von ptf4
sen b c r für das Gegenthoil gearbeitet \^ird , höchst wahrscheinlich ihre
freistädtisebe Yerwaltungsform bis in den Frühling des nächsten, verhäng-
oissvollen Jahres unter allerlei Gelärm glucklich bineinrollen und dann,
weil ihnen nichts Besseres übrig bleibt, von Neuem befestigen. Aechte,
monarchische Staats Weisheit mag sich darum wohl vor Uebergriffen
und Inkrveutions versuchen hüten, ha eigenen Hause nach bestem Ver-
mögen schulten und sich demütbig der historischen Wahrheit fügen, dass
es nur Ei neu wahrhaftigen Gott, aber verschiedene Gestalten seiner An-
betung gibt, dass dagegen im Staate abweichende Principien und
Verwaltungsformeo für die grosse europäische Gesellschaft ohne Gefährde
fftjakpn Ajnnri Hpp tfplipn Itrtnihfn Rd*i i\or i^il i*n f>tll« wirlit itxpn ^IaIIm nfr Krflnlc «
* ^e*** »3 w *• am w www i»a vi vi j vueumu ™ i»u o * * *
reiebs und seiner vielleicht nicht lange mebr allein Ton angebenden Haupt-
stadt wird man die obigen Erinnerungen nicht ohne Nutzen und Theil-
nahme lesen. Sie rühren, beisst es, von einer geistvollen Frau her, der
Doktorin Hers», der Tochter des Berliner Philosophen Mendelsohn;
«iö ■rhildern in einfacher srh lichter Woiia Frlehnisse und RoohflcKlunire*
wahrend einer langen, scheinbar ruhigen, wirklich aber gierenden nnd
bewegten Zeit; sie führen ein in die Bekanntschaft mit ausgezeichneten
oder auch bisweilen gewöhnlichen Persönlichkeiten, minder oder weniger
Bestavrationsperiode und ihres ersten Gegenschlags, der bürger-
küniglich-orlean istischen Entwicklung. Besonders gern verweilt
die Frau Hertz bei den stillen, schönen Künsten; sie gibt über das
Leben nnd Treiben der Maler, Bildbauer, Musiker belehrende und anzie-
hende Auskunft;, am weiset darin gewrssermassen das Weltbürger*
liehe* schroffe Volkstümlichkeiten verbindende Element nach und xeigt
lentlich den Eiafluss, welchen Teu Ische Tonkunst,
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P Pinn amnn«n onc Poris 4i.1l 7
xj i linier nn aus i nnt« 'mmw
singende, wfihreod der orleanii tischen Regierung auf den darin seh»
zurückstehenden Franzosen ausübte. AulTassungsweise und Schreibart sind
leicht, gewandt und zierlich, ohne widerwärtige Empfindsamkeit und poe*
tisch-rhe tomeben Schwulst, Eigenschaften, wie sie dem wahren, in
Teutschland eben nicht häufigen Blaustrumpf geziemen und Ehre ma-
chen. Aach der ernsthafte Mann wird daher diese Erinnerungen gern
durchlesen und sich merken, was für das Verständnis* der Charaktere und
Zustünde auf eine oft unscheinbare 'Weise wirklich gegeben wird« Als
Proben des Büchleins mögen folgende kurze Stellen dienen! Von dem
berühmten Maler David beisst es ß. 40 also: ..David, den die Kuest
anf keine Weise veredelt hatte, den selbst die Königs roör der mehr
als bereit fanden, seine Zustimmung tu geben, hatte Griechenlands und
Roms Geschichte mit wildem Eifer studrrt, aber von beiden nie mehr
in sich aufgenommen, als ein rohes Gemilth zu empfangen versteht. Mir*
gends zeigen sich Spuren, dass das Antike ästhetische Gefühle in ihm
geweckt hätte; vielmehr überall die deutlichsten Beweise, dass er auf
seiner Leinwand nur die korrekte, studirte, mit dem Cirkel gemessene Linie
des Marmors zu ziehen verstand. Die mörderischen Zwischenakte in dem
grossen Drama römischer Geschichte erschienen ihm nicht als unglück-
liche Notwendigkeit zum Knlwickelungsprocesse einer Nation, die erst
durch Krieg und Grausamkeit zur Existenz überhaupt, dann zur Oberherr-
schaft gelangen konnte, endlich bis zum Untergange ausartete, nein, D a-
vi d tbeilte ganz den Wahn der verworrenen Utopisten jener Zeit, durch
Ermordungen die Welt reinigen zu müssen. Er bewunderte, verübte,
malte römische Grausamkeiten, die weder der Freiheit noch der Kunst
frommten; denn seine Römer und Griechen sind steif wie die farblose
Steinmasse, jedoch durchaus ohne göttlichen Funken.
David 's Aeasseres war durch seinen dicken, schiefen, hängenden
Mund (äusserst liebenswürdig f), durch die eckelhaft hervorhängende Zunge
und die undeutliche Sprache wahrhaft widerlich. Bekannt ist in Paris,
dass Napoleon den Demokraten David gerne zur Seite geschoben hätte,
aber der Künstler war nach dem damaligen Geschmacke nicht so leicht
SB ersetzen, denn der Held mit seinen wirklich grossen Thaten sowohl,
•1t die aufkeimende Kaiserfamilie mit ihren kleinen Eitelkeiten mussten
verewigt werden, und keinen Zweifel leidet es, dass dem Künstler jedes
Werk, wenn es. nur nicht Griechen- und Römerthum darstellen sollte,
bei weitem besser gelang. Napoleons Ueberschreitung des St. Bernhard
znuss stets gerechte Anerkennung finden. David wurde demnach, trotz
aller Mängel, etwa von 1790—1810 als einzig grosser Maler und Leh-
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Erinnerungen aus Pari*.
rer angesehen, als der erste, welcher die Franzosen gelehrt halte die
Antike zu studireo, mitbin alt der Fähigste, ein Genie schulgerecht aus-
zubilden: und so ward der damals junge Francois Gerard sein Schüler.*
Darauf folgt die nähere Schilderung dieses auch durch Liebenswürdigkeit
ausgezeichneten Künstlers.
Eine spannende, oder wie die Lieblingsredensart heutiger Bericht-
erstatter lautet, wahrhaft brennende Geschichte wird am Schlusa der
Erinnerungen unter der Ueberschrift: Alexis, eine Abendunterhaltung in
Paris (1847) geliefert. Sie spielt, tragisch-romantisch, in das Wunder-
bare hinein und soll doch wahr sein. Spanische Liebe und Blutrache,
französische Leichtfertigkeit und teutscbe Mystik oder Hellseherei greifen
da seltsam und abentheuerlich in einander ein. Schon um dieser Novelle
willen werden die Pariser Erinnerungen sicherlich den verdienten Leser-
kreis finden.
Kort ftni*
• * # • • * r
Kurze Anzeigen.
Ltzicon Geograpläcum, an Mulus ett, „marassidi-l-itti/ai ala asmai - 1 - amkincUi
tcaibukai", e dttobus codicibus Mss. arabice editutn, cdiderunt T. G. Juyn-
boll et J.J. B. Gaal. Fasckvlum I—Ul. Lngdum Baiat. 1850-51.
(380 S. tn 8.)
• 4 • * •
Obgleich in den letzten Jahren das Studium der morgenländischen Geo-
graphie durch die Herausgabe oder Uebersetzung der Werke von Masudi, las la-
ch ri, Jakuti, Edrisi, Kaswini und Abulfeda wesentlich gefördert worden ist, ao
darf doch das vorliegende Buch auf eine dankbare Aufnahme nicht nur von
Seiten der Geographen und Orientalisten, sondern ganz besonders auch der Hi-
storiker rechnen, welche hier einen zuverlässigen Führer über die wahre Schreib-
art orientalischer Ortsnamen finden, leichter zu benutzen ala alle genannten Au-
toren. Dieses Lexikon ist eigentlich nur eine abgekürzte Umarbeitung des noch
nicht edirten grössern Wörterbuchs Jakuti's, welches den Titel „mudjim albol-
duntf führt. Der Yerf. hat, um seiner Arbeit eine grössere Verbreitung zu si-
chern, die meistens doch nur hypothetischen etymologischen Bemerkungen Ja*
kutis weggelassen, ebenso die astronomischen Bestimmungen und die biogra-
phischen Notizen, welche häufig den geographischen beigemischt sind, hingegen
hat er die Zahl der Ortsnamen vermehrt, manches auch verbessert, theils nach
eigenen Beobachtungen, theils nach deu Bemerkungen anderer Gelehrten. Der
Name des Verfassers wird nicht genannt. In einer Oxforter Handschrift wird
ein gewisser Abd Almumin Sali Eddin Ibn Abd Alhakk als solcher angegeben.
(FortteUung folgt.)
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Hr. 29. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
(Fortsetzung.)
Auch Hadji Chalfa berichtet, dass Saft Eddin das Werk Jakulis abgekürzt
habe, an einer andern Stelle bezeichnet er aber das vorliegende Wörterbuch
als das Werk Sujutis, was jedenfalls unrichtig ist, da einmal nach seiner eignen
Bemerkung Sujuli seiue Arbeit nicht vollendete und dann das „Marassid alittila"
gewiss vor der Zeit, in welcher Sujuli als Schriftsteller auftrat, vollendet wor-
den ist. Wir theilen die Ansicht des Herrn Reinaud nicht, welcher Jakuti selbst
für den ursprünglichen Verf. dieses abgekürzten Wörterbuches halt, das dann
ein Spaterer umgearbeitet haben soll, weil die ganze Vorrede dagegen spricht,
lassen aber diese Frage hier>inslweilen auf sich beruhen, weil der Herausgeber
am Schlüsse des Werkes sie zu erörtern verspricht und ohne Zweifel durch
vollständigere Kenntniss des Inhalts auch am besten im Stande sein wird, sie zu
lösen. Ausser dieser Abhandlung über den Verf. des Lexikons und sein Zeit-
alter beabsichtigt Herr luynboll auch, dem Texte eine lateinische Uebersetxung
mit erläuternden Anmerkungen beizugeben, um ihn jedem Gelehrten zugänglich
xu machen.
Von den beiden Handschriften, welche dem Herausgeber dieses Wörter-
buches zum Grunde liegen, befindet sich die eine auf der Leydener und die
andere auf der kaiserlichen Bibliothek zu Wien. Beide enthalten auch Glossen
aus dem Werke Jakuti's und Bekri's, welche der Herausgeber ebenfalls, theils
im Texte selbst zwischen Klammern, theils in den Noten aufgenommen hat.
Die dem Ref. zugekommenen drei ersten Fascikel erstrecken sich bis
xum Buchstaben „dal11 und mögen ohngefähr drei Achttheile des Lexikons ent-
halten, von dem wohl der grösste Theil schon erschienen wäre, wenn nicht
Herr Gaal, der Mitherausgeber, von Lcyden abgerufen und andern Beschäfti-
gungen zugewendet worden wäre, so dass die ganze Arbeit nunmehr «nf den
Schultern des Herrn luynboll lastet.
Was deu Inhalt dieses Werkes betritt, so ist schon angedeutet worden,
dass der Verf. sich im Allgemeinen damit begnügt, die Orthographie der ver-
schieden Ortsnamen zu bestimmen, oder wo er das nicht konnte, die divergirenden
Ansichten darüber anzuführen und die Lage derselben so genau als möglich,
durch Angabe ibrer Entfernung von bekannten Plätzen, xu bezeichnen, doch En-
det man auch nicht selten kurze Notixen über die frühere Geschichte oder Sage
von dem Orte, sowie über die Bewohner desselben. So liest man z. B. über
Harr an: „ Harra n mit doppeltem r und n am Schlüsse ist eine alte Stadt,
Hauptstadt der Provinx Dijar Mudhar, eine Tagereise von Roha (Edessa) und
zwei von Rakka. Man glaubt es sei die erste Stadt, welche nach der Sünd-
fluth gebaut worden, auch war sie der Aufenthaltsort der harranischen Sabäer,
welche der Verf. (hier ist wahrscheinlich das waw von d. W. mussannif xu streichen)
XUY. Jahrg. 3. Doppelheft, 39
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450 Karze Anzeigen.
• *
des Werke« „Alinilal walnahal" (Schehrcslani) erwähnt, aie war auch die Zu-
fluchtsstätte Abrahams. Harran ist auch der Name einet Ortes in der Gegend
von Haleb und in der Ebene von Damask. Harran die Grosse und die Kleine,
sind zwei Plätze in Bahrein, von den Benu Amir bewohnt."
Da wir bei Vollendung des Werkes darauf zurückkommen werden, ver-
schieben wir bis dahin einige andere uns nothwendig scheinenden Berichtigun-
gen im Texte, der übrigens im Ganzen durch seine Correklheit dem gelehrten
Herausgeber den Dank und das Lob der Sachverständigen sichert.
Well.
1) Saudi Aldh elmi ex abbalc Malmeshuriensi Ejnscopi Schi rebumensis Opera
quae exstant otnnia e codieibus msf. emendavil, nounulla nunc primum edidil
J. A. Crt/es, LL. D. e C. C. C. Oxon. et ecelenae Anglicanae presbyter.
Oxonii. Venexml apud J. H. Parker MDCCCXLIV. XXlllü.392 S.ingr.8.
2) Sancti Bonifacii Arehiejnscopi ei Martyri* Opera quae exiktnl omnia nunc
primum in Atiglta , ope codi cum manuscriplorvm editionumque optima i um
edidil J. A. Oiles etc. Londini. Veneunt apud D. Nutt, Oxon. ap. Par-
ker etc. MDCCCXLIV. Vol. 1. Epittolae. 308 8. Vel. IL Opuscula etc.
296 & in gr. 8.
Die verschiedenen, bisher zum Theil erat in neueslei Zeit bekannt ge-
wordenen Schriften des Aid he Im, Abu zu Mairaesbury und ersten Bischofs zu
Sherburn (f 709), wie die des hl. Bonifacius, des deutschen Apostels, wa-
ren bisher noch nicht in eine Sammlung vereinigt worden, wie diess in vorlie-
genden Ausgaben, die wir hier zur Anzeige bringen, zum erstenmal geschieht.
Beide bilden eigentlich TheUe einer grösseren, die lateinischen Kirchenväter,
zumal Englands befassenden Sammlung, welche vor einiger Zeit in England
durch denselben Herausgeber unternommen, nun anch auf dem Continent ver-
breitet zu werden beginnt.*) Es empfehlen sich diese Ausgaben von Seiten
ihrer äussern Ausstattung, was das schöne Papier und den deutlichen Druck und
die guten Lettern betrifft, ohne dass der Vorwurf eines übertriebenen Luxus, wie
man ihn englischen Werken nicht seilen machen kann, hier erhoben oder der Preis,
*) Daher der allgemeine Titel: Patres Ecclesiae Anglicanae: Aldhelmns,
Beda, Bonifacius, Alcuinus, Lanfrancus, An9elmus, St. Thomas, Joannes Sarisbe-
riensis, Petrus Blesensis, Rogerus Baconus et Reiiqui. In dem beigefügten ge-
druckten Prospectus der Schriftsteller, welche in dieser Sammlung erscheinen
sollen, werden (nicht ganz übereinstimmend mit diesem Titel) folgende (ausser
Aldhelm und Bonifacius) noch aufgeführt: Beda, Joannes Scotut Erigena , Alcui-
nus, St. Dunstanus, Elfricus, Lanfrancus, Anseimus, St. Thomae Vitae et Episto-
lae, Joannes Sarisberiensis, Petrus Blesensis und Rogerus Baconus. Davoo sind
bereits erschienen Beda in 12 Bänden, Joannes Sarisberiensis in fünf
Bänden, der hl. Thomas in acht Bänden, von denen jedoch nur die vier er-
sten auf Thomas selbst sich beziehen, die zwei folgenden aber die Briefe G i 1-
bert'9, Bischofs von London, und die zwei weilerfolgenden die Opera Her-
berti de Boseham enthalten; Lanfranc in zwei Binden, Peter von
Blois in drei Bänden, Arnulf in einem Bande; die bisher bekannten Homilien
und Briefe Arnulfs erscheinen hier aus einer englischen Handschrift um dio
Hälfte vermehrt.
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Kurze Anzeigen. 451
der im Ganzen sich billig stellt (3 fl. 30 kr. der Band), getadelt werden
könnte. Eben so sind dieselben im Druck ganz correct gehalten nnd lassen die
Sorgfalt erkennen, welche durchweg nuf diesen Gegenstand verwendet worden
ist Um handschriftliche Hulfrmittel hat sich der Herausgeber, zu der beabsich-
tigten Bessergestaltung des Textes, gleichfalls umgesehen; auch sind seine Be-
mübimgen nicht ganz vergeblich gewesen, wiewohl bei aller Anerkennung, die
man diesem Bestreben zollen wird, doch in der kritischen Behandlung schwer-
lich alle die Wünsche oder vielmehr Anforderungen erfüllt sind, welche man
jetzt in Dcutechland an den Herausgeber einer alten Schrift, einer mittelalterli-
chen oder kirchlichen ebensogut wie einer profanen und sogenannt klassi-
schen, zu stellen berechtigt ist.
Die Ausgabe der Opera Aldhelmi beginnt nach der (englisch geschrieben
nen) Vorrede und dem Verzeichnis« der in diesem Bande enthaltenen einzelnen
Schriften Aldhelms mit einem (ebenfalls englisch geschriebenen) Leben Aldhelm's
(Life of Aldhelm S. XI -Will I, das keinen grossen Raum einnimmt. Warum,
beides nicht auch, so gut wie diu am Schlnss des Bandes S. 387 (F. (olgenden
Notae et vnriae lectiones des Herausgebers, in lateinischer Sprache, schon um
der Gleichförmigkeit und des lateinischen Titels wegen, abgefasst ist, vermögen
wir nicht abzusehen. Den Anfang unter den Schriften Aldhelms macht die in
Prosa abgerasstc: De laUdibus virginitalis sive de virginitntc Sanctorum, eine
schon früher, aber nicht, wie der Herausgeber meint, zuerst von Canisius be-
kannt gemachte Schrift, indem dieser nur die poetische Bearbeitung zuerst her-
ausgab (s. Antifjtf . Lectt. 1. p. 708 ed. nov.), die prosaische gar nicht edirte,
die mit der poetischen auch in der Bibllofhcca Patrum (Lugd. 1667. T. Xffl.)
abgedruckt ward, und spfltcr noch einmal in einer, wie hier erinnert wird, un-
genauen und fehlerhaften Weise von Wharton, hinter Bedae Opuscula (London,
1693); in dem neuen Abdruck ist, wie uns ausdrücklich versichert wird, diese
grosse Zahl von grammatischen i Genauigkeiten beseitigt; die Varianten einer
nach dem Abdrucke des Textes verglichenen Bedleianisehcn Handschrift werden
am Schlüsse des Bandes S. 387 ff. nachträglich mitgetheilt; dort lesen wir auch
die allerdings etwas auffallende Aensserung: rSed monendus est lector, ne of-
feodatur, si in textu plnrima sunt ad Orthographiam, Ifteras majusculas etc. spec-
tantia, qnac a reeepto more aliquantnlnm recedunt. Warn postqunm diu frostra
exemplar editionis Whartonianae emere eonatus sum, amicus quidam siiom er-
eroplar mihi commodavit, quod ne nimin corrcctionc macularetur, ea tantom ma-
tavi, qnae ad sensum perlinebant, relictis mnltis, quae mos hodiernus non om-
nino approbat.41 Aus diesem offenen Geständniss mag entnommen werden, In
wie weit hier eine Consetraenz und feste Dttr«Oifuhrung in dem angenommenen
kritischen Verfahren erwartet werden kann, wo die Rücksicht auf Schonung des
dem Freunde entliehenen, zum Abdruck bestimmten Exemplars die Art und
Weise des Abdrucks und die Gestaltung des Textes bedingt hat. Uebrigens sind
uns keine besondere Abweichungen von dem, was hier als „mos hodiernus* be-
zeichnet wird, vorgekommen, indem der Druck gleichmässig und correct vor-
wärts schreitet.
Nun folgt S. 83 ff. Epislola ad Gcruntium nnd S. 90 die kurze Epistola
ad Osgitham Sororem, zwei in der Sammlung der Briefe des Bonifacius bisher
befindliche Briefe, S. 91 Epistola ad Eahfridum ex ffiberni« in patriam rever-
39*
s
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sum, schoo früher von Usser und Wharton herausgegeben, S. 96 ff. Epislohi ad
Heddam Episcopum, früher ebenfalls in der Sammlung der Briefe des Bonifatius
befindlich; der Brief ist in Besag auf die Studien des Aid heim in der Metrik
und Prosodie, wie in der Astronomie und Astrologie nicht ohne Wichtigkeit
S. 98 Anonymi cujusdam Scoti Epistola ad Aldhelmum abbaten Malmesburien-
sem, eine Bitte um Aufnahme in den Unterricht; S. 100 Ethelwaldi Epistola ad
Aldhelmum und S. 103 ff. Anonymi Epistola ad Sororem Anonymem, beide eben-
falls entnommen aus der Sammlung der Briefe des Bonifacius, wohin der letztere
•jedenfalls seinem Inhalte nach und nach der darin vorkommenden Erwähnung des
Bonifatius mit mehr Recht gehören wird, als unter die Briefe des Aldheltnus,
unter die er hier aus dem Grnnde gesetzt wfrd , weil den diesem Briefe ange-
hängten Versen Aldhelm's Namen vorgesetzt ist. Indessen bezweifeln wir, wenn
wir die ganze Fassung dieser Verse berücksichtigen, sehr die Autorschaft des
Aldhelm, dessen ächte Poesien grosse Verschiedenheit von den ihm hier beige-
legten Versen zeigen. Dasselbe durfte wohl auch von den unter Nr. VIII fol-
genden, wie von den daran weiter sich anschliessenden Versen gelten, welche
in Hexametern, die der Verfasser mit vielem Geschick und mit strenger Beobachtung
4er von der frühern Zeit aufgestellten und auch später noch festgehaltenen Re-
geln zu handhaben versteht, gehalten sind. Das erste Gedicht De ba-silica aedi-
üeata a Brügge filia regia Angliae erscheint hier nach dem von Mai (Gass.
Audi. V. p. 387 ff.) aus einer Vaticanischen Handschrift zuerst gegebenen Ab-
druck, und unter Benutzung einer Pariser Handschrift, in der es mit dem nächst
folgenden Gedicht (Poema de aris beatae Mariae et duodeeim Apostolis dedica-
tis), das bisher irrthürolich unter den Werken des Rabanus und des Alcuin er-
schien, ein Ganzes bildet. Beide Gedichte verrsthen einen ziemlich gleichen Ton
und lassen auf einen und denselben Verfasser schliessen. Die nun S. 129 fol-
genden Hexameter: Versus in honorem Apostolorom scripti, dum au clor eccle-
siam eorum Roinae intraret sind aus des Faricius Vita Aldhelmi genommen, das
S. 130 folgende, nicht ganz anderthalb hundert Hexameter zählende Gedicht er-
scheint hier aus einer Pariser Handschrift zum erstenmal abgedruckt unter der
Aufschrift: Fragmentum ut videtur, de die judieii. Allerdings scheint das Ganze
nur ein Bruchstück, das nicht vollständig auf uns gekommen ist; namentlich
fehlt der Anfang des vom jüngsten Gericht handelnden Gedichtes, das einige
Lücken und Verderbnisse zeigt, und daher auch einige Schwierigkeiten bietet,
deren Beseitigung der Herausgeber jedoch Andern überlassen zu müssen ge-
glaubt bat! (— textum et sensum aliis expediendum relinquo S. 389). Die Verse
selbst sind iiiessend, die Sprache ist im Ganzen auch ziemlich einfach gehalten.
Nun folgen die beiden grösseren, auch früher schon (s. Bibl. Max. Patr. Lugdan.
1667. T. XIII am Anfang) bekannten Gedichte De laudibus virginum und De
octo prineipalibus vitiis, die in manchen Handschriften miteinander verbunden
sind, und in so fern auch eine solche Verbindung begünstigen, als das zweite
Gedicht sich nach seinem Inhalte nur als eine Fortsetzung des erstem be-
trachten lässt, indem die Ueberwlndung der Laster durch die Gottgeweihtea
Jungfrauen den Gegenstand dieses Gedichts mit ausmacht. Der Herausgeber hat
den ziemlich verdorbenen Text, unter Benutzung von Pariser Handschriften wie
einer Bodleianischen, zu berichtigen versucht, er bemerkt jedoch ausdrücklich
- S. 389; nec nunc ouidem omnino mendis carent. Und dies* ist nur allzuwahr.
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Karze Anzeigen.
Nach andern Handschriften hat sich der Herausgeber nicht umgesehen, also auch
nicht nach den sehr alten Münchner Handschriften, wo sich sogar althochdeutsche
Glossen beigefügt finden, was für die frühe Verbreitung dieser Gedichte auch
in Süddeutschland und den Zusammenhang der hier beginnenden Cultur mit der
gelehrten Bildung Englands und Irlands in einer früheren Periode ein nicht za
übersehendes Zeugnis abgibt. Nun folgt S. 216 ff.: Epistola ad Acircium s. li-
ber de Septenario et de metris, aenigmatitms ac pedum regulis. Hiervon wa-
ren die Aenigmnta schon früher mehrmals (zu Basel 1557, zu Mainz von Bf. A.
Delrio 1601, in der Biblioth. Palr. Max.) im Druck erschienen, als ein besonde-
rer Rest von Poesien des Aldhelmus; das Uebrigo gab zuerst Mai aus einer Va-
ticanischen Handschrift (Class. Audi. V. .p. 51 1 IV. ) heraus, nnd es hat sich jetzt
gezeigt, dass die Aenigmata eigentlich nur einen Theil dieser grösseren Schrift
ausmachen und in deren Mitte gehören, da, wo sie der Herausgeber nun auch
eingeführt hat, der uns also die ganze Schrift zum erstenmal in ihrer ursprüng-
lichen und vollständigen Gestalt vorlogt; bei den Aenigmata standen ihm sieben
Pariser Handschriften zu Gebot, darunter eine des zehnten Jahrhunderts, welche
auch die Metrik enthalt. Aber leider ist die Benützung dieser Handschrift nur
unvollständig geblieben. „Utinam", ruft der Herausgeber S. 390 aus, „equidem
totum hunc codicem perlcgere potuissem ; at post longam apud Parisios commo-
rationem, in quam me satis pecuniae erogassc nemo dubitet, necessitate urgen-
tissima domum redivi nec plus quam dimidium istius codicis percurrere potui.
Sunt vero pauca notanda quae sequunlur." Diess wenige folgt allerdings S. 390
und 391. Es wird demnach eine erneuerte Untersuchung nöthig seyn, bei der
auch die schätzbaren, von dem Herausgeber gleichfalls übersehenen Beitrage von
Mone (Anzeiger 1838 p. 32 ff. u. 1839 p. 217 ff.) zu benutzen sind. Denn diese Schrift
Aldhelm's, an den König Acircius (in dem Mai den König Alfred von Nordhumberland
685 — 701 erkennen will) gerichtet, enthält neben den Bemerkungen über die Heilig-
keit der Siebenzahl eine ziemlich vollständige, mit Beispielen jeder Art in jedem
einzelnen Fall belegte Metrik, wie sie vor dem Verf. noch Niemand zu liefern
versucht hatte; „ — constat, so heisst es in dem Schlusswort an Acircius, „ne-
minem nostrae stirpis prosapia genitum et Germanicae gentis cunabulis con Votum
in hujuscemodi negotio ante nostram medioeritatem tantopere desudasse
propriorumque argumenta ingeniorum juxta metricae artis disciplinam literarum
textum tradidisse.u Es kann aber diese Schrift, welche in die Form eines Dia-
logs zwischen einem Lehrer und Schüler eingekleidet ist, wie diess Augustinus
und Isidorus (auf welche der Verf. sich beruft) ebenfalls schon gethan hatten,
dazu dienen, uns einen Begriff zu geben von der Bildung, wie sie um diese
Zeit — um das Ende des siebenten Jahrhunderts — in den englischen Klöstern
und unter der dortigen Geistlichkeit, die freilich in Aldhelm eines ihrer ausge-
zeichnetsten Glieder besass, geherrscht haben muss. Jedenfalls müssen die äl-
teren lateinischen Grammatiker und Metriker, die wir jetzt auch nur zu dem ge-
ringsten Tbeile kennen, damajs noch vorhanden gewesen seyn, indem Aldhelm
daraus den Stoff seiner umfassenden Abhandlung schöpfte. Dann aber auch se-
hen wir in den Beispielen, neben Versen des Virgilius insbesondere Verse aus
den Satiren Juvenals, die hier nach Büchern citirt werden, nnd aus Lucanus zahl-
reich angeführt, eben so auch aus Persius und Andern, einmal (S. 319) sogar
ans den Tragödien des Seneca: Lucius Annaeus Seneca in sexto volumine,
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Kuno Anzeiget]*
und dann folgt der Vers au» Agamemnon 719: ein merkwürdiges Citat, das
wohl auch ao gut wie die Zeugnisse älterer romischer Schriftsteller für die Au-
torschaft des Seneca als Verfasser'* dieser Tragödien, wird angeführt werden
können. Volumen bedeutet hier, wie auch iu andern Ci taten, das Buch oder
die Abtbeilung, das sechste unter den zehn Stücken des Seneca. Cicero wod
sogar in dieser Weise citirt; so x. B. S. 331: „ Cicero in libro XV Ouiues im-
ploro et obtestor.tt liier kann wohl kaum eine andere Stelle als In Yen*. V,
72: Deos onines imploro atque oblestor gemeint seyo. Eine andere Stelle, die
aus In Yerr. IV, 26 entnommen ist, wird S. 323 citirt: „Cicero in libro XIII/
Einmal wird auch S. 310: „Saliustius bistoriographus iu Iugurthino" angeführt,
mehremal Piinius (einmal S. 290 mit dem Prädikat Physicus, ein andermal
S. 288: „Piinius Secundus physicas rerum hislorias sagaciter euplaoans") und
Solinus, letzterer einigemal (S. 323) als Julius Solious in collectanea rerum me-
morabilium oder üi collecta rerr. mirabb. (S. 293), einigemal wird Terenlius an-
geführt, vrgl. S. 242, einmal (S. 308) im Phormio, das anderemal (S. 322) in
den Adolphen; einmal Ovidius (p. 293), einmal (S. 310) wird sogar ein Vers
des Enning citirt; da derselbe aber bei Prisrisn vorkommt (s. Eutin Aonall. fragmm.
von Spangeiiberg S. 7), Prisciauus aber eine Ilauptaulorilat für Aid heim bildet,
der sich unter Andern auf ihn S. 297 ausdrücklich beruft und eben so am
Schlüsse des Ganzen seiner noch besonders gedenkt, so wird aus diesem Citat
kein Beweis für das Vorhandenseyn der Annalen des Eon ms in jeuor Zeit ge-
nommen werden. Von andern alteren lateiu. Grammatikern kommen ausserdem noch
Valerius, Phocas und Albinus in libro quem de motris scripsit (wie bei Yietorinus p.
1957 ed. Putsch.) vor, von christlichen Schriftstellern, neben Orosius, Augustinus, Hie-
ronymus, Gregorius, Iaido rus, Lactantius, insbesondere die Dichter Prosper und
Arator, dann auch Juvencus, Symposius (S. 244. 245), Paulinus, Sedulius, Am-
brosius „Mediolunensis ponlifex" , wie er S. 276 heisst; auch der Yirgilianische
Ceuto der Probe, die hier „inier poetas clarisairoa" heisst (S. 312), wird genannt.
Neu war uns das Citat (S. 309) Virgilius in tetrastichis tbeatra-
libus, worauf der Vers folgt: „Sic vos non vobis mellificatis apes", der aus
dem Gedicht auf den Dichter Balkyllus (bei Donatus Vit. Virgil. 17) entnom-
men ist; s. Antholog. Lat. II., 69 oder Ep. 88 cd. Meyer; vergl. denselben T. L
p. XVII und Nike (ad Vater. Caton. Dias. 1. de Virgil, üb. juven. ludi p. 235),
welcher dieses Gedicht nicht Tür ein achtes des Virgilius gelten lassen will. Eben
so neu erscheint (S. 284): Virgilius libro qui puedagogua praetitulatnr, mit
einem Verse (reddetur titulus purpureusque nitor), welcher tu einem Distichum
gebort, das mit einem andern Distichum verbunden unter demselben Titel p. 232
citirt wird: Virgilius in libro quem Paedagogom praetitulavit, cujus prindpi um est:
Carolina si fuertnt, te jndice digna favorc,
Reddetur titulus purpureusque nitor
Si minus, aestivas poteris convolvcre sardas
Aut ptper aut calvas hinc operire nuces.
■
Wir haben vergeblich diese Verse unter den bisher bekannten kleinem
Dichtungen Virgils, sowie in der lateinischen Anthologie gesacht. Ein neuer,
bisher nicht bekannter christlicher Dichter ist wohl der S. 232 mit einem Vera
* cittrte Andreas Orator und der einigemal (8. 231. 238. 239 hier: in grntia-
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rom actione) citirte Paulos Quaustor. Das merkwürdige Citat S. 283 Lu-
canus de Orpheo:
Nunc (inquit) plenna posuere coloa et stamina Parcae
Multaqoe dein Iis hacserunt saecula Ulis
kann wohl als ein neuer Beleg des Vorhandenseyns des jetzt verlorenen Ge-
dichts Orpheus in der früheren Periode des Mittelalters gelten, in der es jeden-
falls noeh existirle; s. Gesch. d. Röra. Lit. §. 78. not. 5 der dritten Ausg. Der
Ausdruck ist ganz ähnlich dem des Dichters in der Pharralia, in welcher z. B.
III, 9. VI, 779 ebenfalls die stamina Parcae vorkommen.
Den Rest de» Bandes füllt der Abdruck einiger Briefe Aldhelm's, sowie
einiger auf ihn bezüglichen Urkunden, welche aus Wilhelm von Malmcsbury,
Alfred's Annales Eccles. Anglic. und Beda entnommen sind; den Schluss macht
die dem Faricius beigelegte Vita Aldhelmi und eine andere kurze Vita Aldhelmi
e Capgravii Legeudis nu vis Angliae. Iodices, wie man sie wohl hätte wünschen
mögen, sind dieser Ausgabe nicht beigefügt. •
2. Die gleichzeitig unternommene und, namentlich was Druck und Papier
betrifft, auch in derselben Weise ausgeführte Ausgabe der Schriften des Boni«
facius ist allerdings die erste, in welcher die verschiedentlich unter dem Na-
men des Bonifatius bekannt gewordenen Schriften vereinigt erscheinen, aber sie
wird darum doch kaum für eine vollständige Ausgabe dessen gelten können,
was uns von diesem Bischof überhaupt noch zugekommen ist. Auch vermissen
wir die, wio uns scheint, keineswegs überflüssige Notitia literaria und da-
mit den näheren Nachweis Über diese Schriften im Ganzen wie im Einzelnen, über
die noch erhaltenen, wie die verlorenen, sowie über die ganze Wissenschaft«
liehe und schriftstellerische Thätigkeit des Mannes; was doch nach dem Allem,
was darüber, namentlich in Deutschland, geschrieben worden, keine so schwie-
rige Aufgabe war. Aber der Verf. scheint diese Arbeiten gar nicht zu kennen;
das einem neuen Herausgeber der Werke des Bonifacius unentbehrliche Pro-
gramm von F. B. M. Schwarz (Comm. de Bonifacii Germ. Apost, vita enarranda
et de epistoll. ejus nova editione adornanda, Monachi 1838. 4) ist ihm eben
so unbekannt gablieben, wie die Schriften von PfafT, Seiters, Wiss u. A., die
wir hier nicht alle aufzählen wollen. Unter solchen Umstanden mag es genü-
gen, hier kurz den Inhalt der beiden Bände anzugeben, indem von eigenen
Leistungen des Herausgebers, wenn man von der Besorgung des Druckes absieht,
hier keine Rede seyn kann. Im ersten Bande finden wir einen, soweit wir
wahrnehmen konnten, correcten Abdruck der Briefe nach Würdtwein's Ausgabe
mit ganz geringen Aeoderungen, und ohne dass an die not h wendige Verglei-
chung der Wiener, schon von Pertz (s. Archiv HL p. 170. X. p. 567) vergli-
chenen Handschrift, sowie der zu Montpellier, Wolfenbüttel u. a. 0. befindlichen,
wenn auch spätereo Handschriften gedacht wäre; vorangestellt ist ein nach
Fassung und Inhalt ganz entbehrliches, englisch geschriebenes Leben des Boni-
facius, der hier Erzbischof von Metz heist, wie denn Mainz ( Mayen ce) und
Metz stets von dem Verf. verwechselt oder vielmehr für Eine und dieselbe Stadt
genommen werden!!
Der zweite Band beginnt mit dem Abdruck des (bisher unter den Brie-
fen mit abgedruckten) Jaramentum und der Concilia und Statuta, nebst dem klei-
nen Artikel De Poenitentia; daran reihen sich S. 53 ft die bei Marlene Amplis-
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«
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sima Collectio T. V. p. 186 ruerst abgedruckten Scrmones, wobei hier und dort
eine Pariser Handschrift benutzt ward, dann S. 109 ff. die aus einer Handschrift
des brittischen Museums hier zum erstenmal abgedruckten Aenigmata de virtu-
tibus quae misit S. Bonifacius ad sororem suam, ganz ähnlich nach Fassung und
Gehalt denen des Aldhelm; zuletzt S. 117 ff. die dem Bonifacius beigelegte (aber
bestrittene) Vita et Martyrium S. Livini Episcopi et Martyris. Als eine Zugabe
zu den Schriften des Bonifacius erscheint S. 143 ff. Vita Bonifacii von Wilibald
(s. die Monumm. Germ. T. II); dann kommen Notae et Variae Lectionee, meist
ein Abdruck der Noten von Würdlwein, und von S. 273 an Tabulae ad illu-
strandam chronologiam Epistolarum S. ßouifaeii. In einem Nachwort auf der
letzten Seite des Ganzen verspricht der Herausgeber, dass er, wenn es ihm ge-
lingen sollte, noch etwas Neues zu finden, dasselbe alsbald in einem Supplement
nachzuliefern gedenke. lod damit ist Alles zu Ende. Der Herausgeber hätte
aber doch wissen müssen, dnss A. Mai im siebenten Bunde der dass. Auctt.
eine Ars Domni Bonifacii archiepiscopi et martyris herausgegeben
bat, die freilich nicht sehr bedeutend ist, da sie meist aus Charisma und An-
dern zusammengesetzt ist, aber doch unter den Werken des Bonifacius eine
Stelle verdient hätte. Auch die Caesurae versuum (s. bei Gaisford Scriplt.
rei raetrr. p. 577), die schon Heusinger abdrucken liess, erscheinen in einer
ehedem pfälzischen, jetzt zu Rom befindlichen Handschrift unter dem Namen
des Sa netus Bonifacius (s. keil Anall. Gramm, p. 20), und es ist in der
That kein Grund anzunehmen, warum nicht Bonifacius, den wir aus dieser Aus-
gabe als Dichter kennen, auch über Metrik und Grammatik geschrieben haben
sollte, so gut wie Aldhelm und Beda, da gleiche Zwecke des Unterrichtes und
dessen Förderung bei ihm vorlagen. Endlich hatten auch wohl die Annalcs
Sancti Bonifacii (im dritten Bande der Monumcnta Germaniae) hier einen
Abdruck verdient.
Joannis Sareshericnsis, postea Episcopi Carnolensis Opera omnia nunc
pritnum in unutn collegU et cum codieibus munuscriptis contulit J. A. Gi-
lest ji<r. civ. Doctor et collegii Corporis Chiisti Oxon. olim socius. Oxo-
tUi, apud J. H. Parker MDCCCXL VIII sqq. Vol. I: Epistolae. XVI und
3U S. Vol. II: Epistolae. XI und 30S S. Vol. HI: Polycratici Itbri
J-F. VI und 3U S. Vol. IV: Pohjctalivi libii VI. 382 S. Vol. Vi
Opuscula. VII und 383 S. in gr. 8.
Diese Ausgabe ist allerdings die erste, in welcher die sämmtlichen Schrif-
ten des Johannes von Salesbury, auch die in neuester Zeit erst bekannt gewor-
denen, vereinigt sind und dadurch einem grösseren Kreise zugänglich ge-
macht werden, wozu der gute, correcte Druck, die gleichen Lettern und das
schöne Papier diesen Abdruck insbesondere eignet. Auf alles Andere, was man
etwa von dem Herausgeber eines so wichtigen Schriftstellers, der durch clas-
aische wie philosophische Bildung so sehr unter seinen Zeitgenossen hervorragt,
erwarten könnte, muss man jedoch im Voraus verzichten und selbst das auf dem
Titel mit grösserer Schrift gedruckte: ..et cum codieibus manuscriptis contulit8
nicht so genau nehmen. Die zwei ersten Bände enthalten einen Abdruck der
Briefe, und zwar nach der Pariser Ausgabe von 1611, in welcher, so heisst es
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am Schluss der englisch geschriebenen Vorrede, sie jedoch so corropt erschei-
nen, dass es unmöglich war, einen Sinn herauszubringen. Diesem Umstand hofft
der neue Herausgeber insoweit abgeholfen zu haben, dass diese Briefe jetzt
wenigstens lesbar und verständlich erscheinen, obwohl auch so der Text noch
keineswegs als völlig gereinigt erscheinen könne. Auf welchem Wege und in
welcher Weise diess nun bewirkt worden ist, darüber vermissen wir freilich im
Einzelnen den nöthigen Nachweis ; denn die wenigen, auf anderthalb Seiten am
Schluss des ersten Bandes und auf drittehalb Seiten am Schluss des zweiten
Bandes gegebenen Notizen oder Voriae Lrctiones werden dafür wahrhaftig nicht
angesehen werden können.. Aus dem dem zweiten Bande angehängten Inder
Epistolarum Alphabelicus ersehen wir übrigens, dass dem Herausgeber nam-
hafte handschriftliche Hülfsmittel zu Gebote standen, indem hier nicht weniger
als dreizehn Handschriften, Pariser, wie englische (zu Oxford, Cambridge etc.)
angeführt werden, und darauf angegeben wird, in welchen derselben jeder ein-
zelne Briefe, wie sie hier in alphabetischer Reihenfolge nach den Anfangsbuch-
staben zusammengestellt sind, sich findet. Auf diese Angabe beschränkt sich
der kritische Nachweis. Wir sind daher in völliger Ungewissheit über jede von
dem Herausgeber vorgenommene Aenderung des Textes gelassen, inwieweit die-
selbe auf urkundlicher Autorität oder auf Willkühr beruht, und das ganze Ge-
schalt der Kritik wird also von Neuem beginnen müssen, was bei einem Schrift-
steller, der kein so grosses Publicum hat, um wiederholt herausgegeben za
werden, etwas sehr Missliches ist. Dasselbe mag von dem Abdruck des Po-
lycraticus gelten, welcher den dritten und vierten Bind einnimmt. Für
diese Schrift ward eine Handschrift von Cambridge sorgfältig und durchweg
verglichen und daraus zahlreiche Irrthümer verbessert. So sagt die Vorrede
S. VI, und hinter jedem der beiden Bände folgen, auf drei und auf zwei Seiten,
einige spärliche Variae Icctiones. Und diess ist Alles, was wir erfahren; darauf
beschränkt sich die ganze kritische Kechenschaftsahlage. Der fünfte Band (Opus-
cula) enthält zuerst den Metalogicus, dessen Text auch hier mit dem Cam-
bridger Manuscript sorgfältig soll verglichen worden seyn. Der ganze Nach-
weis dieser Vergleichung beschränkt sich auf die in einem Umfange von an-
derthalb Seiten dürftig verzeichneten Variae lecliones. Dann folgt S 209 ff. eine
hier zum erstenmal aus einem Harlejanischen Manuscript durch den Druck ver-
öffentlichte Schrift De septem septenis, von der jedoch der Schluss fehlt. Die
den sieben einzelnen Abschnitten vorausgehende Zusrhrift (Prologus epistolaris)
ist an einen angesehenen Mann gerichtet, der dem Johannes die Veranlassung
zu Abfassung dieser Schrift gab; wir kennen jedoch den Namen desselben nicht.
Wir wollen zur Charakteristik dieses über die Siebenzahl und deren Bedeutung
(Ueber die sieben Wege der gelehrten Bildung, Ueber die sieben Wege der
Seele, Ueber die sieben Fenster der Seele, Ueber die sieben Kräfte der Seele,
Ueber die sieben Tugenden, Ueber die sieben Arten der Betrachtung und Ueber
die sieben Grundprineipien aller Dinge) sich verbreitenden, mit manchen An-
whrnngen selbst des Heraclitus, Plato u. A., sowie des Augustinus, und zahl-
reichen Bibelstellen gespickten, aber auch in manchen Spielereien sich gefallen-
den Aufsatzes, der uns an Aehnliches erinnert, was Hammer (Wiener Jahrbb.
Bd. 123 u. 124, besonders p. 39 ff. nnd 49 ff.) beigebracht hat, nur Eine Stelle
aus dem eben erwähnten Prologus epistolaris beifügen. Der Yerf., den Schein
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der Anpassung, über einen so schwierigen Gegenstand m schreiben, von sich
ablehnend, fahrt dann fort: „Praesuinpsit Aerius scribendo Caesar i eui noluit
assurgere in collegium poetarum venienti, Propertius voro scripsit Angosto; quo-
niaui et in ipso studiornm spes erat et ratio. In allero Musa mendicabat sine
virtote; in altera Musa inendicans triumphabat ex humilitate. Scientia tarnen
sine potentia poenn erat in ntroque. Scientia vero sola in Actio inflabat : virtus
cum scientia in Properlio mores et animum honeslius componebat. Proinde ve-
strnc praerogativac dignitatis nostrae Musa parvitatis scribit, non ut Accius te-
nuis, non ut Propertius exilis, quoruin ingenia consumpta sunt in septem rerum
prineipiis." — Auf den Abdruck dieses Aufsalses folgt S. 239 ff. der von Pe-
tersen in Hamburg 1843 herausgegebene Entheticus sive de dogmatc philo-
sophorum, unter Vcrgleichung, wie es p. VI der Vorrede heisst, von zwei Hand-
schriften, der einen zu Cambridge, der andern im britischen Museum. Der
Nachweis dieser Vergleicbung besteht in der Anführung von Varianten an sehn
Stellen, und dnran schliesst sich S. 299 (f. ein Abdruck des von Fabricius in der
Bibl. med. et inf. Latinit. Bd. IV mitgeteilten Gedichtes De membris con-
spirantibus; S. 305 ff. ein Abdruck der Vita Anselm i Archiepiscopi
Cantuariensis aus Wharton's Anglia Sacra; S. 350(1'. Vita Sancti Tho-
uie, abgedruckt nach der zu London und Oxford 1645 erschienenen Vita
Sancti Thomae etc. Den diesem Johannes von Salesbury mit Unrecht beigeleg-
ten Commentar über den Colosserbrief, sowie die einem andern Joannes Deca-
nus Saresberiensis beizulegende Summa de Poenitentia hat der Herausgeber mit
gutem Grunde weggelasaeu. Aber er hätte dafür durch einige weiter« Lei-
stungen seiner Ausgabe einen grösseren Werth vei leihen können. Dabin rech-
nen wir /.. B. die gänzlich unterlasseue Nachweisung der vielen im Texte der
verschiedenen Schriften dieses gelehrten und classiscb gebildeten Mannes eiltrten
Stellen aller Schriftsteller und auderer dahin einschlägigen Anspielungen; wer
die Bedeutung des Jobannes von Salisbury auch in dieser Beziehung kennt,
wird den Mangel jeder derartigen Rücksicht von Seiten des Herausgebers fühl-
bar empfinden. Und ebenso vermissen wir auch die Zugabe von Registern, die
uns bei derartigen Schriftstellern doch als eine wahre Notwendigkeit für den
Gebrauch erscheinen. Selbst zu den einzelneu Schriften wären sorgfältige und
gründliche Einleitungen, mit den nöthigen literarhistorischen Notizen verseheo,
dringend zu wünschen. Was über Leben und Charakter des Autors in der Vor-
rede bemerkt ist, enthält nur das Gewöhnliche; der Verf. wurde in der That
besser gethan haben, wenn er aus Wright Biograph, britannic. Iiier. (Anglo-
Norntan Period) den betreffenden Artikel (S. 230 ff.), dem auch em genaues
Verzeichniss der bisher erschienenen Ausgaben (welches hier gans fehlt) bei-
gefügt ist, hätte abdrucken lassen. Ebenso fehlt auch jede nähere Einleitung
in die einzelnen Schriften, deren Abfassung u. s. w. Für den Polycraticus fugen
wir dem schon bei Wright p. 236 erwähnten Zeugniss noch ein anderes ans
der Chronik des Alberich bei, der dieses Werk um das Jabr 1157 ansetzt.
Bei diesem Maugel müssen wir uns also damit begnügen, einen durck
ein gefälliges Aeussere ansprechenden und wenigstens lesbarer gewordenen Ab-
druck der verschiedenen, hier zum erstenmal in ein Ganzes vereinigten Schrif-
ten eines Maunes zu erhalten, der als einer der hervorragendsten und gebildet-
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sloa Geister des zwölften Jahrhunderts, zugleich auch all einer der Hauptre-
prasentanten der Gelammtbildung jener Zeit gelten muss.
•
Grammalici incerti de generibus nominum rite de dubio geilere ojmsculum primum
ex parte ab Maur. Uaupt in ed. Ovid. llalieut. cctt. Lips. 1838. e cod.
Vindolonensi, postea integrum ab Le Clerco, in Catalogue general des Ma-
nuscrits des Bibliotheques publique* des departemenls T. I Paris 18W e cod.
mentariolo instruetum cum appendice locorum Sertianorum Fhilarguriorum-
f/ue in Virgilium de generibus nominum edidii indicesque adjeeit Dr. Fr id.
Guil. Otto, prof. exlraord. colUtborator semin. philol. Giss. Gissae, t\j-
pis G. D. Bruehli I. MDCCCL. 76 S. in gr. 4L
Diese Schrift ward hervorgerufen durch eine besondere Veranlassung;
denn sie ist ein Glückwunsch, dargebracht dem Hrn. Professor Osann, dem Di-
rektor des philologischen Seminars, zum Gudächtniss an die von ihm nun ein
Vicrteljahrhundert hindurch geleitete und durch ihn zu neuem Leben und zu
neuer Thätigkeit gerufene Anstalt; und da sie ihrem Inhalte nach über einen
merkwürdigen und noch wenig bekannten Rest lateinischer Sprachforschung des
Alterthums sich verbreitet, 60 schliesst sie sich auch von dieser Seite passend
der Reihe von gründlichen Forschungen an, dir wir gerade auf diesem Felde
dem Manne verdanken, dessen segensreiche Wirksamkeit hier gefeiert werden
soll. Die noch unlängst in diesen Blattern (1849. p. 787 IT.) besprochene Abhand-
lung über Agrötius und Ca per bietet selbst insofern daiu einen Anlass, als
manche Nachklänge aus den Schriften des zuletzt genannten angesehenen latei-
nischen Grammatikers auch in dem Bruchstücke sich finden, das uns hier Herr
Otto in einer erneuerten und, so weit dicss jetzt möglich ist, erschöpfenden Be-
arbeitung vorlegt. Schon im Jahre 1838 hatte M. Haupt seiner Ausgabe der
Hslieutica des Ovidius, der Cynegetica des Gratius u. s. w. S. 74 ff. aus einer
Wiener, ehedem Salzburger Handschrift des neunten Jahrhunderts ein Stück
eines alten Grammatikers beigefugt, das mit Bestimmung der verschiedenen Ge-
nera einzelner Nomina in alphabetischer Ordnung sich beschäftigt, und insbe-
sondere durch diu grosse Zahl von Belegstellen, aus älteren, bekannten wie
unbekannten Autoren, zunächst Dichtern, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen
hatte. Indess fehlte dazu der Anfang, sowie auch der Titel des Ganzen, wel-
chen der erste Herausgeber (De generibus nominum) hinzufügte. Später ward
dasselbe Stuck, aber vollständig, also mit dem in der Wiener Handschrift Feh-
lenden, die Buchataben A, B und einen Thcil von C, ergänzenden Anfang in
einer Handschrift zu Laon entdeckt, welche aus der schon im sechsten Jahr-
hundert in der Nähe von Laon gestifteten Benedictiner Abtei von St. Vincent
stammt und dem zwölften Jahrhundert angehört, nicht dem sechsten, wie
unser Verf. (S. 8. 15) den französischen Herausgeber annehmen lässt, der (S. 249
am gleich anzuführenden Orte, vergl. S. 247) bloss von der im sechsten
Jahrhundert gestifteten Abtei spricht, aus welcher die Handschrift stammt. Die-
selbe beginnt mit dem durch den Druck (Venedig 1587. 6.) bereits bekannten
Ciccroiüs Über de synonymis ad Veturium, lässt darauf Einiges über Mass und
Gewicht, über Festtage und dergleichen folgen, und dann kommt dieses Glossar,
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460 Knnk Anzeigen.
an welches noch eine Reihe von andern, meist kleineren Schriften verschiedenen
Inhalts aas dem Gebiete der kirchlichen and theologischen Literatur des Mittel-
alters sich anreiht (s. Cataloguc general des Mss. etc. I. p. 246 ff.), namentlich
Schriften des Hugo von St. Victor. Hiernach ward von Le Clerc in dem an-
geführten Werke (S. 649 ff.) ein mit einer Einleitung und erklärenden Noten
versehener Abdruck des Ganzen veranstaltet, welcher die Grundlage dieses
neuen Giesscncr Abdrucks und damit auch der Schrift bildet, von der wir einen
kurzen Bericht hier abzustatten gedenken. Dass die Aufsätze beider Handschrif-
ten aus Einer und derselben Quelle, jedenfalls ans einer noch ziemlich alten und
guten stammen, dürfte kaum zu bestreiten seyn; denn die Abkürzungen der
Handschrift von Laon bei einigen Theilcn kommen auf Rechnung des Schreibers,
der aus Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit einzelne Belege weggelassen hat.
Diese alte Quelle sucht der deutsche Herausgeber in einer der Schriften, wel-
che De dubio genere handelten, und diess veranlasst ihn, eine Erörterung über
diejenigen Grammatiker vorauszuschicken , welche über diesen Gegenstand , so
weit wir wissen , geschrieben , und am Schlüsse des Ganzen , hinter dem Ab-
druck des Glossariums, lässt er noch eine Zusammenstellung aller der Stellen,
welche auf diese Lehre sich beziehen, aus den Commentaren des Servius und
Phylargyrius zu Virgils Aeneide folgen. S. 60 ff. Unter den alten Grammatikern,
welche über das wechselnde Genus der Nomina oder De Dubio genere ge-
schrieben, wird an erster Stelle Capor aufgeführt, dessen einschlägiges Werk
leider nur aus wenigen Fragmenten noch bekannt ist, welche in der Abhand-
lung von Osann S. Uff. zusammengestellt sind. Auf Caper lusst Herr Otto den
Valerius Probus folgen — „Caprum insecutns est Valerius Probus* (S. 12),
oder: e Capro, quo etiam Probut usus videtur (S. 13), was wir, in der Weise
hingestellt, bezweifeln, indem Valerius Probus schon der Zeit nach dem Caper
vorausgehen wird, wozu wir in der Stelle des fharisius I. p. 94: „Flavius tarnen
Caper Alecto monoptoton esse Valerium Probum putare ait, banc Aleclott, eine
Nachweisung finden, welche eher zu der entgegengesetzten Annahme uns be-
rechtigen wird. Dass übrigens Valerius Probus über denselben Gegenstand ge-
schrieben, setzt eine Stelle des Priscianus ausser allen Zweifel. Sonst fuhrt
der Verf. noch Plinius und Charisius auf, welcher letztere die Schriften des
Caper uud Valerius Probus benützte, oder vielmehr plünderte. Auch Servius
mag in seinen Commentaren zu Virgil Manches der Art aus Caper entnommen
haben; und so glaubt denn auch Herr Otto (S. 14), den Verf. des hier in Rede
stehenden Verzeichnisses den späteren Grammatikern beizählen zu können, wel-
che die Schriften des gelehrten Caper für ihre Zwecke ausbeuteten, uns aber
immerhin dankenswerthe Reste der alten Sprachforschung anf diese Weise er-
halten haben; und wenu er (S. 15) denselben, mit Bezug auf die in diesem
Glossar citirten Isidorus und Fortunatas, in das siebente oder achte Jahrhundert
nach Christus verlegen möchte, so wird man ihm darin kaum Unrecht geben
können. Auch Ref. dachte an das Karolingische Zeitalter, und zwar an die
frühere Periode Karls des Grosseu selbst, in welche auch der Virgiliua Maro
fallt, dessen grammatische Schriften, wie sie Mai im fünften Bande der Claasici
Auetores herausgegeben hat, uns die grosse Thätigkeit zeigen , welche zu jener
Zeit auf diesem Gebiete der lateinischen Sprachforschung herrschte, und uns
mit den zahlreichen Schulen und den darin lehrenden Grammatikern, anter de-
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Ben vielleicht auch der Verfasser dieses Glossars sich befand, bekannt machen.
Ans der in dem fiianuscript von Laon vorkommenden Stelle, wo es unter Ar-
bor (Nr. 8) heisst: „sed plenins in seqaenti, cum de arboribns propria scribi-
raus (oder vielmehr scribemus, wogegen jedoch das nächstfolgende Präsens
spricht) declaramus" schliessen auch wir keineswegs auf eine Schrift De arbo-
ribus, wie sie einem Appulejas oder Colamelia beizulegen wäre, wohl aber
möchten wir daraus die Vermuthung schöpfen, dass das vorhandene Glossar nur
ein Stück oder Excerpt eiues grösseren derartigen Glossars gebildet, in welchem
ein eigener Abschnitt über das Genus der Bäume vorkam, worin die verschie-
denen Benennungen der Bäume nach ihrem verschiedenen Genus zusammenge-
stellt gewesen.
Wenn nun der Werth dieses Bruchstücks hauptsächlich mit in den zahl-
reichen Belegstellen liegt, welche ungefähr in der Art, wie diess bei Charisius
der Fall ist, bei jeder Erklärung beigefügt werden, und uns manches neue
Fragment bringen, so hat der neue Herausgeber auch diesem Punkte seine volle
Aufmerksamkeit zugewendet, tbeils in den dem Text untergesetzten Noten, theili
in der vorausgehenden Erörterung. Es wird hier eine Masse von Schriftstellern,
insbesondere von Dichtern citirt, unter welchen Virgil die erste Stelle einnimmt,
neben welchem zwar auch mehrere heidnische Dichter der älteren klassischen
Zeit, aber insbesondere dann die christlichen Dichter, Juvencns, Prudentius, Pau-
linus, A vitus, Sedulius n. A. bis auf Fortunatus herab, angeführt werden; auch
Lactantius wird, wenn wir anders richtig gezählt haben, an acht Stellen, ans
dem Gedicht über den Phönix angeführt, das man also hiernach wohl für eifi
achtes Produkt dieses Kirchenlehrers um jeno Zeit gehalten hat. Dass freilich
bei diesen Anführungen nicht immer mit der gehörigen Aufmerksamkeit und
Genauigkeit verfahren worden ist, wir wissen nicht, ob aus Nachlässigkeit des
Concipienten oder des Abschreibers, am Ende aber wohl eher aus Schuld des Er-
stem, zeigen mehrfache Verwechslungen. So werden z. B. an zwei Stellen
(nr. 336. 360) Worte des Varro citirt, welche, das einemal aus Virgilius,
das anderemal aus Ovidius stammen, so wird unter nr. 136 ein Vers des
Virgilius citirt, welcher dem Tibull angehört; die Stelle ans den Büchern
der Könige unter nr. 179 ist aus dem Jesaias u. s. w. Diess wird uns nament-
lich da vorsichtig machen müssen, wo Stellen aus noch vorhandenen Schriftstel-
lern citirt werden, die wir jetzt darin nicht mehr finden, wie diess hier einige-
mal bei Stellen, angeblich des Ausonius (nr. 121), des Ambrosius (nr. 211), des
Ovidius (nr. 76. 352) u. A. dei Fall ist. Unter nr. 19 wird „Cicero ad Pan-
s a mu citirt, also aus der verlorenen Briefsammlung an Pansa, die wir auch noch
ans einigen andern schwachen Resten kennen ; so kommt unter nr. 79 ein Frag-
ment des Cicero vor, das wahrscheinlich seiner Bearbeitung des Xenophonteischen
Oeconomicus entnommen ist. Aach die Fragmente des Varro enthalten manche Berei-
cherung, z. B. nr. 19. 26.79. 280 (»Varro Quaestionum Epistolicarum") 306, (Varro in
Actionibus Scenicis) 318, „Varro in Neronem", wo wir wobl mit dem Herausgeber
besser a d (statt i n) lesen und an die auch sonst bekannten Briefe Varro's an Nero den-
ken. Dass übrigens in allen diesen Citaten nur an den Varro von Beate, nicht an den
Varro Alacinus (wie Le Clerc S. 655 zu glauben scheint) zu denken ist, liegt
zu Tage. Unter nr. 38 wird der Dichter Bibaculus citirt; Ennius mit zwei
bisher^ nicht bekannten Fragmenten (nr. 56. »23), Melissas, ron dem wir
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gar keine Reite mehr besitzen, nr. 61, eben so Scfiyola nr. 72,
lieb der bisher nur an« einer Stelle der Briefe des jungem Plinios (V, 3) be-
kannte Dichter ; Aemilius Macer (zweimal nr. 75. 348), CorneliusSeverus
(nr. 286. 370. 304), Rabirius (nr. 107. 110. 315), Plautus u. A., anch Ma c enas
(nr.282), und Cäsar De analogia (nr. 64), Asinins Pollio (nr. 49.340), Li-
vius (nr. 348, vrgl. 68), Sallnstius (wahrscheinlich aus den Historien nr. 359),
Trogu» (nr. 361), Cato u. A. Ungewiss wird wohl vorerst noch der Dichter
Valentin us (nr. 85) bleiben, indem unter den verschiedenen Personen dieses
Namens, welche Le Cierc hier anführt, doch keiner recht passen will. Eben so
ungewiss wird auch das Citat Gracchus (nr. 102 bei dem Worte Purpura und
Diadema) bleiben; nn einen der beiden Redner und Staatsmänner Cajus oder
Tiberius zu denken, wird kaum zulässig erscheinen, wesshaib Ref. lieber an den
von Ovidius (Ex Ponto IV, 16, 29) genannten Dicbtcr Gracchus denken möchte,
«us dessen Thyeates eine Stelle bei Priscianus VI. p. 719 citirt wird, und der
vielleicht auch bei ISonius p. 202s. v. Cardo herzustellen ist, wo „Graius in
Peliadibus" citirt wird. Aehnliche Schwierigkeit bietot der nr. 46 mit einem
Verse angeführte Volumnius, ein uns bisher ebenfalls unbekannter Dichter*
namen, indem doch hier kaum an den angeblichen Verfasser etrorischer Tragödien,
Yolunnius, den blos Varro nennt, zu denken ist. Eher könnte allerdings mit
Le Clcrc an den römischen Senator Volumnius Eutrapelus , den wir aus) Cicero's
Briefen (ad Famill. VII, 32. 33. IX, 26) kennen, gedacht werden, wenn nicht
auch hier jeder weitere Anhaltspunkt fehlte. Einen solchen könnte uns eher die
Stelle des von A. Mai (Claas. Auctt. V. p. 103) edirten Virgilius bieten, wo wir
lesen: „ut illud est M. Volumnii: ionicum navigaberc ponUim", was den Schlurf
eines Hexameters bildet, in dem navigabere nach des Virgilius Erklärung für
navigare steht Indessen dürfen wir nicht verhehlen, dass M. Volumnii
keine urkundliche Lesart, sondern Verbesserung von A. Mai ist, welcher aus-
drücklich hinzufügt, dass M in der Handschrift zweifelhaft erscheine, und da-
rauf voluimus folge. Auf derselben Seite bei Mai wird auch ein Alexander
citirt, den wir mit dem in dem vorliegenden Glossar erwähnten (unter nr. 257)
wohl für Eino und dieselbe Person halten möchten, wenn nicht auch hier jeder
weitere Anhaltepnnkt fehlte. Ob diess dann aber auch der bei Servius zu Ae-
neiaVHI, 330 erwähnte Alexander ist, lässt sich zwar jetzt noch nicht be-
weisen, aber auch nicht mit bestimmten Gründen widersprechen , da die beiden
Anfuhrungen, in dem Glossar und bei Servius, wohl aus Einem Werke entnom-
men seyn können. Unser Herausgeber will lieber an einen Heiligen dieses Na-
mens denken, was wir hier, wie hei dem nr. 132 angeführten, sonst auch nicht
weiter bekannten A pol Ion ins bezweifeln. Eben so unbekannt ist der nr. 125,
nnd zwar, wie es scheint, als Dichter angeführte Dynamius; Le Clerc will nicht
entscheiden, ob es der von Ausonius besungene Rhetor von Bordeaux oder der
Patricias von Arles sei, dessen Gedichte Fortunatus so sehr rühme (d. h. Dy-
namius, der Rektor von Marseille, bei Fortunalos VI, 11.12; vrgl. dazn Bro-
weri nott. p. 169). An den Dynamius, unter dessen Namen wir zwei Hei-
ligengeschichten, eine Vitn S. Marii und eine Vit» S. Max im i, besitzen, scheint
man nicht gedacht tu haben, obwohl er, da er gegen Ende des sechsten Jahr-
hunderts fällt, eben so gut hier in Berücksichtigung kommen kann; s. Hist. Hl
da la Fraace III. p. 457 aqq. Bei mehreren Kamen, wie z. B. Brutus, Ho*
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468
merus, Cälina, ist das Fragment iu kurz, am irgend einen weiteren Schiusa
■nf den Verf. zu gestatten. Prudentius contra Paganos nr. 130 wird
als ein allgemeines Citat aufgefasst, wobei an die Schrift gegen Symmachus zu
denken ist. Anderes , was bereit« richtig hier aufgefasst ist, wie die Disci-
puli ad Fron ton in in nr. 150 übergehen wir, da aus dem, was wir bisher
angeführt, hinreichend die Wichtigkeit dieses Glossariums für die bemerkten Be-
ziehungen ersichtlich ist.
Was nun die Leistungen des deutschen Herausgebers hinsichtlich der Tex-
tesgestaltung betrifft, so glauben wir das, was er beabsichtigte, am Besten mit
den eigenen Worten desselben geben zu können: „ — hanc rem", sagt er S. 14,
„ita administrandam putavi, ut exemplo Hauptiano pro fundamento uterer, in
quo quae recte, ut mihi videlur atque indubie Hauptius et I.c Clerc emendassent,
haud dubitantcr in orationera ipsam reeiperem, quae magis dubia videreulur, in
notis tractarem; locos scriptorum vcl ab Hauptio vel ab Le Clercio accurate in-
dicatos repeterem et si quid primus reperissem communicarem, denique obscu-
ras significationes gammatici quanlum possera adbibilis similibus veteruni gram-
maticornm locis explicarem, indicem denique nomioum et scriptorum adjicerem."
Diesa ist auch Alles in befriedigender Weise geschehen: die dem Text unter-
gestellten ."Voten enthalten nicht nur das ganze kritische Material mit den da-
rauf bezüglichen Erörterungen des Herausgebers, sondern verbinden damit auch
eine Fülle von weiteren, auf den Gegenstand selbst bezüglichen Nachweisungen
und Erörterungen, welcho zur richtigen Auflassung des Ganzen und zur ge-
rechten Würdigung desselben nicht wenig beitraget!. Den sehr genau und sorg-
fältig ausgearbeiteten Registern gehl als Appendix des Glossars noch S. 60 ff.
die schon oben erwähnte Zusammenstellung aus den Commcntaren des Servius
und Philargyrius vorher, welche die auf den in der alten Wortforschung so be-
deutenden Abschnitt De dubiis generibus sich beziehenden Stellen dieser Com-
mentare in einer zweifachen Abiheilung vereinigt, indem die erste die allge-
meinen Regeln, die andere, die Vorschriften, welche auf das Geschlecht einzelner
Romina sich beziehen, befasst.
Von Seiten der äusseren Einrichtung, in Druck und Papier, empfiehlt sich
die Schrift nicht wenig; auch der corrcete Druck verdient Anerkennung; nur
S. 10 wird die Stelle: ut recentiores grammaticae magistri — ex copia cxein-
pforum — suos hortus irrigarunt ac quasi illinc sese aluerunt zu corrigi-
ren seyn. Den durch die Gewissenhaftigkeit des Herausgebers etwas zu aus-
führlich gewordenen Titel des Buchs würden wir lieber in abgekürzter Form
gegeben und die Erwähnung der Uaupt'schen wie der Le Clerc'schen Heraus-
gabe auf dem Titel des Ganzen weggelassen haben. Die auf diesem Titel der
Handschrift von Laon gegebene richtige Bezeichnung: Codex Laudunensia
finden wir im Texte mehrfach verlassen, und dafür Codex Laonensis gewählt,
eine, so weit wir wissen, nirgends sonst in älteren Quellen vorkommende Be-
zeichnung, da die Stadt Laon stets in den lateinischen Quellen des Mittelal-
ters bis auf die neueste Zeit herab Laudunura, Laudunensis urbs, auch
Lugdunum clavatuin, nirgends aber Laonum oder Laonensis urbs ge-
nannt wird.
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Kurze Anzeigen.
Leitfaden \ur Geschickte der römischen Literatur von E. Ho r mann. Magde-
burg, 1851. Heinrichslwfen'sche Buchhandlung (Encyclopädie der klassischen
Alterthumskunde, ein Lehrbuch für die oberen Klassen gelehrter Sclutlen.
Von Luducig Schoo ff. Fünfte, ttmgearbeitete Ausgabe. Ersten Theils ueeitt
Abtheilung: Römische Literatur von E. Hon mann.) IX. und 143 S.ingr.8.
Dem in diesen Jahrbüchern (Jahrgg. 1849, p. 790 ff.) angezeigten Leit-
faden zur Geschichte der griechischen Literatur entspricht dieser in Anlage
und Ausführung gleich gehaltene Leitfaden der römischen Literatur; er
wird daher in gleicher Weise, sowohl was die Genauigkeit und Richtigkeit der
einzelnen Angaben, als insbesondere die mit kleinerer Schrift milgetheilten Ver-
zeichnisse der Ausgaben betrifft, von welchen keine der bedeutenderen hier
vermisst wird, allen Denen, die sich etwas näher auf dem weiten Gebiete der
römischen Literatur umsehen wollen, empfohlen werden können, als ein Leitfa-
den, mittelst dessen sie den bemerkten Zweck wohl erreichen dürften, zumal
da ungeachtet des beschränkten Raumes, der ein Eingehen in das Detail der
einzelnen Schriften nicht verstattete, doch nichts Wesentliches von dem vennist
wird, was in einem solchen Leitfaden erwartet zu werden pflegt. Was die
Anordnung des Stoffes betrifft, so ist auch hier die Abtheilung nach Perioden,
deren fünf im Allgemeinen angenommen werden, beibehalten; innerhalb jeder
Periode werden dann die einzelnen Disciplincn unterschieden, um so, wie es
scheint, j«uch der systematischen Anordnung ihr Recht widerfahren zu lassen,
und gewissermassen beide, die chronologische und die streng wissenschaftliche,
miteinander zu verschmelzen. Wenn bei der ßehaodlung der griechischen Li-
teratur ein solches Verfahren, vorausgesetzt, dass die Perioden nicht zn enge
gefasst sind, passend erscheint, so wird diess bei der römischen Literatur, die
keinen so grossen Zeitraum durchlaufen hat, ungleich schwieriger, und fuhrt, da
doch in den einzelnen Fächern unterschieden werden soll, leicht Verstückelun-
gen oder unangenehme und lästige Trennungen herbei, welche den Ueberblick
über das Ganze, was in einem besondern Zweig der Poesie oder der Wissen-
schaft geleistet worden ist, erschweren. Indessen wollen wir auch hier nicht
unbedingt absprechen, wo es um einen Leitfaden sich handelt, der auch auf die
Bedürfnisse der Schule insbesondere Rücksicht nehmen und deragemäss die chro-
nologische Abtheilungsweisc nicht verlassen soll. Von den fünf Perioden, inner-
halb deren die Geschichte der .römischen Literatur hier behandelt wird , befasst
die erste die Vorzeit, die zweite reicht von Livius Andronicus bis zn Cicero,
die dritte bis auf den Tod des Augustus, die vierte bis auf Trajan's Tod, die
fünfte bis ins sechste Jahrhundert n. Chr., die Zeit des Verfalls. Bei jeder Pe-
riode wird zwischen Poesie und Prosa unterschieden, und dann eben so wieder
bei den einzelnen Zweigen dieser beiden Hauptabtheilungen unterschieden. In
Folge dessen finden wir einigemal getrennt, was wir lieber miteinander ver-
bunden gesehen hatten, z. B. sind die Satiren des Horatius getrennt von den
Episteln ; obwohl beide von einander in gewissen Beziehungen verschieden sind
und hier allerdings ein Unterschied anzunehmen ist, so ist doch ein Grundcharakter
beiden Dichtungen so gemein , dass wir sie nicht von einander trennen dürfen,
Wie dies ja auch schon die Alten durch die beiden Gedichten gemeinsam zu-
getheilte Benennung Sermon es gefühlt und ausgesprochen haben.
(Schluss folgt.)
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Nr. 30. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen.
(Schluss.)
Dasselbe möchten wir in Bezug auf Ovidius bemerken, dessen Epi-
siolae ex Pento von den libri Tristium bier getrennt sind, indem die
letaleren der Elegie ($. 53), die erstem der Epistel (§. 47) augewiesen werden,
Ueberhaupt würden wir bei den Unterabtheilungen der Poesie der dritten Pe-
riode den Abschnitt Epistel (welcher die Uoraaischen Episteln, Ovid's EpisU
Ex Ponto und die Heroides befasst) lieber ganz weggelassen haben. Derselbe
ist hier aufgeführt als ein Bestandteil der lyrisch-epischen Poesie, welche
in erster Stelle die Satire (Horalius, des Valerius Cato Dirae und des Ovidius
Ibis), in dritter die bucoliscltc Poesie und in vierter das Epigramm (?) befasst.
In der vierten Periode wird auch die Fabel (§. 85) dieser Abtheilung der
Poesie zugezihlt, wobei wir eben so wie bei der Satire unser Bedenken nicht
zu unterdrücken vermögen. Bei der Elegie ($. 53) wollen wir bemerken, dass
die Elegie an die Livia über den Tod des Drusus , die bisher bald dem Pedo
Albino vanus, bald dem Ovidius beigelegt ward, nach Haupts Ausführung (die
der Verf. bei Abfassung seines Leitfadens übrigens kaum kennen konnte) nicht
mehr als ein Werk des Alterthums wird angesehen werden können, sondern
eher Tür das Produkt eines geübten Dichters neuerer Zeit, etwa des XV. Jahr-
hunderts gelten muss. Ein ähnlicher Fall wird wohl auch bei der $. 89 er-
wähnten Satire des Turnus auf Nero anzunehmen seyn. Bei den unter dem
Namen des Cornelius Nepos gehenden Vitae excellentium imperatorum hat der
Verf. die Frage nach der Abfassung derselben durch Cornelius Nepos (den
keine der bis jetzt bekannten Handschriften nennt) nicht von der Hand ge-
wiesen, wohl aber richtig, wie wir glauben, in der Weise beantwortet, dass er
nach innern wie äussern Gründen, insbesondere auch im Hinblick auf die Sprache,
den Cornelius Kepos zwar als Verfasser anerkennt: „doch (wird dann hinzuge-
fugt S. 61) ist das unzweifelhaft, dass die jetzige Gestalt durch üeberarbeitung,
Abkürzung und Interpolation entstanden ist (worin wir eben das Werk des Ae-
milius Probus erkennen); die Vitae Catoois und Atüci (die, der handschriftlichen
Autorität zufolge, dem Buch De hisloricis angehören) unterscheiden sich vor-
teilhaft uno" scheinen ganz acht zu seyn.u C u r t i u s wird (§. 90) unter Ves-
pasianus verlegt, was auch uns die richtigere Annahme zu seyn scheint. Aber
die in dieselbe vierte Periode der römischen Literatur fallenden Sylvae des
Statins würden wir nicht, wie hier geschehen (§. 87), unter die lyrische Poesie
zu bringen gewagt haben, da in ihnen doch mehr der Charakter der beschrei-
benden Poesie und des erzählenden, darstellenden Epos, auch in der metrischem
Form hervortritt. Bei den unter Seneca'g Namen auf uns gekommenen Tragö-
dien ($. 77) bleibt der Verfasser, was wir billigen, bei dem Philosophen Seneca,
als dem wahrscheinlichen Verfasser dieser Dramen, etwa mit Ausnahme der
OcUYi« stehen. Nachzutragen aus dem Gebiete der neueren Literatur wir*
XLIY. Jobrg, 3. Doppelheft, 30
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• - -
Kurie Anzeigen.
man kaum Etwas Coden, in sofern man, wie billig, den Charakter des Leitfa-
dens und den Raum, in welchem derselbe sich tu bewegen hat, in Erwägung
zieht. Nur bei Einer Stelle wird man wohl einen solchen Zusatz wünschen,
(S. 15) In der Note, wo von den angeblichen Büchern Numa's die Rede ist,
und Lassaulx's Abhandlung (in den Schriften der Akad. d. Wissensch, zu Mün-
chen V,I, S. 81 ff. Vergl. diese Jahrbb. 1848, p. 53 IT.) genannt werden konnte.
Anderes will Ref. nicht berühren: er wollte mit seinen Bemerkungen ohnehin
nur dem Verfasser dieses nützlichen und empfehlenswerthen Leitfadens seine
Aufmerksamkeit beweisen, sowie seinen Bemühungen die gerechte Anerkennung
aussprechen. Die Äussere Ausstattung des Buchs ist befriedigend, der Druck
correct. Die Ungleichheit, wornach bei manchen Ausgaben und Büchern du
Format angegeben, bei andern weggelassen ist, dürfte bei einer erneuerten Auf-
Inge durch gleichmässig durchgeführte Angabe des Formats auszugleichen seyn.
8. 14 Z. 11 Ton unten ist au lesen Ca den bar h statt Cladenbacb. S. 10 Z. 11
Ton oben 'Pe>u.aiot statt V Eoi. Ein Register über die Namen fehlt nicht
Chr. Bfthr.
Uta et er; Lehrbuch der Differential" und Integralrechnung etc., deutsch herausge-
geben und mit einer Abhandlung über die Methode der kleinsten Qua-
drate begleitet von Dr. Th. Wittstein. Zwei Bände. Hannover in der
Hahn' sehen Hofbuchliandlung. 1848-1849.
Ich kann mich hier auf die Beurtheilung der Abhandlung des Uebersetsers
fiber die Methode der kleinsten Quadrate beschränken, da ich über das
Na vier 'sehe Werk selbst bereits in den göttingeschen Geiehrtenanzeigen Jahrg.
1848, Stück 149 n. Jahrg. 1849, Stück 134, 135 u. 136 das Nöthige gesagt habe,
Herr Wittstein will durch seine Abhandlung zunächst den Schülern der
polytechnischen Schule zu Hannover eine möglichst klare und einfache Einlei-
tung in das Verstindniss der Methode der kleinsten Qu a d ra le geben —
Und bemerkt, dass seine Abhandlung im Wesentlichen eine elementare Repro-
duktion der ursprünglichen Darstellung des fraglichen Gegenstandes von
Citrus s fn der theoria motus corpor. coelcstium 1809 und in der Zeitschrift ftr
Astronomie von v. Lindenau und Bohnenberger 1816 sei. — Nur in Be-
siehung auf die Begründung der Methode der kleinsten Quadrate -habe er es
Vorgezogen, den Gang des Erfinders zu verlassen und sich an Hagen's Dar-
stellung zu halten. — Als Rechtfertigung dieses Schrille« bemerkt H. W., dass,
so lange man den Satz vom arithmetischen Mittel der Methode der
"kleinsten Quadrate zum Grunde lege (wie bei der ersten Gauss'schen
Darstellung), man damit, streng genommen, nichts Anderes ausgesagt habe: ab
dass in allen Gattungen von Beobachtungen, in denen man bei der Aufsuchung
einer unbekannten Constantc aus beobachteten Werthen derselben sich des
arithmetischen Mittels zur Bestimmung des wahrscheinlicheten Wer-
Ihes dieser Constante bedient, die Anwendung der Methode der kleinsten
Quadrate auch auf alle complicirtern Aufgaben gerechtfertigt ist, welche
die Bestimmung beliebig vieler unbekannter Constanten aus den beobach-
teten Werthen beliebiger Funktionen dieser Constanten fordern. (!) — Die
Zulässlgkcit der Methode der kleinsten Quadrate zur Bestimmung der Werthe
unbekannter Constanten werde also in jeden einzelnen Falle abhängig gemacht
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Kurse Anzeigen.
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von der Zulässigkeit eines gewissen b esondern ^ alles dieser Methode, wel*
eher tw«r der einfachste unter allen möglichen sei, für dessen Zulässig-
st it selbst jedoch keinerlei Art von Kriterium gegeben werde, son-
dern lediglich dem Meinen und Dafürhalten anheimgestellt bleibe. — Man
könne zugestehen, dass dem Erfinder der Methode eine solche Zurückführung
ihrer Anwendbarkeit bei der ersten Darstellung seiner Erfindung vollkommen
freistand, weil damit die Methode selbst, wenigstens vorläufig, sichergestellt,
nämlich auf eine Thatsa che gestützt werde, der man im täglichen Leben —
wenn auch ohne deutliches Bewusstsein des Grundes - Anerkennung niemals
versage! — (Hr. W. scheint allerdings kein sehr deutliches Bewusstsefn
des Grundes des Princips des arithmetischen Mittels gehabt zu ha-
ben! — ) Aber offenbar sei dadurch die Frage nach der Begründung (?)
des Satzes vom arithmetischen Mittel keineswegs erledigt, sondern 'bloss
vertagt, d. h. es bleibe noch die Forderung offen: durch tieferes Ein-
gehen in die Natur und Entstehung der zufälligen Bcobachtungsfehler eine
so allgemeine Grundlage der Methode der kleinsten Quadrate zu
erlangen, dass darin sowohl die einfachsten, wie die verwickeisten Auf-
gaben, welche man dieser Metbode unterlegen möge, die Sphäre ihrer Zulfisslg-
keil gezeichnet Enden! — Dieses scheint nun dem Verfasser der von Hagen
(Grundzüge der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1837) eingeschlagene Weg auf ein«
höchst einfache Weise (?) zu leisten, welcher sich auf die Hypothese stützt:
Der Bcobachtungsfehler ist die algebraische Summe aus un-
endlich viclen(?) (unendlich kleinen) elementaren Fehlem, die
alle gleich gross sind (?) und wovon jeder einzelne ebenso leicht
positiv, als negativ sein kann! —
Die Anwcnduug der Methode der kleinsten Quadrate zur Bestimmung un-
bekannter Constanlen soll nach der Meinung des Verf. 's überall gerechtfertigt sein,
wo die Ha gen' sehe Hypothese über die Natur der Bcobachtungsfehler als zu-
lässig angesehen werden darf — oder vielmehr: sie werde (da letzteres nie in
aller Strenge der Fall sein könne) desto mehr gerechtfertigt sein, je näher in
dem einzelnen Falle diese Hypothese mit der Natur der vorhandenen Beobach-
tnngsfebler zusammen t un. — Hierin liege mithin das Kriterium (?) für
die Anwendbarkeit der Methode der kleinsten Quadrate ausgedrückt,
welches aller numerischen Rechnung voraufgehen müsse — und welches, wie
man leicht sehe, immer wenigstens noch die Möglichkeit offen lasse, dass auch
der Satz vom arithmetischen Mittel vielleicht nicht in allen denkbaren
Fällen zulässig sei — wie man sonst anzunehmen pflege. (Welcher Galimatias!)
Der Verf. gesteht selbst zo : dass die H a g e n 'sehe Hypothese, wie er sie be-
nutzt, noch gegründete Bedenken zulasse — und ihre vorzüglichste Ei-
genschaft soll nur darin bestehen, dass sie die einfachste sei, welche man
machen könne (?!) — und die auf sie begründete Rechnung sich so einfach
gestalte! — Eine tiefere und erschöpfendere Behandlung des fraglichen
Gegenstandes habe übrigens Bessel in gleicher Anerkennung der in der Gaus s-
schen Theorie gebliebenen Lücke (?!) gegeben (astronomische Nachrichten für
1638. Bd. 15, Nr. 35S-359).
Dieses ganze Raisonnement des Verf.'s ist total unbegründet. — Dcc
objectivt Grund Tür die Annahme des arithmetischen Mittels aus
mehrern unmittelbaren Beobachtungen derselben Grösse als des wahr-»
30*
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Kurte Anzeigen.
scheinlichsten Werthes dieser Grösse ist kein anderer, als der: dass ans dem Be-
griffe des zufalligen unvermeidlichen Beobachlungsfeblers unmittelbar
folgt: dass gleicbgrosse positive und negative unvermeidliche zufallige
Fehler gleich möglich (wahrscheinlich) sind. — Wer also das letztere an-
nimmt, hat damit auch das Princip des arithmetischen Mittels angenom-
men— dieses liegt also auch implicite in der IIa gen 'sehen Hypothese. — Was
diese Hypothese sonst noch enthält, ist ebenso überflüssig, als unzulässig. Dass
jeder unvermeidliche zufällige Beobachtungsfehlcr aus mehreren Quellen (Ur-
sachen) entspringt, liegt auf der Hand — und ist auch von Gauss ausdrücklich
bemerkt — denn er unterscheidet errores simplices und errores totales — dass
aber die Anzahl dieser Fehlerquellen unendlich gross (?) und die daraus
entspringenden Fehler alle unendlich klein und einander gleich sein
sollen — ist, wie gesagt, eine ebenso unstatthafte als unnütze Hypothese. Der
Verf. scheint unter dem tiefern Eingehen in die Natur und Entstehung
der zufälligen Beobacbtngsfehler das Aulstellen complicirter, unwahr-
scheinlicher Hypothesen für einfache, unmittelbar aus der Natur der
Sache fliessende zu verstehen. Wenn sich der Verf. schmeichelt: das Princip des
arithmetischen Mittels deducirt (bewiesen) zu haben, so ist diess wohl
nur eine Täuschung — denn dasselbe ist, wie bereits bemerkt, in der Ha-
gen'sehen Hypothese schon implicite enthalten. Er hat also bei der Bestim-
mung des Wabrscheinlichkeitsgesetzes:
y = y0 e -»* (V)
der zufälligen unvermeidlichen Beobachtungsfehlcr jenes Princip unbewusst
▼ or ausgesetzt. Bei der Ableitung der Formel (et) ist der Verf. auch noch
genöthigt: die Anzahl der unendlich vielen unendlich kleinen Ele-
mentarfehler als eine gerade anzunehmen.
Mit Voraussetzung des Principes des arithmetischen Mittels kann
man aber die Formel (a), so wie das Princip der Methode der kleinsten
Quadrate:
lQx*) = x*l+x\ + x\ + = <>,
wo Xt, X{, X3, . . . die zufalligen unvermeidlichen Beobachtungsfehler bezeichnen,
viel einfacher erhalten, als nach der Hagen 'sehen Hypothese. Am besten thut
man aber, wenn man den Gang einschlägt, welchen Gauss in seiner letz-
ten Darstellung der Methode der kleinsten Quadrate (Theoria combinationis ob-
servalionum erroribus minimis obnaxiae und Supplementum theor. comb, observ.
error, min. obnox. Guttingae, 1823 — 1828) genommen hat, die bis jetzt von
Andern weder übertroffeo, uoch selbst nur erreicht ist. Da sich über die Be-
gründung der Methode der kleinsten Quadrate ganz verkehrte Ansichten
zu verbreiten scheinen, wovon wir eben ein Beispiel kennen gelernt haben —
und wohin selbst die Ansiebt eines ßessel gehört, wie wir bald zeigen wer-
den, so ist es nothwendig, zuvor die Fundamentalbegrifle der in Rede stehen-
den wichtigen Lehre nach der vollendetsten Darstellung ihres Erfinders in aller
Kürze hier anzuführen. In den augeführten Abhandlungen sagt Gauss:
„Error um regularium consideratio proprio ab instituto nostro excludi-
tnr .... Errores observationum ad idem genus per tinenti um , qui a canssa sim-
plici determinata oriantur, per rei naturam certis limitibm sunt circumscripti,
1
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Karze Anzeigen. 46fr
qaos sine dnbio exaete assignare beeret, si indoles ipsius caussae penitus
set perspecla. Pieraeque errorum fortuitorum caussae ita sunt comparatae, ut
secundum legem continaitatis omnes errores intra istos limites comprehensi pro
possibilibus haben debeant, perfeclaque caussae cognitio etiam doceret, utrum
omnes hi errores aequali facilitate gandennt nn inacquali, et quanta probabili-
tas relativa in casu posteriori cuivis errori tribnenda sit. Kadern etiam respeetn
erroris totalis, e plaribus erroribus simplicibas conflati, valebant, pnta in**
clusis erit certis limitibus Designando facilitatem relativam erroris totalis x,
in determinato observationum genere, per characteristicam 9 x, hoc propter er-
rorum continuitatem , ita intelligendnm erit, probabilitatem erroris inter limites
infinite proximos x et x -f- d x essc~<px d x. Vix, ac ne vix quidem, unquam
in praxi posstbile erit, hanc funetionem a priori assignare .... In plerisque ca-
sibns errores positivos et negativos ejusdem magnitutinis aeque faciles supponere
licebit, quo pacto erit cp x = 9 ( — x). Purro quum errores leviores facilius com-
mittantur quam graviore*, plerumque valor ipsius 9 x erit maximus prox = o,
continuoque decrescet, dum x augetur. — a
„Generaliter outem valor integral is ^ 9 x d x exprimet probabilitatem,
qnod error aliquis nondum cognitus iaceat inter limites a et b . . .
„Si omnes errorum causae simplices ita sunt comparatae, ut nulla adsit
ratio, cur errorum aequalium sed signis oppositis affectorum, alter facilius pro^
dacatur quam alter, hoc etiam respectu erroris totalis valebit, sive erit <p (— x)
= <px, et proin necessario k ==J__0d 9X d* = o- Hinc colligimus, qootiei
k non evanescat sed e. g. sit quantilas positiva, necessario adesse debere unam
aJteramve errorum caussaiu, quae vel errores positivos tantum producere pos-
sit, vel certe positivos facilius quam negativos. Haecce quantitas k, quae re-
vera est medium omnium errorum possibilium, seu valor medius ipsius x,
commode dici potest erroris pars constans u
„Integrale J ^xx<pxdx (seu valor medius quadrati x x) aptissimum
videtur ad incerlitudincm observationum in genere definiendam et dimetiendam"
ita ut e duobus observationum systematibus, quae quo ad errorum facilitatem inter
se differunt, eae praecisione praestare censeantur, in quibus integrale
X4-oo
x x ; v dx valorem minorem obtinet. Quodsi quis hanc rationem
— OD
pro arbitrio, nulla cogente necessitate, cleclum esse objiciat, lubenter assen-
tiemur. — Quippe quaestio haec per rci naturam aliquit vagi implicat, quod limi-
tibus circnmscrlbi nisi per prineipium aliquatonus arbitrarium nequit...."
„111. La place simili quidem modo rem consideravit, sed errorem ipsum
Semper positive aeeeptum tarn quam iacturae mensuram adoptavit. At ni fal-
limnr haecce ratio saltem non minus arbitraria est quam nostra; utrum enim
error duplex aeque tolerabilis putetur quam simplex bis repelitus, an aegriuj,
et proin utrum magis conveniat, errori duplici momentum duplex tantum, an
maius tribuere, quaestio est neque per se clara, neque demonstrationibus ma-
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ihcmaticis dccidenda, sed libero tanlum arbilrio remittenda. Praelerea negari
non |»o lest isla ralionc conlinuilatein laedi; et propter hanc ipsam caussam n»o-
dus ille tractalioni analylicae magis refragalur* dum ea, ad quae principium
nostrum perdueit, mira tum simplicilale tum generalitate coromendantur.«
cabimns crrorem medium metuendum sive simplicitcr c r r o r c m medium
observationum, quarum errores indefinit! x haben! probabiülatem relativam cp (x).
Denominationen! illam non ad Observation« immediates limitabimus , sed cliam
ad determinationes qualescunquc ex observationibus derivatas extendemus. Probe
autem cavendum est, nc error medius cum medio arithmetiro omnium errorum
confundatur." —
„In Theoria motus corporum coe1e9tium ostendimus, quomodo
valores incognitarum maxime probabilcs eruendi sunt, si lex probabilitatis
errorum observationum cognita sit; et qtium haec lex natura sua m omnibus
fere casibus hypothetica mancat, theoriam illam ad legem maxime probabi-
lem applieavimus, ubi probabilitas erroris x quantitali exponentiali e — hh « pro-
portionalis supponitur Poslea III. La place rem alio modo agressus,
idem principium omuibus aliis ctiamnum praeferendum esse doeuit , quaecun-
(jue fuerit lex probabilitatis errorum, si modo observationum multitudo sit per-
magna. At pro multitudine observationum modica, res iulacta mau sit,
ita ut si lex noslra hypothetica respuatur, mclhodus quadratoruro minimorum eo
tantum nomine prae aliis commendabilis habeuda sit, quod calculorum concinni-
tati maxime est adoptata. — Geometiis ilaquc gratum forc sperauius, si in bac
nova argumenti tractationi doeucrimns, m et he dum quadratorum mini-
morum exhibere combinationem ex omnibus optimam, non quidem proxtroe,
sed absolute, quaecunque fuerit lex probabilitatis errorum, quaecunque
observationum multitudo, si modo nolionem erroris rnedii non ad inen lern
IU Laplace, sed ita ut a nobis factum est stabiliamns.u
„Ceterum expressis verbis praemonefe convenit, in omnibus disquisitioni-
bus sequentibus tantummodo de erroribus irrcgularibus atque a parte con-
atanta liberis sermonem rssc, quum proprie ad perfectant artein observandi
pertineat omnes errorum constantium cassas sumuio studio amovere. Quae-
nam vero subsidia calculator tales observationes tractare suseipiens, quas ab
erroribus conslantibus non liberas esse justa suspicio adest, cx ipso calculo pro-
babiliu n petere poaail, disquisitioni peculiari alia occasione promulgandac re-
servamu«.' —
Gehen wir nun zu Bessel's Arbeit über.
Besse 1 sagt: Um in allen Füllen anwendbare Vorschriften zur Be-
nutzung einer Beobachtungsreihe zu erhalten, habe Gauss in seiner anfäng-
lichen Darstellung der Methode der kleinsten Quadrate die Annahme
verfolgt: dass das arithmethische Mittel aus einer Anzahl gleichartiger
Beobachtungen derselben Grösse ihre wahrscheinlichste Bestimmung sei.
Er habe gezeigt, dass diese Annahme gleich bedeutend ist mit der Bedingung:
dass auch in dem allgemeinen Falle, in welchem die betrachtete Grösse
»ach einem gegebenen Gesetze verän der lieh ist, die Summe der Quadrate
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der übrig bleibenden Unterschiede zwischen den Beobachtungen und der darauf
gegründeten Theorie den möglichst kleinen Werth erhält; ferner, da» die
eine wie die andere ein bestimmte« Gesetz der Wahrscheinlichkeit der Fehler,
nämlich:
fordert, wo mm = 1 xz <p x d x ist. — Wenn kein Grund vorhanden sei, in dem
speciellen Falle die Annahme des arithmetischen Mittels zurückzuwei-
sen, so sei also auch keiner vorbanden, in dem allgemeinen Falle von der
Metbode der kleinsten Quadrate abzuweichen; allein dieser Mangel
eines Widerspruchs gegen das eine oder das andere sei kein Beweis
des Stattfindens der Gleichung (a), und man müsse sich nothwendig von
ihrer Anwendbarkeit auf eine gegebene Beobacbtungsreihe überzeugen, ehe man
geneigt sein könne, der darauf gegründeten Berechnung des wahrschein-
lichen Fehlers, sowohl der Beobachtungen selbst, als ihrer Resultate irgend
ein Gewicht beizulegen (?!). -
Da aber nicht bezweifelt werden könne, dass die Funktion cpx von der
Art der Beobachtungen, auf welche sie angewandt werden soll, abhängig sei,
und man im Allgemeinen den entsprechenden wahren Ausdruck derselben nicht
kenne; so müsse die Auflösung der Aufgabe: aus vorhandenen Beobachtungen
einer Erscheinung, deren mathematische Theorie gegeben ist, die besten Resul-
tate zu ziehen, auf die Betrachtung einer willkürlich bleibenden Function
cx gegründet werden. — Diesem Gesichtspunkte seien Laplace, Gauss und
Poisson gefolgt, wogegen er eine andere Ansicht verfolgen werde, wobei er
die Entstehungsart der Fehler aus ihren Ursachen (?) zum Grunde legen
wolle. — Wenn man zunächst die Fehler einer gewissen Beobachtungsart als
aus einer, auf geg e ben e Art wirkenden Ursache hervorgehend betrachte,
so werde ihre jedesmalige Grösse x eine gegebene Function F £ eines Argu-
ments £, welches in derselben Art willkürlich sei, wie das Fallen eines Wür-
fels. Aus x = F. £ könne aber <p x abgeleitet werden, so dass man aus der be-
trachteten Beobacbtungsreihe alle Folgerungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung
gemäss zu ziehen im Stande sei. —
Bossel wendet diese Bemerkung auf ein paar Beispiele an, um zu zei-
gen: dass Fälle vorkommen können, in welchen es ein Interesse habe, die ge-
wöhnliche Voraussetzung der Willkür der Funktion f x zu verlassen. — Ge-
wöhnlich seien diese Fälle jedoch nicht, indem man meistens über die Function
F.£ ebenso zweifelhaft sei, als über f I. — In der Wirklichkeit sei es auch
selten erlaubt: die Fehler einer Ursache zuzuschreiben; vielmehr werden im
Allgemeinen mehrere, meistens viele von einander unabhängige Ursachen
zusammenwirken, und er sei dadurch zu dem merkwürdigen Resultate gelangt:
dass viele von einander unabhängige Feblerursachen von gleicher Ordnung
(d. h. von welchen keine die übrigen an Intensität beträchtlich überwiegt) durch
ihr Zusammenwirken Fehler hervorbringen, deren Wahrscheinlichkeit naheruogs-
weise dieselbe ist, welche durch die Annahme des arithmetischen Mittels, .
oder durch die Bedingung der kleinsten Quadrate gefordert wird. —
1 iL
M= — >_.e 2mm, (a)
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472 Karze Anzeigen.
Zunächst sucht Beuel die Wahrscheinlichkeit cx dx, dass cid Beo-
bachtungsfehler »wischen x und x-f- dx falle, wenn er auf gegebene Art
von einer Ursache £ abhängt, für welche jeder »wischen xwei Grenzen
— a, + a liegende Werth gleichmöglich ist (?). Die zu x und x -fc dx ge-
hörigen Werthe der Ursache (?) seien £ und £ + d£, ferner x=F.£, also
dx = dF. £; so ist die gesuchte Wahrscheinlichkeit einerseits = <p x dx, und
andererseits = -iA, weil nach der Yoraussctrung jeder Werth von £ »wischen
2 a
— a und +a gleichmöglich sein soll. —
Man hat also:
und wenn man für dx seinen Ausdruck d F. £ setzt:
*X = 2adfl% W
woraus £ durch die Gleichung x = F. £ weggeschafft werden kann. — Ferner
findet man leicht für das Quadrat ties mittleren Bcobachtungsfehlers:
mm
= fy xxfx ax=Lj^+" (». 0*4 Ii CS")
wo 4- a SS -f. F. a gesetzt ist ; und der wahrscheinliche Beobachtungsfeh-
ler mk ergibt sich aus der Gleichung:
oder wenn man £ einführt, und voraussetzt: dass Tür £ = o auch x=ro und
F. ( — 4} = — F. £ ist, aus der Gleichung:
woraus sich K ergibt, und alsdann ist:
mk = FK.
B es sei erläutert das Vorstehende zunächst durch die Annahme:
x = a sin £,
indem für £ jeder Werth gleichmöglich sein soll oder a = * « ist. Aus
(1) u. (2) folgt leicht:
mm = J aa,
und am (3): sin £ d £ = |f ilC sin £ d $,
also: 1— cosK=j,
K = 60°, und mk = asin 60° =^£^
für eine Grösse p durch Beobachtung die Werthe h, h', h",
. . . b0>) erhalten, so hat man nach dieser Theorie zur Bestimmung des wahr*
scheinlichsten Werthe» derselben die Gleichung:
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während man nach der Theorie der kleinsten Qndrate hat:
0 = b- p + h'-p + ....+ h(n)-p. C5)
Ferner verhält sich nach B e l s e Ts Theorie der mittlere Fehler zu dem wahr-
scheinlichen wie t:k = l: /Ssis 1,732 nnd nach der Theorie der
kleinsten Quadrate wie 1: 0,6745.
Das vorhergehende Beispiel entspricht dem Falle, wo mit einem Kreise
von bekannter Ex centricität und einfacher Ablesung ein Winkel gemes-
sen werden soll, indem man von beliebigen nicht gegebenen 1'uncten der Kreis-
theilung ausgeht, und der Kreis übrigens fehlerfrei ist und fehlerfrei angewandt
wird. Oder wenn mit einer Mikrometerschraube, welche sich innerhalb einer
ganzen Drehung nicht den Angaben der Trommel peoportional fortbewegt, aber
in verschiedenen Drehungen wiederkehrende, dem Sinus des von einem gewis-
sen Anfangspuucte an gezählten Drehungswinkcls proportionale Ungleichheiten
zeigt, der Unterschied zweier Längen gemessen werden soll. —
Bcssel bemerkt hierauf: dass der aus (4) abgeleitete Werth von p de-
sto weniger von dem aus (5) abgeleiteten arithmetischen Mittel abweicht,
je grösser n sei, folge aus der von Laplace gefundenen allgemeinen Eigen-
schaft, wonach die Bestimmung von p desto freier von <px wird, je grösser
n üt - und lasse sich auch in dem vorliegenden Falle leicht nachweisen. —
Wenn man von der Ursache der verschiedenen beobachteten Werthe von p
nichts wisse, so sei kein Grund vorbanden, welcher sich der Auwendung
des arithmetischen Mittels, oder allgemeiner, der Methode der klein-
sten Quadrate, auch in diesem Falle widersetze — man erhalle aber da-
durch nicht den wahrscheinlichsten Werth von p, und eine viel zu
kleine Bestimmung des wahrscheinlichen Fehlers (welcher 2,568 mal grösser
Ebenso behandelt Bcssel den Fall, wo:
ist, und fugt hinzu: dass in diesen zwei Beispielen das Wahrscheinlichkeitsge-
setz der Fehler von dem durch (a) ausgedrückten beträchtlich verschie-
den sei; in dem ersten Beispiele seien sogar die sich den Grenzen nähernden
Fehler weit wahrscheinlicheres die kleinen, wns in vielen und vermut-
lich auch häufig vorkommenden Fallen stattfinde! — Wenn jeder Fehler aus einer
einzigen Ursache entstände, so soll nach Bossels Meinung kein Grund vor-
handen sein: zu erwarten, das* die Abnahme der Anzahl der Fehler sich
mit der Zunahme ihrer Grösse verbunden zeigen werde?! — und jeder
Versuch, das der Methode der kleinsten Quadrate zum Grunde liegende
Gesetz (a) allgemein als das wirklich vorkommende zu erkennen,
nothwendig vergebens seiu müsse, da die betrachteten Beispiele zeigen: dass
Bedingungen, welche nicht blos mathematisch möglich sind, sondern auch praktisch
erfüllt werden können, auf davon ganz verschiedene Gesetze führen können (? — ).
Hierauf untersucht Bessel Fälle, wo 2, 3 und mehrere von einander
unabhängige Ursachen die Beobachtungsfehler in Verbindung bewirken, wobei
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er der Einfachheit wegen annimmt: dass jede dieser Ursachen so wirkt: dass
sie positiven und negativen Fehlern von gleicher Grösse gleiche
Wahrscheinlichkeit giht. (Ist das wohl etwns anderes, als das Princip des arith-
metischen Mittels?—) Die Rechnangen gestalten sich aber schon bei 3
Ursachen so, dass Bossel selbst gesteht: der Fortgang auf diesem Wege führe
in abschreckende Weitläufigkeit und könne kein eine Uehersicht ge-
währendes Resultat geben. — Dcsshalb beschränkt er sich auf die Betrachtung
der beiden besondern Fälle: 1) wo die Fchlerursachen alle das Gesetz (a) be-
folgen, und 2) wo die eimelnen zusammenwirkenden Fehlernrsachen ihren Wir-
kungen von gleicher Grösse gleiche, übrigens aber einem beliebigen Ge-
setze folgende Wahrscheinlichkeiten geben. — Dass im letzten Falle die Summe
aller Wirkungen x -f-v+*-f = n werde, wo n den Total fehler be-
deutet, sei offenbar genau so wahrscheinlich, als dass die Summe der Fehler
von ebenso vielen Beobachtungen als Fchlerursachen vorhanden sind, =m werde. Die
Aufgabe <pn zu bestimmen, sei also in diesem Falle von der von La place ge-
lösten Aufgnbo: die Summe der Fehler einer Anzahl gleichartiger Beobach-
tungen zu finden, nicht verschieden — und sie führe ebenso wie diese, zu dem
merkwürdigen Resultate: dass eine Anzahl von einander unabhängiger, nach
einem beliebigen, aber demselben Gesetze wirkender Fehlerursachen den
Ausdruck von <pn der Form:
1 -~-
desto mehr nähert, je grösser sie ist. —
Endlich bemerkt Bessel: dass Fülle, in welchen nicht viele von ei-
nander unabhängige Ursachen zusammenwirken, um einen Beobachtongsfebler sn
erzeugen, wahrscheinlich sehr selten sind , und dass selbst bei sehr einfach er-
scheinenden Beobochtungsarten oft zahlreiche Ursachen ihrer Fehler nachgewie-
sen werden können. — So zählt er bei der Beobachtung der Zenitb- oder Pol-
distanz eines Fixsterns vermittelst eines R eichenbach'scheu Meridiankreises
13 solcher Fehlcrursachen auf — und zum Schluss sucht er seine Hypothese:
dass unter den aus den einzelnen Ursachen hervorgehenden mittlem Feh-
lern keiner die übrigen beträchtlich übertrifft, aus der gleich-
förmigen Genauigkeit der verschiedenen Theile eines guten Apparates und
dessen gleichförmigen Behandlung zu rechtfertigen (?). Bessel bemerkt
nochmals: dass seiue beiden Hypothesen nicht ohne Ausnahmen zulässig seien,
da er selbst ein Beispiel (das erste) angeführt habe, wo sie nicht stattfanden,
weil die eine Fehlerursache die übrigen an Intensität überlroffen habe (?) —
Aus dem Vorhergehenden geht klar hervor: dass es Bossel gar nicht
in den Sinn gekommen ist, zu behaupten: dass sich in der G auss' sehen Theo-
rie der kleinsten Quadrate eine Lücke (?) beGnde — wie Hr. Will-
st ein behauptet. — Bessel will nur einen andern Weg einschlagen, oder
eine andere Ansicht verfolgen, wobei er die Entstehung der Beobaca-
lungsfehler aus ihren Ursachen zum Grunde legen will! — Genau besehen,
bat diese ganse Untersuchung B es s c I 's eigentlich mitder Methode der kl e ta-
sten Quadrate, soweit sie bis jetzt von ihrem Erfinder entwickelt ist, gar nichts
tu thun — da sich letztere nach Gauss 's ausdrücklicher Bemerkung (f. oben)
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47$
lediglich mit zufälligen Beobachtungsfehlern beschäftigt — während die von
Besscl betrachteten Beispiele offenbar regelmässige oder constante Feh-
lerquellen enthalten, für welche natürlich das Wahrscheinlichkeitsgeietz der
Fehler ein ganz anderes sein muss, als das durch (a) ausgedrückte, weil die
regelmässigen oder constanlcn Fehlerquellen zuletzt über die unregel-
mässig en oder zufälligen das Ue berge wicht bekommen. — Die Be-
obachtungen selbst lehren, ob die bei der Gauss'schen Theorie der kleinsten
Quadrate gemachten Voraussetzungen in einem besondern Fnlle stattfinden, oder
nicht — d. h. ob man es bloss mit zu fall igen (unregelmössigen) Beobachtungs-
fehlern zu tbun hat, oder such regelmässige (constantc) Fehlerursachen mit-
gewirkt haben. — Die Bessel'sche Theorie beschäftigt sich also mit den Con-
sta nie n Beobachtungsfeblern, und es kann dcsshalb eine spceicllere Kritik der-
selben hier, wo es sich Mos um zufällige Beobachtungsfehler handelt, füglich
wegfallen — umsomehr, da aus dem Mitgeteilten hervorgeht, auf welchen
Hypothesen sie beruht und zu welchen Resultaten sie führt. Waa die
neueste Gau ss* sehe Theorie der kleinsten Quadrate leistet und leisten soll, geht
aus den weiter oben mitgethciltcn eigenen Worten von Gnuss zur Genüge hervor.
Was endlich die weitere Darstellung des Herrn Wittstein betrifft, so
ist sie, abgesehen von der vermeintlichen Begründung der Methode der klein-
sten Quadrate — recht nett, klar und concis; jedoch glauben wir, dass er für
seinen Zweck noch besser gethan hätte, wenn er statt der theoretischen
Deduktionen mehr die praktische Handhabuug der fraglichen Methode
berücksichtigt hätte — etwa in der Weise, wie sie Gerling in seinen Aus-
gleichungsrechnungen gegeben hat.
Schul* von Strassnitiki (Prof. der Mathematik an dem polytechnischen Institute zu
Wien). Handbuch der Geometrie für Praktiker. Witn , Verlag von Carl
Gerold. 1850.
Der Zweck dieses Werkes wird schon durch den Titel hinreichend an-
gezeigt und der Verf. bemerkt in dem Vorworte: „Da der Fortschritt der Zeit
grossere Anforderungen an die Praktiker macht, so sucht das vorliegende Buch
den gesteigerten Bedürfnissen der Neuzeit Genüge zu leisten und enthält daher
Mehreres, welches in den Elementarwerken über Geometrie nicht vorzukommen
pflegt4*. Dass dieses wirklich der Fall ist, erhellet aus der folgenden kurzen An-
gabe de« Inhaltes:
Erster Theil: Die Lehre von den ebenen Gebilden. Gerade
Linie, Winkel, Parallellinien, Dreiecke (Eigenschaften und Gleichheit derselben),
Aehnlichkeit der Dieiecke, Anwendung der Lehre von der Aehnlichkeit, Trans-
versalen, harmonische Theilung, Vier- und Vielecke, Fläeheninhält, Kreis an
Sich und in Bezug auf regelmässige Vielecke, Conslruktionsnufgaben , Aufga-
ben über Proportionalität, Verwandlung der Figuren, Theilung der Figuren,
Appollonische Aufgaben, ebene Trigonometrie, Anwendung derselben auf Drei-
ecke, Vielecke und den Kreis; Kegelschnitte, krumme Linien höhrer Ordnungen,
transcendente Curven.
Zweiler Theil: Die Lehre von den räumlichen Gebilden*
Gerade Linien und Ebenen im Räume, Projektionen, sphärische Trigonometrie
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(ziemlich ausführlich), Prismen und Cylinder, Pyramiden nnd Kegel, Kugel und
andere Rotationskörper, Polyeder.
Der Vortrag dos Verf.'s ist klnr und ausführlich, mit sehr vielen Zahlen-
beispielen erläutert. Slrengwissenschaflliche geometrische Feinheiten darf man
freilich hier nicht suchen.
Pfriem er, E. 1909 theoretische und praktische Aufgaben über ebene Geometrie,
ebene Trigonometrie, Kegelschnitte, Stereometrie und sphärische Trigonometrie
Zu Schulz v. Strassnitzki' s Handbuch der Geometrie für Praktiker.
Wien, 1850. Verlag von Karl Gerold.
Diese Sammlung enthalt nur Aufgaben aber die allertrivialsten geome-
trischen Lehren, kann jedoch, wenn die Resultate correct sind, beim ersten
Unterrichte immerbin benutzt werden. Eigentümliches bietet sie gar nicht dar.
Rogner, J. (Prof. an der steierm. stand. Realschule des Joanne ums zu Gr atz).
Sammlung ton Aufgaben aus der Arithmetik und Algebra. Wien, 1850.
Verlag von Karl Gerold.
Der sehr bescheidene Verfasser will selbst sein vorliegendes Erstlings-
Werk „den ähnlichen vortrefflichen Werken der Neuzeit nicht zur Seite stellen,
ist aber der Meinung, dass an Aufgaben und Beispielen für den Lehrer
und Lernenden der Mathematik nicht leicht ein Ueberfluss entstehen könne.*1 —
Diesem Urlheile kann man nur beistimmen — nnd wir fögen hinzu: dass die
in Rede stehende Aufgabensammlung bei dem Unterrichte der ersten Anfan-
ger sehr wohl mit Yortheil benutzt werden kann. Dr. Schmisc.
Handbuch des im Königreiche Würtemberg geltenden Privatrechts. Von Dr. Karl
Georg v. Wächter , Kanzler der Universität Tübingen u. s. W. 2. Bd.
Allgemeine Lehre. 1. 2. und 3. Abtheil. 8. Stuttgart, Metzler. 1896. 1851.
Je entschiedener in neuerer Zeit der Werth einer wissenschaftlichen Be-
arbeitung der Partikularrechle Deutschlands anerkannt wird, im so wichtiger
ist es, die Yorfragc festzustellen, in welchem Umfange die subsidiären Rechte
in den Kreis der ganzen Darstellung gezogen werden sollen. Abgesehen von
aolchen Werken, die allein eine an sich brauchbare Stoffsammlung darbieten,
wollen viele Schriftsteller der deutschen Partikularrechte eine Entwicklung der
fremden Rechte nur insoweit geben, als sie eingreifen. Allein ein derartiger Ver-
such ist schon desshalb ganz verwerflich, weil die geschichtlichen Stoffe ge-
wöhnlich bloss als tatsächliches Material zusammengefssst werden, und weil
die Verbindung solcher Elemente zu einem System einen innern organischen Zu-
sammenhang voraussetzt, welcher bei diesen verschiedenen, in der Regel nicht
gleichmassig und höchst äusserlich erörterten Rechten geradezu mangelt. Viel-
mehr muss der Autor die Eigeuthümlichkeit der römischen, deutschen nnd ein-
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477
heimischen Rechte genau umfasst haben, er muss die Charakterzüge derselben
in jedem Institut , ihre leitenden Principien in jedem einzelnen Gesetz erkennen,
vor Allem muss er die Verbindung all dieser Sülze und Institute in ihrer Wir-
kung zur Klarheit gebracht haben. Es ist demnach mit Recht bereits von ver-
schiedenen Seiten her als ein originaler Vorzug des Wae hier* sehen Werks
betrachtet worden, dass hierin der Inhalt der fremden Quellen, besonders der
des römischen und deutschen Rechts, soweit er einen Bestandteil des in Wür-
temberg geltenden Rechts bildet, ebenso wie das einheimische Recht selbst dar-
gestellt wird in seinem genauen Detail, und dass der Geist und das Grandwesen
der einzelnen Rechtsinstitute klar erfasst und zu einem anschaulichen organischen
Ganzen gestaltet wird. — Durch diese Gcsammtdarstellung des einheimischen,
gleichwie des fremden subsidiären Rechts hat v. Wächter für die Behandlung
der Partikularrechtc überhaupt eine neue Bahn gebrochen , er hat der wissen-
schaftlichen Bearbeitung derselben durch Fortbildung und Ergänzung der un-
mittelbar geltenden Rechtsverhältnisse eine neue geistige Erhebung eröffnet. —
Dieser trefflichen organischen Entwicklung entspricht nicht minder die äussern
Darstellung. Mit vieler Schärfe und Feinheit des Gedankens verbindet der Verf.
Klarheit und Gewandtheit, es ist ihm in einem hohen Grade gelungen, überall
das Bedeutende und Wesentliche plastisch , gross , in edler Einfachheit und le-
bendiger Frische hinzustellen.
In der jetzt vorliegenden dritten Abtheilung des zweiten Randes werden
die Entstehung und der Untergang der Frivatrcchte und Privatrechtsverhältnisse
entwickelt und damit die allgemeinen Lehren abgeschlossen. Allein bevor wir
auf die Erörterung des materiellen Inhalts dieser Abiheilung übergehen, scheint
es zweckmässig zu seyn , eine Inhaltsübersicht über den ganzen zweiten Band
vorauszuschicken, dessen detaillirte Mittheilung über das System des Verf.'s und
ober die Reichhaltigkeit des verarbeiteten Materials eine nähere Auskunft ge-
währt. Während nämlich der erste, 1146 Seiten umfassende, Band eine wfir*
tembergische Rechtsgescbichte von einem Umfang und einer Tiefe enthält, wie
sie wohl schwerlich je dem Handbuche eines Parlikularrechts zu Theil gewor-
den ist, während hierin nicht allein eine ausführliche Darstellung über die be-
treffenden Quellen, sondern auch eine Geschichte der wissenschaftlichen Bear-
beitung, dcssgleichen der Einwirkung der Gerichte und des Gewohnheitsrechts
auf die Fortbildung des Rechts vorangestellt worden ist, soll in den übrigen
vier Banden das geltende Recht vom praktischen Standpunkte aus folgen. So
werden daher die allgemeinen Lehren in dem vorliegenden zweiten Bande ab-
gehandelt, dessen übersichtlicher Inhalt nun folgender ist: Erste Abtheilung.
Dieselbe zerfallt in sechs Kapitel, deren erstes sich auf die Natur des Privat-
rechts bezieht. Hierin wird im Einzelnen der allgemeine Charakter des Pri-
vatrechts erörtert; das Princip der Autonomie, gebietendes und ergänzendes
Recht, gemeines und partikulares, generelles und speciellcs, regelmässiges und
singulfires Privatrechl, Privilegium. — Das zweite Kapitel betrifft die einzelnen
Entstehungsgründe des Privatrechts und ihr Verhältniss zu einander. Hierin
Wird die geltende Theorie näher dargestellt und untersucht, welche Entstehungs-
arten des Rechts überhaupt zur Zeit ezistiren, unter welchen Bedingungen und
Grundsätzen sie stehen, welches ihr Verhältniss zu einander sey und nach wel-
chen Grundsätzen «ich ihre Anwendung bestimme. Demnach werden hier ab-
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478 Kurze Anzeigen.
gebändelt: Gesetz im engeren Sinne, nnd zwar BegTifT und Erfordernisse des
Gesetzes; die Verordnungen; der Anfangspunkt der Gültigkeit und Wirksamkeit
des Gesetzes; die ßeurtheilung der Gültigkeit der Gesetze und Verordnungen
durch den Richter; die vor der Verfassungsurktinde erlassenen Anordnungen der
Staatsgewalt und die Anwendung des Unterschieds zwischen Gesetz und Ver-
ordnung auf dieselbe. Hieran reihen sich Ausführungen des Vcrf.'s über Ge-
wohnheitsrecht, Gerichtsgebrauch, Observanz, Juristenrecht, Ober autonomwehe
Pestsetzung der Privaten, und über das Verhältnis! der Rcchtsqucllcn zu ein-
ander. — Der Bürger kann in seinen Rechtsverhältnissen nur dem positiven
Hechte unterworfen seyn. Gibt daher dasselbe über vorkommende Falle und
Fragen keine ausdrückliche Entschetdungsnorm , so muss eine solche im Geiste
und aus dem Geiste des positiven Rechts gebildet werden. So wird daher kB
dritten Kapitel die Ergänzung der Lücken der rrivRtrechtsqnellen und zwar zu-
erst die Gesetzesanalogie, dann die Rechtsanalogie (ocquilas, Billigkeit) abgehan-
delt. — Das vierte Kapitel: „Anwendung und Umfang der Anwendbarkeit des
Privatrechtsgesetzesu umfasst folgende Gegenstände: Umfang der Anwendbarkeit
überhaupt; Anwendbarkeit des Privatrechts auf den Staat (privilegia und jon
fisci); Anwendbarkeit des Privatrechtsgcactzes «uf den König; Anwendung un-
serer Privatrechtsgesetze auf Fremde und auf Verhältnisse, welche mit dem
Anstände in Beziehung stehen (Collision der Privatrechtsgesetze verschiedener
Stauten); Anwendung der Privatrechtsgesetze bei Irrt Im m und Unwissenheit des
Belheiligten; über die Befuguiss der Staatsgewalt, Ausnahmen von der Anwen-
dung der PrivalrechUgesctzc zu machen. Erthcilung von Privilegien und Dis-
pensationen. — Die Auslegung und Kritik der Privatrechtsgcsetze, und zwar die
wissenschaftliche Gesctzesauslegung und deren Grundsätze werden im fünften
Kapitel abgehandelt. Hierauf folgen die besondern Hüirsniittcl zur Auslegung
der würteuibcrgischen Gesetze, besonders die ständischen Verhandlungen; die
authentische und gewohnhcitsrcchtlicho Auslegung; zuletzt die Kritik des Tex-
tes der Gesetze. — Der blosse Nichtgebrauch eines Gesetzes, Veränderung der
Zeitumstände, dcssglcichen das Aufhören der ersten Veranlassung eines Gesetzes
entzieht demselben seine verbindliche Kraft nicht, vielmehr gilt jeder gehörig ein-
geführte Hccbtssatz so lange, als er nicht rechtsgültig aufgehoben wird. Für
die fortdauernde Gültigkeit desselben streitet daher die Vermuthung, wesswegen
bei jeder Stelle eines Gesetzes, deren Aufhebung behauptet wird, ihre Ungültig-
keit in Folge eines Erlöschungsgrundes bestimmt nachgewiesen werden muss.
So werden demnach im sechsten Kapitel „Abänderung und Aufhebung der Pri-
vatrechtsgcsetze'4, zunächst die Aufhebungsgründc näher erörtert. Hierauf folgt
die Bestimmung des Umfangs, iu welchem die Aufhebung oder Aenderung eines
Gesetzes wirkt, sodann das Verhaltniss des neuen Rechts zum aufgehobenen ;
Ausschluss der Rückwirkung neuer Gesetze: 1. Grundsatz. 2. Nähere Bestim-
mung nnd Anwendung des Grundsatzes. Ausnahmen von demselben. — Hier-
mit schliesst die erste Abtlieilung dieses Werkes ab, nnd die nunmehr folgende
zweite Abtheilung, welche „von den Privat rechten nnd den Privatrechm-
vcrbältnisseu an sich und ihrem Schulze" bandelt, wird im 7. und 8. Kapitel
mit der allgemeinen Natur der Privatrcchlsvcrhaltnisse und mit dem Subjekt
päd Gegenstand der Privatrechte eröffnet. In letzterer Hinsicht werden beson-
ders die Sachen näher hervorgehoben, nnd zwar 1) Sache; Vermögen; körper-
liche, unkörperliche Vermögensteile. 2) Bcweglicho und unbewegliche Sachen.
3) Vertretbarkeit der Sachen. 4) Zusammensetzung und Verhaltniss der Sachen
tu einander, und zwar Sarhgcsammlhcitcn, Haupt- und Nebensachen (Pertinen-
zen). 5) Die Einkünfte aus Sachen und der Aufwand auT Sachen. 6) Tbei-
lung und Thcilbarkeit der Sachen. 7) Sachen als möglicher Gegenstand des
Verkehrs (res in commercio, extra commercium ). — Das 9. Kapitel
Hauptarten der Privatrechte und Rechtsverhältnisse und ihre versebiee
nnd handelt: 1) von Personenrechten, von Vermögensrechten und zwar
dinglichen Rechten (Sachenrechten), von persönlichen Rechten (Obligattonen,
Forderungsrecblen) , und Vermögensrechten gemischter Nttnr. 2) Von höchst-
persönlichen Rechten, Roalrechten. 3. Von selbständigen Rechten (Nebeerecb-
leir). - Das 10. Kapitel stellt die Sicherung der Rechte uod den
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Kurse Anzeigen.
479
einzelner Sicherungsrai ttel auf das Rechtsverhältniss dar: Einleitung» Si-
cherheitsleistung (Tau hon); Vermehrung und Vorbehalt (Protestation, Reserva-
tion); richterliche Beschlagnahme (Arrest und Sequestration); Sicherung durch
Einträge in die öffentlichen Bücher, und zwar durch die Einträge in die Lager-
bucher und in die Protokoll!) iicher der Notare, und durch die Einträge in die
Gerichtsbücher — besondere Bedeutung der Gcrichtshöcher für Sicherung, Wäh-
rung nnd Ausdehnung der Wirksamkeit gewisser Rechte. — Die Verteidigung
und Verfolgung der Rechte wird im 11. Kapitel, und werden zunlchst die Fälle
der erlaubten Selbsthülfe betrachtet, weiche als Nothmittel und als Pfändungs-
recht vorkommen kann. Hierauf folgen die durch richterliche Hälfe vermittel-
ten Fille, in welchem Abschnitt ausser mehreren Abhandlungen, i. B. Über die
Grundlage, Begründung und Beweis der Klage, besonders die scharfsinnige Dar-
stellung der so sehr bestrittenen Lehre von dem Zusammentreffen der Klagen
die Aufmerksamkeit anf sich zieht. Ausserdem werden hier erörtert die ge-
richtliche Verteidigung (besonders die Einrede), die Bekräftigung und Unter-
stützung des Angriffs und der Vertheidigung durch Koplik, Duplik u. a. w., end-
lich der Einfluss des Processes auf das materielle Recht. — Zuletzt wird im
12. Kapitel das „Verhältnis der Rechte zu einander und der Verbindlichkeiten
bei ihrem Zusammentreffen" erörtert, und zwar 1) das Zusammentreffen in einem
Subjekte. 2) Die Theilnahme Mehrerer an einem Rechtsverhältnisse; Gemein-
schaft, Theilung und Thcilbarkeit der Rechte und Verbindlichkeiten. 3) Zusam-
mentreffen mehrerer aus verschiedenen Rechtsverhältnissen Berechtigter. — Den
Schluss des ganzen zweiten Bandes und der allgemeinen Lehren überhaupt bil-
det die jetzt vorliegende dritte Abtbeilung: „Erwerb und Verlust der Pri-
vatrechte", worin zunächst die Erfordernisse des Rechtserwerbs, dann die Ver*
schied enheil nach den Erwerbsarien, und das Rechtsverhältniss des Erwerbers,
besonders die Rechtsnachfolge betrachtet werden. Hierauf folgen die Portdauer
nnd der Verlust des Rechts, und die einzelnen Erwerb- und Verlustgründe. —
Die Thatsachen, mit denen das Recht die Wirkung der Entstehung oder des
Verlustes von Rechten verknüpft, bestimmen sich in der Regel durch die be-
sondere Natur der betreffenden Rechte. Sie bestehen theils in Handtungen des
Erwerbers oder Desjenigen, welcher verlieren oder verpflichtet werden soll,
theils in anderen von einer Handlung unabhängigen Thatsachen, welche hier in
diesem Gegensätze zufällige Ereignisse genannt werden. Die wichtigsten der
Thatsachen, welche als Entstehung*- und Erlcdigungsgründe von Rechten vor-
kommen und welche für einen grossen Thcil derselben eine allgemeine Be-
deutung haben, sind die Rechtsgeschäfte, besonders die Verträge (14. Kapitel),
die unerlaubten Handlungen (15. Kapitel) und einige zufällige Ereignisse, wie
s. B. Untergang des Gegenstandes des Rechtsverhältnisses, Tod des Subjekts des
Rechts und der Verbindlichkeit, Einmtss der Zeit anf Erwerb und Verlust von
Hechten (16. Kapitel). An diese werden angereiht die Erwerb- und Verlust-
g runde der Privilegien, welche bei den verschiedenen Rechtsverhältnissen ein-
greifen können (17. Kapitel), und die Grundsätze über Wiederherstellung ver*
forener Privatrechle, namentlich über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
(18. Kapitel).
Diess das System v. Wächter's über die nunmehr gans vollendeten all-
gemeinen Lehren, über das sich sogleich folgende Betrachtungen aufdrängen.
Zunächst sollen nach dem Entwürfe des Verf. 's die sämmtlichen Elemente, aus
welchen das partikuläre würtemhergische Recht besteht, also namentlich auch
das römische und deutsche Recht vollständig dargestellt werden. Dass dieser
umfassende Plan bis jetzt von den Schriftstellern der deutschen Partikularrechte
nicht befolgt worden ist, hat wohl seinen Grund darin, dass hiernach eine gleich-
gründliche Kenntnis* des deutschen wie römischen Rechts vorausgesetzt wird,
eine Vereinigung, wie sie nur bei sehr wenigen unserer Rechtsgelehrten sich
Mass demnach die Ausführung dieses Plans dem Verf. zum grossen Ver
angerechnet werden, nnd wird offenbar nur durch eine solche Darstel-
lung der Gesetzgeber in den Stand gesetzt, mit einem Blicke das ganze Gebäude
des im Staate geltenden Privatrechts überschauen zu können; so fragt es sieb,
ob in diesem Werk die Institute deutschrechtlichen wie römischen Ursprungs
gleichmäßig abgehandelt worden sind. Und in der Thal bietet sich hier die
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480
Kurie Anzeigen.
eigentümliche Erscheinung dar, das*, während der ganze erste Band für den
Germanisten ein reiches Feld rechlshistorischer Forschung eröffnet, der nunmehr
vollendete zweite Band mit sichtbarer Vorliebe für Institute römischen Ursprungs
ausgearbeitet worden ist. Man glaubt in vielen Lehren einen selbständigen Cur-
aus des Pandektenrechts zu besitzen. Ist demnach gerade dieser Band für die
Civilisten von besonderem Interesse, so entsteht die fernere, weit schwierigere,
Frage, in welchem Umfange v. Wächter, um seinen Plan consequent und ohne
Gefährdung der Klarheit und Bestimmtheit durchzuführen, das römische Recht
dargestellt habe. Gewiss ist, dass dieser Theil der Arbeit nicht leicht war, weil
das Unternehmen so ganz neu ist, dass der Verf. nicht einmal die Versuche frü-
herer Vorgänger benutzen konnte- Ucberraschend aber ist in der Thal die Si-
cherheit und der richtige Takt, womit wir ihn diese Aufgabe lösen sehen. Vor
Allem wird in den Text nur die dogmatische Darstellung der Lehren selbst auf-
genommen, mit gänzlicher Ausscheidung der unpraktischen Falle des älteren rö-
mischen Rechts. Hierüber wird gewöhnlich in den Anmerkungen eine nähere
Nachweisung gegeben , wie z. B. S. 455 in der Lehre von der Klagenkonkur-
renz. Ferner werden gemeinrechtliche Streitfragen, mit Angabe der verschie-
denen Ansichten der Civilisten, dann nur kurz berührt, wenn sie von dem ein-
heimischen Recht auf das Bestimmteste bereits entschieden worden sind, i. B.
Uber die Rückwirkung der Resolutivbedingungen S. 714, über die stärkere Wir-
kung der Schuldenverjuhrung S. 818 ff. Dasselbe gilt von solchen Controversen
des gemeinen Rechts, deren detaillirtc Darstellung das Ebeninass stören würde,
wie s. B. die über den error in matcria S. 748 u. s. w.
Endlich braucht bei einem Werke, das vorzugsweise eine praktische Ten-
denz hat, wohl kaum bemerkt zu werden, dass der Verf. in allen Lehren, in
welchen das neuere «institutionelle Recht, oder ein entschiedenes deutsches Ge-
wohnheitsrecht einen Fortschritt gemacht hat, durch eine innere Ausbildung der
practischen Rechtsbegriffe , und durch eine analoge Anwendung und Erweite-
rung derselben auf verwandte Falle das Recht mit den Anforderungen und Be-
dürfnissen der Gegenwart zu vermitteln gesucht hat. Alan vergleiche hierüber
z. B. die Abhandlungen über die Gültigkeit und Wirksamkeit der Gesetze und
Verordnungen, über die Kritik des Textes der Gesetze, und im verwandten Sinn
die wichtige Lehre von der Stellvertretung, S. 24. 154 und 675 ff. — Eine
zweite allgemeine Betrachtung, die hier nngeslellt werden muss, betrifft das von
dem Verf. zum Grunde gelegte System. Wahrend von Manchen des System
gegründet wird auf die subjective Grundlage der Rechte, deren Verschieden-
heiten nach ihrem Gegenstande die llauplglicderungen desselben bilden, fasst
v. Wächter das System nicht als ein System des Privatrechts, sondern der Pri-
vatrechte auf. Dns Recht besteht hiernach zunächst in den Rechtsverhältnissen
'' und die Rechte gehören nur zu dem Inhalte derselben. Die Hauptglicderungea
des Systems liegen daher in den Gegenständen der Rechtsverhältnisse, die Un-
terglieder in den in diesen enthaltenen specielleren Verhältnissen. Die Wahr-
heit dieses objectiven Systems tritt um so klarer hervor, wenu man das Pri-
vatrecht nicht isolirt, sondern als einen Theil der gesammten, in öffentliches und
Privatrecht zerfallenden Rechtsordnung betrachtet Die Gliederung nach den
Verhältnissen erscheint dann als eine wesentliche Bedingung der Einheit des
ganzen Rechtssystems. — Endlich darf nicht unbeachtet bleiben, dass das vor-
liegende Werk in demselben Masse, in welchem es sich durch Geist, Scharfsinn
und durch eine praktische Auffassung auszeichnet, auch vollständige literarische
IN ach Wehningen enthält.
Sollen wir noch ein Schlusswort hinzufügen über die Kunst des Verfas-
sers, mit der er die verschiedenen Elemente zu einem cinbeitsvollen Ganzen zu
• verbinden gewusst hat, so gleicht er einem sinnreichen Baumeister, dessen ord-
nender Geist die auf bisher wenig bebautem Felde zerstreut liegenden Bausteine
zusammenzufügen verstand, so dass unter seiner Hand ein wohlgeordnetes Ge-
bäude von vorher nicht geahntem Ebenmasse emporsteigt.
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HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER
DER
LITERATUR.
Vier und vierzigster Jahrgang.
Zweite Hälfte.
Juli bis December.
Heideibers.
Akademische Verlagahand lang tob J. C. B. Mohr.
1851.
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Nr. 31.
HEIDELBERGER
1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
1 iJTiTnTf * ■ ■
Das leben des Feldmarschalls Grafen York ton Wartenburg, ton Job.
Gust. Drogsen. Erster Band. Berlin, 185t. Bei Veit. VUl und
554 Seiten 8.
„Aber so ist estt, sogt Friedrich der Grosse, „den mensch*
liehen Dingen besebieden, doss überall die Unvollkommenheit in ihnen her-
vortritt. Es ist Loos der Menschheit, sich mit dem Mangelhaften tu be-
gnügen. Was geht denn aus diesem Kriege hervor, welcher ganz Europa
in Bewegung setzen wollte? Dass einstweilen Deutschland wider die kai-
serliche Gewaltherrschall gesichert ist, dass der Kaiser (Joseph II) eine
Art Demüthigung erlitt, und herausgab, was er genommen hatte. Aber
welche Wirkungen wird dieser Krieg für die Zukunft hervorbringen? Wird
der Kaiser fortan vorsichtiger werden? Wird Jeder sein Feld mit Rnhe
bestellen können? Wird der Friede gesichert bleiben? ■ — Wir können
auf diese Fragen nur als Zweifler (Skeptiker) antworten. Gegenüber der
Zukunft liegt jedes Ereigniss in der Möglichkeit der Dinge. Unsere Au-
gen sind zu beschränkt, um künftige Entwicklungen durch*
dringen zu können; es bleibt uns Nichts übrig, als darin Alles der
Vorsehung oder dem Fat um anheimzustellen *, diese werden das Künf-
tige anordnen, gleichwie sie die Vergangenheit und die unendliche
Zeit einrichteten, welche verfloss, bevor die Natur uns hervorbrachte."
Diese einfachen, scharfsinnigen Worte dos grossen Königs am Schluss sei-
ner Denkwürdigkeiten über den Krieg des Jahres 1778 (Oeuvres
de Frederic le Grand. VI, 179 der neuesten Ausgabe) passen ganz auf die
zunächst abgeschlossene Vergangenheit der leutschen Angelegenheiten; sie
kehren nach fast dreijähriger, bisweilen stürmischer Unruhe, welche den
Frieden Europas zu bedrohen schien, allmäblig in das Geleise früherer Tage
zurück ; Heidelberger Notabelnversammlungim Badischen Hof, vor-
mals goldenen Ochsen, Vorparlament, Fünfzigerausschuss,
Parlament und Nachpar lainent, Kaiserverfassung und Reichs-
verweserschaf I, Interim und „mit dem Schalke hinter imu, Erfur-
ter Reichstag und Union, halber Fürstenkongress zu Berlin und
halber Bundestag zu Frankfurt, Schleswig -Ho Istein, der Fecht-
boden des wiedergebornen, in Nebel und Luft schwebelnden Reichs, durch
hunderttausende von Gut und Blut bietenden Unterschriften und eigenen
XLIV. Jahrg. 4. Doppelheft. 31
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4S2 Droyaen: Leben de« Grafen York.
Leichtsinn ins Unglück hineinadressirt nnd dann im Angesicht einer tapfern
Armee von 40000 Mann bei Nacht und Nebel, über Kopf und Hals cot-
waflnet, nach furchtbarem Kriegsgerassel zwischen der Donau und Spree
freie Dresdener Konferenzen — diese nnd verwandte Akte der ge-
waltigen Nationalbewegung treten jetzt als grossartige, Menschen und
Geld mit unermüdlicher Gier fressende Puffs hervor; der so o/t verhöhnte,
von hochweisen Staatslenkern und Volksvertretern über Bord geworfene
Bundestag, „diu modernde Leiche, der Klub in der Eschenheimer Gasseu etc.
sitzt wieder am Steuerruder; auch das konstitutionelle Neu-Preus-
sen, von seinem stets reisefertigen Gefolge begleitet, steuert trotz feier-
lich dawider eingelegter Verwahrung endlich mit Fug und Recht nach dem
alten Hafen der Sicherheit, Ruhe und Ordnung, ein Ereigniss, welches ne-
ben dem allmäligen Wiederaufbau der heiligen Allianz jedenfalls von welt-
historischen, vielleicht nicht immer glücklichen Folgen seyn wird, keinen
unbefangenen Beobachter konnte die letzte Wendung der Dinge überra-
schen; sie ist mehrmals in diesen Blattern unmassgeblich vorhergesagt,*)
und selbst dem Frankfurter Parlament in den Tagen seiner ungebrochenen
Glorie und Volkshokeit als praktischer Weg föderalistischer Reform,
natürlich fruchtlos, anempfohlen worden. „Nicht durch die Einheit eines
mehr oder weniger phantastischen Kaiserreichs44, lautete bereits im October
1048 die aus Nachdenken und Geschichte geschöpfte Ansicht, „wohl aber
durch die annäherungsweise etwa gewonnene Concentralioa eines leuischen
Hcii Iis b und es wäre auch für Preusseu gesorgt B (Jahrbücher Nr. 48.
S. 633.) „In der PauUkirche44, lautete etliche Monate später das Urtheit,
„verordnete man ein ueues Deulschkönig- nnd Kaiserscbiesaen, und erklärte
sich nach kurzer Umschau — wer sollte es glauben? — für Preussen, wel-
chem die grosse Mehrheit um Pfingsten des vorangegangenen Jahres unter
schallendem Gelächter die beantragte provisorische Ceutralge walt ab-
gesprochen hatte.44 - - Hinsichtlich der dem abgeschlagenen Kaiserthum rasch
folgenden Union wnrde neben Anderm höchst unbescheiden nnd zum Skan-
dal hiesiger und anderweitiger Wetterhähne (trimmers) bemerkt : „B a -
den hätte je wobl an der ersten Reichster fassung eine Lehre, wel-
che vor einer zweiten, vielleicht auch wieder schifTbrüchigeu warnen sollte.
'
*) Z. B. Kr. 32. 1850: „Mit Voss möchte es daher bald in Betreff des
frühem Bundes beissen:
Stillschweigend stand ich auf vom Sitze,
-*•••* Ein wohlgerog'ner Ehemann,
, Verschob aufs eine Ohr die Mütze
Und zog den alten Flausrock an.u —
i' 20. Mai.
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Droysen: Leben des Grafen York.
483
— Wer die Zeichen der Zeit einigermaßen tu deuten w«ss, dem Weiht
es wahrscheinlich, das» Preüssen wie Oeslerreich vor dem Gedanken
eines Uber kurs oder lang feindseligen D u a I i s m u s erschrecken und eben
desshalb zweckmässig in die Bahn der reformirten Bundesakte einlenken
werden" u. s. w. — Jetzt, da nach vielfachen Fehlgriffen und Irrfahrten
die alte Föderation wieder ab rechtlicher Ausgangs- und Mittelpunkt an-
erkannt ist, bleibt wohl die Aussicht auf endliche Beilegung der langen
Wirren gesichert ; man betritt den Boden der Wirklichkeit und hat ideale
•
phantastische Plane der einen und audern Art ernsthaft aufgegeben. Die
ISoth wendigkeit der B u ud es re form wird hoffentlich nichtsdestoweniger
ihre Kraft behalten, das in Dresdeu vorgeschlagene Ali n im um der Con-
centration Anerkennung linden und die Pflicht, wahrhaft demokratische
Errungenschaften, wie P r e s s f r e i h e i t, Schwurgerichte, in die schirr
naende Bundesgesetzgebung aufzunehmen, gleichen Sehritt halten mit
der Sorge für. handelspolitische materielle Interessen. Diesen
mächtigen Hebel der gegenwärtigen Menschheit, welche Tor Allem aus leben
und gewinuen will, wurde aber eine einfache, grossartige Massregel am
kräftigsten fördern, die Aufnahme liesammt-Preuasens und Ge-
sammt-Oesterreichs in den T e u t s c h e n - B u n d. Da bereits erste-
res ins tmkt massig den erwähnten Schritt gethan hat, und schwerlich ihn
zarücknehmea, oder sich March auf lächerliche Weise freiwillig ver-
kleinern wird, so steht nicht nur Oesterreich dieselbe Stellung nach
dem Gesetz des Rechts und der Bill i gk ei t zu, sondern wird ihm auch
zur Pflicht und Ehrensache. Die vorteilhaften Folgen eines so gross-
artigen, seit den schönsten Tagen des lettischen Mittelalters unerhörten
konstituirenden AJite* liegen auf der Uand; das in Frankfurt so oft aus den
Munde der unglückselige!] Kaiser muc Ii er gehörte Wort: „Macht und
wiederum Macht und noch einmal Macht! • würde zur Wahrheit, der
schon vorhandene Anfang der teulscheu Flotte bekäme einen festen Grund und
Fortschritt, das etwas trage Blut der Tcntschen würde durch den regen Völker-
verkehr und allfallige Wechselheiralhen einen frischereu Umschwung gewinnen,
der lächerliche Nationalitätshass abnehmen, mit der Zeit ganz ver-
schwinden und dem Kulturptiucip weichen, die Kleinstaaterei, ein altes
Krebsübel, zerbröckeln und zuletzt versiegeu, das ethnographisch-
aistor iscb-philologiscbe Studium, das Hauptgewicht gegen den
oberflächlichen Leichtsinn, ausserordentliche Erweiterung bekommen, yor
Allem aber Teutschland langsamen, sichern Tritts der Türkei sich
nähern und der asiatischen, von einem Tage zum andern an Gewicht
wachsenden Welt die erobernde oder schülzendo Hand reichen. Auf die
31*
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Proteste des Auslandes, namentlich Frankreichs und Englands, dürfte
und mttsste man bei dieser innern Nationalangelegeeheit kein Gewicht
legen, nötigenfalls die Waffen gebrauchen. Frankreich ist überdies«
durch die Einverleibung Algiers, die Trennung Belgiens und Hol-
lands, endlich durch seine Februarrevolution längst von Buchsta-
ben und Geist des Wiener Vertrags, welcher auf i n n e r e Organisationen
nur mittelbar zurückgreift, abgewichen, und England, gegenüber den
jonischen Inseln, in derselben Lage, dabei noch unlängst von der Makel
der griechischen Landsporre und des an dem General v. Hayn au ver-
übten Skandals behaftet, — dieses England protestirt nur aus — Brot-
neid. — Der letzte Feind wäre der sogenannte sonderbündlerische Klein-
teutsche, welcher einst im goldenen Ochsen oder Badiscben Hof un-
wissentlich die ersten Grundlinien der doktrinär-burschikosen Be-
wegung des Jahres 1848 sog und trotz des Bankerottes immer noch den
Kopf hoch tragt, höber oder niedriger, je nachdem die .Windmühlen in
Berlin gehen. Da nun aber letzteres bekanntlich mit der Gesa mm t-
monarchie dem wiederhergestellten Bunde beigetreten ist, so werden
die Herren Unionisten bei der Anwendung des gleichen Princips auf
Oesterreich verstummen oder in offenen Widerspruch mit sich selber
gerathen müssen. Der wohlfeilere Preis des Tokaier Weins und anderer
Erzeugnisse wird dabei den gutmütbigen Zorn rasch abkühlen.
Bei diesem Stand der teutsche n Angelegenheiten, welche keines-
wegs so düster wie die Zeitungen aussehen, ist es erfreulich, nach lan-
gem Stocken wiederum ein gutes Geschicbtswerk aus dem hohen, bisher
' kriegerisch - politisch bewegten Norden zu erhalten. Der Verfasser, vor
der diluvianischen Zeit bereits rühmlich bekannt durch die Geschichte Alex-
anders des Grossen uud des Hellenismus, bat sich nach den Marztagen
vielfach an den Versuchen des tbatsachlicben Geschichtemachens
betheiligt; er hat gefrankfurtert , gegothaert und geschleswig-holsteineri,
also aus dem Leben geschöpft, praktisch gelernt und dadurch allerdings
auch für die Behandlung eines schon fern liegenden Stoffs mancherlei ge-
wonnen; das bene facere und das bene dicere geht hier Hand in Hand.
Wer noch unlängst die Gedanken der konstitnirenden Nationalversammlung
belauschte und die Plane des Verfassungsratbs zu Papier brachte, der hat
auch wohl Zeug für den mürrischen, alten General v. York, welcher
am 31. Hai, am Tage der Thronbesteigung Friedrich* s II, zu Berlin
seine gebührende Festfeier und eherne Statue bekommen soll. *) Das Bach
*) Allgem. Augsb. Zeitung. Nr. 109. Berlin, den 15. April. ..Die Feier
des Geburtstages Friedrichs des Grossen am 31. Mai d. J. wird mit ganz
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Droysen: Leben dea Grafen York«. 485
bildet ein im Ganzen würdiges Seitenstück zu dem trefflieben, wenn auch
nicht, wie die Zeitungsmacher sagen, klassischen oder unbedingt mei-
sterhaften Leben des Staatsministers Stein von Perts; beide Ehren-
männer, welche einander in der Wirklichkeit oft abstiessen und dennoch
zuletzt für dasselbe edle Ziel arbeiteten, haben nach dem Tode ihrem Ver-
dienst entsprechende literarische Denkmäler erhalten ; auch wird dem gros-
sen Staatsmann mit der Zeit nicht das geziemende Standbild aus Marmor
oder Metall fehlen; denn warum sollten nicht Manner des Friedens und
Gedankens neben den Schwertträgern noch dem Vorgang der antiken Welt
auch bei den Neuem in Gusseisen prangen ? — Wie jede historische Ar-
beit, wenige vollendete Musterschriften ausgenommen, ihre starken und
schwachen Seiten hat, so treten beide auch hier hervor. Die erste,
vorteilhafte Eigenschaft zeigt sich in dem pflichtmassigen, aber schwieri-
gen Sammeln des vielfach Eerslreuten, hier und da dürftigen oder lü-
ckenhaften Stoffes. Ihn lieferten Familiennachrichten, Erzühlungen und
Berichte noch lebender oder erst jüngst verstorbener Kriegsgefährten, i. B.
Boyens, des Freiherrn v. Canitz, der Grafen v. B r a n den b urg nnd
v. Donnersmark, vor Allem die bis zum Jahre 1808 von Valen-
tini fortgeführte, handschriftlich vorhandene Biographie des Generals von
York, endlich Aufsätze, Briefe und Depeschen des letztern und seines
Geschäflskreiaes. Dergleichen Aktenstucke sind theils, und mit Recht, in
die Darstellung verwebt, theils, eilf an der Zahl, in den Beilagen nieder-
gelegt. Vieles Andere ist verloren gegangen oder bisher wenigstens nicht
aufgefunden. — Ferner hat der Verf. den häufig sehr spröden, mangel-
haften und in der Masse sich leicht verlierenden biographischen Stoff mit
geschickter Hand zu gliedern verstanden, und der anfangs untergeord-
neten Persönlichkeit seines Helden durch Einschaltungen (Digressio-
nen) stets den angemessenen Platz, ein gewisses Relief, zu bereiten
gewusst. Diess ist wahrlich bei dem oft einförmigen, schweigsamen und
geiitig wenig bewegten Soldaten neuerer Zeit nicht leicht, nnd es bedarf
mindestens einer kleinen Neigung zum Abentheuerlichen, wenn die
Tbeilnahme und Spannung sollen erhalten werden. Einen Anflug dieses,
dein neuern Wesen unbekannten, abentheuerlichen Zuges scheint wirklich
der General, wenn auch der Darstellende Begriff und Wort nicht gebraucht,
noch in reifern Jahren besessen zu haben. Das starke Selbst- und Ehr-
gefühl, welches nötigenfalls den Zweikampf als Gottesgericht wählt,
besondere Festlichkeiten verbunden seyn.B — Diess ist irrig; der König wurde
am 24. Jänner geboren; am 31. Mai bestieg er den Thron. Kleinigkeiten! —
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Droysen: Leben des Grafen York.
der edle Trotz gegen ein neidisches Schicksal, der schnelle Entschluss,
auf der Wanderschaft und im Auslande zu finden, was die Heimath ver-
weigert, die Kunst, sich leicht in der Fremde Bahn zu brechen und den-
noch stets die Sehnsucht nach Rückkehr in das soldatische Ktosterlebeo
der vaterländischen Erde, — diese und ähnliche Merkmale bezeichnen den
ritterlich-abentheuerlichen Charakter auch im achtzehnten und neunzehnten
Jahrhundert noch. So etwas ist angeboren, nicht gemacht ; es klingt selbst
in der berühmten, folgenreichen Tbat des Generals bei Tauroggen durch
nnd dient mit als erklärender Schlüssel. Solche Soldatennaloren, strenge
und doch fahrende Söhne des Mars, brachte das sechszehnte Jahrhundert
häufiger hervor, z. B. Frondsberg. Vater und Sohn, Sebastian Schärt-
lin, Herrn v. Burtenbach, und Andere: im achtzehnten Jahrhundert
traten sie meisteus gar nicht oder nur verzerrt (karrikirt) auf, z. B.
St. Germain. York bewahrte sich den bessern Theil. Die Gliederung
seines, wie gesagt, in den allgemeinen Gang der Dinge durch Digressio-
nen verflochtenen Lebens zerfallt zweckmässig in zwei Abschnitte oder
Bücher, von welchen der erste bis zur Lübecker Schlacht (1759—
1806), der zweite bis zur Convention von Tauroggen (30. Dec. 1812)
hinaufreicht, und den ersten Band schtiesst. Das erste Capitel behandelt
die Jugendjahre. Hans David Ludwig v. York, Sohn des, Familien-
naebrichten zufolge von Seiten der Vorfahren England angehörten prens-
sischen Hauptmanns David Jonathan und der Potsdamischen Handwerker-
tochter Maria Pflugin, geboren am 26. Sept. 1759 wahrscheinlich auf dem
binterpommerschen Gütchen Gutzkow (Vorwerk unweit dem gleichna-
migen Städtlein ?) , wuchs zu Königsberg, der Garnison des Vaters,
unter strenger Zucht und ohne sorgfältige Erziehung auf, trat mit dem
vollendeten zwölften Jahre als Fahnenjunker dem Luckschen Infanteriere-
giment bei, erlernte, auch hier wissenschaftlich vernachlässigt, den einsei-
tig strengen Dienst, welcher nur das Dienstreglement und das Gebetbuch
kannte, wurde, allen Militärübungen gerecht, 1777 Lieutenant, machte als
solcher (zweites Capitel) den Ba irischen Erbfolge- oder Kartoffel-
krieg, welcher wenig ansprach, mit (1778. 1779), bekam bald daranf
in Folge eines Disciplinarvergehens, Fruebt seines Trotzes, den Abschied,
trat darnach in den holländischen Dienst (1781—1785. Drittes
Capitel), wohnte der Seeschlacht von Doggers bank bei (vergl. den
ergänzenden Bericht im politischen Journal 1781. II. 177 ff.), besuchte
als Officier des Schweizerregiments Meuron die Caps ladt, focht bei
Trincomale auf Ceylon unter dem französischen Seehelden Suff reo, sei-
nem Vorbilde, wider die Englander (vergl. polil. Journal 1782. IL
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Droysen: Leben des Grafen York.
S. 550 ff. und 1783. II. S. 117 s., die ergänzenden Nachrichten), ent-
sagte, nach der Capstadt heimgekehrt, mit männlicher Selbstüberwindung
der Liebe zu einem jungen Mädchen, welches darauf der bessern Versor-
gung wegen ein reicher Kaufmann heirathete, langte 1785 wieder in Hol-
land an, vielfach durch das Leben gereift, und trat, von unüberwindlicher
Sehnsucht getrieben, nach mancherlei Schwierigkeilen wieder in den preu Ba-
sischen Kriegsdienst ein ( Cap 4), dessen wechselnde Garnisonen zu
Breslau und in Polen (1787 — 1796), Johannis bürg und Mittenwalde (1796
bis 1804) (CbP. 5— 7) gegen den blutlosen Marschauszug (1805)
(Csp. 7) und den ernsthaften, tragischen Krieg von 1806 ausgetauscht
wurden (Cap. 8 u. 9). Hier zeichnete sich zuerst York als Führer des
von ihm musterhaft eingeübten Jägerregiments bei Jeua nnd in den vom
Yerf. genau beschriebenen Gefechten bei Alten zäun, unweit der Elbe,
Wahren im Mecklenburgischen und Lübeck aus. — Das zw ei te Buch
behandelt im ersten Capitel den Tilsiter Frieden, im zweiten die
Stein 'sehen Reformen, im dritten die Vorgänge von 1809 und 1810,
im vierten die Agonien (? etwas pretiös) von 1811, im fünften
den Anfang des Feldzugs von 1812, im sechsten die Zerwürfnisse nnd
Unterhandlungen, und im siebenten die Convention von Tnuroggen.
Die dritte, vorteilhafte Seite des Buchs tritt in der meistens klaren,
reinen und einfachen Sprache hervor-, jedoch hat sie nicht immer den
gedrungenen, schlichten Ausdruck, welcher vor Allem den Denkwürdig-
keiten eines alten Soldaten geziemt; sie wird hin und wieder, nach dem
Pikanten strebend, gesucht und rhetorisch. Das ist zum Theil die natür-
liche Folge der wörtlich eingeschalteten Aktenstücke und fremdartigen,
dem Vorgänger Valentini entlehnten Schildereien, zum Theil die Frucht
absichtlichen Strebens. Dahin gehören die häufigen Fr a go n, welche bei
seltenem Gebrauch ihre Wirkung Ibun, unzeitig aufgeworfen den Leser
nicht spannen, sondern ermüden oder täuscheu. Auf der Kanzel oder
Yolkstribüne mögen dergleichen Zierathen, vom angemessenen Ton und Ge-
bärdenspiel begleitet, auch wohl im Namen des Hörers beantwortet, wir-
ken, aber in Memoiren, besonders kriegerischen, bleiben sie, oft wieder«
holt, ohne den beabsichtigten Eindruck. Diess geschieht z. B. S. 451,
wo in einem Alhemzuge fünf Fragen aufgeworfen und nicht beantwortet
werden, viele andere, ähnliche Fälle hier zu Übergehen. Derartige Bern-
langen (Appellationen) an das Schicksal und Mögliche, frageweise gestellt,
verschwimmen desshalb gewöhnlich im Allgemeinen und sind nicht gerade,
wie es seyn sollte, auf rein konkrete, gegebene, Verhältnisse berech-
net. So beisst es z. B. S. 158 von den Preussen auf dem Rückzüge
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488
Droyaen: Leben dei Grafen York.
unter Hohenlohe: „Warum hatte sich keiner mit seinen Pulverwagen
in die Luft gesprengt, warum keiner den Versuch gemacht, lieber bis auf
den Tod zu kämpfen, als ein durch Schande doch nutzloses Leben zu ret-
ten? Waren das die Folgen der „Intelligenz" , dess man die Pflichten
gegen diess sich selbst, gegen das Selbst der armseligen und eotedelten
. Existenz höher stellte, als die gegen den König und das Vaterland, die
der Ehre?" u. s. w. So konnte Leonidas fragen und eine der Todes-
weihe günstige Antwort gewürtigen, so Schil bei Stralsund, — ..der
Unbesonnene und Verirrte" (S. 347), so der Dithmarser Bauer im
letzten Freiheitsstreit (1559), so Jeder, welcher wahrhaften Heldengeist
nährte. Für den gewöhnlichen Menschenschlag passt das Alles nicht, wie
ja auch ganz neue Vorgänge beweisen, und bedarf eben desshalb keiner
rhetorischen Ausschmückung. Wenn man dergleichen Phrasen über poli-
tische, diplomatische und militärische Ereignisse abrechnet, so ist die Spra-
che des Verf., was doch immerhin viel sagen will, klar, angemessen und
frei von Auswüchsen. — Die s c h w a c h e u Seiten des Buche treten da-
gegen iu der übertriebenen Weitschweifigkeit und dein theil weisen
Mangel an faktisch - psychologischer Kritik hervor. Rücksicht-
lieh des ersten Punkts zeugen schon die genannten Capilelüberscbrifteo für
den geräumigen Bauplan; er umfasst den grüssten Theil der mit dem Ge-
genstand der Biographie gleichlaufenden Zeitgeschichte, und hat dennoch
natürlich weder Müsse noch Beruf, den für das gesammte Zeitbild nöthi-
gen Forderungen Genüge zu leisten. So erführt man z. B. etwas vom
baierischen Erbfolgekrieg, etwas von den holländischen Uniuhen und dem-
jenigen, was mit ihnen zusammentrifft; auf eine ähnliche Weise, nur aus-
führlicher und dennoch nicht hinläuglich und unparteiisch, werden die preus-
sischen Innen- und Aussenverhältuisse kurz vor und nach der Katastrophe
des Jahres 1806 geschildert, wobei denn ein besonders starkes Gewicht
auf die St eingehen Reformen und die Schwankungen (Agonien)
in den Jahren 1811 und 1812, hier wohl mit einigem Grunde, fällt. Es
ift aber entschieden unstatthaft, eine Persönlichkeit, welche nicht den
Schwer- oder Gravit8tionspunkt der Begebenheiten bildet, über-
all gleichsam welthistorisch aufzufassen und handeln zu lassen. Diesen
Anspruch kann nur der Heid, sey er Staatsmann, Feldherr oder Denker,
machen, welcher wirklich im Hittelpunkt der Dinge als schöpferische
oder auch theilweise zerstörende Kraft steht. Diesen gleichsam universal-
historischen Grundzug trüge z. B. die Biographie Karl'* oder Fried-
rich'* des Grossen. Gegenüber dem mehr untergeordneten, an sich höchst
verdienstvollen Fachmann oder Speci alcharakter wird es dem Le-
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Droyien: Leben de« Grafen York.
bensbcschreiber genüge d, in kurzen Umrissen das Allgemeine, in wei-
tern das Besondere, auf welchem der Ruf des Handelnden ruht, nach
gründlicher Forschung darzustellen : je eigentümlicher und fruchtbarer die
Persönlichkeit war, desto mehr wird sieb auch der Rehmen des Gemälden
erweitern. Da s s dabei möglichst viele, individualisirende Züge auf-
genommen werden, versteht sich von selber; denn sonst würde man ja
eben keine Biographie haben. Ihr Hauptgesetz und ihre Hauptschwie-
rigkeit liegt gerade in dem richtigen Abwägen des Allgemeinen und
Besondern; wer aber beide Faktoren ohne Rücksicht auf die Befähigung
uod den Lebensberuf des Gegenstandes willkührlich durcheinander wirft,
der macht sich nicht nur unnütze Mühe, sondern verfehlt auch trotz gnter
Studien und schriftstellerischer Eigenschaften leicht das vorgesteckte Ziel.
Es wäre daher hier dem künftigen Soldaten und Feldherrn vollkommen
Genüge geleistet, wenn sich der Verf. auf das Kriegswisseuschaft-
liebe dem Wesentlichen nach beschränkt, die einschlagenden Reglemente,
Uebeagen, wie sie auch in mehren Capileln recht gut behandelt sind, mit-
geteilt nnd die übrigen Lebensmomente nur kurz und wie beiläufig mit-
getlieilt hatte. Dadurch wäre ungeheuer viel Raum, Fleiss und Geld er-
spart, und der General v. York, „diese strenge, ztih energische Natur,
scharf wie ein gehacktes Eisen" (S. 3), erschiene in einem straffen, ge-
bührenden Gewand, nicht in weiten Pluderhosen und modernem Paletot.
— „Slriclius assutae vesles", heisst es bei Sidonius Apollinaris von
dem altteulschen Rock, „procera coercent membra virüm." — Dann würde
er sicher bei dem vielen Guten seiner äussern Hülle ähnlich dem Archen-
bolzischen Siebe nja Ii rkrieg oder dem Blücher Varnhagen's unab-
hängig vom billigern Preise einen sehr grossen Leserkreis finden. Auch
liegt in der StofTfülle des Befreiungskampfes, welcher von Neuem
bei den Mittelstufen der literarischen Generation Theilnahme weckt, ein
Nebengrund zur haushälterischen Beschränkung; denn auch Taucnzien,
Kleist, Scharnhorst, Gneiseuau und andere berühmte Generale
jener Zeit, um nur Preussen hier zu neunen, entbehren des bio graphi-
schen Denkmals. Am angemessensten geht dasselbe wohl von einem
Fachgenossen aus; denn die eigentlichen Männer der Feder, wenn
sie selbst nicht eine kleine Kriegsprobe bestanden haben, unterscheiden
schwer das Wesentliche von Nebendingen, und erznhleu wohlgcleitete Ti-
railleurgefechte , z. B. bei Wahren (S. 164), mit Homerisch-epischer
Weitschweifigkeit, wie sie etwa entscheidenden Schlachten oder für den
kleinen Dienst bestimmten Musterattaken der leichten Truppen gebührt«
„Eine rechte Waidmanuslust", heisst es da pretiös, „in diesem mit vielem
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Droysen: Leben des Grafen York.
Unterholz versehenen Revier den Feind in pirschen (!) ; es schlichen sieh
die Jäger von Busch zu Busch, oft nuf dreiisig und zwanzig- Schritt an
den Feind, immer auf die Kühnsten oder Offiziere die sichere Büchse rich-
tend, mit heilloser Wirkung, mit immer grösserem Jagdeifer. — Da liess
York — die Feinde schössen in die losen Büsche hinein, trafen doch Man-
chen (So?) — das Signal Zurückruf zum Soutien blasen; die Jäger hat-
ten sich so verbissen (waren es denn Hunde ?J, dass es schwer hielt,
sie los zu machen; es bedurfte einiger Kreuzdonnerwetter u. s. w.u —
Derartige Schlachtenmalerei oder vielmehr Schlachtenpinselei , ist eben so
leicht als unfruchtbar; man könnte sie, welche der einfachen Wirklichkeit
nicht gerade widerstrebt aber hochrothe, gezwungene Verkünstelung auf-
legt, die byzantinische Manier nennen ; ihr Gegensatz ist dei schlichte,
natürliche, welche von der Realität ausgeht und Nichts übertreibt oder
mit Bombast ausstattet.
Die zweite schwache Seite des sonst vielfach guten Bnchs tritt
in dem mehrmals sichtbaren Mangel an historisch - psychologischer
Kritik hervor. Der Herr Verf. hat sich nämlich trotz seioer tüchtigen
und ausgebreiteten Studien von vorne herein ein zu düsteres Bild der
alt-preussischen Verhältnisse , Persönlichkeiten und Zustünde gebil-
det; er spricht sich desshalb Uber sie, natürlich mit Ausnahme der Trä-
ger des neuen, reformirenden Geistes, durchweg verdammend aus, Ober-
geht die bessern Eigenschaften und Leistungen der allerdings vielfach ge-
brechlichen Gesetze, Staatsmänner und Heerführer, malt immer, wenn
auch nicht mit Tschüs' Griffel und Wehmutb, in das Schwarze nnd
Aschgraue hinein, halt sich fast ausschliesslich an die ordinären, durch
Zeitatigen und andere Organe in Fltiss gesetzten Ueberliefernngen und
schildert desshalb, wo er darauf kou.mt, nicht sowohl den allmühligen
Verfall als deu plötzlichen Verwesungsprozess der alt-preus-
sischen Monarchie; mit einem audern Wort, diese, die Schöpfung Fried-
rich^ des Grossen, kränkelt und stirbt nicht, wie es geschichtlich
begegnet , sondern sie liegt von vorne herein auf der Todteubahre und
haucht noch im Leben Leicliengeruch aus. — Spuren und Beweise dieser
melancholischen, zu rigoristischen und morosen AutTassungs- und Darstel-
lungsart kommen sehr häufig vor; denn sie herrscht nun einmal und stützt sich
auf gangbare (kurrente), auf die Mittelgeneration vererbte Ueberliefernngen,
denen auch der Schreiber dieser Zeilen geraume Zeit so lange unbedingt
folgte, bis ihn Umgang, Studium und Erfahrung milder und gerechter stimm-
ten. Rs mag genügen, durch etliche Falle den gerügten Mangel an wohl
•bwigender Kritik zu bewahrheiten. — S. 136 wird angedeutet, die frtt-
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Dr oy«en : Leben de« Grafen York.
here Friedenspartei des Ministeriums habe plötaltoh aus Furcht vor
dem esprit public im Spätsommer 180G für den verhöngniasvollen Krieg
gestimmt, und die Politik der Haugwitz und Lombard Bey eben so
feig als habgierig gewesen. Abgesehen von dem iuuern Widerspruch
des Satzes ist die erste Hälfte falsch, die zweite tbeilweise unwahr. Nickt
das Ministerium, sondern die Opposition ausserhalb desselben in der Ge-
schäfts- und Armeeverwaltung drängte zum Kriege, wie ja der Verfasser
selber vorher andeutete und wie er es, das jüngste Zeugniss nur zu er-
wähnen, in voller Ausführlichkeit bei Pertz, dem Biographen Steinte,
lesen konnte. Ohne gerade die preussische Politik seit dem Jahre 1795
oder dem Basler Frieden billigen zu wollen, muss man doch einräumen»
dsss sie im Ganzen Jahre lang konsequent blieb und gegenüber den stärk-
sten Lockungen keinen plötzlichen Umschlag beliebte. Die eiuzige, offen-
bare Verletzung des Friedens- und Neutralitälsprincips geschah
dadurch, dass Preussen die Occupatio des Churfürstcnthums Hannover
ruhig geschehen liess und dadurch den Franzosen Gelegenheit gab, aich
im nördlichen Teutschland einzunisten. Umsonst hatte gerade Haugwitz,
hier einmal kriegerisch, Widerstand angerathen und eben so fruchtlos die
Aufbewahrung des Landes durch Preussen bis zum Frieden, jedoch mit
Vorbehalt der neutralen Flagge, vorgeschlageo. England lehnte aua
Stolz den billigen Antrag, welcher im Einverständnis* mit Frankreich ge-
macht wurde, ab, und traf eben so wenig Anstalt für die Beschirmung*
des nun auch von Preusseu wie dem teutschen Reich preisgegebenen Lan-
des. Diesen Entwicklungsgang hat man häufig übersehen, auf bequeme
Weise Alles dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten zugeschoben.
Freilich war derselbe damals wie später kein felsenfester, dem Aeusser-
steo zuneigender Charakter wie etwa Lord Chat harn, oder in vater^
hindischeu Dingen Freihorr v. Stein, aber eben so wenig ein feiger
und habgieriger Mensch, wie ihn der Verf. S. 136 und die herkömm-
liche Tradition schildern. Ohuc hier an mündliche Aussagen ron Leuten,
welche den Minister kannten, zu erinnern, will ich nur an ein, der mitt-
lem oder gar jüngsten Generation wenig bekannte? Büchlein erinnern. In
den materiaux pour servir a Phistoire des anae'es 180.5, 1806, 1807,
dedies aux Prnssiens par un ancien compatriote. 1808. heisst es S. 60
von Haugwitz: „Haugwitz, riche, plus qirindifförent pour Kargen!,
blase sur les distinetions et par cette raison seule plus fait que d'autres
pour une place entourdc de pieges avoit apportc dans la sienne des qua-
b'tes preeieuses, un coup d o eil parfait, nn calme imperturbable et le la-
tent de persuader." — Von dem ebenfalls während seines Glücks zu hoch
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Droysent Üben des Grafen York.
und nach dem Fall M niedrig gesellten Kabinetsrath Lombard wird ge-
urlbeilt : ner war ein ehrlicher Mann, übrigens träge in Folge seiner kör-
perlichen Schwäche und ohne Ehrgeis in Folge der Trägheit" (S. 57).
Feige und habgierig waren also diese Männer, die Sündenbücke des
preussischen Verfalls und Falls, gerade nicht, wie sie denn auch keines-
wegs zum plötzlischen Bruch mit Frankreich gerathen haben. Ihr Fehlgriff
lag hauptsächlich indem Neutralitäts- und Friedensprincip oder
der nordteutschen SonderbUndelei, welche, einmal durch die Genüsse
und materiellen Vortheile der Ruhe befestigt, nicht so leicht aufgegeben
werden konnte. Um so auffallender ist es, wenn der kriegerische Verf.
die, seiner und York 's Meinung nach, Übertriebene Verehrung der für
die Waffenthat stimmenden Königin als eine Art Modesache belächelt
(S. 119), von Schills Verirrungen (S. 347) spricht, von wel-
chen etliche Grane noch unlängst der sch les wig-holsteinisch en
Sache vielleicht eine bessere Wenduug gegeben bitten, den Namen des
„obersten Kriegsherrn" für jene, fern gelegene Tage gar tu oft gebraucht
und selbst den berühmtesten, aus einem edlen Impuls patriotischer Unge-
setzlichkeit entsprossenen Schritt York's, die Capitulation von Taurog-
gen, durch eine lange Reihe von Deduktionen kasuistischer Gattung fast
aller Spontaneität oder Freiwilligkeit entkleidet. Wenn man gar zu viel
drehet, ausgleicht und mäkelt, so bleibt am Ende kein durchschlagender
Charakter mehr übrig; die kühnsten Theten und gewaltigsten Revolutio-
nen schrumpfen zusammen und gestalten sich, in die Nussschale des cor-
pus iuris und Catechismus hineingezwängt, als Erzeugnisse zwingender Um-
stände und gewöhnlicher Menschenkraft. So sehr man deu Buchsta-
ben des Rechts festhalten muss, es gibt Fälle, welche durch den Bruch
des veralteten Rechts eine neue Regel schaffen müssen. Das gilt von je-
der frischen Orgnnisirung, nicht allein vom Herschebrgeii , auf wel-
chen das bekannte Dichterwort zielt:
„Si violandum est jus, regnaudi grutia
Violaodum est; caeteris rebus pielatem colas."
Dieser Grundsatz könnte z. B. auf dem wiederhergestellten Bun-
destage gegenüber dem polnischen ..liberum vetott oder der buchstäb-
lich geforderten Einstimmigkeit Anwendung finden, es wäre denn,
dass man aus unluulern Absichten auch hier gar Nichts ändern, sondern
nur blauen Dunst und neue Kosten machen wollte.
Bisweilen lässt sich auch der Verfasser durch übertriebenen Na-
tionalitätseifer zu unkritischen Annahmen verführen. Dieaa gilt z.B.
von dem geheimnisvollen General von dem Knesebeck, welcher mehr-
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Droysen: Leben de« Grafen York.
493
nah, vielleicht nach den Vorgänge Pertzens, als der unsichtbar lei-
tende Gedanke des russischen Hauptquartiers im Feldzuge des Jahres 1812
und als der eigentliche Erfinder des, den Franzosen so verderblich ge-
wordenen Rückzugsplanes in das Innere des Reichs angedeutet wird.
So heisst es S.449: „Jene grossen Combinationen Knesebeck' s hat-
ten sich bis zu dem Punkte erfüllt, wo Preussen handelnd eintreten musste.«
Und S. 320 : „Knesebeck halte berechnet, wie man den Feind liefer und
tiefer nach Russin nd hineinlocken müsse, um ihn dann endlich seiner ei-
genen Schwere, dem Clima, dem Mangel erliegen zu machen u. s. w."
In geheimer Mission nach St. Petersburg eilend, habe nun der General,
heisst es weiter, den Feldzugsplan bei dem Kaiser Alexander durch«
gesetzt und dergestalt den eigentlichen Ausschlag der gewaltigen Kata-
strophe gegeben. u Die nähern Beweise des allerdings nicht uuwicbtigeu
Satzes fehlen aber, wie denn überhaupt die Belegstellen, oft auch
für wichtige Angelegenheiten, nur sehr dürftig erscheinen. Wahrschein-
lich hat als Zeuge Graf Henckel von Donnersmark gedient, welcher
in den gehaltreichen Erinnerungen (S. 96 ff.)*) seinem Schwager,
dem General von Knesebeck, die Autorschaft des russischen Feldzugs-
plans beilegt. Das Nähere wird jedoch verschwiegen. — Dagegen ist
nnn zu erinnern, dass trotz der gewiss durch Knesebeck gegebenen
Rathschläge Kaiser Alexander schon lange vorher auf andere Autori-
tät hin den angedeuteten strategischen Gedanken gefasst und für den eintre-
tenden Fall gleichsam bereit gehalten hatte. Obrist v. Wolzogen nämlich
soll ihn bereits 1809 in einer Denkschrift entwickelt und bei dem Kai-
ser beliebt gemacht haben. (Erinnerungen aus dem Feldzuge des Jabrei
1812 vom Herzog Eugen vou Würtemberg. Erste Beilage S. 191 ff.)
Ueberdiess war das Missverhältniss der Streitkräfte Anfangs so gross, dass
nur aliein der Plan des langsamen Zurückweichens und raschen Wieder-
kehrens retten konnte ; man wollte und konnte Napoleon desCras-
sos Schicksal gegen die Parther bereiteu (Eugen, S. 19), war aber
dazu unvermögend, wenn der Angreifende, wie ihn einen Augenblick zu
Smolensk die Lust dazu anwandelte, in dem eroberten Gebiet überwin-
terte und im nächsten Frühling den zweiten Feldzug eröffnete (s. Com**
mentaries on the war in Russia. By Colonel Cathcart p. 59.).
Hin und wieder wird, wie gegenüber den Persönlichkeiten
und Zuständen, so in Betreff des reinen Thatsachlicuen keine hin-
längliche Kritik oder sorgfaltige Prüfung des Faktischen geübt. Dafür sol-
.!
♦) & Jahrbücher 1847. Nr. 22. S. 339.
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Droysen: Leben des Grafen York.
len hier nur zwei Beispiele aU erläuternde Belege dienen. Der bayrische
Erbfolgekrieg wird, sey es nach der Handschrift Valentinas oder ei-
genen Mitteln, ziemlich fahrlässig beschrieben, beinahe als ein diploma-
tisch-militärisches Schaustück, wie es leider ia den jüngsten Ta-
gen theilweise diess- und jenseits der Elbe aufgeführt wurde. Grosse
Heldentaten lieferte freilich allerdiugs auch die sogenannte Kartoneinfehde
1778 ond 1779 nicht, indess war sie keineswegs ohne biltero Ernst und
von beiden Parteien wohl durchdachten Operationsplen; es kam da-
tier am Ende auch zu einer verständigen Ausgleichung ohne aus-
schliesslichen Schimpf und Glimpf für den einen oder andern Theil; matt
siebt, es handelten Männer, gegliederte Hegieruogen. Nun wird von un-
ser« Verfasser fast überall Friedrich^ des Grossen Schlaffheit und Zau-
derwesen gertigt, ohne dass man die Beweise vernimmt. „Mau stand",
heisst es, „von der Milte Mai an, den ganzen Juni hindurch, den Befehl
mm Aufbruch erwartend" (S. 17). Warum das geschah? entwickelt der
„oberste Kriegsherr14 selber; „obsthon der König wussteu, sagt er, „dass
bei dem Zogern Josepb Zeit für volle Rüstung gewinnen werde, knüpfte
man dennoch Unterhandlungen (freilich fruchtlose) an, pour ite poinl ebo-
quer In France et la Russieu (Oeuvres, VI. p. 144). — Der ganze Feld-
eng wurde übrigens, wie der vortreffliche, in das Einzelne eingehende
Aufsatz des Königs beweist, schulgerecht geführt, wenn es auch nicht
gerade eu grossen Schlachten kam. Diese hatte aber der zwanzigjährige
York erwartet; daher seine unzeitige Missstimmung. In Betreff des von
den Kroaten wider das Städtchen Habelschwer dt and das Lockscbe
Regiment (in welchem York stand) glücklich ausgeführten Handstreichs
bemerkt Friedrich: „II ne faut attribuer cetfe catastropbe honteuse
qu'a fignorance de cc jeune prince (von Ilessen-Philjppslhal), qui faisait
sa premiere campagne, et auqnel on naurait poiot drt conlier de com«
mandement separe4 (p. 160).— Es ist dalier schwer zu begreifen, wie
die Ungnade Friedrich'.* nach dem Verfasser S. 22 dem Regime ate
gelten und bei einem gegebenen Anlass gerade den jungen, diserptin wid-
rigen York treffen konnte, welcher sieb doch bei dem lieberfall wacher
benommen und durchgeschlagen halle. Man bedarf aber für die Erklä-
rung der einjährigen Festnngsstrafe nicht der königlichen Gereiztheit, son-
dern tnuss den Grund einfach in dam subordiuationswidrigen, wenn an sich
auch nicht unehrenhaften Benehmen des Lieutenants suchen.
In dem Gebrauch der Vertregsucku öden, welche gewöhnlich
nicht buchstäblich oder in grössern Auszügen mitget heilt werden, slöstt
man hier und da auf unbestimmten oder unrichtigen Aufdruck. So heisst
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Droysen: Leben des Grafen York.
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es S. 317: „York halle keine Ahnung von den geheimen Artikeln des
Oktobervertrags (von 1808), in denen siel» der König nicht bloss
verpflichtete, höchstens 42,000 Mann au halten, sondern euch Na po-
le od im Kriege gegen Oesterreich mit 16,000 Mann au folgen." —
Hier ist doch unzweifelhaft die, vom Prinzen Wilhelm mit dem Kaiser
der Franzosen, nicht im Oktober, sondern am 8. September 1808 zu Pn-
rii abgeschlossene Uebereinkunft gemeint. Bisher bandelte es sich aber
nur, so viel mir bekannt ist, um die Feststellung der preussiseben Hee-
resstärke, nicht um das Verheissen einer Auxiliar macht gegen Oe-
sterreich. Daher musste der darauf bezügliche Artikel, welcher eine un-
geheure DemUthigung enthalt, so gut von dem Herrn Droyseu als sei-
nen wahrscheinlichen Vor- und Gevaltermaun Pertz (Lebeu Steine II.
246) genao und buchstäblich mitgethcilt werden. Bis dahin darf mau
den Gegenstand für unerledigt halten.
Blickt man endlich auf das Cb a r ak terbi Id York's, wie es sich
aus den reichhaltigen, wenn auch häufig durcheinander geworfenen Nach-
richten entwickelt, so tritt da zuerst das streng Soldatische als vor-
herrschender Grundsalz auf. Der Dienst und in ihm das Reglement, stehet
von allen Pflichten oben an; unerbittlich waren Zucht und Strenge, aber,
wenn etwas gelang, derch etliche Worte des Lobes, welche auf die Menge
wirken, die vielfachen Entbehrungen und Plackereien ausgeglichen. Die-
ser Amtsdespotismus, in geselligen Kreisen durch manche Stachel-
reden gewürzt, kannte keinen Unterschied der Personen, nur Gerechtig-
keit; er forderte von Andern, was ihm selber als Ausgangspunkt galt —
Gehorsam (Vrgl. S. 292, 293, 371 il 329). Unter der barschen
Hülfe barg sich aber praktische Verstandosscharre, welche stets
für die Vervollkommnung des Technischen sorgte und dabei auf fei-
ner, aus dem Leben geschöpfter Meuscbenkeuutniss rubele. Kriegs-
wissenscheftliehe Studien, besonders den Werken grosser Taktiker
und Strategen, namentlich des Marschalls von Sachsen, entlehnt, fehl-
ten zwar nicht, den HsuptstoiT lieferte aber die Praxis. Dürftig war die
literarische Bildung; sie ging nicht über die Kennlniss der Franiösi*
sehen und etlicher teutschen Klassiker hinaus; Jugend Versäumnisse konnten
auch hier durch spatern Fleiss nicht nachgeholt werden. Inmitten der mi-
litärischen Morel stand der Pflicht gegen König und Vaterland ganz nahe
das stärkste Ehr- und Selbstgefühl, der Wächter des männlichen
Charakters. Bei persönlichen Verwicklungen wurde daher trotz des fried-
lichen Wesens selbst der Zweikampf nötigenfalls als Ausweg gewähll
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496 Droysen: Leben de« Grafen York.
(s. z. B: S. 288)*}, bei dem anvertrauten Wirkungskreise jede fremd-
artige Einmischung barsch zurückgewiesen. „ Was ich am Ende", hiess
CJ, „allein yerantworten muss, will ich such allein ausführen* (S. 298).
— Seine Vaterlandsliebe beschrankte sich nur auf Preussen; er
hätte sich lieber zerhacken , denn dasselbe nach einer neuern Redensart
in Teutschland aufgehen lassen. Einmischung in die Politik, so das»
etwa General, Staatsmann and Diplomat, neben- und ineinander wirken
tollen, blieb ihm fremd und gehässig. Befangen von den alten Gewöhn-
heilen, Brauchen und Corporationsrechten, selbst Standesprivilegien, hatte
er keinen Sinn für Staatsreformen, sogar wenn sie das Billige und
Notwendige trafen. Die grossnrtigen Entwürfe Stein'*, welcher doch
auch dem Adel angehörte, waren ihm daher ein wahrer Gräuel und Ein-
griff in das Althergebrachte. „Der Mann" (Stein), schreibt er 1808%
„ist zu unserm Unglück in England gewesen, und hat von dort seine
Staatsweibheit hergeholt; und nun sollen die in Jahrhunderten begründe-
ten Institutionen des auf Seemacht, Handel und Fabrikwesen beruhenden
reichen Grossbritanuiens unserm armen, ackerbautreibenden Prcoi-
aen angewöhnt werden. Wie hat er geeilt, mit seinen Absiebten tum
Vorschein zu kommen. Gleich bei seiner Ankunft in Memel das bewirkte
Edikt, dass Jeder ohne Unterschied ein Rittergut kaufen, der Adel da-
gegen jedes bürgerliche Gewerbe treiben dürfe. — Eine eigentliche Ab-
schaffung, mau möchte sagen, Verhöhnung des Adels ist dem Geist un-
seres Monareben und unsers Volks durchaus zuwider. Wird der Gewürz*
kramer oder der Schneider, der das Gut erwirbt oder der Spekulant, der
auf seinen Profit gedacht hat und schon auf Wiederverausserung sinnt,
wird er auch im Unglück seinem Monarchen „zu Dienst seyn mit Gut und
Blut?" — Als nun aber die Feuerprobe kam, da bestanden viele, doch
ritterschaftliche Grundherrn das Missgeschick keineswegs mit hinlänglicher
Opferbereitwilligkeit. — „Die Anstrengungen der Polen, meldete der feu-
rige Gegner St ei n'scher Reformen 1811, verdienen wahrlich alle Achtung;
man bringt unbeschreibliche Opfer. Wie anders ist es bei uns, wo man
jede«, Recruten von seiner Gruudberrschaft erkämpfen muss, und wo ein
elender "Kgoismus die allein herrschende Leidenschaft ist." (S. 386.) —
) „Der Friede wird also auch von hier weichen; ich lasse meine alten
Kuchenreutcr sofort hl Stand selten; denn ich bin, wie von meiner Existent
überzeugt, dass Bülow (der später berühmte Feldherr) und ich keine 8 Tage
zusammen sind, ohne uns an den Haaren zu haben." — Aus einem Briefe an
Schornhorst vom Jahr 1811.
(Schluu foty.)
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ffr. 32. HEIDELBERGER 1851.
JÄHRBÖGHER OER LITERATUR.
Droy sein JLebeii de« Grafen York«
(Schlnss.)
Weiter bemerkt der General in dem ersten Briefe: „Wird der neue
Herr seine Bauern, die ihn wohl mit Ziegengemecker an der Ehrenpforte
empfangen, mit sich in der Treue festhalten, wie der alte Erbbesitzer that,
der in seinem Dorf über die Gemülher mit Liebe und Anhänglichkeit herrschte?
Dass die sogenannte Sclaverei der Bauern u. s. w. nur philanthropisches Ge-
schwätz ist, wissen wir Alle." (J5ic.)
Doch läuft es eigentlich darauf hinaus, dass ein Grundbesitz seyo soll
wie ein Thaler Geld, der durch die Circulation sich vervielfältigt, wobei
noch durch die Slempelgebüliren Etwas für den Staat abfällt. Keine lan-
desYälerliche Idee nach dem Sinne des Königs. — So Etwas kann nur in
der Kanzlei eines Banquiera oder von einem Professor, der einen schlecht
verdauten Adam Smith vom Katheder docirt, ausgeheckt werden. Leider
bat sich dergleichen Geschmeiss des genialen Ministers bemächtigt. —
Mao sieht ja, wie es von allen Seiten herbeiströmt und was sie in ihrer
Collerie schon zu Tage bringen. Hörte man nicht sogar schon den de-
mokratischen Uusinn, dass alle Stellen im Staat durch Votiren
des Volkes besetzt werden möchten?44 u. s. w. (S. 211). York
sah bei diesem demokratischen Entwickluugsprocess, welcher in kritischen
Tagen unvermeidlich und, richtig geleitet, sehr wohlthätig ist, wobl nur
Gespeoster und Gestalten; Blücher, Gneisenau, Stein und andera
bedeutende Männer alten Adels wurden von den Visionen nicht heimge-
sucht, hauptsächlich weil ihnen die Galle und Lauge des ehrenwerthen
Cameraden fehlten. Derselbe glich andererseits seinen barschen und offe-
nen Beformhass durch verschiedenes Ablehnen fremdartiger Ge-
schifte aus ; er weigerte sich z. B. , die ehrenvolle und lockende Stelle
des kronprinzlichen Erziehers anzunehmen, und zeigte hier wie bei
andern Gelegenheiten die des ächten Weisen würdige Bescheidenheit.
Das Ablehnungsschrciben (8. Aug. 1807) enthält gute Winke zur
Prinzen er z iehun g: *) Ketntniss des Staats, des Menschen und eine
*) Alle« ist trefllich gedacht und dargestellt. York hatte daher, wenn
XUY^Ja^jr. 4. DoppelhefT ^ * ' * 33 ^
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498 Droysen: Leben de« Grafen York.
Art encyclopädiseber Uebersicht werden dabei besonders von dem Lehrer
und Führer gefordert. „Meines Wissens", heisst es unter Audenn, „gibt
es nur zwei Hebel, die Kräfte des Menschen vorteilhaft zum Zweck des
allgemeinen Guten in Bewegung zu setzen. Diese Hebel sind Hoffnung
und Furcht Aber es ist keine genieine Kenntnis*, beide Hebel gehörig
in Wirkung zu bringen. Die Wege anzuzeigen, diese Kenntniss zu erlan-
gen, ist wieder kein gemeines Wissen." Dagegen ist die Trennung zwi-
schen der Moral des Fürsten und des Privatmanns (nach dem jus divinum
regum?) dunkel, ja falsch ausgedrückt. „Ein König", sagt der Gene-
ral, „ist eine irdische Gottheit (?) ; wie die Gottheit das Unglück zum
Zwecke des allgemeinen Glückes geschehen lässt, so muss der Fürst auch
nur den Zweck des Ganzen im Auge haben. — Die Moral des Fürsten ist
daher auch anders als die des Privatmannes. Zu viel Gefühl für einzelnes
Unglück macht zu weich und bringt das Ganze aus der Wage ; zu grosse
Gleichgültigkeit gegen das Unglück macht gefühllos ; der Zweck, zur Kraft
zu führen, würde Tyrannei schaffen." (S. 195.) Wenn übrigens der Herr
Verf. (nach Pertz) aussagt (S. 193), der bisherige Führer, Delbrück,
habe für den so reich begabten Zögling weder Charakter noch Geist ge-
nug besessen, so ist das schwerlich richtig. Persönliche Bekanntschaft in
der Schweiz im Jahre 1812 hat das Gegentheil gefunden; der Fehler
Delbrück1* lag in zu starker Hingebung an die Höchstgeslellten und
in einer mit dem Ernst der Zeit und des Amtes nicht ganz übereinstim-
menden Weichheit des Herzens. Man wird davon gelegenheillich etliche
charakteristische, gerade auf York's Abfall bezügliche Ansiebten mittheilen
können. — Bei aller Vaterlandsliebe und Schroffheit blieb der
General gerecht; er liess sich weder durch jene bestechen, noch durch
diese verführen; gute Eigenschaften oder Vorzüge des Feindes wurden
offen anerkannt, Gebrechen und Fehler des Feindes ohne Hehl gerügt
„Die Desertion", schrieb er z. B. aus Ostpreussen 1811, „ist hier sehr
stark, doch mehr von Deutschen und Polen, als von Franzosen. Auch ich
bin überzeugt, dass die Franzosen des Schlagens müde sind; kommt es
aber dazu, so schlägt sich diess Volk gut, denn Jeder schlägt sich aus
eigenem persönlichen Ehrgefühl und weil er National stolz hat
Leider ist das bei uns nicht der Fall. Unser Recrulirungssystem ist falsch;
ich habe es oft gesagt, und höre nicht auf es zu sagen." Man hatte noch
geurtheilt; er sagte nämlich oft: „Die verdammten mirs nnd michs; beim Schrei-
ben geht es noch; da macht man einen Zug, und Jeder kann es lesen wie er
will, aber heim Sprechen muss man heraus damit." (S. 10.)
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Droysee: Leben des Grafen York.
nicht, bemerkt der Biograph, die allgemeine Wehrpflicht (S. 287.) Diese
galt jedoch schon; aber auch die Militärreform konnte nicht mit einen
Scilage wirken.
So war seinen wesentlichsten Zügen nach der Hann, welcher für
Preussc n und einen grossen T Ii eil Teutschlands durch den Absohlnsa
der Tauroggen er Co n v en ti oti (30. Dec. 1812) gleichsam die S turmglocko
des Befreiuogskrieges läutete. Der Verf. hat diesen folgenreichen,
ungewöhnlichen Schritt fast zu weitläufig behandelt; er führt die Motive
grösstenteils auf den vorangegangenen Zwist mit dem Marschall Mab*
donald und die militärische Ueberlegeubeit der Russen zurück; Blut -
vergiesseu zu sparen u. a. w. , habe nun der preussische General, ohne
die entscheidende Vollmacht des Königs abzuwarten, dem tiefgeworzelten
Hess gegen Napoleon Baum gegeben und den Abfall tob demselben
zur grossen Freude der Heerabtheilung bewerkstelligt. Allein diese und
ähnliche Versuche, die 1 1 1 e g o Ii t ü t zu entschuldigen, sind eben so frucht-
los als unnölliig, jeues, weil York hinlängliche Streitkräfte besass, um
sich, wenn er wollte, ohne erhebliche Verluste durchzuschlagen, dieses,
weil ungewöhnliche Menschen in ausserordentlichen Verhältnissen
den Buchstaben des Gesetzes zu brechen selten Bedenken tragen. Die
Verantwortlichkeit steht aber dann allein bei den Urhebern der
ungesetzlichen, ausserordentlichen Entschlüsse und Handlungen; sie über-
nehmen kühn die Folgen, Tod oder Sieg, und berechnen nicht kaltblütig
die etwaoigen Zwischenfälle oder ISothbrücken. So dachte und handelte
Büch York; er wagte freiwillig eine Ungesetzlichkeit, der Hoff-
nung, dadurch das Zeichen der nationalen Erhebung zu geben. Wahr and
offen wird das in dem Schreiben vom 3. Jänner 1813 gradezo ausge-
sprochen. „Ew. König I. Majestät Monarchie14, heisst es neben An-
derm, „obgleich beengter als 1805, ist es jetzt vorbehalten, der Erlöser
und Beschützer Ihres und aller deutschen Völker zu werden. Ea liegt zu
klar am Tage, das« die Haud der Vorsehung das grosse Werk leitet. —
Der Zeitpunkt muss aber schnell benutzt werden. Jetzt oder nie ist der
Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Gröne wieder zu erlangen, ohne
zo grosse und blutige Opfer bringeu zu müssen. In dem Ausspruch Ew.
Majestät liegt das Schicksal der Welt. - Ew. Majestät kennen mich als
einen ruhigen, kalten, sich in die Politik nicht mischenden Mann. So lange
Alles im gewöhnlichen Gange ging, musste jeder treue Diener den Zeil-
umständen folgen; das war seine Pflicht. Die Zeitumstünde aber haben
ein ganz anderes Verhäitniss herbeigeführt, und es ist ebenfalls Pflicht,
diese nie wieder zurückkehrenden Verhältnisse zu benutzen — Ich erwarte
33*
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Streuber: Basier Taschenbuch.
ooo sebosochtsroll den Aussprach Ew. Majestät, ob ich gegen den wirk-
lichen Feiod vorrücke, oder ob die politischen Verhältnisse erheischen,
dass Ew. Majestät mich verurtheileo. Beides werde ich mit treuer Hin-
gebung erwarten, und ich schwöre Ew. Kunigl. Majestät, dass ich auf
dem Sandhaufen eben so ruhig, wie auf dem Schlachtfelde,
auf dem ich grau geworden bin, di e Kugel er warten wer-
de.« (S. 504.)
Diese würdevollen Worte enthalten deutlich den Schlüssel der Hand-
lung ond beweisen die volle Freiwilligkeit derselben.
Möchte der Verf. bald den zweiten, wichtigsten Band des anzie-
henden und lehrreichen Werks erscheinen lassen ! — Der bin und wieder
bisher sichtbare Beigeschmack des aotiösterreichischen sogeheisseoeo Go-
thaismus wird sicherlich bei der bekannten Coope rat ioo Preossens uod
Oesterreichs im Befreiungskriege gänzlich ausbleiben.
Basier Taschenbuch für das Jahr 1851. Herausgegeben ton Dr. Wil-
helm Streuber. Zweiter Jahrgang. Basel, bei Schveighäuser.
VI. Vorwort. S. 287. 12.
Dem ersten, früher angezeigten (Nr. 2. 1851.) Jahrgange schliesst
sich die Fortsetzong auf entsprechende Art ao ; sie behandelt vaterländische,
theilweise aoch auf allgemeines Interesse berechnete Gegenstände. Dahin
gehört schon der erste, aus seltenen Quellen bezogene Aufsatz Aogost
Burckhardt's, überschrieben: „Die Freistätte der Gileo and
Lahmen auf dem Kohlenberg-; er gibt einen lehrreichen Beitrag
zur Geschichte des Proletariats im Mittelalter. Eioe förmliche Bett-
ler- ond Landstreicherzooft wurde etwa in dem dritten Jabrzebent des
fünfzehnten Jahrhunderts auf dem sogenannten Kohlenberge in Basel
angesiedelt ond mit allerlei K o rp o r a t i o n s rec h ten wie Pflichten aus-
gestaltet. Den eigentlichen Kern bildeten die Zigeuner oder heute
von Egyptenland, deren erste Bande unier dem Herzog Michel (dem
Vorgänger der heutigen Majestät ?) 1422 in der Stadt erschien und sich,
mit mannigfaltigem Gesindel vermengt, uuter dem Schutz der Freistadt haos-
häblich auf dem erwähnten Hügel innerhalb der Alt- und Neustadt ein-
richtete. Ohne Bürger- oder Einsassenrecht genossen diese Kohlen ber-
ger oder Freiheitsknaben Duldung und mancherlei Befugnisse-, Hu-
tens ond Wachens frei, mossten sie ausschliesslich die Strasse kehren, Säcke
tragen uod bei der Beerdigung der TodteD, besonder! in pestileniialischen
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501
Tagen, Hand anlegen. Als Korporation halten sie bei Klagen um Geld-
schulden, Fried- und Frevelsachen, d. b. in Schlag- und Scheltbändeln,
ein eigenes Gericht; es stand unter dem Reichsvogt, seit Erwerbung
des Blutbanns, dem Rath der Stadt, zahlte, wenn der Reichsvogt nicht selbst
absprach, sieben Geschworne, welche natürlich nur aus der Bett-
lergilde genommen wurden. Der Aelteste hiess Richter, die an-
dern nannte man Urtheilsprecher. „Unter jenem Schattenbaume",
heisst es S. 19, „welcher anfänglich der Gilen (Gelben? oder Geilen?
= Frechen} und Lahmen alleiniges Obdach gewesen, wurden nun die gc-
vierten Schranken errichtet, innert deren das Koblenberger Gericht sass,
der Richter auf einem Stuhl in der Mitte, den Stab des Gerichts in der
Hand, das rechte Bein bis Uber das Kaie entblösst und den Fuss in einem
neuen Zuber mit Wasser (um etwa symbolisch den Zorn und die Partei-
lichkeit abzukühlen?) , zu beiden Seiten auf Bänken die Urtheilssprecber,
auch mit entblöstem Schenkel (Symbol der Armuth ?). Hinter dem Richter
Staad der Reichsvogt, hinter den Urtheilssprecbern erschienen rechts und
links die vier Amtleute des Stadtgerichts mit aufgerichteten Stäben. Als
Aktuar diente des Stadtgericbtsschreibers Substitut, oder, wenn dieser
noch zu unerfahren im Process war, der Gerichtsschreiber selbst. u — Da-
rauf geschah die Verhandlung wie vor den gewöhnlichen Stadt- und Land-
gerichten; Kläger und Antworter begehrten vom Gerichte Fürsprecher,
welche der Parteien Sachen vortrugen; Klage und Antwort, Rede und
Widerpart lösten einander ab. Zuletzt erfolgte der S p r u c h oder Dank,
welchen die Geschwornen in der St. Jakobsstube vor Vogt und Amtleuten
fällten, der Richter oder Aelteste der Geschwornen verkündigte, der Schrei-
ber zu Urkund brachte und der Reichsvogt besiegelte. Zum Zeichen des
parlamentarischen Schlusses stiess nun der Richter mit dem Fuss den Was-
serzaber um; nach altteutscher Sitte beendigte am Abend ein Gelage den
Gerichtstag der Koblenberger oder gefreiten Bettler, für welche der Vogt
ein Viertheil Wein zu liefern hatte. — Während oder bald nach der Re-
formation endigte, scheint es, die Bettlerkolonie und mit ihr das Kohlen-
berger Gericht; die ganze Freistätte wurde schon in der zweiten Hälfte
des sechszehnten Jahrhunderts ein R e c h t s a 1 1 e r t h u m, dessen letzte Spo-
ren im 17. Jahrhundert verschwinden. Diese merkwürdige, auch in andern
Städten des Mittelalters bisweilen sichtbare Be t Her z un ft gibt einen gu-
ten Wink für die heutige Behandlung des Proletariats; man muss es
in grossen Städten unter staatlicher Aufsicht korporationsmässig
einzurichten und zu beschäftigen suchen, auf dem Lande wüste Striche znr
Urbarmachung anweisen, kurz, an Arbeil und Selbstgefühl gewöhnen.
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502
öireuDer. uasier lascuenDiicn.
Geschieht das nicht, so kommt allerdings zuletzt der Krieg zwischen dem,
der Viel and Etwas hat, und dem, der Nichts oder weniger als Nichts
besitzt. —
Die von Dr. Fechter bruchstückweise herausgegebene Autobio-
graphie des Andreas Ryff enthält den Entwicklungsgang eines gebildeten
und kaufmännisch erfahrnen Baslers, welcher 1594 durch sein verständiges,
biederes Benehmen den drohenden Sturm des Rappenkrieges beschwich-
tigte, nach der Escalade von Genf als Friedensmittler zwischen dem
Herzog von Savoyen auftrat und viele andere Mistionen mit Umsicht und
Treue besorgte. In der Sprache zeigt sich das aueh jetzt noch übliche
Basler-Teutsch, in der Darstellung der strenge, gemessene und den-
noch oft naive Geist des Reformationszeitalters. Der harte and
gegen die Lehrbuben oft rauhe Kaufherr in Genf halt z. B. jeden Morgen
und Abend mit Weib, Kind und Gesind liausandoebt, „durch wel-
ches mittel ich warlich inbrünstig keil der religion erlangt
*nbu (8. 3»); in Strassburg feiert Herr Ryff seine Verlobung mit
der reichen Kaurmannstochter Kirchhofer, „welche sich ganz geneigt
zeigt, was gott und ireo eitern gefielt , dessen war sy woll zufrieden*
(8. 59}; der Bräutigam rühmt nach Hanse die Schönheit, Jugend, Haus-
baktungskunst, der Eltern Reichthum und stattliches Gewerb, „also dass ich
woll hoffen mocht mein nutz zu fierdern.tt Man siebt, und das ist
noch in der Ordnung, die Liebe reebnete schon damals in Basel wie anderwo.
— Der dritte Aufsatz, von Dr. 8 treu b er, betrachtet den West phäni-
schen Frieden nach seinen Folgen für dieSchweiz, welche
die staatsrechtliche, faktisch schon lange anerkannte Unabhän-
gigkeit, Einschluss der Reformirten in den allgemeinen Religions-
frieden und Gleichstellung derselben mit den Augsburgischen Pro-
lestanten gewann und einen kleinen Schritt vorwHrts zu Gunsten der Cen-
tralisation that. Denn der Ausdruck: „Die vereinig ten Cantooe
der Schweiz* — Helvetiorum uniti Cantones — stelle, meint der Verf.,
die Eidgenossenschaft dem Aus lande zuerst als Gesammtstaat ge-
genüber. Diess ist insofern wahr, als die früher gewöhnliche Formel:
„Die Liga Ober- Allem anniens* und Aehuliches auf den noch nicht
ganzlich abgestreiften Reichsverband hinwies ; davon abgesehen, ge-
wann aber die Schweiz nichts an Concentration oder Einheit, im
Gegentheil wurzelte die Cantonalsou verfinetlt tiefer denn je, führ-
ten bürgerliche und religiöse Zerwürfnisse zu einem so weiten
Brach, dass ihn nur die Abspannung und Ohnmacht wahrend des achtzehn-
ten Jahrhunderls nothdttrftig verdeckten. Historische MisceHen uad
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Stiefel: Universalgeschichte.
503
eise lTebersicht der Baslerischen Literatur von 1850 boschli essen dea
prosaischen Theil. Der poetische enthält eine Ronaose Oser's:
„Die Basier vor Bloch raont 1449tt, von einem schönen Bilde
des vaterstädtischen Künstlers, Herrn Landerer, begleitet, und ein, in
sprachlicher wie sachlicher Rücksicht schön gearbeitetes Drama:
Adalbert Meyer, von Theodor Mey er-Merian. Nach dem beige-
fügten kurzen Wortlaut einer ungedruckten Chronik schildert der Verf.
den Sieg gleissueriscber oder falscher Frömmigkeit über die
offene, rücksichtslos vorwärts strebende Wissenschaft. Der Haupt-
Leid, Adalbert .Meyer, fällt mit dem Tochtermann und der Tochter
als Opfer der Tücke und des Aberglaubens; sie müssen als Schwarn-
kiasUer ihre Wissbegier und ihr bisweilen zum Stolz gesteigertes Selbst-
gefühl büssen. Die wenig bekannte Geschichte gehört dem siebenzehnten
Jahrhundert an, dessen religiöse, politische und kulturhisto-
rische Merkmale und Eigentümlichkeiten recht gut geschildert werden.
In den Feinden Meyer*, tritt der ächte Tartüffe hervor. Man sollte
das Stück diess- und jenseit des Rheines über die Bühne geben lassen,
wie die herkömmliche Redensart lautet, dann in der Augsburgischen und
etlichen andern Zeitungen Lärm schlagen, und der Verf. könnte mit ei-
nemmal bei stillem Tagen eine dichterische Celebrität werden. Talent hat
PT lArtonfull ■
•T JvUCUIBllS. — ~
■
DU Universalgeschichte ah Entwicklung*- und Erziehungsgeschickte der
Menschheit übersichtlich dargestellt ton Heinrich Stiefel, Se-
minarlehrer. Erster Theil. Die Geschichte des Alterthums bis zur
Völkerwanderung. Zürich, bei Höhr 1851 VIII Vorw. S. 378 gr. 8.
Der Verf. beklagt es vielleicht mit Reoht, dass die meisten über-
sichtlichen Darstellungen der allgemeinen Geschichte am Mangel leitender
Gesichtspnnkte nnd Grundsätze kränkeln, den reichhaltigen Stoff nur äus-
serlich aneinander reihen, dadurch Verwirrung erzeugen, den Wald vor
lauter Bäumen, wie das Sprichwort sage, nicht erblicken, oder höchstens
Geschichten, nicht aber Geschichte lehren. Er will daher diesen
Uebelständen nach Kräften begegnen, die Entwicklung der Menschheit als
ein organisches Ganzes nachzuweisen trachten und die schlagenden Mo-
mente der einzelnen, Ton angebenden Erscheinungen oder die Pnlsgedan-
len, wie sein Ausdruck lautet, aufsuchen und hervorheben. Das Buch ist
besonders den Lehrern an höhern Unterrichtsanstalten und gebildeten
Geschichtsfreunden bestimmt, welche hier die Endergebnisse vieler
504
Flegler: Das Reich der Longobarden.
einzelnen, böndereichen Forschungen und Schildereien erhallen, anregende
und verknüpfende Winke für die Uebenicht des zerstreuten, unermessli-
ehen Stolfes gewinnen sollten. Die gcsammte Entwicklung wird von ihm
eingetheilt in das erste Mensch heitsalter, welches in drei Zeiträu-
men den Orient, Griechenland und Rom bis zur Völkerwanderung
nmfasst, in das zweite Henschheitsalter oder die Geschichte der
neuern Zeit mit zwei Zeiträumen, von welchen der erste in drei Perio-
den dem Mittelalter anheimfällt, der zweite die neuere Kultur be-
handelt, und zwar in drei Perioden. Die erste derselben, auf die Ent-
stehung der Neuzeit gerichtet, behandelt die Entdeckungen der Erd-
oberfläche durch die Portugiesen und Spanier, die Reformation und
Religionskriege; die zweite will den BlUthestand der neuem
Kultur in Holland und England, Frankreich, Russland, Preisen und Ost-
reich nachweisen, die dritte Periode endlich den Verfall der neuern
Kultur und die Vorboten einer neuen Zeit schildern, wie sie sich in
der amerikanischen und französischen Revolution, in dem na-
poleonischen Weltreich und — der konstitutionellen Monar-
chie — ankündigten. Der letztern blüht aber kein rechter Weizen; in
Frankreich hat sie Bankerott, in Teutschland Fiasco gemacht*, die nächste
Zukunft ist für Republik oder starke Monarchie; das Messing-
metall hat allen Klang verloren; man will reine Münze, bestehe sie
aus Eisen oder Gold. — Der verständigen Abtheilung des Buchs entspricht
auch, soweit Ref. nach stellenweiser Durchsicht urtbeilen kann, der In-
halt. Die Erzählung ist klar und auf das Nolh wendigste gerichtet, die
Sprache rein, ohne Schwulst und Ziererei, die Verknüpfungsweise des Frü-
hern und Spätem nicht ohne philosophiscb-praklischeu Geist. Auf neue
Forschungen und Ansichten wird keineswegs Jagd gemacht, wohl aber das
jeweilen Beste benutzt, dabei die Ueborsicht eines Zeitraums durch geo-
graphische Rückblicke zweckmässig erläutert. Die Namen sind jedoch
nicht immer richtig abgedruckt, eine Nachlässigkeit, welche bei Lehrbü-
chern möglichst gemieden werden sollte. Es ist zu wünschen, dass der,
wie es scheint, noch junge Verf. auf dieselbe Weise fortfahre und sein
Werk vollende; man kann auch dann genauer in das Einzelne eintreten.
Das Königreich der Longobarden in Italien. Von Alexander Fleg-
~ ler. Leipzig, bei Geibel 1851. VI. 63 S. 8.
• *
Diese kleine Schrift kann man einer hie torisch-kri tia eben
Studie vergleichen, welche, durch Fleiss, Gelehrsamkeit und hier and de
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Fleffler: Das Reich der Lonsrobarden.
505
glücklich angewandte Combinationsgabe ausgezeichnet, sich den Weg zu
einer weitern Aufgabe, der Entwicklungsgeschichte desLongobarden-
volks, bahnt. Der Verf. bat nur darin gefehlt, daas er in den engen
Grenzen eines historischen Vortrags die Endergebnisse seiner gründlichen
Forschungen zusammendrängen und durch später angehängte, oft lehrreiche
Anmerkungen tbeils begründen, theils ergönzen musste. Der Gegenstand
selber ist nämlich für eine akademische Rede offenbar zu umfassend
und wiederum za abstrakt, als dass dort Vollständigkeit, hier An-
schaulichkeit erreicht werden konnten. Lateinisch geschrieben
würde sich dagegen das Ganze auch als oratorisches Stück ganz gut ana-
nehmen, als tentsche Abhandlung durch die dann eingetretene Auf-
nahme der Anmerkungen und grössere Ausführlichkeit einen verstärkten
Werth und weitern Leserkreis gewinnen, natürlich aber für den nächsten
Zweck der slündigen Rede wegen der Ausdehnung ungeeignet erscheinen.
Abgesehen von diesen formellen Mängeln gibt die Monographie viel
Vortreffliches und beurkundet einen Maun, welcher seines schwierigen
Stoffes nicht nur Meister ist, sondern ihn auch an vorangegangene und
folgende Entwicklungen des Mittelalters anzuknüpfen versteht. Von
letzterem, der eigentlichen Fund- und Goldgrube auch für die neuere und
neueste Geschiebte, heisst es ganz richtig, dass nur unwissende Anmassung
den Vorwurf tausendjähriger Nacht entgegenschleudern könne. „Die Ei-
nenu, meldet S. 1, „werden je nach dem Volke, dem sie angehören,
parteiisch und ungerecht, oder sie mustern die Kirche des Mittelalters mit
den Augen der Gegenwart, oder modeln die damaligen Parteistellungen
Dach den Gesichtspunkten des modernen Liberalismus, der so in dem Mit-
telalter nirgends gefunden wird. Den Andern ist diese Zeit eine Welt der
höchsten Poesie, die ihnen romantisch entgegendämmert, wie die Umrisse
eines fernes Gebirges, dessen kable Stoppelfelder im bläulichen Dufte des
Aetbers verschwinden. Manche greifen in sie hinein wie in eine muster-
gültige Vorrathskammer, nicht übel gelaunt, die dort hergenommenen Stoffe
mit dem neuesten chemisch zu verbinden, und so die dunkeln Rätbsel der
Sfinx zn lösen. Und alle diese Widersprüche erscheinen im Kreise ge-
schichtlicher Studien so gut als auf dem Boden des praktischen Lebens;
sie sind in Büchern niedergelegt und bis in die kleinsten Ritzen friedlicher
Folianten eingedrungen." Diese fehlen jedoch seit einer Reibe von
Jahren, etwa mit Ausnahme der von einzelnen Regierungen und Privat-
gesellschaften unterstützten Urkundenbücher und Onginalscbriftsteller. —
Der Verf. bereitet nun seinen Hauptgegeustand dadurch vor, dass er die
Constitution des römischen Kaiserreichs den wesentlichen Zügen
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Flegler: Das Reich der Longobarden.
nach schildert, die Macht des Oberhauptes und der Beamtenhierarchie her-
vorhebt, darauf die dauernden Stutzen und Träger der auf Vermögen und
materiellen Interessen ruhenden Gesellschaft beschreibt, d. b. die sena-
torischen Geschlechter, den Stand der Decurionen, die sogenannten
Possessoren oder Grundbesitzer, die (Korporationen und Co I le-
gi en, die Colonen und endlich die blossen Sklaven staatsrechtlich
oder nach ihrer verfassungsmässigen Steile betrachtet. Dabei wird, wie
ea icheint, mit Grund wider von Savigny (R. G. I, 39) polemisirt,
(Anm. 4), welcher die Gemeindeverfassung der Dörfer, Weiler und Ka-
stelle unvollständige Organisationen nennt. Die beigebrachten
Zeugnisse und Folgerungen beweisen jedoch, dass die korporative Ent-
wicklung hier formell so vollständig wie in den grössere Ortschaften war
und erst mit dem allgemeinen Elend der Barbarenstürme aus den Fugen
wich. — Dem weit liehen Imperatorenstaat achliesst sich in freier, ans
demokratischen Elementen ursprünglich entsprossener Gliederung die
christliche Kirche an, deren Gang kurz beieichnet wird. Dasselbe
geschieht in Betreff der örtlichen Freiheit, welche sich seit Gallienua
dem despotischen Centralisationsprincip des Kaisertums mit Er-
folg entgegenstämmt. Diess wird namentlich nachgewiesen an der io den
Anmerkungen vielfach erläuterten Genesis Yenedigs und an dem kirch-
lich-staatsrechtlich umgewandelten Yerhältniss Roms. — Warum? und
wie? die dortigen Bischöfe in Folge der zwingenden Umstände nach
dem geistliehen Prineipat als idealem Ziel streben mnssten, wird mit
wenigen treffenden Worten entwickelt Nach dieser Grundlegung der po-
litischen und kirchlichen Verhältnisse, wie sie sich kurz vorher
abgeschlossen hatten, kommt der Verf. tu der Stiftung des Longobar-
denreichs, und zeigt, warum es gerade keine andere als die bekannt-
lieh achwankende und halb vollendete Ausprägung gewinnen konnte. Hier
wäre es für den Gegenstand und Zweck des Vortrags Zeit gewesen, die
doch mögliche Charakteristik des eigenthUmlichen Volks und seiner
zunächst vorangegangenen Schicksale, wie seiner leitenden Persönlichkei-
ten genauer zu geben. Diess geschieht nun nicht; die Rede springt so-
gleich und ohne selbst den wesentlichen Gang des Kampfes tu schildere
auf die organischen Einrichtungen Uber. Letztere werden übrigens
sorgfältig und mit Beseitigung mancher irrthümlicben Ansiebten behandelt,
dabei meistens auf die römischen Formen und Verhältnisse richtig zu-
rückgeführt. Hin und wieder muss man aber Einrede erheben; so wird
I. B. S. 11 die longobardische Dreitheilung lediglich auf das kaiser-
liche Gesetz bezogen, taut welchem die römischen Heere in ihren Hos-
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Flegler: Das Reich der Longobarden. 507
pifien oder Quartieren die RKu ml ich keifen mit den Kostgebern (heilten,
gemeine Soldaten ein Drittel, höhere Offiziere die Hälfte erhielten. Aber
wovon? Von den Landeserzeugnissen oder Naturalien, bemerkt
die Note ganz richtig. Allein schwerlich haben »ich die erobernden, rau-
hen Teutschen lange mit so bescheidenen Ansprüchen begnügt; sie gingen
weiter und Hessen sich in Italien wie anderswo geradezu den dritten Ttaeil
des in Besitz genommenen Grund und Rodens abtreten. Diess hat der
Verf. nicht gehörig hervorgehoben. (S. meine Abhandlung: „Königthnm,
Dienstmannensehaft, Landeslheilung." Basel 1822. S.29.) Ohne eine förm-
liche Assignation hülle die territoriale Besitznahme keinen Sinn;
die elwanige Ablieferung des Drittels der Landeserzengnisse würde ja den
besiegten Römer zum Herrn des Fremden gemacht haben ; dieser aber
wollte wirklicher Grundherr werden, und wurde es auch trotz seiner
Abneigung gegen den Ackerbau und überwiegenden Raufsucht und Jagd-
liebhaberei. Adel und freilich noch unreifes Lehen wesen hatten al-
lerdings bei den Longobarden ein bedeutendes Gewicht, dennoch wurden
noch lange zu den wichtigsten Staatshandlungen sömmtliche Gemeinfreie
als Volksversammlung beigezogen. Der Verfasser lilugnet d&gcgen
(S. l.">} diese Mitberecbtigung, welche, wie er glaubt, wohl den
Germanen des Tacitus, nicht aber den Urbebern und Zeugen der Völker-
wandernngszeil gebühre. Obschon nun der Adel allerdings die Initiative
des Öffentlichen Lebens früh erstreble und theilvteise anch gewann, ist
dennoch die Gesammtheit nicht ohne Berechtigung geblieben. So
heisst es bei Paul. Diac.II, 31: „Longobardi omnes communi con-
silio Cleph sibi regem constituernnttt, d. h. doch wohl, die Vornehmen,
namentlich die Angehörigen der Faren (Geschlechter, gentes), machten
den Antrag, das Volk genehmigte ibn; man ging aus der Aristokra-
tie des Herzogthums durch gemeinsamen Beschlnss zum Gesammtkö-
nigthum wieder über. Ferner Paul. Diac. III, 16: „Longobardi, cum
per annos decem sub potestale dueum fuissent, (andern communi con-
silio Autbari, Clephonis filium, regem sibi statuerunl." Dagegen wird
PauL Diac. III, 36. ausdrücklich die Volksgemeinde, welche der Köni-
gin Theodelinde die Regentschaft übertrügt und die Wahl eines Gemahls
empfiehlt, von dem Ausschuss oder Rath der Weisen (prudentes, d. h.
wohl des Adels, der Vornehmen) getrennt, Beweis, dass bei souverä-
nen Akten die Milbe rech tigung des Volks noch lange anerkannt
wurde. — Ueberhaupt wäre es hier am Platz gewesen, genauer die Volks-
rechte, wie sie sieh auch in der Verwaltung des Rechts gegenober
dem römischen Beamtenkreise darstellten, zu prüfen nnd die dafür vor-
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508 Schriften über StrafrechUpflege von Naumann, Probst n. Mehring.
faandenen Zeugnisse wie andere Spuren sichtend zn verfolgen. — Wie
dagegen die Longobarden weit mehr denn die isolirten, spröden Ostgo-
then vielfach durch die Religion und Kirche, Lebensart uud Kultur, Besitz
und Ehen mit den wohlhabenden Römern gemach so einer Nation
stellenweise verschmolzen, wird von dem Verf. entgegen der her-
kömmlichen Ueberlieferuug gut nachgewiesen. Auch darin muss man ihm
beistimmen, dass die römische Hnnicipal- oder SWdteverfassung , ob-
schon vielfach verkommen, keineswegs ausstarb oder oboe woblthätige
Reaktion auf die eingedrungenen Fremdlinge, das erfrischende Element,
blieb. (S. 2 1 IT.) Eben so unbestritten ist der am Schluss aufgestellte nnd
klar nachgewiesene Card in aisatz: „Die lokale Entwicklung bildet
den Grundzag der ganzen Geschichte der Halbinsel, den die grosse Welt-
herrschaft wohl niederdrücken, aber nicht ersticken konnte. Italien be-
gann seine neuere Zeit mit derselben Verschiedenartigkeit
politischer Bildungen, mit der es einst in die Geschichte
eingetreten war." (S. 23.) Auch der am Ende ausgesprochene Ge-
danke wird vielen kleingläubigen und nur auf der Oberfläche des
jeweiligen Factum s herumspazierenden Zeitgenossen als Lehre die-
nen köonen. „Das aberu, heisst es S. 24, „ist der Trost, den uns die
Geschichte bietet, dass die Menschheit sich nie selber zn verlieren ood
aufzugeben vermag, uud dass grade die heftigsten Erschütte-
rungen das Gefühl von der Noth wendigkeit einer dauern-
den Organisation um so mächtiger und lebendiger her-
vorrufen."
20. Mai. Hortuni.
lieber die Strafrechlstheorie und das Pönitentiarsystem. Von Christian
Naumann, der Königl. Univers, zu Lund Sekretär und Syndikus.
Aus dein Schwedischen übersetzt und mit einem bevorwortenden
Schreiben ton Prof. David. Leipzig. 1849. Verlag von C. B. Lorch,
gr. 8. IV. u. 57 S.
Zur Wiedergeburt der Strafrechtspflege. Gedanken und Vorschläge ton
Rudolf Probst, Oberjustizassessor. Esslingen. i848. Verlag von
Dannheimer. 46 S. gr. 8.
Die Zukunft der peinlichen Rechtspflege, aus dem Standpunkte der See-
lenlehre betrachtet von G. Mehring. Schwäbisch Hall. Verlag
von W. Nitzschke. 1848. IV. und 80 S. gr. 8.
Eine gewisse Verwandtschaft der vorstehenden drei Schriften ergibt
schon ihr Titel nnd ihre gemeinsame Richtung auf Das, was im Gebiete
des Strafrechts entweder schon im Werden ist oder doch werden tollte,
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Schriften aber Strafrechtipflege von Naumann, Probst u. Mehring. 509
auch wenn die Verf. in ihren Ansiebten hierüber sieb nur in mehren Haupt-
punkten begegnen und die Art, wie sie diese Ansichten ausführen, höchst
ungleich ist. Ref. halt es gewissermassen für seine Pflicht, durch diese
Anzeige beizutragen, dass hie und da wenigstens ein Mann yom Fach)
dem nicht das Fortkneten am alten Sauerteig das Höchste ist, auf diese
Schriften aufmerksam werde. Denn dass die Unverbesserlichen, nach ihrer
allen Weise, auch hier wieder Alles mit Schweigen übergehen, Was ihnen
unbequem ist, darf man überzeugt sein. Namentlich 1 äss t sich Diess schon
jetzt in Bezug auf die geistvolle Schrift von Mehring behaupten, die
eiaen besonders wunden Fleck der heutigen Strafrechtspflege, die Frage
der Zurechnung, mit jenem Scharfsinn beleuchtet, von dem alle dem Ref.
bekannten Schriften de? Verf. Zeugniss geben, besonders seine vortreffliche
Untersuchung .der Formalismus in der Lehre vom Staat", die viel zu wenig
bekannt ist. Die Schrift von Probst, obwohl sie nur leicht hingewor-
fene Gedanken enthalten soll, verrath doch überall den denkenden Prak-
tiker und hält sich, wie die seines Landsmanns Mehring, frei von der
Zwangsjacke der HegeTschen Methode und Schulsprache, in der sich
noch immer Manche, zumal in HegeTs schwäbischer Heimat, so wohl
zu fühlen acheinen und die ein gleich gutes Mittel ist einerseits gute Ge-
danken zu verzerren und entstellen, andrerseits Gedankenarmuth zu ver-
stecken nnd dem Unwahren und Nichtigen einen Anschein von Tiefe we-
nigstens für Die zu geben, die diesen Hokus-Pokus noch nicht durch-
schauen gelernt haben. Zu diesen Letzteren gehört offenbar der schwe-
dische Verf. der ersterwähnten Schrift, die, was sie Gutes enthält, nicht
wegen, sondern trotz des von Hegel und seinen Jüngern ihrem Verf.
noch anhaftenden Schulslaubes enthält, den wir ihn stellenweise schon fast
im Begriff sehen von seinen Füssen zu schütteln. Wir wünschen Diess
um so lebhafter, als auch der Verf. Uberall da, aber nur da, wo er an
HegeP sehen Stiebworten und „dialektischen" Gedankenbewegungen fest-
hält, wie besonders iu der ersten Hälfte seiner Schrift, es zu nichts An-
derem bringt als zu halber Wahrheit oder ganzer Unwahrheit. Einen klei-
nen Beitrag wenigstens, um ihm darüber hinauszuhelfen, glauben wir ihm
schuldig zu sein um der Zweifel und besseren Ahnungen willen, die sich
überall bei ihm kundgeben. Wir haben anderswo bereits gezeigt, Was
die Nachtreter Hege Ts entweder nicht wissen oder nicht zu wissen vor-
geben, dass dessen Rechtsbegriff fast ganz hinausläuft auf den in Kauder-
welsch übersetzten Rechtsbegriff Kant's. Ebenso ist der Kern seiner
Sätze Ober Strafrecht abermals nichts Anderes als eine wahrlich nicht ver-
besserte Auflage der Kantischen Sätze. Davon wird sich ein Jeder sofort
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510 Schriften Über Strafrochtspflege von Naumann, Probat «. Mehring.
überzeugen, der sich an Kant 's formales Kriterium des Sittlichen und
des Rechts erinnert: die Möglichkeit der Erhebung der Maxime des Han-
delnden zum allgemeinen Gesetz für das Handelo Aller, — das 10 ziem-
lich Dasselbe ist mit dem Alten: Thun Andern nieht Was du nicht willst
dass sie dir thun — sowie an den in jeder Hinsicht verfehlten Versuch,
hieraus gewissermassen das Wiedervergeltungsrecht abzuleiten, der sich
bei Beiden findet, bei Hege I z. B. deutlich io der vom Verf. (Anm. 13)
mitgeteilten Stelle, deren Schlnss lautet: „Denn in seiner fdes Verbre-
chers) als eines Vernünftigen (KanTa „homo noumenonu) Handlung liegt,
dass sie etwas Allgemeines, dass durch sie ein Gesetz (?) aufgestellt ist»
das er in ihr für sich anerkannt bat, noter welches er also (!) als un-
ter sein (!) Becht subsumirt werden darf.14 Auch dass Jedem Das wi-
derfahre in der Strafe, „was seine Theten werth sind", ist sogar Kait's
Aasdruck. Wie aber dieser Werth zu ermitteln ist, Was der Verbre-
cher verdient bat, worin seine Verse b uldu ng besteht und wie gross
•ie ist, wie das rechte Verhiiltuiss zwischen Schuld und Strafe her-
zustellen ist, über diese (und ähnliche) gleichbedeutenden Fragen fehlt
hier wie dort jede auch nur entfernt genügende und bestimmte Auskauft,
wie es auch nicht anders seiu kann (s. I! ehr iug S. 4 ff. 58); und darum
tragen alle Theorien der Wiedervergeltung den Stempel der Unfruchtbar-
keit und Unbrauchbarkeit an der Stirn, wie der Verf. selbst (S. 40) fühlt.
Uns scheint Hegel vielmehr der Wissenschaft einen sehr schlechten Dienst
geleistet zu haben, indem er die sichtlich unhaltbare Kant'scbe Begrün-
dung des Strafrechts für so Viele unsichtbar gemacht bat durch den Fir-
nis? der Worte und der sofis tischen Gedankenverrenkung, die sich „dia-
lektische Bewegung des Gedankens" schelten lässt und deren Geheimnis*
(darin besteht, dass sie auf das Willkürlichste zwei Unwahrheiten „an sich*
und „für sich" setzt und entgegensetzt, um sodann aus diesen Vorder-
sitzen, gleich einem Deus ex maeuina, die vollendete Wahrheit des „Aa
und für sich" hervorspringen zu lassen. Treffend sagt auch Mehring
in seiner vortrefflichen Widerlegung jenes verunglückten Begrüudungs Ver-
suchs der Vergeltung (S. 30 f. 34, 36): „Eines der klarsten Beispiele,
dass jene doppelte Negation, aus welcher bei Hegel die Position wieder
hervorspringen soll, nichts Andres sei ala eine verdoppelte Null (wenn
nicht ganz anderswoher als aus der zweiten Negation die Position kommt),
ist die Art und Weise, wie er diese Entwicklung der Strafe als Vergel-
tung darstellt«, und führt Diess näher ans. Ebenso zeigt Kahle (Darstel-
lung und Kritik der Begebenen Philosophie, S. 50), dass ea bei Hegel
unerklärt bleibe, nwie denn die änssere Verteilung, welche derStra-
Digitized by Google
I
Schriften über Strafrechtepflege von Naumann, Probit u. Mehring. 511
fenJe dem Verbrecher doch allein anthun kann, die innere (Selbst-) Ver-
letzung des Verbrechers aufheben könne", dass vielmehr io der hinzu-
kommenden zweiten Verlegung kein Gegensalz zur ersten, also keine Wie-
derherstellung des Rechts, sondern nur eine Verdoppelung des Unrechts
liege. — lieber die Befangenheit in Hege Ts „unbefangenem Unrecht"
ist der Verf. hinaus; er gibt sich aber doch die eitle Mühe einen Sinn zu
entdecken io Köstlin's hege Iis ire oder Erklärung des Polizei verge-
bens für ein „bloss mögliches Unrecht«, — das aber dennoch als wirk-
liches Unrecht behandelt, d. h. mit Strafe, also mit einer Rechtsfolge des
Unrechts, belegt werden soll (S. 8); er hält dafür, dass guter Glaube
dss Unterscheideode des Zivilvergehens sei, da doch, Wer z. B. dem
Viodikanten den Besitz ableugnet, keineswegs io bona fide zu aein braucht,
damit ihn die römische Zivilrechtstrafe treffe. Wenn der Verf. (S. 18)
nur gutheissen will, dass man die ewige Idee des Rechts von ihrer zeit-
lichen Gestaltung unterscheide, so ist dagegen Nichts einzuwenden; allein
die dafür von ihm angeführte Stelle Köstlin's gibt einen abermaligen
Beleg, dass es durch das Einüben jener verschrobensten aller Methoden,
die je die Well gesehen hat, Hegel'» Schülern zur andern Natur ge-
worden ist, im Nachsatz Das immer wieder aufzuheben, was sie im Vor-
dersatz aufgestellt haben ; denn es wird hier von vornherein auf gut He-
gelisch eine ewige Idee („ein Orakel«) des Rechts als „schlechthin un-
praktisch" geleugnet, natürlich „hierbei aber nicht stehen ge-
blieben", sondern plötzlich doch wieder eine Idee ab Endziel für die
Weiterbildung des positiveo Rechts eingeschmuggelt und ein Stufengang
io der Entwickelung dieser Idee anerkannt, so dass also doch zuletzt nur
nach der Idee selbst gemessen werden kann, welche Stufe die derzeitige
Gestaltung eines positiven Rechts bereits erreicht hat. Ueber den Gegen-
satz zwischen dem Standpunkt des Ich nnd dem der pantheistischea Welt«
aoschauong, die den Namen des objektiven Idealismus für sich in Anspruch
nimmt, ist der Verf. nicht hinausgekommen, da Krause1 s tiefere, jene
Einseitigkeiten und Extreme vermeidende Auffassung ihm unbekannt ge-
blieben ist. Diess ist nm so mehr zu bedauern, als der Verf. selbst durch-
zufühlen scheint, dass bei Hegel der Einzele als Selbstwesen (Person),
sein Wohl, seine Freiheit und Sittlichkeit zur Null herabsinkt, d. b. dem
Staatsmolocb geopfert wird ; daher der Verf. eingeräumt wissen will, dass
es im Staat, nicht erst durch den Staat, andere sittliche Mächte gebe,
wie Religion, Wissenschaft nnd Kunst, und dass der Staat doch auch
für den Menschen da sei. Man sollte Das wenigstens denken 1 Denn
wenn er nicht für AUe da ist, die ihn beleben und bilden, also euch für
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512 Schriften über Strafrecbtspflegc von Naumann, Probst u. Mehring.
jedes seiner Glieder (Was freilich nicht gleichviel bedeutet wie: dass er
bloss Mittel für den Ein seien sei), für Wen ist er denn da? Mit
der ebenso hocbklingenden als hohlen Antwort: „er ist Selbstzweck",
wird kein denkender Mensch sich abfinden lassen, dem sein Bewusstsein
sagt, dass der Staat eine mehr oder minder vollkommene Einrichtung ist,
die von den in ihm vereint lebenden Menschen ins Leben gerufen und ge-
staltet wird zu einem mehr oder minder klar gedachten Zweck, der da-
rum aber, gleichwie der Zweck der Ehe, nicht etwa ein beliebiger, son-
dern ein durch die Menschenbestimmung selbst vorgezeicbneter ist. Des Verf.
obige Aeusserung zeigt, dass er auf dem Wege ist Ober HegeTs all-
mächtigen, alle menschlichen Bestrebungen hofmeisternden, Staat hin-
auszukommen. Wir knüpfen daran die Bemerkung, dass die „ sittliche
Idee", „der sittliche Geist", gerade so wenig das Grundprinzip des Staats
ist, wie das z. B. eines Wissenschaft- und Kunstvereins. Das Recht, in
dessen Verwirklichung des Staates nächste Aufgabe besteht, ist, gerade
wie das Wahre und Schöne, etwas ganz Anderes wie das Sittliche, nicht
aber etwa die äussere Verkörperung oder, vornehm unverständlich aus-
gedruckt: „das objektive Dasein" der Sittlichkeit (wie S. 32—34 ge-
sagt wird), und es steht mit dieser auch durchaus in keiner andern und
näheren Beziehung als mit dem Schönen und Wabren oder mit dem Re-
ligiösen auch. Wenn der Verf. (S. 30) eine Stelle bei Ab egg rühmt
— was Dieser ihm nicht übel genommen zu haben scheint — so möch-
ten wir wohl wissen, ob der Verf. ebenso erbaut wäre, wenn ihm Eben-
das mutatis mulandis in Bezug auf einen Kranken etwa so gesagt würde:
„Der Arzt hat kein Recht dem Kranken Arznei zu geben, weil er ihn
heilen will, sondern, indem er Diesem von Rechtswegen Arznei gibt,
weil er sich eine Krankheit zugezogen bat, so bat er zu-
gleich die Pflicht, die gehörige Arznei mit Rücksicht auf die wo möglich
su erzielende Heilung einzurichten." Es wäre doch wohl möglich, dass
dieses Gteichniss gerade in der Beziehung durchaus nicht hinkt, in der
wir es hier anführen. Wir gestehen ehrlich, nicht zu begreifen, wie ir-
gend Jemanden, ja wie A b e g g selbst das Fehlerhafte der Kreisdrehung
entgehen konnte, die in seinem vom Verf. angeführten Satze liegt: dass
die absolute Theorie dennoch einen Zweck habe in der gerechten Ver-
geltung, dass diese Selbstzweck sei. —
(ForlseUung folgL)
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Nr. 33. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Schriften Aber Stra fr echt »pflege von HTt
M*M-<hl*a# Ba mm dt Waltwlna-
* r»HBl «Hilft ITÄdirMl^«
(Fortsetzung.)
Dass man vom Standpunkt eines solchen angeblichen Rechts-
grundes und Zwecks der Strafe, wobei auch Henke stehenblieb, selbst
wenn man statt Vergeltung den noch unbestimmteren Ausdruck „Gerechtig-
keit" unterschiebt, zu einer bestimmten Antwort auf die Frage nach dem
Grundsatz für Art und Mais der Strafe nicht kömmt, wie es schon oben
in Bezug auf Kant und Hegel gesagt worden ist, — Diess hat Ref. in
seiner Kritik der „Gerechtigkeitstheorie" des Herrn von P reuschen in
den „kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft" von 1841
so ausführlich gezeigt, dass es Ueberfluss wäre, hier darauf zurückzukom-
men. Folgerecht war es daher nicht von Henke, wie ihm der Verf.
mit Grund vorwirft, wohl aber war es ein Fortschritt zur Wahrheit, wenn
er bei dem todten Begriil der Vergeltung nicht stehen blieb, sondern
von da aus eine Brücke zur Anwendung im Leben zn schlagen suchte,
d. Ii. wenn er auf die bestimmte Frage: wie fangt man es denn an, die
innere Schuld zu vergelten — weder mit unsern bisherigen Gesetzge-
bungen antworten wollte: „durch Peinigung und Misshandlung in gesetz-
lich oder doch gerichtlich geoau vorausbestimmter Weise", — noch mit
unsern alten Strafanstalten: „durch Verschlechterung der Sträflinge", —
noch endlich mit Ahegg dadurch, dass je nach Umständen, d. Ii. in der
Thal nach Willkür, in der „verdieiiten" , „gerechten", „vergeltenden"
Strafe bald dieses, bald jenes s. g. Moment (wie Abschreckung u. s. w.)
vorwalten soll. Henke gab vielmehr die einzig richtige Antwort: „durch
Besserung." — Der Verf. sagt zwar eiuiges Gute Uber das Schiefe des
üblichen Gegensatzes von relativen und absoluten, als s. g. Nutzens- und
Gerechtigkeilslheorien (S. 19 f.); weil er sich aber nicht klar ist übet
den Begriff des Rechtszwecks in seinem Verbältniss zum Rechlsgrund, wie
denn durch Hege Ts Rechtsphilosophie darüber Niemand klar werden
kann, so konnte er zur innern Lösung jenes Gegensalzes nicht kom-
men; er hält daher den unwahren Salz fest, dass die relativen Theorien
das Verbrechen nur als „Gelegenheilsursache" zum Strafen ansehen, ei-
XLIY. Jahrg. 3. Doppelheft. 33
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514 Schriften über Slrafrechlapflege von Naumann, Probst n. Mehring.
nein blosi „«assern Zweck" des Nutzens für das Ganse oder den Ver-
brecher nachstreben müssten u. dergl. Er vermisst hingegen richtig bei
Ahegg und Andern den klaren Nachweis der Notwendigkeit, dass
Besserung, Warnung, Abschreckung etc. sich im Begriff der gerechten
Strafe vereinigt finden müssten (als „Momente"); er macht gegen sie
den Satz geltend, dass die anf sittliche Erhebung des Verbrechers ge-
richteten Massregeln allerdings ein wesentlicher „Theil der Strafe" seien
(S. 30; 33 f.). Wir sind überhaupt bei dem Verf. so zahlreichen (wahr-
fcheinlich ihm selbst nicht immer bewussten) Anklängen aus unsrer klei-
nen Schrift: „Zur Rechtsbegründung der Besserungstrafe" mit Vergnü-
gen begegnet, und die Hauptricbtung seiner Abhandlung stimmt so sehr
mit der unsrigen «berein, dass wir uns überzeugt halten dürfen, dass er
derselben eine Seite abgewounen hat und künftig, wenn es ihm gelun-
gen sein wird sich gänzlich von dem Banne HegePscber Zauberkreise
und Formeln zu lösen und mit etwas mehr Unbefangenheit unsere Aus-
führung der Lehre vom Bechtsgrund und Bechtszweck (s. „Grundzüge des
Raturrechts" §. 15 u. 16) zu durchdenken, in der strengen Folgerung
sos unsern von ihm selbst (S. 29) gebilligten Vordersätzen nicht mehr
eine „einseilige Anwendung" sehen wird. Diese Folgerung besteht näm-
lich in der „Erhebung der subjektiven Seite der Strafe (<ler Sinnesän-
derung des Verbrechers) zur determinirenden." Der Verf. will Diess nicht,
obgleich er selbst zugibt (S. 31; 34 f.), Was Rer. des Nilhern ausgeführt
hat: dass das Recht nicht eher ganz wiederhergestellt sei, als bis
das Unrecht auch in der Gesinnung aufgehoben sei; er will mithin fol-
gewidrig das Verfahren zur Wiederherstellung des Rechts eingestellt wis-
sen, auch wenn diese noch nicht bewirkt ist; er erkennt mit dem Ref.,
ja mit dessen eigenen Worten an , dass das Verbrechen aus einer „Fehl-
richtung des Willens" entsprungen sei, aus einer „rechtswidrigen Gesinnung,
als der stets fortfliessenden Quelle" auch des äussern Thuns; er siebt im Ver-
brechen keineswegs eine vereinzelte, in sich abgeschlossene und fertige
Handlung (S. 24; 30). Wie soll dann aber, müssen wir fragen, der
Staat dazu kommen und wie es anfangen, nach S. 34 die Strafe doch
nur „nach der Schuld zu bestimmen, die in dem Verbrechen zu Tage
liegt in dem Augenblick, wo es begangen wird, nicht aber nach dem
erst künftig eintretenden Umstand der Besserung des Verbrechers" ; denn
wie will er die Schuld anders erkennen, als im -Zusammenhang des ein-
zelen Ausbruchs mit dem inneren Sitz der Krankheit? woher sonst ab-
nehmen, ob diese richtig erkannt, bebandelt und nach Möglichkeit geho-
ben ist, ob also fernere Ausbrüche nicht zu besorgen sind, als — an
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Schriften über StrafrechUpflege von Maumann, Probst o. Mehring. 515
dem guten oder schlechten Erfolg des bisherigen Heilverfahreos? Dass
die Gerichte auch ferner, wie der Verf. will (S. 52), auf Zeit verur-
teilen, dagegen hat auch Ref. Nichts einzuwenden, sofern Diess nur bin«
nen eines sehr weiten gesetzlichen Strafrahmens geschieht • — wie er
jetzt üblich geworden ist und wie ihn auch Probst und Mehring fo-
dern — und zwar auf eine je nach der Wahrscheinlichkeit der Errei-
chung des Strafzwecks binnen bestimmter Frist zu bemessende Zeit, frei-
lich müssten, um Diess auch nur annäherungsweise richtig zu können, unsre
Richter ein gutes Theil bessere Kenner des inneren Menschen sein, als
sie es bis heute zu sein pflegen. Was aber um des klarsten Rechts
willen gefodert werden muss, ist, dass man endlich die leere Erdichtung,
dieses so Uberaus trttgliche Unheil sei ganz untrüglich und gerecht, fal-
len lasse, dass man vielmehr die Strafurtbeile im Bewusstsein dieser Trüg-
tichkeit fälle und ebendarum mit dem Vorbehalt späteren Ab- und Zu-
tbuns für den Fall jener genaueren Bekanntschaft mit dem Inneren der
Sträflinge, wie man sie in einer guteingerichteten Strafanstalt unfehlbar
bald machen wird, und wie mit Gh. Lucas, St. Vincent und Reich-
naoa auch Probst (S. 12 u. 16), v. Lichtenberg, Mooser und
Mehri ng (8. 63) es verlangen. Dass, wie schon Henke will (s. Anm.
31), auch eine solche nachträgliche Berichtigung des früheren Urtheils
nur wieder dem Gericht zustehen könne, und zwar auf den Bericht
des Gesammtvorstaedes der Anstalt hin, scheint auch dem Ref. der einzig
richtige Weg zu seiu; nicht minder, dass bei ganz unzweifelhafter
Besserung oder Nichlbesserung vor oder bei Ablauf der Strafzeit, be-
ziehungsweise Strafnachlass oder Slrafverläogerung rechtlich oo In-
wendig sind — allen Träumen einer fatalistischen Wieder vergeltungs-
oder s. g. Gerechtigkeitstheorie zum Trotz — ; dass es hingegen, sobald
nicht alle Zweifel über eine vollständige Besserung gehoben sind, den-
noch bei der im ersten Unheil bestimmten Strafzeit bleiben muss. Das
Nähere wird nicht schwer zu bestimmen sein, wenn man endlich einmal
von der Wahrheit durchdrungen sein wird, dass nur ein solche« Verfah-
ren dem Recht wie dem Wohl des Staats und des Verbrechers entspricht,
dass nur es nicht geradezu vernunftwidrig und sinnlos ist. — Vielfache
deutlichen Anklänge aus unsrer kleinen Schrift, die wir bei dem Verf.,
wie gesagt, gefunden haben, verrätb zumal die zweite Hälfte seiner Ab-
handlung, worin er die von ihm s. g. subjektive Seite der Strafe: das
notwendige Hinwirken auf Besserung, das man, wie er gut sagt, mit
dem Namen des „Besserungszwangs44 abspeise, nachdrücklich betont und
näher ausführt. So namentlich die Satze ; dass das Verbrechen zwar eine
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516 Schriften über StrafrechUpflege von Naumann, Probst u. Mehring.
Verletzung des Rechts, jedoch nicht nothwendig bestimmter besondern
Rechte sei (S. 9); dass der eigentliche Gegenstand der Strafe in der
Gegenwirkung zum Ersatz des inneren Schadens bestehe (S. 10); dass
die s. g. bürgerliche Besserung nur eine halbe Massregel, nur ein an-
derer Ausdruck des Präventionsprinzips sei (S. 24); dass der Verbre-
cher nm seiner selbst willen gestraft werden müsse (S. 24); dass
die Strafe sowohl negativ, durch Entfernung Dessen was von Aus-
sen den bösen Neigungen Vorschub tbut, als positiv zu Werke geben
müsse (S. 35 ; 43) ; dass sie auch für den Verbrecher selbst ein Gutes,
eine Wohltbat, zu seinem Besten gewandt werden könne und müsse durch
Umstimmung seines Willem (S. 13; 35); dass die hiernach eingerichte-
ten Freiheitstrafen „von der grossen Mehrheit der Halbgebil-
deten ausser dem Gefängnis* als ein Uebel angesehen werden u (S. 48) ;
dass der Verbrecher als sittlich Unmündiger zu behandeln sei (S. 37);
dass die so beschaffene Strafe in jeder Hinsicht anch die nützlichste sein
werde (S. 38 f.) u. s. f. — Dea Verf/s Worte auf S. 40 und andere
Stellen lassen erwarten, dass er künftig, Was er jetzt schon ahnt, völlig
deutlich einsehen werde, dass nSmlich das ganze Strafrecht durchaus
nur (na cli seinem rechtlichen Grund und Zweck) als eine Art des Vor-
jnundschoftrechts begriffen werden kann. Damit ist aber freilich nicht
gesagt, d8ss die Vormundschaft „eine absolute sei, die aicb selbst (!) als
Rechtsprinzip setzt« ; denn diess Letzte wäre ein Unsinn , und jede Vor-
mundschaft ist wesentlich relativ, d.h. bedingt durch den stets wech-
selnden Zustand des Bevormundeten. Dass sie diesem Zustand sich anpasse,
das Beste des Bevormundeten fördere, also beim Sträfling die Richtung
auf Besserung habe, Diess freilich ist unbedingt nothwendig, nicht aber
wie der Verf. wähnt, bedingt durch die Vereinbarkeit mit der ganz
unklaren und unbestimmten Bedensart der s. g. „objektiven Seite", dem
„objektiven Moment u oder .. objektiven Zweck « der Strafe. Nach des
Verf. eigner Erklärung ist dieser objektiven Seite genügt durch äussere
Unterwerfung des Verbrechers unter das Gesetz, wodurch dessen Herr-
schaft für diesen Fall wieder hergestellt sei (S. 31); aber er hat doch
selbst gefühlt, dass dieses „äussere mechanische Faktum«, diese blosse
Bändigung, die blosse zwingende Gewalt, die sich z. B. auch im Umbrin-
gen oder beliebigen Misshandeln, lebenlangen oder arbeitlosen Einsper-
ren etc. geltend macht, „das Verbrechen nicht aufheben« kann; wie also
diess selbst völlig unbestimmte „objektive Moment« den doch noth-
wendig bestimmten Grundsatz für Art und Mass der Strafe, wie es
die Grunze soll ergeben können, innerhalb deren allein das „subjektive
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Schriften über Strafrechtspflege von Naumann, Probat n. Mehring 517
Moment", die Besserung, statthaft nnd berechtigt sein soll, davon hat
Ref. gar keine Vorstellung. Ihm scheint vielmehr alle und jede recht-
liche Begränzung für die Strafe gänzlich verloren zu gehen, sobald jene
nicht aus dem nächsten Recbtsgrund der Strafe (als einer Art der Be-
vormundung) hergenommen werden soll, durch den sie von andern Rechts-»
einrichtungen sich unterscheidet, sondern aus dem weitern Rechtsgrunde,
der ihr mit allen andern solchen gemein ist. Daher war es auch ein ganz
richtiges Gefühl, in dem der Verf. auch bei niederen Graden der Straf-
barkeit an der Aufgabe der Besserung festgehalten wissen will (d. h. am
vormundscbaftlichen Charakter der Strafe) (S. 36), obwohl er bald nach-
her die Folgerichtigkeit abermals dem Traumbild der „objektiven Seite«
opfert. Diese ist Uberhaupt die schwache, die subjektive aber die starke
Seite seiner Schrift, der ersten unsers Wissens in Schweden, die jenen
bessern Geist alhmet, dem entschieden die Zukunft angehört und dem al-
lein der Verf. die überzeugenden Gründe verdankt, die er gegen das
starre und folgewidrige Festhalten des Grafen Sparre an dem Gedan-
ken einer wiedervergeltenden Strafgerechtigkeit ausgeführt bat (Ann. 38
o. 46). Doch finden wir wenigstens dessen Aeusserung: „die Freiheitberau-
bung sei nur ein negatives Moment, bei welchem das positive oder die
Strafe selbst fehle, und das Gefängniss sei ein Raum in welchem die Strafe
vollzogen werde- nicht nur nicht oberflächlich, sondern sehen darin eine
gebt- und ahnungreiche Bemerkung, die ganz geeignet wäre, der Denk-
weise ihres Urbebers die rechte Richtung zu geben, wenn er sie fol-
gerecht anwendete. i
In der Schrift von Probst habeu wir, und zwar nicht, wie bei
Naumann, getrübt durch eine Beimischung von Wieder vergelterei, eine
eigentümliche, mehr vom praktischen Standpunkt ausgehende Entwicke-
lung desselben Grundgedankens gefunden, für den wir seit einer Reihe
von Jahren in die Schranken getreten sind. Diess gereichte uns zu um
so grösserer Freude als wir, obgleich der Verf. überhaupt auf Schriften
Anderer nirgends verweist, doch nicht verkennen konnten, dass wenigstens
unsre Abhandlung über die „Besserungstrafe" ihm bekannt gewesen und
nicht ohne Ginfluss auf seine Darstellung geblieben ist. Jener Grundge-
danke ist: dass, trotz aller noch herrschenden Vorurtheile zu Gunsten uns-
rer ganzen bisherigen Strafrechtspflege , die Alles über einen Kamm ge-
schoren, der entscheidende Schritt zu ihrer gründlichen Umgestaltung in
einem andern, bessern Geist endlich geschehen müsse, nnd zwar dadurch
dass künftig, wie überhaupt, so auch durch das Strafgesetz und seine An-
wendung auf den Verbrecher, die Eigenthümlichkeit der Person, die In-
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iividualitBt, zur vollen Geltung gebrecht werden müsse (S. 7 f. 44).
Der Verf. zeig», wie diese Foderuog de« Achtens der Einzelen eis Selbst-
zweck überdies* seit der ältesten Zeit Ubereil bei nns Deutschen hervor-
getreten sei, weil sie innig verwachsen sei mit eosrer ganzen Denk- und
Gefühl weise , dass dieser aber alle Einheit ohne Manuichfall (z. B. Zen-
WaKeation), alle gewaltsame Gleichförmigkeit, völlig zuwiderlaufe; er er-
innert daran, dass man in Deutschland ursprünglich alle Fälle indivi-
duell, also auch nach dem Bedttrfniss des Orts und der Zeit, beurtbeüt
habe, dass daraus dann allmählich die Regel gebildet und endlich aufge-
schrieben worden sei. Er besteht daher mit Grund darauf, dass wir, we-
gen dieser unsrer VolkseigenlhUmlichkeit, nicht daran denken dürften, je-
mals für die Mängel unsrer Zustände die fertige Abhülfe nnbesehens vom
Auslande zu borgen, namentlich auch nicht in Hinsicht auf Geschwornen-
gerichte und „ amerikanische " Besserungshünrer. Diese scheinen ihm ( S. 17),
sofern Oberhaupt von einem Universalmittel sich reden lasse (ß. 24), ein
solches gewissermassen zu enthalten, wenn sie den Sträflingen nicht eine
fuhrt b m 'i£ irrt*" cnnrlnrn im narli ihr Ar r n n v i I /f : tf I I i \ ) humnccAnn
^ I HUI I Kiriuo>sl^t ^ >tMllJLril JO lllli.ll ICIlvl p^UuL" Ii ff Hui ▼ I (III et 1 1 1 U l U tMII".. SLlI t
Behandlung angedeiben lassen, ganz ähnlich wie auch Na «mann (8. 49)
zugibt: man könne nicht ohne Grund behaupten dass, wie alle Verbre-
chen eine gemeinsame Quelle haben, es auch wirklich ein allgemeines Heil-
mittel für dieselben gebe, nämlich: die Heue welche Besserung wirkt,—
die zu bewirken Hauptaufgabe des Pönitentiarsystems sei. Der Verf. führt
aus, dass schon bisher allmählich der Gedanke im Leben sich Bahn ge-
macht habe, dass die Richter selbständig jedem Verbrechen seine Strafe
ermitteln sollen, und er verlangt Erweiterung dieses Rechts ..nach Nass-
gabe der individuellen Änderungen einzuwirken«, dass sie mitbin nach
der Individualität der Verbrecher** ein Wort bei der Strafart mitsprechen,
bei ungewöhnlichen Fällen auf Strafuli ndernug unter das gesetzliche Mass
erkennen, wenigstens auf Minderung im Gnadenwege Anträge stellen und,
ob eine That ehrlos mache, ausscbliessend entscheiden sollen (S. 45t.); er
zeigt sehr gut (Sw 18; 24 etc.), dass eine erschöpfende Vorausbestira-
raung der Verbrethen sowohl als der Strafen — da beide eben nur ganz
individuell bestimmbar seien ~ ~ ~~ gerechter Weise durchs Gesetz unniö^—
lieh ist, und die bisherigen allgemeinen äusserlichea gesetzlichen Kate-
gorien, unter die man die Verbrechen zu bringen versucht bat, nur Pro-
krustesbetten sind, die gewaltsam das Ungleichste gleich machen wollen.
Habe man sich auch natürlich nicht aller Rücksicht auf das subjektive
Verhalten des Thlters« entschlagen können z. B. darauf ob er mit Ab-
sicht, wohl gar mit Vorbedacht, gehandelt habe oder nicht, indem sogar
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Schriften über StrafrechtsDlleire von Naumann. Probst u. Mchrini». 519
die Empfindung der Verletzten selbst sich nicht sowohl nach dem äusseren
(objektiven) Ergebnisse der Thal bestimme ab nach der Art und den
Umfang der Absiebt (S. 11) — , so habe man doch durchweg der
„äusseren Erscheinung" der Tbat „dem Objektiven", „dem Erfolg" in
ganz ungehöriger und unerträglicher Weise überwiegenden EiuQuss ein-
geräumt auf Bestimmung der Stufe der Strafbarkeit, statt zu begreifen,
dass dem Erfolg Bedeutung nur zukömmt „insofern er im Willen des
Verbrechers begründet war und diesen Willen ebendadureh als einen ge-
fährlicheren oder weniger gefährlichen darstellt." Nicht einmal versucht
habe man, die Verbrechen nach der Gefährlichkeit der Willensrichtung
zusammenzustellen oder die entehrende Gesinnung — die man vielmehr
auf gewisse äusserliche Kategorien hin z. B. die des Diebstahls geradezu
gesetzlich erdichte — oder überhaupt irgendwie die Triebfedern und die
Individualität der Verbrecher naher zu beachten (S: 1 9 ff.). Der Verf.
verlangt nun nicht etwa, wie Naumann, dass dem subjektiven Standpunkt
neben dem objektiven eine „grössere", sondern dass ihm die „ganze
und volle" Bedeutung verliehen werde, die ihm nach der Natur der
Sache zukömmt (S. 22). Das Verbreeben besteht ihm hauptsächlich in
einer kundgegebenen, „der öffentlichen Ordnung", „dem geordneten Zusam-
menleben" ( s. 9 u. 12), — er halte dreist bestimmter sagen dürfen:
der Rechtsordnung — „widerstreitenden Richtung des Willens", die sich
bald mehr bald minder in Verletzung (Missachtung und Sicherheitstö-
rung) des Einzelen oder der Gesellschaft bethätigt hat. Diese Willens«
riebtuog ihrer ganzen Eigentümlichkeit nach wieder aufzuheben sowohl
durch „negative" (äussere Reize entfernende) als „positive" (eigentlich
bildende , erziehende) Einwirkung, den Willen „umzustimmen", wo mög-
lich von Innen heraus dnreh Besserung, nicht bloss auf dem unsichere,
nnr auf das Thierische im Menschen berechneten Wege der Furcht, er«
scheint hiernach dem Verf. als die Hauptaufgabe der Strafe. Er zeigt
naher, dass die Mittel zu ihrer Lösung regelmässig zugleich die besten
sind um die ebenfalls erfoderliche Genugthuung und Sicherung im rech-
ten Masse zu gewähren, sowie noch andere Vortheile zu erreichen z. B.
den des Schadenersatzes durch die Arbeit des Verbrechers, die zu seiner
Besserung ohnehin unerlässlich sei ( s. 10 — 15). Da es nun unmöglich
sei, den Zeitpunkt mit Sicherheit voraus zu bemessen, wo der Wille sich
der verbrecherischen Richtung entledigt haben wird, wo die Gefahr mit-
hin ab beseitigt anzunehmen ist, da sich derselbe vielmehr nur aus der
steten „Beobachtung" des der Strafe bereits Unterworfenen entnehmen lasse
(S. 12), so müsse auch die Daner der Strafe davon abhängen ob jener
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S&O Schriften über Strafrechtspflegc von Naumann, Probst u. Mehring.
Zweck erreicht sei; man möge daher eine gewisse Zeit der Strafe zum
Voraus festsetzen, „ob aber Ober diese hinaus das Strafmittel noch ferner
nnd wie lange anzudauern habe, diese Frage wäre der Beurtheitung De-
rer anheimzugeben, welche über die erfolgte Besserung zu ortheilen im
Stande sind" (S. 16). Der Verf. will überhaupt die Art der Strafmit-
lel, die ganze Behandlung der Verbrecher genau ibren „nur sich selbst
gleichen" Verbrechen, je nach der Besonderheit der Antriebe und Um-
stände, angepasst, nur nach der Individualität der Verbrecher entschieden
wissen, ob sie nur beaufsichtet oder eingesperrt und abgesondert werden
müssen elc. (S. 12; 15). Der Hauptwerth der Schrift des Verf. liegt
mdess nicht in der Wahrheit der eben erwähnten Sitze, die mit Dem,
was auch Bef. seit Jahren behauptet hat, im Wesentlichen ganz überein-
stimmen, sondern in der Art wie der Verf. sie durch Beispiele aus der
entgegengesetzten oder auch unmerklich sich annähernden üebung der heu-
tigen Strafrechtspflege zu veranschaulichen gewusst hat. Letzteres zeigt
sich nach ihm zumal in den weiten Strafrahmen unserer Gesetze, in dem
hie und da dem Bichter ertheilten Hecht, sogar unter das niederste Straf-
mass des Gesetzes herabzugehen, wozu noch die immer allgemeinere
Ueberzeugung komme, dass nur er über Ehrlosigkeit urthcilen sollte, nicht
das Gesetz. Zur Unterstützung seines Vorschlags erinnert der Verf. sehr
gut daran, dass man ganz ähnlich bei der fast noch wichtigeren Be-
weisfrage endlich abgekommen sei von der, früher auch hier üblichen
mechanischen Anwendung starrer gesetzlichen Kegeln und endlich begrif-
fen habe, dass der Bichter, um saebgemöss zu urtheilen über die That-
frage, in die ganze Individualität des Falls eingehen müsse. Auch müsse
das Strafgesetz immer dem Bichter wenigstens Anhaltpunkte geben, nnd
zwar ausnahmweise auch in Gestalt vou Befehlen z. B. in Bezug auf
Verjährung, auf auswärts oder von Ausländern begangene Verbrechen,
durch Aufzäblong aller strafbaren Handlungen sowie der statthaften Strafmit-
tel, unter denen der Bichter zu wählen habe. — Zu den offenbaren
Missgriffen des Verf. gehört, dass er zu diesen statthaften Strafmitteln
noch Ehrloserklurung , Einsperrung ohne Arbeit, Deportation, ja sogar
Galeerensklaverei und Berg werkarbeit zahlt und es beklagt, dass unsere
Kleinstaaterei die letztgenannten Mittel unmöglich mache (S. 30). Ebenso
irrig ist seine Ansicht, dass es, auch in Besserungsanstalten nach fila-
d elf is ehern Vorbild, nicht anders möglich sei als die Verbrecher aus
besseren und aus niedrigen Beweggründen der „gleichen Kuru zu unter-
werfen; nur freilich darf nicht der ziemlich häufige Fehler begangen wer-
den, den wir in einem Aufsatz im neuen Aren, des Krim, von 1850.
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Schriften Ober Strafrechtspflege von Naumann, Probst u. Mehring. 521
3. Stück („zur Verständigung über das Verhältnis* der Einzelhaft zur Slraf-
gesetzgebung«) gertigt haben, das* man in der blossen Eintelhaft
als solcher das Heil sucht. Endlich müssen wir die Voraussetzung,
dass es Verbrecher gebe, wo man die Hoffnung, sie zu bessern, aufge-
ben müsse, sammt der Folgerung, dass man sie danach behandeln dürfe,
mit Mehring (S. 43) unbedingt verwerfen; in dem Ausdruck aber:
dass die Strafe den Verbrecher „als Uebel belasten" müsse (S. 16) und
ähnlichen Aeusserungen sehen wir noch einen Rest von Befangenheit in
der alten Denkweise, über die der Verf. sich doch im Uebrigen ganz er-
hoben hat. — Bedingend für die Ausführung des Vorschlags, die Straf-
bestimmung den Richtern zu überlassen, ohne dass Diess bedenklich würde,
erscheint dem Verf. eine gute Gerichtverfassung und ein zweckmässiges
Verfahren. Er glaubt zwar, dass die getrennte Entscheidung Uber die
Tbalfrage und die Rechtsfrage auch mit seinem Vorschlüge vereinbar sei,
hält aber sehr mit Recht dafür, dass eine solche Trennung, deren scharfe
Durchführung ohnehin, wie er kurz und gut zeigt, unmöglich ist, nicht
aus der Natur der Sache fliesse, sondern mehr ein künstliches, formelles
Schutzmittel gegen Willkür schlechter Richter sei, das ttberdiess das
Dasein bestimmter Strafgesetzo voraussetze, deren Anwendung Rechts-
kenntuiss erfodere. Er will nun (S. 39 u. 42) keineswegs blind skla-
visch, nach dem Rath unsrer Anglo- oder Gallomanen, eine blosse Nach-
betern der fremden Einrichtungen sammt ihren zum Thcil handgreiflichen
inif] ..unerträglichen" Gebrechen, sondern hält für die beste Auskunft die
Zuziehung: einiger stündigen Richter, — die aber nicht gerade die Re-
gierung auszuwählen brauche, — um den Geschworenen die nötbige Ge-
setzberücksichtigung zu erleichtern, zugleich einige Stetigkeit der Recht-
sprechung zu verbürgen und mit vollem Vertrauen ihnen in der Straf-
bestimmung- freie Hand lassen zu können. Diess komme denn auch dem
Verfahren zu Stalten, in welchem ihm, mit Vermeidung der sachwidrigen
und unnatürlichen fremdländischen Beschränkungen (S. 41), eine Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand wegen neuer Beweismittel, wenig-
stens zu Gunsten der Verurteilten, nicht aber eine eigentliche Beru-
fungsinstanz, unerlässlich scheint. Damit jene aber möglich sei, müsse man
zu erkennen im Stande sein, Was neu sei. Weil Diess aber untbunlicb
sei bei bloss mündlichem Verfahren und bei einer Entscheidung ohne
Entscheidlingsgründe, so verlangt er eine grössere Bedeutung für die Auf-
zeichnungen eines nicht, wie bisher, parteiisch dastehenden, sondern ganz
unparteiisch zu stellenden Verhörrichters, ebenso Aufzeichnung der Haupt-
punkte (Zeugenaussagen und Urkunden) bei der Hauptverhandlung, end-
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522 Schriften über Slrafrechtspflcsrc von Naumann, Probst u. Mehring.
lieh schriftliche Abfassung: der Url heilsgrün de; denn die Ueberzeugung
Ton Schuld und Unschuld, da« Gesammtbild (der s. g. Totaleindruck),
beruhe unstreitig auf bestimm teu Gründen, — auf Richtigkeit der ein-
zelen Züge und ihrer Verbindung zum Garnen; — die Darlegung dieser
Gründe könne aber wieder nur an beigezogene Recbtsverständige verlangt
werden. Dass auch diese Vorschläge des Verf. viel Beacbtenswerthes
enthalten, so sehr sie auch gegen den Strich der jetzigen Nachahmungs-
wuth sind, unterliegt keinem Zweifel. Ihre nähere Prüfung liegt dem
Hauptzweck dieser Anzeige fern und wir fügen nur die einzige Bemer-
kung bei, dass das Vorverfahren auch in Frankreich und überall da ganz
unzuverlässig und bedeutungslos bleiben muss und, trotz der Aussicht anf
das Öffentliche Hauptverfahren, aller genügenden Bürgschaft gegen Will-
kürlicbkeiten entbehrt, wo nicht in ähnlicher Weise für Überwachung
des Untersuchungsrichters und eine Art von Oeffentlichkeit gesorgt ist,
wie es früher bei uns geschah durch zugezogene Schöppen.
Wir wenden uns nun zu der Schrift voo Mehring, unstreitig von
den dreien, deren Besprechung wir uns vorgesetzt haben, der am Tief-
sten eingehenden, — einer Untersuchung, deren Tüchtigkeit sie der frü-
heren Arbeit des Verf. Uber die Staatsformen würdig an die Seite stellt
und sie vermulhlich deren Schicksal tbeilen Ittsst, dass sie für den gros-
sen Tross unsrer Buchmacher uud Tagelöhner im Felde des Rechts und
Staats so gut wie nicht vorhanden sein und entweder schamlos ignorirt
oder vornehm belächelt werden wird. In sechs Abschnitten gibt uns der
Verf. seine Betrachtungen über Zurechnungsfähigkeit, Beweis, Strafzweck,
C(i*nfn.lnn Cl.nfmaj. .1nil Cü f li n frn iL*rc irc hl m ji V,,« slttn flM.AL mm** liinjn.nli
oiruiarien, ointimass unu ueiuugnisssysieme. iiur iieu ourcu sie uinuurcn
gehenden Gedankenfaden und die Hauptsätze wollen wir versuchen dar-
zulegen und mit einigen Bemerkungen begleiten , indem wir des Verf/s
Ueberzeugung theilen, dass sich — wenigstens auf die Daner «— die
„peinliche - Rechtspflege den Ergebnissen der Selbsterkenntnis, d. b. der
psychologischen Forschung, nicht entziehen könne. Den Ausgangspunkt des
Verf. bildet natürlich die Prüfung der Zurechenbarkeit (S. 2— 23),
die leicht noch schärfer und treffender ausgefallen sein würde, wenn der
Verf. sich vor Allem ganz bestimmt darüber ausgesprochen hätte, Was
er unter Zurechnung, und zwar uater rechtlicher Zurechnung, gedacht
wissen will (in der Art wie der Psychologe K. Möller), ob etwa das
»T.ll •! . Ammm I lm„„,| J „, * ILnnnnrinn f\Anw oit^k Im Krorrofnll ^or IJ.noAf
urujeii. udss jeiMHuu im Aiigcuinueu uuci uuvu iui rivgciuii uor musivut
von Recht und Unrecht fähig gewesen, folglich auch für die Rechtsfolge
des Unrechts, die Strafe, empfänglich und ihrer bedürftig sei. Er würde
dann wohl auch nicht immer nur von Zurechnung zum Vorsatz gern-
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Schriften über Strafrechtepflege von Naumann, Probst u. Mehring. 523
det haben (z. B. S. 7 u. 21), obwohl Dies* der Hanptfall ist und man
Voreatz gewiss nur entweder ganz oder gar nicht haben kann, dage-
gen das ürthcil: ob überhaupt und welcher Unrecbtswille Quelle einer
Wirkung war — d. h. Zurechnung*- und Zumessungsurtbeil aufs Engste
zusammenhängen und in diesem Sinn auch wohl gesagt werden mag,
dass Jemanden ein Vergehen mehr oder weniger als Werk seines Wil-
lens zugeschrieben oder zugerechnet, d. h. als durch Strafe zu tilgende
Schuld auf die Rechnung geschrieben werden kann. Unrecht aufheben
durch das Strafrecht wollen Alle, sogt der Verf., erst bei der Frage:
wie und wo das Unrecht zu treffen und aufzuheben sei — thoilen sieb
die Ansichten.
Ist eine Miss et hat nur als äusserer Vorgang, als Erfolg, oder als
innere Willensbewegung aufzufassen? Im ersteren Fall, sagt der Verf.,
könnte nur von Ersatz, nicht eigentlich vou Strafe und Zurechnung die
Rede sein; man möchte so die Frage nach dem Innern der Handlung ganz
nmgehen, als ob sie nicht von dieser Welt wäre. Allein der Erfolg, als
Wirkung einer Ursache, sei etwas eben so wenig Einfaches wie diese
selbst, die man in ihrer Zusammengesetztheit mit dem Ausdruck „die Um-
stände" zu bezeichnen pflegt; oder von welch1 andrer Wirkung wäre
wohl der Schutze selbst die Ursache, als von dem Druck auf den Drü-
cker? Wollte man also nicht nach dem blossen Erfolg als Mörder anch
Dan strafen, der eiuen Menschen erschoss, den er für einen Rehbock
hielt, wenn auch nicht Jenen, der statt des gräflichen Rehbocks den eig-
nen Esel tödtett, so könnte man ihm doch höchstens soviel zumessen
wie er als Folge seiner That erkannt hat, da nur soviel für ihn nicht
ein Zufälliges wäre, also in Hinsicht der mitwirkenden Umstände nur gleich-
sam die intellektuelle Miturheberschaft. Das GegenlhcU wäre ein Ver-
fallen in reinen heidnischen Fatalismus, gleich Hegel, indem er das Un-
glück, dem man sich z.B. durch einen Stein wurf aussetzt, für das Werk
des eignen Willens erkläre (S. 5). Diese Ungereimtheit führe hin auf
die rechtliche Notwendigkeit der Würdigung des Innern, der sub-
jektiven Seite der Thal, da nur hiernach diese Ausdruck eines Ge-
dankens sei, Mord, Betrug etc. genannt werde, und uls bestimmte einzele
Handlung, als Erlolg des Wirkens eines bestimmten Einzelen, sich ab-
gramen lasse. Zwar sei nicht allein auf den Vorsatz (unrechtlichen
Willen Ref.) zu sehen, sondern zugleich auf den Erfolg, aber nur so,
dass diesem, der oft durch rein zufällige Umstände gehemmt oder ver-
stärkt werdo, nicht wieder ein Uebergewicht zugestanden werde. Soll
hiernach, wenn wir recht verstehen, nicht etwa der Erfolg rein öosser-
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524 Schriften Über Strafrechtspflege von Naumann, Probst u. Mehring.
lieh all ein selbständig neben dem Willen zu berücksichtigender Straf-
bestimmgrund aufgefasst werden, so sind wir damit völlig einverstanden.
Ob Etwas und Was an einem Erfolg dem Vorsat» (dem Willen Ref.) zu-
zurechnen sei, sagt der Verf. weiter, kann uns ganz deutlich nur das
Geständnis» erkennen lassen, das aliein ..das Geheimniss der Persönlich-
keit'*4 aufzuschiiessen vermag, sofern nämlich, müssen wir beifügen, der
Verbrecher nicht sich selbst ein Rathsei ist. Unsere Gesetzbücher gaben
zwar zu, dass von einer Handlung da nicht die Rede sein könne, wo>
der Vcrstandesgcbrauch fehlt, aber sie sähen so wenig wie Feuerbach
ein, dass auch trotz vorhandenen Verstandesgebrauchs, ja trotz des feinsten
Schlussvermögens und der Fähigkeit sogar zur Durchführung wissenschaft-
licher Untersuchungen, entschiedene Geisteskrankheit bestehen könne. Oft
bilde ganz oder theilweise eine Wahnvorstellung, z. B. eine Sinnestäu-
schung, den Untersalz zum Willcnsrhluss, und wo die Gränze jener und
der wahren Vorstellung, mithin der Zurechnung sei, sei schwer zu sagen.
Der Verf. führt Dies» scharfsinnig aus, ebenso dass oft die Natnr der
Handlung, z. B. als einer brandstiftenden, misskannt werde, daher, wenig-
stens rechtzeitig, ihre Unterordnung unter das Gesetz ausbleibe, ebenso
oft aber auch der Obersalz, unter dessen Regel sie zu ordnen sei (S. 10 f.),
zumal bei der jetzt alltäglichen Aufblähung des Ich zum Weltgesetz. —
Nicht selten tyrannisire auch Den , der wähne durch sich selbst bestimmt
zu werden, unbewusst irgend ein herrschender (i. B. ein kommunistische^
Gedanke. Ebenso oft komme natürlich das blosse strafgesetzliche Verbot
su kurz gegen die positiveu, Fleisch und Blut habenden Beweggründe,
die zum Verbrechen treiben, um so mehr als immer nur eine Vorstel-
lung in voller Klarheit und Stärke bestehe, während aie andern im Hin-
tergründe oder im Schlummer siod, und jene doch nicht wohl immer die
sittliche Idee sein könne, vollends in einer Zeit der verfeinertesten Sinn-
lichkeit und der Abtödtung alles idealen Feuers.
Der Verfasser will nicht leugnen, dass im Allgemeinen irgend eine
Schuld jederzeit allen (geistigen lief. ) Fehl-Bildungen und Richtungen zum
Grunde liegen mag, aber — wieviel, fragt er, kömmt davon auf den
einzelen Menschen und gar auf dessen eiuzele That? — und Wer wollte,
auch wenn der ungeordnete Geisteszustand verschuldet ist, immer die
daraus entsprungene Handlung zurechnen oder etwa dai in verschuldeter
Trunkenheit verübte Verbrechen? Dieser letztere Fall, in welchem, we-
nigstens nach den auf dem Papier herrschenden Lehren, allerdings zuge-
rechnet werden soll, scheint jedoch dem Ref. sehr wesentlich von dem
enteren verschieden; auch glaubt er nicht, wie der Verf. (S. 18), an die
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Schriften über Strafrechlspflege von Naumann, Probat u. Mehring. 525
mania sine delirio, er sieht vielmehr in diesem Unding der Aufhebung
der Selbstbestimmung, ungeachtet vermeinten Daseins des vollen Vernunft-
gebraochs, nur eine durch die Kürze des Anfalls beförderte Täuschung.
Dass aber bei Solchen, die an fixen Ideen und an Irrtrieben leiden, vom
Ziehen einer sichern Grunze zwischen Denen, die man einsperrt oder die
man in Freiheit lässt, welchen man zurechnet oder nicht, gar nicht die
Rede sein kann, Diess muss man dem Verf. zugeben; ebenso, unsers Br-
echtens, wenn man ihm ins Eiozele seiner Ausführung gefolgt ist, dass
die Zurechnungsfrage, wie die heutige Strafrechtspflege sie aufwirft, eine
ganz unlösbare Aufgabe sei (ß, 20). Ref. hat Diess bereit* in seinen
„Grundzügen des Naturrechts" §. 50 zugegeben. Der Veif. erinnert da-
bei passend an FeuerbacVs richtige Ahnung: dass im Augenblick der
Ausführung jeder Ungeheuern That eine Art von delirium oder Abwesen-
heit da zu sein scheine, und an die So kra tische Ansicht: das Böse
geschehe nie freiwillig , sondern nur weil man das Gute nicht kenne
(S. 22). Wir bedauern, dass der Verfasser diese tiefsinnige Ansicht,
die er sich angeeignet hat durch den Satz (S. 15): „der Handelnde
will immer Das, was ihm gut scheint im Augenblick der Handlung
und kann anch nichts Anderes wollen u, und deren Unvollendetes er
doch einräumt , nicht näher zu begründen und zu vollenden versucht
hat — Die Aufgabe des Beweises (Kapitel II.) setzt er richtig
darin, die Vordersätze zu dem Willenschluss des Verbrechers zu lin-
den, Was vollständig nicht wohl anders als durch freiwilliges Geständ-
niss möglich sei, da Zeugen und Urkunden höchstens die äussere Ver-
ursachung ergeben könnten, nicht den Vorsatz, und da anch der Ver-
such, auf eine meist sehr mechanische Weise aus einer Vielheit von An-
zeichen die Einheit der That abzuleiten, wodurch man die widersinnige
Folter zu ersetzen gesucht habe, schwerlich grosses Vertrauen verdiene.
Nur dann sei Diess anders, wenn, wie es allerdings möglich sei, ein sym-
pathetisches Sichversetzen in des Verbrechers Denk- und Gefühlweise hin-
zukomme und gleichsam die Nachbildung seines Verbrechens auf analo-
gisebem Wege unterstütze. Am Ersten werde Das aber bei näherer Be-
kanntschaft mit dem Thäler, wenigstens durch die Gemeinsamkeit der Le-
bensweise (Pares), gelingen. Darin allein liego auch die rechte Bedeu-
tung des Urtheils durch Geschworene, und dieses, was man mora-
lische, besser: analogische Ueberzougung nenne, sei darum, weil es nicht
auf zwei einfachen Vordersätzen ruhe, sondern auf der ganzen Lebens-
einheit, zwar nicht in e i n logisches Urtheil zu fassen, allein keineswegs
unklarer als ein solches (S. 26). Jedenfalls bleibe es aber gefährlich,
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526 Schriften ober StrafrechUpflege von Naumann, Probst n. Mehring.
eine Handlung auch dann zum Vorsatz vollständig „ zuzumessen u , wenn
sie nach dem ganzen bisherigen Leben nicht begreiflich sei. Im 3. Ab-
schnitt: „Der Straf zweck44 (S. 27—40), Virft der Verf., io Folge
der UDsicbcrbeii der Zurechnung und des Beweises, die Frage auf: soll
etwa die Strafe ganz aufboren? und aatwortel sehr richtig: nur in der
bisherigen Art, wobei man auf Kosten der Wahrheit und des fiechts
strafte ; sie soll gründlich umgewandelt werden. Er erinnert mm
zunächst daran, dass in dem nur formell ausgedrückten Endzweck:
der Herstellung der Gerechtigkeit — alle Straftheorien übereinstkunleo
und erst bei der unerllisslichcn weiteren Frage nach den Mitteln sich
trennten; dass mau, weil Ersatz bei persönlichen Beschädigungen un-
denkbar sei, auf eine Ausgleichung durch talio und, weil auch diese un-
tunlich , auf eine moralische Ausgleichung durch den stellvertretenden,
aber ganz unsichcrn Begriff des Werths verfallen sei und endlich in dem
Traum einer Vergeltung sich verloren habe, die Nichts als das vorchrist-
liche Verhängnis* sei. Er sieht bei allen Theorien dieser Art Nichts wie
Verneinungen, wobei auch die peinliche Rechtspflege stehen geblieben sei,
statt sich um ein bejahiges Ergcbniss zu bemühen. Ein solches aber
lasse sich nur dadurch erreichen, dass die im Verbrecher, und durch ihn
in der Gemeinschaft, verdunkelte Idee der Gerechtigkeit wiederhergestellt
werde. Diess aber sei nicht möglich dnreh einen bloss äusseren Vor-
gang, sondern nur dadurch, dass man das Verbrechen ab Geist es er-
eigniss behandle, nämlich es in dem Verbrecher, der gleich als Kranker
anzusehen sei, vernichte, d. h. ihn salbst zur Anerkennung des verletzten
Rechts zurückführe, jedenfalls sich hierum bemühe (da der Erfolg immer
unsicher bleibe), so aber die innere Notwendigkeit der Rechtsidee dar-
stelle nnd dem rechüichen GemeinbewussUein die verlorene Kraft wie-
dergebe (S. 36). Das Erste müsse freilich bleiben, dass mau den wi-
derrechtlichen Wülen in seinen ferneren Aeusscrungen hemmt, also dss
Ziehen des Schlusses aus den noch vorhandenen falschen Vordersätzen
verhütet. Zu dieser blossen Verneinung des Unrechts müsse eher, als
Zweites, wenn die strafende Gerechtigkeit nicht eine bloss zerstörende,
sondern erhaltende Macht im Staat sein solle, die Umwandlung der fal-
schen Vordersätze selbst hinzukommen, wobei man sich, um gründlich
zu heilen, nicht bloss an die Symptome halten,, sondern auf den Sitz der
Krankheit eingehen müsse Ob dieser Sitz nun hier oder dort sei viel-
leicht in Monomanie, — diese Frage gehöre nicht mehr zur rechtli-
chen Beurtheilung ; sie könne das rechtliche Verfahren keinen Augenblick
auf halten und die Antwort darauf werde sich, früher oder später, sicher-
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>
Schriften über Strafrechtspflege Ton Naumann, Probgt u. Mehring. 527
lieh finden und das steto Augenmerk Dessen bleiben müssen, dem der
Vollzug de? Strafe obliegt. Es müsse zur Begründung eines Strafverfah-
rens (d. h. einer Bestrafung Ref.) genügen, wenn man wisse, dass man
mit einer Handlung zu thun hat, d. b. mit einem Breigniss, das ir-
gendwie im Willen (wenn auch z.B. in „morbid vanily) seinen Grund
hat. Dann (d. h. also doch wohl, wenn man auf Anderes damit abzielt,
als auf eben diese Gewissheit, Ref.) brauche man die bedenkliche, unbeant-
wortbare Frage nach der Zurechenbarkeit nicht einmal aufzuwerfen. Die
notwendige Polgerung, dass künftig. Zuchthaus und Irrenhaus die beiden
Flügel eines Zwillingshauses sein müssen, die eine Verbindungsthür gar
nicht entbehren können, h&t der Verf., vermuthlicu weil sie sich von selbst
zieht, zu ziehen unterlassen. Er beklagt endlich, dass Göscbel, anstatt
Heg eT s unhaltbare Vergeltungslheorie aufzugeben, soviel Mühe ver-
schwendet habe um ihr aufzuhelfen. — In dem folgenden Abschnitt IV.
(S. 40 — 57) Über die Strafarten wird nun, zufolge des bisher Aus-
geführten, Ausmerzung aller solchen Strafen verlangt, die einen Geist der
Rache athmen, irreparabel sind, den Verbrecher als Mittel bebandeln, die
Rechtsidee niederdrücken und andere als rechtliche Motive nähren. Der
Verf. bringt nun die üblichen Strafen unter diese Kategorien, die freilich
alle mehr oder minder deutlich zusammenfallen. Er beginnt mit der To-
desstrafe, in der er eine GewaltUbung sieht, die weit über das Ziel
der Hemmung des widerrechtlichen Willens hinausgeht, nur zerstört, statt
wieder aufzubauen, wohl gar noch grausam quält, wie es auch die Spiess-
rnthe, Katze etc. thue. Ueberdiess dürfe Niemand als durchaus unheilbar
behandelt werden und, je weniger ein bloss formales Recht hier genügen
könne, desto weniger dürfe man sich die Möglichkeit fortgehender Be-
richtigung des eignen Unheils abschneiden, wie Dieses auch beim Brand-
marken etc. geschehe. Zwar will der Verf. keinen heimlichen Strafvoll-
zug, sondern alle nöthigo Ueberwachung dabei, aber keinerlei öffentliches
Schauspiel zur Abschreckung, wobei, wie er naher zeigt (S. 43 f.), der
Zweck immer verfehlt werde. Er will vielmehr auch hier bei der Rechts-
gemeinschaft, wie beim Einzelen, verschämte Verhüllung des Unschönen,
der Gebrechen. Sehr gut wird (S. 44 — 46) der Begriff der Ebre
und die Verwerflichkeit der eigentlichen Ehrenstrafen entwickelt, durch
welche man nicht etwa bloss „die äussere Bewegung des Lebens be-
schränke, um dadurch die innere zu verstärken und zu bestimmen, dasi
sie eine andere, mit dem Besteben Aller verträglichere Richtung einschlage",
— womit aHein allerdings, nach des Ref. Ansicht, die vernünftige Auf-
gabe alles Strafen» gelöst wäre. Die Verkehrtheit der Leib e»s trafen
Digitized by Google
528 Schriften über Strafrechtspflege von Naumann, Probat u. Mehring.
liege darin, dass sie sich bloss an die sinnliche Seite des Menschen hal-
len, die sinnlichen Triebfedern in ihrem Werth erhöhen wollen (während
JSparta's Erziehung sie wenigstens herabzustimmen suchte), so aber zu-
gleich entehrend sind. Wer weiss, welchen Antheil die Abschaffung der
Prügel gehabt bat an den Erfolgen der französischen Heere, gegenüber
den „ verprügelten Gamaschenmaschinen44 ! — ruft der Verf. aus und setzt
zugleich das platte Gerede ins rechte Licht, dass man, weil der Verbre-
cher selbst seine Ehre Nichts geachtet habe, sich nun herablassen dürfe,
es nicht besser zu machen wie er und es auch nicht so genau mit sei-
ner Ehre zu nehmen, anstatt, gleich dem vernünftigen Arzt, die krank-
haft herabgeslimmte Lebenstbötigkeit wieder zu heben. Ebenso verfehlt
ahme man dem Mörder nach durch die Todesstrafe (S. 50), wie
Hegel es doch irrig fodere, und deren vermeinte Rechtsbegründuag
überhaupt mit der Vergeltungs und, hätte er beifügen sollen, der
Abschreckungstheorie stehe und falle. In seiner weiteren Bemerkung:
dass durch einen Anspruch auf dieses Leben das Recht, was selbst nur
eine Seite dieses Lebens ausmacht, sein Gebiet weit übersprungen habe —
begegnet der Verf. ganz Dem was Ref. S. 116 u. 72 seiner „Grundzüge
d. NaturR.44 ausgeführt hat. Nur Nothwehr, meint der Yerf. mit Fichte,
die aber wenigstens eine rechtliche Schranke habe, könnte Tödtung des
Verbrechers rechtfertigen, und doch — wie könne der Staat dem Ein-
zelen gegenüber je in diesen Fall kommen? Die S. 51 aufgeführten Zwei-
fel an der Statthaftigkeit der Frage: ob jetzt schon der Zeitpunkt ge-
kommen, die Todesstrafe abzuschaffen, wenn auch fest stehe, dass sie
widerrechtlich sei — scheiueu uns nicht stichhaltig. Allerdings kann es
zeitlich und örtlich unüberwindliche Hindernisse der reinen und ganzen
Verwirklichung des Ideegemässen geben, die darum doch ewig und all-
gemein das Ziel bleiben muss. Ob solche Hindernisse da sind und wie
dadurch, nicht unser Verzichten auf das Ideal, sondern unser Zurückblei-
ben hinter demselben zu entschuldigen ist, wie weit wir uns ihm nur na-
hern können und darum auch sollen, Diess bat die Strafpolitik in Bezug
auf das Strafrecht zu bestimmen. Nur dann würde ein unbegreiflicher Ver-
zieht auf die Rechtsidee, eine grundverkehrte Auffassung des Verhältnisses
des Idealen zum Realen vorliegen, wenn man, wie weiland Zöpfl, die To-
desstrafe für im Recht begründet halt und dennoch aus blossen Zweck-
mässigkeitsgründen sich über sie hinaussetzen zu dürfen glaubt. Nach Al-
lem, wird S. 53 mit Recht gesagt, können nur solche Strafen übrig blei-
ben, wodurch die Rechtsgemeinschaft dem Verbrecher zu Hülfe kömmt,
•einer Verouuft wieder zur Herrschaft hilft
(Schlms folgt.)
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1fr. 34. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBOGHER DER LITERATUR
•Schriften über Straf rechtspflege von Naumann,
Probet und Mehring.
(Schluss.)
Solche Hülfmillel scheinen nun dem Verf. weil weniger in Zufü-
£i»ng positiver Uebel zu bestehen, als in Entziehung mancher Woblthaten,
deren Genass ebendamit als bedingt durch die Achtung des Rechts and
der Rechtsgemeinschaft erscheint und durch die auferlegte Entbehrung im
Werth steigen muss. Beispielshalber nennt er: 1) Entziehung bürgerli-
cher Ehren- und Dienstrechte, — die Eindruck mache kraft ihrer inneren
Notwendigkeit zufolge des Verbrechens und aufmerksam mache auf die
Uoverletzlichkeit einer höheren Ordnung-. 2) Entziehung der Bequemlich-
keiten des Lebens, Kostscbmälerung n. dgl. — Was,' als herabstimmend
für die üeberfülle der Sinnlichkeit, ihm wohl empfehlenswert scheint, da-
gegen er es empörend findet (gleich Moos er, die Strafanstalt zu St.
Jakob Ref.), und mit allem Grund, wenn auch in der Strafanstalt den
Reicheren die Fortsetzung der Aristokratie des sinnlichen Genusses ge-
stattet wird. 3) Entziehung der Freiheit, als die alle andern begleitende
Haoptstrafart, die nach beiden Seiten dan Zweck erfülle: zugleich den
Ausbruch und die zerstreuende Richtung des Willens nach Aussen hemme,
schon dadurch aber aufs Innere hinführe (zur Einkehr in sich selbst), zu-
mal wenn sie durch passende Behandlung unterstützt werde. 4) Depor-
tation endlich Ik.U der Verf. für eine Straft, die kein Staat entbehren
könne, die er freilich mit der Verbanuung zusammenwirft. Nur von die-
ser ist aber wahr, Was er von jener sagt (S. 55 f.): „ dass sie gegen
politische Verbrecher das einzig angemessene und rechtliche Verfahren sei,
eine Art homöopathischer Kur enthalte für Despoten mit und ohne Hosen",
— eine Einsicht, der man sich bereits genähert habe durch die solchen
Verbrechern gewährte Freistatt; dagegen den Vortheil auch die eigent-
liche Verbringung hat, dass sie Gelegenheit gibt, anderswo gleichsam „von
Vorn anzufangen" und den neuen Menschen anzuziehen, ungefährdet durch
die Hauptklippe der allen Verhältnisse und Umgebungen. Dass das in
den Parlamentsverhandlungcn gegen sie Vorgebrachte keinen namhaften
Grund gegen sie selbst, wohl aber gegen ihre bisherige englische (und
nicht bloss englische Ref.) Einrichtung ergebe, mag wahr »ein; bei den
XLIY. Jahrg. 4. Doppelheft. 34
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530 Schriften über StrafrechUpflcge tot Naumann, Probst u. Mehring.
Lobsprücben aber, die der Deportation nach Sibirieo er ih eilt werden, sind
dem Hof. noch starke Bedenken geblieben. Im 5. Abachnitt über das
Strafmass (S. £7 ff.) wird» als Vorbeding vernünftiger Bestimmung
desselben, die Zurückführuog der Strafarten auf wenige, obenan die Frei-
heitslrafe verlangt, in der K. S. ZachariÜ mit Recht die nölhige Grund-
einheit siebt. Da indess die Hemmung des widerrechtlichen Willens über-
all die gleiche sein müsse, V o r a us bestiramung des xur Umwandlung des-
selben nüthigeu Strafmasses aber ohne die reine Willkür der Zah-
lenansatze unmöglich scheine, so wollten Manche, wie C. v. Lich-
tenberg, unter gewissen Voraussetzungen Letalere ganz umgehen; al-
lein, abgesehen davon dass, wie früher sich gezeigt hübe, die Vergel-
tungslheorie an dieser Schwierigkeit sogar gauz scheitere, sei Dies* ohne
Grund; denn, wenn ändernder widerrechtliche Wille erkennbare Grade
habe, so bedürfe es auch bald stärkerer, bald schwächerer Gegenwirkung
um ibu aufzuheben, — Dieses z. B. bei kleiner Eigenthumsverunlreunug,
Jenes bei Angriffen auf Person und Leben, bei Rückfall und Ucbertrelun-
gen in verschieducr Richtung troU vielfacher Abhaltungen vom Bösen.
Diese Aufhebung erfolge nun jedenfalls in bestimmter Zeit, und wenig-
stens zur annähernden Berechnung dieser Zeit zum Voraus liege ein An-
walt in dem Unistande, ob nur eine vereinzelte Vorstellung, ganz oder
theilweise, oder eine mit andern verknüpfte uud vielleicht zur Gewohn-
heit gewordene zur Tbat antrieb. Nach dem Unterschied der Verbrechen
und deren grösserem oder geringerem Zusammenhang mit der gauzen Le-
benseatwickelnng des Thäters lasse sich also eine Regel für das Straf-
mass aufstellen. Doch bleibe ein sehr weiter gesetzlicher Strafrahmen un-
entbehrlich in Rücksicht der grossen Verschiedenheit der Einzelen und der
möglichen (aber höchst seltnen und unwahrscheinlichen, Ref.} plötzlichen
Umkehr zum Guten, ausserdem aber, zur Sicherung gegen Verfehlung des
fechten Masses im cinzeleu Fall, eine Nachhülfe in Gestalt eines zweiten,
▼on Lichtenberg s. g. Rehabilitationscrkennlnisses. Der letzte sechste
Abschnitt (S. 63 — 80} bespricht die Gefangnisssystemc sehr ver-
ständig und gibt damit eineu sehr beaehtenswerlhen Beitrag zur Lösung
dieser Tagesfrage, nachdem er der Leichtfertigkeit, mit der man hier, im
Gebiet des Geistlebens, sich in vorschnelle Experimente gestürzt habe, die
verdiente Rüge hat zukommen lassen. Der Verf. erkennt darin, dass man
auf die Einzel- oder Trennungshaft („Isolirung" , wie er sagt, wird mit
gänzlicher Vereinsamung gar zu leicht verwechselt} jetzt im Leben Be-
dacht nehme, mit Grund ein bedeutendes Zugesländniss an die vernunft-
gemäße Umgestaltung der Bestrafung} er prüft die Wirkung der blossen
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Schriften über StrafrcchUpflegc von Naumann, Probst u. Mehring. $3t
Vereinzelung als solcher mit gewohnter Schärfe (S. 60—74) und stellt
bieruach die Bedingungen auf, unter denen allein zu erwarten sei, dass
sie nicht geradezu verderblich, sondern wohlthätig wirken werde (S. 74
ond 79), nämlich: nicht zu lange, geschweige vieljährige Dauer, massi-
ger Umfang der Strafanstalten, damit es möglich bleibe die Gefange-
nen bloss von schlechtem Umgang nuszuscbliessen, dagegen ihnen, je nach
ihrer Eigentümlichkeit, guten Umgang in angemessener Weise zu Theil
werden zu lassen, mit Hülfe eines Bcsseruogsvereins, endlich vorsichtiger,
allmählicher Uebergang zur Freiheit, ahnlich wie man Wiedergenesende
nicht plötzlich der freien Luft aussetzen dürfe, wenn man nicht Rückfalle
wolle. Die Schwierigkeit liege auch hier wieder pur in dem Wie die-
ses Uebergangs, wobei der Verf., gleich AI ooser, nicht nur das erfah-
rungsroassig elende Mittel der Polizeiaufsicht verwirft, sondern auch vor-
schlägt, die Schutzvereinc für die Entlassenen in dieser Beziehung mit
einer Art von (vormundschafllicher Ref.) Gewalt zu bekleiden, um gleich
als Geschworne über die stufenweise Wiedcrbcfiihigung zur vollen Selb-
ständigkeit zu entscheiden (S. 75 f.). Die Gründe des Verf/s gegen die
Gemeinschaft — die nicht durch eine natürliche, sondern eine unnatür-
liche Mauer (des Schweigens) den Wcchselverkehr abschneiden wolle —
sind die bekannten unwiderlegbaren, wegen deren diese Haftart einen Ue-
bungsplalz für neue Ungerechtigkeit abgebe, statt die alte zu heilen. Er
gibt sich eudlich die überttttssige Mühe, den ebenso widersinnigen als bar-
barischen Einfall der „ Isqliruug der Sinne'1, durch den Froriep Allen
uberboten bat, was wir von Aerzten in dieser Art erlebt haben, alles
Ernstes zu widerlegen (S. 7 7 IT.). Zum Scbluss wollen wir nur andeu-
ten, dass «uch der Verf. in der Einzelhaft ein sicheres Mittel sieht, die
bisher iu der Aussenwelt gleichsam vorloreocn flanschen vou dieser zu
befreien und der Innenwelt su überantworten, sie, zumal die lebhaften,
beweglichen Geister, die bisher nur durch ihre Umgebung bestimmt wur-
den, zu sich selbst, die Hauptbeziohungen ihres Bewusstseins z. B. tu
Gott, Gatten, Verwaudleu zur Geltung zu bringen und ihr Gewissen zu
wecken; dass aber bei Stumpfsinn, bei Gedankenarmut oder Verarmung
und bei fortgäbrender Leidenschaft die blosse Einsamkeit ihm mit Grund
am Gefährlichsten, die goeignete Gegenwirkung durch positive Mittel
und geselligen Verkehr mit den rechten Leuten im rechten Mass am Un-
erläßlichsten dünkt, wenn man den Verbrecher nicht unterdrücken oder viel-
leicht „durch die Wüste zum reissenden Thier machen" will Anwehender als
diese kanten Satze und Ergebnisse ist begreiflich ihre geistreiche Ausfüh-
rung, die sich nicht wiedergeben IHsjI, und in der trir, wie bei firüfte-
34*
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532
Die Nassauischen Heilquellen.
rang des Gefängnisswesens, so beinahe durchaus eine für uns ebenso über-
raschende als belehrende Bestätigung und Ergänzung der Recbtsbegrün-
dung jener Ausichten von Verbrechen und Strafe gefunden, von denen
wir längst überzeugt sind, dass ihnen die Zukunft unfehlbar gehört, und
io deren Anerkennung nach Kräften heimtragen wir uns zur Aufgabe
gemacht haben.
Eine sogenannte zweite Auflage der Schrift von Mehring ist,
beim Lichte betrachtet, leider Nichts als der unverkaufte Rest der ersten
Auflage, wozu nur der Titel mit der Jahrzahl 1851 und dos Vorwort
(nnn ohne Datum), endlich ein Druckfehlerrerzeicbniss wirklich neu
gedruckt worden sind. Dass aus Letzterem die Besitzer der s. g. ersten
Auflage Einiges abnehmen können, versteht sich hiernach von selbst.
H. Rftder.
Die nassauischen Heilquellen Soden, Cronthal, Weilbach, Wiesbaden,
Schlangenbad, Schwalbach und Ems, beschrieben durch einen
Verein ron AerUen, nebst geognosti scher Skizze und Karte des
Taunus. Wiesbaden, Christian Wilhelm Kreidel. iSoi. gr. 8.
SS. V und 330.
Die Bninnenürzte Dr. Thilenius zu Soden, Dr. Küster zu Cronthal,
Dr. Gergens zu Wiesbaden, Dr. Bertrand zu Schlangenbad, Dr. Genth zu
Schwalbach und Dr. v. Ibell zu Bad-Ems haben zur wissenschaftlichen Be-
arbeitung der verwandtschaftlichen nassauischen Heilqoelllen des Tannns
sich vereinigt, nm jeder Quelle den Platz in der Pharmakodynamik anzu-
preisen, den sie nach ihren chemischen Bestandtheilen und nach den ge-
nachten Beobachtungen und Erfahrungen in einer Reihe von Krankheiten
einzunehmen berechtigt ist. Unter Benutzung der neueste»! chemischen,
physikalischen, mikroskopischen, physiologischen und pathologisch - anato-
mischen Untersuchungen und vielfachen eignen Beobachtungen und Er-
fahrungen an Kranken haben die einzelnen Verfasser die Wirksamkeit der
Heilquellen ihres Wohnorts dem ärztlichen Publikum zur nähern Prüfung
Torgelegt. Die Idee, durch vereinte Kraft verwandte Heilmittel so prü-
fen, verdient Anerkennung. In der Ausführung dieser Idee in dem vor-
liegenden Werke hatte man eine grössere Gleichförmigkeit der Bearbei-
tung der einzelnen Quellen erwarten dürfen, doch triflt diese Ausstellung
im Ganzen mehr die Form als den Inhalt.
Die Schrift beginnt mit einer geognostischen Skisie des
Tanna» von Dr. Fridolin Saadberger, rühmlichst bekannt durch
0 ■*
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Di'o Nassaulschcn Heilquellen.
533
Mehrere Aufsatze io den Jahrbüchern des Vereini für Naturkunde in
Nassau, durch seine „Uebersicht der geologischen Verhältnisse des Her-
zogthums Nassau, 1847" und die mit seinem Bruder G. Sandberger ge-
meinschaftlich herausgegebene „ Systematische Beschreibung und Abbil-
dung der Versteinerungen des rheinischen Systems in Nassau. Wiesbaden
1849 — 1851. Hit vielen Tafeln« (S. 3 — 31). Derselbe gibt zuerst
einen geographischen Ueberblick des grossen rheinischen Schiefergebirges,
welches sich, als Games betrachtet, von Belgien durch die Rheinlande
bis zum Flussgebiele der Weser erstreckt und durch mehrere innerhalb
desselben auftretende grosse Flussthöler getbeilt wird , deren eigentüm-
liche geognostische Zusammensetzung und damit in Zusammenhang stehende
Gestaltung ihrer Berge zwar dem allgemeinen Typus der Formation ent-
sprechen, jedoch mancherlei örtliche Modifikationen darbieten, welche das
genauere Studium derselben lohnen. Diess ist insbesondere mit dem Tau-
nus- oder Höliengebirge der Fall, dem Herr F. Sandberger hier eine
genauere Betrachtung widmet. Im weitem Sinne umfasst dasselbe das
ganze Gebirgsland zwischen Main-, Rhein- und Lahnthal, gewöhnlich in-
dessen versteht man nur die steil emporsteigende Hauptkette, welche mit
dem Johannisberge bei Nauheim beginnt und aus Nordost nach Südwest
bis nach Assmannshausen sich ausdehnt, wo sie durch das Rheinthal von
ihrer geognosttseben Fortsetzung, dem Hundsrück geschieden wird. Der
Herr Verf. liefert dann eine kurze Beschreibung der Gebirgskette mit ih-
ren Thalern und Bächen. — Die Mineralquellen von Langenschwalbach
liegen in zwei kleinen Seitenthälern des Aarthaies, andere wie z. B. die
Rttckershäutser in dem Aarthale selbst, das Emsthal enthält ebenfalls Mi-
neralquellen und zwar die berühmten Selterser.
Bescbreibong der geognostischen Zusammensetzung des Taunus folgen. —
Bei Betrachtung der Taunuskette von der Südseite fallen leicht drei Te-
rassen an derselben ins Auge. Die unterste wird von breiten, flachen
Hügeln gebildet, dann folgen etwas steiler abfallende, mehr kegelförmige
Berge, und endlich der Kamm des Gebirges mit den steilsten Abhängen.
Den drei Bergformen entsprechen drei verschiedene Gesteine. Die nie-
drigste Terasse gehört den Tertiarbildungen , die zweite den Schiefern
des Taunus an, die dritte oder der Kamm besteht in der Regel aus Quar-
ziU Ausserdem zieht sich das den Boden der Main- und Rbeinebone bil-
dende Diluvialgebilde am Gebirge häufig bis zur Höhe der zweiten Te-
rasse hinauf, ohne jedoch auf die Grundform des Gebirges wesentlich
einzuwirken. Jenseits des Kammes treten in der Abdachung nach dem
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531 Die Kassa uischcn Heilquellen.
Labnthale und von Assmann&hauseu ans rheinabwfirts als Hochplateau mit
»leiten Abhängen die Gesteine auf, welche der untersten Gruppe des rhei-
nischen Systems, der rheinischen Grauwocke angehören.
/ Mineralquellen treten längs dem Rande des Taunus sowohl aus der
Tertiärbildung (Weilbach, Med), als aus den Schiefern des Tannas (Nau-
heim» Homburg, Soden, Neuenhain, Cronlhal, Wiesbaden, Schlangcnbad,
Eltville, Wald, Aasmennshausen) hervor. Innerhalb des Plateaus der rhei-
nischen Grauvfacke kommen dagegen die Quellen von Langenschwalbach,
WiSperÜial, Saoerthel, ßrnubach, Lahostein, Ems u. s. w. zu Tage. Ans
der Teiüarbilduug treten Schwefelquellen, aus den Taunusschiefern Quel-
len mit vorherrschendem Chlornatriumgebalte, aus der rheinischen Grau-
wacke dagegen theils Säuerlinge, theils alkalische Quellen hervor. Der
Herr Verf. beginnt mit der Darstellung der niedrigsten Terasse der ter-
tiären Hügel des Mainzer Beckens. <
X Tertitt rlor matiot. In der vorletzten Umbildungsepoche des
Erdkörpers bildete das Rheintual voo Landau bis Bingen ein grosses Bin-
nenmeer, welches von den Vogesen, dem Ode-nwalde, Yogelsberge, Tau-
nus, Hundsrück begrenzt war und höchst wahrscheinlich durch einen ge-
waltsamen Durchbrach bei Bingen seinen Gewässern Abflass verschaffte.
Dieser noch gegenwärtig als solcher sehr kenntliche alte Boden wird
überall als Mainzer Becken bezeichnet. Es treteti in demselben folgende
Bildungen auf: 1) meeriseber Sand und Sandstein, 2) meerischer blauer
Letten, 3) Süsswasaerkalk (lokal, nur bei Hochheira), 4) Brackwasser-
kalk, 5) Brauukohlenletten, o) Baryt führender Sandstein. Der Herr Verf.
liefert nun in gedrängter Kürze eine Beschreibung der verschiedenen Bil-
dungen mit den darin vorkommenden Verstainerungen. Die aufgefunde-
nen fetrefakteu sind groasentheils voh Hermann v. Meyer sorgfaltig be-
stimmt, in der Sammlung der rheinischen naturforschenden Gesellschaft za
Mainz geordnet aufgestellt*
•n IL Schicfergesteine des Taunus. Der Herr Verf. will bei
seiner Unterscheidung einer zweiten und dritten Terasse des Tsunüs als
Schiefer- und als Quarzzone in keiner Weise eine geognostische Tren-
nung ausgesprochen haben. Vielmehr hat das verschiedene Niveau der
beiden Feisarlea einen sehr einfachen Grand, nämlich die verschieden
grosse Verwitterungsfäbigkeit Wahrend der leichter zersetzbare Schie-
fer mechanisch und chemisch zerstört und weggeschwemmt wurde, war
diess bei dem fast unverwilterbareu Quarzit kaum der Fall, und so ra-
gen die von ihm gebildeten Berggipfel in der Regel hoch über die Schie-
fer weg, und mit ihrem Auftreten ist gewöhnlich eine bei weiten stei-
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Die flassauiscben Heilqnellcn. S35
lere Neigung des Abhanges verbanden, als diess in der Schieferzone vor-
kommt. Es erscheinen allmSlige Ueberglinge der Schiefer in den Quar-
zit und hin und wieder Wechsellagerungen beider Gesteine. Der Schie-
fer des Taunus kann in zwei Abtheilungen gebracht werden, welche der
Hauptsache nach gleich zusammengesetzt sind, jedoch durch das Auftreten
einiger Uebergemengtheile leicht von einander unterschieden werden kön-
nen. Die erste Abtheilung nennt der Herr Verf. die der normalen, dio
zweite die der bunten Tauunsschiefer. Lange Zeit galten beide als Talk-
nod Chloritschiefer. Die neueste Untersuchung von K. List hat die schon
1847 vom Herr Verf. gehegte Vermuthung, das« der Schiefer des Tau-
nus eine andere Zusammensetzung haben müsse, zur Wahrheit erhoben,
indem dieselbe gezeigt hat, dass alle Varietäten des Tauittisschiefers auf
einem neuen Minerale, welches List Sericit nennt, und Quarz jn verschie-
denen Verhältnissen bestehen. Der Sericit hat Husserlich die grössle
Aehnlichkeit mit Talk. Der Herr Verf. theilt Lisfs früher noeh nicht
veröffentlichte Analyse des reinen Sericit mit, bespricht dann den norma-
len und bunten Tounusschiefer näher, erläutert hierauf ausführlich den
Verwitternngsprozess der Taunnsschiefer und kömmt endlich zur Erörte-
rung der Beziehungen, welche zwischen den Iftnfl einer vielfach gebro-
chenen Linie am Fusse der Schieferzone austretenden chlornatrinmhaltigen
Mineralquellen und dem Taunusschiefer vermuthet werden können. Ver-
gleicht man die Zusammensetzung heider miteinander, so findet sich als
übereinstimmend eine grosse Quantität von Alkalien, dagegen ist in den
Mineralquellen dos Notron, in dem Tauuusscbiefer das Kali bei weiten
vorherrschend. Der Herr Verf. lässt sich nnf eine ausführliche, auf Thafc-
sachen gegründete Erklärung dieser Verhältnisse ein, und bestreitet mit
triftigen Grtlnden die Hypothese, welche zur Erklärung derselben etwa
in der Tiefe vorhandene Stcinsulzlager zu Hülfe ruft. Hinsichtlich des
Cbloroatriums und des kohlensauern Kalkes scheint ihm die Vermuthung
eines Ursprungs ans dem allerwörts in der Nfihe der Mineralquellen vor-
kommenden Basalte gerechtfertigt.
III. Quarzite des Taunus. In der Regel besteht der Qunrzit
aus eckigen Quarzkömem, welche durch Quarzmasse miteinander verbun-
den sind, seltener ist Thon das Bindemittel. Rundliche, mitunter aach
eckige Stücke von lila oder grünlich gefärbtem Schiefer liegen zuweilen
im Quarzit und füllen selbst fast ganze Schichten. Kupfererze erscheinen
hie und da eingesprengt . jedoch nur in sehr geringer Menge. Bei der
Verwitterung scheiden sich der Eisen- und Mangangehalt des thonigen
Bindemitfels als Roth- und Brauneisenstein, Psilomelan, seltener PftoMC
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auf Kluftflächen ab, mitunter bleibt er auch in dem ganz aufgelösten san-
digen Quarzit als färbende Substanz zurück.
IV. Grauwacke zwischen der Lahn und dem Rheine.
Jenseits der Quarzitzone tritt allenthalben die rheinische Grauwacke mächtig
auf, deren Grenze gegen die Taunusgesleine durch das Erscheinen von
Versteinerungen öfters mit grosser Sicherheit bestimmt werden kann. —
Fast das ganze Gebirgiplatean auf dem Nordabhang und westlich von der
Hauptketle des Taunus, ist von unveränderter rheinischer Grauwake zu-
sammengesetzt. Der Herr Verf. beschreibt die verschiedenen Grauwa-
ekensebichten und deutet die charakteristischen Versteinerungen, welche
in den Sandsteinen enggedrängt, in den sandigen Schiefern öfter aber
nur vereinzelt vorkommen, an. Basalt erscheint in der Gegend von Ems
an mehreren Punkten, Tracbyt an den prachtvollen Kegelköpfen bei Arz-
bach. Zwischen Wiesbaden und Ems siud aber solche vulkanische Steine
nicht bekannt. Erzgänge durchsetzen die Formation an mehreren Punk-
ten, ebenso auch grosse Quarzgänge. — Die nächste Umgebung von
Ems bat Gange von silberhaltigem Bleiglanz, Ziukblende, Eisenkies, Ru-
pferkies und Fahlerz. In der neuesten Zeit hat man auch prachtvolle
Krystalle von gesäuerten Bleierzen (Grün - und Weissbleierz) mitunter von
der Länge eines Zolles bei schöner Ausbildung gefunden. Auf dem Kop-
penstein, zwischen Braubach und Oberlahustein, kömmt Kupferoxychlorid-
hydrat vor und findet sich hier anf Spalten an der äussersten Oberfläche
des Ganges mit Gyps als ganz neue Bildung, welche wohl der Zer-
setzung von schwefelsaurem Kupferoxyd durch Chlorcalcium enthaltendes
Wasser ihre Entstehung verdankt.
Der Rand des ganzen Plateaus nach dem Rhein- und Lahntbale zu
ist mit Diluvialabbildungen, Absetzungen des ehemaligen Bettes dieser
Flüsse bedeckt. Die Geschiebeablagerungeu des Rheines unterhalb Rttdes-
heim zeichnen sich durch Porphyre, Melapbyre und andere Gesteine des
Nahelbales, die der Lahn durch Schalsteioe, Kieselschiefer, Kalke aus dem
obern Flussgebiete aus. Ausser diesen Diluvialgebilden ist indessen ein
Tbeil der Höhen Uber dem Kheintbale, von Boppard abwärts, und dem
Lahnthele von einem Erzeugnisse der ausgebrannten rheinischen Vulkane,
dem Bimsteiusan Je bedeckt, welcher in den Thälern zusammengesohwemmt
und durch Löss verkittet, schiebten weise abgesetzt ist.
Die Mineralquellen, die innerhalb des Gebietes zu Tage kommen,
lassen sich nach ihrem Gebalte au überschüssiger Kohleusäure und Eisen-
oxydul oder an kohlensaurem Natron in zwei Abtheilungen bringen, wo-
von die erste das höhere Niveau einnimmt. Langenschwalbach ist der
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Die Nassauischen Heilquellen.
537
Typus der einen, Ems der der andern Abtheilung. Der Herr Verf. knüpft
auch hier wieder seine Betrachtungen an die Zusammensetzungen des Ge-
steios, aus welchen die Quellen hervorkommen, an, und legt die einzige
bekannte Analyse des Granwackemchiefers von Berndorf bei Coblenz von
Frick sn Grunde. Vergleicht man, abgesehen von der Kohlensäure, die
Zusammensetzung des Langenschwalbacher Wassers (Weinbrunnen nach
Kastner) mit Frick's Analyse des Grauwackenscbiefers und beachtet zu-
gleich, dass die grünliche Farbe der meisten Grauwacketschiefer das Vor-
handensein von Eisenoxydul neben Eisenoxyd höchst wahrscheinlich macht,
nimmt man Ferner Rücksicht auf die Löslichkeitsverbältnisse der einzelnen
Körper in kohlensaurem Wasser, so ist eine Erklärung der Zusammen-
setzung der Langenscbwalbacher und der mit diesen ähnlichen Quellen aus
Grauwackegesteinen nicht schwierig. Ganz anders verhält es sich aber
mit den Emser und übrigen Quellen , welche kohlensaures Natron vor *
herrschend enthalten. Wenn es auch wahrscheinlich ist, dass bei ge-
nauen Analysen in den Grauwackegesteinen auch diese Basis gefunden wer-
den wird, so ist doch die Menge des kohlensauren Natron im Emser
Wasser zu gross, als dass man auf einen etwaigen Natrongebalt des Ge-
steins, aus welchem sie zu Tage treten, sich berufen dürfte. Die alka-
lischen Basalte und Trachyte in der Nähe der Emser Thermen, welche
durch Zersetzung kohlensaures Natron liefern, und in welchen ein Gehalt
von Chlormetallen höchst wahrscheinlich ist, sind schon oben berührt
worden. Der Herr Verf. bedauert, Hypothesen über die Herkunft der
Mineralquellen statt auf genaue Analysen aller in ihrer Umgebung auf-
tretenden Gesteine und der Aschen der auf denselben wachsenden Pflan-
zen auf Analogien gründen zu müssen. Allein der wissenschaftliche Arzt
und Geologe können sich mit der Mosen Analyse der Wasser nicht be-
gnügen, sondern müssen die Entstehung der Quellen zu erforschen suchen.
Die gasförmigen Bestandteile der Mineralquellen betreffend, so sind
im Wesentlichen dieselben Stickstoff, Sauerstoff nud Kohlensäure, welche
in verschiedenen quantitativen Verhältnissen bei verschiedenen Quellen auf-
treten, «insichtlich der beiden ersten ist ein Ursprung ans der Atmos-
phäre, vermittelt durch den Zutritt von Tagewossern in den obersten
Tbeilen der Zufübrungskanfile wohl der annehmbarste Erklürungsgrund. Die
Kohlensäure dagegen könnte das Produkt verschiedener chemischer Pro-
zesse sein, als der Fäulniss organischer Substanzen, der Zersetzung von
Kalkstein durch verwitternde Eisenkiese oder durch kieselsaure Salze, oder
endlich Exhalationen aus dem Innern der Erde bilden, deren letzter Grund
eine Zersetzung von kohlensaurem Kalk durch Glühhitze wäre, die man
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539
Die Nfissnuischen Heilquellen.
Dach dem Gesetze der nach Innen zunehmenden Warme des Erdkörpers
in gewisser Tiefe mit voller Sicherheit annehmen kann. Die zuerst an-
gegebenen Ursachen werden durch geognostische Verhältnisse nicht wahr-
scheinlich gemacht, und es bleibt nur die Annahme von Exhalationen die-
ses Gases übrig, welche aus den durch mancherlei Ursachen bis in die
Tiefe des Gebirges hinab geöffneten Kanälen aufsteigen und von dem nie-
dergesunkenen Wasser absorbirt, demselben in weit höherm Grade die
Fähigkeit verleihen, lösliche Bestandteile der Gesteine aufzunehmen.
P. Sandberger's gedic geuc , mit Scharfsinn und Umsicht geschrie-
bene, hier gedrangt mitget heilte Arbeit verdient den Dank der Aente
und Geologen. Die von ihm entworfene geogoostische Uebersichtskarte
des Taunus ist eine treffliche Beigabe zu dieser Abhandlung.
Soden, dargestellt von Df. 0. Thi lenius in Soden. (S. 33— 73.)
Der Herr Verf., vortheilhaft bekannt durch seine Schrift: „Soden s
Heilquellen. Frankfurt a. M., 1850". gibt hier aus dieser einen gedräng-
ten Auszug. Nach einer topographischen Skisze von Soden bespricht
derselbe die chemischen und physikalischen Verhältnisse der zahlreichen
Quellen. Bis jetzt sind daselbst 23 Quellen bekannt, welche in einer
etwa 400 Fuss breiten und 2,400 Fuss langen Fläche zu Tage treten.
Das Wasser ist stets krystalthell , mehr oder minder salzig schmeckend.
Die einzelnen Quellen zeigen bedeutende Verschiedenheit in der Tempe-
ratur; während einige nur -)- 9 — 12° R. haben, besitzen die meisten
+ 15— 19° R., sind demnach lauwarm und gehören in die Mittelklasse
zwischen Halokrenen und Halothermen. Die Nassauische Regierung liess
1839 die Quellen Nr. VI, XVIII und XIX neu fassen und von Liebig
chemisch untersuchen. Eine angehängte Tabelle Ober den Gehalt an flüch-
tigen und fixen Bestandteilen liefert das Ergebniss tier Analyse der
Quellen Nr. I (Milchbrunnen), Nr. II (Winklerbrunnen), Nr. IV (Sool-
brunneu}, Nr. V (Sauerbrunnen), Nr. Via ( \V ilhelmsbrunnen) , Nr. VIb
(Schwefelbrunnen), Nr. VIc (Trinkbrunnen), Nr. VII (Major), Nr. XVIII
(Wiesen brunnen) und Nr. XIX (Champagnerbrunnen). Die Quellen Nr. I,
II, V und VII wurden 1929 von Schweinsberg, die Quelle VI 1838
von W. Jung und die QueUe III, Via, b, c, XVIII und XIX 1839 von
Liebig analysirt. Nr. VIc erhielt als nicht hinreichend ergiebig keine
neue Fassung, Nr. VII liegt noch in der alten Fassung und ist trübe.
Die Wirkung der Mineralquellen zu Soden. Bei Be-
nrtbeilung der Heilkräfte aller Mineralquellen muss der wichtige Einfluss
des einfachen Wassers durch die angewandte Menge, WSrmediflerenz und
Gebrauchsweise berücksichtigt werden. Charakteristische Eigenschaften
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i/ie liRssduocneii nencjueiien.
sina den Quellen zu Soden durch den Gehalt an Chlornalrinm , Kohlen-
säure Dod Eisen verlieben. Die eigentümlichen Wirkungen treten bei
dem Abschli essen in der vegetativen Sphäre des Organismus zunächst in
den Nutritions- und Secretionsorganen auf. Die örtliche primäre Wir-
kuog besteht hierbei in einem Reiz auf die Intestinalschleimbaut mit dem
durch dieselbe überall verbreiteten sehr zahlreichen Drüsenapparate und
auf die mit dem Darmkanal engverknüpfte Leber, somit in dem bethäti-
genden Einfluss auf das ganze Pfortadersystem. Durch Anregung der
Prozesse, Vermehrung der Absonderung in diesem Organe, treten die
seeuudyren Wirkungen hervor in der Beschleunigung des Kreislaufes, na-
mentlich iu der Pfortader, in dem erhöheten Stoffwechsel, in der Ver-
flüssigung und Aufsaugung von Rückstünden früherer (fibrinöser, albumi-
noser) Exsudationsprozesse, zumal im Parenchym drüsiger Organe.
Nähere Bestimmungen zur Anwendung der Quellen.
Die angedeutete Wirkungsweise der Sodener Quellen zeigt schon und dio
Erfahrung bestätigt es, dasa dieselben ihre Hauptanwendung gegen con-
stitulionelle Dysfcrasien finden, gegen solche Krankheitsprozesse, die durch
ererbte, individuelle Anlage oder durch lange dauernde schädliche Ein-
wirkung der Süssem Lebensbedingungen oder durch Abnormitäten in
den Se- und Excretionsorganen und Zurückhalten auszuscheidender Stoffe
entstanden sind , die Uberhaupt eine fehlerhafte Krase zör Grundlage ha-
ben. Die auftretenden Lokalleiden sind entweder primirre, die krankhafte
Gesammtkrase bedingende oder, was viel häufiger ist, secundäre, ans der
anomalen Süftemasse hervorgehende. Leider hoben die vielfältigen, oft
m« grosser Sorgfalt angestellten chemischen , physikalischen und mikro-
skopischen Untersuchungen des Blutes noch sehr geringen Aufscbluss Uber
die anomale Siftemischuog geliefert. Nur selten zeigt einerseits das Blut
Anomalien, wo nach den Krankheitserscheinungen solche vorausgesetzt
werden müssen, nnd anderseits führen nnr die wenigsten der direkt er-
mittelten Bluttebler zur Brklirung der wesentlichsten Symptome im Ver-
laufe der Krankheiten.
Nach den Erfahrungen des Herrn Verf.'s gehören von den consti-
tntionellen Dyscrasien folgende vor das Forum der Sodener Heilquellen:
1} die venöse Dyskrasie, 2) Serofulosis und Tuberculosis, 3) Anämie
und Chlorosis, insofern die fehlerhafte Beschaffenheit des Blutes durch
Verbesserung der Digestion und fiulrition beseitigt wird. Der Herr Verf.
betrachtet diese krankhaften Zustünde näher und fuhrt endlich die einzel-
nen Krankheitsformen an , gegen welche die Quellen Sovens erfahrungs-
massig wirksam sich zeigen.
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540 Die
Anwendung der Quellen Sodeos. Von den oben be-
zeichneten Ouellen werden zur Trinkkur hauptsächlich benutzt Nr. I. III.
IV, Via oed b, XVUI und XIX. Nach den gemachten Beobachtungen
linden die Quellen Nr. Via und b, XVIII and XIX vorzugsweise gegen
Unterleibskrankheiten , Nr. I, III und IV bei Brnstkrankheiten ihre An-
wendung, wo meistens ein Zusatz von Molke oder Milch zweckmässig
wird. Nr. VI b bringt nicht so leiebt störende Aufregung im Gefässsystem,
als Via hervor; Nr. XVIII sagt insbesondere torpiden Constitutionen au;
Nr. XIX kömmt da in Anwendung, wo ein besonderes Gewicht auf die
Kohlensäure gelegt wird; Nr. IV mit vorherrschendem Gehalt an Koch-
salz und geringer Menge Kohlensäure führt ab ohne aufzuregen; Nr. I
und III als die mildesten Quellen sagen den gereilten Schleimhäuten der
Unterleibs- und Brustorgane am besten zu. — Gewöhnlich lässt man 2
bis 6 Becher in Pausen von 10—15 Minuten am Morgen, selten am
Abend trinken. Die Diät ist dieselbe, wie beim Gebrauche jeder Salz-
quelle. Bäder werden von j- 2 ~C] Ii. herab bis au + 22° R. genom-
men. — Die klimatischen Verhältnisse Sodens sind sehr günstig. Es
liegt in einem freundlichen Thalbecken, gegen Norden und theilweise ge-
gen Osten und Westen durch die nur den Höhen bewaldeten Vorberge
des Taunus geschützt.
Crouthal von Dr. F. KUster in Cronthal (S. 75—100).
Der Herr Verf. hat schon in mehreren Schriften und einzelnen zo-
and Anstalten zu Cronthal gegeben, so dass au erwarten steht, seine
Erfahrungen und Ansichten seien dem ärztlichen Publikum hinlänglich be-
kannt. Ref. kann sich sonach in der Anzeige kurz fassen. In Crontbsl
sind fünf Mineralauellen aefasst von denen nur die heiden reichhaltigsten
und wirksamsten, die Stahl- und die Wühelmsquelle , fast
benutzt werden. Beide sind vielfach chemisch untersucht,
W. Jung, dessen Analyse in einem Pfund zu 16 Unzen ergab:
Stahlquelle. Wilhelmsquellc
Schwefelsaures Natron 1,638 0,867
Salzsaurcs Natron 27,574 27,303 „
Salzsäure Magnesia 1,921 3,833 „
Kohlensaure Magnesia 0,606 0,945 „
Kohlensaure Kalkerde 3,640 5,400 „
Kohlensaures Eisenoxydul 0,613 0,050 „
Thonerde 0,640 0,625 „
36,632 39,238 Gran.
Kohlensaure 33,336 29,627 K. Z.
Temperatur + 9,5°R. -|-13«R.
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ftaaann^ftian Uni Inno) lan
t/ic liBaSiiuiäcntrii iiiiKjiiciicn.
541
Die Wilhelmsquelle soll durch eine neue im Herbst 1850 vorge-
nommene Fassung an Gasgehalt sehr gewonnen haben. — Der Herr Verf.
hat Gas-, Kräutersaft- und Molkenkuranstalten in Cronthal errichtet Die
Versuche zur Respiration des Gases bei ßlennorrbüen und Eiterungen ver-
schafften keinen erheblichen Nutzen. Zum Trinken, wie zu Douchen hat
Herr Küster das Gas zuerst benutzt und die Anwendungsart der Bäder
wesentlich verbessert. Die Verbindung der Gas- und Wasserbader und
die dadurch erzielte höhere Wirksamkeit der letzten führte denselben zu
dem Studium der Hydriatrik und veranlasste ihn 1810 seine Anstalt io
der Art zu erweitern, dass er in geeigneten Fällen die Behandlung ganz
'nach der Priessnilz'scben Methode anordnen kann. Wiederholte Versuche
überzeugten ihn, dass bei der Priessuitz'schen Methode die Bäder von"
Crontbaler Mineralwasser bei einer Temperatur von -\- 13° R. eine viel
kräftigere Reaktion hervorrufen, als Bader von einfachem Quell wasser zu
-f> 7 — 8° R. — Die Wasserbäder erhalten in Cronthal eine Temperatur
von +13° aufsteigend bis zu 28° R., dieselbe Verschiedenheit der Tem-
peratur wird für die Rcgenbiider und Wasserdouchen angeordnet. Dia
eiofacheo Gasbader haben die natürliche Temperatur von -f* 13°, die er-
wärmenden von 24—25° R. Die Gasdouchen haben die erwähnte na-
türliche Temperatur und werden nur in einzelnen Fallen auf -\- 30 bis
36° erhöhet. Es sind Vorrichtungen für Augen- und Ohrendouchen ge-
troffen. —
Herr Küster lässt das Gas rein und unvermischt aus elastischen Röh-
ren, wozu jeder Kurgast ein Mundstück aus Glas hat, trinken.
Endlich gibt der Herr Verfasser die Indikationen zum Gebrauche der
Crontbaler Blineralquellen, sowohl des Wassers, als des Gases an und be-
zeichnet die Krankheiten, in welchen sie nach seinen Beobachtungen An-
wendung finden.
Das Thal von Cronthal liegt hoch, aber geschützt, die Luft ist rein
und mild. Das Leben daselbst ist einfach, und die meiste Zeit wird im
Freien zugebracht, die Umgebung bietet Gelegenheit zu den schönsten
Ausflügen.
Schwefelquelle Weilbacb (S. 101—107).
Wegen Abhaltung des Brunnenarztes, Dr. H. Rotb, waren die Her-
ren Verf. genöthigt, einen kurzen Auszug aus dessen Brunnenschrift zur
Vervollständigung der Darstellung nassanischer Taunuabader anstatt einer
grössern Abhandlung beizufügen. Da Rotb's Schrift über Bad Weil-
bach in Nr. 9 des Jahres 1848 der Heidelb. Jahrb. f. Literatur ausführ-
lich besprochen worden ist, 00 genügt es, auf diese Anzeige so verweisen.
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54*
Die ft'assauischcn Heilquellen.
Wiesbaden, beschrieben von Dr. J. F. Gergens in
Wiesbaden (S. 109 — 146).
Unstreitig gehört Wiesbaden seiner Ueilkräftigkeit und seiner xeit-
gemüssen Einrichtungen wegen, zu den besuchtesten Kurorten Europa'«,
und keine andere Heilquelle kann wohl der Therme von Wiesbaden in
der Mnnaichfaltigkeit der Benutzung und Wirkung gleichgestellt werden.
Ihr Ruf bat sich seit Jahrhunderten bewahrt und Kurgäste aus allen Erd-
tbeilcu angezogen.
Der Herr Verf. hat sich die verdienstliche Aufgabe gestellt, nach
dem gegenwärtigen SUudpunkte der Wissenschaft zu untersuchen, ob die
Heilquelle mit Recht diesen grossen Ruf verdiene, ob, was der bisherige
Gebrauch geheiligt, mit Kecht oder Unrecht der Heilkraft der Therme zu-
geschrieben werde. Ref. stimmt der Ansicht des Herrn Verf.s vollkom-
men bei, dass die Pathologie und Therapie diese Frage nur mit Hülfe
der physiologischen Chemie entscheiden kann.
. Derselbe t heilt die neuesten physikalischen nud chemischen Unter -
tersuchungen der Quellen mit, damit von vornherein klar werde, was man
im Allgemeinen von der Heilquelle zu erwarten habe. Es liegt in seiner
Absicht, möglichst scharfe Greuzen für die Wirkung der Therrot zu zie-
hen and die ihr zugänglichen KrankheiUformen genau zu bestimmen. Die
Thermen von Wiesbaden treten in der Stadt selbst zu Tage. Die Haupt-
quelle, der Kochbrunnen, entspringt in einer Hobe von 323 Pariser Fuss
über der Meeresfläche und 110 Fuss über dem Spiegel des Rheines mit
einer Wärme von 55°. Die Analysen desselben, von Dr. Lade 1847
und von Dr. Fresenius 1849 gemacht, stimmen im Wesentlichen mitein-
ander überein und haben folgendes Ergebniss geliefert.
Ein Pfund Kocbbruoncnwasser = 7680 Gran, enthält:
nach Fresenius:
52,49797
1,11974
0,00138
0,12841
3,61720
1,55603
0,02726
sehr kleine Spur
0,69289
0,460,1 8
3,21055
Kohlensaure Magnesia 0,07979
Kohlensaurer Baryt Spur
Kohlensaurer Strontian Spur
Kohlensaures Eisenoxydul 0,04339
Kohlensaures Manganoxydul 0,00443
•ehrkiSp.
Chlornatrium
Chlorkaliuni
Chlorlilhium
Chlorammonium
CMorcalrium
Chlormagncsiuni
Brommagnesium
Jodmagnesiuni
Schwefelsaurer Kalk
Kieselsäure
nach Lade:
52,83019 Gran.
1,38163
Spur.
Spur.
3,60683
0,20960
0,12902
0,72192
0,47846
3,21406
0,05068
0,06681
Spur
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Die Nassauiscben Heilquellen. 543
nach Fresenius: nach Lade:
Phosphorsati rer Kalk 0,00299 Spur
Arsensaurcr Kalk 0,00115 — —
Kieselsaure Thonerde 0,00392 Spur
Organische Substanzen Spuren Spuren
Summe der festen Bestandteile : 67,3758 t 66,541i>0
Kohlensäure, s. g. freie 3,90313 3,31998
Stickgas 0,01540 — — ' ' i •<
Sogen, fr. Kohlens. in C.-Zoll 10,3168« 10,0000
Stickgas in Cubikzollen 0,1030
* '• • •>■ i
Ob duo alle aufgefundene Beslandlheile auch io der hier angege-
benen Verbindung im nicht abgedampflcu Wasser sich befinden oder, wie
Kastner glaubt, i. B. nicht schwefelsaurer Kalk und salzsaures Natron, son-
dern der Kolk als salzsaurer und dafür etwas schwefelsaures Natron, ist
eine Frage, die für die Pharmakodynamik und Therapcutik von Wichtig-
keit ist. Sie kann nur von Chemikern und von diesen vielleicht nur hy-
polhetisch beantwortet worden. — In dem Becken des Kochbrunnens
und in den Ablaufkanälcn setzt das Wasser eine bedeutende Masse von
Sinter ab, dessen Hauptbestaudlhcil kohlensaurer Kalk und dann Eisenoxyd
ist. — Die chemischen Bestandteile siud in den verschiedenen Quellen
#4 I I i $
zu Wiesbaden fast gleich, doch fiudet eine Temperaturverschiedenheit des
Wassers statt. Wahrend der Kochbruunen -j- 55° R. hat, haben mehrere
nur gegen 50°, eine 48°, eine andere nur 38° Wrürme.
Eiuwirkung der Thermen auf die verschiedenen or-
ganischen Funktionen. Unter Benutzung der neuesten Forschungen
und Untersuchungen in der Wissenschaft und vorzugsweise an der Hand
der physiologischen Chemie thut der Herr Verf. dar, dass durch die Vert
binduog von Neulralsalzen, Alkali, Eisen, Kalksalzen und Kohlensäure in
dieser Heilquelle ein Heilmittel geschaffen ist, welches einesteils auflöst
und absondert, andernthcils wieder kräftigend wirkt und dabei noch die
Elemente zu einer organischen Neubildung darbietet. Dazu muss noch
die eigentümliche Wurme des Wassers in Anschlag gebracht werden.
Die Erfahrung entspricht vollkommen dieser nach chumisch-physiologisebeo
Ansichten vorausgesetzten Wirkungsweise bei der innen) und äussern An-
wendung. Die Therme übt einen mächtigen Einflusss auf die Metamor-
phose der Gewebe j die Absonderungen des gauzen Darmkanals und der dazu
gehörigen drüsigen Organe werden verändert und stark vermehrt. Das-
selbe ündet statt, wenn auch weniger schnell, in den Albmungsorganeo
und ihren Drüsen. Gleichzeitig stellt sich auch eine reichhaltigere Ab-
sonderung von gehaltreicherem Harn ein. Die Hauptthätigkeit wird ver-
mehrt, es entstehen oft örtliche, kleberichte Schweisse. Ein blosser Ba-
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Die Nassauischen Heilquellen.
degebrauch mehrt schon Haut- und Harnabsonderuug, ohne auf die Darm-
absonderung besonders einzuwirken. Die Einwirkung auf das Genitalsy-
stem ist eine zweifache, entsprechend der Wirkung der Therme auf Mus-
keln and Schleimhäute. Das Nervensystem wird durch die Betätigung
des Kreislaufes, Beseitigung von Störungen der Verdauung und Respira-
tion, also auch der Blutbildung, durch Herstellung der Thätigkeit von
Haut und Nieren, gekräftigt und es stellt sich ein Gefühl von Wohlbe-
hagen und Esslust ein. Dieser Vorgang bleibt jedoch manchmal nicht
ohne Folgen. Unter Verhältnissen, welche dio Entwickelungen begünsti-
gen, wird eine fieberhafte Bewegung durch die Steigerung aller vorher
erwähnten Punktionen verursacht, und das vorhandene chronische Leiden
wird sodann auf kurze Zeit acut. Dieses ist's, was man Badekrise oder
besser Keaktion nennt. Bei diesem Hergange beobachtet man Gichtan-
fälle in den Gelenken, Steigerung rheumatischer Schmerzen, Hämorrhoi-
dalblutungen etc. In den allermeisten Fallen heilt die Therme nur durch
ollmalige Ausscheidung des Krankbcilsprodukles.
Die Anwendung der Thermen beschränkt sich selten nur auf Baden,
weniger selten nur auf das Triuken. Gewöhnlich wird beides verbunden.
Ausführlich und umsichtig bespricht der Herr Verf. die Anwen-
dung und Wirkung der Therme als Hauptmittel gegen
Gicht, Abdominalpletbora und Rheumatismus, dann das
Verhalten der Therme gegen veraltete Hanl Verletzungen
Und Syphilis, und endlich gegen Skropheln und Tuberkel-
krankheit. Mit einer genauen Angabe der Nachkur, der Nach-
behandlung und der klimatischen Verhältnisse des Kur-
ortes schliesst Hr. Gergens seine gediegene Abhandlung Uber Wiesbaden.
Das Schlangenbad, beschrieben von Dr. Bertrand in
Schlangenbad (S. 147—213).
An dem südöstlichen Abhango des Taunus, 900 Fuss hoch Ober
der Meeresflöche, in einem einsamen, rings von hohen Bergen umschlos-
senen Thalgrunde liegt das Schlangenbad. Freundlich und überraschend,
gleichwie aus einem Versteck, tritt es dem Besucher entgegen. Der Freund
der stillen Natur wird in den nächsten Umgebungen Schlangenbads eine
Befriedigung finden, wie nicht leicht anderswo. Die Thermalquellen des
Schlangenbades treten am Fusse des sogenannten Bärstädter Kopfes, ei-
nes der höchsten Bergkuppen um Schlangenbad, gegen Süden zu Tage.
(ScUvss
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Nr. 35. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Nassaiilsclieii Heilquellen.
(Schluss.)
Es sind acht Haupiquellen, nämlich: 1) die drei Quelles des
obem oder alten ßadehauses; 2) die RöhrenbrunuenquelJe; 3) die drei
Quellen des untern oder neuen Badebauses und 4) die Schacbtbrunnen-
queile. Eine neunte hinter der Mauer des Pferdebades (welches eben-
falls durch warme Quellen gebildet wird) gefasste Quelle liefert das zur
Heizung bestimmte Thermalwasser im untern Kurbause. Das Thermalwasser
sämmtlicher acht Hauntnuellen hat folgende gemeinsame Eigenschaften:
1) es ist Uberaus klar, durchsichtig, von blaulicher Farbe, 2) vollkom-
men geruchlos, 3) von schwachsalzigem, laugenhaftem Geschmack, 4) es
fühlt sich ungemein weich, fast fettig an, 5) es entwickelt, an der Quelle
geschöpft, keine Luftblasen; an der Röhre, aus welcher es strömt, auf-
gehst, zeigt sieb einige Gasentwickelung , 6) es erleidet, lange Zeit in
einer Flasche aufbewahrt, keine Veränderung; dagegen bilden sich an der
Decke der inwendig vertrassteu Reservoirs schöne ein bis zwei Zoll lange,
weise Stalaciten von lamellösem Gefüge, aus kohlensaurem Kalk bestehend ;
von Badescblamm findet sich in keinem der Reservoirs des obem und untern
Kurhauses eine Spur, nach Kastner toll sich ein solcher in geringer Menge
im Schachtbrunnen bilden und ans Thonerde bestehen, welche in Beglei-
tung von feinstem Quarzstaube dem Wasser mechanisch beigemengt ist,
7) es hat eine zwischen -f~ 22 — 26° R. variirende Temperatur, 8) che-
misch untersucht zeigt es in 16 Unzen Wasser einen trockenen Rückstand
von etwas mehr als 5 Gran, 9) sein vorwaltender chemischer Bestand-
teil ist kohlensaures Natron. In einer Tabelle theilt der Herr Verf. die
chemischen Bestandtheile der verschiedenen Quellen nach Kästners Unter-
mit. Eine neue Analyse von Dr. Fresenius stobt demnächst
In der Regel rechnet man die Schlaugenbader Quellen zu den er-
dig-alkalischen Thermen und reiht sie jenen von Ems an. Wegen ihres
geringen Gehaltes an festen Bestandtheileu und wegen des gänzlichen Feh-
lens von Erdsalzeu in den meisten derselben dürften sie richtiger zu den
chemischreinen Warmqueilen (Akratothermen nach Vetter) gezahlt und in
gleiche Reihe mit Liebenzell, WUdbad und Pfeffers gestellt werden.
XUY. Jahrg. 4. Doppelheft. 35
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Die Nassmiischen Heilquellen.
Im Allgemeinen wird das Schlangenbader Wo sscr aar zu Bädern
gebraucht, selten getrunken. Die Bewohner dea Orts benutzen es zum
diätetischen uud jedem häuslichen Gebrauche. Innerlich angewendet ge-
hört es zn den mild lösenden, demulcirenden, erweichenden, blutverdün-
nenden Mitteln und wird seine allgemeinen Indikationen da finden, wo es
gilt: 1) einen Zustand von Trockenheit, Sprödigkeit und Spannung in
den organischen Geweben zu beseitigen, 2) eine erhöhte Nervenreizbar-
keit in denjenigen Theilen, mit welchen es in direkte Verbindung ge-
bracht werden kann (Schleimhaut des Mundes, Halses, Magens), zu bekäm-
pfen, 3) das Blutplasma zu verdünnen, Stockungen im Gefässsystem zu
heben, exsudirtc Stoffe löslich zu machen, 4) die natürlichen Ausschei-
dungen des Körpers auf die mildeste Weise zu bethätigen. Bei der ge-
ringen Menge fester Bestandtbeile ist diese Wirkung natürlicher Weise sehr
schwach und untergeordnet. Wichtiger ist die W i r k u n g s w e i s e d e s
Schlangenbader Wassers bei äusserem Gebrauche. Die Wir-
kung als Bad ist als eine beruhigende, das Nerven- und Gefüsssy*tem
herabslimmenilc, zugleich aber erfrischende und belebende allgemein ge-
schildert und zur Erklärung derselben bald auf eine hyperpbysisohe Ther-
malkraft (den mystischen Brunnengeist), bald auf elektro-galvaoisch-mag-
netisthe Kräfte, bald auf Urlebwesen oder ElemeDlarorganismen (Kastoer)
verwiesen. Hypothetische Kräfte nnd mystische Wesen sollten den Stoff-
armuth der Thermen ersetzen. Mit Recht weist der Herr Verf. diese Ne-
beigebilde von der Hand und verschont den wissenschaftlichen Arzt mit
einer neuen vielleicht ebenso umhüllten Hypothese. Nach Hrn. fiertrtnd's
Erfahrungen schliesst sich die Wirkung Scblangeubads im Allgemeinen den
Wirkungen des warmen Wasserbades an, modificirt und erhöbet jedoch
durch die besondere physikalische und chemische Constitution des Schlan-
genbader Wassers. Die ganz eigentümliche Weichheit desselben kommt
hierbei besonders in Betracht. Der schwache mineralische Gehalt ge-
währt in vielen Krankheitsfällen und für manche Individualitäten unbe-
streitbare Vorzöge vor bestandtheilreicheren Quellen. Der Herr Verfasser
schildert vorurteilsfrei die Primär- und Secundärwirkangen des äussern
Gebrauchs des Schlangenbader Wassers ausführlich und gibt dann die
speziellen Indikationen zu dessen Anwendung bei Nervenkrankheiten, bei
Gefässkrankheiten, bei Hautkrankheiten, bei Dyskrasien and bei Krankheiten
aus vermehrter Cohärenz der organischen Tbeile mit Umsicht and dem
Standpunkt der heutigen Medicin gemäss an. — Eine im Schlangenbad
errichtete Molkenkuranstalt dient zur Unterstützung der Therme.
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Die IVassnu iselipn Heilquellen.
Schwalbacb von Dr. Ad. Geoth zu Schwalbach (S. 215
bis 266).
In der Reibe der Taunusbäder repräsentirt Schwalbach die Eisen-
wasser. Der Ort Langenschwalbach, eine kleine Stadt aus einer langen
Strasse grösstenteils bestehend, liegt 900 Fnss Uber der Meeresflache nnd
670 Fuss über dem Rheinspiegel. Die Lag« ist gesund, die Temperatur
etwas niedriger, als in den benachbarten Bädern. Schwalbach mit sei-
ner Umgebung ist reich an Mineralquellen, Weinbrunnen, Paulinen- und
fioseabrnnnen, Ehebrunnen, Stahlbrunnen, Neu- und Brodelbrunnen. Zum
Korgebrauche werden verwendet der Wein-, Stahl-, Paobnen- nnd Ro-
seobnnuen. Die Temperatur der verschiedenen Brunnen wechselt zwi-
schen + 5 V2— 81/»0 R. Das Wasser ist kryitallhell, riecht nach Koh-
Icnsänre, schmeckt tinlenartig, erfrischend. Es perlt stark, und anf dem
Boden der Quellen, sowie in den Abzugrobren nnd Reservoirs findet sink
ein ockerfarbiger Sinter. Naeb der neuesten Untersuchung Kastner's ent-
hält in 16 Unzen der Weinbrunnen Eisenoxydul 1,0542000 Gran, der
Stahlbrunnen 1,0292000 Grau, der Paulinenbrunnen 0,9016000 Gran.
Dar Rosenbrannen enthält in 16 Unzen 6 Gran feste Bestandtheile nnd
besitzt anter allen Schwalbacber Brunnen das meiste Eisen. Kohlensaures
Gas besitzt der Weinbrunnen 27,850 K. Z., der Stahlbrunnen 29,150
K. Z., der Paulinenbrunnen 39,580 K. Z. nnd der Rosenbrannen 26 KZ.
in 16 Unzen. — Bei Beurteilung des Ueilwerthes einer Eisenquelle musa
neben Beachtung der Quantität ihres Eisens , vorzüglich aar die Haltbar*
keit des Wassers Rücksicht genommen werden, da bekanntlich die Bisen-
wasser an der Luft sich leicht zersetzen, indem das darin gelöste Eisen -
oxydnl sich hoher orydirt and dadurch anlöslich wird. Die Zersetzung
der Eisensäuerlinge ist eine Folge der Absorption des Sauerstoffes aus
dar Atmosphäre und diese steht im innigen Zusammenbange mit dem Ent-
weichen der Kohlensäure: für je 20 Raumtheile entweichender Kohlen-
saure werden 0,21 Raumtheile Sauerstoff aufgenommen. Diese 0,21 Raum-
theile Sauerstoff, angenommen es seien Cubiksentimeter , reichen gerade-
hin, 0,265 Grammes Eisenoxydul in Oxyd überzuführen. Die Zeit, in wel-
ober eine gewisse Menge Kohlensäure aus dem Wasser entweicht, ist
aber niebt bei allen Säuerlingen dieselbe; sie ist verschieden nach dem
grösseren oder geringem Gehalt an in reinem Wasser löslichen Salzen,
so dass tun dem Wasser mit einem reichern Gehalte von Salzen die Koh-
lensaure rascher entweicht. Aus dem Verhältnisse der Kohlensäure zum
Eisenoxydul und aus dem Gehalte an in reinem Wasser löslichen Salzen
lasst aich die Haltbarkeit eines Eisenwassers annähernd erschließen. Die
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Die Nassanischen Heilquellen.
Menge freier Kohlensäure ist in sämmtlichen Braunen Schwalbachs, zumal
im Paulinenbrunnen sehr beträchtlich und der Gehalt an löslichen Saiten
sehr gering. Das Schwalbacher Wasser gehört sonach durch seine Halt-
barkeit und seine beträchtliche Menge Eisenoxydul zu den atärkern Ei-
senquellen. Die Untersuchungen des Weiubrunnens in dieser Beziehung
von Apotheker Erlenmayer bestätigen die Haltbarkeit des Wassers. Nach-
dem der Hr. Verf. die Wirkung der einzelnen Bestandth eile
der Quellen, nämlich des Eisens, der Kohlensäure, des Was-
sers und der Salze nach dem gegenwärtigen Standpunkte der Phar-
makodynamik nach chemisch-physiologischen Grundsätzen geschildert hat,
betrachtet er die Gesammtwirkung des Schwalbacher Was-
sers. Es betbätigt die Darmverdauung, befördert die Aufsaugung, bebt
das Blutleben durch Bereicherung desselben mit den vier organischen
Grundstoffen und steigert dadurch das Assimilationsgeschäft im ganzen
Körper, vermehrt die Ausscheidung des Verbrauchten, erregt gelinde und
belebt das Nervensystem und vermindert endlich profuse Absonderungen.
Den Unterschied in der Wirkung der drei Hauptbrunne n
kann man etwa so bezeichnen: Der Weinbrunnen wirkt mehr rein
tonisirend, ähnlich der China, der Stahlbrunnen kräftig adstringirend,
der Paulinenbrunnen gelind tonisirend und zugleich resolvireud und
bei seinem grossen Gehalte an Kohlensäure leicht irritirend.
i Aus dem Mitgeteilten ergeben sich die Anzeigen zum Ge-
brauche des Schwalbacher Mineralwassers. Es sind Schwä-
chezustände, reine, weder auf krankhaften Ablagerungen basirte, noch in
erhöhter Reizbarkeit begründete scheinbare Schwächezuslinde, ein wirk-
liches Darniederliegen der Lebensthätigkeit, entweder des ganzen Körpers
oder einzelner Systeme und Organe. Herr Genth schildert nun nach
den neuesten anatomischen, morphologischen, chemisch-physiologischen and
pathologischen Forschungen und Untersuchungen die vorzugsweise hier in
Betracht kommenden Krankheitsznstände, dio Anömie, Schlaffheit des Mus-
kelsystems, die Schwächezustände der Schleimhaut und der äussern Haut,
die Schwäche des Nervensystems, der Genitalien u. s. w., bei welchen
die Schwalbacher Brunnen Anwendung finden können. In Bezug auf die
Art der Anwendung des Schwalbacher Wassers bemerkt der
Herr Verf., dass nach seinen Witterungsbeobachtungen die Quellen vom
Mai bis September benutzt werden können. Bei dem innerlichen Gebrauche
leitet Herrn Genth im AUgemeinen die Ueberzeugung, dass die Wirksam-
keit der Eisenmittel weniger von der Menge des dem Magen einverleib-
ten Metalls abhängt, als von dessen gehöriger Verarbeitung und Absorp-
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L^lv 11 UOJH UljL UviJ £lvlll|UCIICIIi vt J
tion. Bei Anordnung der Bilder fasst er das Ergebniss der Untersuchun-
gen von Bertbold, Youeg, Maddan ins Auge, wonach der Körper in ei-
nem Bade von +21—20° R. mehr aufnimmt, als bei höbern Tempe-
ratorgraden.
Die Thermalquellen zu Ems, von Dr. v. Ibell, Arzl zu
Bad-Ems (S. 267—330).
Ems, an einer der schönsten Stellen des prachtvollen Lahnthalj ge-
legen, bietet vier Gesundbrunnen: 1) das Krünchen, mit einer Tem-
peratur von 4~24°R. , 2) die starke Quelle des Kesselhrunnens
mit einer Temperatur von -)~ 380 R., 3) der Fürsten brunnen, mit
einer Temperatur von ~f- 28° R. nnd 4) die neue, noch unbenannte
Quelle auf dem linken Lahnufer, vis-a-vis des Kurgärtchens , mit einer
Temperatur von -(- 43° R. — Wegen bedeutenden Vorwaltens des dop-
pelt kohlensauren Natrons in allen Emser Quellen müssen diese
zu den erdig-alkalischen Thermen gezählt werden. In 16 Unzen enthal-
ten sie alle nach Jung's neuester Analyse 12 bis etliche nnd 20 Gran
doppeltkohlensaures Natron, mehrere Gran salzsaures Natron, etwas weniger
kohlensauren Kalk und kohlensaure Magnesia, noch etwas weniger schwe-
felsaures Natron, kleine Quantitäten von Kieselerde, noch kleinere von
kohlensaurem Eisenoxydnl mit Spuren von Mangan und von Lithion. Der
Gebalt der einzelnen Quellen an freier Kohlensäure erscheint analog ihrer
verschiedenen Temperatur gleichmässig verschieden, und kann als etwa
zwischen 27 — 16 K. Z. sehwankend angenommen werden. Die neue, noch
ungenannte Quelle wurde vor Kurzem von D. Stammer untersucht; sie
enthält in 16 Unzen: 16,0704 Gran doppelt kohlensaures Natron, 1,84627
Graa doppelt kohlensaoren Kalk, 0,93004 Gran doppelt kohlensaure Mag*
nesia, 7,43437 Gran Chlornatrinm , 0,53990 schwefelsaures Natron und
0,50227 Kieselerde. — Die Badeanstalten in Bms sind zweckmäs-
sig und grossentheils comfortabel eingerichtet, Sturzdoucben und trans-
portable Pumpdouchen sind vorhanden , noch fehlt die Einrichtung eines
Dunstbades. Die bekannte „Bn benquelle" ist eine douche ascendante;
sie ist ein natürlicher Springbrunnen, in welchem eine der Thermalquellen
in einem Badebassin zu Tage tritt. Aus einer kleinen am Boden dieses
Bassiu's angebrachten Metallrühre sprudelt der etwa 5 Linien dicke Was-
serstrahl in einer Temperatur von 25° R., etwa l2/;!Fu>s hoch, durch
eigene Triebkraft empor. Sie wird als aufsteigende Douche in manchen
Krankheitsformen der weiblichen Genitalien mit gutem Erfolge in Anwen-
dung gezogen, doch darf sie nur mit Vorsicht gebraucht werden, da sie
kraftig erregend wirkt. Unverstand, Aberglaube, schlaue Spekulation and
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550
Die Nassanischen Heilquellen.
Charlatanerie haben sie oft genug missbraucht und ihre Wirksamkeit mit
Fabeln und Mahrchen der verschiedensten Art ausgestaltet.
Bezüglich der therapeutischen Bedeutung der Eraser
Therme im Allgemeinen müssen als die therapeutisch - wichtigsten
Agentien hier angesehen werden: 1) das Wasser mit seiner erhöhten
Temperatur, da es zu -f- 15 — 30° R. getrunken wird; 2) die Kohlen-
säure, welche grossen theils durch den Magensaft aus einem Theile des
doppelt kohlensauren Natrons im Hagen entwickelt wird; 3) da» doppelt
kohlensaure Natron, die kleine Bienge kohlensaurer Magnesia und kohlen-
sauren Kalkes; 4) das salzsanre Natron und die geringe Quantität ulz-
sanrer Magnesia und sulzsauren Kalkes; 5) die kleine Menge schwefelsau-
ren Natrons. Die geringen Quantitäten von kohlensauren Bletatbalzen,
unter welchen das kohlensaure Eisenoxydul noch am meiste» in Betracht
zuziehen seyn durfte, sind zu unbedeutend, um sie als wesentlich wirk-
same Bestandteile der Emser Quellen zu betrachten. Offenbar kann das
Bmser Wasser nicht als ein sehr diflerentes Mittel angesehen werden, und
seine Heitwirksamkeit dürfte mehr in der methodischen Auwendung, ab
in den Bestandteilen selbst zu suchen seyn, wobei jedoch der Tempera-
turgrad des Wassers in Anschlag zu bringen ist, welcher weder die Tem-
peratur der innern Organe Ubersteigt, noch weit hinter derselben zurück-
bleibt. Die Gesammtwirkung des Emser Wassers schildert Herr von Ibell
mit den Worten des würdigen Dr. Diel, dessen Schrift wohl in den Hän-
den jedes Arztes ist, und fügt dann nach den neuesten Fortschritten der
Wissenschaft das hinzu, was zur Erklärung der therapeutischen Bedeutung
der Emser Duellen und der Feststellung? der Indikationen zu deren An-
■ ■ ^*mmmmw*m*m nm^rwm^mm mm mm mm w » » v_ h w a. » w ■ • » ■ • mm mm m v mß mm mmtmm mmmrm* ^m ^mi m m mm
Wendung von Wichtigkeit ist. Der Herr Verf. geht das Speziellere
aber die Indikationen der Emser Thermen ausführlich durch.
In die erste Reihe der in das therapeutische Bereich dieser Heilquelle ge-
hörenden Krankheiten zühlt er alle diejenigen Kraukheitsproiesse , deren
• ist wesentliche Eigenschaft abnorme Saurebüdeng ist, & B. Bildung von
saurem Harngries, harnsaure Btasensteine, dann Gicht, Rheuma. An diese
Krankheiten schliessen sieh die chronischen Catarrbe nicht bloss der Luft-
wege, sondern auch der Genitalien, des Verdauungskauais mit ihren Fol-
gen an. Bei venöser Crasis des Blutes soll die Therme ebenfalls zu em-
pfohlen seyn. Eine andere Reibe bilden die nervösen Leiden und hierher
mühlk Aar- Hamm V/irf *■>> kllsnmnina {»nkkla C„U.,„„U J__
zanii oer nerr ven. eine allgemeine lrniaoie oenwaene «es iiervensy-
wickelt, dann bei krankhaften Erscheinungen des Nervensystems, die man
unter dem allgemeinen Namen des Hysterismus zusammenfügst. — Nach
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Tranaactions of the royal society of Literaturc. 5M
f, IbolPs eigner Erfahrung werden mitunter Sterilität und habituelle Nei-
gung zu Abortus durch den innern und äussern Gebrauch der Thermen
mit Erfolg bebandelt. Nervöses Asthma wird oft gebeilt, wenn es mit
einer chronisch- catarrhalischen Heizung der Schleimhaut der Bronchien in
ursächlichem oder consecutiven Zusammenhange steht
«Ab Zeit des Gebrauches empfiehlt der Herr Verf. mit Wigelius
die mildern Uebergangsjahrszeiten , Frühling und Herbst. Die mitunter
übermassige Sommerhitze wirkt oft naobtheilig auf eine grosse Anzahl der
Kranken. Die Bemerkung des Hrn. Verf., dass selbst im strengsten Winter
(S.337) das Thermometer in Ems nie unter +12°, höchsten -f 1 0° R.
falle, ist wohl ein Druckfehler. Ems hat allerdings eine eigentümlich
geschützte Lage, allein es fällt doch Schnee dort, wie der Herr Verf.
selbst erwähnt, und so ist die angegebene Wintertemperatur sicher nicht
möglich. Doch soll damit nicht bestritten werden, dass sich für beson-
dere Fälle Ems zu Winterkuren eigne. S
Das ganze Werk liefert dem wissenschaftlichen Arzte einen kurzen
Ueberblick Uber die Nassauischen Heilquellen des Taunus, und wird dem-
nach allen denjenigen Aerzten, die dem Ballaste und den oft pomphaften
Schilderungen der gewöhnlichen Brunnen schritten abhold sind, eine will-
kommene Gabe seyu, da es das Wesentliche und Wissenewerlhe kurz zu-
sammengedrängt enthält. Mögen die Herren Verf. von Zeit zu Zeil ihre
neuern Erfahrungen mi »heilen!
Main*. F. Mj. Feint.
ansactions of the roual societu of Liter ature of the united Kinadom.
Second Serie*. London, John Murray, Albemarle Street. i$*$r-
mo. vol l vu und m s. voi il vi und m s. vol iu.
407 & «I gr. 8.
Die einzelnen Abhandtungen, die den Inhalt dieser d r c i Bünde bil-
den, haben mit wenig Ausnahmen eine Beziehung auf das klassische Al-
terthum, und zwar vorzugsweise das griechische, ohne dass jedoch da-
rüber Rom wie der Orient unberücksichtigt geblieben wäre; insbeson-
dere ist es die Kunstgeschichte, die Inschriftenkunde, die Mythologie und
Symbolik, wie die alte Geschichte und Geographie, welche durch eine
Reihe von Aufsätzen nicht Wenige neue und beachtenswerte Aufschlüsse
gewinnen, die durch die verschiedentlich beigefügten Abbildungen der her
schriebenen oder behandelten Kunstwerke, sowie bei geographischen Ge-
genständen, durch Charten und Pläne erläutert werden: dass hier die
Ausführung vorzüglich ausgefallen ist, wird bei englischen Werken kaum
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552 TransRctions of the royal sociely of Litcratmre.
einer Erwähnung bedürfen; vor Allem aber glauben wir auf die Art
und Weise aufmerksam machen zu müssen, in welcher die zahlreichen
griechischen Inschriften, welche hier zum erstenmal veröffentlicht wer-
den, in Äusserst treuen und in die Augen fallenden Copieo wiederge-
geben werden. Da nun diese Transactions auf dem Continent bisher we-
nig bekannt und verbreitet gewesen sind, so glauben wir vor Allem
unsere Leser wenigstens mit dem Bestand des Ganzen und mit dem In-
halt der einzelnen Aufsätze und Abhandlungen in der Kürze bekannt ma-
chen zu müssen, ohne uns in ein Detail der Kritik dieser in so verschie-
dene Zweige der Altertumswissenschaft einschlägigen Aufsätze einzulas-
sen, wie sie hier nicht erwartet werden kann.
Wir beginnen mit dem ersten Bande, dessen erste zwanzig Sei-
ten ein Memoir über das alte, aber durch manche berühmte Männer zu
Ansehen gelangte Ins eichen Cos von William Martin Leake ent-
halten; es wird eine geographisch - historische Skizze der Insel im Al-
terthum gegeben, daran scbliessen sich 44 griechische Inschriften, da-
runter einige grössere, welche manche bisher nicht bekannte Namen und
selbst neue Formen des dorischen Dialektes bringen; der Zeit nach möch-
ten sie sämmtlich in die Zeit der römischen Herrschaft fallen. Ein sau-
ber gestochenes Chörtchen der Insel, auf welchem die alten und neuern
Ortsnamen bemerkt sind, ist beigefügt. Nun folgt S. 20 ff. ein kurzer
Aufsatz Uber Ton und Aussprache einiger englischen und deutschen Wör-
ter in den Zeiten der Römer von Sir T. Phillipps; ebenso S. 23 ff.
Einiges Uber die zwei Bedeutungen des Wortes 7tdoiou.a von James Or-
chard Hall i well; S. 28 ff. enthält die englische üebersetzung eines von
dem deutschen Professor L. Rosa an W. M. Leake gerichteten Schrei-
bens über das Monument des Eubnlides in dem inneren Ceramicai; S. 42 ff.
eine Abhandlung des Freiherrn von (Hammer)-P urgstail über das Fest
des Valentinstages am 14. Februar; S. 48 ff. lesen wir eine kurze aber
ansprechende Erörterung von C. T. Beke Uber die ägyptischen Farben
und die geschickte Wahl derselben bei der Anwendung auf einzelne Ge-
genstände ; daran reibt sich S. 52 ff. eine andere HittheUung (von Sir
Garduer Wilkinson) über die zwei von Lord Pmdhoe in das britische
Museum geschenkten Granitlöwen. Die daran befindliche Hieroglyphen-
schrift lässt die Dedication diesen Löwen an den Gott Amun, so wie den
Namen des Fürsten — Amunoph III aus der achtzehnten Dynastie der
ägyptischen Monarchen — welcher diese Löwen vor einen der Tempel
zu Napata, der Hauptstadt des nördlichen Küttens aufstellte, erkennen;
und da vor dem Namen dieses Königs andere Hieroglyphen standen, die
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Transactions of the royal Society of I.iteraturc. . 553
jetzt vertilgt sind, so wird vermuthet, dass dieselben den Namen eines
älteren Bruders Amun-Toönh enthalten, welcher mit seinem Bruder
Isoge gemeinschafllich regiert; ob darin der Dan aus der Griechen zu
erkennen sey, mag unbestimmt bleiben ; nur auf die Uebereinstimmung der
Zeit wird hier hingewiesen. Wir Ubergehen den Aufsatz von James Or-
chard Ha Mi well über gewisse Zahlenbezeichnungen des Boethius und
deren Ursprung S. 56 ff. , so wie den darauf folgenden Aufsatz Uber die)
Aphrodite Urania von James Millingen S. 62 ff., welcher zur Erörte-
rung einer im britischen Museum befindlichen, auch iu einer Abbildung
beigefügten Figur dieser Göttin dient. Es ist dieses Denkmal zwar von
einer schon späteren Zeit, aber wahrscheinlich eine Copie eines alteren,
der besten Periode der hellenischen Kunst ungehörigen Werkes, da die
Anlsge des Ganzen wie die Ausführung im Einzelnen äusserst elegant und
zierlich ist; mit den beiden nun folgenden Aufsätzen kehren wir wieder
zu dem aegyptischen Alterthum zurück; es verbreiten sich nämlich die
beiden, in französischer Sprache abgefassten Briefe von IM. E. Prisse
S. 76 CT. über einige bildliche Denkmale und hieroglyphische Legenden,
welche auf mehreren jetzt meist zerstörten Tempelbauten zu Karnak an-
getroffen und noch vor ihrer gänzlichen Zerstörung wenigstens durch die
davon genommenen Abdrücke der Wissenschaft erhalten wurden ; sie be-
zieben sich nach des Verf. Deutung auf eiue Reibe von fünf Pharaonen,
die, nach dem äussern Typus und der Fassung der Gesichtszüge zu schlös-
sen, einer der ägyptischen Bevölkerung fremden Race angehören sollen,
und somit vielleicht die Dynastie des Hykio's oder Hirtenkönige bilden,
was uns immerhin noch sehr ungewiss zu sein scheint. Der Verfasser
möchte dieselben wohl aus dem südlichen Arabien und der dort vorherr-
schenden Vermischung der kaukasischen Race mit der äthiopischen herlei-
ten. Die fortgesetzte Lesuog der Hieroglyphen und die aufmerksame Be-
obachtung ägyptischer Houumente selbst, wird hoffentlich, bei Ermange-
lung aller andern schriftlichen Zeugnisse, hier mit der Zeit eine feste und
sichere Aufklärung bringen und darum wollen wir auch hier nicht weiter
der zahlreichen Versuche neuerer Zeit, dieses Räthsel zu lösen, gedenken*
weil wir die Verwirrung, die ohnehin hier schon gross genug ist, nicht
vermehren möchten. An dieie Briefe reihen sich S..03ff. Bemerkungen
von T. J. Newbold über die gegenwärtige Beschaffenheit der Orte,
wo einst Antäopolis, An tum- und Hermöpolis lagen. Die Erklärung ei-
nes merkwürdigen Vnsenbildes, das aus der Necropole des alten Cäre
stammt und jetzt im britischen Museum sich befindet, auch in einer gu-
ten Abbildung beigefügt ist, bildet den Gegenstand des nächsten Aufsatzes
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554 Transactions of the royal eociety of Liiertiare.
von S. ßirch £k 100 ff. Der Streit des Hercules und Acbelous ist hier
in einer eigentümlichen, bisher nicht bekennten Weise dargestellt. —
S. 108CF. folgt ein Vortrag von J. Bonomi über einen goldenen mit
Hieroglyphen, die auf die Zeit Thotmes III hinweisen, bezeichneten Ring j
dann kommen S. 113 ff. zwei die Geographie des heiligen Landes betref-
fende Mittbeilangen von Bob. Woolmer Cory, die eine Uber die Lage
der alten Orte Bethel (gerade da, wo jetzt das Dorf Beyleen) und Ain,
die andere über die Lage von Stloh. Sie stimmen mit de* anch ander-
wärts her bekannten Bestimmungen dieser Orte (wir verweisen nur auf
Baumert Palastina in der dritten Ausgabe) in ihren Resultaten so ziem-
lich übe rein. Die nächste Abhandlung von Gra uville Penn (S. 123 ff.)
versetzt uns in das Gebiet der römischen Literatur; sie enthüll kritische
Bemerkungen zu des Horatius Epistel an Torquatos Kpist. I, 5.; dann
folgen S. MO IT. wieder Bemerkungen von Perring über einige altagyp-
tische (in Abbildung beigefügte) Beste, welche, unterbrochen durch zwei
aufs englische Mittelalter bezügliche Mittheilungen, S. 158 ff. fortgesetzt
werden durch verschiedene, bis S. 191 reichende Bemerkungen von
J. Bonomi über die zu Born jetzt befindlichen Obelisken und Uber einen
andern, aus einem Dorf der Thebais nach England in das Museum zu
A In wick- Castle gebrachten Obelisken, sowie von G. Tomlinson über
den flamin mischen Obelisken zu Bom, wobei besonders die daran befind-
lichen Hieroglyphen besprochen und zu lesen wie zu erklären versucht
werden. Genaue und gelreue Abbildungen sind beigefügt. Denn folgt
ein, wie uns dünkt, gelungener Versuch, ein schon von Winkelmann in
seiner Geschichte der Knast, aber, wie wir glauben, nicht richtig gedeu-
tetes Vasenbild auf einem anderm und zwar sicherem Wege, zu erklä-
ren mittelst Zugrundelegung der auf dem Vasenbilde selbst (das von der
Hand des Künstlers Midias gefertigt, jetzt im britischen Museum sieh be-
findet) eingezeichneten Namen, von Gerhard. Ohne eine Abbildung hier
beizugeben wie sie in feinem Stich diesem Aufsatz beicrefüfft ist können
wir Dicht füg" hell in dss Detail dieser Ürklurunj* uus einlassen, kioigc Be~
merkungen von Birch über den Turiner Popyrus mit dem Künigsver-
zeichniss, S. 203 ff. bescbliessen die Beihe der das alte Aegypten betref-
fenden Mittheilungen, auf welche der Beriebt Uber einen nahe bei Preston
in Lancashire gemachten, bedeutenden Fund von Münzen folgt, theils cu-
i i seh oo ^ t Ii q\ Is on^t I & tx cfeisi s t# h e n ^ l Ii c 1 1 s \\ 8 roll n i schoö ^ 3 s w e 1 1 c? r 1 q di Om
W. M. Leake (S. 246 ff.) über den Best einer von einem neapolitani-
sehen Fischer gefundenen metalleneu Prora eines alten Kriegsschiffes, auf
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Transactions of the royal society of Literatare.
die Inschriftenkunde, die hier namhafte Vermehrungen gewinnt. Zuerst
nennen wir die Mittheilung von James Millingen über eine auf den
Manzen von Hipponium vorkommende Insehrift S. 226 ff. Sie zeigt, dass
die wahre und richtige Lesung dieser Inschrift nicht AANAINA, wie man
früher glaubte, sondern 17ANAINA, lautet, sio weist dieselbe Inschrift auch
auf einer Münze von Terina nach und erklärt dann diesen sonst nirgends
vorkommenden Namen für den einer Gottheit, welche synonym sey mit
Paudeia, der Tochter als Zeus und der Selene. Die Beweise, auf welche
diese Erklärung sich stützt, erscheinen freilich noeh sehr unsicher. Es
folgen nun vier und zwanzig, bisher nicht bekannte, mit aller Treue co-
pirte griechische Inschriften, von welchen zwei und zwanzig aus den
Ruinen von Apbrodisias stammen, zwei, minder bedeutende, dagegen aus
dem jetzigen Dorfe Nazli, das am Mäander nahe bei dem alten Nysa liegt.
Es befinden sich darunter einige ziemlich umfaugreiche; der Zeit nach
möchten aber auch sie fast alle in die römische Periode fallen, dem In-
halt nach sind es meistens Ebrendokrete, Stiftungsdenkmale u. s. w., wie
wir sie nun aus den verschiedenen kleinasiatischen Städten in ziemlicher
Anzahl und in ziemlichem Umfang besitzen; eine dieser Inschriften stent
bereits im Corpus Inscriptt. Nr. 2759, aber minder volbländig, wie hier.
Von dem auf vier Seiten beschriebenen Denkstein, der mitten unter den
Ruinen des alten Xanthus sich erhebt, und schon von Fellows bei seiner
zweiten Reise nach Lycien copirt worden war, gibt uns nun derselbe Rei-
sende S. 251 ff. einen ganz genaueu und getreuen Abdruck, der auf
vier grossen Blattern einer Abbildung des Denkmals selbst in seiner ge-
genwärtigen Lage folgt, so dass nun wenigstens ein verlässiger Grund und,
Boden, von welchen alle weiteren Versuche der Entzifferung auagehen
müssen, gegeben ist; und einen solchen versucht nun Oberst Leake hier
zuerst (S. 256 ff.) mit der griechischen aus zwölf Zeilen bestehenden In-
schrift, welche mitten unter die lycischen Inschriften des Steins auf einem
Punkte eingegraben ist, der vielleicht ursprunglich leer gelassen war, und
darum später, wie wohl weiter angenommen werden kann, mit dieser grie-
chischen Schrift ausgefüllt ward. Dio Lesung der Inschrift, in Vielem
durchaus richtig, erregte inzwischen doch bei uns, in manchen Theileq,
namentlich in den von Herrn Leake versuchten Ergänzungen der fehlen-
den oder verwischten Buchstaben, wesentliche Bedenken, wie sio auch dem
Verfasser selbst wohl später gekommen seyn mögen. Denn in einer spä-
tem, dem zweiten Bande dieser Traiisaction* & 27 IL eingerückten Ab-
handlung hat er das Ganze einer Revision unterstellt, die ein sehr gutes
Resultat geliefert und unsere Bedenken damit auch erledigt hat. Da der
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556 Transactions of the royal sociefy of Lilerature.
erste Vers einem (noch vorhandenen} Epigramme des Simonides entnom-
men ist, so haben wir damit auch ein sicheres Datum der Errichtung der
Inschrift in so weit gewonnen, als sie nicht vor Simonides, sondern viel-
mehr einige Zeit nach ihm errichtet worden ist, etwa am Anfang des
vierten Jahrhunderts vor Chr. (II, 35), wo nicht, wie wir wenigstens
zu glauben geneigt sind, noch später. Ein Sohn des Harpagus — sein
Name ist nur iu den zwei Endbuchstaben 12 sichtbar—, welcher in den
Spielen gesiegt, und auch durch Kriegsthaten sich ausgezeichnet, bat die-
ses Denkmal den zwölf Göttern auf der Agora aufgerichtet: diess ist der
wesentliche Inhalt der Inschrift. Ueber den Namen des Errichten, den
Leafce zuerst auf Datis, dBnn auf Sparsis deutete — beides gleich
unsicher — wagen wir keine Vermuthung; wohl aber theilen wir die
Ansicht des gelehrten Britten, dass alle die hier vorkommenden Inschrif-
ten auf die Familie des Harpagns sich beziehen, die jedenfalls in Xan-
thus eine bedeutende Rolle gespielt und eine höhere Stellung eingenom-
men haben muss. Sind wir einmal dahin gelangt, die lycischen Inschrif-
ten selbst, welche die vier Seiten dieses Steindenkmals bedecken, zu ent-
ziffern, und wir wollen hoffen, dass diess auf sicherm Wege und voll-
ständig bald geschieht, so wird über alle diese Punkte kein Zweifel mehr
sich erheben, und unsere Kenntniss des alten Lyciens in einer Weise er-
weitert werden, die auch auf andere noch dunkle Partien der alten Ge-
schichte ein neues Licht zurückwirft, namentlich aber die Verbaltnisse der
kleinaiiatischen Staaten unter der persischen Oberherrschaft uns aufklärt.
Denn wir glauben allerdings mit dem Verf., dass die Lage Lyciens wäh-
rend dieser Periode eine im Ganzen ruhige, ja glückliche zu nennen war,
hl welcher die Künste des Friedens und der Civilisation ihren ungestör-
ten Fortgang nahmen, indem das Land in allen seinen inneren Angelegen-
heiten einer gänzlichen Unabhängigkeit und Selbständigkeit sich erfreute,
wenig um die persischen Satrapen sich kümmerte, und diesen auch kei-
nen beträchtlichen Tribut entrichtete.
Nicht minder reiche Beiträge zu der Inschriftenkunde, der griechi-
schen wie selbst der römischen, bringt der zweite Band, dessen er-
ster Artikel von W. M. L e a k e eine zu Corfu gefundene Grabschrift mit-
theilt, welche wegen der Form der Buchstaben besondere Aufmerksamkeit
verdient; demselben Gelehrten verdanken wir die Mittheilung mehrerer
Inschriften von Delphi, welche, mit einer einzigen Ausnahme, bis jetzt
nicht bekannt sind (S. 4 ff.); es sind, wie die meisten ähnlichen, von
diesem Orte bis jetzt bekannt gewordenen Inschriften, theils Ehrendekrete,
Verleihungen von Privilegien u. s. w., theils Freigebungen von Sklaven.
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Transactions of the loyal society of Literature. 557
Eine jetzt in der Kirche des bl. Elias befindliche Inschrift aus römischer
Zeit bezieht sich auf den Bau der Bibliothek durch die Amphiktyonen
aus dem Tempelscbatze; eine lateinische Inschrift, welche den Schluss die-
ser Millheilnng bildet, bezieht sich auf die Errichtung eines Tempels und
einer Statue des Apollo Auguslus, neben welcher noch die tuber uae
deorum (die an diesem Tempel befindlichen kleineren Capellen der 12 Göt-
ter oder die diesem zugehörigen Buden oder Kaufläden?) sich befinden. Auch
andere sonst noch bemerkenswerte Einzelheiten kommen in diesen In-
schriften vor. Der S. 13 ff. folgende Aufsatz von James Millingen
über die eugubinischen Tafeln soll den Beweis geben, dass die Sprache
dieser Tafeln von eigentümlicher Natur ist und nicht verstanden werden
kann, weil sie ursprünglich mit der Absicht zusammengesetzt worden, sie
unverständlich zu machen (S. 18). Dieser Beweis besteht aber in nicht«
Anderem, als in der Behauptung, dass die Alten neben der im allgemei-
nen Gebrauch befindlichen Sprache eine mysteriöse gehabt, die sie zu be-
stimmten religiösen Zwecken des Cultus, beim Gebet und sonst, auch in
einzelnen Formeln und Sprüchen als ein Mittel gegen Krankheit, böse
Geisler u. s. w. angewendet; und dann werden als Beleg dieser Behaup-
tung einige der bei sympathetischen Curen der allen Börner üblichen
Sprüche, deren Worte uud Furmeln aus den Liedern der saliscben Prie-
ster und der arvaliscben Brüder angeführt, um die Anwendung dieser
Schrift in einem absichtlich unverständlichen Sinn auf den eugubinischen
Tafeln zu beweisen. Dass mit dieser ganzen Beweisführung aber, näher
betrachtet, Nichts bewiesen ist, wird keiner weitereu Ausführung bedürfen.
Unter den dann folgenden Abhandlungen bemerken wir die von
Henry Holland über Herodot's Ca d y t is II. 159 ; sie soll die Zweifel
widerlegen, welche Wesseling der Annahme, dass hier Jerusalem zu
verstehen, entgegengesetzt halle. Die in Deutschland in neuer und neue-
ster Zeit darüber geführte Conlroverse ist dem Verfasser nicht bekannt,
sonst würde er wohl kaum mit dieser Erörterung aufgetreten seyn; denn
nachdem Hitzig Wesseling^ Ansicht, wornach an Gaza hier zu denken
sey, wieder aufgenommen, ist der Gegenstand aufs Neue untersucht und
verbandelt, die frühere Ansicht, wornach hier an die heilige Stadt oder
an Jerusalem zu denken, aber in einer Weise bestätigt worden, die kaum
noch ein Bedenken übrig lassen kann. Wir wollen die verschiedenen
deutschen Gelehrten, deren Forschungen wir dieses Resultat verdanken,
nicht anführen, sondern nur an einen englischen Gelehrten erinnern, Wil-
kinson Manners etc. I. p. 165, der sich mit aller Bestimmtheit in glei-
chem Sinne ausgesprochen bat. Der nächste Aufsatz von f. Wright
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558 Transactions of the royal socicty oT Liieratore.
8. 68 ff. schlagt in die Literaturgeschichte des Mittelalters ein und ver-
breitet sich, meist aus handschriftlich entnommenen Notizen, über zwei
Autoren des Mittelalters, die über den Computus geschrieben, Helperi-
c u s, einen englischen Abt, der in dem Anfange des zehnten Jahrhun-
derts schrieb und Garlaudus aus Lothringen, der etwas spater fallt,
jedenfalls nach dem erstgenannten lebte. S. 76 ff. folgt ein Aufsatz von
George Burges über einige Lücken bei Tbncydides und die Mit-
tel, dieselben in genügender Weise auszufüllen; da das ganze Verfahren
dieses Kritikers auch aus andern früheren, dein vorliegenden ziemlieb glei-
chen Versuchen, zur Genüge auch in Deutschland bekannt ist, so haben
wir wohl kaum nülhig dabei länger zu verweilen und wenden uns zn
dem nächsten mit einem netten Kartchen begleiteten Aufsatz Aber die
Topographie des Homerischen llium's QS. 103 ff.), von dem verstorbenen
Ulrichs, ins Engtische Ubersetzt von Patrick Cotquhoun, und von
diesem mit einigen Worten eingeleitet, die den Stand der hier behandel-
ten Frage und die verschiedenen Meinungen über die Lage des alten, ho-
merischen Troja's übersichtlich angeben. In Deutschland ist übrigens der-
selbe Aursatz von Ulrichs, der hier ins Englische «benetzt erscheint, langst
bekannt durch den Abdruck im Rhein. Mus. N. f. III. p. 573 ff., was dem
englischen Uebersetzer, der von dem deutschen Original, als von einein
noch nicht bekannten spricht, entgangen ist. Ob freilich Ulrichs Ansicht
die richtige ist, muss Ref. noch immer bezweifeln, da ihm bei vielföltrger
and reiflicher Ueberlegung immer noch mehr Gründe für die Ansicht
so sprechen scheinen, welche lieber an den Hügel bei dem Dorfe Bou-
narbaschi, als an die circa eine Stunde davon entfernte Lokalität, in
welche Ulrichs nach Strabo's Vorgang das alte Troja verlegt, denken
Will. Wir freuen uns in dieser schon früher gewonnenen und auch aus-
gesprochenen Ansicht durch die neueste, so schön ausgeführte Charte der
ganzen Gegend von Forchhammer bestärkt worden zu seyn. Nach einer
Abhandlung von John Hogg, S. 179 ff, über architektonischen Schmuck,
zunächst den bei der jonischen Volula angewendeten Blumenschmuck, wo-
zu auch eine Tafel mit den nüthigen Abbildungen gehört, werden wir
wieder in des Gebiet der Inschriftenkunde geführt, durch eine Abhand-
lung desselben Gelehrten, S. 194 ff., welche über einige in den alten
Thermen von Segeste gefundene Inschriften sich verbreitet, welche hier
ergänzt und erklart, sowie mit weiteren Bemerkungen über einen Tempel
des Aeneas in dieser Stadt begleitet werden. Die weitere Fortsetzung
dieser epigraphischen Mittheilungen ist unterbrochen durch eine andere, in
•in anderes Gebiet der Epigrsphik führende Abhandlung von Sau sei
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Transnctions of the royal society of Literalure. 559
Bircb, S. 21s ff.; sie enthalt die Lesung und Deutung der hieroglyphi-
schen Inschrift, welche au dem nach Constantinopel gebrachten Obelisken,
der in das Reich des Thotmes III verlegt wird, sich befindet; einige neue
Bereicherungen von griechischen Inschriften ans Thessalien und Epirus ge-
ben die Mittheilungen von Lyons und Lenke, S. 229 ff. , so wie die
Bemerkungen Spratt's über Aulis, Alycalessus und einige Tbeile von
Kubas, welche auch Uber andere daselbst gefundene Reste des Alterthuma
sich verbreiten. Ein kurzer Aufsalz von W. R. Hamilton über die
Budrun fflarbles, d. b. Uber die aus dem alten Halicarnassus jetzt nach
England gebrachten Scnlpturwcrke zeigt, dass dieselben iu eine schon
spätere Periode fallen, und dem berühmten Mausoleum, dem Grabe des
Mausolus (f 354 a. Chr.} angehörten. In das Gebiet der Archäologie
fällt auch der nächste Anfsatz von Thomas Burgon S. 258 ff. Uber
die dem heroischen uud homerischen Zeitalter angekörigen Vasen; neben
einigen kürzeren Millheiluugen von J. Landser S. 310 ff. über die per-
sepolitanischen Keilschriften, uud von Bromet, S. 3 1 6 IT. 9 Uber einige
lateinische , zu Nismes befindliche , mit A c c e n t e u versehene Inschriften
(wir verweisen darüber auf das Bulletino deir Institut. 1848. p. 20. 21),
gehören die Übrigen Aufsätze dieses Bandes dem ägyptischen Altertbum
zu; S. 297 ff. steht ein Aufsatz von Bonomi, der eigentlich zur nähe-
ren Erörterung der Herodoteischen Stelle U, 110 dient, und die dort
erwähnte Statue des Sesostris in der noch vorhandenen, jetzt zu Erde ge-
worfenen Statue von Metraheni nachweist, auch eine Abbildung uebst Pinn
des Ganzen beifügt; daran schliefst sich S. 305 ff. eine Bemerkung vou
W. Osburn junior Uber den Gott Amuu nnd die Ableitung seines Na-
mens; umfassender sind die Bemerkungen von S. Bircb Uber das jetzt
im Louvro befindliche Tablet von Karnak, das die Züge des Thotmes III
enthalten soll und dadurch uichl bloss für die Geschichte Aegyptens selbst,
sondern auch für die Kunde der angrenzenden und selbst weiter entfern-
ten Gegenden Mittelasiens, mit welchen Thotmes durch diese Kriegszüge
Hk eine nähere Berührung kam, Bedeutung gewinnt. Indessen liegt in
der Deutung der einzelnen Worte, namentlich der Ortsnamen, noch Man-
ches Problematische, was noch einer näheren Bestätigung bedarf, die wir,
in Betracht der Wichtigkeit des Inhalts dieser Inschrift, nur sehnlichst
wünschen können. Sind einmal in ähnlicher Weise die Keilschriften von
Nioive entziffert, wie diese hieroglyphwehen Legenden, so wird für die
jetzt noch so dunkle Geschichte der ältereu Reiche Asiens, Aegyptens wie
Assyriens, Babyloniens, Persiens u. s. w. , ja selbst Palästina^ ein neues
Licht aufgeben und die uns jetzt aus schwacheu griechischen Berichten
nur bekannte Geschichte dieser Länder eine ganz andere Gestalt annehmen.
Auch der dritte Bnnd, zu dem wir uns jetzt wenden, hat es vor-
zugsweise mit dem ägyptischen nnd griechischen Altertbum, mit Kunst nnd
Literatur, mit Geschichte und Geographie zu thun. Auf die erste grös-
sere Abhandlung von J. L. Stoddart (S. 1 — 127}, welche sich mit
verschiede neu zu Rhodos, Cnidüs und andern Orten Griechenlands, gefundenen,
mit Inschriften versehenen Resten von Töpferwerk beschäftigt, und hier wie-
der für die Inschriftenkunde, wie selbst für die griechischen Antiquitäten
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Tranaaclions of the royal society of Uteraiare.
"Manches Neue bringt, folgen wieder zwei oder vielmehr drei, das alte
Aegypten betreffende Miltheilungen , von Hincks, S. 128 ff., Uber die
auf dem Turincr Papyrus befindliche Königsliste, so weit sie mit Mane-
tho's sechster und zwölfter Dynastie correspondirt ; vouS. Birch S. 151 ff.
Uber zwei zu Nimrud (also in den Resten des alten Ninive) gefundene
ägyptische Cartoucheo und Uber anderen dort gleichfalls gefundenen El-
fenbeinschmuck*, man sieht daraus, welche Verbindung einst in früherer
Zeit zwischen Aegypten und Assyrien bestand; eine oäbere Bestimmung
der Zeit, in welcher, und der Veranlassung, durch welche ägyptische
Kunst in die Sitze der assyrischen Herrscher geführt ward, jetzt schon
geben zu wollen oder bestimmte historische Folgerungen an dieses Vor-
kommen ägyptischer Kunstdenkmale und hieroglyphischer Schrift in den
Ruinen des alten Ninive zu knüpfen, scheint jedoch noch zu früh und je-
denfalls vor Lesung der assyrischen Keilschriften noch zu gewogt und oo-
sicher, wesshalb wir auch auf den letzten Punkt vorzugsweise die Be-
mühungen der Gelehrten gerichtet seheu möchten. Bemerkungen von John
Hogg über die Behauptung von Lepsius, welche in dem Berg Serbai den
wahren Berg Sinai erkannt, wo Moses die Gesetzestafel empfangen, fol-
gen S. 183 ff., verbunden mit einigen andern Bemerkungen über das
Manna der Israeliten und über die sinaitischen Inschriften; ein äusserst
nettes Kartchen der Halbinsel, in welcher der Berg Sinai liegt, ist bei-
gefügt. Den übrigen Theil des Landes nimmt grosseutheils (S. 237—
376) eine Abhandlung geographisch-historischen Inhalts von W. L. Leake
über das alte Syracus ein, ebenfalls begleitet von einer trefflichen Karte,
welche die Stadt mit ihren Umgebungen darstellt, wie von einem Plane
des Castelles des Euryalus. Thncydides, Diodor und Plutarch, die sieb ins-
besondere mit dieser Stadt und ihren Schicksalen beschäftigen, to wie
auch andere Schriftsteller, welche mehr gelegentlich von dieser Stadt re-
den, gewinnen manches Licht aus diesen Erörterungen, welche in ihrem
letzten Theil insbesondere auch über die Münzen der Stadt sich verbrei-
ten. Zwei kleinere Aufsätze machen den Schluss, der eine von Chur-
chill Babington über die Reste der Rede des Hyperides gegen De-
mosthenes hinsichtlich des Geldes von Harpalus, S. 377 ff., der andere
von S. Birch über das verlorene Buch des Chäremon über die Hiero-
glyphen. (Diese Abhandlung ist inzwischen auch ins Französische über-
setzt nud mit Noten begleitet von Lenormant in der Revue arch^o-
logique 8 ann. I. p. 13 ff. erschienen, und eben so hat auch Babington
das Ganze in einem Quarthefle herausgegeben unter dem Titel : The ore-
tion of Hyperides against Demosthones, respecting the treatore of Harpa-
lus etc. with a preliminary Dissertation and Notes and a Facsimile of a
portion of the Ms. by Churchill Babington. London, 1850.) Ein ge-
naues Register der behandelten Gegenstände ist jedem der drei Bände
beigegeben; die äussere Ausstattung, wie bei allen englischen Werken
ist sehr befriedigend zu nennen; eben so correct der Druck; denn der
einzige Druckfehler, den wir entdeckt haben Vol. I., S. 75 in der Note
(G. Hermanns Epistol. ad C. D. Olgenium statt Ilgenium) ist nicht von
dem Belang, um unsere Behauptung umzustossen. Co. Bftmr. -
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St. 36. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Veue Forschungen Alier die Freiheit de« Willen«.
Sur la stalistiqve morale et )es principe* , qui doicent en former la
base par Quetelet > secretaire perpetuel de VAcademie royale.
Bruxelles, iSi8.
Die grosse Frage über das Wesen der menschlichen Freiheit und
ihres Einflusses auf die Handluogen der Menschen, war von jeher der
Gegenstand der sorgfaltigsten Forschungen der Philosophen, der Theolo-
gen wie der Juristen. Es war zu beklagen, dass ma» zur Lösung der
Frage nicht auch der Forschungen der Statistik sich bediente, um durch
die gewissenhafte Sammlung von gewissen Thatsachen aus der Gleichför-
migkeit, mit welcher bestimmte Erscheinungen vorkommen, auf gewisse
Gesetze der moralischen Welt und damit auf Gesetze zurückzuschliessen,
weichen die menschliche Natur ebenso gehorchen muss, wie die physische
Welt durch bestimmte Gesetze beherrscht wird. Niemand war zur Be-
gründung einer Wissenschaft der moralischen Statistik und zur Anwen-
darg derselben auf das Wesen der Willensfreiheit mehr geeignet, als
der geistreiche, gründliche und edle Quetelet in Brüssel, dessen Werk:
sur Thomme et Ie developpement des ses facultes, Paris, 2 vol. 1835, zu-
erst den Beweis leistete, dass es dem Menschen vergönnt ist, wenigstens
bis zu einer gewissen Gränze, die Gesetze der physischen wie der mo-
ralischen Welt zu ergründen. Eine seltene Verbindung der feinsten Be-
obachtungsgabe, der gewissenhaftesten, gründlichsten Sammlung von That-
sachen, und der Erscheinungen , wie sie die sorgfältigste Erkundigung in
allen Theilen der gebildeten Welt liefern kann, der richtige Sinn für
Gründlichkeit, rastlose Bemühungeu, jeden Zweifel zu beseitigen, verei-
nigt mit einer seltenen Zergliederungskunst und einem wahren philosophi-
schen Geiste, welcher den Urgrund der Diuge zu erforschen sucht und in
den Tiefen der Wissenschaft die leitende Grundsätze lindet, setzten den
trefflichen Quetelet vor Allen in den Stand, Beitrüge zu jener Wissen-
schaft zu liefern, welche die tiefsten Geheimnisse der Natur und die wich-
tigsten Fragen der Menschheit zu ergründen bezweckt. Schon im Jahr
1829 machte Quetelet seine Forschungen sur la reproduetion et la morta-
lite de Thomme bekannt. In den Jahren 1831 — 33 erschienen dieForschun-
XL1Y. Jahrg. 4. Doppelheft. 36
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562 Quetelet: Sur la atntistiquc moralc.
gen Quetelefs über die Neigung zur Verübang von Verbrechen in ver-
schiedenen Lebensaltern. Im Jahr 1835 trat das wichtige Werk des
Verf.: sur Phomme et le dlveloppement de ses facultes, an das Licht, und
erweckte die allgemeine Aufmerksamkeit. Im Jahr 1846 erschien das
Werk: lettre« sur la tbeorie des probabilites appliquee aux scieuces mo-
rales. Im Jahr 1847 legte Quetelet nach dem dritten Bande der bulle-
tins de la comraission centrale de statistique, seine Arbeit vor: de Fin-
fluence du libre arbitre de Thomme sur les faits sociaux et particulierement
sur le nombre de mariages vor. Schon 1846 war die Schrift, welche
wir eben anführten, der Akademie der Wissenschaften in Brüssel vorge-
legt, welche zwei ihrer Mitglieder Herr de Decker und ran Meenen be-
auftragt, einen Bericht Über die neue Vorlage zu liefern. Im Jahr 1848
erschien in dem XIX. Bande der Memoires der Akademie die Schrift von
Quetelet mit den dazu gehörigen Berichten. Bereits in der angeführten
Schrift von 1847 war Quetelet zu der Behauptung gekommen, dass in
einer der wichtigen Klassen der gesellschaftlichen Thatsachen, bei wel-
chen die Freiheit des Willens die grösste Rolle spielt, Alles bis zu den
kleinsten Einzelnheiten von Jahr zu Jahr mit einer Gleichförmigkeit nnd
Regelmässigkeit vor sich geht, welche leicht zu dem Glauben rühren kön-
nen, dass die Wirkungen der Willensthätigkeit der Menschen fast ganz
als aufgehoben betrachtet werden mttsite. In dem Werke, dessen Titel
wir oben angegeben haben, stellte Quetelet als Ergebnisse seiner For-
schungen folgende auf: 1) Die moralischen Thatsachen unterscheiden sich
von den physischen durch die Dazwischenkunft einer besonderen Ursache,
welche bei dem ersten Anblick alle menschliche Vorhersicht zu vereiteln
scheint, nämlich durch die Dazwischenkunft der Freiheit des Willens. Die
Erfahrung lehrt jedoch, dass diese Freiheit ihren Binfloss nnr in einem
beschränkten Wirkungskreise geltend macht und dass, zwar höchst fühl-
bar für die Individuen, es keine für das gesellschaftliche Gante zu be-
rechnende Thätigkeit gibt, wo alle individuellen Besonderheiten auf ge-
wisse Weise neutraiisirt werden. 21 Betrachtet man die Menschen im
Allgemeinen, so stehen die moralischen wie die physischen Thatsachen
unter dem Einflüsse der nämlichen Ursachen und sind den gleichen Grand-
Sätzen der Beobachtung unterworfen. In den Ursachen, welche anf unser
•ociales System einwirken, sind nur geringe Abweichungen bemerkbar;
rlnrnnc orrriht «ink Aim ar iVI>»lirhn C\a ir h (t\r mi n\i «i t -,.|,|,a J:A — — -H
uaruus cigiui siiii uie crsicuviicuc uioiviiiurniig &cii , *>cicuö uio gcseii—
schaftlichen Thatsachen beherrscht, in Bezug auf Ehe, Verbrechen, Selbst-
nord. 3) In der moralischen Statistik können die Elemente nicht un-
mittelbar bemessen werden ; es bedarf hier eines Anhaltspunktes, den das
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Princip gewährt, dass die Wirkungen im Verhältnisse zu den sie erzeu-
genden Ursachen stehen. 4} Bei der Beobachtung der nämlichen Klasse
von Thalsachen gestattet die grössere oder geringere Häufigkeit dersel-
ben den Schlnss auf die stärkere oder geringere Neigung dieselben her-
vorzubringen. Diese so bestimmte Neigung hat aber keine absolute Ei-
genschaft, und es gibt keine Einheit, welche als Massstab dienen kann,
die Neigung kann nur eine relative Bedeutung haben, nämlich im Ver-
hlltniss zu einer anderen Neigung aufgefeast. Wenn man daher annimmt,
dass auf eine Million Menschen von 35 — 40 Jahren zweimal so viel Hei-
rothen kommen als auf eine Million Menschen von 40 — 50 Jahren , so
darf man behaupten, dass bei den Ersten die Neigung zu heiratben, zwei-
mal so gross ist, als bei den Zweiten. 5) Die aus der Beobachtung der
Thatsachen abgeleitete Neigung ist nur eine ftusserlich bemerkbare ange-
nommene und unter gewissen Umstanden weicht sie bedeutend von der
wirklichen ab, z. B. in Bezug auf Vergiftungen, da ungeachtet der Tha>
tigkeit der Justiz eine grosse Zahl dieser Verbrechen immer unentdeckf
bleibt. 6) Diese üusserlich erkennbare Neigungen kann man in vielen
Fällen statt der wirklichen annehmen; z. B. in Frankreich zählt man bei
sonstiger Gleichheit der Verhältnisse zweimal so viel Vergiftungen, welche
von Personen von 45 — 50 Jahren begangen werden ala von denjenigen,
die 55—60 Jahre alt sind. Die Neigung in der ersten Klasse kann da-
her als doppelt so stark als in der zweiten Klasse angenommen werden;
man darf annehmen, dass diese so erkennbare Neigung mit der wirkli-
chen Übereinstimmt, wenn die Justiz ebenso thötig ist, die Schuldigen
von 45—50 zu erreichen, als die von 55 — 60. — Wenn dann auob
m diesem Falle die durch Vergleichung gefundenen Zahlen geringer sind
ala die in der Wirklichkeit vorhandenen, so tritt doch die Verminderung
im gleichen Verbältnisse bei beiden Klassen ein. 7) Die Vergleichung
darf immer nur auf den Grund von gleichartigen Thatsachen gemacht wer-
den; daher kann man die allgemeinen Berichte über die Strafjustiz in
Frankreich nicht mit denen in England bekannt gemachten vergleichen;
die Vergleichung in Frankreich passt nur bei den Verbrechen der
gleichen Beschaffenheit. 8) Beschränkt sich die Vergleichung auf eine
bestimmte Reihe von Thatsachen im nämlichen Lande, ao sind doch nicht
alte Thatsachen gleich wichtig, weil sie unter sich durch zahllose Ab-
stufungen wechseln. Wenn man aber auf eine grosse Zahl von Mensches
die Vergleichung bezieht, so bemerkt man, dass in ihren moralischen Ei-
genschaften das nämliche Verhältniss, wie bei ihren physischen eintritt;
man kann eine Durchschnittszahl annehmen, um welche sich alle beob-
36*
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564
Quetelet: Sur Ia slatütique morale.
achteten Elemente mehr oder minder gestalten, und ihr Zusammentreffen
geschieht nach einem bestimmten Gesetze, welches das Gesetz der Mög-
lichkeit ist, das für alle den Einflüssen zufälliger Ursachen unterworfenen
Thatsachen das Nämliche bleibt. Dies sind zuletzt die Durcbschnittsver-
hältnisse, die man unter sich vergleicht; sie sind um so mehr von allen
zufälligen Ursachen befreit, je mehr sie sich auf eine grosse Zahl von
Menschen ausdehnen. 9} Die bisher aufgestellten Grundsätze sind auf die
Bildung einer Verbrechenstafel angewendet, welche für die verschiedenen
Alter die Grade der Neigung zu Verbrechen angibt. Dabei findet man,
dass das Gesetz der Entwickelung der Neigung zum Verbrechen, das
Nämliche ist für Frankreich, Belgien, für Baden und England (als die Län-
der, deren Beobachtungen bekannt sind). Diess Gesetz wiederholt sich
auf gleiche Weise immer uach den besonderen Ergebnissen eines jeden
Jahres seit 19 Jahren (seit welcher Zeit Frankreich die Tabellen über die
Wirksamkeit der Gerichte bekannt machte). Die Neigung zu Verbrechen
bei Personen, die dem Alter der Erwachsenen sich nähern, wächst sehr
rasch, erreicht ein Maximum und nimmt dann wieder bis zu den ausser-
sten Grunzen des Lebens ab. In Frankreich zeigt sich für die Verbre-
chen überhaupt das Maximum gegen das 24. Jahr, in Belgien 2 Jahre
später, in England uud Baden dagegen früher. Eine wesentliche Ver-
schiedenheit zeigt sich in Bezug auf die Geschlechter. In Frankreich ist
das Maximum bei den Männern um ein Jahr früher als bei den Frauen,
und ist viermal grösser. Auch nach der Beschaffenheit der Verbrechen
zeigt sich grosse Verschiedenheit; bei den Verbrechen gegen das Eigen-
tum entwickelt sich die Neigung zum Verbrechen zwei Jahre früher als
bei den Verbrechen gegen die Personen, und ist dreimal stärker. Be-
trachtet man die Hauptverbrechen nach der frühzeitig hervortretenden Nei-
gung zu denselben, so lassen sie sich in folgender Ordnung aufstellen; Dieb-
stahl, Nothzucht, Körperverletzungen, Todtschläge, Mordthaten, Vergiftun-
gen, Fälschungen. 10) Auch der Selbstmord unterliegt einem Gesetze,
das aber von dem, das die verbrecherischen Meinungen bestimmt, abweicht
und darin besteht, dass die Neigung zum Selbstmorde mehr oder minder
seit der Kindheit sich entwickelt, allmählig gegen das Alter der Erwach-
senen zu wächst und beständig gegen das Greisenalter zu sich vermindert.
Die Begründung dieser wichtigen Sätze ist höchst merkwürdig. Der
Verf. bemerkt (p. 5), dass bei den Ehen, deren Zahlenverhältnisse sich
genau nachweisen lassen, die Eigenthümlichkeit sich bewährt, dass sie
mit einer Regelmässigkeit erfolgen, die ausser der Sphäre der Thätigkeit
der Individuen liegen. Alle Forschungen lehren, dass der freie Wille des
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Onetelet: Sur la Statist iqne m orale. 565
Menschen aufgehoben oder ohne bemerkbare Wirkung ist, wenn die Be-
obachtungen auf eine grosse Zahl von Menschen ausgedehnt werden. Die
Wirkungen aller Einzeln willen neutralisiren sich oder heben sich einander auf.
Neigungen und Launen, welche bei den Einzelnen gewisse Handlungen zu
erzeugen scheinen, hängen von Sitten, Ansichten, Vornrtheilen ab, und
diese werden wieder durch die Nation bestimmt, der die Einzelnen an-
gehören. — Um moralische Eigenschaften zu würdigen und die Gesetze,
welche sie beherrschen, zu erkennen, übrigt (p. 7) nur das Mittel, von
den Wirkungen auf die Ursachen zu schliessen und hiezu bedarf es der
Erforschung der Handlungen der Menschen; der Verf. macht die Anwen-
dung dieser Regel, um zu erkennen, in welchem Verhältnisse die Nei-
gung sich zn verheiraten und die Zahl der Ehen unter gegebenen Um-
ständen sich kund gibt und verweilt dann bei dem schwierigsten Punkte,
den der Erforschung der Zahlen der Verbrechen; der Verf. bemerkt
(p. 11), dass man nicht die Verbrechen Uberhaupt zusammenfassen dürfe,
weil darüber, was Verbrechen ist, bei verschiedenen Völkern selbst grosse
Verschiedenheit herrscht und selbst ühnliche Verbrechen, z. B. Mord und
Kindestödtuog nicht unter sich verglichen werden können, daher man die
verschiedenen Kategorien von Menschen nur unter dem Gesichtspunkt der
nämlichen Verbreeben betrachten dürfe. Es ändert dabei nichts, wenn
auch durch ausserordentliche Verbaltnisse Abweichungen von dem Ergeb-
nisse vorkommen ; verfolgt man die Thatsachen in einer langen Reihe von
Jahren und bei vielen Menschen, und bemerkt man, dass unter gewissen
Verhältnissen gleichförmig bestimmte Verbreeben häufig verübt werden,
so darf man diesen Verhältnissen auch die Kraft zuschreiben, dass sie
die Neigungen zu dem Verbrechen mehr erzengen als andere. Der Verf.
bemerkt (p. 13), dass bei allen Menschen die Möglichkeit besteht, ge-
gen die Gesetze anzukämpfen, um gesetzwidrige Handlungen zu verüben;
allein diese Möglichkeit hat wieder viele Abstufungen, so dass bei Eini-
gen sie fast gar nicht, bei Andern mit ungeheuerer Stärke vorkömmt.
Die Einflüsse zu bemessen, welche diese Abstufungen der Neigungen zn
Verbrechen bestimmen, ist eine Aufgabe der moralischen Statistik. Mit
dem gewohnten Scbarfsiun und der Gewandtheit, eine Fülle von Thatsa-
chen zu beherrschen, macht der Verf. die Anwendung, um aus der Crim-
minalstatistik Frankreichs zu finden, wie die Neigungen zum Verbrechen
in gewissen Lebensstufen sich an den Tag legen und findet, dass mit der
grössten Stärke die Neigung zum Verbrechen von 21 — 25 Jahren sich
ausspricht und zwar doppelt so stark als vom 45. Jahre an. Der Verf.
erklärt die Erscheinung (p. 21) dadurch, dass die stärkste Neigung zum
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Quclelet: Sur la statistique niorale.
Verbrechen sieb kund gibt, wenn die physische Entwickelung geschlos-
sen ist, wenn die Leidenschaften in ihrer vollen Stärke ihren Einüuss Oben,
wenn gesetzlich der Mensch emaneipirt gilt und doch die Vernunft naht
ihre volle Reife erlangte. Die Neigung verliert allmahlig ihre Stärke, wenn
der Mensch heirathet, wenn die Sorge für die Familie ihn in Anspruch nimmt
und die Vernunft anfängt, die Heftigkeit der Leidenschaften zu beherr-
schen. Der Verfasser wendet sich nun auf ähnliche Weise durch genaue
Zergliederung der Ergebnisse der Tabellen der Strafjustiz in Beaug auf
die einzelnen Verbrechen und kömmt zu den Beobachtungen, die wir oben
bereits angaben Uber das Verhaltniss der Neigung zu gewissen Verbre-
chen. Die von ihm gezogenen Schlüsse werden durch die Erfahrungen
anderer Länder bestätigt, a. B. in Bezug auf die Not Irnich t. Sie kömmt
am häufigsten vor in dem 22. Jahre, nimmt dsnn allmählig ab bis tu
50—55 und steigt wieder, so dass sie besonders von Personen zwischen
60 und 70 Jahren verübt wird. Bin merkwürdiges, durch aUe Tabellen
gleichförmig bestätigtes Verhaltniss ist, dass gegen das 28. Jahr die Nei-
gung zu Verwundungen und Tödtungcu am hüuligsten vorkömmt, wahrend
Vergiftungen und Fälschungen in späteren Jahren (z. B. die Fälschungen
am meisten von Personen zwischen 40 nnd 45 Jahren) verübt werden.
Alle diese Beobachtungen, die auf unwiderlegbare Beweise gegründet
werden, zeigen den Reichthum der kleinen Schrift, und sind geeignet au
ernsten Forschungen aufzufordern; sie lassen den Menschen einen Blick
in sein Inneres werfen und lehren gleichsam , welche Schule des Lasters
der Mensch, wenn nicht Religion nnd Moral ihn durch das Leben führen,
durchwandert. In den Jahren, in welchen die volle physische Kraft dem
Menschen einwohnt, wo die Macht der ungezügelten Leidenschaften ihn
antreibe, sind es die Verbrechen, zu deren Verübung physische Kraft
und Muth gehören und die mit Gewalt verübt werden, zu welchen in solchen
Jahren am stärksten die Neigung treibt und wo der überhaupt in das
Leben wild hereinstürmende und nur seinen Neigungen sich überlassende
Mensch auch rasch das, wozu seine Leidenschaft ihn antreibt, ausführt
In den späteren Jahren des Lebens, wo physische Kraft sich vermindert
und der Mensch ruhiger wird, sind es voriüglich die lasterhaften Nei-
gungen, welche zu denjenigen Verbrechen treiben, die keiner Gewalt-
that bedürfen, sondern mehr die Produkte kalter Berechnung und Schlau-
heit sind und mit List ausgeführt werden, z. B. Fälschungen, Betrügereien
nnd Diebstähle. Die Erscheinung aber, dass so oft alte Männer (z. B.
von 60 — 70 Jahren) wegen Verbrechen gegen die Schamhaftigkeit, ins-
besondere gegen Kinder vor Gericht stehen, erklärt sich daraus, dass bei
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Ouelelet: Sur la atatistique m orale. 567
älteren Personen, welche nicht durch die Gefühle ächter Religion und
durch Tugend auf eine edle Bahn geleitet werden, so oft in einer ent-
arteten, mit schmutzigen Bildern angefüllten Phantasie die gemeine Sinn-
lichkeit eine Macht über sie ausübt, die nicht selten durch den Gebranch
von starken erregenden Mitteln verstärkt wird und zu solchen geschlecht-
lichen Ausschweifungen antreibt, bei welchen es keiner Gewalt bedarf,
wo also Kioder die Opfer ihrer Verführung werden.
Wir betrachten die bezeichnete Schrift Quetelefs als einen Vorläu-
fer künftiger Forschungen um die grosse Frage Uber die Ursachen der
Verbrechen im Zusammenhang mit der Willensfreiheit zu ergründen, und
dadnreh ebenso die ernste Erforschung der menschlichen Natur zu be-
fördern, als dem Erzieher und Gesetzgeber vorzuarbeiten. Die von Que-
telet angedeuteten Forschungen lassen sich noch bedeutend vermehren.
Es kömmt, wie Recens. glaubt, bei der Berechnung der Ursachen der
Verbrechen und der Erforschung der Verbältnisse, unter welchen mit
einer gewissen schauderhaften Regelmäßigkeit Verbrechen verübt werden,
weniger auf die Erörterung der Neigungen der Verbrechen, als mehr da-
rauf an, zu erforschen, welche die Ursachen sind, unter deren Herrschaft
die verbrecherischen Neigungen eine solche Stärke erhalten, dass sie un-
widerstehlich werden. Die blosse Neigung oder Lust zu einem gewis-
sen Verbrechen ist nur eine Versuchung, welche auch den edelsten Men-
schen beschleichen kann, aber von ihm, weil die Stimme der Moral und
Religion der Wirksamkeit der Neigung entgegentritt, als ohnmächtig zu-
rückgewiesen werden, oder wirkungslos werden, weil andere Motive, die
zum Recblthun bestimmen, mächtiger sind. — In diese Berechnung der
Stärke der Neigungen gehören theils moralische Zustände, tbeils äussere
materielle. Unter den Ersten sind besonders der religiöse Sinn und das
moralische Gefühl, gegründet auf die Einsicht der Notwendigkeit zur
Harmonie und Ruhe mit sich selbst durch Recblthun zu gelangen und die
Ausbildung des Rechtsgefübls die wichtigsten Elemente. In der Art der
Entfaltung des religiösen Sinnes, der mehr oder minder bei jedem Men-
schen verschiedene Perioden des Lebens durchläuft, finden wir einen
Hauptgrund, der die Geschichte der Verbrechen erklärt und z. B. zeigt,
warum in den Jahren 20 — 30 die bösen Neigungen jenen hohen Grad
der Stärke erreichen, dass in dieser Periode auch am meisten Verbrechen
verübt werden. Eben in den Jabren 20 — 30 bemächtigt sich nämlich
des jungen Mannes so leicht die Zweifelsucht, in welcher er nur dem
Verstände folgend alle positive Religion wegwirft und nun verlassen von
jener inneren Macht der Religion, welche die Seele zu Gott erhebt, und
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Quetelet: Sur la slatistiquo morale.
in den trüben Stunden mit Demuth und Vertrauen auf die Gottheit erfüllt,
von der Stärke seiner Leidenschaften fortgerissen wird, während später
entweder die heiligen Gefühle des Familienlebens, die Liebe zur Frau und
den Kindern oder ernstes Nachdenken oder schwere Ereignisse auch die
fast erstorbenen Gefühle der Religion wieder hervorrufen und wo all-
mühlig wieder die Seele die Ruhe in dem religiösen Sinne findet, und so
vor der Macht der verbrecherischen Neigungen bewahrt wird. Auch die
Ausbildung des Rechtsgefühls ist wichtig. Es ist nicht schwierig iu be-
weisen, dass viele Verbrechen ihren Grund in einem irregeleiteten Recbts-
gefühl nnd im Glauben, dass die Handlung erlaubt sei, haben. So gut in Län-
dern, in welchen noch die Blutrache fortwirkt, z.B. der Cortikaner, die
Tödtung des Feindes, der ein Hitglied seiner Familie tödtete. für erlaubt
hält, ebenso gut können oft Standesvorurtheile , falsches Ehrgefühl, Na-
tionalsitten den Menschen Uber Das, wu Recht ist, irre machen, und die
Macht des Gesetzes brechen. Es ist eine sichere Erfahrung, dass, je mehr
die politischen Zustände eines Volkes so geordnet sind, dass von oben
herab und in allen Kreisen das Gesetz heilig geachtet wird und jeder
Bürger weiss, dais Gleichheit vor dem Gesetze herrscht, auch das Recbts-
gefübl am kräftigsten sich entwickelt, während da, wo beständig Aus-
nahmszustände eingeführt werden, wo kein Gesetz herrscht, wo Beam-
ton Willkür übermächtig ist, auch das Rechlsgefühl der Bürger erschauert
wird, und manche Verbrechen verübt werden, deren Verübuug der Ver-
brecher vor sich selbst entschuldigt.
Unter den moralischen Ursachen, welche die Kraft der Gesetze
schwächen und den Neigungeu zum Verbrechen eine grosse Starke ge-
beo, müssen nach der Erfahrung noch zwei genannt werden, und zwar
vorerst eine Schwächung des moralischen Sinns und Rechtsgefühls durch
die Gleichgültigkeit, mit welcher man sogenannte leichte Uebertretungen
behandelt. In der Regel wird kein grosser Verbrecher auf einmal zu
einem schweren Verbrechen hingerissen , sondern er beginnt seine ver-
brecherische Laufbahn mit leichten Geselzverlelzungen ; kleine Diebstähle,
z. B. in häuslichen Verhältnissen verilbt, Betrügereien, leidenschaftliche
Ausbrüche und Verletzungen Anderer, sind die ersten Schritte, mit welchen
Diejenigen beginnen, die später als schwere Verbrecher vor Gericht stehen.
Der Boden ist dadurch gelockert; je mehr Ungestraftheit oder doch eine
sehr unbedeutende Rüge für solche kleine Uebertretungen den Thater
trifft, desto mehr bekömmt die böse Neigung Nahrung und Stärke. Auch
in der Erziehung und der oft systematischen Gewöhnung der Kinder zu
einem gewissen Benehmen, das die sogenannte gebildete Welt billigt, liegt
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Quetelel: Sur la slatistique m orale. 569
ein Grund, der leicht schlimme Neigungen hervorruft und ihnen Kraft
verleibt. Die Nöthigung zur Zurückhaltung, zu einem schmiegsamen Cha-
rakter, die Dressur, in welcher das Kind nicht sich offen geben darf, wie es
ist, erzieht die Menschen zur Lüge und Heuchelei, und die Früchte die«
ser Angewöhnungen sind Verbrechen. — Der Boden, in welchem verbreche-
rische Neigungen gross gezogen werden und wuchern, wird noch durch
sociale Einrichtungen bereitet. Treffliche Forschungen haben wir für Eng-
land in neuerer Zeit durch Poltert gründliche Arbeiten, durch Fl et eher,
Symoos, Nelson und Kay erhalten (deren Forschungen Leon Fancher
neuerlich in den seances de facademie des sciences morales vol. VII. 1850.
p. 1—31) gut benützt hat. Hier ergibt sich, dass in den Ackerbaudi-
strikten ein anderer Zustand der Criminalität, als in den Fabrikbezirken, und
wieder ein verschiedener nach der Art der betriebenen Industrie bemerkbar ist
und der günstigste Zustand in den Bergwerksbezirken vorkömmt. Ist es nicht
Pflicht, alle diese Beobachtungen in allen Ländern zu benutzen, um da-
raus Materialien für die moralische Statistik zu erhalten? Herr Quete-
let hat durch seine Schrift eine herrliche Vorarbeit geliefert und auf den
Zusammenhang dieser Forschungen mit der Willensfreiheit hingewiesen«
Es konnte nicht fehlen, dass seine "Schrift bei manchen Personen die Be-
sorgnis erweckte, dass durch dieses Ergebniss, nach welchem [der Mensch
durch gewisse Gesetze bestimmt wird, welche seinen Willen beherrschen und
in ihm selbst unbewusst gewisse Handlungen hervorbringen, die Frei-
heit des Willens vernichtet würde. Es wurden durch Quetelefs Arbeit
zwei andere interessante Schriften, die von Decker und die von van Mee-
nen (zwei als Praktiker, wie als Gelehrte, und als höchst ehrenwerthe
Menschen geachtete Männer, beide Mitglieder der Akademie) veranlasst.
Beide erkannten, gewiss mit Recht, dass durch die Forschungen von Que-
telet anf keine Art die Bedeutung menschlicher Freiheit gefährdet werde.
Sehr gut entwickelt Decker (p. 72), dass, wie unveränderliche feste Ge-
setze die physische Welt beherrschen, auch in der moralischen Welt die
Ordnung auf bestimmten Gesetzen ruht und der Mensch, wenn er auch das
Bewusstaein der Freiheit hat, abhSngig ist von einer höheren Macht, welche
die Geschicke der moralischen wie der physischen Welt lenkt; aher jene
Freiheit des Menschen ist mit der Leitung durch die Gottheit in Harmo-
nie; in diesem Sinne koonten die Kirchenvater von der libera servitus,
nnd Bossuet von der Iiberte sujette sprechen. Geistreich durchgeht Decker
die verschiedenen Entfaltungen, wie in den socialen Verhältnissen der
Mensch durch gewisse Gesetze beherrscht wird, wie selbst grosse Ereig-
nisse, in denen die ganze Macht des menschlichen Willens sich kund zu
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570
Quetetet: Sur la alatistique moralc.
geben scheint, doch durch höhere Gesetze geleitet werden, z. B. io den
Revolutionen (p. 80). Mag auch der Meanch sich einbilden, dasa Alles
was er thut, sein Werk ist, so zeigt sich doch überall, dass er beherrscht
wird; Decker macht aufmerksam (p. 84) auf das Verhiltniss der Stan-
deswahl, auf Bevölkerung n. s. w. Wer kann leugoen, dasa hier eine
Gleichförmigkeit sich zeigt, welche auf die Herrschaft gewisser Gesetze
deutet? — In diesem Sinne sind Quetelets Forschungen angestellt. Auf
gleiche Art lässt Herr van Meenen den Forschungen von Qaetelet alle
Gerechtigkeit widerfahren, indem er mit geistreicher Benützung von Stel-
len der Classiker die Bedeutung der menschlichen Freiheit zeigt Er ver-
weilt vorzüglich bei dem Satze: chaque homme s'est crce nn etre nor-
mal; offenbar ist damit gemeint, dass jeder Mensch sich einen gewissen
Charakter ausbildet, von dem er sich nur durch Anstrengung losmachen
kann und zn dem er immer wieder zurückkommt, so dass man diesen
Charakter gleichsam ein Durchschnittsverhältniss nennen kann, auf das wir
immer wieder durch mannigfaltige Schwingungen während unsers mora-
lischen und socialen Lebens zurückkehren. Dennoch aber wird dadurch
die menschliche Freiheit nicht aufgehoben. Trefflich weist dann Herr
van Meenen (p. 107) nach, dass die würdige christliche Auffassung weit
entfernt ist von dem äusseren Fahim, an das die Alten glaubten, dasa
vielmehr den menschlichen Handlungen die Freiheit gesichert ist, die
menschliche Freiheit nennt er (p. 108) die Kraft der Seele bei ihrer
Thätigkeit jeden Einfluss zurückzuweisen, der nicht aus ihrer Wahl her-
vorgeht und Nichts zu wollen als was sie als ein von ihr gewolltes billigt.
Wir wünschen, dass die bisherigen Mittheilungen aus den erwähn-
ten Schriften Veranlassung zu vielen ähnlichen Forschungen geben, in
welchen durch Benützung der moralischen Statistik, in welcher die Zah-
len Ideen sind, die menschliche Natur und die Gesetze ihres Wirkens recht
erkannt werden. Das grosse Räthsel ist die Verbindung der Freiheit mit
der Notwendigkeit. Schon die Forschungen der Alten, nach welchen
die Tugend wie das Laster eine Fertigkeit genannt werden, wie die im
Volksrechtsbewusstsein liegenden Vorstellungen, dass es gewisse Unter-
scheidungsjahre gebe, nach welchen der Mensch mit einem bestimmten
Charakter hervortritt, deuten darauf, dass auch in der moralischen Welt
gewisse Gesetze herrschen, denen der Mensch unterworfen ist, ohne dass
seine Freiheit durch sie aufgehoben wird. Es ist ein beständiger Kampf,
in welchem die Lebensschicksale, KörpereigenthUmlichkeiteo, die Macht der
Leidenschaften Reize und Versuchungen sind, die auf jeden Menschen mehr
oder minder einstürmen, während Gott Jedem aber auch die Waffen zum
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QueteleJ: Sur la statiilique rooral«. ^ 57f
Siege uud die Möglichkeit jeder Versuchung zu widerstehen, gegeben bat.
Selbst bei der schlechtesten Erziehung, bei den stärksten oft durch kör-
perliche Zustände mächtig wirkenden Anregungen kann der Mensch, ver-
möge des Selbstbewusstseins und seiner Freiheit der Macht der Versu-
chung widerstehen. Jeder bildet darnach durch eigene Schuld die Cha-
raktereigenthUrolicbkeiten aus, die dann seinen Willen und seine Hand-
lungsweise bestimmen. Was er thut, ist nothwendige Folge jener Wil-
lonsstimmungr, in welcher entweder das sittliche Gefühl der Herrschaft ge-
wonnen, oder eine unsittliche Neigung die Uebermacht über den Men-
schen erhalten hat; dass er aber in eine solche Willensstimmung kam,
ist sein eigenes Werk und das Produkt seiner Freiheit; was er nun thut,
wird durch das Gesetz beherrscht, dass eine bestimmte Ursache auch eine
gewisse Wirkung erzeuge ; das an Lflge und Egoismus gewöhnte Gemülh
wird zu allen Verbrechen fortgezogen, die aus jener zur Herrschaft ge-
kommenen Neigung stammen, aber die Freiheit, als der Antheil der hö-
bern Abstammung des Menschen und der notwendigen Merkmale seiner
göttlichen Natur, macht es in jedem Augenblick ihm möglich, auch hier
wieder Herr über die verbrecherische Neigung zu werden und der Skla-
verei der Unsittlichkeit zu entgehen. — Die Geschichte grosser Verbre-
cher, die Erfahrung, welche zeigt, dass durch w oh Ii hütige Einwirkung
wohlgesinnter nnd verständiger Männer in Gefängnissen auch der grösste
Verbrecher sich wieder erheben und die Macht des sittlichen Gefühls sich
verstärken kann, beweisen die Wahrheit dieser Beobachtungen. Die mora-
lische Statistik hat dabei eine würdige Aufgabe, durch die sorgfältige Be-
nutzung der Erfahrungen über die Ursachen der Verbrechen, Über die
moralischen, socialen und physischen Einflüsse, die anf die Verstärkung
der Macht der Neigungen zu gewissen Verbrechen einwirken, Materialien
zu liefern, aus welchen die Gesetze abgeleitet werden können, nach wel-
chen die menschliche Handlungsweise erfolgt. Der Glaube an die auch
im grössten Verbrecher nicht aufgehobene Macht der Willensfreiheit wird
dadurch nicht angegriffen werden. Quetelet hat das Verdienst anf die
Richtung, die solche Arbeiten zu nehmen haben, hingewiesen zu haben.
Möge er viele Nachfolger finden, deren Zusammenwirken erst es möglich
machen wird, zu sichern Ergebnissen zu gelangen I
Iflltt emulier •
572 Caussin de Perceval, histoire des Arabes.
Essai sur thistoire des Arabes atant thlamisme pendanl tepoque de
Mahomed et jusquä la reduction de toutes les tribus sous la loi
Musulmane par A. P. Caussin de Perceval etc. tome II. und III.
Paris. Didot freres 1348. 702 u. 603 in 8.
Ref. bat vor längerer Zeit den ersten Band des vorliegenden Wer-
kes in diesen Blattern angezeigt, die Fortsetzung aber verschoben, weil
er, namentlich bei der Besprechung des letzten Bandes, mehr ins Einzelne
einzugehen wünschte, was ein sorgfältigeres Studium desselben bedingte,
dem er sich vor Vollendung seiner Cbalifengeschicbte nicht hingeben konnte,
tief, bat auch in diesen beiden Bänden dieselben Mängel und dieselben
Vorzüge wieder gefunden, die er schon im ersten hervorgehoben oder
gerügt hat. Auf der einen Seite eine fleissige und gewissenhafte Be-
nutzung der Quellen, eine zuverlässige, treue und doch gefällige Ueber-
setzung derselben, ein vollständiges Beherrschen und darum auch zweck-
mässiges Ordnen des Stoffes und ein gänzliches Durchdrungeosein vom
Geiste der arabischen Autoren und in Folge dessen eine lebendige klare
Darstellung. Auf der andern Seite hingegen, in der vormohamedaniseben
Zeit, ein Verlangen durch Hypothesen Ereignisse zu bestimmen, welche
bei den vorhandenen Quellen noch unerledigt bleiben müssen, im Leben
Mobammeds aber im Gegentheile ein sclavisches Haften an den Sagen der
Muselmänner, wie es einem französischen Historiker unserer Zeit nicht gut
ansteht, mit einem Worte: in der Geschichte der Araber vor Mohammed
ist Hr. Caussin ein zu kühner europäischer Kritiker, in der Biographie Moham-
meds nicht viel mehr als Araber. Erstere zerfällt, im zweiten Bande die-
ses Werkes, in vier Kapitel, nach den vier Dynastien, welche die Herr-
schaft über die Araber unter sich getbeilt und den Ländern, in de-
nen sie ihren Sitz halten. Den ersten Platz nehmen die Fürsten von
Hira, aas dem Geschlecbte der Tenuchiten und Lachmiten ein. Der erste
Fürst, der über sämmtliche Araber des Eupbratgebiets, sur Zeit der letz-
ten Arsaciden herrschte, war Djudseima Ibn Malik, der Azdite. Seine
Schwester Rikascb heirathete Adi Ibn Rabia, aus einem fürstlichen Ge-
schlecbte der Benu Jjad, und Adi's Sohn Amr ward der Nachfolger Djud-
seima's und Gründer der Dynastie der Lachmiten oder Nassriten. Djud-
seima verlor sein Leben durch eine Fürstin, welche nach arabischen Sa-
gen Zabba biess, die der Verf., wie vor ihm schon St. Marlin, mit eini-
ger Wahrscheinlichkeit für Zenobia hält, obgleich Zabba, nach arabischen
Berichten, selbst Gift nahm, als es Amr Ibn Adi mit Hülfe des durch seine
Aufopferung berühmt gewordenen Kossens gelang, sich ihrer Festungen
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Caussin de Perceval, histoire des Arabes. 573
so den beiden Ufern des Euphrats and ihrer Person zu bemächtigen, wäh-
rend bekanntlich nach den römischen Quellen Zenobia von Aurelian ge-
stürzt ward. Imru 1-keis I, dessen Regierung nach arabischen Berichten
114 Jahre dauerte und Amr II, welcher 25 Jahre auf dem Throne sass,
waren die beiden nächsten Lachmiten, weiche in Hira herrschten. Nach
dem Tode Amr's ging die Herrschaft fünf Jahre lang auf einen Fremd«
Jing, Aus Ibn Kallam, über und erst nach dessen Ermordung bestieg Im-
ruikeis II, ein Sohn Amr's II, den Thron. Dieser soll bis zur Zeit Jez-
dedjerd's I gelebt haben, was natürlich der Verf. eben so wenig glaubt
als dass Imru -1-keis I über 100 Jahre geherrscht habe. Letztere redu-
cirt er auf 50 Jahre und Imru-l-keis II lässt er gegen das Jahr 390,
also in den ersten Jahren ßahrams IV sterben. Numan I oder der Ein-
äugige, welcher das Christen Um m begünstigte, nach Einigen sogar selbst
Christ ward, entsagte dem Throne, unserm Verf. zufolge, dessen Beweise
dafür aber sehr schwach sind, im Jahre 418 und überliess ihn seinem
Sohne Mundsir I. Dieser betheiligte sich, zu Gunsten der Perser, an dem
Kriege zwischen Bahr um Gur und den Byzantinern und ward im Jahr 421
geschlagen. Da Hamza seiner Herrschaft eine Dauer von 44 Jahren gibt,
so setzt Herr Caussiu seinen Tod in das Jahr 462. Ihm folgten seine
Söhne: Numan II (462 — 471), den Hamza und Abulfeda gar nicht er-
wähnen, Aswad (471 — 491) und Mundsir II (491 —498). Letztem
folgte sein Neffe, Numan III, der Sohn Aswad's, den die meisten arabi-
schen Chroniken ebenfalls ausgelassen haben, dessen Dasein aber Eichhorn
schon aus byzantinischen Quellen bewiesen hat, denn er befand sich bei
dem Heero Kobads, das gegen Anastasius Krieg führte. Abu Jafar AI-
kama, ein Lacbmite, der nicht aus dem königlichen Geschlechte war, herrschte
(503—505) bis zum Fricdensscbluss Kobad's mit Anastasius, worauf dann
Imru-l-keis III zum Fürsten ernannt ward. Dieser war, nach arabischen
Quellen, eio Sohn des Numan I, was aber der Verf. mit Recht für un-
möglich hält, da zwischen dem Tode dieses Numan und der Thronbestei-
gung des Imru-l-keis nahe an 90 Jahre liegen. Er starb im Jahre 513
und ihm folgte sein Sohn Mundsir III, der nach einigen, jedoch unwahr-
scheinlichen Berichten, sich zum Cbristenthum bekehrt haben soll. Mund-
sir ward einige Zeit von Kobad der Herrschaft über Hira beraubt, welche
Harith, dem Häuptlinge der Bckriten verliehen ward, weil er, wie Kobad
selbst, ein Anhänger Mazdaks war. — Nach dem Sturze dieses Commu-
nisten ward Mundsir von Kesra Nuschirwan wieder in seine Herrschaft
eingesetzt, Harith musste fliehen und endete bald nachher sein Leben.—
Mundsir nahm lebhaften Antheil an dem Kriege der Pener gegen Justi-
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Caussin de Perceval , histoiro des Arabe*.
oian, fiel SB wiederholten malen in Syrien ein und bekämpfte die mit den
Römern verbündeten Ghassaniden, ward aber von ihrem Häuptlinge Harith
Alaradj (562) überlistet und ermordet. Sein Sohn, Amr III, welcher
gegen die Ghassaniden und Taiten den Krieg fortsetzte und wegen sei-
ner Grausamkeit Aimucharrik (der Verbrenuenda) genannt wird, ward
von dem Dichter Amr Ihn Kolthum, dessen Mutter von der des Pürsten
beleidigt worden war, nach einer Regierung von sechzehn Jahren, die
aber der Verfasser auf zwölf reducirt, erschlagen. — Sein Nachfolger
war nach Einigen Kliman IV, nach Andern Kabus, was zur Vermuthnng
veranlasst, dass die Herrschaft, in deren Besitze sie vier Jahre (574
bis 579) blieben, unter ihnen getheilt war. — Ihr Bruder Mundsir IV,
welcher ein Bündniss mit den Byzantinern geschlossen hatte, ward
erst nach einer Zwischenregierung von einem Jahre, als er es wie-
der mit Hormuz hielt, von diesem zum Fürsten von Hira erhoben. Ge-
gen das Jahr 583 ward er von den Ghassaniden, gegen die er auch
Krieg führte, gefangen genommen, zuerst nach Kanstantinopel gebracht
und dann, auf Befehl des Kaisers, nach Sicilien verbannt Der letzte Lach-
mitische Fürst von Hira war Numan Abu Kabos, ein Sohn Mundsir's IV,
welcher seine Herrschaft seinem am persischen Hofe cinflussreichen Schwie-
gervater Adi Ihn Zeid verdankte und seinen Sturz dessen Sohne Zeid Ibn
Adi. Kesru Perwiz liess ihn im Jahr 605 von Elepbanten zertreten und
ernannte den Taiten Iyas Ibn Kabissa zum Fürsten von Hira.
Wir haben hier das Resultat der Forschungen des Herrn Caussin
Uber die Dynastie der Lachmiten mitgetheilt, um zu zeigen, wie er sich
bemüht hat, aus den kurzen, abgerissenen, unzuverlässigen nnd sich wi-
dersprechenden Nachrichten der Araber und Byzantiner eine zusatnmen-
liönrmndd I 2 n c r \\ i f Ii I n mit kilrlan U...L. UvaaIIiaca iniio.t« nafllvltok A'm
uaiigcuuo au uiiucD« aiancnc njpuiiic&e iiiusmu naiuriiLn wo
Brücke dazu bauen, bald galt dieser Historiker bald jener in einem Punkte
als Autorität, während er in andern verworfen ward und nicht selten
mussten auch eigene Behauptungen des Verf., ohne weitere Grundlage,
das Fehlende erganzen oder das Mangelhafte verbessern. Ein gleiches
Verfahren finden wir bei dem Verf. in Betreff der Geschichte der arabi-
schen Stamme und Fürsten von Syrien, lledina und Nedjd, welche in den
drei folgenden Büchern enthalten ist. Leberall sehen wir denselben Ei-
fer aas den zerstreuten Einzelnheiten ein geordnetes Ganzes zu schaffen
Und ein VollsLütiriipes Comulde vom <»IT<>nlliriif»n I.pliAti ff Ar Arnhor vnr Mn-
■ w..» «... I Ulli VIIWHIIIVIIUU UVUVU UVI Hl UUvl * VI *" "
faammed zu entwerfen. Wir können fortan die ruhmvollen Arbeiten auf
diesem Gebiete eines Pococke, Schul tens, Eichhorn, Keiske, Rasmussen,
de Sacy, Slane, Fresnel, Perron und Anderer entbehren, denn alle diese
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Canssin de Perceval, histoire des Arabcs. 575
Beitrage zur vorislamilischen Geschichte sind hier sorgfältig benutzt und
häufig aus weitern Qaelleo vervollständigt oder verbessert worden. Von
ganz besonderem Werthe für die Geschichte der arabischen Poesie ist da»
sechste Buch, welches von den Arabern der Provinz Nedjd bandelt, in
welcher die bedeutendsten altern Dichter lebten, die auch eine grosse
politische Rolle spielten. Uan ßndet hier die Biographien der sieben Ver-
fasser der Muallakat, nebst einer treuen und doch zierlichen Uebersetzang
dieser berühmten Gedichte und dieser Theil allein würde schon genügen,
um dem Verf. einen der ersten Platze in der Reihe europäischer Orien-
talisten zu sichern.
Wenn wir aber den vom Verf. bei Bearbeitung dieses zweiten
Bandes seines Werkes bewiesenen Fleiss im Sammeln der zerstreuten Quel-
len, sowie seine Vorsicht and Gewandtheit bei Benutzung derselben voll-
kommen anerkennen, so bedauern wir ihm als Biographen Mohammeds nicht
gleiches Lob spenden zu können. Er durfte sich in seiner günstigen Stel-
lung nicht auf die wenigen Quellen beschränken, wie das Sirat Arrasul,
Ihn Chaldun, Abulfeda und Chamis und hätte auch hier den kritischen
Sinn bewähren sollen, mit welchem er die frühern Partien der arabischen
Geschichte behandelt. Auch in der Auswahl des Stoffes war er hier nicht
so glücklich, denn er hat manches Wesentliche und Charakteristische aus-
gelassen und viele höchst unbedeutende oder mährchenhafte Einzelnheiten
aafgenommeo. Nur selten erkennen wir in seiner Darstellung einen nüch-
ternen europäischen Forscher, die meisten Begebenheiten, so unwahrschein-
lich sie auch sein mögen, werden mit einer wahrhaft muselmännischeo
Hingebang in die Traditionsaulorität erzählt. Folgende Bemerkungen wer-
den dieses hart klingende Urtheil rechtfertigen:
S. 13 wird die Legende von den Tauben, welche am Eingänge der
Höhle, in der Mohammed vor seiner Flucht nach Medina sich verborgen
hielt, ein Nest bauten und Eier legten und von der Spinne, welche »in
mit ihrem Gewebe umzog, als historische Thatsacbe angegeben.
S. 31 wird bei der Expedition des Abd Allah Ibn Djahsch, der
wesentlichste Zug derselben, welcher Mohammeds Schlauheit und Doppel-
züngigkeit ausser allen Zweifel setzt, weggelassen. Nach der Darstellung
des Verf. 's hätte Mohammed damit nichts bezweckt, als die Bewegungen
der Kureischilen zu beobachten und Abd Allah ganz eigenmächtig eine
kureiscbitische Karawane in den heiligen Monaten überfallen. Ref. hat
•her in seinem „Mohammed" bewiesen (S. 99), dass Mohammed bei die-
ser Sendung nach Nachla keine andere Absieht als einen Karawanenraab
haben konnte. Erst als selbst die Medinenser sich über diese ruchlose
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576
Caussin de Perceval, histoire des Arabcs.
Tbat mit Entrüstung* aussprachen, missbilligte sie Mohammed, hob aber
doch bald nachher das Verbot, in den heiligen Monaten Krieg zu fuh-
ren, auf.
S. 204 berichtet Herr Caussin: Mohammed habe im Sommer 628
einen Gesandten an Heraklius geschickt, der damals, nach seinem Siege
über die Perser, auf der Rückkehr nach Konstantinopel, sich in Syrien
aufhielt. Auf der folgenden Seite wird dann Mohammeds Gesandschaft m
den Ghassaniden Harith in den Frühling des Jahres 629 gesetzt und da-
bei erzählt, dass dieser Fürst gerade mit den Empfangsfeierlichkeiten für
Heractius beschäftigt war, welcher sich auf der Reise nach Jerusalem be-
fand. Er setzt dann noch hinzu : .. On sait eti eilet qu'a cette epoque
Heraclius fit un voyage de Constantinople a Jerusalem pour y rendre
gräce a Üieu de ses vicloires sur les Persans et replacer dans leglise
de Ia resurrection la sainte croix, enlevee autrefois par les troupes de
Kesra.u Bekanntlich stimmen aber die byzantinischen Quellen über die
Zeit der Reise des Heraclius nach Jerusalem nicht miteinander fiberein.
Theophanes setzt sie in den Frühling 629, Nicephorus aber noch in das
vorhergehende Jahr. Ref. hat in seinem „Mohammed" (S. 199) nach-
gewiesen, dass Theophanes sich selbst widerspricht, indem er mehrere
Monate nach dieser Reise erst Heraclius die Nachricht vom Tode Siroe's
zukommen lässt, der doch noch im Jahre 628 starb und daraus gefol-
gert, dass die Angabe des Nicephorus die Richtigere ist. Uebrigens wird
auch von dem Insan Alujun berichtet, dass Mohammeds Gesandter den Kai-
ser in Jerusalem traf, welcher, um für den Sieg über die Perser so dan-
ken, zu Fuss von Edessa dahin gepilgert war. Demnach müsste also die
Gesandschaft an Harith, wenn sie mit der Reise des Kaisers nach Jeru-
salem zusammentreffen soll, auch in das Jahr 628 gesetzt werden.
S. 210 werden mehrere Bekehrungen, unter andern die des be-
rühmten Chalid, als Folge des Friedensschlusses von Hndeibia angegeben.
Der Uebertritt Cbalid's zum Islam war aber höchst wahrscheinlich Folge
der Vermählung Mohammed's mit Meimuna, einer Tante Chalid's, welche
kurz vorher gefeiert ward, von deren Verwandscbaft mit Chalid der
Verf. nichts erwähnt.
S. 243 hat der Verf. den arabischen Text missverstanden. Es han-
delt sich von dem Feldzuge Chatid's gegen die Benu Djadsima, welche
schon den Islam angenommen hatten, aber aus Misstrauen gegen Chalid
und seine Leute ihm bewaffnet entgegentraten. Endlich legten sie die
Waffen nieder, wurden aber dennoch wegen einer alten Feindschaft zwi-
schen Chalid und ihnen niedergemetzelt.
(Schluss foty.)
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Nr. 37. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR.
(Schlnss.)
•
Als Vorwand zu seiner Treulosigkeit gab Cbalid an, dass sie statt
zu sagen: „aslamnau fwir haben den Islam angenommen} gesagt habea:
„sabaW". Herr Caussin übersetzt dieses Wort mit „nous sommes Sa-
beens" und setzt hinzu: „Los idolatres avaient jusqu'alors designe les
musulmans par cette qualification , Khalid prenant prötexle de cette ex-
pression equivoque et saus leur demander d'explication leur Gt Her les
malus etc." Man sieht aber gar nicht ein , warum die Muselmänner ab
Sabber bezeichnet wordeu sein sollen, auch findet man im Kamuss kei-
neswegs diese Bedeutung unter dem Worte „sabuu, wohl aber die „von
einem Glauben zum andern übergehen", wahrscheinlich aber im schlech-
ten Sinne ..seinem Glauben abtrünnig werden , apostasier. Die alten Ara-
ber gebrauchten daher dieseu Ausdruck von Denen, die zum Islam über*
gegangen waren. Die Benu Djadsima hätten als aufrichtige Muselmänner
„aslamna" sagen sollen, mit dem Worte „saba'na" bezeichneten sie sich
selbst als Abtrünnige und wareu nach Chalid's Deutung entweder wieder
vom Islam abgefallen, oder der Ueberzeugung , dass sie besser gethan
hätten ihrem alten Glauben treu zu bleiben.
S. 261 wird berichtet, dass Dsu-I-Chuweissara Mohammed wegen sei-
ner ungleichen Vertheilung der Beuto tadelte und Omar ihn tödten wollte.
Mohammed gab es aber nicht zu, indem er sagte: „La providenee a ses
desseins sur cet homme: de lui doit uaitro une secte qui voudra s'en-
foncer si avant dans les profoudeurs de la religion , qu'elle en sortira
comme une fleebe sort du but qiTelle a traverse de part en part.u Cette
prediction se realisa dans la suite, car Harcous, fils de Zobayr, de la
tribu de Badjila, communement appele Dhou-l-Thadya, qui fut le premier
Imam des Kharidji ou heretiques musulmans, descendait par les femmes,
de Dhoo-I-Khoway^ara.u Es bedarf aber wohl keines grossen Scharf-
sinnes, um hier eine Erdichtung der Schiiten zu erkennen, welche, weil
Harkusch der erste war, der Ali bei Siffin verliess, seine Abtrünnigkeit
schon von Mohammed prophezeien lassen. Aber selbst mit dem Glanben
an Mohammeds prophetischer Gabe ist schwer zu begreifen, warum er
XMV. Jahrg. 4. Doppelheft. 37
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578 Caussin de. Perceval , hüloira des Arabes.
nicht um ao eher Dsu-I-Chnweissara ab Stammvater »Her Kelzer aus den
Wege räumen Hess.
S. 284 bei dem Feldzuge von Tabuk wird erzählt, dass Moham-
med 30,000 Mann zusammenbrachte, dass aber beim Aufbruche des Hee-
res Abd Allah Iba l'bei und die meisten seiner Fremde ihm nicht folg-
ten, sondern wieder nach Medina zurückkehrten. Hier wird man natür-
lich glauben, es handle sich höchstens von einigen hundert Mann, die
von dem Heere sich absonderten, während nach dem Sirat Arrasnl der
grössere Theil der Truppen mit Abd Allah zurück blieb. Von dem auf
der Rückkehr von Tabuk von einigen Heuchlern beabsichtigten Ueberfalle
Mohammed's, welchen Ref. aus dem Insan Alujun entnommen (s. Moham-
med S. 265}, erwähnt Herr Caussin gar nichts, eben so wenig (S. 324}
von der für die Kritik des Korans höchst wichtigen Tradition des Ihn
Hureira: dass Niemand von dem von Abu Bekr recitirten Koransverse, in
welchem Mohammed's Tod vorhergesagt war, Kenntniss halte.
Mohammed's Krankheit, letzte Worte und Tod wird mit allen Ein-
zelnheiten geschildert, die wir trotz ihrer inneren Widersprüche bei den
mu8e1männischen Autoren finden. Schon bei dem Feldzuge von Cbeibar
(S. 200) wird erzählt, dass Zeiuab, dio Schwester des von Ali erschla-
genen Marhab, dem Propheten einen vergifteten Braten auftischte. Er nahm
einen Bissen in den Muud, sagte aber alsbald: „Celle brebis m'avertit
gif eile est empoisonnee." Der Verf. setzt dann hinzu: „Mais la malig-
nite du poison commenra a agir, et malgre* des ventouses scarifiees qu'il
se fit aussitot appliquer entre les epaules, Ton croit qu'il en ressentitles
effets tout le reste de sa vie.u Wenn man aber auch diese Tradition
nicht geradezu als eine Erdichtung verwerfen kann, so darf man sie doch
gewiss auch nicht ohne Bedenken als ein historisches Factum aufnehmen.
Der Verdacht, dass die Muselmänner ihren Propheten nicht gerne an einer
gewöhnlichen Krankheit sterben licssen, liegt gar zu nahe und da sie nicht
behaupten konnten, er sei auf dem Schlachtfelde umgekommen, so blieb
ihnen nichts übrig, als ihn auf dem Feldzuge gegen die Juden von Cbei-
bar Gift nehmen und so doch nach ihren Ansichten den Märtyrertod ster-
ben zu lassen. Ref. der selbst diese Sage ohne Misstrauen in seinem Le-
ben Mohammed's angeführt hat, ist später um so geneigter geworden, sie
für erdichtet zu halten, als er sieb überzeugt hat, dass eine ahnliche Ver-
giftungsgeschichte bei dem Tode Abu Bekr's und Hasan's erfunden wor-
den ist. (S. Gesch. der Chalifen I., 53 und 268.)
Diese Beispiele, denen sich viele Andere beigesellen liessen, wer-
den genügen, um zu zeigen, dass die Arbeit des Herrn Canssio Uber Mo«
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Dantier: Göthe's Faust.
hammed nicht so gelungen ist, wie die über die «Heren Araber. Das
Leben Abu Bekr's, welches das neunte Buch ausfüllt, sowie das Omar's
im zehnten Buche bis zum Jahre 18 der Hidjrah, ist grösstenteils nach
Tabari, so weit der von Kosegarten edirte Text reicht und wo dieser
aufhört nach Ibn Alalbir und Ibn Chaldun. Von grossem Nutten sind die
dem dritten Bande angehängten genealogischen Tabellen, so wie das den-
selben beschüessende Register über das ganze Werk. Well.
Göthe's Faust, Erster und weiter Theit. Zum erstenmale voll-
ständig erläutert ton H. Düntzer. Erster Theit. Leipzig. Duk-
sehe Buchhandlung. i850. X. S. tt. 390 S. Zweiter ThtU. iS51
413 S. gr. 8.
Der Herr Verfasser, welcher 1836 eine Schrift über Göthe's
Fanst und 1846 eine zweite über die Faustsage herausgab, zählt
im dritten Anhange des zweiten Bandes dieses Commentars (S. 398 bis
402) 101 Beurtheilungen und Erklärungen von Göthe's Faust auf.
Eine neue Seite hat die Erklärung dieser unsterblichen Dichtung durch
die Untersuchungen Uber die Faustsage in neuester Zeit gewonnen,
und auch diese ist bereits gewürdigt worden. An Sachanmerkungen,
sowie an ästhetischen Erklärungen zu allen Theilen der Göthe'schen
Faustdichtung, fehlt es nicht. Doch bleibt eine Arbeit, welche es ver-
sucht, einen vollständigen Commentar zu allen Stelleu der beiden
Theile zu liefern, ungeachtet der vielen vorausgegangenen Erklärungen
immer noch eine verdienstliche. Freilich ist diese Erläuterung, welche
sich nach dem Titelblatte selbst als die „erste voiltländige Erklärung" bei-
der Theile des Göthe'schen Faust bezeichnet, mehr eine fteissige und aus-
führliche, mit eigenen Ansichten untermischte Zusammenstellung dessen,
was von Andern über diesen Gegenstand geliefert worden ist, afs eine
Uber die ganze Dichtung sieb erstreckende, neue Ideen und Forschun-
gen bietende Untersuchung. Diese Behauptung soll ein näheres Eingehen
in den Inhalt des vorliegenden Werkes begründen. Der erste Band
enthalt: 1} eine Untersuchung über die Faustsage S. 1 — 70, 2} die
Entstehung von Göthe's Faust S. 71— 107, 3) Idee und Ausführung
desselben S. 107 — 138. Nun folgt die zweite Abtheilung des ersten
Bandes, welche nach der Einteilung der Göthe'schen Dichtung die Er-
läuterung der Zueignung, des Vorspiels, des Prologs und des ersten Thei-
les von Faust umfarst(S. 141— 390). Die dritte Abtheilung im zwei-
37*
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580 Dünteer : Göthe's Faust.
t e n Bande gibt die Erläuterung des zweiten Theiles, und enthält in drei
Anhängen: 1) Göthens handschriftliche Zusätze und Veränderungen zur
musikalischen Komposition des Fürsten Kadziwill, 2) Uber Leasings
Behandlung der Faustsage, 3) Verzeichnis* der Beurteilungen nnd Er-
läuterungen von Cölbes Faust (S. 383— 402), ausserdem von S. 402
bis 413 Berichtigungen und Nachtrage zum ersten und zweiten Bande
dieses Werkes. Die Untersuchung über die Faustsage (S. 1 — 70)
ist eine fleissige und gelehrte Forschung, welcher es allerdings ao man-
chen neuen Gesichtspunkten nicht fehlt. Sie enthalt dem Wesentlichen
nach Dasjenige, was der Herr Verf. in seiner 1B46 erschienenen Unter-
suchung über die Faustsage gegeben hat. Dass Georgius Sa bei Ii -
kus, auch der jüngere Faust genannt, auf den Triton heim in ei-
nem Briefe von 1507 und der Kanonikus Konrad Mudt zu Gotha
in einem Briefe von 1513 aufmerksam machen, ein anderer, als der Jo-
hannes Faust, der nach der Sage 1525 öffentlich auftrat, und der
Held des Volksbuches und Puppenspiels wurde, seyn soll, ist eine Ansicht,
welche der Verf. schon 184G .in seiner ersten Schrift über die Faustsage
entwickelte, und gegeu welche sich auch der ihm sonst wohl gewogene
Recenscnt iu Gersdorf s Reperlorium aufgetreten ist. leb habe die
Identität beidor vou dem Herrn Verf. getrennter Persoueu in meinen deut-
schen Volksbüchern nachgewiesen. Aus diesen letztern ist auch die Nach-
richt des Herrn Verf. über den in den Akten der Heidelberger phi-
losophischen Fakultät vom Jahre 1509 eingezeichneten Johannes Fauslus ex
Simmern entnommeo. Neu und interessant ist, was der Verf. über Chri-
stoph Marlowe s (f 1593) „Doktor Fauslus u in Auszügen mittheilt.
Das Beste ist nach des Ref. Ansicht der Abschuitt, welcher die
„Entstehung vou Göthe's Faust - behandelt. Der Verf. bat mit Um-
sicht und Sachkenntnis« Alles, was aus den Gölhe'scbe Schriften und den
vorzüglichsten Quellen der Zeitgenossen über diesen Gegenstand aufge-
bracht werden kounte, zusammengestellt. Was nun die Erklärung der
Dichtung selbst betrifft, so müssen wir von vornherein gestehen, dass es
immer eine misslicbe Sache bleibt, iu der Meisterdichtung eines lebenden
Volkes diesem selbst jeden Vers erklären zu wollen, der sich von selbst
versteht, und keiner Erklärung bedarf. Durch die Aufnahme solcher Er-
klärungen, die der Herr Verf. meist in Anmerkungen gibt, hat das Buch
nur an Breite gewonnen. Wir wollen unsere Ansicht durch Beispiele
belegen.
Zu der Stelle in Göthe's Faust:
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Dünner: Gölhe's Faust. 58!
,••«.•• • . • «
macht DünUer S. 150 die Anmerkung: „Ue b ertisch t heilst niclit
das Mahl, bei welchem man zu viel aufgetischt hat, wie bei Campe be-
hauptet wird, sondern das, bei welchem man überlange gesessen bat.u
Bei der Stelle:
„Für einen Leichnam hin ich nicht tu Haus,
Mir geht es, wie der Katze mit der Mausu,
siebt S. 163 die Anmerkung: „Die Katze macht sich nicht on lodte Mause,
sondern an lebendige, die sie sich selbst fängt." Zu Faust 's Monolog:
„Wofass' ich dich, unendliche Natur, euch Brüsten wo? Ihr Quellen al-
les Lebens" u. s. w., wird S. 174 bemerkt: „Bei dem Fassen ist, we-
nigstens bei den Brüsten, so wenig, als bei den Quellen, an ein hand-
greifliches Fassen zu denken."
Za „Braut ein Ragout" fügt der Herr Verf. S. 178 bei, „das,
Göthe hier das Brauen in der ursprünglichen allgemeinen Bedeutung des
Kochens brauche." Zu den Versen:
„Wenn Glück auf Glück im Zeilenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen1',
wird S. 185 hinzugesetzt: „Wer vom Unglück heimgesucht wird, der
verliert alle Freudigkeit des Lebens und der Thatkraft ; die Sorge vor im-
mer neuem Unglück bemächtigt sich seiner, und lfisst ihn fortan tu kei-
ner Ruhe gelangen." Zu den Versen:
„Der die betrübende,
Heilsam' und übende
Prüfung bestanden."
S. 193: „Die Prüfung ist, obgleich sie sehr betrübt, doch eine heilsame,
indem sie den Menschen in der Ertragung der Leiden übt, und hierdurch
stärkt und läutert." Zu den Versen:
„Kannst du ihn lesen?
Den nie entspross'nen,
Unausgesprochenen,
Durch alle Himmel gegoss'nen,
Freventlich durchstocb'nen ?
S. 217: „Christus wird als nie entsprossen bezeichnet, insofern er
von Ewigkeit an war, und als unausgesprochen, weil seine Grösse
und Herrlichkeit durch keinen Namen bezeichnet werden kann. In dem
folgenden „durch alle Himmel gegossnen, freventlich durchstochnen" wird
der Gegensatz angedeutet, dass er, obgleich die Himmel von ihm erfüllt
sind, auf Erden den Verbrechertod gestorben ist." Zu den Versen:
»Und Bäume, die sich täglich neu begrünen"
ß. 234: „Die täglich ihr Laub verlieren, das sich täglich bei ihnen er-
neuert." Zu dem Verse:
„Ist halt', dacht' sie, ein geschenkter Gaul".
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£82 DünUer: (iüthe's baust.
3. 285: „Deutet auf das Sprichwort: Eioem geschenkten Gaul sieht man
nicht ins Maul." Zu dem Verse:
„Sei, Teufel, doch nur nicht, wie Brei",
S. 285: „Der Brei ist dick und steif, nicht fliessend und beweglich. Der
Teufel steht so steif da, als könne er nicht von der Stelle." Zudem Verse:
„Bin doch cm arm, unwissend Kind",
S. 297: „Arm, wobei man hier nicht an Besitzlosigkeit zu denken hat,
erbölt seine nähere Bestimmung durch das folgende unwissend. Dem
reichen Schatte von Faust's Kenntnissen, Erfahrungen uod Weisheit ge-
genüber fühlt sich Gre tchen ganz arm.u Zu dem Verse:
Schuh u'1 ,
S. 302: „Schuhu ist einer der volkstümlichen Namen des ühu'i."
Zu den Versen:
„Du bist schon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit, Angst und Graus",
S. 303: „Mephistopheles meint mit diesen Worten, Faust sei es
im Grunde schon jetzt müde an der Natur, die Lust an ihr habe schon
den höchsten Gipfel erreicht; währe es aber noch langer damit, so werde
diese Tollheit, mit welcher er in das Innere der Natur einzudringen suche,
oder die Angit und das schreckliche Gefühl , dass ihm ein solches Ein-
dringen versagt sei, ihn ganz verzehren, ihn völlig aufreiben." Zu den
Versen :
„Grimm fassi dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben !
Und dein Herz,
Aus Aschenrull'
Zu Flammenqualen
Neu geschaffen,
Bebet auf!
5. 328: „ Am jüngsten Tage stehen die Leiber der Todten aus ihren
Grabern wieder auf, die der Bosen, um ewigen Hölleuslrafen übergeben
zu werden." Zu dem Verse:
„Seh' die Bäume hinter Baumen",
6. 335: „Das Fürwort Ich ist hier, wie sonst häufig bei Göthe, aus-
gelassen." Zu dem Verse:
„Tretet nicht so mastig auf",
S. 366: „Mastig, eigentlich gemästet, daher dick, schwer wird hier
vom schweren Auftreten gebraucht." Zu dem Verse:
„Die Menge drängt sich, man hört sie nicht",
S. 386: „Die Menge strömt lautlos zusammen, weil die Vollziehung des
Bluturlbeils sie zum stillen Ernst stimmt." Und zu dem Verse:
„Stumm liegt die Welt, wie das Grab",
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Düntier: Gothe's Faust.
563
S. 386: „Gretchen bezeichnet hier den Augenblick nach der Hinrich-
tung" u. s. w.
Diese uud viele andere Bemerkungen ähnlicher Art sind für Alle,
welche den Beruf haben, die Gut he 'sehe Dichtung zu lesen, durchaus
überflüssig. Andere aber werden diesen Commentar eben ao wenig le-
sen und auch selbst mit diesen Erklärungen den Faust nicht verstehen.
Wer diese Erklärungen lesen rauss, um das Gedicht sich zum Verständ-
nisse zn bringen, wird an der Dichtung eben so wenig, als an dem Com-
meotare, ein Interesse haben. Nur bei Klassikern, die in todten Sprachen
ireschriebfiu sind kann man solche Anmerkuniren als zulässhr betrachten
Auch im zweiten Tbeile ist eine Fülle von derlei Anmerkungen Uber
Stellen und Worte, die sieb von selbst verstehen und jede weisere Er-
klärung überflüssig machen. Wir führen nur einige Beispiele an. So fin-
den wir folgende Anmerkungen zu den Versen:
„So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
Erfüllnngsprortcn findet flügeloffen u. s. w.
S. 10: „Der Mensch glaubt die Erfüllung seines Wunsches so nahe, er
siebt die Pforten, welche ibn zu jener hinführen sollen, weit aufgespannt,
beide Thorflügel offen." Zu dem Verse:
„Der alte fiel, der hat verthan",
S. 18: „Verth u n in der Bedeutuug verlieren.** Zu:
„Die Schweine kommen nicht zu Fette,
Verpfändet ist der Pfühl im Bette,
Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brod.u
S. 20: „Man kann nicht warten, bis die Schweine fett werden, muss sie
vorher verkaufen, selbst das Nötbigate ist schon den wuchernden Juden
verpfändet und selbst das Brod, welches auf den kaiserlichen Tisch kommt,
ist für Geld gekauft, für welches man die spätem Einkünfte verkauft oder
verpfändet hat.** Zu:
„Was soll uns das — Gedroschner Spass",
S. 24: „Man braucht gewöhnlich abgedroschen von vielfach vorge-
brachten und schon verbrauchten Sachen, wie eine abgedroschene
Ausflucht, ein abgedroschener Witz.u Zu:
„Erst müssen wir in Fassong uns versühnen",
S. 28: „Versühnen, Nebenform von Versöhnen, bezeichnet hier den Gen
gensati zu der Zerstreutheit, in welcher die verschiedensten Gedanken sich
durchkreuzen, und ein stetiges einheitliches Denken durch den Widerstreit
derselben unmöglich wird.** Ref. hält diese Anmerkung für unverständ-
licher, alz die von ihr erklärten Textesworte.
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584
Düntzer: Cölbes Faust.
Feracr wird von dem Verf. bemerkt zu:
„Huhu? da komm ich eben recht!"
S. 46: „Der Ausruf Huhu! womit er (Zoilo-ThersitesJ auftritt, bezeich-
net die Unbehaglichkeit; besonders wird er beim Gefühl des Frostes ge-
braucht."- (Wir glauben dieses ohne das Citat aus Grimmas Grammatik.)
Wenn der Kaiser im zweiten Theile des Fanst Uber Salaman-
der zu gebieten glaubt bemerkt der Verf. S. 71: „Bekanntlich schwitzt
der Salamander oder Feuermolch, wenu er geängstigt wird, aus sei-
nem Munde und den Hautwarzen eine milchichte Feuchtigkeit aus, welche
ihn auf einige Minuten lang gegen ein massiges Kohlenfeuer schützen,
dieses auch wohl auslöschen kanntt n. s. w.
Der Verf. seist zu:
„Bald lodert es mächtig, bald lieblich, bald süsse !u
S. 206: „Süss bezeichnet hier den ahnungsvoll auf das Auge wirken-
den, mit dem Gefühle schmachtender Sehnsucht erfüllenden Glanz." Zu:
„Mir ahnt das Aechzen bcängslelcn Dröhnens",
S. 206: „Dröhnen deutet hier auf die gewaltige Erschütterung iu Folge
leidenschaftlicher Berührung des Muschelwagens" u. s. w. Man muss den
Zusammenhang der Stelle bei Gut he lesen, um das Ueberflüssige dieser
Bemerkung ganz einzusehen. Zu:
„Die ehren würdigste der l'arzen",
S. 235: „Ehren würdig hat hier Göthe gebildet nach ehrenwertb,
ehrenvoll, ehrenrührig44 u. s. w. Zu:
„Goldeelokle, frische Bubenscbaar1' ,
3. 238: „Goldgelbes Haar wird schon von Tacitus den alten Germa-
nen zugeschrieben14 u. s. w. Zu:
„Bestärke mich als Milregentpn dieses .
Grenzunbcwusstcn Reichs."
■
S. 249: „Bestärken steht hier in der nicht ungewöhnlichen Bedeutung
von bestätigen.44 Zu:
„Dass ich endlich ganz verständlich spreche44,
S. 297 : „Muss in dem Sinne genommen werden, dass ich mit der Sprache
berausrücke, dass ich sage, was ich eigentlich will.66
Die hier augeführten, in dem Werke des Herrn Verf. enthaltenen,
Anmerkungen zu dem zweiten Theile des Faust sind wohl eben so
Überflüssig, als die von uns beispielsweise gegebenen Bemerkungen des-
selben Buches zum ersten Theite.
Die Sachanmerkungen, welche zum Verständnisse einzelner Stellen
der Faustdicbtung nöthig sind, sind sehr hfiufig aus andern Erklären), wie
vorzüglich aus E. Meyer, Weber u. A. zusammengetragen, t heil weise
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Düntier: Göthe's Faust.
aber auch, wo sie neu sind und von dem Verf. stammen, besonders in
den Punkleo, io denen es auf das Istheiische Urtheil ankommt, un-
richtig. Wir wollen auch diese Behauptung durch Beispiele aus dem er-
sten und zweiten Theile des vorliegenden Commentars belegen.
In dem fliegenden Blatte von Köln das Lied von Dr. Faust"
wird dieser in Jerusalem vom Teufel geholt. Hierüber bemerkt der
Herr Verf. S. 71: „Das« Faust ku Jerusalem, wie es hier dargestellt
ist, von dem Teufel geholt wird, scheint in keiner wirklichen Sage be-
gründet, sondern reines Spiel freischaffender Phantasie."
Iliezu gab wohl die mittelalterliche Legende von Gerbert (Sil-
vester IL) Veranlassung, da dieser nach ihr in J erusa lern (einer Kirche
gleiches Namens zu Horn), vom Teufel abgeholt wurde.
Wenn es auch allerdings, worin wir dem Herrn Verf. vollkommen
beistimmen, lacherlich ist. bei Paust'* Kriege im zweiten Theile an
..den Zug in die Champagne u, bei dem Mummenschanz an Göthe's
Beteiligung an MaskenzUgcn oder bei G retchens Geschichte an eine
Verftthrungsscene aus Göthens Leben zu denken, so finden wir d csshalb
doch nicht mit dem Verf. S. 130 in der Behauptung: „Göthe habe im
Faust sich selbst dargestellt" , eine * trivial gewordene Phrase.a Wir
finden dieses um so weniger, als nach des Verf. Ansicht diese Behaup-
tung insofern eine gewisse Wahrheit enthält, als Göthe ..seine eigenen
Anschauungen, Erfahrungen und Bestrebungen hineinverarbeitet hat." Das
ist ja eben das, was in der Regel von denjenigen behauptet wird, welche
sagen, Göthe habe im Faust sich selbst dargestellt.
Wir glauben, dass der Verf. nicht richtig urtbeilt, wenn er S. 132
iber den eraden Theil sagt: „Bei der Vervollständigung des Fragments
zum ersten Theile der Tragödie scheint uns der Dichter mehrere Sce-
nen ohne? gehörige Beachtung des gesammten Zusammenhangs (sie!) ein-
geschoben zu haben, die, wie vortreflflich sie auch an sich seyo mögen, der
Einheit des Ganzen Abbruch thun." Wir haben in den deutschen Volks-
büchern die Einheit und den Zusammenhang dieser Scenen nachgewiesen.
Im zweiten Theile will der Verf. diesen gerügten Mangel nicht wahr-
nehmen; „nur darin", fügt er S. 133 bei, „könnte man etwas Unge-
höriges finden wollen, dass der Pedant Wagner, dieser Stockpbilolog,
im zweiten Theile umgesattelt hat." Wagner bat im z w e i t en Theile
nicht umgesattelt, nod ist von Göthe in beiden Theile n durchaus konse-
queot und als derselbe dargestellt. Was er im ersten Theile ist, ist er
auch im /.weiten; nur muss er, weil er im Laboratorium arbeitet, die
Pedaoterie im Mechanismus einer verkehrten naturwissenschaftlichen Me-
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586
Dünlzer: Göthe's Fausl.
thode zeigen, die nach dem Recepte des Paracelsus einen Menschen
ohne Zeugung zu Stande bringen will. An die Zeichnung eine« Stock-
philologen denkt Göthe bei Wagner nicht, sondern, wie jedes Wort
zeigt, des er ihm in den Mund legt, an die Pedanterie in der Wissen-
schaft, die blosse Gelehrsamkeit ohne Gefühl und Geist
Wenn der Herr Verf. S. 136 sagt, des er „im Gegensätze com ersten
Theile im zweiten höhere Kunstpoesie finde, welche Oberall die dem Inhalte
entsprechende Form mit sicherm Bewußtsein sich geschaffen habe" , so
gilt eben Dieses gerade vorzugsweise von dem ersten Theile. Unge-
sucht zeigt sich in diesem die passendste Form für den Inhalt. — Sie
wurde mit dem sichersten Bewusstsein Oberall von onserm Dichter ge-
funden ; ja selbst die „bei der Halt der Produktion eingeschlichene
Harte, welche hie und da mit leichter Mühe hltte weggeschafft werden kön-
nen", ist an ihrem Platze, und mit Recht het Göthe an dem klassischen,
aus einem Gusse dargestellten, ersten Faustfragmente später nichts mehr
geändert. Die klassischen Stellen des ersten Tlieiles sind in den Mond
des Volkes übergegangen, sie werden von jedem Fühlenden verstanden;
sie bedürfen keines Commeotars. Das Allegorisiren im zweiten Theile
hat beinahe in jedem Commentator eine andere Auslegung gefunden, und
trotz seiner Weichheit und wirklich gelungenen, schönen Form steht der
Inhalt, der während 50 Jahren nach Göthe 's eigenem Gestandnisse ent-
stand, weit hinter dem vielleicht in einigen Tagen entstandenen Inhalte
des ersten Faustfragmentes an klassischen Werthe zurück.
Allerdings ist „im Vorspiele aof dem Theater u — die gewählte
Einkleidung eine rein humoristische; aber es ist nicht zu billigen, wenn
von dem Herrn Verf. der Theaterdirektor und die lustige Person Maf eine
Seite und der Dichter auf die andere gestellt werden. Nur der Thea-
terdirektor spricht die Forderungen des gemeinen Lobens an die Kunst
nus; der Dichter hält sich an die Idee der Kunst, während die I ostige
Person beide extreme Ansichten zu vermitteln sucht, und in humoristi-
scher Weise eine Art von Rechtfertigung Uber die sonderbare Mischung
der Gegensätze in der Faustdichtung gibt
„Lasst Phantasie mit allen ihren Chören,
Vernunft. Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt's euch wohl! nicht ohne Narrheit hören !
Und: „In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trunk gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut."
Wenn Faust zu Wagner sagt:
„Sey er kein schnellenlanter Thor!"
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Uüntzer: (Üthe's Faust.
so bat der Dichter an Alles in der Welt wobl eher gedacht, als an die
Stelle des Apostels Paolus, wie Herr Dr. D Untier S. 178 meint:
„Wein ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und bitte die
Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes En und eine klingende Scholle."
Dass Göthe, weil Faust das Giftflaschchen in seiner Bibliothek „den
Inbegriff der holden Schlummersafte" u. s. w. nennt, damit, wie der Hr.
Verf. S. 188 glaubt, habe andeuten wollen, dass „Faust in dem Ginfläsch-
chen verschiedene Pflanzengifte gemischt habe, wie etwa Bilsenkraut, Schier-
ling, Bella donna" u.s. w., halten wir fttr eine eben so überflüssige,
als nnerwiesene Bemerkung.
Wir möchten in der Stadt, vor deren Thoren die Spaziergänger
am Ostertage sich ergehen, eben so wenig Strasburg erkennen, weil
Güthe „die Strassburger als leidenschaftliche Spaziergänger bezeichnet"
(S. 196), als Güthe etwa, um die Lokalität von Frankfurt a. M.
für diese Stadt wahrscheinlicher zu machen, bei dem „Jägerhaus" an
das Forstbans, bei dem „Wasser hof" an den Hof zu den guten Leu-
ten, oder bei „Burgdorf" an Niederrad gedacht hat, wie Herr Dr.
Duntier S. 197 will.
Bei den Worten, die Faust zu dem Pudel spricht, der ihn in die
Stodierstube begleitet hat:
„An der Schwelle, was schnoberst du hier?"
konnte wohl die philologische Untersuchung S. 212 Uber „schnobern,
schnopern, sohnoppern und schnuppern" und die Ableitung von „schnoben"
hioweffhleiben
Ulli TT egUTVIU'VU.
Mit Recht muss es wohl bezweifelt werden, dass, wie der Herr
Verf. S. 227 behauptet, der Dichter „manche Züge des Nephistopheles
von seinem Freunde Merk genommen habe", weit er diesen „schon im
Jahre 1780 in einem Briefe an Frau von Stein mit dem Namen desMe-
pbistopheles beehrt." Soll etwa Götbe, wie Herr Dr. Duntier
meint, auch Merk's Gestalt bei der Composition des Mephistopheles
vorgeschwebt haben, weil Merk „lang und hager" war, und „eine her-
vordringende, spitze Nase" hatte? Merk's „hellblaue" Augen taugen
freilich sehr schlecht zur Gestalt eines Mephistopheles; darum setzt
Herr Dr. Düntzer „vielleicht graue Augen" dazu, die dann aller-
dingspassen, wenn sie einen „tigerartigen Blick" haben. Dass also Götbe
bei der Zeichnung des Mephistopheles „von einer vorhandenen Person-
liebkeit" ausging, möchten wir sieber eben so sehr bezweifeln, als dass
ein solches Ausgehen zu den „grössten Triumphen von Güthe's Gestalr
tungskraft" gehört.
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588
Düntzer: Göthe's Faust.
Die Stelle:
„Die Herrschaft führen Wachs und Leder",
ist auch ohne die Bemerkung S. 236, dass „die Siegel meist in Wachs
geprägt wurden, dass das Siegellack (spanisches Wachs) erst um die
Mitte des sechszehnten Jahrhunderts aufkam, und dass das Leder das Per-
gament, aber nicht die Schnüre, an welchen die Siegel an den Urkunden
hingen, bedeute >l, gewiss ganz verständlich. Zum Verständnisse des Faust
Wird eben so wenig die Untersuchung (S. 260) beitragen, ob man der,
d i e oder das Hokuspokus sage, und ob es von hoc est corpus, oder
ob es von dem französischen Spiele hoc, hoca oder dem italienischen
li^^ccfai komme«
Wenn Faust Greteben einen Schlaftrunk für die Mutter gibt, da-
mit diese sie in ihrem Zusammenkommen mit jenem nicht störe , so ist
sicher an nichts Anderes, als an einen Schlaftrunk zu denken. Die Frage
Gretebens:
„Es wird ihr (der Mutter) hoffentlich nichts schaden?
kann uns zu keiner andern Ansicht berechtigen. Herr Dr. Dttntzer
meint S. 315, dass wir ja „spater in der Scene im Dome erfahren,
dass die Mutter wirklich an dem Schlaftrünke verschieden sei" (S. 315).
Er glaubt, diess wäre wohl dadurch geschehen, dass Gretchen „in der
Verwirrung, in welche ihre Sinne gerathen wären, die Bestimmung Faust'*,
nur drei Tropfen in den Trank zu tbun, überhört habe." Wir bedürfen
dieser Hypothese nicht, die der Dichlor nirgends auch nur von Ferne an-
deutet, weil sie etwas erklären soll, was der Dichter niemals, auch nicht
in der Domsceue, sagt, dass nämlich Grete hens Mutter durch jenen
Schlaftrunk getödtet wordeo sei. Können denn jene Worte:
„Bcl'st du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Fein hinübcrschlief ?"
keinen andern, als den Sinn haben, dass die Mutter durch den ihr von
Gretchen gereichten Trank gestorben sei? Die Mutter starb aus Kum-
mer Über Grete he ns Fall und Unglück, ist der einfache und ungezwun-
gene Sinn, der in der Stelle liegt, und in der Thal dichterisch schöner
ist, als der auf den Schlaftrunk gedeutete.
Die Brunnenscene zwischen Li e scheu und Greteben ist in dem
ganzen Faust eine der psychologisch gelungensten und durchaus dich-
terisch schön ausgeführt. Ref. findet nicht, dass sie, wie der Hr. Verf.
S. 317 will, „zu niederländisch und zu abweichend von dem Charakter
der andern, so tief ergreifenden, durchweg edelo Scenen gehalten sei.u
Die Abwechslung ernster und launiger, erhabener und mehr der gemeinen
Wirklichkeit angeböriger Scenen ist ein Charakterzug des ersten Theiles,
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Düntxer: Cölbes Faust.
589
so dass diese Scene in keiner Weise eine Abweichung von dem der
Dichtung eigenen Charakter genannt werden kann, sondern vielmehr in
dem schönsten Einklänge mit dem Ganzen steht.
Die Scene, in welcher Gretchens Bruder, Valentin, auftritt,
nod durch Faust 's Hand stirbt, war allerdings in dem ersten Faust frag -
meote nicht enthalten, und wurde erst bei der Vollendung des ersten
The lies von Gut he eingeschoben. Wir können aber nicht begreifen,
wie Herr Dr. D nutzer unserm grossen Dichter im Ernste den Vorwurf
machen kann, er habe diese Scene eingeschoben, „ ohne zu bemerken,
wie sehr er hiedurch die schöne Einheit störe (!) und etwas ganz Un-
gehöriges (sie!) hineinbriogeu (S. 320). Psychologisch und dichterisch
ist die Scene des Valentin eine der vorzüglichsten in der ganzen Faust-
dichtung. Darin werden atle Kenner übereinstimmen. Was soll nun der
•
Grund dieses harten Urtheils seyn? Einzig und allein der Zusammenhang,
der gestört seyn soll, so dass das Ganze hiedurch verliere. Wir finden
nun dieses durchaus nicht, sondern erkennen in dieser spätem Hinschie-
bung eine Notwendigkeit für unsern Dichter, der gerade mit ihr in so
trefflich gelungener Weise eine Lücke ausfüllte, die in dem ersten Faust-
fragmenle vorhanden war. Der Herr Verf. sagt S. 320: „Offenbar wollte
er (Göthe) die Schande, welche die Schuld Gretchens über ihre ganze
Familie bringe, uns in dem lebhaft bewegten Bilde Valentins schildern*
aber, wenn er diesen nun durch Faust fallen Iasst, und zwar ohne des-
sen Schuld, so steht dicss mit Gretchens Sünde in gar keiner innern Ver-
bindung. u Er weist auf Widerspruche hin und setzt noch bei: „Auch
wird die schöne Steigerung am Brunnen, im Zwinger und im Dome durch
diese Einschiebung sehr unangenehm gestört.- Also der Zusammenhang
und die Steigerung sollen durch die Meisterscene von Valentin ver-
lieren? Will denn der Dichter nur den Seelenzustand Gretchens, will
er nicht auch den Faust 's schildern und ist es nicht vortrefflich ge-
wählt, dieses gerade in dem meisterhaften Contrasto vor der Scene mit
dem bösen Geiste in der Domkirche auszuführen? Allein wir wollen
diese Seite gar nicht berühren ; wir behaupten vielmehr, dass diese Scene
in dem schönsten Zusammenhange und in vollendeter Einheit in Bezug
auf die vorausgehenden und nachfolgenden Scenen auch in dem, was
Gretchen betrifft, stehe. Göthe schildert uns in der Gartenscene die
Verführung Gretchens, in der darauf folgenden Scene am Brunnen
die ersten Gewissensbisse nach dem Falle, im Zwinger das erste Gebet
in der Noth, in der Scene des Valentin aber die äussern, hereinbre- ;
chenden Folgen des Vergehens, wie Valentin' • Rachesucht und seine .
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Dünlzer.* Göthe's Faust.
Ermordung dorcb Paust, den Fluch des sterbenden Bruders Über die
gefallene Schwester. Dann reiht sich an diese Darstellung der äusseren
hereinbrechenden Folgen des Vergehens unmittelbar die höchste Quaal des
Sclbstbewusstseins dieser innern und äussern Folgen im Gespräche (J ret-
chens mit dem bösen Geiste in der Domkirche an. Erinnert der böse
Geist nicht G reichen ausdrücklich an diese Folge ihres Vergehens, an
die Ermordung ihres Brnders Valentin durch den heiss geliebten Faust?
Deutet er dieses nicht ausdrücklich in dem Verse an:
„Auf deiner Schwelle wessen Blut?"
Aus den hier angedeuteten Gründen kann auch von keiner Aufhebung
der Steigerung die Kcde seyn. Die Scene des Valentin ist ergrei-
fender, als die mit ihr in innerm Zusammenhange stehenden Scenen am
Brnnnen und im Zwinger, und mit der ergreifendsten, der Scene in der
Domkirche, wird geschlossen. Die Stelle:
■
„Sind herrliche Lnwenlhalcr drein",
ist auch ohne die Erklärung S. 323, dass den Namen „Löwenthaler" eine
holländische Münze mit dem Gepräge eines Löwen führte, dass ihr Werth
einen Thaler, drei Groschen in Gold betrug und dass es auch halbe Lü-
wenlhaler von 17 Groschen an Werth gab, so wie, dass „drein" so viel
all „darein" und „darinnen1' sey, gewiss durch sich selbst verständlich.
Ebenso weiss gewiss Jeder, dass in den Versen:
•
„Thut keinem Dieb,
Nur nichts tu Lieb,
Als mit dem Ring am Finger" !
der Bursche bezeichnet werde, der, wie der Herr Verf. S. 324 sagt,
„das Mädchen um seine Unschuld bringen will. a So versteht es sieh
auch von selbst, dass Mephistopheles mit den Worten: „ Heraus mit eurem
Flederwisch"! scherzhaft Faust's Degen bezeichnen wolle.
Es bleibt noch sehr dahingestellt, ob der Dichter in den Worten
aaf dem Blocksberge:
., „Ich steige schon dreihundert Jahr1
Und kann den Gipfel nicht erreichen,
Ich wäre gern bei meines Gleichen**,
nach der Ansicht der Herrn Verf. (S. 340) an die Wissenschaft u ge-
dacht hat, „mit der es noch immer nicht recht vorwärts wolle1*, da seit
der sogenannten Wiederherstellung der Wissenschaften mehr, als dreihun-
dert Jahre, verflossen seien. Die Stelle:
„Ein Knieband zeichnet mich nicht ans",
bedarf weder einer Erzählung über die Entstehung* des Hosenbandordens,
noch einer Beschreibung desselben, wie sie S. 343 und 344 vOo dem
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Dünteer : Geithes Faust.
Herrn Verf. gegeben werden. Aach lässt sich wohl nicht rechtfertigen,
disi dem Dichter bei den Worten:
„Sie kann das Haupt auch unter'm Arme tragen",
wie der Herr Verf. (S. 350) sagt: „ Hiebei wohl der h. Dionysius
vorschwebte, welcher nach der Enthauptung seinen Kopf zwei Meilen weit
unterm Arm getragen haben soll.u
Anch im zweiten Theile finden sich solche Behauptungen and
Ansichten des Herrn Verf., denen Ref. nicht beistimmen kann.
Die Worte Güthe's im zweiten Theile, wie seine eigenen Er-
klärungen bei Eckermann, zeigen, dass er auf dem Maskenballe in Pin-
tos, dem Gotte des Reichtliums, den Schöpfer materieller Genüsse, im Knabe-
Lenker die Poesie, die Geberin der ideellen Freuden, schildern will. Wir
haben nach den gegebenen Andeutungen keine Ursache, mit dem Herrn
Verf. Bd. IL, S. 48 anzunehmen, da^s der „Begriff etwas allgemeiner zu
fassen" und unter dem „ Knabe-Lenker u die Kunst überhaupt „iu ver-
liehen sei." Dass durch die Feuerflammen auf dem Maskenballe der Dich-
ter nicht, wie Einige abenteuerlich genug wollten, die Julirevolution von
1830 andeute, hat der Verf. ganz richtig bemerkt; es sind aber wohl noch
andere Gründe dafür vorhanden, als der von dem Verf. S. 66 angedeu-
tete, dass „der Mummenschanz bereits im Jahre 1828 erschien."
Dass der im Jahre 1841 verstorbene Philosoph Johann Jakob
Wagner durch die baroko Behauptung, „ es müsse der Chemie noch ge-
lingen, organische Körper darzustellen, und Menschen durch Krystallisa-
fion zu bilden", wie es S. 119 heisst, unserem Dichter „die nächste Ver-
anlassung zur Einführung des Homunkulus" gab, ist sicher eine uner-
weisliche Behauptung; wohl aber hat er sie aus den Schriften des Pa-
ra cols us, namentlich aus dem liber de geaeralione rernm nuturalium
geschöpft, in welchem eine ausführliche Anleitang zur chemischen Ver-
fertigung des Homunkulus angegeben wird.
Sehr zu bezweifeln ist, dass der Dichter in den dem Mephisto-
p h e 1 c s in den Mund gelegten Versen :
„Das roüsslc mau mit neuestem Sinn bemeisteru,
Und mannigfaltig modisch überkleislern"
auf den zelotischen Eifer eines Neander (?) gegen die Naktheit der
alten Kunst spottend hindeutete (S. 134^). Das „Trailern" in dem Verse :
„Das Trailern ist bei mir verloren",
bedarf eben so wenig einer Erklärung, wie sie S. 141 steht, ab der
Nachveeifun* des Unterschiedes von „trällern." Wenn sich Proteus ei-
nen „ alten Fabler « nennt, ist nach dem deutlichen Zusammenhange der
Zusatz S. 195 unnöthig, dass er sich einen Fabler nenne, „ insofern er
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592
Düntier: Göthc's Fausl.
an (ollen Wundergebilden seine Freude habe, wie er denn selbst durch
wunderlichsten Gestaltenwechsel täusche."
Dass die Tele h inen die höhere Kunststufe menschlicher Bildung
darstellen (S. 197), ist eben so unerwiesen, als dass dieser Kunststufe
„noch die höhere Idealität fehlen soll", welche die Doriden (wie der
Verf. sagt) bezeichnen.
Wenn Göthe von „Höhlegrüften" spricht, bedarf es wohl der Er-
klärung (S. 201) nicht, dass der Dichter die Form „Hohlegruft e"
wie Eräeleben, Ellebogen ohne das vom Wohllaut geforderte N
brauche. So ist auch von selbst klar, doss Göthe den Faust in der
Rede, in welcher dieser den Lynkeus der Helena vorstellt, das Wört-
lein „statt" mit dem Genitiv und Dativ brauchen lüsst, wie der Hr. Verf.
S. 245 ausführt, noch viel weniger bedarf es der Bemerkung, dass das
erstere „richtig", d.i? «weite „nur mundartlich sei." So ist auch der Vers:
„Das Licht der Augen öberslach",
dnreb sich selbst zu verstehen ohne die S. 257 angeführte Erklärung:
„Ueberstechen bezeichnet hier das Ueberwältigen der Augen, die für ei-
nen solchen Glanz zu schwach waren" u. s. w.
Eine grosse Anzahl der Sacherklärungen des ersten und zwei-
ten Tbeiles findet sich in den frühern Erklarern des Faust. Nie führt
jedoch der Herr Verf. die Namen der Gewährsmänner an, die er in fei-
nem Commentare benützt bat, und doch bezieht sich diese Benützung nicht
nur auf Ansichten, sondern auf die Citate und die wörtlichen Stellen der-
selben, wie sie in frühern Erklarern vorkommen. Die abweichenden Deu-
tungen der frühern Erklärer glaubte (s. Vorrede S. VHI) der Verfasser
„Dickt übergeben su dürfen", wobei er, wie er sagt, „absichtlich, da es
nicht auf die Namen, sondern auf die Sache ankommt, sich der nament-
lichen Anführung enthielt." Ref. billigt die neuere Netbode durchaus nicht,
welche über Scbolaslicismus eifert, wenn man Citate gibt, und ihren wört-
lichen Inhalt anführt, oder auch genau die Namen der Gewährsmänner
aufzahlt Am allerwenigsten aber kann er dieses Uebergehen aller Na-
men der Gewährsmänner dünn billigen, wenn es sich nicht um Namen
abweichender Deuter, soudern solcher handelt, deren Forschungen man
benutzt, und als die eigenen hinstellt. Der Leser, der die frühem Arbei-
ten nicht kennt, wird dann leicht verleitet, fremde Forschungen für ei-
gene zu halten, weun nirgends auf das Buch hingewiesen wird, aus wel-
choni msu diü crliliirLntlcri Citotc und ilircri Infiolt ^csclioj)fl ^^llcr
dings sind auch Forschungen und Citate des Verf. diesen, aus andern benütz-
ten untermischt. Wer ist aber, solches zu sichten, im Stande, wenn nirgends
ein Gewährsmann angegeben wird? (Schlws folgt.)
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c ,.iC- A*t&fAt*> ^j «/.•cvV.V.-t: «<vv»« Ars* Ss> /i.
Hr. 38. ^ S HEIDELBERGER 185E
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Uftntzeri Gölhe « Faiut.j
Wir wollen zum Belege
anfuhren:
Eduard Meyer, 1847.
S. 63: Zuerst wendet Faust
seiner Beschwörung bei G ö th e das unter
der Benennung Salomonis Schlüs-
se) bekannte Zauberbuch an. Dieses
ursprünglich hebräisch abgefasste und
dem König Salomo fälschlich beige-
legte cabbalistische Zauberbuch ist in
vielen, von einander sehr abweichenden
Handschriften und Ausgaben vorhanden,
von denen Adelung, Geschichte der
menschlichen Narrheit, Thl. VI. S.332 ff.
sieüen lateinische, französische und deut-
sche beschreibt, und eine deutsche voll-
standig abdrucken liess. Diese erschien
unter dem Titel: Clavicula Salomonis
et theosophia pneumalica u. s. w. folgt
der ganze Titel. Das hebräische Ori-
ginal erschien im Druck sine loco et
anno. 48 S. 8.
Ebenso stimmeo auch Weber und Düntzer Ubereio:
(Schlnss.)
Behauptung hier einige Beispiele
Düntier, 1850.
S. 215: Dem König Salomo
ein schon dem Origenes be-
kanntes Zauberbuch beigeschrieben. —
Ein ihm untergeschobenes Zauberbuch
späterer Zeit erschien in hebräischer
Sprache ohne Angabe des Jahrs und
des Druokorts, . . . Ueber sieben Exem-
plare in lateinischer, französischer und
deutscher Sprache hat Adelung, Ge-
schichte der menschlichen Narrheit, VI,
347-457 berichtet.... In Deutschland
war am gesuchtesten die unter dem
Titel: Clavicula Salomonis et theoso-
phia pneumalica n. s. w. folgt der ganze
Titel.
Weber, 1836.
S. 86—88: Das Pentagramm... ist
das magische Zeichen, welches ent-
steht, wenn alle Seiten eines
regelmässigen Fünfeckes so
weit verlängert werden, bis
sich die Verlängerungen ein-
ander berühren. Es heisst auch
Pentalpba Den Pythagoräern
bedeutete diese Figur die Ge-
sundheit... Mit deutschen Na-
men heisst sie Alpen- oder Al-
fenfuss, Alpenkreuz und Dru-
de n f u s s . . . Indess i*t zu bemerken,
dass man auch eine zweite Figur mit
dem Namen Pentagramma bezeichnet,
welche aus zwei in einander ge-
Düntzer, 1850.
S. 221: Pentagramma oder Pental-
pba heisst die Figur, welche sich
dadurch bildet, dass man die
Seiten eines regelmässigen
Fünfecks verlängert, wo sich
zwei derselben durchschneiden.
. . . Uneigentlich wird mit dem Namen
Pentagramm auch die aus zwei in
einander geschobenen Drei-
ecken gebildete Figur bezeichnet. Im
Deutschen hat man fürPentagramm
die Bezeic hnungen Drude nfuss,
Alp- oder Alfenfuss, Alpkreuz.
Die Pythagoräer kannten das Zeichen,
das ihnen die Gesundheit be-
deutete.
schobenen Dreiecken besteht.
Am meisten hat der Herr Verf. aus E. Meyer benutzt. Was das
Stündchen vor Gretchens Thüre in der Valentinsscene betrifft, so hat
der Herr Verf. S. 323 und 324 nicht nur, wie E. Meyer, S. 81 und
82 auf Ophelias Gesang im Hamlet, Akt IV. So. 5 hingewiesen,
XUV. Jahrg. 4. Doppelheft. 38
Digitized by Google
564 Dünizer: Gnthe's Fault
sondern beide theileo zuerst das englische Original mit und dann den deut-
schen Text ,. in Schlegel'* Uebersetzung tt (Düntzer, S. 324, E.
Meyer, S. 81). Nach Düntzer S. 324 ist das Ständchen eine „freit
Nachbildung des von Ophelia gesungenen Volksliedes." Nach
E. Meyer, S. 81, ist es dem Gesänge Ophelias frei nachge-
bildet.« Die Anmerkung bei I) nutzer S. 324, dass „am Valentinstage
die Mädchen die lang schlafenden Burschen mit Ruthen aus dem Bette
heraus holen, wie diess in manchen Gegenden Deutschlands noch om
Fastnachtstage geschehe14, findet sich in gleicher Weise bei E. Meyer:
„In manchen Gegenden, z. B. in Holstein ist es noch jetzt Sitte, dass am
Fastnachtmonlag Früh Morgens die jungeu Mädchen mit Ruthen ihre
vertrauten Bekannten und Freunde aus dem Bette treiben. tt Ueber den
Ausdruck „Rattenfänger" in Valentins Rede steht
bei E. Meyer, S. 82: bei Düntzer, S. 324:
Der Ausdruck: „Rattenf ängertf Bekannt ist die Sage und das
erklärt sich aus der Sage vom Ratten- Volkslied vom Rattenfänger, der
fänger zu Hameln, der auch die Jugend die Kinder der Stadt Hameln dorch
durch sein zauberisch lockendes sein lockendes Saitenspiel nach-
Saiten spiel verrührte, und welchen zog. — GOthe selbst hatte in einem
Göthe in dem bekannten Gedicht dich- hinderballet die Sag« behandelt, aas
terisch dargestellt hat. der sich noch die bekante Romme
„der Rattenfänger- erhalten bat.
Man vergleiche ferner die Notizen Uber die Walpurgisnacht bei
Düntzer, S. 338ff. und E. Heyer, S. 86 ff. Man vergleiche aneb
die klassische Walpurgisnacht bei Düntzer Bd. II., S. 178 ff. und bei E.
Meyer S. 143ff.
Wir wollten mit der Anführung solcher Stellen, die wir
Beträchtliches vermehren können, and die sich in allen Theilen des
sehen Kommentars zeigen, den soostigen Verdiensten des Herrn Verf/e
nicht xu nahe treten. Unsere Absicht war nur zu zeigen, dass sehr Vie-
les von dem, was ausführlich in diesem Kommentar besprochen ist, sich
in den frühem Erklärern wiederfindet. Allerdings wird man bei einer
Forschung mehr oder minder auf frühere Untersuchungen zurück-
müssen. Wenn man dieselben aber so genau und ausführlich,
wie in dem Düntze r 'sehen Kommentare, benützt, müssen die frühe»
Arbeiten angegeben werden ; euch wäre es immer besser, auf früher Er-
forschtes kurz hinzudeuten, als dasselbe nochmals in ausführlicher Breite
wieder darzustellen. Wir hätten das Nennen der Gewährsmänner, welche
der Herr Verf. benutzt hat, um so mehr gewünscht, als e
o> frühem Erklarer keine besonders günstige Meinung hat, und
E.Meyer, den er übrigens im ganzen Werke, so zehr er ihn benützt hat,
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Düntier: Gothas Faust. 565
nirgends erwähnt, in An fange der Vorrede sagt: ..Auch E. Meyer not
neben vielem Irrigen, welches uns den Beweis liefert, wie sehr die Auf-
fassung des Einzelnen im Argen Liegt, einiges Nene beigebracht" Und
dennoch würde Kef. dem E. 31 o ye r' sehen Kommentare vor dem Dan t« er-
sehen den Vorzug geben. E.Meyer gibt in seinen „Studien zu Göthens
Fanstu eine Erklärung aller Ilauptt heile des ersten und z Weiten
Tneiles. Allerdings ist nicht, wie im Düntze r' sehen, selbst der ein-
zelne Vers erklärt; dafür ist aber auch das Bnch Concentrin er , gewahrt
eine bessere Uebersiobt, ond behandelt seinen Gegenstand anf 320 Seiten
in einem Bande, während das D nutzer1 sehe Werk mehr, als noch
einmal soviel Ranrn, 320 Seiten im ersten und 413 Seiten im zwei-
ten Bande, umfasst. Der Zusammenhang mit der Sage wird in der Ein-
leitung und in einem besondern Abschnitte über Gothel Bearbeitung der
Faustsage von E. Meyer ebenfalls behandelt. Zudem bat das Werk un-
geachtet seines massigen Umfangs Mebreres, was sich in dem Düntz er-
sehen nicht linde t. Wir rechnen dahin die Chronologie der Göt be-
sehen Bearbeitung des Faust, die Sammlung der auf den Faust be-
züglichen Stellen aus Göthens Werken, seinen Briefwechseln, den Ge-
sprächen mit Eckermann und Falk, aus Riemer's Mittheilungen n. s. w.
die zwar Hr. Dr. Diintzer benutzt hat, die aber nirgends so, wie bei
E. Meyer, ganz zusammengestellt sind, das alphabetische Register zu den
Erläuterungen, das die Benutzung derselben sehr erleichtert, und in dem
Btintze r 'neben Werke fehlt. Gerne erkennen wir übrigens den Fleiss
nnd die Sachkenntniss des Herrn Verf. an, und wünschen, dass er unsere
wohlgemeinten Winke bei einer etwaigen neuen Bearbeitung benützen
möge. In diesem Falle wird sein Werk zwar kürzer, aber dennoch nütz-
licher und brauchbarer werden. Das Werk eines Dichters, der einem le-
benden Volke angehört, bedarf keines Kommentars in der Form der Kom-
mentare der alten Klassiker. Nichts ist dem Leser unangenehmer, alt,
wenn man ihm Dinge erzählt, die sich von selbst verstehen, nnd die ihm
beim Lesen des Dichters viel lebendiger und mit tieferer Eindringlichkeit
vorschweben , als sie nur die Paraphrasen selbst des besten Commentt-
tors verdeutlichen können. Reiclilln Melsle**.
■ ■ ! . •
f . ... « » .
■
Quellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte, Literatur und
Kunst. 1849. Mit 7 Kunstbeilagen. Wien. W. Braumiiller. 4. 521 S.
• - . . . . . ' •
Mit den Anschauungen des sogenannten Metternich sehen Systems
vertrug Gerehichtspflege sich so wenig, dass man nicht bloss Nichts für
38*
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566 Quellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte.
ihre Förderung von oben that, sondern auch die Bestrebungen Einzelner
aos dem Volke mit Misstrauen ansah und sie erschwerte. So kam es,
dasa seit dem Jahre 1820 die Thütigkeit in diesem Fach fast ganz er-
losch, bis endlich die Hofkanzlei, überrascht von dem voll stand igen Ver-
siegen aller literarischen Strebsamkeit in den Provinzen, diese zu einer
neuen Beteiligung förmlich aufforderte, in Folge dessen die verschiede-
nen Provinz-Museen von den Landständen erschaffen wurden.
In der Metropole des österreichischen Staats , wo die Stände nichts
fUr solche Zwecke thaten , erhielt sich trotz der Ungunst der Zeit und
der Umstände ein sehr schätzenswerter Geschicbts - Diiletantismus , dem
die Verhinderung gänzlichen Erlöschens des schwachen Flammchens um
so mehr zu danken ist, als er wegen der vorherrschenden materiellen
Richtung auch vom Volke nicht beachtet oder anerkannt war. Ein Pro-
dukt dieser Privatthätigkeit, für welche zwölf Gleichgesinnte sich verban-
den und wöchentlich einmal „um den Krug«, der einzigen damals mög-
lichen literarischen Vereioswesenform sich versammelten, ist das über-
schriftlich genannte Werk, welches in neun geschichtliche und kunstge-
schichtliche Abhandlungen, mit Beilagen und fünf Tafeln von Abbildun-
gen, zerfällt.
. i Sie beginnen mit „Zehn Gedichten Michael Beheims zur
Geschichte Oesterreichs und Ungarns« von Karajan raitge-
theilt und geschichtlich und sprachlich von ihm erläutert. Neun dieser
Gedichte sind aus der Heidelberger — das zehnte aus einer Münchner —
Handschrift genommen, und, um sie zur geschichtlichen Benützung be-
quem und brauchbar zu machen, ist ihnen eine Inha Iiszusammenstellung
mit Erläuterungen vorangeschickt, wofür besonders hinsichtlich der Per-
sonen- und Ortsnamen, deren richtige Bestimmung unverkennbar sehr
schwierig war, Herrn Karajan sehr zu danken ist. Obgleich der Werth
von Reimchroniken ein untergeordneter ist, so macht doch Michael Be-
heim eine so bedeutende Ausnahme, dass die von Karajan veranstaltete
Herausgabe seines „Buches von den Wienern«, wozu die erwähnten nach-
träglichen zehn Gedichte eine schätzbare Zugabe bilden, als eine nunmehr
völlig erschlossene Hauptquelle für das Zeitalter Friedriche III. (IV.) zu
betrachten ist, denn die Benützung dieses Geschichtswerkes war so lange
nur eine halbe, bis Karajan dessen Verstand niss ganz erschlossen hatte.
Von Franz Firnhaber ist Vicenzo Guidoto's Gesandschaft
am Hofe Ludwig's von Ungarn 1523 bis 1525 mitgetheilt —
Guidoto, Staatssekretär der Republik Venedig, wurde nach Ungarn ge-
schickt, um bei den damaligen, die unglückliche Schlacht von Mohacz
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Quellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte. 567
grösstenteils verschuldeten Partheistrebungen der ungarischen Grossen,
eine beobachtende Stellung einzunehmen. Seine von H. Firnhaber in ita-
lienischer Sprache veröffentlichten Berichte, denen er eine geschichtliche
Einleitung vorangeben liess, ergänzen und berichtigen die Geschichte die-
ses Zeitabschnittes wesentlich, doch ist sehr zu bedauern, dass ihnen die
Angaben der von diesem scharfsichtigen Venezianer gewiss genau beob-
achteten Umtriebe der Partei des Woywoden Zapolya, dem K. Ferdinand
das Unglück von Mobacz uod K. Ludwig's Tod beinahe ausscblieasend bei-
misst, abgeben. Das „Gültenbuch des Schottenklosters in Wien
vom Jahr 1324, zum erstenmale herausgegeben von Fr. Goldhann",
ist, wie acbon der Titel weiset, für die Geschichte Wiens und seiner
Adels- und Bürgergeschlechter von vielem Werl he, den das dazu von
Karajan besorgte Register gar sehr erhöbt. Demnächst folgen von
H. Franz Birk: „Beiträge zur Geschichte der Königin Eli-
sabeth von Ungarn und ihres Sohnes Ladislaus, 1440 bis
1457." — Aufklärungen aus Urkunden geschöpft und nach allen Bezie-
hungen kritisch dnrchgearbeitet, bezeichnen diese Beiträge, denen wir bloss
einen grösseren Umfang gewünscht hatten, als eine der vorzüglichstes
Arbeiten dieser Sammlung. Was bis auf diesen Tag alle ungarischen und
alle oesterreichischen GeschicbUchreiber glaubten, dass nämlich die Köni-
gin — Wittwe Elisabeth - - die ungarische Reichs kröne, an deren Be-
sitz die noch heutzutage nicht erstorbene Idee der Herrschaft Uber Un-
garn geknüpft ist, dem Kaiser Friedrich verpfändet habe, macht Hr. Birk
durch den beglaubigten Nachweis verschwindeu, dass die Königin ihr*
Krone, mithin nicht die Reichskrone zum Pfände gab, auch bringt er über
den von Ladislaus Hunyad an dem mächtigen Grafen Ulrich von Cilli, den
letzten Sprossen seines Hauses begangenen Mord , bereichernde und be-
richtigende Aufschlüsse aus der Aufzeichnung eines Codex der Hofbiblio-
thek, während andere Dokumeote über die Verhaftung und Hinrichtung
Hunyad's, die bisher immer als ein abscheulicher Wortbruch uud Rache-
akt des Königs Ladislaus galt, ein ganz neues Licht verbreiten. Wir er-
fahren nämlich, dass die den Mord des Cilüers verschuldeten ungarischen
Edelleute, zu Ofen einen geheimen Bund, der gegen den König selbst ge-
richtet war, geschlossen hatten und seine Entdeckung die Ursache der
Hinrichtung des einen Hunyad's, der Gefangensetzung des andern und der
von 16 Mitverscbworenen geworden ist. — Ganz unbearbeitet war bisher
der Schwedenein fall in Oesterreich, obgleich er ein bedeutendes Moment
in der Geschichte des 30jährigen Krieges bildet. An diese dankenswerthe
Arbeit hat sich Herr Jos. Feil gemacht und eine aus vielen Quellen
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568 Duellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte.
gezogene Darstellung dieses Ereignisses, unter dem Titel: „Die Schwe-
den in Oesterreich 1645 — 1 646 u in der Snmmlang der Zwölf nie-
dergelegt Die Ausführlichkeit, sowie dos dazu benutzte reiche Matertale
machen diese Darstellung zur Grundlage für die österreichische Geschichta-
bearbeitueg oder für die des 30jiihrigen Krieges, in wie ferne die eine
oder die andere diese Partbie behandelt. Richtig bemerkt der Verf., dass
der Schwedeneinfall in Oesterreich wesentlich durch den Abgang schneller
und sicherer Nachrichten über die Operationen der Feinde ermöglicht war,
aber ihre Geringschätzung (heilte man doch nicht so allgemein, wie man
aus den von Feil beigebrachten Probco anzunehmen versucht sein könnte.
Andere Nachrichten beweisen, dass die Furoht vor den Schweden sehr
gross, man könnte beinahe sageu, eine hussitische war. Wann dessen-
ungeachtet schlechte Vorbereitungen zur Abwehr getroffen wurden, so
kommt diese zum Theil auch auf Rechnung der damaligen, den Ständen
überlassenen Landesvertbeidignng , der auch spater noch, nie ein richtiger
Plan zum Grunde lag. Statt die Streitkräfte zu concentriren und auf den
Einbruchspnakten aufzustellen , zersplitterte man sie in Schlösser — Be-
gattungen und Vertheisnngen an kleine, nicht baltbare Orte. Des Haupt-
kunitstück der Defension bestand in Verhauen, Graben und Erdwällen,
die, von vorangeschickten Spionen erkundschaftet, enl weder umgangen,
oder leicht bezwungen werden konnten. So kam es, dass nach der un-
glücklichen Schlacht von Jankau die Schweden durch Mähren widerstands-
los bis an die Donau und vor Wien durchdringen konaten. Wie diess
geschehen, wie ein Platz nach dem andern flel und die Schweden in den
eroberten Orten baussteo, welche Anstalten zur Vertbeidignag Wiens, des-
land gewesen wäre, getröffen wurden, und welchen Antheil dabei K. Fer-
dinand HL im Gegensatze zu der ihm unterstellten Furcht and Fanrlosig-
keit, gehabt, erzühlt der Verf., mit vielen einzelnen Zügen von Vater-
landsliebe und edler Aufopferung uns bekannt machend, quellenmassig und
ausführlich. Dabei bebt er aber auch der Wahrheit gemäss hervor, „dass
die vom Kaiser schleunig veranstaltete Wiederaufnahme der Fried eusun -
terbandlungen mit Ragoczy , allein es war, welche Torsten s-
**n*s Siegeslauf in Oesterreich dämmte, und Wien vor
den Schweden rettete. — Karl von Sava gab Bemerkungen
Aber Waffen, Rüstung und • Kleidung im Mittelalter, die
grösstenteils den Siegeln der österreichischen Hegenten entnommen tind,
zu den ältesten bekannten zurück- und bis Maximilian I. hinüber reiche 3,
ein Zeitraum von 1066—1493, in dem in Beziehung auf die Wappen
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Qnellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte. 569
des Landes und der Fürsten von Oesterreich grosse Dunkelheiten liegen.
Je weniger auf diesem Gebiete in neuester Zeit geleistet worden — die
Akademie der Wissenschaften bat es unseres Wissens bisher nicht betre-
ten — desto anerkennenswert her ist Hrn. Sava's Leistung, der nebst
jorgfaltiger Benützung des Vorhandenen, auch aus seiner eigenen Samm-
lung bei dieser Arbeit schöpfte. Das beigefügte Verzeicbniss der bisher
bekannten Figurensiegel der österreichischen Fürsten bis Friedrich IV.
glauben wir mit zwei im Meraner-Archive befindlichen Reitersiegeln Ri-
dolpb's IV., deren eines bloss ein wenig durch einen Abguss gelitten,
vermehren zu können, und bemerken zu müssen, dass wir Herrn Sava'e
Meinung, mit dem Tode Friedrichs IV. sei die Stempelsobneideknnst gänz-
lich verfallen, nicht ganz t heilen können, denn eine bedeutende Anzahl
von Siegeln Max I., Ferdinande I. and Kirfs V. überzeugte uns, dass
dieser Kunstzweig noch geraume Zeit fortbluhte. — Ein Bericht über
drei Holzschnitte aus einer Handschrift des XV. Jahrhun-
derts zn Brünn-, von Adolph, Rittor von Wolfskron, die Drei-
einigkeit, den hl. Wolfgang und die Jungfrau Ilaria vorstellend und durch
die beigefügten Abbildungen anschaulich gemacht, beansprucht für das AU
ter des Ersten das Ende des XIV. oder höchstens den Anfang des XV.
Jahrhunderts, und eignet ihn der deutschen Kunstschule zu, wahrend das
Alter des zweiteu Blattes zwischen 1400—1425, und des dritten um
1435 bestimmt wird. Kunstkenner mögen entscheiden, ob diese Alters-
bestimmungen, deren eine die Jahreszahl 1418 und 1423 der beiden be-
kannten ältesten Holzschnitte überragen würde , gerechtfertigt seien, und
dabei nicht übersehen, dass das Datum des Missale, auf dem diese drei
Holzschnitte aufgeklebt sind, 1435 ist. Von den beiden letztern Blattern
gehören, meint Hr. v. Wolfskron, das eine, nämlich St. Wolfgang, der
böhmischen Schule an, das andere, die gekrönte Himmelskönigin aber
eignet er einem italienischen Meister zu. Ob unter „Schule" nicht bloss
ein böhmischer Heister zu verstehen sei, und ob überhaupt die Annahme i
das erste und zweite Blatt seien ganz einfach Erzeugniss eines Form-
schneiders von Brünn, nicht etwa annehmbarer sei, wollen wir un erörtert
rossen, und bloss bemerken, dass die Foroischneidekunst sich frühzeitig
und selbständig in Oesterreich entwickelt zu haben scheint, denn in der
Anwendung auf Petschafte, die in Ebenholz geschnitten wurde», war sie
schon im Jahr 1061 in österreichischen Abteien da, und da wir ausser-
dem in dem dracbentödtenden heil. Michael auf der Kupferblatte eines
Evangelienbucbes zu St. Wolfgang in Oberösterreich ein Grabstichel-
erzeugniss mit vier Zeilen Umschrift besitzen, dessen Alter in das
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570
Quellen und Forschungen rar vaterländischen Geschichte.
zehnte Jahrhundert hinaufrtickt und dessen deutschen Ursprung Mass-
mann und Kngler bestimmt aussagen, so deuten diese Erscheinungen auf
eine mehrseitige, mit dem Holzschnitte in naher Verwandtschaft gestan-
dene Kunstpflege in Oesterreich, die von da fast wahrscheinlicher nach
Mähren gedrungen, als von Böhmen dahin gekommen sein wird. — Un-
tersuchungen des Hrn. Heinrich Glax: „Ueber die vier Ausgaben
der geschichtlichen Vorstellung der Ehrenpforte K . Ma-
ximilian^ L, von Albrecht Dürer", werden das Interesse der Kunst-
historiker um so gewisser anregen, als Herr Glax zeigt, dass die kritische
Erkenntniss von diesen verschiedenen Ausgaben seit Bartsch um nichts
vorwärts geschritten ist. Nachdem er Angaben der Deutschen und der
Engländer geprüft und berichtigt hat , schreitet er sodann zur Beschrei-
bung von verschiedenen selbständigen Druckausgaben dieser Vorstelluogeo,
die ihm durch einen glücklichen Fund und mehrseitige Unterstützungen
zukamen. Seine Frage: Sollten die historischen Vorstellungen der Eh-
renpforte mit ihrem Titel und ihren Ueberschriften nicht als eine Auto-
biographie Maximilian^ in Bildern anzusehen sein ? möchten wir unbedenk-
lich mit Ja beantworten, da die Benützung der Wissenschaft nnd Kunst
und ihrer Träger zur Selbst Verherrlichung als ein bestimmter Zug im Cha-
rakter dieses klugen Fürsten hervortritt. — In der Abhandlung: „Die
Kunstdenkmale des Mittelatte rs zu Maria-Laach und zu
Eggen bürg in Unte rösterreit' Ii u, machen wir Bekanntschaft mit
mehreren mittelalterlichen Baudenkmäleru, und in den Kirchen beider Ort-
schaften mit zwei Werken der Holzschneidekunst, nämlich mit zwei Flü-
gelaltaren, von denen der Laacher einen besonderen Kuustwerth zu ha-
ben scheint. Sehr wahrscheinlich waren sie bisher ganz unbekannt, denn
es ist eben so eigenthumlich als unbegreiflich, dass dem Kronlande Nic-
derösterreieb wie von flüchtigen Touristen so von leidenschaftlichen Künst-
ln d Altertbumsforschern, immerfort die allergeringste Aufmerksamkeit ge-
widmet wird. Einen bedeutenden Schuldtheil an dieser Yersäwnniss trägt
unstreitig der Abgang eines historischen Vereins für Niederöslerreicb, denn
zum Auffinden, Sammeln und Benützen historischer Denkmäler, ist ein
mehrfaches und planmässiges Zusammenwirken erforderlich» Uebrigens be-
weisen die von Herrn v. Sacken entdeckten Flügelaltäre, dass die Holz-
schneidekunst in Oesterreich einst blähend, und über alle deutseben Pro-
vinzen verbreitet war, denn in allen ßnden sich solche FlQgelaltare , von
welchen, wie es scheint, bloss ausnahmsweise zwei ganz in Thon gear-
beitet sind. Die Frage: ob die Gemälde auf den Flügeln der Schreine,
welche gewöhnlich die geschnitzte Hauptvorstellung der Altäre vertchlies-
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Wilbelmi: Geschichte der Abtei Sunnesheim.
leo, Erzeugnisse des nämlichen Meisters seien, der das Schnitzwerk her-
stellte, wird von Herrn v. Sacken bei Mem Laacher-Altare verneint, aber
bei anderen derartigen Produkten richtig beiaht, denn uns hat ein auf-
gefundner mit dem berühmten Pacher von Brunneck wegen Herstellung
eines solchen Altars geschlossener Vertrag belehrt, dass dieser ausgezeich-
nete Künstler Bildhauer und Maler war. Hieraus erkannten wir auch,
dass derlei gewöhnlich sehr kostspielige Kunstprodukte nicht bloss in Be-
ziehung auf den Preis, sondern auch auf die Vorstellungen bedingungs-
weise zu Stande kamen. Man darf daher nicht glauben, dass die Ideen-
conception jederzeit vom Künstler ausging, denn es sind uns mindestens
zwei Beispiele bekannt, die darthun, dass in allen Stücken eine genaue
Vorschrift von Denjenigen gegeben wurde, welche solche Kunstwerke an-
fertigen Wessen .
Wir scbliessen diesen Bericht über die Erstlingsfrucht der Thatig-
keit dieser zwölf Geschichtsfreunde mit dem Wunsche, dass die Fort-
setzung nicht wegbleibe, zumal der Zeitenwechse) den auf so ehrenwerlhe
Strebungen gelasteten Druck behoben hat und die vermiete Anerkennung
schaffen wird. JH# §4.ocli*
•i
Geschichte der vormaligen freien adeligen Benedictiner - Abtei 5un-
nesheim ton Karl Wilhelm*, er. prot. Stadtpfarrer und Decan
in Sinsheim, Bitter des Ordens rom Zähringer Löwen und Direc-
tor der Sinsheim er Gesellschaft zur Erforschung der vaterländi-
schen Geschichte der Vorzeit etc. Sinsheim, 1851 (iU Seiten
in gr. 8. und XVI S. Titel, Vorrede und Inhaltsvei'zeichniss.)
Diese Geschichte, welche den XHI. Jahresbericht der Sinsbeimer
antiquarischen Gesellschaft bildet, ist die Frucht vielfältiger und vieljähri-
ger Studien; und wir erlauben uns, selbst die Aufmerksamkeit auf die-
selbe zu lenken, damit sie nicht unter der Zahl so mancher leichten Ar-
beiten ähnlicher Art verschwinde. Und da war kaum ein anderes Land
Deutschlands reicher, theils an vor und bei dem Anfang der Reforma-
tion seit der alteren Zeit noch vorhanden gewesenen Collegial - Stiftern
und Manns- und Frauenklöstern aller Art, theils an seit dem Regierungs-
antritte des gut Katholischen Kurfürsten - Hauses Neuburg neu errichteten
Manns- uud Frauenklöstern, als die so überaus von Gott gesegnete kur-
fürstliche Pfalz am Kheine. Unter diesen Klöstern aber war eines der
ältesten und reichsten die freie adelige Benedictiner -Abtei
Sinsheim oder, wie sie ursprünglich in ihrer Stiftungsurkunde heisst,
Sannesheim*) ganz in der jetzigen grossherzoglich badischen Amtsstadt
*) D. i. Sunnonis villa, des Sunno Heim, Weiler oder Dorf.
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Wilhelm«: Geschichte der Abtei Sonnesheim.
Sinsheim auf dem später sogenannten Klosterberge. Zuerst befand sich
jedoch auf demselben bloss ein AÄgustiner-Kloster, welches schon
vor dem Jahre 1004 von dem berühmten Herzoge Otto von Kerntben,
dem Grossvater Kaiser Konrad's II, des Salikers, gestiftet worden ist.
Dieser war zugleich Graf in dem Wormaz-, Speier-, Nah-, Kraich- and
Elsenz- Gaue; und es stand das Augustiner - Kloster Sunnesheim in sehr
naher Beziehung mit dem Fränkischen Kaiserhause; ja, Alle von kö-
niglichem Stamme, welche man nach ihrem Hinscheiden
nicht nach Speier bringen wollte, wurden gemeiniglich
nach Sinsheim gebracht. Namentlich hatten daselbst Wolfram, einst
Herr über die Grafschaften des Eisens-, Enz-, Kraicb- und Pßnzgaues,
und seine Gemahlin Azela, eine Tochter Kaiser Heinrich^ III und Schwe-
ster Kaiser Heinrichs IV, sammt ihrer, bis auf einen Sohn und eine Tochter,
dabin gestorbenen Familie in jenem Kloster ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Dieser Sohn, Graf Johannes, hatte, kaum erst 27 Jahre alt, von
seinem kaiserlichen Oheime Heinrich IV die hohe Würde eines Bischöfe?
in Speier erhalten, war aber ein sehr kränklicher Herr, welcher seinen
frühen Tod vor Augen sab. Sehnlichst wünschte er, zu seinem Vater
und seiner Mutter und seinen übrigen Verwandten nach Sinsheim begra-
ben zu werden. Weil jedoch dasselbe nicht zu seinem Bisthum, sondern
eu dem Bisthume Worms gehörte, so vertauschte er sich Sinsheim und das
nahe Ronrbach gegen andere Villen vou dem Bischöfe zu Worms, hob
das Augustiner - Kloster bei Sinsheim in dem Jahre 1099 auf uud er-
richtete an dessen Stelle in dem Jahre 1100 eine freie adelige
Benedictiner- Abtei, welche er auf das freigebigste fundirte und
lumal in sieben Gauen mit den herrlichsten Gütern ausstattete, sowie mit
jeder Freiheit und Unabhängigkeit selbst auch von dem Bischöfe in Speier
begabte. Die Abtei Sinsheim sollte unter demselben nur, als unter einem
milden und gütigen Schirmherr stehen, der ihr, wenn es Noth thue, helfe
und rathe. Bischof Johannes liess zugleich auch das gcaammte K loste r-
gebnude ausbauen und mit einer Mauer umschiiessen, so wie für sich und
seine Familie in der erweiterten Kirche eine Crypta oder Gruft, d. L
■nierirdische Todtenkirche , errichten. Und da er wirklich schon vier
Jahre hierauf, in dem Jahre 1104, starb, so ward sein Leichnam voi
Speier nach Sinsheim in die Crypta gebracht, in welcher er wohl jetzt
noch ruhet. Wir haben wenigstens keine Nachricht, dass je diese Crypta
Wäre später aufgefunden und geöffnet, und derselbe aus ihr genommen
oder zerstört worden.
Die freie adelige Ritterabtei Sinsheim aber blühte anfänglich berr-
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Wilhelmi: Geschichte der Abtei Sunncsheim. 573
heb, selbst such in wissenschaftlicher Thatigkeit, auf. Ihr erster Abi,
Adelgerus, Hess sehr ?ie!e Bücher (Handschriften), zum Nutaeu seines
Klosters fertigen. I n d unter dem zweiten Abte, Eggenhard, gediehen
die Studien so sehr, dass sich in demselben filitnner bildeten, weiche es
vor Vielen verdienten, auch Vorsteher in andern Klöstern zu werden«
Und indem nun der Abt Harquard in dem hochberühmten Beeedictiner-
Kloster Lauresham, eioer unmittelbaren Reichsprälatur, in dem Jahre 1173
starb, so wählten, auf den Rath des König Konrad's 1U selbst» die Bru-
der desselben einstimmig den Heinrich aus dem Kloster Sinsheim zu ihrem
Abte, als einen Mann, in dem sich alle Tugendeu vereinten. Und dieser
bewährte sieb wirklich als Abt von Lorsch so herrlich, dass er von dem
Papste Victor nicht nur ein ßelobungschreiben, sondern auch eine Infel,
eine für die Aebte damals noch ganz ausserordentliche Hauptzierde, und
ein Breve erhielt, welches ihn für würdig erklärte, solche zeitlebens zu
tragen. Doch die guten Zeiten änderten sich für unsere Abtei sehr, als
das grosse Schwäbische Kaiserhaus Hohenstaufen in seinem schwere«
Kampfe gegen die Papste zuletzt unterlag. Der Krieg Konrad's IV, des
Schwaben, mit seinem Gegenkaiser Wilhelm von Holland zog sich in dem
Frühjahre 1251 selbst bis in die Pfalz am Rheine; und das hohe Elend,
welches dieselbe damals traf, fühlte auch die Abtei Sinsheim auf das
schmerzbehste. Iure grossen Einkünfte reichten nicht mehr zur Bestrei-
tung ihrer noch grössern Lasten hin. Die Schulden häuften sich immer
höher; und der Abt Heinrieb und sein Convent sahen sich genöthigt,
bianen sechs Jahren, von 1248—1253, sechs herrliche Güter jenseits des
Rheins: All heim. Bebiugeo, Wepheim, Buhel, Geinheim und Vischeliogen,
ihrer Schulden wegen zu verkaufen. Die Zeiten wurden selbst noch
fttrchterUcber unter dem Herzoge Richard von Korn-Wallis und dem Kö-
nige Alpbons dem Weisen von Kastilien, bis endlieh die Fürsten in dem
September 1273 tu dem lapfern Grafen Rudolph von Habsburg wieder
ein tüchtiges Reicbsoberhaupt erwählten. Nun ging es zwar der Abtei
wieder besser; allein jetzt erhob sich ein langer Zwist zwischen dersel-
ben und der Stadt Sinsheim. Diese war ihr untertban, und der Schutf-
üeiss, der Bürgermeister und der Rath aus zwölf Richtern, welche der
der Stadt vorstanden, waren ächte Hübner der Abtei und mussten einem
jeglichen Abte oder Vormunde des Klosters Huldigung und Gelübde tbuu
und schwöre«, gleichwie Lehensleute ihren Lebensberren ; und die Stadt
strebte, sich endheb frei und von der Abtei unabhängig zu macheu. Zu-
mal war der Abt Eberhard von Gemmingen, 1335 — 1365, ein stolzer
Hann, der sich „von Gottes Gnadenu schrieb und ungern nachgab; und
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576 Wilhelm! : Geschichte der Abtei Sunnesheim.
war der Abt Siefrid von Venningen, von 1429 — 1456, ein strenger
Herr, welcher seines Klosters alte Rechte festxnhalten strebte. — Doch
den weltlichen Geist der Secularisation, der immer mehr in die schon für
die damalige Zeit nicht mehr passenden Klöster, und aueh in ihr Kloster
gewaltig eindrang, vermochten auch jene beiden Aebte nicht abzuwehren.
Den Vorgängen des Klosters St. Alban bei Mainz und der so nahen ond
ihnen so befreundeten Benedictiner in Odenheim folgten in dem Jahre
1496 auch der Abt Michel von Angelach, der Prior Konrad von Habera
und der ganze Convent des Klosters bei Sinsheim und veränderten auch
ihr geistliches Kloster in eine weltliche Collegiat- und Stifts-
kirche, in welcher nun der Abt zum Propste (praepositus), der Prior
zum Dechanten (decanns), und der Convent zum Capitel, sowie die Mönche
zu Canonikern wurden. Es hiess unser Kloster nun das freie ade-
lige Collegiat-Stift.
Der Hauptzweck dieser ganzen selbstsüchtigen Translation war nicht
nur der unumschränktere Lebensgenuss der in dem Stifte Wohnenden selbst,
sondern duss auch die adeligen Familien in diesem Stifte Präbenden er-
hielten und eine Anzahl Söhne versorgen konnten. Denn es bestanden
ausser der Propstei und dem Decanate acht weltliche Canonicate oder
Domherren-Stellen und zehen geistliche Vicariate. Doch selbst auch da-
bei blieb es nicht. Als Propst folgte dem Michel von Angelach allein
nur noch Georg von Heimstatt, um 1502. Dieser brachte vollends das
Collegiat-Stift um seine Ehre und Selbständigkeit. Denn weil er zu be-
merken glaubte, dass von den Einkünften des Klosters all zu viel von
der Präpositur an sich genommen werde, so bewirkte er, in dem Jahre
1514, bei dem Papste Leo X eine Bulle, dass nach seinem Tode die
Stelle und Würde eines Propstes ganz aufhören und nur noch ein De-
chant oder Decan das Haupt dieses ritterlichen Stiftes sein sollte. Also
wurde auch in dem letzteren der neue reformatorische Geist immer mäch-
tiger. Das nahe Heidelberg war bereits, seitdem der vortreffliche Kur-
fürst Philipp der Aufrichtige regierte, der Sammelplatz der ausgezeichnet-
sten Geister Deutschlands, und daselbst hatten frei forsebeude gotterleoch-
tete Theologen zu lehren begonnen. Und nun hielt vollends daselbst auch
Luther in dem Jahre 1518 bei den Augustinern eine Disputation. Diese
regte nicht nur viele Geistliche weit umher auf, sondern auch Viele von
Adel, besonders gerade in dem Kraicbgaue, nahmen an dem hohen Werke
der Reformation den lebendigsten Antheil. Und als nun Georg von Heim-
st« tt in dem Jahre 1532 starb, so Hess man in dem Stifte Sinsheim die
Präpositur wirklich aufhören, und war Erasmus von Habern der erste
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Wilhelmi: Geschichte der Abtei Sunneaheim.
Dechant, welcher als Oberhaupt dem ritterlichen Collegiat-SÜfte vorstand.
Dasselbe kam nun immer mehr in ein gänzliches Abhängigkeitsverhältnis*
vod dem Bischöfe in Speier. Das einst so freie Kloster konnte ohne
dessen Erlaubniss gar nichts mehr thun. Dazu folgte auch noch dem
Erasmus von Habern, in dem Jahre 1542, der schwache, der Sinnlich-
keit und dem Wohlleben so sehr ergebene Decan Wernherr Nothaff von
Hobemberg, unter welchem bei den Stiftsberrn das schwelgerische und
lasterhafteste Leben noch immer mehr zuuahm. Sie führten sammt ihrem
Decaoe einen uncbristlichen, unadeligen, verbotenen und sträflichen Wan-
del, besonders mit Concubinen und schlechten Frauenspersonen, und üb-
ten zugleich die schlimmste Oekonomie, des Stiftes Güter und Gefalle
sündhaft und unnütze mit diesen leichtfertigen Weibsleuten verschwendend,
während gerade damals die weiseste Sparsamkeit um so nöthiger gewe-
sen wäre, als indem grosse Hulfs- und Kriegsgelder, Türkensteuer und
nicht minder Landsteuer auch von dem Stifte bezahlt werden mussten und
dasselbe schwer drückten. Dabei huldigte schon der Kurfürst bei Rheine
Friedrich II, der Weise, der evangelischen Lehre ; und schon auf Weih-
nachten 1545 wurde das heilige Abendmahl in der Schlosskirche zu Hei-
delberg von der Kurfürstin Dorothea und dem Hofe, so wie am 3. Ja-
nuar 1546 in der Hauptkirche zu Heidelberg, in der zu dem heiligen
Geiste, unter beiderlei Gestalt genossen. Und wenn auch Friedrich II aus
Furcht vor der Nacht des Kaisers Karl V auf der betretenen Bahn nicht
weiter fortschritt und dem so sogenannten Augsburger Interim in dem
Jahre 1548 beitrat, so sahen sich doch der Dechant und das Capitel zu
Sinsheim in dem Jahre 1553 genöthigt, in Johann Diedenhöffer den er-
sten evangelischen Pfarrherrn für die Stadt Sinsheim anzunehmen. Dazu
olgte dem Kurfürsten Friedrich II, in dem Anfange des Jahres 1556,
OUo Heinrich, der Grossmüthige, welcher sich längst zu der Augsbur-
ger lutherischen Confession bekannte und in der Kurpfalz das Interim und
die katholische Lehre abschaffte, und diesem, in dem Anfange des Jahres
1559, der Kurfürst Friedrich III, der Fromme, welcher die von dem
letzterm begonnene Reformation vollkommen vollendete. Friedrich in, der
in allen geistlichen Lehren selbst so wohl Unterrichtete, hatte einen wahr-
haft religiösen und streng sittlichen Charakter, und nichts war ihm mehr
zuwider, als das gottvergessene unsittliche Leben, wie es in den meisten
der bei seinem Regierungsantritte in der Kurpfalz noch so zahlreichen
Klöster, und zumal auch in unserem ritterlichen Adelsstifte Sinsheim herrschte.
Schon sein Vorgänger und er hatten durch den Kirchenrath die Herren
auf unserm Stifte wiederholt aufgefordert, „die Abgötterei und das un-
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Wilbelmi: Geschichte der Abtei Sunncaheim.
züchtige unadelige Leben und Wesen" abzuschaffen. Allein Alles war
umsonst gewesen. Also ritt der Kurfürst Friedrich III selbst im Jahre
1565 den IG. April Montags nach Palmarum nach Sinsheim, als wohin
er auch verschiedue seiner geistlichen und weltlichen Käthe beschieden
hatte, und weil der Dechant und sein Cnpitel auch jetzt sich der kur-
fürstlichen Religion und Kirchenordnung und der Cnpitulation, welche der
Kurfürst in seiner eigenen Gegenwart setzen liess, durchaus nicht unter-
würfen, sondern alle Forderungen des Kurfürsteu an sie beharrlich von
sich abwiesen; so sandte der Kurfürst an dem 5. Juli 1505 Räthe und
Befehlshaber auf das Stift, welche, dasselbe einziehend, dem Decane einen
schriftlichen Abschied einhändigten, alle übrigen Stiftspersonen, welche die
Capitulation, die sie ihnen nochmals vorlegten, nicht annahmen, fortschick-
ten und alle Rechnungen, Schlüssel, Vorrat he eto. in Besitz nahmen. Zur
Verwaltung aber der Stiftsgefulle wurde ein eigner Sc hall n er eingesetzt.
Die aus dem Stifte Verlriebuen, welche schon in demselben, als
Ohne höhere sittliche Eiuigung, bei ihrem wüsten Leben mit ihrem De-
cane zerfallen waren und in Zwietracht gelebt hatten, trennten sich nun
von demselben. Von ihnen gänzlich verlassen, kam er in das tiefste
Elend, so dasa er zuletst noch in dem Jahre 1568, in dem er starb,
seihst zu Kurplatz seine Zuflucht nehmen musste. Die übrigen Stifbuerrn
begaben sich zu dem Bischöfe Dietrich von Bettendorf in Worms, wel-
cher 37 Jahre lang Chorbruder in dem Kloster Sinsheim gewesen und
uun das Haupt und die Zuflucht dieser Vertriebenen war. Er that mit
ihnen Alles, was man vermochte, die Wiederherstellung ihres Stiftes bei
dem neuen Kaiser Maximilian II zu bewirken. Sie halten auch schon den-
selben ganz für sich gewounen, so dass der Kaiser auf seinem ersten
Reichstage, welchen er in dem Jahre 1500 in Augsburg hielt, an dem
14. Mai durch seinen Reichsvicekanzler ein Decret gegen den Kurfürsten
ablesen liess, in dem er ihn des Aergsten bedrohte, wenn er nicht das
Stift Sinsheim in seinen vorigen Stand setze und den Stiftsherren nicht
der erlittenen Schäden gebührenden Abtrag Ihue. Die ganze Reiensver-
sammluug fühlte sich mächtig ergriffen. Aber da erhob sich der Kur-
fürst Friedrich III und verthcidigle selbst seine Aufhebung des Stiftes
Sinsheim mit solcher Kraft und Glaubenszuversicht, dass er alle Seelen
der Anwesenden bewältigte und Niemand ihm genügende Einwendungen
zn machen vermochte. Der Kurfürst von Sachsen, der ihm keineswegs
sehr hold war, trat dennoch sogar zu ihm und sprach, indem er ihm
sachte auf die Achsel klopfte: „FriU, du bist frömmer, denn wir Alle.*
Das Uerz des Kaisers selbst wurde gegen den Kurfürsten wie umgewen-
det, ja mit allen Gnaden und Freundschaft demselben wohl gewogen. Der
ganze Reichstag zu Augsburg brachte den Gegnern des Kurfürsten eicht
die mindeste Fracht. Und ebenso waren alle Bemühungen derselben, so
lange der Kurfürst lebte, auf allen andern Reichs- und Fürsienlagen um-
sonst. An die Stelle des Dekaus Wernher iNothaft wurde zwar noch zu-
erst, in dem Jahre 1508, Jobann Chuno von Mürsheim und dann, nach
dessen Tode, in dem Jahre 1572, der für die Herstellung des Stiftes
so überaus thalige Philipp Christoph von Sötern zum Decane gewählt;
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Wübelmi: Geschichte der Abtei Sunnesheim.
allein aach diese richteten Nichts aus. Und als der Kaiser Maximilian II
uod der Kurfürst Friedrich III in demselben Monate und nur 14 Tage
voa einander, am 12. und 26. October 1576, verschieden; so ward den
Vertriebenen des Stiftes Sinsheim auch weder bei dem neuen Kaiser Ru-
dolph II, noch bei dem neuen Kurfürsten Ludwig VI von Kurpfalz die
io lange erstrebte Hülfe. Und da endlich auch der Bischof Dietrich von
Bettendorf in Worms in dem Anfange des Jahres 1580 starb, so brach
mit dessen Tode die letzte Stütze der Sinsheimer Stiftsherren. Der Bi-
schof von Speier, obgleich ihr Ordinarius, halte sich derselben bisher auf
keine Weise angenommen und sorgte nicht einmal, dass an die Stellen
der auch mehr und mehr dabin sterbenden Vicarien und Cepitularen andere
gewählt wurden. So schlief mit ihnen die so merkwürdige Streitsache,
die so viele Jahre gedauert hatte, von selbst ein; bis zuletzt das Stift
Sinsheim auf eine ganz andere Weise, als man dachte und wollte, den--*
noch einmal wieder hergestellt wurde. t
Nachdem nämlich in dem dreissigjührigen Kriege die Beiern sich
der ganzen Pfalz und selbst Heidelbergs, iu den Jahren 1621 und 1623
bemächtigt halten, und als darauf auf dem Fürstontage zu Regensburg,
in dem Anfange des Jahres 1623, nicht nur der Kurfürst Friedrich V
der Kurwürde für verlustig erklart und diese dem Herzoge Maximilian von
Beiern übergeben, sondern auch zu Gunsten des Bischofes Philipp Chri-
stoph von Sötern in Speier, des Neffen uusers gleich benannten Decanes
Ton Sinsheim, ein Decret gegeben wurde, dass er alle diejenigen Lehen-
güter und Klöster in der untern Pfalz, welche zu seinem Bisthum gehör-
ten und biebevor gewaltthatiger Weise von der Kurpfalz eingezogen wor-
den seien, fürtershin bis auf fernere Verordnung administriren solle; so
stellte dieser Bischof von Sötern, der später auch Erzbischof von
Trier wurde, in dem April des Jahres 1623 das adelige Collegiat-
Stift Sinsheim wieder her. Ein Peter Ernst von Ouhren wurde
noch einmal zuerst nur Regens und dann, nachdem er durch die Schwe-
den in dem Jahre 1631 verjagt worden und bei der Schlacht bei Nörd-
lingen im Jahr 1635 nach dem Stifte wieder zurückgekehrt war, wirk-
lich Decan auf demselben. Allein das Stift kam unter ihm zu keinem
rechten Gedeihen mehr und schleppte sich mühsam in einem nur matten
Dasein dahin. Das Dom- oder Hocbstift in Speier und die ßaierische
Regierung in Heidelberg, welche das erste Mal den Peter Emst von Ouh-
ren das Stift in ruhigen Besitz nehmen Hessen, ja ihn bei dieser Besitz-
nahme sogar auf jede Weise unterstützten, stritten sich nach dessen zwei-
ter Ankunft mit einander um die Einkünfte des Stiftes und sachten so-
gar den Peter Ernst von Ouhren, obgleich derselbe von dem Pabste
selbst zum Decene ernannt worden war, wieder von dem Stifte zu
verdrängen. Dabei tobte der schrecklichste Krie« mit «ei-
nen greuelvollen Verheerungen fort und gesellten sich
tu denselben wiederholt Miss wachs, Theuerung, Hun-
gerstoth, Pest und die rothe und die weise Ruhr. — Nach
dem Schlüsse dieses so langen Krieges endlich kam die untere Pfalz am
ftheioe wieder an seine alten Fürsten zurück, und nahm der Kurfürst
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Wilhelmi: Geschichte der Abtei Sannesheim.
Karl Ludwig dieselbe, und auch das Stift Sinsheim wie-
der in Besitz. Als die Baiern an dem 5. Oktober 1649 aus Mann-
heim und Heidelberg and den andern Platzen der ganzen Unter - Pfalz
wieder abzogen , so verliessen auch der Decan Peter Ernst
von Ouhren und seine Capitularen das Stift Sinsheim. —
Sie protestirten zwar noch von Bruchsal aus gegen die Aufhebung des-
selben; allein es ward nun zum letztenmale aufgehoben und
blieb fflr immer aufgehoben. Es wurde wieder der Sitz einer
Stiftschaffnerei, gleich wie noch heute ein Stiftschaffner auf demselben wohnt.
Das ist kurz der Inhalt unsrer oben genannten Geschiebte der Be-
nedict iner Abtei Sinsheim. Jene zerfällt demselben nach in drei Ab-
schnitte: I. das Augustiner -Kloster; II. die eigentliche Benedictiner-
Abtei selbst, und III. das Collegiat-Stift Sinsheim; und was wir hier nur
summarisch angedeutet haben, ist mehr oder minder, ja oft, wo es uns
die Quellen erlaubten, auf das vollständigste und bis in das i /eist«
ausgeführt. Denn wir haben das besondere Glück, dass wir Ober die
Benediktiner-Abtei Sinsheim noch so viele Quellen besitzen, wie vielleicht
Uber kein anderes vormalige Kloster von Kurpfalz am Rheine. Und diese
Quellen sind meistens zumal schriftliche, bis jetzt noch ungedruckte und
vor uns noch unbenutzte, wie namentlich 1} die hier so überaus reichen
Schätze unsors Grossb. Bad. Landes-Arcbives in Karlsruhe; 2} das Stadt-
weisthum von Sinsheim und verschiedene Pergament-Urkunden, besonders
der Original-Brief von 1497, wie sich „der new Stift zu Sunsshym nach
seiner Translation wider Herzog Ölten als Schirmherrn dess Schirms
halb verpflichtet" ; 3) die Handschrift in Quart von Wttrdtwein's Mona-
sticon*) Wormatiense, worin natürlich auch Tom. I. das „Monasterium
Sunssheim, Ordinis S. Benedicta seine Stelle findet; 4) eine Anzahl von
Originalurkunden in dem Bürger-Hospitnls-Archive zu Speier und in dem
königlichen Staats- Archive zu Stuttgart; 5) das uralte Album Ecclesia-
sticum von Neckar - Bischofsheim und 6) zumal buch der Gemming'scue
Stammbaum von Reinhard von Gemmingen dem Acltern zu Hornberg und
Michelfeld vom Jahre 1631. Und wenn der mit der Geographie und
Geschichte der kurfürstlichen Pfalz am Rheine so vertraut gewesene Jo-
hann Goswin Widder nur 15 Achte, die 2 Pröpste und 2 Dechanten des
Klosters Sinsheim kennt und Würdtwein in seinem Monasticon Worma-
tiense nur 17 Aebte, die 2 Pröpste und 2 Decane von Sinsheim aufzahlt,
so vermochten wir doch wenigstens 19 Aebte, die zwei Pröpste und 5
Decane aufzufinden und auch den erst vor mehrern Jahren auf dem Stifte
dahier entdeckten Grabstein des Abtes Buirkhard von Wyler zu beschrei-
ben, obgleich die Zahl der Aebte des Klosters Sinsheim noch keineswegs
vollständig ausgemiltelt ist und kaum je ausgemittelt werden wird. Und wir
haben so überhaupt einen Beitrag zu der Geschichte der Klöster in der kur-
fürstlichen Pfalz am Rheine gegeben, wie kaum noch ein anderer besteht
*J S. Vü unsrer Geschichte ist auch Monasticon Wormatiense zu lesen.
K. Wilhelm!.
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Nr. 39. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
*
Kurze Anzeigen.
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Herausgegeben von dem Landesar»
chive sm Karlsruhe durch den Direktor desselben , F. J. Mone. Zweiter
Band. Erstes He/t. Karlsruhe. Druck und Verlag der Q. Braun' sehen
m
Als Ref. jungst in diesen Blättern die Schlussheftc des ersten Bandes der
genannten Zeitschrift zur Anzeige brachte, war er selbst nicht der Hoffnung,
dass schon in so kurzer Zeit eine Fortsetzung folgen würde. Nicht dass er an
der unermüdlichen Ausdauer der Männer gezweifelt hätte, welche sich dieser
mehr nützlichen, als dankbaren Arbeit unterzogen haben ; aber es gibt bei dem
jetzigen Stande des Büchermarkts, dem kleinem Kreise der Leser so viele un-
erwartete Hemmnisse eines mit bedeutenden Kosten unternommenen Werkes,
dass die Befürchtung einer Verzögerung ihre guten Gründe hatte. Die in der
Vorrede zu diesen Hefte gegebene Nachricht des Herausgebers hat nun die er-
freuliche Gewissheit gebracht, dass die grossherzogl. Regierung nicht müde ge-
worden ist, das Unternehmen zu unterstützen, indem „durch den gleichen Zu*
schuss des Ministeriums des Innern, womit die Zeitschrift begonnen wurde, auch
ihre Fortsetzung möglich geworden." (S. 1.)
Ref. muss sich begnügen, grösstenteils durch blosse Aufzählung den rei-
chen Inhalt dieses Heftes den Lesern dieser Zeitschrift vorzuführen. Mone bringt
(S. 3—11) vier Urkunden (1444. 1461. 1472. 1477) über Gewerbe- und Zunft-
vcrhältnisse der Kupferschmiede — Kessseler — einer Innung, die in Berlepsch
Chronik der Gewerbe (S. Gallen, 1830) nicht enthalten ist. Sehr beachtens-
wert!) ist die Tür Baden gegebene Nachweisung, dass auch die religiösen Be-
dürfnisse der Zünfte nach dem Innungsdrange jener Zeit in Brüderschaften der
Gl werke berücksichtigt und geordnet wurden, wovon sonst nur wenige Spuren
in die Gegenwart hereinragen (S. 3—4). Beigegeben ist aus einer Handschrift
des XIV. Jahrhunderts eine Anzahl von Recepten der Weissgerber zu Bereitung
des Pergaments, welche nach ihrer Abfassung in lateinischer Sprache der Her-
ausgeber einer klösterlichen Werkstätte dieses Gewerbes zuerkennt. Es folgen
sodann (S. 14 — 33) bomerkenswertbe Urkunden und Verordnungen für Forst-
nnd Waldkultur, eine willkommene Ergänzung der im Handbuche der Forst- und
Jagdgesetzgebung des Grossherzogthums (v. BeMen u. Laurop, Mannheim 1839)
erschienenen Forstgcscbichte Badens.
Als Beitrag zur russischen Geschichte folgt (S. 33 — 55) eine Anzahl
schätzbarer Urkunden, die zum Thcil auch auf das rechte Rheinufer sich er-
strecken, wie z. B. der Loskauf des Ortes Selz von der Vogtci der Markgrafen
von Baden (1197), der Scbiedspruch Konrad's von Wind eck über Streitigkeiten
der dortigen Stadt und Abtei (1355).
XLIV. Jahrg. 4. Doppelheft. 39
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Karze Anzeigen.
Vorzüglich schätzbar aber ist die Einleitung dazu, die (S. 33 — 37) sämmt-
liehe Vorarbeiten zur Geschichte des Elsasses in einem Blicke überschauen laset,
ben Schluss dieser dankenswerten Beitrage des Herausgebers bilden (S. 55 — 65)
eine Anzahl Weisthümer aus dem XIV und XV Jahrhundert mit einem Nachtrage
zu den im ersten Bande bekannt gemachten Bruchstücken einer alten Leber-
setzung der Lex Salica.
Bader hat (S. 66—73) acht Urkunden der rhätischen Freiherrn v. Vats
gegeben, die ihre Rettung dem Umstände verdanken, dass sie Güterabtretungen
an das Kloster Salem enthalten. Sie sind aber nicht nur aus letalerm Grunde
ein schätzbarer Bettrag, sondern auch weil sie zur Frage anregen, wie jenes
Geschlecht, dessen Burg im Gebiete der Albula sich befindet, in Gütern mitten
im Linzgau komme. Der Herausgeber erklärt es durch eine Heirath mit einer
Veringischen Erbtochter; — Ref. ist der Ansicht, dass all dieser Güterbesitz der
Yeringer, Heiligenberger, Hohenstaufen und no<h fernerer Dynasten, wie des
vorliegenden Geschlechtes und der Markgrafen von Baden aus der frühern Zeit
der Weifen und der Bregenz- Buchhorner Grafen abslammen müsse. Doch das
sind Vermuthungen, zu welchen am Ende beide Parteien gleichberechtigt sind.
Jedenfalls gewinnen die Urkunden noch an Werth durch die Anführung einer
Menge (hatsächlicher und schwäbischer Zeugen. — Es ist sodann (S. 74 — 99)
die im vorigen Hefte begonnene Arbeit über den Güterbesitz der Abtei Salem
fortgesetzt. Die unter dem Texte der einschlägigen Stellen des Salemer Copial-
buches gegebenen Anmerkungen siud theils sprachliche, theils sachliche, oder
geographische und historische. Zu den letztern erlaubt sich Ref. einige Beraer-
"kungen, da, wo er Nachträge geben kann, oder anderer Ansicht ist als der Verf.
S. 77 ist im Texte ein Castrum W ilaer erwähnt, wo die Kinder Wal-
thers von Vatz ihre Ansprüche auf den Zehnten in Mimmenhausen zwei Sale-
"mer Mönchen resignirlen. In der Anmerkung wird auf eine Burg Weiler im
wfirtembergischen Oberamte Blaubeuren oder Münsingen hingewiesen. Diese la-
gen doch wohl für beide Parteien zu Weit ab; es ist wahrscheinlich das nahe
gelegene Weiler, würtemb. O.-A. Ravensburg, wo Well 17 Güter an Weingar-
ten vergabt hatte. (Vrgl. Stälin, würtemb. Gesch. Ii. 263-279.)
S. 78 sind Nachweisungen über den Stift Constattzischett Lehenadel von
Mfindlishofen gegeben. Ein Zweig derselben blühte noch im XVI Jahrhundert
in Conslanz; zu ihr gehörte der Arzt Jakob Menlishofer , der in Verteidigung
feiner Vaterstadt gegen den Ueberfall der Spanler unter Alpbons Vires (4. Aug.
1548) gelallen ist.
S. 81 ist aus Verschen Schloss und Dorf Wartenberg bei Möhr in-
igen angegeben. Das Schloss des Freiherrn von Wartenberg lag auf einem Ba-
saltkegel bei Geisingen; neben den alten Wohnungen des Schlossbauern ist ein
fürstlich fürstenbergisches Lustschloss erbaut, — diess ist Oberwartenberg, das
mit dem Weiler Dreilerchen am Fusse des Schlossberges die politische Ge-
meinde Wartenberg bildet. Hiernach ist das geographische Lexicon von Baden
zu berichtigen, welches bei Dreilerchen auf einen Artikel Unterwartenberg ver-
weist, der nirgends vorkommt.
S. 82 wird Hainricus miles de Hornstein (Urk. 1247) mit grosser Wahr-
scheinlichkeit für identisch mit dem 1265 apud Rüningen vorkommenden gleich-
namigen Zeugen erklärt (vrgl. sein langes Vorkommen in Heiligkreuxthaler Ur-
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I
Kurze Anzeigen.
583
Kunden bei Sin i in II. 596). Der Ort aber ist wohl nicht Binningen im He«
gau, sondern dns ganz nahe bei der Burg Hornstein gelegene Bingen (preuss.
Sigmaringen). Ob er nicht zugleich identisch mit Hainricus de Herten-
stain sei, der 1250 mit seinem Bruder Albert (S. 83) aufgeführt ist, man Ref.
dahin gestellt lassen. Es wird im Archiv für Geschichte etc. I. Heft, Stattgart
1846, S. 38, als Angabe Raiser's ans Salemer Urkunden von 1264 aufgeführt
„Gozwinus de Hertenstain et Manegoldus de Hornstein "in Hertenstain" ; das Ori-
ginal aber ist Ref. nicht bekannt. Jedenfalls dürfte das Schloss Hertenstein nicht
mit dem Verf. am Lnzerner See, sondern am Hartenstein, unfern Hornstein zu
suchen und folgende in oben angef. Zeitschrift beigebrachte Stelle aus den Zeug-
nissen Conrads v. Stein, Uttenweiler M71, Samst. n. Martini u. Wolf Spät 1480
Moni n. Judica zu berücksichtigen sein... „demnach so sag' ich, dass mir gründ-
lichen kund und wissend ist, dass Hertenstain und Hornstain Ein Geschlecht Ei-
nes Schilts Helms und auch Ein Name ist, wiewohl man etlich Hornstainer Her»
tenstainer haisst und nennet vom Schloss Hertenstain so zunechst bei Hornstain
S. 87 ist ein Bedenken über Langenau aufgeworfen. Ref. kann es nur
für das im Oberamt Tetlnang gelegene halten (Stalin II, 750), wo dns Schaff-
hauser Kloster Allerheiligen schon 1122 eine Expositur hatte und später ein un*
tcr der Schutzherrlichkeit der Grafen von Montfort stehendes Panliner Priorat
bestund, welches in den Akten des Klosters Thannheim bei Donaueschingen häufig
erwähnt wird.
S. 91 ist ein schätzensweriher Beitrag zur schwäbischen Topographie in
der Nachweisung gegeben, dass die Fürsten von Conzcnberg ein Zweig des im
Weingartener Necrologium oft genannten Geschlechtes von Hirscheck (Hirzisegge)
seien. (Vrgl. Stälin L 595.) Die Burg Conzenberg aber liegt nicht an der Do-
nau bei Tuttlingen, sondern auf einem waldigen Bergrücken zwischen den Thä-
lera von Esslingen -Thalheim und von Wurmlingen. Sie war zweifelsohne ur-
sprünglich Besitzung der rings um dieselbe begüterten Freiherrn von Wasen-
berg, bei welchen der Name Konrad, Conz, sehr häufig war and kam wohl
erst als Hcirathsgut der üdelhild, Tochter Heinrichs von Wartenberg (wohl des-
selben, der 1228 in Biesingen als Zeuge auftritt [Lit. Sal. ff. 48] und Oheim
des 1249 mit zwei Söhnen Heinrich, gen. Strunz und Conrad vorkommenden
Heinricus Senior Lit. Sal. II. 40) an ihren Mann, Conrad Fürst. Das Geschlecht
des letztern scheint indessen gleich nach dem Aussteller der von Bader ange-
führten Urkunde sein Wappen mit dem Wartenbergischen vertauscht, an dem
Wartenbergischen Löwen indessen die Farbe aus Roth in Weise geändert und
eigenen Helmachmuck fortgeführt zu haben; ein Verfahren, welches bei ähnli-
chen Erbschaften häuOg vorkommt. Im Anniversarieubuche der Pfarre Wurm-
lingen steht folgende Notiz: „Bei Wurmlingen am Waldberg sind drei Burgstall,
darauf vorzeiten drei Schlösser waren. Des eine genannt Fürstenstain ist ge-
wesen der Freiherrn, genannt Fürsten. Dise sind begraben auf dem Kirchhof
zoe Wurmlingen. Ihr Wappen ist ein weisser Lew und auf dem Helm ein gelb
Hirachhorn. Von denen herren khommt die berschaft Conzenberg sampt Wurm-
lingen und Seytingen an dai Stift." (Konstanz, welches die Herrschaft dem je-
weiligen Domprobst als Einkommen gab.) „Das andre Schloss ist gewesen der
Freihemt von Wartenberg. Die haben gefuert ein rothen Lewcn im weissen
39* .
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Kurze Anzeigen.
Feld auf dem Helm ein halben rothen Lewcn. Derer ist gewesen Wartenberg
das Schloss und das Staltle Geisingen." (Diese Herrschaft kam mit Anna, der
Eibtochtcr Heinrichs von Wartenberg, gen. Strunz, an ihren Gemahl, Graf Hein-
rich von Freiburg und mit dessen Tochter Verena an Graf Heinrich von Für-
stenberg.) „Dhs drill Schloss hat geheissen Kraffenstein und ist der Herzogen
von 1" nsingen (Urslingen) gewesen. Ausgezogen aus dem Conzenberger Herr-
schaft Urbar,, revid. Ao. 1489."
S. 94 ist zu Walthusen bemerkt, es sei das Dörfchen bei Bräunlingen ;
es ist aber vielmehr ein eingegangener Ort bei Villingen am Eingang des hir-
nacher Thals gewesen, der schon im Rotulus S. Petrinus vorkommt und ein
Fraaenkloster halte, welches dann auch in die Ringmauern der Stadt verlegt wurde.
Möge der Herr Verf. diese Bemerkungen als ein Zeichen der Aufmerk-
samkeit ansehen, mit welcher Ref. seiner Arbeit, ans der er so viel Neues schöpfen
konnte, gefolgt ist. Er bedauert, dass in Betreff der dritten Abtbeilung seine
mangelhaftere Kcnntniss der behandelten Ortschaften und Geschlechter ihn auf
eine nur allgemeine Bemerkung beschränkt.
In dieser dritten Abtbeilung (S. 99—128) hat Dambacher seine ver-
dienstliche Arbeit, das Urkundenbuch des Klosters Herrenalb, bis zum Jahr 1281
fortgeführt. Was in der frühem Anzeige über die Reichhaltigkeit der erklären-
den Anmerkungen bei aller Kürze der Abfassung rühmend erwähnt wurde, kann
hier nur wiederholt werden. Den Werth des beigebrachten Materials mag man
daraus erkennen, dass nicht weniger als 26 Urkunden und Regesla gegeben sind,
tinter denen 3 päpstliche, 2 bischöfliche von Strassburg und Speier, eine rhei-
nisch-pfalzgräfliche, 3 von Pfalz-Zweibrücken, eine markgräflich badische, eine
von Kazenellenbogen, 5 gräflich Ebersteinsche, die übrigen von Edelleuten und
Gerichtshöfen.
Ref. schliesst seine Anzeige mit dem Wunsche, es möge die dankenswerthe
uneigennützige Absicht in Erfüllung geben, welche die Regierung bei ihrer Un-
terstützung, die Mitarbeiter bei ihren Opfern an Zeit und Anstrengung vor Au-
gen hatten: „dass die Arbeit nützlich sein möge zur Erweiterung der Wissen-
schaft und zur Beachtung im Leben — um dadurch die Liebe zum Heimathlande
au befestigen, die organische Entwicklung seiner Geschichte au verstehen und
demgemäss seine Verhältnisse mit gründlicher Umsicht au beurtheilcn und an
behandeln.«
i .
Quellensammlung der badischen Landesgeschichte. Im Auftrag der Regierung her'
ausgegeben von F. J. Mone. 11. Band. 1. Lieferung. Text. Bogen 1—21
einschliesslich. Karlsruhe, Druck und Verlag ton C. Macklol. 1850. 4.
Der erste Band obiger Schrift ist in diesen Jahrbüchern und anderwärts
schon so gründlich und mit gebührender Anerkennung besprochen, dass Ret bei
Erfüllung der Ehrenpflicht auch diese Forlsetzung zur Anzeige zu bringen, der
Inhaltsangabe nur wenige Bemerkungen beizufügen für angemessen erachtet.
Der Wunsch der zahlreichen Verehrer dieser gründlichen Forschung für
baldige Fortsetzung ist durch die grossherzogl. bad. Regierung auch unter un-
günstigen Verhältnissen in höchst dankenswerther Weise erfüllt worden. Zwar
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585
haben die Stimmen derjenigen, welche die Reihe der Urkunden schon mit die-
sem zweiten Bande eröffnet- zu sehen wünschten, noch nicht bcrüchsichtigt wer-
den können. Allein der eben so anziehende, als reiche Inhalt dieses Heftes wird
sie um so eher befriedigen, als in der schon angezeigten Zeitschrift des Gross-
herzoglichen Landesarchivs durch die Herausgabe des Herrenaiber Archivs ein
schöner Anfang gemacht ist, auch jenem dringenden Bedürfnisse abzuhelfen und
weiter auszuführen, was in den Regesten von Dümge begonnen wurde.
Der Inhalt dieses Heftes zerfallt in die 3 Abschnitte : Tentsche Chro-
niken, teutsebe und lateinische Annalen, Auszage aus latei-
nischen Chroniken, Tagbücher.
Im ersten Abschnitte bemerken wir zuvörderst Georg Schwarzerd Ts
Belagerung der Stadt Bretten 1504 (S.l — 17) und Bauernkrieg am
Oberrhein 1524 — 1525 (S. 17 — 42), zwei ganz entgegengesetzte Ereignisse
aus der Geschichte des badischen Mitfei- und Unterrheinkreises. Die erste Chro-
nik ist schon durch ihren Verfasser merkwürdig; er war der Bruder des bekann-
ten Humanisten und Reformators Philipp Melanchthon und ist für die erzählte
Begebenheit, wenn auch nicht als Augenzeuge (er war damals erst 4 Jahre alt),
so doch als die nächste nachzeitige Quelle zu betrachten. Sie enthält aber eine
solche Episode aus dem pfälzischen Erbfolgekrieg, da ein kleines städtisches
Gemeinwesen in löblicher Treue gegen seinen Fürsten seine Mauern nicht nur
gegen einen mächtigen äussern Feind, den Herzog von Würtemberg, sondern
auch gegen die Meuterei der zu ihrer Verteidigung bestimmten Söldner sieg-
reich und mit geringen Opfern behauptete, während die zweite Chronik, das
Werk eines unbekannten Verfassers, einen wesentlichen Beitrag zu der noch im-
mer nicht durchgreifend und erschöpfend genug behandelten Geschichte des Bau-
ernkrieges darbietet
Die übrigen Chroniken vertreten in sehr reichhaltiger Weise die Geschichte
des badischen Oberlandes. Die erste ist die des Andreas Letsch, eines 1519 —
1531 in den Diensten des Klosters St. Blasien gestandenen Notars, der neben
seinen Dienstgeschlften eben das Merkwürdige noch aufzeichnete, was er in der
Nähe und Ferne entweder selbst beachtete, oder erzählen hörte. Auch sie ist
durch die Angabe mancher bisher unbekannten Einzelnheiten aus der Geschichte
des Bauerkriegs am Bodensee, im Hegau und Schwarswalde von allgemeiner
Bedeutsamkeit. So erfahren wir z. B. hier (S. 51) zum ersten Mnle, dass der
Baoernanführer im Schwarzwalde und Kleckgau, Kunz von der Niedermühle,
dessen Tod nachmals die Brandfackel für St. Blasien wnrde, erst nach Abschluss
des Vertrags mit den Bauern, nach Auferlegung der Brandschatzung, also im
Friedensznstande durch Christoph Fuchs in seiner Wohnung gefangen genom-
men, zu St. Blasien gefoltert und dann endlich gehängt wurde, sowie, dass der
Verf. und das Kloster theils in Vorahnung der Folgen, theils wohl aus Gefühlen
der Rechtlichkeit und Humanität dieses tumultuarische Verfahren raissbilligten
und abzuwenden suchten, was aus dem folgenden Tagbuch des Abts Caspar I
noch deutlicher hervorgeht: „fürten ihn also gebunden zu st. Blasin in das do-
sier, legten in daselbst in kerker, beschikten den nachrichter, fragten in welcher-
massen er die hanptmanschaft verwaltiget hat. Also dem allem nach ritten die
reisigen mornends von st. blasin ab und fürten Cuntzen mit inen untz über die
müllinen ob WalVzhut und hanckten in daselbst an einen aichbom neben die
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Kurte Anzeigen.
sirauss." Bisher war ninn gewohnt, diese Ezeculion als tcraultuariscbe I'rore-
dur während des Kriege« anzusehen; jetzt sind wir anders berichtet und haben
zugleich die Erklärung, warum gerade an das Klosterthor von St. Blasien die
Hand des Hingerichteten nächtlicher Weile mit der Drohung angeheftet wurde:
«Diese Haad wird sieb rächen !u Was eben im Gcheimniss der Kloslermauero
vorfiel, betrachtete der besiegte Bauer als das Werk seiner 3Iönche.
S. 47 ist ohne weitere Bemerkung angegeben, dass „ltelegken zum Magt-
berg, ritter" mit Graf Eitelfiiedrich von Zoileru Söldlinge zum italienischen Feld-
zuge gegen den König der Franzosen geworben habe. Ref. erlaubt sich , die
Erläuterung zu geben, dass der genannte Herr, der in fürstlich fürstenbergischeo
Urkunden aus dieser Zeit oft genannte Ritter Egon von Reischach, Lebensbesitzer
des begauischen Schlosses Mägdberg war, der nach der Sitte seiner Zeit dem
Vornamen Egon (Egken, Egk) die Beifügung Ital (itel, eitel) vorsetzte, um zu
bezeichnen, dast er sonst keinen Zu- oder Uebernamen habe.
Das hierauf folgende Tagebuch des Abts Caspar I (Molitor) von Sl Bla-
sien wäre schon um deswillen bemerkenswert h , weil es für seine alten Anga-
ben einen Mönch Otto zum Gewährsmann hatte, der aber nacb des Verf. Kach-
weisung ( S. 57) vom bekannten Chronisten Otto von SL Blasien verschieden
war. Allein auch sonst finden wir manches Neue von Bedeutung für die Ge-
schichte der obern Landestheile. Ref. hebt nur Einiges hervor, wie die Händel
des Convcnts gegen den Abt von St. Blasien 1481, die durch Vermittlung des
Bischofs von (onslauz, Otto von Sonnenberg verglichen wurden, die tumu. ma-
nsche Wahl Eberhards von Reischach zum Abte, die einen tiefen Blick in das
Treiben selbst der Klostergeistlichcn aus landsüssigen Adclsgeschlechtern thun
lasst, ein Treiben, das nicht wenig dazu beitrug, die Reformation zu zeiligen
(S. 59). Hierher gehören ferner manche Einzelheiten des zweiten Schweiaer-
krieges und des Bauernaufstandes auf dem Schwarz weide. In letzterer Bezie-
hung er halten wir über Kunz vou der Niedermüble, theils Bestätigung der An«
gaben Letsch's, theil« weitere Aufschlüsse, so der, dass der genannte Anführer
«ige oll ich nicht unter der den Waldbauern gegebenen Amnestie begriffen gewe-
sen sei („der hol noch nicht geschworen und euasert sich den er hat uffsalz von
denen von Ryschach noch von ains kriegezugs in Preussen"), dass er aber auch
in dem frühern Sturm auf das Kloster sich möglichst für dieses verwendet habe,
was mit der Vorahnung künftiger Rache den Abt Johann zu ernstlicher Ver-
wendung für sein Leben bewog (S. 63). Besonders reich ist durch die zahl-
reichen Anmerkungen von Bauten an Kirchen, Pfarrfaöfen, s. g. Staltbaltereien
der Gewinn, den die Topographie aus diesen Tagbüchern zieht. Aber auch Ge-
genstände vou allgemetuerer Bedeutung werden mannigfach berührt. Ref. macht
statt Vielem nur auf den einen Abschnitt über einen bluheuden Bergbau in den
Thalern von Todtnau und Schönau aufmerksam (S. 70—71), welcher u. A. die
bekannte Urkunde König Heinrichs VII für Graf Egon den Jungern von Uracb-
Freiburg über die Bergwerke des Breisgaues ergänzt und durch die ^' ach Wei-
sung, dass die Thalleute das Recht einer Münze nicht nur erhalten, son-
dern auch ausgeübt haben, einen weitern Fingerzeig zur Erforschung des <! an-
kein Gebietes süddeutscher Hohlpfenningc zu geben und so manche Lücken in
y. Btrstetts grossem Werke „bndische Münzkunde" auszufüllen geeignet ist.
i . ■
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Kurze Anzeigen.
Die nun folgende Yillinger Chronik (S. 80—118) ist zwar schon
durch Walchner, Rukkgaber und den Ref. benutzt worden, doch nur bruchstück-
weise zu besondern Zwecken, so dass die Herausgabe um so dankens werther
war, je wichtiger die darin enthaltenen Angaben für die Geschichte der Handel Ul-
richs von Würtemberg, des Bauernkrieges in der Baar und andere Verhältnisse
des würtembergischen und badischen Scbwabenlandes im XVI Jahrhundert sind.
Auch die Frage nach dem Verfasser ist im Vorworte des Herausgebers angeregt
und gegen Heinrich Hang oder Hug entschieden, welcher mit einem andern Vil-
linger Bürger — Valentin Ringler — von dem frühem Besitzer der Handschrift,
Prof. hefer, als Verf. angenommen war. Ref. fügt die Notiz bei, dass diese
Chronik, wie sammtliche historische Sammlungen des sei. hefer, so viel er sich
erinnert, vom verstorbenen Decan Wocheier auf höchst uneigennützige Weise
für die Sophienbibliothek in Ueberlingen angekauft wurde.
Vom weitern Inhalte zählt Ref. die cum Theil schon benützten Salemi-
schen Nachrichten über den Bauernkrieg am Bodensee (S. 118—133), die Jah-
refgeschichten des Grafen Werner von Zimmern, die Jahrgeschicbten von Gün-
lerstbal (S. 136 — 138), die Strassburger Jahrgeschichten und die Auszüge aus
verschiedenen lateinischen Chroniken IS 146 — 158) nur dem Titel nach auf, um
noch einige Bemerkungen über die folgenden Tagbücher des Abts von St. Geor-
gen, Georg Gaisser (S. 159— 168) beizufügen.
Diese in Kalender eingeheftete Tagbücher, welche aus dem Laden eines
schweizerischen Antiquars auf des Ref. Anrathen sein Freund, Freiherr von
Pfaffenhofen vor Verschleppung rettete und mit einer — leider erst mit dem
2. Bande und XIU. Jahrhunderle beginnende — Sammlung von Urkundenabschrif-
ten des Klosters St Georgen an das Generallandesarchiv in Carlsruhe abtrat,
sind in mehr als einer Beziehung von Interesse. Die Landesgeschichte erhält
dadurch manche Aufschlüsse über bisher unbekannte Verhallnisse einer ereig-
nissvollen Zeit, denn schon erreichte der Wellenschlag des dreissigjäbrigen Kriegs
(S. 163) auch diese Hochebene und der Verf. lebte ganz nahe der Heimath der
beiden Üguisiischen Heerführer, Jakob Ludwig und Egon von Fürstenberg. Man
erfährt über letztere manche Einzelnheit, welche die Geschichte des Furstenber-
gischen Hauses bis jetzt noch nicht kannte. Aber auch in psychologischer Be-
ziehung sind diese Tagbücher beachtenswerth genug und die Stellung dea Verf.
als Angehörigen eines immer noch bedeutenden Convents, als Beichtiger eines
ansehnlichen Nonnenklosters klärt uns manchmal über die innern Verhältnisse
jener Institute auf, die ebenso wenig, als andere Einriebtungen vom Geiste der
Zeil unberührt geblieben sind. Wie viel uns gegeben, wie viel uns vorenthal-
ten ist, vermögen wir nicht zu ermessen, da der Herausgeber des Tagebuchs
S. 160 bemerkt : % „ Den häuslichen Inhalt dieser Bücher Konnte ich nicht gang
nüttbeilen, weil er keinen vollständigen Abdruck verdient, sondern wählte die-
jenigen Angaben aus, welche für die Specialgcscbichte brauchbar sind und als
Beispiele auch für eine weitere Betrachtung dienen können.*1 Wir können im
Allgemeinen mit dieser Ansicht nicht rechten; ein anderes ist eine Publikation
wie die des würtembergischen literarischen Vereins, bei welcher wir freilieh
gegen jede Auslassung Einsprache erhoben hätten, ein anderes die Quellensamm-
lung zur Geschichte eines Landes. Jedenfalls ist genug gegeben, um unsern
obigen Ausspruch zu rechtfertigen. Die dem Texte beigegebenen kurzen An-
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Kuno Anzeigen.
merkungen erleichtern den Gebrauch der Quelle für den dem Schauplätze der
Begebenheiten ferner stehenden Leser. Nur gegen zwei derselben ist dem Ref.
ein Bedenken aufgestossen. Er bringt dasselbe hier vor. als Zeichen der Auf-
merksamkeit, mit welcher er der ganzen Arbeit gefolgt ist.
S. 164 ist zur Angabe: „1624, 26. Jan. Nuncius de exusto monasterio
Dannheim ad Hercyniam sylvam Ord. S. Pauli" bemerkt: „Thannheim im Ober-
amt Leutkirch." Es ist aber offenbar Thannheim im badischen Bezirksamte Do-
naueschingen. Dort wurde 1353 (Urk. v. 24. Juli im F. F. Archive zu Donaue-
achingen) von Hugo, dem Sohne Graf Götzens von Fürstenberg von der Villin-
gen-Haslach'schen Linie ein Kloster des Augustiner Eremitenordens (Paaliner)
mit 4 J urhart Feld im Walde Scharia und einem Hofgute (Hube) dolirt, wel-
ches bis zum Anfange dieses Jahrhunderts bestund und in sehr heruntergekom-
menem Zustande am 24. Juni 1803 aufgehoben wurde. Sein noch übriges Ver-
mögen fiel an das Fürstenbergische Landesspital zu Donaueschingen. Ref. gibt
aus seiner handschriftlichen Geschichte des Klosters folgende hier einschlägige
Data. Schon 1489 musste es aus dem Schutte eines Brandunglücks durch frei-
willige Beisteuern wieder aufgebaut werden. (Sammelbrief des Grafen Heinrich
d. Aelt., Heinrich d. Jüng. und Wolfgang von Fürstenberg vom Dienstag nach
Matthäus [3. März] , welchen Ref. auf dem Deckel des Kinzigthnler Lagerbuchs
im Donaueschinger Archive entdeckte.) Das zweite Brandunglück ereignete sich
nach dem Schreiben des Fürstenberg ischen Obervogts Leip von Freudenegg an
Graf Max Joseph von Fürstenberg (v. 1665) und der Nachriebt des Pauliner Or-
densprovinzials an dessen Vater, Graf Friedrich von Fürstenberg - Donaueschin-
gen in der Nacht des 16.Jän. 1624. (Thannhcimer Klosterakten im F F. Archive.)
S. 168 und schon früher S. 163 ist von verschiedenen Übeln Nachreden
die Sprache, welche über Gaisser ergingen und sogar die Weigerung der Non-
nen, ihm zu beichten, zur Folge hatten. In der Anmerkung „Zu dieser Nach-
rede bemerkt Gaisser kein Wort" und bei der Nachweisung, dass eine angeb-
liche Dienstvernachlässigung (des Predigens an Ostern) durch Krankheit veran-
lasst wurde, scheint der Herausgeber die unverdient gekränkte Unschuld des
Beichtigers anzunehmen. Dem ist aber nicht so. Gerade in jenen Tagen ver-
führte letztern der Widerstreit der Klostergelübde mit seinem Temperamente zu
nnverantwortliehem Missbrauche seiner Stellung nnd die Bemerkung zum ersten
December 1623: „Priorissa refert, magistram et rcliquas moniales nolle confiteri.
Respondi contemnendi lucri esse invitis venari molossw", hatte ihren tiefen Grnnd
in diesen schlimmen Verhältnissen. Denn in den Akten des Klosters Amtenhau-
sen (F. F. Archiv in Donaueschingen, Fascikel „Exceas") ist nicht nur die bit-
tere Beschwerde der Herren Hans Egloff von Zell, Jakob Fürstenberger unl
Hans Bletz von Rottenstain enthalten, dass der Beichtiger ihre Schwester nnd
Schwägerin, die Nonne Amalia Bletz von Rothenstein — dieselbe, die im Tag-
buche unter dem Namen „Soror Amalia" öfters vorkommt, verfuhrt und auch
des Majers Tochter zu Rippoldsau Abortiva gegeben, aondern die Antwort des
Prälaten von St. Georgen (v. 8. Okt. 1623) zeigt auch zur Genüge, das Ganser
seines Fehltrittes geständig war. „Dass nunmehr mein bewisater Convenioal
Deroselben Schwester und rosp. Basen und Geschwei Amelie von Rotenstein rrT
Jugend anbefohlen" — schreibt der Abt — thue ihm leid; er verspreche nebst
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Kurze Anzeigen. 589
Strafe der Incarceration und Disciplin des Beichtigers eine Visitation des Klo»
sters Amtenbausen.
Ref. gehört nicht zu denen , die mit Begierde alten Skandal dieser Insti-
tute, auf deren Wiederbelebung in unsern Tagen so viel Mühe verwendet wird,
auftischen; hier glaubte er der Veröffentlichung dieser dem Herrn Herausgeber
nicht bekannten Thatsache nicht überhoben zu sein, da sie zum Verständnisse
mancher in Gaisser's Tagbuch enthaltenen Stelle dienen mag.
Doch das Mitgetheilte wird schon hinreichend sein, zu zeigen, wie an-
ziehend der Inhalt auch dieses Heftes der Quellensammlung sei und wie sehr
der Herr Herausgeber durch baldige Fortsetzung die freunde vaterländischer
uescnicnisiorscnung sien veruinaen v^erae.
Rastatt. Flekler.
V eher sieht der Versteinerungen des Grosthersogthums Baden, ton Ernst S Itten-
berg er. Freiburg i. B. Vei lng der Universilälsbuchhandlung ton Diernf ell-
ner. S. Mi
Baden ist bekanntlich durch eine grosse Mannigfaltigkeit an Gesteinen
angezeichnet; von den sieben Hauptformationen fehlt nur die Kreide, alle üb-
rigen sind wenigstens durch Schichten-Glieder vertreten.
Die älteste oder Grauwaeke-Gruppe — aus Conglomeratcn und Schiefern
bestehend — erscheint zumal im südlichen Theil des Landes; früher glaubte man
drd isolirte Ablagerungen bei Lenzkirch, Badenweiler und Schönau annehmen
zu müssen, neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Formation einen zu-
sammenhangenden, aber vielfach gestörten Zug quer durch das Gebirge von
Badenweiler bis Lenzkirch bildet, nur zwischen dem Thal der Aha und dem von
Menzenschwand durch Granit-Eruptionen unterbrochen. Nur spärlich finden sich
in diesen Ablagerungen Pflanzen, Abdrücke, häufiger schon in den Anthracit-
Scbichten am Ausgange des Kinzigthaies bei Zunsweier und Diersburg. Ein-
zelne, sehr unbedeutende Parthicn des „Uebergangs -Gebirges" erscheinen noch
bei Baden und im Murgtbal.
In gleicher Weise steht der Steinkohlen-Formation eine geringe Verbrei-
tung zu bei Umwegen und Mahlsbach unfern Baden, bei Oppenau, bei Gerolds-
eck unfern Lnhr n. a. a. 0. Bis jetzt hat man nur einige pflanzliche Reste nach-
gewiesen. Beachtnng verdient hingegen die Entdeckung einer Krebbs-Art,
Garapsonyx fimbriatus, in schwarzen Schiefern bei Sulzbach im Murgthal.
Auf noch geringeren Raum beschränkt, zeigt sich Roth - Liegendes , es
tritt am südlichen und nördlichen Abhang des Schwarzwaldes, sowie auf dem
Schlossberg bei Heidelberg auf; an letzterem Ort an einem Punkte von wenig
mächtigen Schichten von Zechstein-Dolomit bedeckt.
Eine bedeutende Rolle spielt in Baden die Triasformation. Das unterste
Glied derselben, der bunte Sandstein, der im Odenwald und im nördlichen Theil
des Schwarzwaldes — wo er bis zu 3600 Fuss Höhe ansteigt — so sehr ver-
breitet, ist in pnläontologischer Beziehung sehr unergiebig; nur in den Stein-
brüchen bei Durlach hat man einige schöne Exemplare von Anomopteris Mou-
geoti gefunden. Dagegen zeigt sich der, zumal im nördlichen Theil des Landes
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590
Kurze Anzeigen.
entwickelte Muschelkalk aU eine reiche Fundstätte von Petrefakten; aus fast
allen niederen Thierklassen bis zu den Fischen und Reptilien fehlt es nicht aa
Repräsentanten. (Die Umgebungen von Wieslocb und Sinsheim, Marbach bei
Villingen sind besonders ergiebige Orte für Sammler.) — Oer Kcuper, welcher
am südostlichen Abfall des Scbwarzwaldee, bei Kadelburg, Fülzen, dann bei
Bonndorf, Dürrheim und im Norden zwischen Breiten und Wimpfen auftritt, hat
wegen seiner Flora Air den Petrefaktologen Interesse, und zeigt sich namentlich
bei Sinsheim reich an schönen Manzen-Abdrucken.
Die eigentliche Jura-Formation ist besonders auf zwei Gegenden im süd-
lichen Theil des Landes, das Hegau und Breisgau beschrankt, dort aber auch
in sehr ausgezeichneter Weise entwickelt. Der schwarze Jura oder Lina er-
scheint iselirt im Süden an mehreren Orten, so z. B. bei Leben unfern Freibnrg
(früher durch Petrefakten-Reicbthum ausgezeichnet), bei Adelhausen und Eich-
sei unfern Schopfheim, hauptsächlich aber in den Umgebungen von Füzen, die
dem Sammler gute Ausbeute gewahren. (Unter andern kommt Ammonitcs Da-
voci schön vor.) Endlich ist der Lias noch im Korden des Landes, zwischen
Wiesloch und Ubslalt verbreitet.
Die Molasse erstreckt sich von den Ufern des Bodensecs über Markdorf,
Pfulleodorf in die Umgehungen von Mösskirch, über Radolpbzell, Blumenfeld,
Slockacfa; sie zeigt sich an manchen Orten reich an Petrefakten, wie z. B. bei
Pfullendorf. — Von allen Gliedern der Tertiargruppc verdienen die Gesteine von
Oeningen Beachtung, wo schon im Jahr 1726 Scheuchzer seinen „bomo dilutii
tesüsu fand. In verschiedenen älteren und neueren Schriften wurden die Oe-
ninger Schichten und ihre mannigfaltigen organischen Reste ausführlich besprochen.
Die Diiuvial-Ablagerungen des Rheinthals sind ergiebige Fundslalten für
Ueberbleibsel urwellliclier Tbiere (Elepbas priroigenius, Rhinoceros tieborhinus,
R. leplorhiniis, IJyaeua spelaea, Urans snelaeus), ebenso liefert der Löss gleich-
falls Reale grösserer Diluviallhiere, seltener von Vögeln oder Amphibien.
ftach der kurzen Uebersicht der allgemeinen geognosliscben und paJaon-
tologischen Verhältnisse Badens gibt der VerL im zweiten Abschnitt der Petre-
fakten Badens und ihrer Fundorte nach geologischer Aufeinanderfolge ; der dritte
Abschnitt besieht aus einem botanisch-geologisch geordneten Verzeichnisse sam röt-
licher in Baden vorkommender fossiler Pflanzen- nnd Thiergatlungen nebst An-
gabe der Anzahl bei uns gefundener Arten derselben; endlich aua einer stati-
stischen Uebersicht der Yertheilung der Arten jeder Klasse auf die Formationen.
Als Resultat ergibt sich aus Zusammenstellung der Gattungen mit ausge-
setzter Arlen-Znhl, dasa Baden 182 fossile Pflanzenarten, und 1095 Thierar-
teti besitzt.
Die fleissige Arbeit des Herrn Slizenberger wird gewiss allenthalben die
verdiente Anerkennung finden. G. JLeoailiarü.
lieber Reinheit der Tonkunst, von AnL Friedr. Jusi. T Iii baut. Dritte vermehrte
Ausgabe mit einem Vorwort von MinUteriitlrath Dr. K. Bahr. Heidelberg,
Mohr. 1851. 8. XXV und 230 S.
Das goldene Büchlein, durch welches zur Zeit seines ersten Erscheinens
ein #o mächtiger Anstoaa zur Wiederaufnahme eines der edelsten Zweige hö-
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691
herer Kunst, der reinen, veredelten Tonkunst, insbesondere der klassischen Kir-
chenmusik gegeben ward, liegt uns jetzt, schön ausgestattet, in einer dritten
Ausgabe vor, vermehrt durch ein Vorwort eines der eifrigsten Mitglieder des
ehemaligen Thibaut'schen Singvereins, dessen im vorigen Jahre erschienene
Schrift: „Der protestantische Gottesdienst vom Standpunkte der Gemeinde auf
betrachtet" neuerdings ganz unverkennbar zeigt, welche tiefe Wurzel die über-
teugenden Wahrheiten, die Thibaut ausgesprochen, in seiner Seele geschlagen
haben; wie ernst er gewillt und bemühet ist, in seiner Kirche, bei dem Got-
tesdienst das wieder einzuführen, dessen Mangel in der Seele jedes Einsichtsvol-
len eine wahre Calamttät genannt werden muss, wir meinen die klassischen al-
teren Kirchengesänge, die zugleich aus begeistert frommer Seele nnd au«
ursprunglichem Genie hervorgegangen sind. Wenn je, so bedarf es in
unserer Zeit einer solchen erneuerten Anregung, wie sie der verewigte, Allen,
die ihn kannten, unvergeßliche Yerfasser dieser Schrift gegeben bat, dieser sel-
tene, herrliche Mann, welcher — man gestatte uns wenigstens annähernd den
Vergleich — dem Meister aller .Meister Handel ahnlich, nach jeder Seite gross
war, jedes Thema, das er erfassle, originell behandelte und erschöpfte. Wir
zweifeln nicht, dass Jeder nur mit innigster Befriedigung diese Schrift durchle-
sen wird, die in so unübertrefflicher Weise dem klaren Verstände gesundo Nah-
rang bietet, den Geschmack läutert und veredelt, das Gemütb stärkt und erhebt;
ja, das Gemüth dessen zugleich mit einer Art Heimweh erfüllt, der, wie diess
aoeh bei dem Schreiber dieses der Fall war, das Glück hatte, ein Mitglied des
Thibaotschen Singvereins zu sein. Diese Produktionen, diese Himmelstöne sind
längst verhallt, Töne, die in der Weise, wie sie unser Ohr berührten, nicht
leicht wiederkehren, gleichwie der Mann, der sie hervorgezaubert, nicht zn uns
zurückkehrt. Aber sie leben in uns fort, wie auch Thibaut's Schrift im Geiste
aller wahrhaft Gebildeten, deren musikalischer Sinn ein reiner, ernster, tiefer ist,
niemals nutergeben wird. — Wenn früher Gründe obwalteten, wegen deren es
geeignet erschien, dass des Verfassers Name auf dem Titel seiner Schrift nicht
genannt ward, so sind diese Grüode jetzt geschwunden; was damals zweck«
widrig erscheinen mochte, kann jetzt der guten Sache nur dienlich sein; wie
wir denn noch nicht zweifeln, dass die am Ende beigefügte chronologische Ue-
bersicht für diejenigen, welche sich dem Studium der klassischen Kirchenmusik
widmen wollen, eine erwünschte Zugabe sein werde.
Die Gymnastik der Hellenen, in ihrem Einßuss aufs gesummte Alterthum und
ihrer Bedeutung für die deutsche Gegenwart. Ein Versuch zur geschicht-
lich philosophischen Begritndung einer ästhetischen Naiionalemiehung ton
Dr. Otto Heinrich Jäger. Gekrönte Preisschrift. Esslingen. Verlag
von Conrad Wegehardt. 1850. 298 8. in gr. 8.
Obgleich diese Schrift sich als eine „gekrönte Preissschrift" ankündigt,
so gehört sie darum doch nach unserer Meinung zu denjenigen, welche auch
ungedruckt hätten bleiben können. Sie enthält die ziemlich ausgedehnten Be-
trachtungen und Ausführungen eines jungen Mannes, dessen Studien noch sehr
der Reife bedürfen, um vor das Licht der OefTentlicbkeit zu treten und wahrhaft
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592
erspriesslich für Mit- und Nachwelt zu werdeo. Aach vermisst man bei dem
Verf., trotz aller seiner Begeisterung für das alte Hellcnenthum, doch diejenige
gründliche philologische Bildung, die uns allein vor schiefer Auffassung bewah-
ren und zu einer richtigen Würdigung der hellenischen Welt führen kann. Wir
würden darum auch dem Verf. die ganze etliche siebzig Seiten zählende Einlei-
tung, welche den Gang und den Beirieb der klassischen Alterthumsstudien in
Deutschland (insbesondere in dem Vaterlande des Verfassers, in Würtemberg),
darstellen soll, sammt der ganzen, weiter daran sich knüpfenden Entwickelung,
gerne erlassen haben, wenn er uns dafür eine gründliche, aus den Quellen ge-
schöpfte, kritische Darstellung der alten Gymnastik in gedrängter Kürze gege-
ben haben würde, die selbst nach manchen umfassenden und tüchtigen Vorar-
beiten, doch immer noch manche Seite der Forschung und Behandlung darbie-
tet. Die erwähnte Einleitung behandelt §. 1 zerstreute Einflüsse des AWcrthums
•nf die deutsche Geschichte, 2. die klassisch-altertbümlichen Studien seit den Re-
formationszeiten, 3. die deutsche Revolution und die klassischen Studien ; 4. der
ideale Menschheitsprozess (!?) und die Weltgeschichte, 5. die innere Wahlver-
wandtschaft des Hellenenthums mit Deutachland. Zum Versländniss des dritten
Abschnitts bemerken wir, dass es sich hier um die Märzrcvolotion des Jahres
1848 handelt, seit welcher es Anders geworden und Alles sich gewandelt! —
„Em herrlicher Lenzessturm brach über den Rhein in die heimischen Gauen und
hat uns Deutschen wiederum ein recht gülden Jahr aufgerichtet" u. s. w. (S. 40).
Nun von diesem „güldenen Jahr" wissen am Besten die Steuerpflichtigen zu er-
zählen. Von jener „herrlichen Bewegung" fühlt sich der Verfasser zu tief und
cu gewaltig ergriffen, und darum glaubt er auftreten zu müssen, um mittelst
einer verbesserten Volkserziehung und Volksbildung den neuen Bau zu begrün-
den. „Es schwebt mir vor", heisst es S. 76 am Schlüsse dieser einleitenden
Betrachtungen, „der Gedanke einer grossen Nationalerziebung, einer ästhetischen
Menschneitserziehung, gegründet auf die antike Idee der Harmonie zwischen den
natürlichen und geistigen Lebensgrundlagen, eine Erziehung, die den Menschen
ganz erfasst und emporhebt in die ideale Vollendung und Befreiung seines gan-
zen ungebrochenen göttlichen Daseins, nach welchem er sehnt. Wohlan, ich
will versuchen, diesem Gedanken Bild und Leben zu verleihen und ihn zn ver-
künden meinem Volke!" — Ob mit solchen im Monde eines jungen Mannes
fast lächerlich klingenden, hohlen Phrasen die Welt gebessert und eine bessere
Generation herangezogen wird, diese Frage wird jeder praktische Schulmaun
und Pädagog sich selbst zu beantworten wissen.
Auf diese Einleitung folgt nun die Darstellung des Einflusses des helle-
nischen Turnens auf das gesammte Alterthum, und zwar zuvörderst der Einfluss
auf den Körper (hier von dem Turnplatz und den verschiedenen Arten des Turn-
spieU), dann der Einfluss auf nächstverwandle Lebensen tfaltungen (hier von den
Spielen und Volksfesten, vom Krieg, von Athletik nnd Agonislik), der Einfluss
auf Yolkserziehung (die antike Erziehung im Allgemeinen, die gymnastische, die
musische Bildung) und auf Kunst und Religion. Bei allen diesen von S. 77 — 298
gehenden Ausführungen hat es der Verf. nicht für nöthig erachtet, auch nur ir-
gend eine Quelle anzugeben, oder irgend eine Stelle eines alten Schriftstellers,
zum Beleg oder als Nachweis des von ihm Behaupteten, anzuführen !
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Kurse Anzeigen
393
Heis (Eduard , Oberlehrer der Mathematik, Physik und Chemie an der höhern
Bürger- und Proviniialgewerbschule zu Aachen). Sammlnug von Beispie-
len und Aufgaben aus der allgemeinen Arithmetik und Algebra. Für Gym-
nasien, höhere Bürger- und Gewerbschulen. Fünfte verbesserte und ver-
mehrte Auflage. Köln, 1850, in der Du Mont-Schauberg'schen Buchhandlung.
Wenn ein Schulbuch, wie das vorliegende, alle drei Jahre eine neue
Auflage erlebt, »o ist das wohl ein sprechender Beweis seiner Brauchbarkeit. —
In der That ist die vorliegende Sammlung von allen mir zu Gesicht gekomme-
nen ähnlichen Werken unstreitig diejenige, welche den allbekannten Meier
Hirsch am besten ersetzen kann und auch bereits in vielen Unterrichtsanstal-
ten von Preussen, Oesterreich, Hannover, Braunschweig etc. ersetzt hat, und
indem ich von diesem guten Schulbucbe in diesen Blättern eine kurze Anzeige
gebe, möchte ich besonders auch die Vorsteher und Lehrer an den höhern Lehr-
anstalten Badens, Würtembergs, Baierns etc. darauf aufmerksam machen.
Im Allgemeinen ist die Elementararithmetik und Algebra in dieser Samm-
lung mit einem hinreichenden und passenden Material zur Uebung versehen;
nur zweierlei möchte ich dein Buche hier noch wünscheu, nämlich 1) dass der
Verf. die Fragen am Eingange jedes Abschnittes beträchtlich erweiterte, so dass
darin alle Hauptmoincnlc der Grundlehrcn zur Sprache kommen, und 2) dass
nicht blos Rechenexempel gegeben werden, sondern aoeh pikante Lehrsatze
zn deduciren sind, z. B.
1) Es ist:
(a2+b2-f-c2-fd2) (p2-HM-r* -fs2) = (ap+bq+cr+ da)2
+ (aq— bp-f-cs— dr)2 + (ar — cp-^-dq— bs)2 + (br- cq-J-as— dp)2,
2) Wenn:
A = bc' + cb' + aa',
B = ab' + ba'-f cc\
C = ic'-|-cV-fmV
ist, so ist : (a+b+c) (a'-fb'-fc') = A + B -f- C,
(a*-fb4-cl-ab— ac-bc) (a'+2b'H-c'*-aV-a'c'-bV)
= A* + B2 + C* — AB- AC— BC ,
(a2+b2+C3-3abc) (a'2+b'H-c'*-3a'bV)
= A2 + B24-C2-3ABC.
3) Es ist:
2y2 + 3z2 = 6P + (y+z-t)2 + (z-y-t)2 + (z+2t)2.
4) Das Produkt: n(n-f-1) t-n-H), wo n eine beliebige ganze Zahl be-
deutet, ist durch 6 theilbar.
5) das Produkt: ab (a2-^2) (a2 — b2), wo a, b ganze Zahlen sind, ist
theilbar durch 30.
6) Wenn man alle Divisoren einer Zahl N nach ihrer Grössenfolge in eine
Reihe setzt, welche mit 1 anfängt, und mit N schliesst, so ist das Produkt ans
je zwei, von den Enden gleichweit abstehenden Zahlen dieser Reihe constant.
7) Das um 1 verminderte Quadrat einer Primzahl (2 und 3 ausgenom-
men, ist stets durch 12 theilbar.
8) Wenn a, b zwei ganze relative Primzahlen sind, so können a2 — ab
+ b* und a + h keinen audern gemeinschaftlichen Primfakter als 3 haben.
594
Kurte Anzeigen.
9) Unler derselben Voraussetzung ist 2 der grösste gemeinschaftliche Di-
von a -{- b und a — b.
10) Unter derselben Voraussetzung gibt es (a — 1) (b— 1) Zahlen, welche
kleiner als das Produkt ab und prim zu demselben sind.
11) Wenn a, b, a', b' vier Zahle u bedeuten, welche za der fünften p
prim und ab — a'b, a — a' durch p theilbar sind, so ist auch b — b1 durch p
theitbar.
12) Wenn man die Summe der Zähler, so wie die der Nenner mehrerer
Brüche bildet, und die erste Summe zum Zähler, die zweite zum Neuner eines
Bruches nimmt, so liegt dieser Bruch zwischen dem grösslen und kleinsten der
gegebenen Brüche.
13) Zwei nicht reducirbare Brüche können nur dann eine ganze Zahl zur
Snmme haben, wenn sie denselben Nenner haben.
14) Die Summe dreier irreducibeler Brüche kann keine ganze Zahl sein,
wenn einer der drei Nenner einen Primfacter enthält, welcher keinen der bei*
den andern Nenner theilt.
it) Wenn A, B zwei beliebige ganze Zahlen und Q, Ol» Qii *«
B B B
Ouotientcn, aowie R, R,, Ha,., die Reste der Divisionen -j » -g* j^, ...find,
so hat man:
'km .. . A I 1 . 1
16) Die Summe aus dem grössten und kleinsten Gliede einer Proportion
at grösser, als die der beiden andern Glieder.
17) Wenn a : b = c : d ist, in welchem Folie ist auch:
a-j-m: b-j-n. = c-f-m:d-|-ra?
18) Wenn a : b = c : d ist, so ist auch :
ab : ed = (a-fb)* : (c-H )*.
19) In welchem Falle folgt aus a : b ate c : d und a' : b' = c' : d' die Pro-
portion: (a+a'):(b+b') = (c+c#):(^-H')?
Und dergleichen mehr.
Auch bei den Aufgaben müssen wir an die Worte des gewandten Re-
dakteurs der Nouvelles Annales de Malhdmatkroes erinnern: „Les auteurs dV-lc-
ments ne font pas assez attention an nhoit dea efemples, qu'ils prennent an
hasard, sans autre but que d'exercer au calcul; tandisque les exemple» doivent
fitre cherches dans fei oavrages des grands mattres, et pre*pares los elrvcs aux
connaissances pluss retevees dans les scienoes raatkematiquea et phystco-ma-
thematiques." —
Ali ein paar Baispiele wollen wir hier anfuhren die Gleichungen:
ps-rp2_b2-rp*_ct i.
j2-4- y3 4- 12 -i
j3 v-b'^v— c»~
v* T v*— b* T v3— c2 '
woran! X, y, z und x* + y* + z* gefunden werden sollen.
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595
2) a* + a8x 4* a2y 4~ as + u sS o,
b* + b3x + b2y + b* + " = o,
c* -|~ c3* 4* c2y + cz + ö = o ,
d* 4- d3» + d2* + dz + u = o,
3) i=x^.y-|_B-|_u_j-v4-w + t,
0 = x 4~ ay + bz 4" 4" d v 4~ ew 4~ ^»
0 = x +>*I 4- b«z 4- c2u 4- d2v 4- e*W + f2»,
0 = x 4" a3y 4~ 4" c3u 4" °*3v 4" ß3w 4" f3*»
0 = x 4~ a*y 4" b4z 4~ c4u 4~ d4v 4" c*w 4" ^
0 = x 4- a5y 4" ßSl 4" c5u + d&v 4: esw 4r fo»
0 = x + a6y + b«z + c«u 4- d«v 4- e6w 4- f«t.
4) ax3 = by3 = cz3,
1,1,1 _i_
x, y, t und a*2 4* bj* 4- cz2 gefunden werden
5) Zwischen den Gleichungen:
a° + bn 4" c° = d",
xm
7™
amH-n bm^n c™-4-«»
die Grössen a. b, c zu eliminiren, u. s. w.
Die Theorie der Ungleichheiten hätte nicht fehlen sollen, weil sie
bei vielen Untersuchungen, selbst in der Elementarmathematik, von Wichtigkeit ist.
Z.B es soll untersucht werden, für welche Werthe von x das Trinom:
Ax»4-Bx4-C
positiv oder negativ ist, so dass die Ungleichheit Ax2 4- Bx C £ o stattfindet.
Diese Theorie kommt namentlich bei der Untersuchung der Möglichkeit einer
Aufgabe vor, so. wie sie Oberhaupt manche interessante and oft sehr nützliche
Sätze darbietet. Beispiele:
a a' a"
1) Wenn — = ft/ = -jj = . . ist, so ist stets:
aa + a'a' + a"öt" -f . . < y* i2 +V* + •"»+... V aM-a'24- **+ . - .
1) Der Ausdruck x*4- y* — x«y-y*x ist für jeden positiven oder nega-
tiven Werth von x und y stets positiv.
3) Für jeden Werth von a ist stets 3 (1+*+*)
4) Für jeden positiven Werth von a, b, c ist stets :
abc>(a-fb— c) (a+c— b) (b-fc— a),
ab (a+b) -f- ac Ca+C) + bc (b+e) > babci a« w-
Auch über Maxi ma und Minima sollten Aufgaben wie folgende nicht fehlen:
1) Wenn die Summe zweier positiven Zahlen x, y gegeben ist, das Ma-
ximum das Produkts x" yn tu finden, von, n gegebene ganze Zahlen be-
deuten.
2) Wenn das Produkt von n positiven Zahlen gegeben ist, ihre kleinste
zu finden.
^ Wenn das Produkt Xm ya gegeben ist, das Minimum von *4t «» ß»*cn-
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596 Karze Anzeigen.
4) Wenn die Summe x+y gegeben ist, zwacken welcben Grenzen kann
sieb x34-y3 ändern?
. (z+t) (x-fb)
5) Das Maximum von zu finden. —
6) Das Minimum von:
su finden. — U. a. m.
Sehr instruktiv ist auch die Anwendung der Methode der unbe-
stimmten Coeff iciaaten auf Aufgaben wie folgende:
1) Welche Relation mnss swiseben p und q stattfinden, wenn das Trinom
x3 + px + q
durch (x-d)2 theilbar sein soll?
2) Die Coefficienten m. n so zu bestimmen, dass der Ausdruck:
mx3-x* (2mH"3n) 4- x (mH-6mn) — 3m2n
ein vollständiger Kubus wird.
3) Welche Relation muss zwischen A, B, C, D, E, F stattfinden, damit
das Pelynom:
Ay* + Bxy + Cx2 + Dy + Ex + F
ein Produkt aus zwei Faktoren des ersten Grades mit x u. y ist?
4) Man soll Ax2 + Bxy -f Cy2 und Ax« + 3Bx2 + 3Cy2x 4- Dy» resp. auf
die Form: (ax-f ßy)2 + (jx + SyJ2 und (ax-f-ßy )3 -f (r*-Hy )3 bringen, u. s f.
Die Verification der Gleichheit algebraischer Aasdrücke
bietet ebenfalls manchrache Gelegenheit zur Uebung im algebraischen Calcul dar.
Beispiele:
1) Wenn x-fy-f-u-r-v = 2und xy— uv = 2-2 (u-J-v) ist, so zeigen,
dass auch x2 ~\- y* = u2 + va ist.
1,1 2
2) Wenn a + c = 2b und -y+ "d"=~ »o »ich a:b=c:d.
3) Wenn A : a = B : b = C : c = D : d ist, so ist auch :
V'Äa" + Vßb + VCc" + V^Dd = V^A+B+C+D) (i^b+HFo7.
4) Wenn man die Gleichungen:
a2 + ß2 + Ti = 1t «,«' + PV + TlT'# = 0,
a'2 + ß'2 + T'2 = aa' + S' + rf =<>,
a«i + ß«2 + T«t — aa' + ßß« + n« - o
bat, so finden auch die folgenden statt:
aß + a'ß'+ a"ß" = o, o» + a'2 + a"2 = 0,
aT + »V + a"T" = o, ß2 4- ß'2 + S"2 + 0,
ßT + ßY + ß V = o, ß2 + ß'2 4 ß"a = 0,
ata'ia"2 + ß2ß'2ß»2 4_ yYY'1 = a*ßy 4* a/2ß'Y* + «'TV1«
U. a. m. Kur? : wir wünschen, dass der Verf. bei der nächsten Auflage über-
haupt solche Uebungen gehörig berücksichtigen möge, welche das Wesen oder
die Theorie der Arithmetik und Algebra betreffen, und deren Kenntniss für die
folgenden Thcile der Mathematik (analytische Geometrie etc.) von Wichtigkeit ist.
Endlich wäre es wünschenswertb, dass der Verf. auch das Wichtigste
aus der höhern Algebra aufnähme, damit das Werkchen auch an höhern tech-
nischen Lehranstalten benutzt werden könnte. Hieher gehört namentlich: die
'Entwickelung der Funktionen in Reihen; die Zerlegung der gebrochenen Funk-
-Üonen in Parlialbrücbe etc. etc. und insbesondere die Auflösung hohem Zablen-
gleichungen nach den Methoden von Fourier, Budan , Sturm, Horner etc. Dass
das Buch dadurch um 5—6 Bogen verstärkt wird , kann bei einem so viel ge-
brauchten Scholbuche nicht in Betracht kommen. — Die äussere Ausstattung ist
sehr gut und ökonomisch, sowie der Preist = 1 Thlr^für fast 24 Bogen
' . ' . * I.
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Hr. 40. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
>
Kurze Anzeigen.
(Schluss.)
Die allgemeine Umkehrung gegebener Funktionen. Eine Monographie ton Dr. Ös-
kar Schlömilch, Professor an der Universität Jena. Halle, Druck und
Verlag ton H. W. Schmidt. 18t9. 56 S. in 8.
Wenn die Grösse x dergestalt von y abhängt, dass man setzen kann:
x = +(y),
d. h. dass also x eine bestimmte, gegebene Funktion von y ist, so ist man be-
rechtigt, umgekehrt zu setzen:
y — ? (*),
d. h. auch y als Funktion von x zu betrachten. Wenn nun, wie gesagt, cf> (y)
gegeben ist, so stellt sich die Aufgabe dar, hieraus <p (x) zu bestimmen. Damit
wäre dann das Problem der Umkehrung einer gegebenen Funktion gelost. Die
Lösung dieser Aufgabe ist der Zweck vorliegender Monographie.
Man hat schon früher eine Lösung dieser Aufgabe versucht. Den ersten
Versuch finden wir bei Newton, der durch auf einander folgende Potenzirung
einer Reihe und Elimination der höhern Potenzen von y zn einer neuen Reihe
gc 'angt. Sei z. B.
x = y+iya+4y3+iy<+....,
so bildet Newton zunächst x», x3, x1, . . . und verbindet diese Grössen so , dass
y', y3 . . . . verschwinden, also :
x— Jx* = y-ly3- ,l,y*-...
X-*x2-Hx3 = y + J'|yl + ..
a. s. w. Dadurch erhält er die Reihe:
y = x- Jx*+ix3-s'4x*+...
Man sieht leicht ein, dass, wenn diese Methode auch, übersichtlich darge-
stellt, sich sehr einfach ausnimmt, sie bei wirklicher Anwendung völlig unbrauch-
bar ist. Denn es ist nicht möglich, das allgemeine Gesetz der Koeffizienten der Po-
tenzen von x zu bestimmen; allerdings könnte diess durch die Lehre vom Po-
lynomium fibersichtlich geschehen, allein für wirkliche Berechnung ist dieselbe
unbrauchbar. So lange das Gesetz der Koeffizienten nicht bekannt ist, ist aber
eine unendliche Reihe schon darum nicht zu gebrauchen, da deren Konvergenz
nicht beurtheilt werden kann.
Eine vollständigere Lösung gewährt die bekannte Lagrangesche Formel.
Setzt man nämlich:
and sei ya der Werth von y, der der Gleichung:
y = x f (y)
Genüge leistet, und mit z verschwindet, so ist
XLIV. Jahrg. 4. Doppelheft. 40
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626 Karte Anzeigen.
wenn f(0), ^(0),... alle endlich sind, f(o) nicht Noll Mit and A» endlich and
stetig von e = 0 bis i = y , und die vorstehende Reihe konvergent ist x darf
nur dann den Werth k annehmen, wenn von x — 0 bis x = k die Gleichung:
1_xfi(v0) = 0
nicht Statt finden kann.
Allein auch diese Auflösung, abgesehen von der Einschränkung ihrer
Ausdehnung, gewährt keinen praktischen Vortheil. Es wird nämlich bei ihrer
Anwendung das Differenzial:
An . n-+-l
gefordert, welches allgemein darzustellen gerade denselben Schwierigkeiten un-
terliegt, denen wir oben begegneten.
Aus diesen Gründen mussten neue Methoden gesucht werden, welche
alle diese Schwierigkeiten, so viel nur immer möglich, beben, welche also so-
wohl hinsichtlich der Ausdehnung ihrer GUtigkeit, als auch hinsichtlich ihrer
Anwendung keinen Wunsch mehr übrig lassen. Diesen nenen Metboden boten
eich unmittelbar durch die vom Verf. in seinen „analytischen Stadien0 behau-
en „Fourier'schen Reiben*1 dar.
Eine jede Funktion ? (x), stetig oder nicht, laset tick bekanntlich der
II
icx 2icx
Jeo+ai cos — +atcos— + ....
worin c > x ^> 0, gleich setzen , wenn
Ist non:
und folgt daraus
y = ? W»
io kann man setzen:
y s | 80 + at cos -j- + u cos + . . .
2 1 n ' s dx.
?J^?(«).eo.=P
Da aber 9 (x) nicht unmittelbar bekannt ist, sondere erst gefunden wer-
den muta, so mass man in dem vorstehenden Integrale y statt % einfuhren, da
Y(x) = y, x = (|»(y). Nun ist:
co* c
™ dx
j*T (x). co. » k = J\ cos =^=dx xJL !S dx -Jajjo
Den Grämen c und o von x entiprechen Wertho von y, die nun Hödel,
wenn mm die Gleichungen:
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627
auflöst, c aber ist eioe willkürliche, positive Grösse; ist also y so beschaffen,
dass 'Lfy) positiv wird, sonst willkürlich, to ist y. im Allgemeinen willkürlich,
die obere Granze, und My) = c. Sind ferner r(1 , r2, 1J3, ... die Wurzeln der
Gleichung ^ (y) =s o, so sind diese Grössen die untern Gränzen Ton y. Man er-
hält also so viele verschiedene Bestimmungen der Koeffizienten , als <|> (y) — 0
Wnrzeln hat, oder als t}>(y) = x deren hat, indem jji, t^,. . nichts anderes sind,
als diese letztern Wurzeln, in denen man x=so setzt. Man sieht daraus, dass
die Umkehrung für alle Werthe von y, die aus x=s$ (y) folgen, gegeben ist*
Man hat nun:
2 . nicd>fy)
au = — • I sin j*, ^ dy,
1 tj irgend einen der Werthe tj2, . . bezeichnet, und wenn nicht i) an 00 ist, fn
welchem Falle vielleicht nicht tj sin Sffi3i — 0 ware> obwohl tj» (y) = o ist. y, eh
willkürlich, kann man ohnehin endlich annehmen. Der Werth von nö erfordert
eine nene Umgestaltung, da die so eben gegebene Formel für n=o nicht in-
Usig ist. üebrigens findet man auf demselben Wege:
Unter diesen Voraussetzungen folgt also aus x = <|<(y):
TCX 2~\
y =<?(x)=ia0 + a1cos-^j -f «» cos ^ . . .
Für den Fall, dass rj imaginär ist, kann man das Integral leicht in &
Theile trennen, von denen der eine reell, der andere imaginär ist. Man hat
cimlich allgemein: (
so eben entwickelte allgemeine Umkehrunnsformel wird nnn auf die
Falle:
x = yu ey, x = yu e-y, w (1 — y) = x,
x = «o yrt+ a, yu-* + + y
Fille die Anwendbarkeit der allgemeinen Formel erst in
eia klares Licht setzen. wl •• . v.«/.
Da man ferner n#k • -t. ->•;.. . iK-
cp(x)=b1 f io - + b2 sin — + 1^ sin — +
': c>x>o,
I * •
• • •
40 •
r
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so findet man auf ähnliche Art, wie so eben, das* ans x = +(y) folgt:
t — f) , tat , . 2iuc ,
1 = " + m x + * ■ m + * " m + • ■ •
♦Ct)>*>«.
worin:
ist, wenn t) nicht = *> ist.
Diese weitere allgemeine Umkehrungsforniel ist auf das bekannte, in der
Astronomie gestellte Problem angewendet, y aus der Gleichung:
y — s sin y = x
xu bestimmen, worin s ein positiver, ächter Bruch ist.
Die niroliche Metbode, wie sie oben angewendet wurde, dient nicht nur
dazu, y aus der Gleichung x — d ( y ) au bestimmen, sondern selbst irgend
»ige Funktion von y, i. B. f(y). Man findet nämlich:
% . Ttx . 2tcx i
f(Y) == i »o + »i co» -fffi + "a cog JJJJ + • • •
■
Kt)>*>o,
Die vorstehenden Formeln geben auch du Mittel an die Hand, den Werth
S h
fÄF(x)dx
worin yt, yt iwei Wurzeln der Gleichung dfy) — x
Anwendung hier ist um so wichtiger, als bisher keine Methode
durch welche derartige Integrale bestimmt werden könnten.
Setzt man nämlich in den vorangehenden Formeln:
10 ist:
f(y) = F(x) dx, aUo f'(y) = F(y),
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<Pfr)>*>o:
J1 Va)dx = 1 Vfti cos ^ + aa cos + . . .
SeUt man nun nach einander y = yt, J = yi und sind tja, tjt die ent-
»nden Werthe von yj, d. b. sind V}, ijt die Wurzeln der Gleichung <|>(y)
= o, welche den Wurzeln yf, yi entsprechen, die man aus t|»(y) = x enthält,
oder vielmehr aind >)a, y die Werlhe von yi, yi für x = o, und zieht die Re-
sultate von einander ab, ao findet man :
oder wenn M der gröste positive Werth von <|>(y) ist:
J' F(x) dx = } c0-f-<>i coa + c* coa~^-+....
M> x>o.
* <° FW «Ö * * = JL£ FCO sin =£ZL dy.
Ganz eben so finde sich:
>..-^>r«^*
Alz spezielle Beispiele sind gewählt die Formen:
Obwohl die so eben bezeichneten Methoden eine Allgemeinheit besitzen,
die in der Regel hinreichend sein wird, haben sie dennoch die Beschränkung
in eich, dass x bloss positiv sein kann. Allein auch diese Beschränkung lajst
sich heben, wenn man von der Formel:
F 00 = i 8o + «i cos — + a2 oos — + . . ,
b. sin H b2sin f-..,
1 c c 1
"I" c ^ * ^> ct
Die Behandlungs weise ist der oben von uns, nach der vorl
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Schrift, angedeuteten analog und es wird dater einer weitern
hier nicht bedürfen.
Man kann endlich die Umkehrung durch ein bestimmtes Integral bewerk-
stelligen, also einen geschlossenen Ausdruck finden, der dasselbe leistet, was
oben durch Reihen beiweckt wurde.
Gebt man mm lieh von den bekannten Formeln:
FW = \ Jo C°,X U dUJ 0° F^ 001 "* *
F(x)=-I siuxudul F(x)siouxdx
c>x>o, .! ' , •
am, fo findet man:
oder
*eO>*>o. /...
In Ähnlicher Weise kann man die Formel:
F(x) = ^0 duj^c F(t) cos a *' ' ' • ♦
c>x> — c
anwenden.
Damit ist denn das Ziel erreicht, das sich die vorliegende kleine Schrift
gesteckt. Dieselbe ist semit, schon wegen des iu ihr behandelten Gegenstandes,
abgesehen von der klaren und strengen Darstellung, in jeder Beziehung sehr der
Beachtung zu empfehlen.
Mathematische Abhandlungen ton Dr. Oskar Schlömitch, Professor der hohem
Mathematik an der tönigl. sächs. technischen Bildungsanstalt «u Dresden,
Inhalt: I. lieber das Theorem eon Mac-Laurin. II. Die Bürtnanusche
Reihe. IU. lieber approximative Quadrahtren. IV. Veber ein DoppeUu-
tegral mit we* tcillkürlichen Funktionen. V. Veber die Bestimmung der
Masse bei ungleichförmiger Dichtigkeit. Mit einer Figurentafel. Dessau,
Verlag eon Morits Katn. 1850. (105 S. in 8.) ,
• • »
Wir haben schon mehrfach Gelegenheil gehabt, in diesen Blättern der
Schriften dieses thätigen Mathematikers Erwähnung zu thun, und wir freuen
uns, auch jetzt wieder eine Arbeit desselben anzeigen zu können, welche dt*
Beachtung in vollem Maose verdient. Die hier verbandelten, auf dem Titel blatte
ihrem Inhalte nach angezeigten Gegenstände gehören mit zu den wichtigem
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und find, indem dieselben, wie nun im Folgenden er-
wird, erscnopienn nenanocii wurden, somit in jener nmsicni zu empiernen.
Die erste Abhandlung hat zum Gegenstand ihres Vorwurfs das Theorem
ton Mac-Lanrin gewählt. Es ist eine von allen Mathematikern nun wohl an-
erkannte Sache, dass unendliche Reihen nur dann gebraucht werden dürfen,
wenn sie konvergent sind. Das Theorem, um das es sich handelt, ist nun
eine allgemeine Norm, nach der eine Funktion in eine nach Potenzen der un-
abhängigen Veränderlichen fortschreitende Reihe entwickelt werden kann, oder
vielmehr gibt es die Summirung solcher unendlicher Reihen, natürlich innerhalb
der Gr&nzen ihrer Konvergenz, an. Es handelt sich vor Allem darum, zu wis-
sen, in wie ferne die durch das Theorem von Mac-Laurin angegebene Reihe
sei. Allerdings weiss man, dass
VJ 1.2....D -rL°J+ 1 X+ 1.2 X+"+1.2..(i_d)
wo a zwischen 0 und 1 ist, dass also jene Reihe konvergent ist, wenn:
verschwindet für ein unendlich wachsendes n. Die Entwicklung tob
1 . 2 . . n
it«)(ax) ist aber im Allgemeinen grossen Schwierigkeiten unterworfen, und wenn
sie auch ausgeführt werden kann, so werden die Formeln dermassen ausfuhr-
lich, dass ein Schluss unmöglich ist. Es war daher natürlich, dass man ein an-
deres Zeichen aufsuchte, und Cauchy namentlich hat dies gethan. Er ist aber
dabei in einen Irrthum gerathen, indem er aus flVl und ihrem ersten Differen-
zialquotienten dieses Kennzeichen ableiten wollte, was unmöglich ist. Um die-
sen Irrthum zu verbessern, und eine einfachere Ableitung zu geben , hat der
Verf. die vorliegende Abhandlung veröffentlicht.
Nach einer, in jeder Weise ausgezeichneten Einleitung, welche die Fest-
stellung des Begriffs diskontinuirlicher Funktionen und des bestimm-
ten Integrals betrifft, wobei als Resultat sich ergiebt, dass, wenn f(xj zwi-
schen x = a und x = b für x = £i, £},.... £n Unterbrechungen der Kontinuität
erleidet, man hat
J\x) = F(b) - F(0 + -*i) - Fft + «,)
+ Ftfo-ÖD) — FO+en)],
wobei das Zeichen Lim. bedeutet, dass die Grösse 2, s bis zu Null abnehmen
sollen, dass ferner a und b nicht mit einer der Grössen £ zusammenfallen, und
wo F(x) das unbestimmte Integral von f(x) ist, so dass F(x) + C =
ST
f(xjdx, wendet sich die Abhandlung zur Berechnung des bestimmten Integrals
F(re«i)dt. Referent hätte es dabei für nicht unpassend erachtet, wenn statt
o
der Bezeichnungen £ -f- o gleich £ — 8 oder £ + 1 eingeführt worden wären,
dass ferner der Fall auch, der Allgemeinheit wegen, betrachtet worden wäre,
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da a and b mit einer der Grössen £ zusammenfallen, was eich allerdings un*
ine dem Gejagten ergiebi und dass endlich der Satz (S. 14), dass
f.
oder vielmehr:
J],fCx)dx=LimfJ';",|Cx)^+^b+4^)<'x]
er] i utert worden wäre, wie dies z. B. Moigno, Integralrechnung, siebente
Vorlesung, thut, obwohl das Unterbleiben der Deutlichkeit kaum Eintrag thut.
Was nun das Integral^2" F(re «0 dl, worin r eine positive Konstante
nnd i = Y — 1 und r so gewählt ist, dass F(re«0 nicht diakontinuirlich wird
von t=o bis t=2u betrifft, so findet sich:
>2ic „ %
o
o\ b. einer Konstanten gleich. Diese Konstante wird durch spezielle Wertbe von
r bestimmt werden können. Ist die oben genannte Bedingung erfüllt von r=o
an, so genügt die Annnhiue r=o und man hat C=2r. F(o). Ware z. B. F(reu)
so beschaffen, dass jene Bedingung von r = o bis r = «o nur ein einziges Mal
für r = p nicht erfüllt wäre, so wurde für r >. p also C = 2- F(o) für r > p,
C aber durch eine andere Annahme, etwa r = oo bestimmt werden müssen. So ist
P2u re'i . P2* reu . _ .
I :dt = o, r<p; I — . dt=2rc, r>p,
J o ret. — pexi J o reh— pen r
wie man leicht a posteriori nachweisen kann.
Setzt man F(i) = *S*1 und sind ffre"), f'(re,i) tf»0(reti) sämmüich
xm
kontinnirlich für r«r0 und t von o bis 2t:, so ist:
JV")- rc«'0<»*= -5*^3-. '<ro- (ai
Es ist nun ein Leichtes, das Theorem von Mac-Laurin abzuleiten. Setzt
man nämlich F(i)= fCx)~f(a) x, w0 a = pcTi und ei tretc die Unterbrechung
der Kontinuität zuerat für r=r0 ein, so ist:
re^pe' J ""*=o, r<rtf, *- *
woraus dann aus dem Frühern :
*2u re»'
TfCre«iJdt = o, r0>r<p,
f.
r
o re'1— pe?i
f(re'0dt = 2<peTi), r0>r>p.
o re" — pevi
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Karze Anzeigen. 633
re-1 1
Entwickelt man in der letzten Formel^^— jj^= |_^e(T_,)i in eine
nach den Potenzen von fortschreitende Reihe, was immer möglich ist, da
nnd wendet das oben unter (A) angeführte Theorem an, so erhält man:
r t '
jO*M»>f pe-+ ^ (pe,i)s + , r0> p > o. , • . '.
wenn f(reii), P(reli) kontinuirlich bleiben von r=o bis r=ro nnd t=»o
bis t=s2ic. Man kann daher auch folgende Regel aufstellen:
Man snche diejenigen (reellen oder inimaginären) Werthe von x auf, für
welche f(x), P(x), f"(x) diskontinuirlich werden und nenne xo denjenigen,
der den (absolut) kleinsten Modulus hat, so gilt die Gleichung:
* * • » * * *
für alle x, deren Modulus kleiner ist, als der von x* Diess ist nun das Theo-
rem von Mac-Laurin. Allerdings bleibt in den speziellen Fällen noch zu unter-
suchen, ob das Theorem noch gilt, wenn der Modulus von x gleich dem von x0.
Darüber hinaus gilt es jedenfalls nicht.
Die Bür mann 'sehe Reihe ist nun nur eine Folge, wenn auch bedeu-
tende Verallgemeinerung der frühern. Es kann nämlich die Aufgabe gestellt
sein, f(x) nach den fortschreitenden Potenzen einer willkürlichen Funktion <p(x)
) • • • • •
'CO = »o +4" ai *00+ 75- °aO02 + — •
Setzt man <p(x) = t und f(x) = F(t), so hätte man:
und diese Reihe (die Mac-Laurin'scbe) gilt unter den für jene aufgestellten Be-
dingungen. Nun ist:
■©=■00. IW-^I n*y=™%^
Obige Reihe gilt somit in so weit, als der Modulus von F(<px) kleiner
ist als der Modulus des kleinsten Werthes von t, für den eine der Funktionen
F(t), F'(t).... diskontinuirlich wird. Nun ist klar, dass keine dieser Funktio-
nen diskontinuirlich wird, wenn weder f(x), f'(x).... <p(x), <p'(x),.... im Zähler
diskontinuirlich werden, noch der Nenner <p'(x) verschwindet. Ist nun ?(x) = o
für das reelle x=a, so findet mr.n die Bedingungen, wenn man die (komplexen,
d. h. allgemein imaginären) Werthe von x aufsucht, für welche eine der Funk-
tionen <p(x), <?'(x),..., f(x), P(x)... diskontinuirlich oder <p'(x) Null wird und
so dann den auswählt, der Tür ?(x) den absolut kleinsten Modulus gilt. Als-
dann gilt die Reihe für alle Werthe von <p(x) , deren Modulus kleiner als jener
Modulus ist, vorausgesetzt, dnss zwischen dem Werthe x=a und dem gefunde-
nen kein Modulus eines komplexen Werthes von x liegt, für den die Diskonti-
r
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634 Karze Anzeigen.
nuität von <p(x), ?'(*)..., f(x), f'(x),... eintritt oder c'(x) = o wird. Man wird,
wenn man diess zusammenfaßt, da gerade die letztere Voraussetzung Schwie-
rigkeiten macht, einsehen, dass alle Bedingungen erfüllt sind, wenn man, gesetzt,
dasj x=£ die Funktion <j>'(x) zu Null macht und x=b der Gleichung mod <p (x) =
mod <p(£) entspricht, x von a bis b gehen lasst, ferner festsetzt, da.«s <jp(x) and
f(xj innerhalb dieses Intervalls sich nach dem Mac-Laurin'schen Theoreme ent-
wickeln lassen, und mod p(x) beständig wächst von o bis mod c(;), wenn x
von a bis b geht, in welchem Falle es keinen Werth y'(x)=o zwischen a und
b gibt. Diess ist denn auch die Bedingung, welche das Buch feststellt, mit dem
Unterschiede, dass da man nur reelle x anwendet, auch ^p(x) reell ist, und also
das Buch die Gleichung <p(x) = mod?(£) annimmt, was aber eigentlich ^(x) =
-j- mod <p (£) heisaen sollte, also auch 7 (x) selbst entweder zwischen x = a
and x=b beständig zu- oder auch abnimmt. Gerade diese letztere Bemer-
kung würde in den Anwendungen die Gültigkeit der Formeln erweitern, so
x. B. würde die Reihe (25) auch von x = o bis x = — |, letzteres ausgeschlos-
sen, gelten, wobei ja auch— 4x (1+x) < 1 ist u. s. f.
Durch eine scharfsinnige Entwicklung findet sich:
Es sind sodann nach einander die Spezialisirnngen <p f x) gleich ,
l±x
X (1 +X3), -T^— ,sinx, cosx, arc(tg=x), xe~» eingeführt.
Da im Frühem vorausgesetzt wurde, dass es ein reelles ä gibt, für das
^p(a) = o, diese Bedingung aber nicht immer erfüllt ist, so war eine Verallge-
meinerung der Formel nothwendig, die dadurch herbeigeführt wurde, dass man
<p(x)-?(a) statt ?(x) schrieb.
Es ist klar, dass Integrationen der Form I f(x) <f» (x) dx durch die Bür-
mann'sche Formel sich ableiten lassen, indem man, wenn <Ji(x)=<p'(z) ist, f( x j nach
den Potenzen von f(x)— <p(a) entwickelt. Dergleichen ist die ü m k e b r ■ n g der
Funktionen, sowie das bekannte Lagrange'sche Theorem nur eine ein-
fache Anwendung jenes Satzes. Ist nämlich Y=<p(x) gegeben, so folgt daraus:
m ~ dx^V ~f* A01)
deren Giltigkeit leicht bemessen werden kann.
Laplace hat in der theorie analytique des probabilite* (Liv. I. II. partie,
chap. III) eine Methode gegeben, die numerischen Werthc von Integralen zu
finden der Form:
in denen f(z) Null ist für z = a und z = ß und innerhalb dieses Intervalls
einziges Maximum oder Minimum erreicht. Da seine Entwicklung .
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Kurze Anzeigen. 63$
» Bestimmung hinsichtlich der Konvergenz der Reihen, nicht bestimmt
genüg ist, so bat onser Buch den Gegenstand in der IV. Abhandlung neu auf-
gegriffen.
Es habe fl» für z = u. ein positives Maximum, für z=u ein negatives
Minimum und sei stetig von z = [i bis z=u so gibt es einen Werth ß,
zwischen jenen zweien, für den f(ß) = o ist und f(z) nimmt beständig ab von
x = o, wenn bis wo dann f(a) der grösstc, f(ß) der kleinste Werth
Setzt man also .
f(0=fC«> fCy).
10 i»l Fl vi eine beständig abnehmende Funktion, die etwa durch
F(y) = l-.y-by'-ey9-....
dargestellt werden kann. Für z=a wäre dann y=o, für z=ß ist F(y)=o und
wenn ij eiae Wurzel dieser Gleichung ist, so ist y=Yj für z=*ß. Man wird na-
türlich für t] die kleinste (positive) Wurzel wählen. Wählt man nun F(y) so,
aus F(y)=q folgt y=E(q J, d. b., dass Fl v J sich leicht umkehren läset, so ist
Setzt man nun:
-^K^?>M"C^)T+
der Bürmann'sche Satz für y(x)=;E^.^°^X^ ^ist, und bemerkt, das
Funktion IS'ull ist für x=:o, so ist in jenem Salz a = o, also n0 — o und an zs,
d»'1 r x Y
TLe S1(*+x)\J O = <0
LEff(afx)V
Setzt man hier x = z — a, so erhält man:
wodurch da gefunden wird, somit:
ist. Man findet leicht, dass diese Gleichung giltig ist, indem die Reihe Geltung
bat von y=o bis y=yj, während y=e(5Ö^ sich nach den Potenzen
\n<o/
muss entwickeln lassen im Raum z=a bis z=43, welch letztere Bedingung im
Buche nicht angegeben ist.
Als Spezialisirung wurden aufgeführt F(y) gleich 1— y, e->.
Trifft a mit ja zusammen, so muss man F(y) die Form 1— b yi— cy3..«..
geben, da dann F'(o) = o sein muss, indem aus f(z) = f(p) F(y) folgt dz =
von z
*-^~!—> WRS für z = j*, dem y = o entspricht, sonst unendlich wäre. Alf
f(zj
Beiipicl ist F(y) = l— y2, c~T* gebraucht.
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636
Kurze Anzeigen,
Du tu Anfang angegebene Integral, daa Laplace betrachtet, zerfallt nun
leicht in zwei andere, welche beide die Form der betrachteten haben. Denn
ist U z) Kall für x=a und x=ß, erreicht weiter ein einziges Maximum zwischen
diesen Werthen für x=ji, so ist:
welche letztere die frühere Form haben. Mehrfache Beispiele zur Anwendung,
unter andern auch die Berechnung der Funktion r(l-j-jx) bilden dann den Schluss
dieser Abhandlung.
Hat man ein bestimmtes Integral der Form
so kann dasselhe auf einfache Integration (Quadratur) zurückgeführt werden,
indem es gleich
ist, wo V(y) die Umkehrung von <p(y) ist, d. h. wo aus <?(z)=x folgt x=V(z).
Diese Integration lässt sich bei der Bestimmung der Masse eines Körpers leicht
anwenden, wenn masT annimmt, der Körper habe Cylinderform oder sei ein Ro-
tationskörper und 'die Dichtigkeit indere sich nur von Schicht tu Schicht. —
Diese Gegenstände, mit ziemlich zahlreichen Beispielen, erfüUen die zwei letzten
Abhandlungen.
Wie wir diess schon zu Anfang ausgesprochen, wird jeder Freund ma-
thematisoher Untersuchungen die kleine Schrift nur mit Befriedigung aus der
Hand legen und wenn Ref. auch in der zweiten Abhandlung grossere Bestimmt-
heit des Ausdrucks und etwa schärfere Erörterung gewünscht hatte, so ist doch
im Allgemeinen die Entwicklung klar und verständlich, wenn freilich der Ge-
genstand an und für sich keineswegs zu den leichtesten gehört.
P. A. Hansen, Mitglied der hönigl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften.
I. Allgemeine Auflösung eines beliebigen Systems von linearen Gleichungen.
II. Veber die Entwicklung der Grösse (l^2aH-|-a2)— | nach den Po-
tenten von a. Ans den Abhandlungen der mathematisch-physischen Klasse der
konigl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften sm Leipzig. Leipzig. Weid-
mann'sehe Buchhandlung. 1849. (130 S. in kl. 4.)
Die vorliegende Schrift ist, wie ihr Titel besagt, ein besonderer Abdruck
aus den Abhandlungen der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften und
behandelt zwei Probleme, von denen namentlich das erste in ziemlicher Voll-
ständigkeit ausgeführt ist und die Aufmerksamkeit, zumal der praktischen Rech-
ner, in hohem Masse verdient. Die Auflösung eines Systems von n Gleichun-
gen des ersten Grades mit n Unbekannten ist hier ganz in derselben Wretse
durchgerührt, wie Gauss diess für die speziellem Systeme solcher Gleichungen
gethan, die bei der Anwendung der Methode der kleinsten Quadrate auftreten.
(Man sehe z. B. die Abhandlung von Encke über die Methode der kleinsten
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C37
Quadrate in dem Berliner astronomischen Jahrbuch 1834 — 1836.) Die Bezeich-
nung* weise der Koeffizienten ist gtinz annlog der ton Gauss gewählten, nur
dass hier die Gleichungen in ihrer allgemeinsten Form auftreten. Der Verfasser
gibt zwei Methoden der Auflösung, von denen namentlich die zweite, wenn es
lieh bloss nm die Bestimmung der Unbekannten handelt, sich durch grössere
Kurze und Einfachheit empfiehlt. Der Grundgedanke der ersten Methode ist
folgender :
Seien (aa)z + (ab)z' -f- (ac)x" + + q = 0
(ba)x + (bb)z'-r- (bc)x" + + q'=0
(ca)x + (cb)x' + (cc)x" + + q"=0
die Gleichungen, aus denen die Unbekannten x, \', x", zu bestimmen sind.
Man maltiplizire die erste mit a und addire sie zur zweiten, setze sodann:
(•■)a+(ba) = o (ac)a-j-(bc) = (bc,l),
(ab)a + (bb) = (bb,i), (ad)a+(bd) = (bd,l) u.a.w.
so erhält man die Gleichung:
(bb,l)x'+(bc,l)x"+ + Q' = 0,
die eine Unbekannte weniger enthält.
Eben so multiplizire man die erste Gleichung mit a', die zweite mit tV,
addire sodann beide zur dritten, und setze:
so erhält .
(cc,2)x"+<cd,2)x"-|- +Q"=0.
So fährt man fort und erhält nach und nach n Gleichungen , jede eine
Unbekannte weniger enthaltend, als die vorige, die man darstellen kann unter
den Formen:
(aa)x+(ab)x'-Kac)x"+ + q=0
(bb,l)x'+(bc,tK+ +Q'=0
(cc,2)x"+ +Q"=0
I
Aua diesen folgt:
Q' Q"
X -(cc,2)+
n. s. w., worin A, A'..., B'... unbestimmte Zahlen sind, die man (rekurrirend)
bestimmt, wenn man diese Werthe in vorstehende Gleichungen setzt Zur völ-
ligen Auflösung ermangelt noch die Bestimmung der Grössen ot, et', 3\ et", ß",
-{" Diese sind, wie man sieht, durch Systeme von Gleichungen gegeben,
von denen das höchste n — 1 Gleichungen (Unbekannte) enthält. Zugleich ha-
ben diese Gleichungen die Eigenschaft, dass ihre Koeffizienten, in Bezug auf die
urtprünglichen Gleichungen dergestalt geordnet sind, dass die horizontal stehen-
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638 Kurze Anzeigen.
den Koeffizienten der letztern in den ersten in vertikaler Reihe stehen und um-
gekehrt. Die Auflösung dieser Systeme kömmt auf das Vorangegangene zurück,
und zugleich macht die eben erwähnte Anordnung die Auflösung leichter. In dieser
Weise bedarf es der Auflösung eines Systems zweier Gleichungen mit zwei Unbe-
kannten, dreier mit drei Unbekannten,. .. n-1 Gleichungen mit n-1 Unbekaanten,
um zu der eigentlichen Lösung zu gelangen. Die Ausführung, wegen der Sy-
metrie der Resultate, ist nicht schwer und die vorliegende Schrift gibt ($. 7)
das allgemeine Schema dieser Ausfuhrung. Wenn Referent hiebet Etwas zu
erinnern hat, so ist es, dass die Auflösung insofern nicht allgemein ist, als
die allgemeine Gültigkeit der Resultate nicht nachgewiesen ist. Bei einem Theile
der Resultate lässt sich diese allgemeine Gültigkeit leichter übersehen, schwerer
aber bei andern, z. B. den Resultaten des $. 5 u. s. w. Uebcrhaupt dient diese
Nachweisung der allgemeinen Gültigkeit ge Wissermassen zur Beruhigung, und
legt das waltende Gesetz ganz offen vor Augen. So sollte also z. B. der Werth
von AO»)..., AiC»)..., a(™\..., otjO»)..., gebildet sein, ebenso allgemein be Wie-
len werden, dass A1(m) = a(ni\ AC"0 = O|0») u. s. w.
Allerdings hätte dieser Nachweis den Umfang der Abhandlung bedeutend
vermehrt, doch wäre er wohl nicht am unrechten Platze gewesen, zumal in
einer selbstständigen Schrift, als welche doch der vorliegende Abdruck anzu-
sehen ist. Eine derartige Schrift, namentlich über einen solchen Gegenstand,
sollte auch Dem genügen, der das darin Gesagte zum ersten Male liest, und «ich
also noch nicht mit Aehnlichem beschäftigt hat. Dazu dürfte aber eben der ver-
langte Nachweis erforderlich sein.
Will man die vorgelegten Gleichungen unbestimmt auflösen, d. h. die
allgemeinen Werthe von q, q1, ... einführen, so gibt $. 8 dazu Anleitung-, indem
diese Auflösung unmittelbar aus der frühern geschlossen wird.
zweite Methode ist, wie bereits oben gesagt, für die praktische Be-
sinfacher. Man muhiplizirt die erste Gleichung mit 0 und addirt sie
i; die erste mit y und addirt sie zur dritten u. s. f. und setzt:
(aa) ß + (ba) = o, (aa) y 4. (ca) ass o u. s. w.,
so erhalt man n— 1 Gleichungen mit n— 1 Unbekannten. Ganz dasselbe Verfah-
ren wendet man nun auf diese an, und erhalt so n — 2 Gleichungen mit n— 2
Unbekannten u. •. w. Dann folgt:
OM) + +0M)'
-Cec,2)X +--+(^2?
i « . • ■ i ■ } — .. .
woraus dann rückwärts die Unbekannten folgen. Auch die oben angedeutete
unbestimmte Lösung ergibt sich hieraus (S. 11). Auch hier ermangelt der all-
gemeine Nachweis, zumal in dem au Ende des §. 10 Gesagten, sowie auf S. 103.
Die von Gauss bebandelten Gleichungen, die bei den Losungen nach der
der kleinsten Quadrate auftreten, sind ein spendier Fall der hier be-
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Kurze Anzeigen. 639
bandelten, der eich daraus ergibt, wenn man allgemein setzt: (ab) = (ba), (cd)
=(dc) u. f. w.
Aach der Fall wird untersucht (§.12—14), wenn eine oder mehrere der
gegebenen Gleichungen eine Folge der übrigen sind, oder ihnen widersprechen
nnd die Kennzeichen angegeben, wie man diess bestimmen kann. Wenn näm-
lich in einem der Systeme von Zahlen:
(bb,l), (bc,l), (bd,l)
(cc,2), (cd,2),
C*M).
alle vorhandenen Zahlen Null werden, so ist eine der Gleichungen eine Folge
der andern oder widerspricht ihnen und die Auflösung der Gleichungen ist un-
möglich. Auch die alsdann stattfindende Bedingungsgleichung lehrt die Abhand-
lung finden.
Wenn m einem der eben genannten Systeme nicht alle Zahlen Null
werden, so ist man nicht sicher, ob nicht eine Gleichung eine Folge der übri-
gen sei. Wie man sich dabei zu benehmen hat, lehrt §. 14. Einige Beispiele
über die snlctzt angeführten Untersuchungen gibt §. 15, während §. 16 die voll-
ständige Auflösung von 5 Gleichungen mit 5 Unbekannten nach jeder der zwei
Methoden gibt, so dass dadurch das vom Verfasser gebrauchte Rechnungsschema
vollständig klar wird.
Aus den vorstehenden Andeutungen wird erhellen, dass die vorliegende
Abhandlung, wie Eingangs gesagt wurde, zumal für den praktischen Rechner,
grosser Wichtigkeit ist.
Die aweite Abhandlung (S. 123 — 130) gibt einen neuen Beweiss dafür,
wenn
(i-2aH+asr)--* = l+ 0,00 +«*»(£)+•»-• '
wird, wo
H = co»<i>ooii}<-f-iiiiu>sio<|i«>»(e— 6') .
U, ma „ findet ^ ^ _ Un ^ Ub jyj
+jga*iiya. co.(9-e)
1 n^D-f-l) dx dy v '
_ SsinW-j, d»U.(» «W.QQ ^
I » •
n. s. w., wo x=cosu», y = cos<|» ist. Referent enthält sich hier weiter ins
Einzelne einzugehen, da einerseits der Satz selbst nicht neu ist, anderseits die
vorliegende Abhandlung auf andere Schriften mehrfach Bezug nimmt, somit nicht
als völlig selbständig angesehen werden kann. Jacobis Beweis findet sich f. B. in
Liouvilles Journal de Mathematiques pures et appliquees, Juin 1845.
Dr. Jf. Diesiger.
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640
Kurze Anzeigen.
Chr. Ferd. Schuliii Laudatio. Scripsit E. F. Wuettemann. GvÜuxe,
in commissis Car. Glaeseri 1851. 32 S. gr. 8.
Der Mann, dem hier ein eben so ehrenvolles als würdiges Denkmal ge-
letzt wird, ist nicht bloss in seinen nächsten Kreisen, sondern auch durch seine
gelehrten Leistungen in ganz Deutschland bekannt geworden; fast ein halbe«
Jahrhundert hat er segensreich an der Anstalt gewirkt, die ihm jetzt durch einen
der Ihrigen ein Wort des Dankes und der gerechten Anerkennung zuruft, das
auch die ausserhalb des Kreises, welchem der Hingeschiedene angehörte, Ste-
henden nicht minder ergreifen wird, als diejenigen, welche in diesen Worten
den innersten Autdruck der Gefühle und der The i Ina Line anerkennen, welche
der Hingeschiedene in seinen nächften Umgebungen, bei Freunden, Collegen
und Schülern gefunden hat. Der Grund davon liegt, abgesehen von den wirk-
lichen Verdiensten des hier geschilderten Mannes während einer acht und vier-
zigjährigen, mit gelehrten Leistungen jeder Art verbundenen, amtlichen Thätig-
keit, insbesondere in der herrlichen Darstellung, weiche in dieser Laudatio uns
ein wahres Meisterstück lateinischer Rede erkennen lässt und damit zugleich den
Beweis liefert, dass es den humanistischen Studien in Deutschland noch keines-
wegs an solchen Vertretern fehlt, die den Ruhm der Väter zu erhalten und zu
bewahren wissen. Es wird uns in der That ein äusserst anziehendes Bild des
Verstorbenen hier vorgeführt: ein Bild um so anziehender, als es nicht zu sehr
in Specialitäten, die für weitere Kreise nicht ein gleiches Interesse haben kön-
nen, sich einlässt, wohl aber uns die Thätigkeit des Mannes in ihren verschie-
denen Stufen und nach ihren verschiedenen Richtungen erkennen lässt, und
dann auch den ganzen Charakter und die liebenswürdige Persönlichkeit in allge-
meinen Umrissen uns schildert, die unsere ungetheilte Aufmerksamkeit nach Form
wie nach Inhalt in Anspruch nehmen. Christian Ferdinand Schulze war
zu Leipzig am 17. Januar des Jahres 1774 geboren worden; er hatte auf der
dortigen Universität im Jahre 1792 seine Studien begonnen und am 10. Januar
1795 die Doktorwürde daselbst erhalten; schon im Jahr 1800 am 25. Marz er-
folgte der Eintritt in ein Lehramt an' dem Gymnasium zu Gotha, dem er auch,
ungeachtet mehrfacher Berufungen nach andern Orten, seine Kräfte wahrend ei-
ner acht und vierzigjährigen Thätigkeit gewidmet hat. Sein Tod erfolgte
am 2. December des Jahres 1850.
Wir unterlassen es, Einzelnes aus der Schilderung seiner Wirksamkeit,
wie »einer Persönlichkeit anzuführen, weil in der That die ganze Schilderung
gelesen werden muss und auch, schon um der herrlichen Sprache willen, gern
gelesen werden wird. Eine schätzbare Zugabe bildet das Verzeichniss aller der
einzelnen, von Schulze herausgegebenen, kleineren wie grösseren Schriften.
. • •
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Hr. 41. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER OER LITERATUR
Aus meinem Leben. Friedrich Karl Ferdinand Freiherr ton Müffling,
sonst Weiss genannt. Zwei Theüe in einem Bande. Berlin bei
Mittler. 1851 X Vorwort. S. 403. 8.
Ein als Krieger und Militärverweser ausgezeichneter und bekannter
General Preussens gibt in diesem hinterlassenen, durch den Sohn ver-
öffentlichten Werke beachtenswerte , theilweise wichtige Beiträge zur
Kriegs- und Slaatsgeschichte der entscheidenden Jahre 1805 —
1815. Ein Anhang greift noch Uber den Zeitpunkt hinaus und behandelt
den Conflict zwischen Russland und der Pforte, welchen der Friede
von Adrianopel (1829) beendigle. Der Verf. zeigt sich aberall als
ruhiger, scharfsichtiger und unparteiischer Beobachter, welcher im vorge-
rückten , Alter von 70 Jahren die Denkwürdigkeiten niederschrieb,
dnmit sie ohne Hass und Vorliebe Persönlichkeiten, Verhältnisse und ein-
zelne Begebenheiten durch das Zeugniss des befähigten Zeitgenossen
nnd stellenweise Mithandelnden aufklärten. Die strengste Wahrheits-
liebe, welche neben einer gewissen, hier und da durchblickenden Zu-
nnd Abneigung recht gut bestehen kann, bleibt dem Genossen so aus-
serordentlicher und tief eingreifender Ereignisse das oberste Gesetz; der
eigene, wie es scheint, oft mühsame und drangsalsvolle Entwicklungsgang
ist dabei ausgeschlossen; „denn so wenig das Memoire41, heisst es S. 4,
„ Vollständigkeit in der Breite geben soll, eben so wenig soll es nach
einer solchen Vollständigkeit in subjektiver Lunge streben, und Jemand,
der einige interessante Momente zu erzählen vermag, darf nicht in dem
Wahn stehen, er sei aus diesem Grunde berufen, sein ganzes Leben vor
den Augen seiner Leser abzuwickeln." — Gemäss diesem Grundsatz, des-
sen buchstäbliche Anwendung man bedauern muss, werden wir daher so-
gleich ohne Umschweife in die Wechsel des kriegerischen Lebens einge-
führt, für welches sich Müffling durch Theorie und Praxis der dem
Generalstabe angehörigen Militürdisciplinen, namentlich unter Scharn-
horst's Leitung, sorgfältig vorbereitet halle. Dessbalb kann er auch
die vorzüglichsten Persönlichkeiten des Hauptquartiers in den Feldzügen
1805 und 1806 mit Erfolg schildern, die guten und schlimmen Seiten
ohne Befangenheit hervorheben. Diess geschieht in Betreff der Obristen
Pfull, Massenbacb, Scharnhorst, welcher bei der Beurtheilung
der Menschen immer mehr das Können als das Wissen im Auge hatte
XUV. Jahrg. 5. Doppelheft. 41
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642 Bfülffiog: Am meinen Leb«.
($L 8), des tapteu, ruhmsüchtigen, am Podagra leidenden Fürsten von
II oh od lobe, des bei 72 Jahren noch körperlich und geistig rüstigen,
aber mißtrauisch und übermässig vorsichtig gewordenen Herzogs von
Braunschweig, welcher das Commando angenommen hatte (1806},
um dem Kriege auszuweichen (S. 15) und daher Widersprüche,
Fehler Uber Fehler troU seiner sonstigen Tauglichkeit anhäufen musste.
„Mir war, wird beigefügt, das herizerreissende einseitige Wiedersehen des
Herzogs auf seinem Bett in Braunschweig mit der blutigen Binde Uber
den leeren Augenhöhlen und der eben so traurige Anblick seiner Leiche
an seinem Todestage in Oltensee vorbehalten. Mit tiefem Schmerze starrte
ich auf diese Ueberreste eines Fürsten, der seit dem 7-jährigen Kriego
eine so bedeutende Bolle in der Weltgeschichte gespielt, der viele grosse
und vortreffliche Eigenschaften hatte und ein besseres Loos verdiente"
(S. 20). Nach dem Tilsiter Frieden vorläufig als bekannter Feind
Napoleons beurlaubt, lebte der Verfasser etliche Jahre lang unter dem
Titel eines Vice- Präsidenten zu Weimar im eugern Kreis des edlen und
wahrhaft patriotischen Herzogs Karl August, seines ehemaligen Waf-
fengeführten. Weimar sollte wie früher für Kunst und Wissen-
schaft, so jetzt für die tentsche Freiheit der Centraipunkt wer-
den, natürlich nach dem Mass der Verhältnisse und ohue die Aufmerk-
samkeit des Machthabers zu erwecken. Die vielen literarischen Corre-
spondenzen, Berichte der herzoglichen Botschafter und Agenten, dienten
dafür und erleichterten das Nachricbtenfacb, Fremde und Gastfreunde ga-
ben Anlass zur Verbreitung von* Ansichten, welche mit dem Zweck in
naher Verbindung standen (S. 22). Die äusserlich leichte und joviale
Weise des Herzogs entfernte dabei jeden Verdacht; die Franzosen hiel-
ten ihn für unschädlich. Daher nehmen denn auch Napoleon und seine
Grossen bei Gelegenheit des Erfurter Congresses (1808) keinen An-
stand, unerhörte Beweise ihres Uebermuthes zu geben*, so musste z. B.
Kaiser Alexander persönlich der feierlichen Belohnung beiwohuen, wel-
che der neue Freund und Bundesgenosse denjenigen Soldaten durch Wrort
und Ehrenkreuz crtheiltc, die sich unlängst in dem russischen Kriege
ausgezeichnet hallen. ■■ „ Die Leute erzählten nun", heisst es, „ihr Be-
nehmen wahrend der Schlacht (bei Friedland). Der eine hatte mit ei-
gener Hand so viel Bussen gclödlet, so viel zu Gefangenen gemacht,
der andere hatte eine Fahne, der dritte hatte Kanonen erobert, ein vier-
ter hatte ein russisches Bataillon ins Wasser gejagt, wo es ertrank. — ■
Alle Augen richteten sich unwillkürlich auf den Kaiser Alexander,
dar in der ruhigsten Haltung neben Napoleon stand, bis der letzte der
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MufTlüv»: Aus meinem Leben. ß43
zu Belohnenden seine Heldenthaten in ein glänzendes Licht gestellt hatte.
Der Grossfttrst Constantin hatte sich aus dem Kreise entfernt und be-
richtigte eine ourgefahrene Batterie« (S. 24). Gleiche Verhöhnung des
Auslandes zeigte sich in der Tafel eti kette, welche i. B. bei einem
in Weimar gegebenen Gastmahle die Herzogin von Würtemberg als nicht
ebenbürtig ausschioss. Von den überaus gefälligen und duldsamen Teut-
leben ur( heilte der soldatische Emporkömmling ziemlich offenherzig: „Sie
iiad Schlafmützen und zufrieden, wenn sie ihre Kohl-
erndte im Keller haben.* -- Dabei wird nun ein bisher unbekann-
tes, dem gestrengen Kritiker fast gefährlich gewordenes Unternehmen er-
zählt. Zwei gutberittene, in Hantel gehüllte Preussen wollten auf einer
Jagd bei Weimar am Webicht den Kaiser erschlossen, standen aber von
dem Gedanken ab, als jener in einem offenen Wagen anlangte und den
Prinzen WUbelm von Preussen zur Seite hatte. Dieser Anblick erschüt-
terte die Versch wornen; sie fürchteten, eine oder die andere der den
Musquetous angehörten Kugeln möchte den Bruder ihres Königs treffen;
der Arm versagte den Dienst (S. 27). Bin munteres Gegenstück bilden
die kaiserlichen, den Gästen zn Ehren veranstalteten Jagden. „Der Prin»
von Nenfchatel", heiast es S. 27, „als graod veneur hatte mich zuvor
Uber die Art des Treibens sehr genau befragt und darauf bestanden, dass
für die Schützen beim Feldtreiben tiefe Löcher eingegraben würden. Dies
geschah und bei der Jagd erwies sich der gute Grund dazu. Napoleon
und der Kaiser Alexander standen neben einander, die französischen Mar-
schälle rechts und linka. Als der erste Hase ankam, wurden stimmtliche
Marschälle in ihren tiefern Löchern unsichtbar und Napoleon schoss rück-
sichtslos auf die Stützen seines Reichs, auf die Hasen und Treiber. Als
nach der Jagd die Gewehre eingepackt wurden, und ick dem Prinee de
Ncufchatel auf seine Frage erwiedern konnte, dass wir keine Verwunde-
ten hätten, rief er: „Dien mercil" — Den traurigen Stand der teutseben
Angelegenheiten, welche bald nach dem unglücklieben Kriege Oesterreichs
(1809), sogar in Weimar, der guten Stadt, eine völlig organisirte Es-
pionage vergönnten, schildert Herr von Müffling also: „Elende Zeit!
Einer fürchtete den Andern, alles Vertrauen war völlig verloren! Den Gut-
gesinnten, aber Schwachen, schwebte der blutige Palm vor, ond sie ver-
krochen sich, zu allem Ja sagend in ihre Häuser. Von den Starken und
Unbeugsamen ging der grössere Theil nach Spanien oder Rnssland, um
den Krieg gegen den Unterdrücker deutscher Freiheit fortzusetzen« (S. 30).
Mit dem Beginn des von Spanien und Russland auch auf einen grossen
Theil Teutschlands Übergegangenen Befreiungskampfes wider Napoleon und
41*
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644
Müffling: Aus meinem Leben.
die Lehenträger desselben werden die Memoiren genauer und vollständiger ;
fast nur auf die Militärereignisse gerichtet, denen der Verfasser als Quar-
tiermeister des schlesischen Meeres nach dem Waffenstillstand ganz nahe
stand, geben sie eine sorgfältige Schilderang der vorzüglichsten Schlach-
ten und strategischen Bewegungen, bieten manches Neue, manche Berich-
tigung , wie sie von einem so kundigen Fachmanne allein ausgeben und
selbst den sonst vortrefflichen Cleusewitz hier oder dort eines Bes-
sern belehren, uud verfolgen dergestalt kritisch-militärisch den Faden der
oft sehr wirren Begebenheiten bis zur zweiten Besetzung der französi-
schen Hauptstadt. Ueber die Schlachten bei Bautzen, od der Hatzbach,
Leipiig, die Gefechte bei Yauchamp und Etoges (Februar 1814) , den
Hauptkampf des zweiten Feldzuges bei Waterloo wird der Leser auf
eine eben so anschauliche all streng wissenschaftliche Weise belehrt und
dabei in Kenntniss gleichlaufender Diplomatik, bisweilen auch wirkli-
cher Hanke- oder Intriguenkunst gesetzt. — Die rücksichtsloseste Wahr-
heitsliebe , auf Kenntniss der Sachen , Personen und Verhältnisse ge-
stutzt, Feinden und Freunden gerecht, leitet Uberall, wie er es selber
gesteht, den Verfasser, deckt manchen bisher gar nicht, oder nur halb
bekannten Hebel und entscheidenden Umstand auf, ja, zerstört bisweilen
einen gewissen, romantischen Nimbus, welcher nur zu oft hochherzige und
beldenmüthige Thaten bei stark bewegten, erschütterten Zeitgenossen ohne
den eigentlichen Willen der Urheber umzieht und gleichsam verklärt. So
wird z. B. eine Hauptursache des Verlustes der Bauzener Schlacht
(21. Mai) darin nachgewiesen, dass theils der Generalissimus, Graf Witt-
genstein, dem Kaiser Alexander die Stärke B a r k 1 a y 's auf dem rech-
ten Flügel unwahr auf 15,000 Mann, statt 4,000 angab, theils Blücher
und Gneisenau die Kreckwitzer Höhen, welche man vorweg die Tbermo-
pylen nannte, ans übertriebener Hartnäckigkeit zu lange festhielten und
endlich doch räumten. Eine Viertelstunde weitern Zauderns hätte Um-
zingelung und Verderben herbeigeführt. ..Gneisenau* s Benebmeott, setzt der
Verfasser hinzu, „ verdient demnach das höchste Lob. Er war sich be-
wusst, dass er eine Uebereilung begangen hatte, die er nicht anders gut
machen konnte, als durch eine ihn compromittirende Inconsequenz. Er
brachte seiner Eitelkeit (?) willig diess Opferu (S. 43). Wittgen-
stein verlor übrigens in Folge der aus Fahrlässigkeit gesprochenen Un-
wahrheit bald darauf den Oberbefehl, welcher auf Barklay de Tolly
überging. Auf eine ähnliche Weise wird der glänzende Katzbachsieg
durch eine nüchterne, unparteiische Kritik nicht etwa verkleinert, aber
dem streng wissenschaftlichen Mass zurückgegeben. Der Untergang des
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Muffling: Ans meinem Loben.
französischen Heeres erfolgte nämlich, wie der Verfasser weitläufig be-
weist (S. 73), hauptsächlich desshalb, weil sich Maodonald während
der Nacht übereilt zurückzog, erschöpft bei Goldbürg ankam und hier
desshalb am 27. Aug. Morgens dem kräftigen Angriff des Generals Lan-
geron erlag. Der angebliche Ueberfall auf das Schloss Brienne (29. Jan.
1814) während des hier gelieferten Treffens wird also geschildert: „Vom
feindlichen rechten Flügel war ein Bataillon bis in die Weinberge und
einzelne Tirailleure davon auf das Scbloss Brienne gekommen, wo sich
der Feldmarschall, von seiner Stabswache gedeckt, befand. Diese Tirail-
leure erkannten beim Schein der brennenden Stadt auf dem Schlosshofe
Handpferde, auf welche sie schössen. Der Feldmarschall verliess hierauf
mit seinem Gefolge und der Stahswache das Schloss, und ritt über das
Feld zum Sackeu'schen Corps, um den Weg durch die breunende Strasse
nicht zu verstopfen. — Das war das Ereigniss, welches im grossen Haupt-
quartier (und, kann mau beifügen, in allen spätem Darstellungen) als ein
Ueberfall bezeichnet wurde.« — In dieser nüchternen, kritischen Weise
beleuchtet der kundige Augenzeuge die Feldzüge von 1813 bis 1815;
überall wird man reichhaltigen, oft berichtigten Stoff finden und mehr-
mals wirklich neue Beiträge und Aufschlüsse. Diess gilt namentlich auch
von den oft missverstandenen, romantisch ausgeschmückten Gefechten bei
Vauchamp, Champeaubert und Etoges. Der Verfasser weist mit rücksichts-
loser Wahrheitsliebe die begangenen Fehlgriffe nach, entwickelt dann die
oft nur durch glücklichen Zufall gewonnene Rettung und bezeichnet
am Schluss des genauen Berichts die Irrthümer, welche der berühmte
Clausewitz bei seiner Kritik der Ereignisse von der Schlacht bei La
Rothiere bis zur Mitte Februar aufgestellt hat (Werke, 7. Band). Wie
leicht man oft glückliche Zufälle in vorbedachte, grossartig ausgeführte'
Theten umwandelt, wird Seite 133 an einem Beispiel nachgewiesen. —
tt Wohlan, erwiederte Gneisenau, so lassen wir es bei der Disposition
(des Durchschlagens zum Walde von Etoges). Gehen Sie mit der Tete
frisch vorwärts, ich werde dafür sorgen, dass Alles geschlossen folgt.
Und so geschah es denn auch. Ein feindliches Cürassier - Regiment for-
mirte sich zu einer Attaque auf die russischen 3 Bataillons an der Spitze.
Es waren zufällig die eben erst angekommenen formirten Bataillone. Ihre
Commandeure liessen Halt und fertig machen; sie Hessen den Feind auf
60 Schritte heran, ehe sie Feuer commaodirten. Anstatt dass das erste
und zweite Glied der Töte Feuer geben sollte, schoss das ganze Batail-
lon, und gab das Beispiel von drei pots a feu. Nichts hinderte die CU-
rassiere, in die Bataillons - Massen einzubrechen, denn kein Pferd, kein
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646
Müffling: Au meinem Leben.
Manu war gefallen, aber sie waren umgekehrt Dieser Augenblick musste
benutzt werden, um den unerfahrenen Soldaten glauben zu machen, dass
aie eine Heldenthat gethan hätten. Ich rief ihnen mein Hurrah kräf-
tig zu, und perroll und perebonschek thaten ihre Wirkung. Es wurde
frisch angetreten, die Tambours schlugen Marsch und die sämmtlichen
Tambours der beiden Corps folgten in diesem Schlage nach." Wie gräu-
lich aber dennoch in der stockflastern Nacht die Unordnung bei etlichen
zerstreut fechtenden Bataillonen war und wie bedeutend der Verlust in
dem Dorfe Etoges, wo mehre Hänfen in Brunnen and schlammige Grä-
ben fielen, das hat der Augenzeuge und Mitkämpfer, Herr Ton Rahden,
anschaulich genug beschrieben. (Wanderungen eines alten Soldaten I. 250 ff.)
Die zweite Ablheiluog des Werks hebt natürlich als Glanz- und Kern-
punkte die Schlachten bei L i g n y und Waterloo und die unmittelbaren
Folgen derselben hervor. Unparteiischer und vollständiger in strategisch-
taktischer Rücksicht hat Niemand vorher diesen grossen Schicks als warf
geschildert Auch der Herzog von Wellington, in dessen Hauptquar-
tier sich Herr von Müflling als Vertreter des Blücher'scben Heeres be-
fand, wird nach Verdienst gewürdigt; „es zeichneten ihn, beisst es, eben
ao ungewöhnliche Feldherrntalente als Offenheit und Gradheit des Charak-
ters aus" (S. 251), eine Bemerkung, welche nicht gar häufig gemacht
wird. Neben manchem andern erscheint besonders die Nachriebt neu,
dass Blücher auf dem Marsch nach Paris einmal Hoffnung hatte, den Kai-
ser Napoleon zu fangen, und ihn dann als Hochverräther standrecht-
lich erschlossen zu lassen. Wie die gänzlich bisher unbekannten, im An-
hange abgedruckten Briefe beweisen, hatte der alte Feldmarscball diesen
Gedanken förmlich ausgebildet, während Wellington ihn auf alle Weise
bekämpfte. Ein solcher Akt, meinte er darüber befragt, würde unsre
Namen der Weltgeschichte befleckt überliefern, und die Nachwelt von nns
sagen, das wir es nicht verdient hätten, seine (des Kaisers) Besieger zu
sein, um so mehr, als ein solcher Akt jetzt völlig überflüssig, völlig
zwecklos #eiu (8. 253). Blücher, gestutzt auf die Vogelfreierklärung
durch den Wiener Congress, urt heilte dagegen io einem Schreiben vom
29. Juni also : „ Wenn der Herzog von Wellington gegen die Tödtong
Bonaparte's sich erklärt, so denkt und bandelt er als Britta. Grossbri-
tannien hat keinem Sterblichen mehr Verbindlichkeiten, als gerade diesem
Bösewicht; denn durch die Begebenheiten, die er herbeigeführt hat, ist
Englands Grösse, Wohlstand und Reichthum so sehr hoch gesteigert wor-
den. Sie sind die Herren des Meeres und haben weder in dieser Herr-
schaft noch im Welthandel eine Nebenbuhlerschaft mehr zu fürchten. —
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Müffling: Aus meinen Leben.
647
Bin Anderes ist es mit uns Preussen. Wir sind durch ihn verarmt. Un-
ser Adel wird nie mehr sich Aufrichten können. — Und müssen Wir uns
nicht als Werkzeuge der Vorsehung betrachten, die uns einen solchen
Sieg verliehen hat, damit wir die Gerechtigkeit üben? — Verlangt nicht
schon der Tod des Herzogs von Enghien eine solche Rache? Werden
wir uns nicht die Vorwürfe der Völker Preusseas, Russlands, Spanien*,
Portugals zuziehen, wenn wir die Ausübung der Gerechtigkeit unterlassen?
Es sei indessen 1 Will man theoretische Grossmuth üben, so will
ich mich dem nicht widersetzen. Es geschieht diess aus Achtung gegen
den Herzog und — aus Schwäche."
Neu wie diese ganze Verhandlung ist auch die von dem Verfasser
klar bewiesene Kunde, dass die englische Regierung zeitig an die Re-
stauration Ludwigs XVIII. dachte, Russland und Preussen aber da-
von einstweilen Umgang nahmen. Der kluge Herzog wusste bei solcher
Sachlage dadurch seinem Gouvernement Vorschub zu leisten, dass er in
Chateau Cambresis von Müffling und Pozzo di ßorgo begleitet, dem nahen-
den Bourbon entgegenritt und darnach in den Zeitungen verbreiten liess,
er (Wellington) habe den König in der Mitte eines russischen und prous-
siseben Generals eingeholt. „Ich tröstete mich damit", fügt Müffling bei,
„dass mein russischer Kollege Pozzo di ßorgo wie ich, als Schauspieler
wider Willen auftreten musstett (S. 254). Den Schluss des Abschnittes
macht die Schilderung der Pariser und französischen Verhältnisse Uber«
baupt, welche Herr von Müffling als fünfmonatlicher Gouverneur der
Hauptstadt genau beobachten konnte. Unzugänglich der Bestechung durch
Geld, Höflichkeit und Schmeichelei, wachsam und gerecht, gewann er die
Achtung der Fremden und Einheimischen, hielt strenge Mannszucht, ohne
die billige Pflege siegreicher Truppen zu vernachlässigen, sorgte für die
Heransgabe der entführten Bildwerke und Gemälde, schilderte bei der Ab-
schiedsaudienz dem anfangs misstranischen Könige Ludwig mit solcher
Wahrheit seine schwierige Lage, welche gemessene Strenge und ange-
borne Milde fordere, dass der alte Bourbon in grosse Bewegung gerietb,
und in einen Strom von Timmen ausbrach, darauf alle, ihm Von den
Preussen zu böbern Stellungen vorgeschlagene Personen, unter ihnen De-
cazes, zu sieb berief, prüfte und beförderte (S. 272).
Der zweite Abschnitt des zweiten Theils betrifft die Sendung der
Generals nach Konstantinopel und 8t. Petersburg in den Jahren
1829 und 1830. Sie geschah auf den Wunsch des Kaisers Nikolaus,
um den allerdings glücklichen, aber keineswegs ganz entschiedenen Feld-
zug durch einen billigen Frieden mit der Pforte zu beendigen. Müffling,
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648
Müffling: Aus meinem Leben.
welcher den Zweck seiner nicht sowohl vermittelnden, als Rath
gebenden Mission im Namen Preussens vollkommen erreichte, veröffent-
licht in dem jeUt gedruckten Bericht ansehende und lehrreiche Beobach-
tungen historisch-politischen Inhalts. Die Anschauungen und Sit-
ten des türkischen Ministeriums, Hofes und Sultans werden dabei nach dem
Leben beschrieben und von vieirachen Irrthümern wie Vorurtheilen ge-
reinigt. Der gewöhnlich als hart und grausam verschrieene Padischah
Mahmud (II.), der Janitscharenfresser, erscheint dabei in einem
ganz andern, freundlichem Lichte. „In seinem Gesicht", beisst es S. 360,
„lag ein bedeutender Ernst, aber seine Augen hatten etwas Sanftes, ich
möchte sagen Schwärmerisches. Seine Stimme war ausserordentlich so-
nor, seine Manieren gratiös und verbindlich, so dass Jeder, der ihn so
sah und hörte, sich sagen musste : „Das kann kein wilder Kopfabschneider
seinl" Nach später erhaltenen Belehrungen ist es auch wirklich so.
„Von seinen Umgebungen, seinen Dienern, Frauen und Kindern ge-
liebt, geachtet, ja auf Händen getragen , verbreitet er Freude und Glück
um sich. — Alles ging hier (bei der Audienz) mit dem grüssten Anstand
zu und der Sultan zeigte sich als ein heiterer Hann, der gern lacht."
. Da man noch jüngst viel von nahen Eroberungsplänen Russlands
gegen die Pforte sprach und dermalen sogar eiue, unter gegebenen,
offensiven, Umstanden nicht unwahrscheinliche Heerfahrt nach dem
Westen befürchtet : so ist es interessant , M ü f f 1 i n g 1 s Bericht über
den russischen Czar vom Jabr 1830 zu vernehmen. „Wenn", sagte ne-
ben anderm Nikolaus, in Europa bin und wieder die Besorgniss laut
geworden sei, als könne er (der Kaiser) aus Kriegslust oder falschem
Ehrgeiz verleitet werden, gegen die Pforte als Eroberer aufzutreten, so
beweise diess nicht allein eine völlige Unbekanntschaft mit der Richtung
seines Geistes, sondern auch die Voraussetzung, dass er seine eigene Lage
und die Verhaltnisse seines Reichs wenig durchdacht habe. Sowohl der
Umfang der seinem Scepter unterworfenen Länder, als ihre Population be-
schäftige für ein Menschenleben vollauf; es würde eine Tborheit von ihm
sein, nach Eroberungen zu streben-, der ihm von Gott vorgezeigte Weg
sei, das Wohl seiner Unterthanen zu fördern, und dazu gehöre vor Al-
lem, es vor frivolen Kriegen zu bewahren. Diess werde erreicht durch
treues Festhalten der eingegangenen Verbindlichkeiten gegen andere
Mächte und durch ein consequentes Enthalten aller Einmischung in
fremde Rechte. Diess sei das Streben seines Lebens, und er bite
Gott, ihm dazu die nöthige Gesundheit und Kraft zu verleihen.
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Müffling: Ans meinem Leben. 649
Diese Aeusserungen versetzten mich io eine schwer zu beschrei-
bende Bewegung. Sie waren so einfach und doch mit so viel Wärme
ausgesprochen , dass jeder Gedanke an Kunst und Absicht nicht auf-
zukommen fähig war. Es hatte sich ein edles Herz, ein reiches Gemiitii,
ein klarer Verstand bei einer grossen, aber ganz zufalligen Veranlassung
mit Wahrhaftigkeit entfaltet« (S. 389). :
Diesem merkwürdigen und, wie es scheint, aufrichtigen Selbst-
geständniss eines jedenfalls kräftigen und folgerechten Selbstherr-
schers, könnte der kritische, allzeit fertigo Leser einwenden, wider-
sprechen, die folgenden, Jedermann bekannten Handlungen. Sie wei-
sen anf kein bescheidenes, der Eroberungslust abgeneigtes Charak-
terbild hin. Denn, um hier nur die auswärtige Politik festzuhalten,
wo ist Polen, das tractatenmüssig konstitutionelle und gewissermasscn
autonome DnglUcksland der Shwenvölker? Seine Verfassung, wie sie -
Kaiser Alexander schuf, ist zerrissen, seine Zoll Ii nie aufgelöst, seine
Verwaltung russifizirt, seine Adelsblüthe zerknickt, verbannt, eingekerkert,
gezähmt. Leidiges Schicksal jeder gescheiterten Revolution, auch wenn
sie volle Berechtigung hatte, bittere Frucht des unglückseligen Aufwan-
des vom Jahr 1830, welchen nicht allein Busala nd, dazu verpflichtet,
sondern auch Preussen ohne weitere Veranlassung, freilich nur mittel-
bar, bekämpfte und darniederwarf. — Aber wo ist die vertragsmäßig ge-
währleistete Republik Krakau? Dieses Kind der Wiener Congressver-
legenheit wurde nicht von Russland, sondern von Oesterreich für
einverleibt erklärt oder als gute Prise aufgezehrt. Das ist allerdings kein
grosses Unglück — denn lialbschlechtige Duodezstaaten besitzen keine
Lebensfähigkeit — aber doch ein Bruch der Verträge, welche doch stets
im Munde geführt werden. Warum nahm der Habsburger das von den
Donaern gebotene Geschenk an? — Allein der Tsc h er k essenkrieg
zeugt der nicht für die unersättliche Eroberungsgier, welche lüer auf Asien,
dort auf Europa mit hungrigem Blick schaut und jeden Anlas* der Be-
friedigung benutzt? Sicherlich; aber es ergeht den Russen da gerade
wie den Engländern gegenüber Hindostan, den Franzosen in ih-
rem Verhältniss zu Algier, und den Californischen Goldsuchern
gegenüber den wilden Eiogeborneu des neuen Eldorado. „ Civilis a-
tion, materielle Interessen! tt Das ist und bleibt die Fahne der
heutigen Kreuzfahrer im Osten uud Westen, am Nord- und Südpol.
Ueberdiess bilden die tapfern und Freiheit liebenden Tscherkessen seit Jah-
ren bekanntlich den Stoff einer tüchtigen Kriegsschule, wie die Ara-
ber, Berbern und Kabylen Algiers gegenüber Frankreich. Da lernt man
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bangem und dürften, wachen nnd streiten, um dann einst für höhere
Zwecke and auf grüsserm Schauplatz gerüstet da zu stehen, während
andere Völker, x. B. die Teotschen, ihren Heerdienst in Garnisonen ond traa-
rigen Putscbkriegen erlernen oder den eigenen Bürger nnd Landmann,
Henschreckenzügen ähnlich, durch wechselnde Einlagerungen bis auf das
Hemde aassaugen. — Aber die heil ige A Iii am, hat die nicht der
Kaiser aller Reussen wiederhergestellt, daneben Schleswig- Hol-
et ein gedemOthigt, das Frankfurter Parlament gesprengt, die Er-
furter Union, den jungen Herkules, in den Windeln erstickt nnd den
gesnmmteu Katzenjammer der laufenden Tage durch klug eingege-
bene, vergoldete Pillen der Diplomatik hervorgerufen, endlich den Bun-
destag restanrirt? — Unglückselige Verblendung, welche die Frucht
eigenen Irrthums, selbstgesogenen Leichtsinns, stets den Fremden zu-
schiebt! Und der Bundestag! Ist er nicht besser als Bundesanar-
chie? Sind denn die Briefe, die Couriere, welche inmitten der Wirren
Yon bedrängten Landesvätern nach St. Petersburg, Hülfe suchend, abgin-
gen, nur Erzeugnisse der Phantasie? — Die Seemen der leidigen Ver-
hältnisse wurden also in die eigene Erde uranfänglicb ausgestreut und in
ihr grossgezogen; man muss mithin die Sämänner und Gärtner anklagen,
nicht den Schnitter, welcher das Unkraut der Halbheit und Unklarheit,
wie es im Duodezkonstitutionalismus sitzt, mit manchem guten
Korn ausjätet. —
In Betreff der grossen West fahrt endlich, weiche 1853, wie
weitend 450 unter dem Mongolenchan Attila in Gallien einbrechen,
dieses nnd die Scbweizerberge von der Republik befreien soll,
sei man doch ohne Sorgen ! Principienkriege sind im technisch-
materiellen Zeitalter rein unmöglich und für Eroberungsfehden
fehlt es, wenn auch nicht am Willen, doch an der Eintracht des etwa
umur uerurenen ineiis. — oo wiru sicn nenn aner vy arirscneinucnaeii
nach Kaiser Nikolaus so gut, wie was ihm befreundet ist vor frivo-
len Heerfahrten hüten, der Franzose seine Republik, bald aus Ver-
legenheit, bald aus Eifer auf gesetzlicher Basis einstweilen befestigen,
die Schweis dem Könige von Preussen ein billiges Äquivalent für
Neuenbürg, den alleinigen Erisapfel, geben und der Ten t sehe deu
B o n d e s t a g, wenn er nicht gar zn hart straft, einen nicht gar zu drücken-
den Nasenring oklroyirt, gemach lieben und ehren lernen. Das dürfte
der einstweilige Ausgang des grossen europäischen Revolution s-
dremas sein.
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Der Feldsug in Ungarn. 651
Der Feldzug in Ungarn und Siebenbürgen im Sommer des Jahres 1849.
Peslh. Gedruckt bei Lindner und Heckenast. 1850. Vorwort IV.
S. 549. gr. 8. Nebst einem Atlas.
»
Bericht über die Kriegs-Operationen der russischen k* k. Truppen gegen
die ungarischen Rebellen im Jahr 1849. Nach offiziellen Quellen
zusammengestellt von II. v. N. K . R., Obristen des Generalstabs*
Erster und zweiter Theü. Berlin, 1851. In Kommission bei Schropp.
S. 190. gr. 8.
Beide Schriften, von welchen die erste dem österreichischen,
die zweite dem rassischen Generalstab als Quellen der Nachrich-
ten angehören, sind rein militärisch; sie mischen daher auch in der
Regel nichts ein, was jenseit des taktisch-strategischen Stand-
punktes liegt oder mit der politisch-historischeu Erklärung des
Aufstandes und seiner Geschicke zusammenhängt; sie springen eben dess-
balb fogleich in die volle Strömung des Kriegsaktes hinein, ohne die kurz
vorangegangenen, den Österreichischen Waflfen ungünstigen Ereignisse des
Winterfeldzuges zu berühren. Je engere Grenzen demnach der Aufgabe
gesteckt wurden, desto grösser mussten auch die Ansprüche auf eine
vollständige, wahrheitsgetreue Darstellung der Thatsachen werden. Aber
bei dem redlichsten Streben wird man dem Ziel so lange fern bleiben,
bis auch von der dritten, der ungarischen Seite her nicht etwa ge-
legenheitliche, sondern amtliche, das heissr, dem Generalquartier
entnommene Kundschaften kommen. Diess kann aber bei der wirklichen Sach-
lage und dem Parteihass der gebrochenen Insurrektion noch lange dauern,
vielleicht nie io Erfüllung gehen. Man kann sich daher einstweilen nur au
die Berichte des Siegers halten und muss weitere Aufklärungen von der
Zeit erwarten, welche allein das Dunkle aufhellt, das Zweifelhafte verge-
wissert Letzterem fällt z. ß. der merkwürdige Umstand anheim, dass in
beiden Berichten bei den vielfachen Gefechten und Schlachten die Ver-
bündeten eine fast unbedeutende, die Ungarn eine sehr massige Einbusse
ao Todten und Wunden trifft, dagegen Krankheiten theilweise ungeheuer
aufräumen. Ueberhaupt wird aus mannichfaltigen Anzeigen klar, dass man
in diesen geräuschvollen, an- und abprallenden Kämpfen, welche häufig
an die Skythen nnd Parther erinnern, mehr Kraft und Wildheit in
raschen Zusammenstössen und fluchtühnlichen Bückzügen, denn kaltblütige,
kombinirt wirkende Kriegskunst entwickelte. Hinsichtlich der Dar-
stellung beflei' ssigt sich der Oesterreicher des möglichst vollständi-
gen Stoffs ummelns und einer nüchternen, bescheidenen, auch dem Bun-
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Der Feldzng in Ungarn.
desgcnosscn and Feind gerechten Sprache, der Russe dagegen begnügt
sich mit einer übrigens lichtvollen, nur seine Angelegenheiten mit be-
sonderer Breite behandelnden Schilderung der Operationen und schweift
dabei bisweilen in einen wahrhaft schwülstigen, fast byzantinischen Styl
hinüber. So heisst es S. 183: „Unsere Artillerie benahm sich vorzüg-
lich, trotz dem feindlichen Kreuzfeuer behauptete sie mit unbegreif-
licher (?) Standhaftigkeit ihre Stellungen.1" Den reichen, seiner .Natur
nach sehr zerstückelten Inhalt der Berichte, welche auch Referent nur
•tückweise lesen konnte, überblickt man vielleicht am Besten, wenn er
in einzelne Abtheilungeu oder Rubriken kurz zerlegt oder betrachtet wird.
Zuerst kommen nun die Streitkräfte der Kriegführenden, dort der
Verbündeten, hier der Ungarn, welche bei den Russen regel-
mässig die Rebellen, bei den Oesterreichern etwas milder die
Insurgenten, selten oder nie der Feind u. s.w. heisseo. Die Starke
der Oesterreich er für den zweiten Feldzug wird also angegeben:
1) Die Donau-Armee unter dem F. Z. AI. Baron Haynau (Chef
des Generalslabs Obristl. Ramm in g) züblte in vier Armeekorps 70 Ba-
taillons oder 55,690 Mann Infanterie nach Abzug der Kranken und Un-
dienstbaren, 76 Eskadrons oder 9,740 Mann Kavallerie, 288 Geschütze
oder 5,003 Mann Artillerie mit 3,933 Bespannungspferden. Die dazu
gehörige 9. kombinirte russische Infanterie-Division unter Generallieu-
tenant von Panutine betrug 10,780 Mann Infanterie, 250 Reiter, 908
Artilleristen mit 48 Geschützen und 347 Bespannungspferden, die gesammte
Donau-Armee also 60,670 Mann Infanterie, 10,000 Mann Kavallerie
und 324 Geschütze (Oester. Bericht S. 17). Der rusai sehe Bericht
(S. 9) führt 13,000 Mann Infanterie für die Uülfsschaar Pa mit ine's
auf; die Differenz wird erklärlich durch > put er hinzugetretene Kranke und
Undienstbare. — Die österreichische Süd-Armee unter dem Ban von
Kroatien, F. Z. AI. Jellachicb, zählte in vier Divisionen 26,700 Mann
Iufanterie, 4,400 Kavallerie, 2,600 Artillerie mit 83 Geschützen und
2,250 Bespannungspferden föster. Ber. S. 22). Dos Cernirungskorps
von Peterwardein hatte 10,400 Mann Infanterie, 51 Geschütze und
3 1 5 Pferde ; ungerechnet die Besatzungen von Semlin, Essek und Agram,
betrug im Ganzen die mobile Süd-Armeo 44,100 Mann Iufanterie,
7,165 Pferde, 168 Feld- und 20 Belagerungsgeschütze. Das Sie ben-
bürg er Armeekorps unter F. M. L. C 1 a mm- G a llas, bei ErölTnuog
des Feldzugs in der Wallachei bei Csernetz aufgestellt, zählte 10,000
Mann Infanterie, 36 Geschütze, 2,200 Pferde (oster. Ber. S. 24). Da-
neben wurden im Innern der Monarchie zwei mobile Reserve-
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Der Feldzug in Ungarn.
653
korps gebildet, um die Grenzen tu decken und die aktiven Opera-
tionen in Ungarn zu unterstützen (Oesterr. Ber. S. 25) ; sie mochten im
Ginzen etwa 15 — 20,000 Mann betragen. — Dieses, etwa 100,000 Mann
starke Heer war bei dem Eindruck der letzten Missgeschicke, den Güh-
rongen Italiens, Teutschlands, allerdings unfähig, mit einem
Schlage den magyarischen Aufstand niederzuwerfen; Oesterreich,
von Preussen, Teutschland verlassen, begehrte und erhielt daher
nachdrückliche Hülfe von dem nordöstlichen Nachbar. Derselbe, durch
Polen, den Fortschritt der ungarischen Bewegung beunruhigt, stellte
bei 130,000 Mann unter den Oberbefehl des Fürsten von Warschau, Pas-
ka witsch; vier Armeekorps sollten in zwei Hauptkolonnen unmittelbar
über die Karpathen, meistens in der Gegend des Bergpasses Dukla, an
die Donau vorbrecheo und den Feind auf die Oesterreicher werfen;
das fünfte Korps unter dem General Lüders war mit einer österrei-
chischen Abtheilung zunächst gegen Siebenbürgen bestimmt. Die
Summe aller Truppen berechnete man auf 108 Bataillons, 138 Eskadrons,
48 Batterien zu 528 Geschützen, 68 Generale, 3,177 Offiziere, 5,914
Musikanten, 132,626 Gemeine, 5,891 Nicht-Kombattanten, 11,304 Artil-
lerie- und 13,907 Trainpferde. (Busi. Ber. S. 126.} — Die geregelte
Streitmacht der Ungarn zählte etwa 162,564 Mann und 27,103 Pferde
mit 488 Feldgeschützen; die obere Donau-Armee unter Arthur
Görgei hatte 61 Bataillons, 83 Eskadrons, 229 Geschütze, die Nord-
Armee unter Dembinski 21 Bataillons, 12 Eskadrons, 57 Geschütze;
die Bäcs-Ba nater Armee, später Süd-Armee, unter Moritz Per o-
zel (später Vetter), 32 Bataillons, 28 Eskadrons, 88 Geschütze; dio
Armee BenTs 47 Bataillons, 29 Eskadrons, 102 Geschütze; das Re-
servearmeekorps 10 Bataillons, 6 Eskadrons, 12 Geschütze; die Be-
satzung von Peterwardein endlich betrug 5 Bataillons; Summa: 179
Bataillons, 158 Eskadrons, 488 Geschütze. Die irreguläre Streitmacht
zählte etwa 8,850 Mann und 1,540 Pferde; dazugerecbnet die bei De-
brezin gebildete Reserve von 20,000 Mann umfasste das Ganze an
192,000 Bewaffnete, welche durch den thcilweise organisirten Land-
sturm leicht bis zu 200,000 Mann und darüber anstiegen mit 1,800
Geschützen (Oester. Ber. nach vorgefundenen Dokumenten S. 36 u. 37).
Den Ungarn fehlten dagegen Einheit des Oberbefehls und des Kriegs-
plans, wie hinlängliche Uebung einzelner Truppentheile ; Reiterei und
Artillerie waren vorzüglich ; die Hauptschwäche lag in der Unklarheit des
Ziels, dem Mischmasch der Führer, dem oft willkürlichen Eingreifen der
provisorischen Regierung und des Diktators Kossuth in die Miü-
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654
Der Feldxug in Ungarn.
türoperatioueo , welche z. B. wahrend der österreichisch-russi-
schen Veranstalten statt der Offensive theils rasteten, theils die ans
Eitelkeit unternommene Belagerung und Einnahme Ofens als mehrwe-
chentliches Objekt festhielten.
Der Verbündeten Operationsplan bestand hauptsächlich dam,
dass man vom Norden her über Dukla auf Pesth und an die Donau vor-
brechen, vom SUden ans Siebenbürgen angreifen, das aufstand ige Land
ip zwei Halft*! trennen, alle Kräfte möglichst couzentrireo und den zu-
rückgedrängten Feind auf die Armee des Generals Haynan werfen sollte.
(Rnss. Ber. S. 10.) Dieser müsste seinerseits den Kern der Gegner,
(Jorg ei, mittlerweile festhalten, im geeigneten Augenblick gemeinsam be-
kämpfen und erdrücken. Natürlich blieb es dabei dem österreichi-
schen Oberbefehlshaber unbenommen, den ihm etwa günstig erscheinen-
den Zeitpunkt zu ergreifen und vor Allem ans die etwaige Verbindung
der westlichen (Görgei) und östlichen (Dembinski, Bern) Streit-
kräfte des Feindes nach Kräften zu verhindern. Wollten die Ungarn
den drohenden Gefahren mit Hoffnung auf Erfolg begegnen, so blieb ihnen
nur ein doppelter Weg übrig; sie mussten entweder jedes ernsthafte
Zuaammenstossen meidend ihre geregelten Truppen, theils in die Festen
und verschanzten Lagerstätten zurückziehen, theils debandiren nnd den
Guerillnkampf führen, oder angriffweise und mit möglichst con-
zentrirtun Kräften handeln. Im letzten Fall war es, dn man einmal im
April nnd Mai die Gelegenheit der Gr iinzübersch reitung verabsäumt
hatte, vor Allem nötuig, die Verbindung der Bussen und Oesterrei-
ch er bei Ko m o rn , dem westlichen Drehpunkt der kriegerischen An-
gelegenbeiten, um jeden Preis zu bindern, oder solche Anstalten zu tref-
fen, dass man • durch Ueberzahl und Vorzüge der Stellung gegenüber dem
österreichischen Oberfeldherrn bei einem offensiven Schritt die
Wahlstalt behaupten und den Sieg gewinnen könnte. Instinktmas-
sig hatte man auch den letzten Plan entworfen und beschlossen, die
grösstmöglichstee Hassen gegen die österreichische Armee zu fuhren,
so lange noch nie russische der untern Donaulinie oder Komorn
fern blieb. Aber bald verlor die Regierung den Kopf ; „ sie floh klein-
müthig aus Pesth und entsandte in die Gegend zwischen der Denan nnd
uniern Tfceiss nicht nur die Truppen, die aus verschiedenen Gegenden her
Görgej hätten verstärken können, sondern auch die von ihm nach der
Schlacht beiH;. ab abgeschnittene Division von K me titt (Buss. B. S. 172).
Die für die Ungarn unglückliebe Schlacht bei Komoru (Ii. Juli) war
dann nur ein taktischer Versuch, den strategischen Fehlgriff wie-
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Der Feldzug io Ungarn.
655
dir gut zu machen und hatte um so grossere Folgen, je rascher der
Sieger seinen Vortbeil benutete, ostwärts an die Theiss und über dieselbe
hinauszog. Der zweite, angedeutete Weg, der kleine Krieg, wurde eben
so wenig mit entschiedenem Uebergewicht an Kraftanstrengung einge-
schlagen ; man that dafür wenig oder gar nichts, indem ihn theils das hohe
militärische Selbstgefühl der Regenten und Feldherrn, theils der schwer-
fällige, derbe Charakter des Soldaten, endlich auch vielfach die Beschaf-
fenheit des Landes binderten. Nur in Siebenbürgen wurde and zwar
mit Erfolg die kleine Kriegführung vorsucht, obschon es auch au gere-
gelten Treffen nicht fehlte. Dagegen unterliess man es anf unbegreifliche
Weise, in den eigentlichen Gebirgsgegenden, welche das grosse
Russen he er durchziehen musste, Pässe, Flüsse und durchschnittenen Bo-
den auf das Hartnäckigste zu. vertheidigen ; es war, wie wenn der Feind
absichtlich das Innere, da*. Flachland, erreichen und hier, sei es durch
Schlachten, oder durch Mangel und Krankheit tu Grunde gehen sollte,
Berechnungen, welche t h e i I w e i s^ ohne Zutbun des aufständischen Kriegs-
raths erfüllt wurden. Die Verpflegung der russischen Hauptarmee
bildete nämlich ein bedeutendes Hinderniss für rasches Vorrücken. Man
fand nicht die von den Oesterreichern zugesagten, durch eigene Noth
und grosse Zwischenräume unmöglich gewordenen Vorratne und Magazine;
man musste mühsam den Bedarf in einer langen Wagenreihe (2000 Kar-
ren} theils aus Polen und Galizien herbeischaffen, theils in den' nördlichen
Provinzen Ungarns langsam und oft ungenügend durch Requisitionen
gewinnen und aufspeichern, dabei Bartenfeld, Eperies, Kascnau
beim umsichtigen Vorrücken als Verbindungspunkte mit der Karpathen^
Ii nie und Sitze der Kranken- und Verpflegungsanstalten so gut es gehen
wollte, befestigen, und mit Besatzung versehen (VrgL mts. Ber. S. 5. u.
13 ff.). Diese berechnende Vorsicht macht dem russischen Hauptquar-
tier, welches nicht zwischen Himmel und Erde schweben, sondern siche-
ren Halt haben wollte, alle Ehre; ja in diesem klugen Befestigen der
Basis liegt eine Hauptursache des spätem Erfolgs, zumal der Feiod, wie
gesagt, es nicht verstand, den kleinen Krieg zu orgenisireo. Was hal-
fen öberdiess alle Tapferkeit und Waflenkunsl, alle Taktik und Strategie,
wenn es an zwei materiellen Vorbedingungen fehlt, an Geld und
Lebensmitteln? — „Jemand", bemerkt Monteonculi (Memoi-
res Seite 67), „sagte, Uber die Kriegsbedürfnisse befragt: „Dreierlei
Dinge sind nöthig: Geld, Geld, Geldlu — Hinsichtlich der Vorrath o
anheilte derselbe Heerführer: „Wer das Geheimnis» besitzt, ohne Essen
zu leben, der kann ohne Provision in den Krieg ziehen" (S. 03).
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656
Der Feldzug in Ungarn.
Minder glücklich konnte man von russischer und österrei-
chischer Seite her den nalurnothwendigen Feind, die Krankheit, be-
kämpfen. Tausende und aber Tausende starben an der Cholera, einer
Pest, welche weniger heftig bei den Magyaren und Bundesgenossen der-
selben wüthete. Am Ende Juni zeigte sie sich zuerst bei den Russen
in bedeutender Stärke und suchte, durch Regen hinter Kaschau gesteigert,
ihre Opfer selbst unter den in Reih und Glied stehenden Leuten; „diese
starben alsdann entweder plötzlich oder nach sehr kurzen Leiden. Wäh-
rend des Marsches gingen auf diese Weise in jedem der vier Armeekorps
tiiglicli 60 — 100 Mann zu Grunde, deren Leichen von den naciitolgeiten
Truppen aufgehoben werden mussteu. Alle Bugagcwagen waren mit Kran-
ken angefüllt; die Notwendigkeit zwang, eine grosse Anzahl Fuhrwerke
tu requiriren, weil die Korps nicht Hunderte, sondern Tausende von Kran-
ken und Sterbenden mit sich schleppten44 (Rus*. Oer. S. 62). An dem-
selben Lehel litten auch die Oesterreieher, jedoch minder stark:
bessere Pflege und Behandlung geboten ihm Halt; mit der Bewegung nach
Osten hurte es ganz uuf; dagegen i/iallc auf dem zehnliigigen Eilmarsch
von Pesth an din Theiss hei verschütteten Brunnen und der Tageshitze
häufig unerträglich der Dur*t; dem Mangel wusste man trotz der verwü-
steten und nusgeatgenen Ebene durch ausgezeichnete Vorkehr zu begegnen;
nicht eine Abtheilun? das Heeres darbte auch nur einen Tag lang, lautot
der ös^rr icbische Ccricht (S. 313). - — Hinsichtlich der einzelnen
Operationen oder mehr oder weniger heissen Gefechte widersprechen
eiotnder häufig die beiderseitigen Darstellungen; bei Pered (21. Juni),
llarkaly (2. Juli), Komorn (11. Juli), soll nach dem russischen Be-
riebt die Division des Generals Panutine den Ausschlag gegeben haben,
ubreud die österreichische , in das Einzelne genau eingehende Relation
davon schweigt, aber rühmend die Tapferkeit und Dienstleistung des Bun-
desgenossen anerkennt, überhaupt bescheiden und ohne rednerische
Blumelei nur den Thatbestand schildert. Desshalb kann man bei der
Wahl des Urtheils kaum schwanken, zumal schon das Vorwort dem nor-
dischen Machbar ohne Minderung des eigenen Verdienstes volle Gerechtig-
keit widerfahren lässt und das wirklich Geleistete keineswegs verkleinert.
Am heftigsten werden Tadel und Vorwurf des russischen Berichts gegen-
über dem Oberfeldherrn Hayn au nach der Schlacht bei Komorn; er
habe, heisst es, die dem Fürsten von Warschau gegebene Zusage nicht
gehalten, keineswegs den geschlagenen Gorgei dem Plane gemäss ver-
folgt, sondern ohne weiteres entgegen der Verabredung den berühmt und
folgerejch gewordenen Ostmarsch angetreten.
(Schluu folgt.)
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Nr. 42.
HEIDELBERGER
18».
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Oboe diesen wäre aber Görgei sicherlich vernichtet und der Krieg
mit einem Schlage beendigt gewesen. Die angedeutete Zusage Haynau's
vom 10. Joli lautet also: „Es ist wahrscheinlich, dass der Feind, der
die Brücke bei Gran selbst zerstörte, versuchen wird, Waitzen auf dem
linken Donauufer zu erreichen, nachdem er eine hinlängliche Garnison zur
Verteidigung von Komorn zurücklässt. In diesem Falle lasse ich vor
dieser Feitung ein zur völligen Einschliessuug derselben hinlänglich star-
ke« Korps; mit allen übrigen meinen Truppen aber werde ich
auf das linke Ufer der Donau zur Verfolgung des Feindes übergehen."
(R. Ber. S. 17 7. ) Die Umstände änderten sich aber einigermassen; Görgei,
um am rechten Donauufer für die Verbindung mit den östlichen Streit-
kräften durchzubrechen, wagte und verlor die Schlacht bei Komorn
(11. Juli), ging etliche Tage später (13. Juli), um nicht eingeschlossen
zu werden, mit etwa 30,000 Mann und 130—140 Geschützeu bis auf
Waitzen vor (15. Juli); er wusste nicht, dass mittlerweile die Russen
in ihrer Hauptstärke die Linie über Hatven und Gödöllö bereits am 13.
erreicht und den Weg an die Theiss verlegt hatten. Dennoch zog sich
Görgei die weit überlegene Macht des Feindes geschickt nach; es ge-
schahen vielfache Märsche und Gegenmärsche, Treffen und Postengefechte;
aber die eigentliche Entscheidung kam von Oesterreichischer Seite
durch den Eilzug an die Theiss, die Schlachten bei SzÖreg (5. Aug.)
und Temesvar (9. Aug.). Jetzt, da Dcmbinski und Bern, wenn
auch nicht vernichtet, doch für erfolgreichen Widerstand gelähmt waren,
musste auch Görgei, abgemattet durch den langen Marsch, von der
Oesterreichischen und Russischen Armee eingeschlossen, entwe-
der fechtend sterben oder die Waffen strecken. Erwählte bei Vilägos
den letztern Ausweg und endigte dadurch den Krieg. Diess ist der be-
kannte Hergang; es fragt sich nun, ob, wie die Russischen Berichte
klagen, der General von Haynau die Zusage gebrochen und rein selbst-
mächtig, wenn auch mit GlUck gehandelt habe. Dabei muss man als
leitenden Gesichtspunkt festhalten, dass eine gleicbrechtliche und gleichbe-
fug le Cooperation bestand; der eine und andere Theil handelte ohne
Subordinations verhöltniss nach dem vorläufig entworfenen Ope-
XLIV. Jahrg. 5. Doppelheft. 42
Der Feldzuff In Ungarn.
(Scliluss.)
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658 Dir Feldxug in Ungarn.
■
rationsplan; dem Russen war mehr und beinahe ausschliesslich das nörd-
liche, dem Oesterreicher eben 10 das südliche Donauufer an-
gewiesen; der eine sollte natürlich den andern unterstützen, aber toi
einem einzigen Oberkommando, welches etwa überall gültige Befehle
und Vorschriften geben konnte, war, wie gesagt, nicht die Rede. Die
gegenseitige Stellung erscheint nicht einmal so fest und bestimmt, wie
% B. die Wellington' s und Blücher 's yor der Waterloo schlecht
„Wählte, heisst es desshalb in der Oes terr eich icben Geschichte des
Feldzugs (S. 76), die österreichische Armee das linke Ufer für ihre Ope-
rationen, so blieb einer Offensive des Gegners über Raab unter allen
Umständen der Weg nach dem Herzen der Monarchie offen, und die Ver-
einigung der beiden operirenden k. Haupt-Armeen hätte wahrscheinlich
kein anderes Resultat gehabt, als gemeinschaftlich nach Wien zurüekzu-
marschiren. Diese Vereinigung, oder die baldige Verbinduog der beiden
Haupt- Armeen lag übrigens gar nicht im Zweck der Operationen;
denn jede derselben war stark genug, um selbst dem grösseren Theile
der Insurgentenmacht, wenigstens in so lange die Spitze zu bieten, bis
durch die Fortschritte der befreundeten Armee das Gleichge-
wicht hergestellt war.« — Es springt nun aus dieser deutlichen Entwick-
lung die zweite Frage hervor: „Wurde durch den Abmarsch des Gur-
gei'schen Korps die Russische Hauptarmee wirklich bedroht und be-
durfte man daher für die Herstellung des Gleichgewichts der Oesterreicbischen
Beihülfe oder realen, d. h. auf derselben strategischen Linie werktä-
tigen Cooperation?44 — Die überlegene Starke des Russischen Hee-
res und der nie auf dem linken Donauufer schwankende Ausgang des
Kampfes verneinen die Frage oder entscheiden dahin, doss der Fürst von
Warschau auch ohne die Vereinigung mit der befreundeten Hauptarmee
Kräfte genug besass, um den Feind erfolgreich zu bekriegen. Wenn er
dennoch anfangs entkam, so verdankte er das lediglich seiner Thätigkeit
und Kenntniss des Landes. An diese Betrachtung knüpft sich von selbst
die dritte Frage: „Konnte die Oesterreichische Haoptarmee durch ein
rasches Abschwenken gen Osten grössere und zwar mehr oder weniger
entscheidende Vortbeile gewinnen als durch den Donauübergang
und die Verfolgung des 30,000 Mann zählenden Görgei?tt — Die An-
wort liegt in den Siegen bei Szegedin (2. u. 3. August), Kanisa
(3. u. 5. August), Szöreg (5. Aug.), Tcmesvar (9. Aug.) und
Dreispitz (10. Aug.). Dadurch wurden die östlichen Streitkräfte
4er Ungarn zerrissen, gelähmt, die vom Norden herabgedrängten
Heereslrümmer Görgei's zwischen zwei Feuer gebracht und xor Wal-
p
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Der Fcldzug in Ungarn. 659
fenstreckung genöthigt. Würe diese auch am linken Donauufer etwa
drei Wochen früher in Folge der Vereinigung beider Hauptarmeen ge-
schehen, so hatten sich iniwischen ohne den Oesterreichischen Theisi-
10 g die Ungarischen Streitkräfte im Osten von neuem conzentrirt, viel-
leicht T ein es va r bezwungen, den Kampf jedenfalls in die Länge gezogen.
Der Ostmarsch war also offenbar ein strategischer Handstreich, wel-
cher von Kopf, Muth und Ausdauer zeugt. Daran knüpft sich von selbst
die letzte Frage : „Hat der 0 e s t e r r e i c h i s c h e Oberbefehlshaber, durch
Stellung und Vollmacht zum Selbstbandeln, ohne die gleichzeitige,
derselben strategischen Linie folgsame Cooperation der Russen,
dem befreundeten Hauptquartier die schuldige Anzeige seiner gefassten
Entschlüsse zu machen verabsäumt und dadurch einen gerechten Tadel
hervorgerufen ? u — Auch in dieser Rücksicht wird der Armee- Oberkom-
mandaat durch beiderseitige Zeugnisse hinlänglich gerechtfertigt. „Er, h eis st
es im Oeater. Bericht (S. 152), verständigte ungesäumt (13. Juli) mit-
telst eines eigenen Kouriers den F. M. Fürsten von Warschau von dem
Abzage der magyarischen Ober-Donau- Armee, und von der Richtung (am
linken Dooauufer über Bätorkessi an die Gran), welche sie genommen,
damit die russische Armee (sie hatte schon am 12. Wailzen besetz») Zeit
gewinne, Gurgei den Weg zu verlegen; ja, er bezeichnete schon am
15. Juli, in der aichern Voraussicht, dasa Görgei bei WaiUen Un-
möglich seinen Durchbruch erzwingen könne, den Weg Uber Ipolysagb,
Bailassan Gyarmath und Rima - Szouibath auf lliskolcz als denjenigen,
welchen die magyarische Armee unfehlbar einschlagen werde, um sich
auf die Kommunikation der russischen Armee zu werfen und sich dann
Iber die T heisa nach Debreczin durchzuschlagen." — Freundlicher
und aufrichtiger konnte doch wohl nicht gehandelt werden, ala wenn das
ei;:? Hauptquartier dem lindern nicht nur den nahenden Feind deklarirt,
sondern auch die Wege und Stege bezeichnet, auf welchen er vorgeht.
(VgL Russischen, in der Hauptsache übereinstimmenden Bericht, S. 178.)
Welch' ein entsetzliches Drängen und Anhäufen der Massen hätte es nun
nicht gegeben, wäre auch die ganze Oesterreichische Donauarmee
nach dem Wunsch und Erwarten des Fürsten von Warschau über den
Strom gegangen ! Blieb da nicht im Nothfall dem wachsamen und kühnen
Gurgei Gelegenheit, seinen verbältnissmässig genügen Heertheil zu d e-
bandiren nnd ihm die beiden Hauptarmeen nachzuziehen? Das hätte
in den Bergen eine wilde Jagd gegeben, deren Wechsel und Dauer die
Ungarn in den Theiasgegenden trefflich für Concentrirung
benutzen konnten. Hayn au handelte daher, ist die Folgerung aus des
42*
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660
Der Feldzag in Ungarn.
voranstehenden Prämissen, klug und pflichtgetreu, wenn er unter ver-
änderten Umständen die im Allgemeinen gegebene Zusage zurück-
nahm, den General Görgei der Russischen Haoptarmee überliess, mit
der eigenen aber einen fernen und vielfach entscheidenden Kampfplatz
aufsuchte. Dadurch sind denn auch die weitläufigen, stellenweise leiden-
schaftlichen Vorwürfe des Russischen Berichts (S. 184 ff.) theils wider-
legt, theils auf ihr richtiges Mass zurückgeführt. Manche Dunkelhei-
ten und Widersprüche in dem blutigen, unheilvollen Bürgerkriege,
welcher ein edles Volk für viele Jahre zerriss und abschwächte, werden
sich, wie schon früher gesagt worde, nicht eher aufklären und ausglei-
chen, als bis auch der besiegte Theil, wie er hin und wieder schon an-
fängt, möglichst sorgfältige und unparteiische Berichte gegeben hat. Jetzt
nach dem thatsäeblichen Abschluss des traurigen Dramas wäre es
ungereimt, über Fehlgriffe, welche auf beiden Seiten begangen worden,
zu klagen oder den unleugbaren Einfluss zu bejammern, welchen bei dem
trägen Stillsitzen der Teutschen Staatsmänner und leidigen Parlaments-
beiden naturgemäss Russland durch die kräftige und grosse Opfer forderode
Intervention gewonnen hat. „ Europa, schrieb bereits im Junios der
Kommissär L u d v i g h aus Komorn an K o s s u t h , benimmt sich überhaupt
uns gegenüber sehr schändlich. Siegen wir, dann erhebt es sich gans
gewiss gegen die russische Intervention; sind wir aber besiegt, so wird
es Uber uns eine Trauerrede halten. — Wir können ons also nur auf
unsere eigene Kraft verlassen; schaffe daher nur Soldaten, Waffen nnd
Geld, und solltest du dies Alles aus der Hölle holen/' (Oestr. Ber. 131.)
— Da aber letztere bekanntlich sehr feste Riegel hat, welche nur durch
Zauberwort gesprengt werden, so blieben die infernalen oder
hochrevolutionären Kräfte aus, und die auch folgerichtig beliebten,
modischen Sympathieen und Solidaritätsverträge der Völker
zeigten sieb hier wie anderswo in ihrer ächten Gestalt, als — Zangen-,
P r e s s - und W e i n d ü n s te. — „lastitiam discite moniti !u gilt von Fürsten
und Völkern.
Unsere Politik. Berlin. Schneider, 1850. & 70. 12.
Uns ist in alten mären Wunders viel geseit.
Von heleden lobebären. von grozer arebeit.
Von freude und hochgecilen: von weinen und klagen.
Von kuner recken striten, muget ir nu wunder hören sagen.
Der Nibelungen Lied. Leipzig, 1840.
Die Neu-Preussischc Politik trägt io Bezug auf Schleswig-
Holstein, die Union oder Teutsche Einheitsfrage einen wahr-
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Unsere Politik.
661
halt tragischen Charakter ; nach ungeheuren, durch viele Geld- und Men-
schenopfer beurkundeten Anstrengungen stehet alles an dem Platz, von
welchem man ausging; die Helden des nationalen und unitarischen Prin-
zips, den Herrn von Radowitz an der Spitze, fallen; die Cohorten der
Agenten, Redner und Schriftsteller stieben auseinander und warten auf
besseres Welter; der so oft verhöhnte Bundestag nimmt, durch den
Anschluss reu voller Söhne verstärkt, wieder das Heft in die Hand; kurz,
aller Streit hat nun ein Ende. Wenn Spötter sagen, die gesammte Ent-
wicklung gleiche nicht der Iii ade, sondern der Jobsiade, so ist das
eine ans Missgunst nnd Neid entsprossene Verdrehung der Sachverhältnisse.
Jedenfalls lohnt es die Mühe, auf jenen merkwürdigen, in mancher Rück-
sicht beispiellosen und unvergleichbaren Wendepunkt der Teutschen,
insonderheit Neu-Preussischen Angelegenheiten einen kurzen Rück-
blick zu werfen. Diess thut zuerst die oben genannte Broschüre, welche,
ruhig geschrieben, von dem politischen, nicht einheitlichen oder phi-
lanthropischen Standpunkte aus den etwas abentheuerlicben Herlauf der
Dinge betrachtet. Gegenüber der Teutschen, auf die vaterländische Ein-
heit scheinbar gerichteten Bewegung erklärt sie die bekannte Proklama-
tion vom 21. März: „Preussen geht in Teutschland aufu für
den Knoten der ganzen ferneren Verwickelung. Denn dadurch habe nicht
nur der bisher scharf markirte Preussische Staat sich selbst uud seine
Eigentümlichkeit aufgegeben, sondern auch den Souveräne!« ti-
sch wind el des Frankfurter Parlaments um ein Bedeutendes gefördert.
(S. 7 ff.) Der Verfasser konnte hier den leichtern und sicherern Weg
des Aufgehens dadurch bezeichnen, dass er etwa die Einverleibung
kleinerer Gemeinwesen in die Monarchie Friedrichs des Grossen als
idealen Zielpunkt des instinktiven Verschwindens in Teuschland bezeichnete.
So machte und macht es ja bekanntlich die S lavische Hauptmacht
gegenüber Teutschen und Slavischen Elementen, ohne dass dawider Eu-
ropäische Einsprache von Belang versucht wurde. Und dieses langsame
Verzehren durch Assimilirung herbeigezogener Kräfte hat bekanntlich
auch Frankreichs Abrundung bewerkstelligt, ja, selbst dem frühem
Wachsthum Preussens wie Oesterreichs den historischen Bo-
den bereitet. Der diplomatische Fehler lag also nicht sowohl in
der Proklamation, als in dem langeu Stillsitzen und Zuwarten,
während eine praktische Politik als Beweis des wirklichen Aur-
gehens etliche Territorien sei es unter dem Vorwand der Teutschen E i n-
heit oder des Iondfri ertlichen Protektorats würde einverleibt haben.
Dem Allen aber entgegen blieb man Monate, ja, Jahre lang zwischen
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662
Unser© Politik.
dem Hangen und Bangen , und glich zuletzt dem gierigen Tantaloe, dessen
Hand umsonst nach den rasch entschlüpfenden Früchten ausgereckt wird.
— Die Folgen der Halbheit, welche zwischen dem aktiven und pas-
siven Princip unschlüssig schwankt und eine Art politischer Mystik be-
treibt, werden (Nr. 2.) also bezeichnet: „Preussen steht in Deutschland
da, einflusslos, theils gehasst und theils verachtet." Das erste war kaum
zweifelhaft, das zweite ist trotz der Fehlgriffe eine leere Redensart, welche
höchstens für die doktrinär- burschikosen Kaisermacher und Zeitungsschrift-
steller Wahrheit besitzt. In den folgenden beiden Abschnitten (3. u. 1 )
werden gut die Missgriffe gegenüber Oesterreich nachgewiesen, wel-
ches man inmitten seiner Bedränguisse als verlornen Posten aufgab und
dem russischen Bündnis« entgegentrieb. „Maulaffen, heisst es etwas
rauh (S. 17}, sassen in der Paulskirche, welche die deutsche Einheit
anstrebten, während sie die Uneinigkeit beförderten ; welche von deutscher
Grösse sprachen, wahrend sie Deutschland verstümmelten', welche gegen
Russland deklamirten, während sie mit allen Kräften beflissen waren,
Russlauds Ansehen zu erhöhen.44 — rO schnöde Eifersucht! Jeder für sieb,
und darum Beide ohnmächtig! Haben wir denn die Geschichte verges-
sen, und Austerlitz und Jena haben uns Nichts gelehrt? Dort fiel Oester-
reich, verlassen von Preussen; hier Preussen, verlassen von Oeslerreich.*
(S. 19.) — Darauf werden die S ch les w i g - H o I s t ei nisc h e n An-
gelegenheiten, eine staatsrechtliche Controverse, beleuchtet und
dahin entschieden, dass Preussen entweder den heiklen Streitpunkt hätte
nimmer berühren oder durch eine kräftige Kriegsführung entscheiden sol-
len. Letzteres wäre, meint dor Verfasser, im Jahre 1848 wohl möglich
gewesen, und zwar so, dass Dänemark für Schleswig - Holstein dem
Teut sehen Bunde beitrat, Preussen dagegen die Garantie der Däni-
schen Gesammtmonarchie Ubernahm. Statt dessen aber habe man
hin und her lavirt zwischen dem Popanz von Reichsministeriuro, Reicbskom-
mission, Reichsflagge u. a. w., habe die Bewegung gefördert und zuletzt
das arme Ländohen im Stiebe gelassen. (S. 27.) In dem gleichen Ton
werden darnach die Nebelgebilde und Luftstreiche des Frankfurter Kaisei-
thums oder Centraireichs und die schon mehr realen Entwürfe der po-
litischen Nachgeburt, des Erfurter Unionsstaats, besprochen, dabei die
mannigfaltigen Widerspruche und Halbheiten hervorgehoben, die kost-
baren nnd fruchtlosen Novemberrüstungen bitter geladelt, Reue und Rück-
kehr zu einer gesunden, um das historische Preussen, nicht das ima-
ginäre Gesammtreich sich drehenden Politik empfohlen und statt der u*i-
tarischen, centralistiscben Ideen die Grundsätze des reinen Föderalismus
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Unsere Politik.
all leitende Gesichtspunkte gepriesen. „Land der Denker, lautet der Schluse,
wo ist Deine Logik geblieben? Professoren! wo ist Enre Geschichte
und Geographie geblieben, wenn Ihr es nicht wisst, dass ein Land wie
Deutschland sich nicht organisiren kann wie Frankreich, noch auch wie
England oder Nord-Amerika? Ihr Anderen aber, die Ihr nicht Professo-
ren seid, wo ist der gesunde Menschenverstand geblieben?
„Ja, zum Teufel ist er! Denn der Teufel ist der Eigendünkel, der
Dinge erstrebt, nicht wie sie der Natur nach sein können, sondern wie
sie nach eigenem Belieben sein sollten; der Eigenwille, der nur sich
selbst will, im Gewände des Patriotismus als ein Engel des Lichts. —
Wss Wunder nun, wenn Alles sich ins Gegenthei! verwandelt? Die Ein-
tracht in Zwietracht, die Macht in Ohnmacht, die Ehre in Unehre ?fi Weint
Patrioten! aber werdet weise !u
Der unbekannte Verfasser hat nun gleichfalls zwei bedeutende Fehler
begangen; erstens kommt seine Mahnung nicht vor, sondern na oh dem
Convolut verschiedenartiger Missverstandnisse und Fehlgriffe ; ein Umstand,
welcher den in diesen Blättern oft während der Fluth ausgesprochenen
Tadel des blinden Centralisirens und Unirens keineswegs berühren kann.
Zweitens wird das Heilmittel zu unbestimmt angegeben, indem die ein-
fache Wiederkehr des Bundestages den Status quo vor der Kata-
strophe, mithin den Complex vielfach anerkannter Uebel und Widerwär-
tigkeiten, bezeichnet. Die Reform ist dadurch eben so wenig ausge-
sprochen als gewährleistet. Und dennoch bleibt sie unabweisbar. Sy Ste-
ina tisirte und concentrirte Repressivmassregeln mehren nur die
Krankheitsstoffe; das wirklich Böse kann man ausbrennen, das Verkehr-
te nur auf dem Wege der Besonnenheit zum Rechten bringen. Aecht de-
mokratische oder der Gesammtheit entsprossene Errungenschaften, wie
Schwurgerichte und Oeffentlicbkeit der Rechtspflege, Endschaft materieller
Privilegien und bevorzugter Corporationen , selbständige und geregelte
Gemeindeverfassung, Pressfreiheit unter einem vernünftigen Gesetz
und kirchlich-religiöse Toleranz, haben höhern Werth als wan-
delbare Edikte, oktroyirte, bald rechts, bald lioks, hier nach unten, dort
nach oben gekehrte Schrift- und Ständeverfassungen, welch«
in den erwähnten Voraostalten die eigentliche Bediogung ihrer dauerhaf-
ten nnd woblthatigen Wirksamkeit besitzen. Anf dergleichen Punkte hätte
sich „unsere Politik44, welche mehre ihrer verständigen Winke,
beisst es, dem K. Russischen Gesandten von Meiendorf verdankt, am
Ende richten sollen. Auch mit dem alten Organisation* - und Ge-
schäftsgang des Bundes wird man bei neuen Bedürfnissen und Ver-
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664 Westermann: üeber die Urkunden in den Altischen Rednern.
Wicklungen aHein nicht ausreichen. Der Wohlthat des allgemeinen, jetzt
wieder aufgenommenen und gültigen Centroiorgans muss wohl die
zweckmässige Keform beitreten, sichtbar in einem vollziehenden Direc-
lorium von drei bis fünf Mannern, Wechsel des Stimmenverhält-
nisses zu Gunsten der grössern Staaten und ähnlichen, auf der Hand
liegenden Dingen. Dass bei dem etwaigen Eintritt Gesammt-Oester-
reichs wie früher Gesammt-Preussens die materiell-natio-
nalen Kräfte ausserordentlich gewinnen und in Folge richtiger Manipu-
lation etwelche Einreden (Proteste) des Auslandes spurlos vorübergehen,
bleibt wahrscheinlich, wenn man die Sache ganz und nicht halb will,
dafür auch etwaigen Waflenstreit nicht scheut. Aber wie gesagt, die
Teutsche Nation muss dann auch innerlich frei seyn. Dergleichen
hätte das, gegen allerlei Träumereien mit Nachdruck reagirende Büchlein
mindestens andeuten sollen.
1. Untersuchungen über die in die Attischen Redner eingelegten Urkun-
den von Anton Westermann. Erste Abhandlung: Die Mo-
dalität der Athenischen Gesetzgebung, geprüft an den in der Rede
des Demosthenes gegen Timokrates §$. 20—23. 27. 33. 39. 40.
59. eingelegten Urkunden pgg. 3 — 60. Zweite Abhandlung: Prü-
fung sämmtlicher in die Attischen Redner eingelegten Zeugenaus-
sagen, pgg. 63—136. [Beide in den „Abhandlungen der Philo-
logisch-Historischen Klasse der Königlich - Sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften." Erster Band. Leipzig, Weidmannsche Buch-
handlung, 1850.]
2. Commentationum Criticarum in scriplores Graecos pars altera, quam
— scripsit Antonius Westermannus Litt. Gr. et Lat. P.P.
0. Lipsiae, liUeris StariUii, typogr. Unitersit. MDCCCL. p. tS. 4.
•
Insofern die in die Attischen Redner eingelegten Gesetze Verträge
und Zeugnisse bisher fast allgemein so gut wie der Text, dem sie zur
Bestätigung beigerügt schienen, als wichtige Quellen Griechischer Alter-
thumskunde betrachtet wurden, möchte man fast glauben, Herr Prof. We-
stermann habe einen kühnen Griff gethan, wenn er diese ehrwürdigen
Denkmäler anzuzweifeln sich erlaubte. Namentlich bat Uber die ausführ-
liche Irci^eipOTOVia vöfjuov, (Dem. Tim. pag. 706) womit das bei den
jährlichen Gesetzesrevisionen in Athen übliche Verfahren bezeichnet wird,
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Wettermann: Ueber die Urkunden in den Attischen Rednern. 665
unseres Wilsens Niemand je ein Bedenken geäussert, sie diente vWmehr
bei allen Untersuchungen und Erörterungen über diesen Gegenstand zur
Grundlage. Und doch kann Ref. nachdem er die erste Abhandlung, ein
Musler umsichtiger Prüfung gelesen, es nur fUr sehr schwer, wo nicht
unmöglich halten, irgend etwas beizubringen, was sich gegen die von W
. aufgebotenen Reweise anführen Hesse. Versuchen wir in Kürze seine An-
licht hier wiederzugeben.
Zunächst vergleicht W. die in deu Reden für Timokrates und Lep-
tines auf die Gesetzesrevisionen bezüglichen Stellen, dazu noch den Aescbi-
nes adv. Ctesipb. §. 39. In jenen beiden bringt Demosthenes nur die
Punkte zur Sprache, welche mit seiner Anklage in unmittelbarer Verbin-
dung stehen, daher wir von dem ganzen Unifaug der die Legislation selbst
betreffenden Gesetze nur Bruchstücke erhalten. Timokrates hatte die zur
Einbringung neuer Vorschläge gesetzlich angeordnete Frist nicht beobach-
tet, indem er hinterlistig ein Gesetz zu Gunsten gewisser Staatsschuldner
durchzudringen suchte; dabei verging er sich gegen die in der Rede §. 18
und 25 citirteu Sätze. Leptines hatte seinen Vorschlag nicht einmal,
wie Timokrates, den Nomotheten vorgelegt, sondern wie zu vermuthen,
durch direkte Bearbeitung der Ekklesia durchgesetzt, also gegen die Be-
stimmungen gehandelt, welche adv. Lept. §. 94 aufgezählt werden. Aeschi-
nes berührt I. c. uur die von den Thesmotheten angestellte Prüfung der
alteu Gesetze und spricht von der durch die Prytanen verkündeten, von
den Proedren geleiteten Volksversammlung, welche der eigentlichen No-
mothesie vorausgingen und sie einleiteten.
Es wäre daher bei der durch die Sachlage natürlich hervorgebrach-
ten Lückenhaftigkeit dieser Traditionen von grösstem Werth, wenn die
genannte \-\yv//~<jv.ri eine vollständige Einsicht in die Gesetze Solons,
welche den Geschäftsgang bei Rogationen betrafen, gewährte. Auf Solon
führt nämlich Demosthenes diese vojjloi (~- w/xvx oder xecpaXaw) darüber
zurück (adv. Tim. §. 24), wobei man, wie sich von selbst versteht, voo
notorisch spätem damit zusammenhängenden Instituten absehen muss. In-
dess gibt fast jede Zeile dieser Urkunde irgend einen Anstoss, sey es
nun gegen die handgreiflichste Logik oder gegen andere allbekannte Ge-
setze, oder gegen den Athenischen Curialstyl, wie sich sogleich zeigen wird.
Der erste §. (20) schliesst mit dem Satz: tip ff faoXKpomCtt
elvott tojv vojitov xaia tou; vojiguc tüü; xstjxevooc Die bestehenden Ge-
setze sind es eben, welche hier mitgetheilt werden, und dass sie als solche
auch gehalten werden müssen, bedarf keiner Erwähnung, doch lautet dies»
X. T. v. t. x. gerade so als beziehe man sich auf andere, ausserhalb der
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fififi WMtrrmann* ITaW iti« ITrkimH*n in <fon AtllcrhAn Rf»Hn*rn
FnipM+Mnnia WafranAa ColinilMa nmA Aaa ist im kKoVicton CUaila u.'i/4nr
npivun munic iicgciiuo cöituiiyeu, unu uos ist im uutusicu uiuuc wiuer-
sinnig. Eine unlogische Einteilung der Nomoi gehl voraus in ßouXeimxoi,
xoivoi, oTxcTvrat toT; £w$a Spxoooi, dann °^ *• Rtpittifr 5XXu>v dr/tüv:
unlogisch ist sie, weil dadurch species zu genera erhoben und zwei ge-
nera weggeblieben sind, die v. rapi tu>v t&coxixüjv und die ~*pl tujv
bptuv, ausserdem ist die Bezeichnung durch xotvot ganz verfehlt, wenn,
wie der Zusammenhang erweist, darunter die Anordnungen verstanden
werden sollen, welche den Autheil der ISation an der Staatsregieruog in
der Ekklesia betreffen. Was nun die Epichirotonie selbst angeht, scheiot
der Verfasser geglaubt zu haben, das Volk hätte ohne vorausgehende
Debatte der Rechtskundigen einfach votirt über die Beibehaltung oder
Aufhebung der bestehenden Gesetse, indem er, was doch in einer gründ-
lichen Constitution nicht fehlen durfte, einer solchen gar nicht gedenkt,
10 wenig als der jene Besprechung selbst vorbereitenden Revision der
Thesmotbeten. Unnütz dagegen ist gewiss die Vorsorge für die Anwei-
sung der Nomotheten an eine in der Ekklesia jedesmal zu bestimmende
Kasse ($. 21 ; rcepl Äpppfou, oicöfav toi; vojmo&sxaic lotai), da sie ab
Richter ihren gewöhnlichen Heliastensold bezogen haben werden , und ganz
unpraktisch die Forderung, im Voraus die Dauer der Sitzung derselben
festzusetzen, da die Lange der Berathuag weder berechnet werden konnte,
noch von den Nomotheten abbing. Weiterhin ist es ein starker Missgriff,
wenn die Prytanen, falls sie nicht die Ekklesia zum Behufe der Epichiro-
tonie promulgiren, mit tausend Drachmen (jeder einzeln} bestraft werden
sollen, wahrend die Proedren, wenn sie in der Versammlung die Tages-
ordnung nicht einhalten, nur vierzig Drachmen zu erlegeu haben. Das
Vergehen der Letzteren wäre doch gewiss das grössere gewesen. Viel-
leicht liegt hier die Schuld nicht an dem Verfasser; die Abschreiber können
M = fi6ptai für u =r Tercapaxovxa genommen haben, wie W. vermutbet.
Uebrigens ist kaum denkbar, dass Prytanen und Proedren, wenn für die
erste Ekklesia des Jahres einmal der Gegenstand festgesetzt war, davon
abzugeben im Stande waren. Indess unser Autor ist gerade hier recht
ausführlich. Er fährt fort, gegen beide zu operiren : Ivfe&c Outöjv £ar©
rcpos toik fteojiofreTac, xa&arcep low ti; ap)r?j öqpstXojv toj dqjuiooiro.
Der Sinn dieses höchst unklar ausgedrückten Satzes scheiot der zu seyn:
bleibt einer in seinem Amt ohne die Strafe zu zahlen, so ist er bei den
Thesmotbeten zu belangen, gleich den Staatsschuldnern, die ihre ay/j,
nicht niederlegen. Aber die Proedrie kann mit einer äp/j, nicht vergli-
chen werden, da ihr Walten mit der Ekklesia aufhört , wofür die Proe-
dren erloost worden sind, wäre es aber eine, dann hätte der Zusatz
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Weitermann! Ueber die Urkunden in den Attischen Rednern. 667
xofoksp wieder keinen Sinn, denn so würde Amt mit Amt d. h. Gleiches
mit Gleichem zusammengestellt als wlre es nnr Aehnliches. Auch die
Prylanen würden durch das Gebot aus dem Ausscboss zu treten, oder
eine Klage zu gewärtigen, nicht sehr affin rt worden seyn, da nach der
dritten Ekklesia ihr Regiment ohnehin bald zu Ende ging.
Eine verkehrte Vorstellung ?om Zweck zeitiger Bekanntmachung
der Gesetzesvorschläge verräth §. 23: oiuo{ 5v Ttpö«; TO id^oc TÄV
tsOevtü>v vöjiü)v ^(pioifjTat 6 ö^jao; rcspi tou xpoyOÜ ^ vofiofrlTats.
Wie schon bemerkt, war das festzusetzen gar nicht thunlicb, doch davon
abgesehen, wie nahe lag es das wirkliche Motiv zu entdecken, wenn es
aocb Demoslhenes nicht selbst mehremale hervorkehrte: nämlich um eine
ruhige besonnene und umsichtige Prüfung der Vorschläge möglich zu ma-
chen. Aus eben diesem Grund mussten sie von dem Grammateus in den
nächstfolgenden Versammlungen vorgelesen werden, wie adv. Lept. §. 94
angegeben wird, was der Verf. der Epichirotonie, so wesentlich es auch
wir, anzuführen unterlassen hat. Dafür ist zum Ueberfluss das Uber die
schriftliche Publikation Angeordnete zweimal gesagt, zuerst in den Wor-
ten (§. 23) izpb dh rffi ixxX^ata; — vojioölxatc, deno in den sogleich
folgenden 6 is ndsl; — yevr/xat. Obgleich in allem bisher Vorgekom-
menen wenig Verstand sich offenbart, wird doch schwerlich anzunehmen
seyn, dass eine so plumpe Wiederholung dem Autor unbewusst entschlüpft
sey, wesshalb man den zweiten Satz trotz der Bereicherung durch das
ivoroety«; ei; Xeuxiuu.« besser streicht als beibehält.
Mangel an Kenntniss der Athenischen AlterthUmer ist zu erkennen
in Ausdrücken , wie tt]v TsXeoratav tojv xpitov ixxXrpuiuv, (§. 21) eine
wunderliche Umschreibung von Tr^v toittjv Ixxa. worin W. eine Spur von
der Zeit der Abfassung findet, es war die Epoche, als Athen zwölf Pby-
lea hatte und in jeder der 12 Prytaniecn nur drei Ekklesien gehalten
Warden. Nach der sclavischen Art der Scholiasten, die aus einem spe-
cialen nnd einzelen Fall allgemeine Regeln sich abstrahirten, wird auch
hier zu Anfang und Ende der Urkunde der eilfte Hekatombaeon als der
jedes Jahr wiederkehrende Tag der Epichirotonie bestimmt, der Autor
bedachte also nicht die Wandelbarkeit des Attischen Jahres, welche gar
keine bestimmten Prytanientage ein für allemal zu fixiren erlaubte, da
diese sonst Öfters mit den Festtngen zusammengefallen wären. Weil Timo-
krates den genannten Tag zu seiuem Zweck benutzt hatte, meinte der
Verf. sicher zu gehen, wenn er für alle Zeit jenes Datum vorschriebe,
statt einfach die xupia ixxXrp'a des Hekatombaeon zu nennen. Irgend
woher ist in §. 23 in ähnlicher Weise die Bestellung von fünf Anwälten
Digitized by Google
668 Westermann: lieber die Urkunden in den Attischen Rednern.
für die angegriffenen Gefetze entlehnt; warum es immer fünf seyn musi-
ten, ist nicht zu begreifen, ihre Anzahl wird »ich nach der grössern oder
geriogern Masse des Stoffes gerichtet haben. Sie heissen hier nicht, wie
adv. Lept. §. 146 ouv&xoi, sondern mit einem ganz befremdlichen Ter-
minus ouva7toXöyrja6jievot. In derselben Rede I. c, welche Stelle viel-
leicht zu der Annahme der fttnfe verleitete, werden für das Gesetz des
Leptines nur vier An walte genannt, aber den Urheber des Gesetzes mag
er mitgezählt haben.
Die bestehende Ordnung über Einbringung neuer Gesetze umging
nun Timokrates durch ein Psephisma, welches angeblich für die nahe be-
vorstehenden Panathenaeen eine ausserordentliche Sitzung der Nomotheten
•uf den 12. Hekatombaeon anberaumte; das war ein Festtag (Krouia)
an dem der Rath nicht zusammenkam. Dies Dekret war nach Demo-
•thenes Urtheil recht schlau (tsxvucü>0 abgefasst: die gutwillig erschei-
nenden Nomotheten vernahmen kein Wort Uber die Panathenaeen, son-
dern T. legte ihnen jetzt seine Rogation vor, wobei er ein Privilegium
für einige seiner Freunde zu erschleichen suchte. In dem zu §. 27 mit-
getheillen Psephisma ist von jener gerühmten Schlauheit nichts zu entdecken.
Der Sykophant musste um ein gegen den gewöhnlichen Geschäftsgang
verstossendes Verfahren plausibel zu machen ganz andere Dinge vorbrin-
gen als diess oitü>c — öiotxr^i dazu bedurfte es weder eines Timokra-
tes noch der Nomotheten. Der Satz ist noch dazu sehr linkisch ausge-
fallen: die Panathenaeen werden hinterher genanut, nachdem sie schon
unter kpa verstanden waren und dtoix^*' in der Bedeutung von uopio^g
ist im Attischen Sprachgebrauch unerhört. Im Eingang des Psephisma ist
das Datum weggeblieben, und zu Im ttJ; lIav£uMÖkG{ nparnjc fehlt rcpuxa-
vsoouar^; beides starke Verstösse gegen die übliche Form. Dass die
Nomotheten zu berufen Sache der Thesmolheten, nicht der Prytanen war,
wuasta der Verf. nicht. Das tollste ist aber, dass er den Zusatz macht
ouwojio&STstv 6s xai tt,v ßouXfjV, wodurch Timokrates sein ganzes Spiel
vereitelt hätte, dieser wollte eben darum den Feiertag benutzen um hinter
dem Rücken der Bule einem Theil der Staatsschuldner die gewünschte
Erleichterung zu verschaffen.
In dem von Demostbenea zu §. 59 gegen Timokrates angeführten
Gesetz ist jedenfalls die Schlussbemcrkung oi; av jxtj öo£g xpüßöty
«lYf ^GiiEvoi; weder grammatisch noch sachlich haltbar. Letzteres darum
nicht, weil es dem Timokrates nicht einfallen konnte, seinem Vorschlag
durch geheime Abstimmung der ganzen Ekklesia Gesetzeskraft zu erthei-
len ; der Redner tadelt daran nur, dass es Einzelen ein Privilegium ertheile
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Wettermann: Uebcr die Urkunden in den Attischen Rednern. 669
und so gegen das Gesetz fnj vöfiov i£slvat W ävdpi Oetvat, iotv fnj töv
onVciv Irrt naotv 'A^jvaioic Ttftj Verstösse.
Ein anderer Nomos tu §. 32 citirt enthalt ebenfalls mehrere offen-
bar unrichtigen Sätze; wie die, dass die Proedren die Diacbirotonie der
Nomotheten leiten sollen. Auch hier wieder sind die Thesmotheten (ot
Iro tooc vdfiooc xXr^poujiSvot , adv. Lept. §. 90) von ihrer Stelle ver-
drängt um denen Platz zo machen, welche mit dem Gerichtswesen Nichts
io schaffen haben. Die Sitzungen der Nomotheten werden aber ausdrück-
lich als gerichtliche betrachtet. Die Gegner des neuen Gesetzes erschie-
nen als Ankläger desselben (Lept. §. 89) und die Nomotheten wurden
zur Abstimmung in der bei Gerichten bräuchlichen Weise aufgefordert;
dieses Votiren heisst nirgends ^sipoiovia oder faay&ipvzovla.
Die Klage gegen Leptiues wurde ohne Zweifel vor den Nomothe-
ten verbandelt, nicht, wie F. A. Wolf anuabm, vor einem helia Mischen
Gerichtshof. Hier hätte es bei der Verwerfung des Vorschlags von Lep-
tines sein Bewenden gehabt. Dagegen spricht aber die Erklärung des
Demoslhenes in Lept. §. 89, 93, 99; er musste, wenn er den Leptiues
angriff, zugleich sein eigenes Amendement den Nomotheten vorlegen (§. 137},
bitte er damit bis zum folgenden Jahr warten dürfen, so wäre unterdes-
sen eine Lücke in der Gesetzgebung geblieben.
In demselben Nomos (§. 33) wird die von den Proedren veran-
lasste Abstimmung zugleich über das alte und das neue Gesetz verlangt:
dadurch konnten aber beide verworfen werden und dann entstand gleich-
falls eine Lücke. Allerdings erlaubten sich Manche, Gesetze erst zu Fall
zn bringen und dann ihre dafür in Aussiebt gestellten eigenen zurück-
zuziehen, so dass jene Folge wirklich eintrat, aber wie darf eine fest-
stehende Ordnung solchen Unfug selbst hervorrufen? Weil Demosthenes
Gegner des Gerücht verbreitet hatten, er werde es auch so machen, bit-
tet er Lept. §. 100 die Thesmotheten sein Versprechen zu Protokoll zn
nehmen, dass er sein Wort halten und einen eigenen Vorschlag einbrin-
gen werde. Freilich mttssten das nach der Ansicht unseres Nomotheten
die Proedren thun.
Die Bestimmung endlich, dass, wenn Jemand ein Gesetz aufhebe
nnd dafür ein anderes vorschlage fnj imxrjo'eiov tj baVT&V töv X8tfi<V0)V
tu, solle gegen ihn das Gesetz in Anwendung kommen, welches dieje-
nigen treffe, die einen vojioc fAT) eTtiTTj&ioc vorschlagen, beruht auf der
Voraussetzung, dass ein Vorschlag der einem frühem Gesetz widerspreche,
notwendig auch oux &UTt)$eio; oder die Strafbarkeit beider Missgriffe
gleich gross se^.
r
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670 Westermann: Ueber die Urkunden in den Attischen Rednern.
In der zweiten Abhandlung ergeben sich ähnliche Fehler bei der
Prüfung der testimonia, dass sie gegen den üblichen Gerichts* tyl Ver-
stössen, z. B. Namen des Vaters oder des Demos oder auch beide weg-
lassen, dass sie geradem der Aussage des Redners widersprechen, we-
nigstens etwas bezeugen, was gar nicht nötbig war oder sich von selbst
verstand; dass sie grosse Unkenntniss der Attischen Institutionen an den
Tag legen, und ihre Unächlheit auch durch unbeholfene Ausdrucks weise
verrathen. So heisst es z. B. in den Zeugnissen der Midiann immer
ATTflAOO&svTQC (p jiapTopoüuav oder gar Ms'.&'a; 6 xptvofitvos At}jig-
oftivooc, in der Rede gegen die Neaera kehrt sechs Mal das nichtssagende
N. tj vuvl &Yü>viCGjjiv7} wieder. Dadurch erhellt zugleich, dass verschie-
dene Hände bei diesen Fälschungen beschäftigt waren. Unter den Hand-
schriften hat I verhältnissmässig davon am freisten sich erhalten, indem
nur die Einlagen zur Midiaoa, den Reden rcepl Gxscpavoo und gegen Neaera
darin vorkommen, gerade diese fehlen wieder (mit Ausnahme der letzt-
genannten Rede) im Aug. 1. Diess lässt ebenfalls auf verschiedene Ver-
fasser scbliessen, welche aber sämmtlicu mit ihren Produkten wenig Ehra
einlegen.
Um nun mit den Aktenstücken zur Redo r.. ct. zu beginnen , so
gibt das erste (§. 135) gegen Aescbines, dass ihm den Hyperidei als
Pylagoren der Areopag vorgezogen habe, als der Demos einstmals ihn zo
dieser Stelle designirt halte, nur eine sehr abschwächende Variation der
scharfen Worte in §. 134, das zweite greift auf ähnliche Weise fehl,
wie die Fictiooen der Timocratea. Wenn dort bei der Tpaqnj 7iapavö|i<i>v
das Praesidium den Proedren übertragen wird, und dem Verfasser nicht
von ferne einfällt, dass er damit die Thesmotbelen , die wirklichen Ge-
richtspräsidenten iguorirt, so werden hier in einem Prozesse derselben
Gattung die Thesmolheten durch die Strategen ersetzt, welche die Zeugen
beeidigen sollen. Andere Verstösse dieser beiden Stücke, welche zum
Theil schon von Droysen in seiner Schrift „über die Echtheit der Urkun-
den in Demosthenes Rede vom Kranze« p. 127 CT. 179 ff. besprochen sind,
übergehen wir.
Ueber die Zeugnisse in der Rede gegen Midias hat Westarmann
schon 1844 in der Grarulationsschrift an G. Hermann, betitelt: „de litis
instrumentis quae exstent in Demosthenis oratione in Midiam commentatiotf
gehandelt, und zwar dort auch über die in der Midiana vorkommenden
Gesetze. Hier beschränkt er sich auf die eine Gattung der testimonia
und sucht seine Kritik gegen die unterdessen gemachten Einwendungen
zn rechtfertigen. Es ist, glauben wir, nicht in Zweifel zo ziehen, dass
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Weslermann : Ucbcr die Urkunden in den Attischen Rednern. 671
gleich der Inhalt der ersten Urkunde mit deo Worten des Demosthenes
Dicht gehörig barmonirt (vrgl. §. 21 sq.). Denn dieser erzahlt, Midias habe die
bei dem Goldarbeiter für ihn bestellten Kranze verdorben, Meister Pam-
meoes weiss aber nur von einem Krame zu berichten, wie nur von ei-
ne m tusretov, was wohl in falscher Auffassung de« collektiven ioWj; sei-
nen Grund hat Ferner beguUgt sich der Verf. hier mit einem Zeugniss, da
doch schon ans icpaytvjv dann aber auch aus § 13 — 18 und 25 erbellt, dass der
Redner eine bedeutende Anzahl belastender Aussagen für diese Stelle gesam-
melt halte. In den übrigen Aktenstücken ist Vieles zu linden, was von der
Terminologie der athenischen Gerichtssprache in sehr auffallender Weise ab-
gebt, wie ArjfjL Meidta xpi'oiv XeXofX^ £$o6Xijc, wie xupia toü vofioo vom
Tennin des Erscheinens bei einem Diaeteten, KaxT/foptou omctj für Xöoaj-
yoptac d. Ferner &'xv) Ipr^ xara Meiöwu e^vs-co und £>iaftat diat-
tjjttjV ZTpaxiova von einem öffenllich bestellten Schiedsrichter; xepfiarot
ein verächtlicher Ausdruck von versuchter Bestechung gebraucht, im Mund
der ZnnaAn snhr iihol nurrphrarli t nls wollten sie damit andentan ki'a wu —
ren für mehr Geld tu beben gewesen (§. 107). Zu §. 168 wird Ni-
keratos als Acherdusier statt als Kydautide aufgeführt und Pampailus bleibt
gar ohne Demosnamen. Zu $. 82 ist im Zeugniss viel weniger ge-
tagt, als die vorausgehenden Worte des Demosthenes erwarten lassen.
In den Zeugnissen zur Rede gegen Lakritos wird die Gegen-
wert der Leute bestätigt, welche bei dem Absehluss der 0UT7pa<pfj zu-
gegen waren (§. 14); ohne alle Note, da es nur einer He Cognition der
Ufiterschriflea bedurfte; auch die Existenz des Vertrags brauchte nicht
keiengt w werden, da Lakritos sie nichi bezweifelte, nur den darin fest-
gestellten Verbindlichkeitea au entschlüpfen suchte (vrgl. p. 83). Wa-
rum aber sagt ein Zeuge in §. 14, der Vertrag sei noch in seinen Hän-
den, musste hier vor Gericht nicht das Original vorgelegt werden? Thra-
symedes ferner und Melanopus haben das Darleihen an die Phaseliten ver-
mittelt, gewiss waren sie dann auch als Zeugen bei der Auszahlung zu-
gegen; warum fehlen ihre Namen? (§. 14.) Ein offenbarer Fehlgriff in
§• 34 ist die alleinige Nennung des Apollodoros, da den Betrug viel-
mehr dessen Bruder Artemon versucht hatte, und jetzt nach dessen Tod
Lakritos, nicht Apollodoros der Angeklagte ist, also der, in dessen Vor-
teil es zunächst lag, die Intrigue fortzusetzen, lieber diess weicht auch
dar» die Darstellung der Zeugnisse von der Demosthenischen ab, dass
hier bewiesen wird ($. 32), nicht die Phaseliten, sondern Antipater von
Kition habe Schaden gelitten, welcher ihnen auf das Schiff Geld geliehen
hatte, und als es beschädigt wurde, seien nur 80 Fässer Koischen Wei-
r
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672 Wettermann : Ueber die Urkunden in den Attischen Rednern.
nes darin gewesen, wogegen nun Hippias angibt, die Brüder hätten Wolle
nnd Ziegenfelle geladen gehabt. Der Name des Sprechers, Androkles aas
Spbettos kann recht wohl erdichtet seyn, da in der Rede selbst er nir-
gends vorkommt; das argumentum wäre demnach später verfassl als die
Urkunden eingeschoben wurden.
Starke Mißgriffe begehen auch die Zeugen zur Rede gegen Ma-
kartatos. Der in $. 31 meint, Phylomache babe ihren Prozess nach
dem Ausspruch des Diaeteten gewonnen, während dieser vielmehr vor
einem heliastischen Gerichtshof geführt war.
Viel schlimmer ist der Irrthum, den die {laptopta $. 42 zur Schau
trägt: ihr zufolge sind Philagros „Pbanostrate, die Tochter von Stratiosu
Kollistratos , Euktemon und Charidemos Geschwisterkinder der väterlichen
Linie gewesen. Nun gibt aber bei Isaeus de Hagniae hereditate §. 8
Theopompos an, dass er und sein Bruder Stratokies nebst Stratios II und
Eubulides II bei der Erbschaft ihres Vetters Hagnias II gleiche Ansprüche
hätten, denn sie seyen alle Vettern ix ftatpaäeXcpuJV. Wenn diess, so
musste, da die Vater von Eubulides II, und dem genannten BrUderpaar
(Theopompos, Stratokies) feststehen, d. b. Philagros und Charidemos,
auch der Vater des Stratios II in dem Nachweis der Anspruchsfähigkeit
vorkommen; dieser und nicht seine Mutter musste dem Gescblecbte des
Buselus angehören, wenn er den kinderlos verstorbenen Hagnias II mit-
beerben wollte. Das war aber eben Phanostratos (wie Dem. adv. Ma-
cart. §. 22 Aug. i und r wirklich haben), welchen von dem Fehler
der übrigen Handschriften verleitet der Verf. vorliegenden Zeugnisses zur
Frau machte, also eine lächerliche Unkunde über die Personen der Ver-
wandtschaft zeigte. Dass Stralios II einen Bruder des Charidemos, und
Vetter von Philagros, Kallistratos und Polemon zum Vater gehabt, erhellt
auch aus §.10 der oben citirten Rede des Isaeus, wo Theopompos nach
dem Tod des Bruders Stratokies und Veiters Stratios II erklärt: XstlTO-
• jjuä Iva* fjtovo; tou rcpoc rcaxpo; twv ftvs^toO toxTc: d. h. ich bin das
einzige noch lebende Nachgeschwisterkind väterlicher Seits.
Ungeschickt ist ausserdem, dass die angebliche Pbanostrate die zu
der dritten Linie, der des Stratios I gehören sollte, zwischen Philagros
and Kallistratos, den Söhnen von Eubulides I (zweite Linie) gesebobeo
und so von ihrem Bruder Charidemos getrennt wird. Dasselbe Zeugniss
nennt noch den Euktemon als Halbbruder des Philagros und Kallistratos.
Von einer zweiten Ehe jedoch des Eubulides I sucht man vergeblich bei
Isaeus und Demosthenes nach einer Notiz; auch die zweite Ehe des Phi-
lagros mit Telesippe ist in den Reden nicht berührt
(Schlus* foty.)
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Hr. 43. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
West ermannt Ueber die Urkunden in den Attischen
Rednern.
(Schluss.)
I
Um so mehr erregt es den Verdacht der Fiktion, wenn beide zweite
Bhen in der Familie von Eubalides vorkommen. Die sonstigen Personen,
wie Oenantbe, Archilochos, Archimachos scheinen nicht besser beglaubigt
zu seyn als die Weiblichkeit des Pbanostratos. Was in den Zeugnissen
§. 35—37 behauptet wird, Polemon habe nie einen Bruder gehabt, ist
wenigstens unzweckmässig und vag ausgedrückt, statt zu sagen, Hagnias I,
Vater von Polemon, habe sich nicht zum zweitenmal verheirathet. Der
Redner hatte überdies* (§. 39) nur bezeugen lassen, Phylomache sey
die leibliche Schwester des Polemon gewesen : wozu also der seiner Be-
stimmung doch nicht genügend entsprechende Zusatz?
Unter den Zeugnissen, die beiden Reden gegen Stephanos bei-
gegeben sind, hat besonders das, worin Dinias bestätigt, er sey Schwie-
gervater des Apollodoros und wisse nichts davon, dass dieser den Phor-
min von allen Anschuldigungen, die er vormals wider ihn erhoben, frei-
gesprochen habe, starken Verdacht gegen sich: erstens war es unnöthig
zu bezeugen, dass Apollodoros eine Tochter von Dinias geheirathet hatte,
sodann zwecklos, dass Dinias von einem ihm nicht bekannt gewordenen
Vergleich des Schwiegersohnes mit Phormion sprach, statt zu bestätigen,
was Apollodoros wünschte, Stephanos habe die Existeni von Pasions Te-
stament bezeugt, welches von jenem gar nicht abgefasst worden war.
»
In dem Zengniss der zweiten Rede gegen Stephanos zu §.20 sagen die
Sclavinnen aus, dass Phormion die Gattin Pasions und Mutter des Apollo-
doros verführt habe, vielmehr wollte letzterer nur erwiesen haben, die
Heirath sey während er als Trierarch abwesend war, vollzogen worden,
indem man seine Entfernung zu dem benutzte, wofür er anwesend seine
Einwilligong nicht erlheilt hätte.
Die Belege zur Rede gegen die Neaera lassen es ebenfalls an
Verstössen, die zum Tbeil selbst komisch sind, nicht fehlen. Der Art die
Angabe (§. 34) der Zeugen, welche trotzdem dass sie achliefen, wohl
merkten, was mit jener Dame unterdessen vorging-, oder der Contrakt
zweier Liebhaber der Neaera (§. 46) XP^at exarepov Aeaipa xa; Iba*
XLIV. Jahrg. 5. Doppelheft. 43
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Westermann: Commentatione* criticae.
TH&paz toü pjvoc, wobei der eine noth wendig zu köre kam. In der
Urkunde zu §. 54 ist die Folge der Thstsachen geradezu arogekehrt:
PhrsBtors -tf>a<m gegen Slephanos wird der öixij otxou dieses vorausge-
schickt, da sie doch nur auf diese folgen konnte und dann jenen nöthigte,
seine äucrj fallen zu lassen. Diese Erzäbluogsweise verrath eine gänz-
liche Unkunde der in der Rede nichts weniger als unklar dargestellten
Verhältnisse. In der Regel wussten diese Leute gar nicht, um was es
sich handle: so musste das Zeugniss zu der Erzählung der Genneten ($.61)
hervorheben , dass Phrastor den ihm angetragenen Eid verweigert und
hiermit notgedrungen die Nichtebenbürtigkeit seines von der Pbano ge-
borenen Sohnes zugestanden habe; eben dieser Hauptpunkt ist übergan-
gen. Die Abfassung ist sehr unbeholfen in den Worten: fiapropoaxv
elvat mxi autoi* xm Oprfotopa töv Akfukia xeov tewt^ojv o? xaXoSv-
xat Bpoxitai. — Ein unnützes Attestat enthält §. 74, wenn es galt,
die gevia der Neaera zu beweisen, auch ein totales Missverstandniss der
Wabren Situation in der Angabe, Stepbanos habe seine Stieftochter dem
Euaenetos oft zugeführt ; jener musste sich ja, am den Schein der Leber-
raschung späterhin annehmen zu können, stellen ab Wisse er nichts von
der zwischen Euaenetos and Phano bestehenden Vertraulichkeit. Auch
das Zeugniss des Theognetos war überflüssig, wenn es nichts weiter aus-
sagte, als die Verstossung der Pbano, wo man von ihm die Verhandlun-
gen des Areopag zu vernehmen erwartete. Mehr formeller Fehler ist es,
dasi §. 28 in der Bezeichnung der Personen die Zeugenaussage weniger
vollständig ist ils in $. 26 der Text, dass in $. 82 nur Phrynon als
Bruder des Detnochares genannt ist, nicht der Vater Demon und der De-
mosname (Paeania) fehlt; dass, man sieht nicht warum, §. 47 Zeugniss
und Vergleich getrennt sind. Sehr mangelhaft ist §. 28 abgefasst, §. 25
ans aer vornergeneuaen tsrzamung nur entlehnt, aoer ein uemosname nmer-
drückt. Unter aller Kritik endlich sind die Zeugnisse bei Aeschines adv. Tim.
2. Von dem Inhalt der Commentationes wollen wir vorzüglich die
Bemerkungen Ober Dem. adv. Eubulidem ausbeben, da die Kritik hier zu-
gleich auch auf die in dieser Rede behandalten civilrechtlichen Verhalt-
nisse eingeht. Eubulides hatte seine Demoten behufs der Prüfung ihrer
Civitat (ßwfäymi) nach Athen kommen lassen, wo er sich als derzei-
tiges Mitglied der Bnle aufhielt. Nalimns war nur 35 Stadien von der
Hauptstadt entfernt, daher Eubulides diese Einrichtung, seine Geschäfte ab
Buleutes mit denen des Demarchen in verbinden, treffen konnte. Dass
AI» wo« freilich ha*WMf«ll »«.J«. wi »klink TVamamk wnn U,limn.
or, was ireiiicn Dezv\eiieii woraen ist, wimucn l/emarcu Ton naumos
war, beweisen die von ihm vorgenommenen Verrichtungen, die keinem
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Wesiermann: Commonlatioucs criticae. 075
andern zukamen. In dieser Eigenschaft glaubte er eine Gelegenheit zu
haben, seine Malice gegen Euxitbeus, den Sprecher in dieser Rede, aus-
zulassen; er bearbeitete mehrere Demoten zu dem Zweck, welche bei der
Diapsephisis kein Bedenken trugen, ihn als givoc abzuvotiren. Glückli-
cherweise war das nur die erste Instanz, Euxitheus konnte noch an die
Heiiaea appelliren nnd hier werden seine Argumente wohl jeden Zweifel
aa seiner Ebenbürtigkeit niedergeschlagen haben, da er eine zahlreiche
Verwandtschaft als Zeugen aufzubieten im Stande war.
Darunter gehört sein Vetter gleiches Namens und Sohn des Oheims
tob mütterlicher Seite; er wird von ihm §. 39 als opou^Tpios bezeich-
net. Aber das hiesse ja so viel als frater uterinus. Die Graecität kennt
keine doppelte Bedeutung von aöcÄcpo;, wie das lateinische frater. Ti-
mokrates war der leibliche Bruder der Nikarete, der Mutter unseres
EojQlneos, mithin ist dieser kein 6|xo/xr}rpioc mehr mit seinem Vetter. ~v
W. schlägt daher vor ojAOjnjrptou otov zu lesen, dem Sinn nach voll-
kommen richtig, leichter aber wäre noch xov $k xa£ ojAGfi^rptou.
In der Rekapitulation, §. 67, kömmt Euxitheos auf seinen Stammbaum
zurück. Vier Vettern soll sein Vater Thukritos gehabt haben. Doch aas
§. 20 ergeben sich nur drei : Thukritides und Charisiades die Söhne von
Charisios und Nikiades der Sohn des Lysanias, aus §.41 aber gebt her-
vor, dass Thukritos nicht mehr als zwei Oheime (also eben Charisios
aud Lysanias} hatte. Also wird die Aenderung in §. 67 Tpet; ävetj/toi
für Tgrwpa; unumgänglich nölnig seyn, wie W. p. 16 darthut. Als
Zeagen treten auch die Männer der Cousinen von Thukritui auf, die Sehwe-
stern der genannten Vettern, die bezeichnet werden als oi %fc avs^iac
Xaßdvxec auxü>v. Dieser Genitiv plur. scheint in den Singular verwan-
delt werden zu mUssen, bei Vömel steht wenigstens autoT,
Indem der Sprecher sich weiter zu der mutterlichen Verwandtschaft
wendet, führt er in erster Linie den Demostratos, Sohn des afeXtpö; opo-
itatptoc seiner Mutter, des Amytheon auf, dann die Söhne ihres schon
citirten Neffen Euxitheos, endlich den Enkel ihrer (ungenannten) Tante
mütterlicher Seits, Apollodoros. Andere stehen ferner, die hier übergan-
gen werden können. Wie stimmt nun zu diesen ans §g. 37— 39 gezoge-
nen sichern Angaben die Auftaklung $. 68 npunov jaev ä&tytSou £uo
uuk, elxa toü Wpou adeX<piSoö öuo mot afä avs^iot cnVrijc? Vettern
hatte N'ikurete keine nach dem Tod des Olympichus, des Sohnes jener
anonymen Muhme, von dem «inen ßruderssohn allerdings zwei Grossnef-
fen, von dem andern aber, dem Demoslratus, wird eine Nachkommenschaft
überhaupt nicht angeführt. Daher Dindorf und die aditores Tnricenses
43*
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676 Keller: Semestrium ad M. Tullium Ciceronem libri sex.
den Satz eha L a. duo utol ganz weglassen auf die Autorität des - hin.
Aber dann bleiben immer noch die Vettern, deren Nichtexistens ausge-
macht ist, und fehlt dagegen der Neffe Demostratos und der Sobn des
Vetters Apollodoros. Diesem doppelten Uebelstand hilft W. ab durch die
evidente Verbesserung rcpÄxov ph äteX^ifoo;, elxa toö fripou
9'$0'j c6o uiol, eiT a\Z'l'.rJ.dvj;. Man sieht, wie leicht sich die duo ulot
in die obere Reihe verirrten, und aus äve<J/ia6V>öc ein äve<J*ol aGrrjc wer-
den konnte.
Die übrigen Emendationen dieser Pars altera wollen wir wenigstens
einfach angeben: Plut. Arist. 1. 6 fiiv u>c 25. ä&xuxc teouivijv (nach
Par. 1676, 2955), 26. toüc <pöpou; Ixorrrs Dem. c. 7. uiroaoXou^actt
vertheidigt. Dem. Mid. §. 8 u-rcep xotvou too itp<rfliaTOC. $.9 6 vöfioc vor
w; t6 rcp. gestrichen. $.67 oaapavxa. (Ref. dachte an (•>; u.Tj££ &apat)
$. 98 ^ wo, $. 112 oux arceurot. $. 129 tt o5v; ou. adv. Bub. $. 3
a vojuCü) etvat öwaia, rcepl toutojv owt&v icpörcov ipö*>. $.18 wird
Voemels IIopuo nach K)iav$pty bezweifelt. $. 19 emfei&tt.
Semestrium ad M. Tullium Ciceronem libri sex. Scripsit Frid. Lud.
Keller antecessor Berolinensis. Vol. I. Turici, impensis Orellii,
Fuesslini et tociorum. MDCCCXL1I — MDCCCU. 8. XIV, 699.
»
Für das Verständniss derjenigen unter Ciceros Reden, welche sich
auf das ins civile beziehen, ist wohl kaum ein lehrreicheres Werk jemals
verfasst worden, als diese Semestria, deren dritter Theil jetzt, nach lan-
ger Unterbrechung, vorliegt. Die beiden frühem betrafen die Quinctiaoa
und Caeciniana, dieser enthält die Tulliana. Wenn aber dort anf den einen
Haupttheil de jure caussae Quinctianae — Caecinianae ein zweiter de va-
rietate lectionis in or. pro Quinctio — Caecina folgte, hat der Verfasser
hier vorgezogen, die Rede, welche bekanntlich nur fragmentarisch in dem
Turiner und Mailänder Palimpsest enthalten ist, nach eigener Revision ab-
Die vorausgehenden Abhandlungen waren bisher Gegenstand sorg-
fältiger Prüfung für mehrere Kenner des römischen Rechtes, welche sich
darüber mit rühmender Anerkennung ausgesprochen haben. Wir Philo-
logen verhielten uns als Lernende, nnr Empfangende, meistens stiU und
suchten nur die dargebotenen Aufschlüsse möglichst zu benutzen und aus-
zubeuten. Doch eine in vieler Beziehung achtungswerthe Leistung, welche
durch das Stadium der Semestria im Wesentlichen bedingt ist, macht eint
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Keller: Semestrium ad M. Tullium Ciceronem libri sex.
677
Ausnahme: wir meinen Jordans Ausgabe der Rede pro Caecina, zu wel-
cher kürzlich ein Nachtrag erschienen isl, betitelt: commentatio de codice
Tcgernseensi oralionis Tullianae pro Caecina, scripsit Dr. C. A. Jordan,
gymnasii regii Halberstadiensis professor. Lipsiae, MDCCCXLVIII, prostat
libraria C. F. Koehleri (Ad. Winter.) 8. 23.
Um das oratorische Verdienst der genannten Reden würdigen zu
können, ist ein gründliches Eingehen auf den eigentlichen Stand der causae
durchaus nöthig, dazn bedarf aber der nichtjuristisebe Leser Ciceros einer
so instruktiven, die obsebwebenden Rechtsfragen Schritt vor Schritt be-
handelnden Erläuterung, wie sie Keller gegeben hat. Die bisherigen In-
terpreten verneinen häufig ein blindes Vertrauen in die vom Redner vor-
gebrachten Argumente und setzten sich damit selbst an die Stelle der
Richter, welche er zum Vortbeil seiner dienten gewinnen wollte. Wie
man aber in den gefährlichsten Krankheiten zu den besten Aerzten seine
Zuflucht nimmt, so wurde auch Cicero oft gedrängt, der häkeligsten Pro-
zesse sich anzunehmen, und seine eigene Praxis widerlegt das, was er in
der Cluentiana behauptet : hoc prope iniquissime comparatum est, quod in
morbis corporis, ut quisque est difficillimus, ita medicus nobilissimus atque
optimus quaeritur, in periculis capitis, ut quaeque causa difflcillima est,
ita deterrimus obscurissimusque patronus adbibetur (§. 57). Da galt es
denn, durch künstliche Mittel, bald feingesponnenen Paralogismen (vergl.
pro Quint. §. 84 ff. und dazu Keller p. 185 ff.), bald rührende loci
commuoes, bald witzige Angriffe auf die Gegner und ihre Zeugen (pro
Caec. §. 27) die Schwächen der eigenen Sache zu decken. Wer der-
gleichen Ubersieht, kann von dem artificium oratoris weder selbst einen
Begriff haben, noch ihn Andern geben.
Keller hat' die von Cicero geflissentlich übergangenen oder in ein
falsches Licht gestellten Behauptungen der Gegenpartei ausführlich erör-
tert und was Hortensius, Piso, Quinctius (wahrscheinlich) vorgebracht ha-
ben, reproducirt. Am ausführlichsten ist dies im über III geschehen, wo
wir eine fast vollständige Verteidigung des Fabius finden (630—651).
Hierin ist zusammen gefasst, was die vorausgehenden §§. des ersten Ca-
pitels (de jure caussae Tullianae) ausführlich und gelehrt besprechen. Io
den vier ersten §§. wird über den Ursprung des edictum Luculli, seine
eigentliche formula und die später im Lauf der Zeiten nöthig geworde-
nen Abänderungen gehandelt: Das p. 602 gezogene Resultat ist, dass
die ursprüngliche formula actionis so lautete : recuperatores sunto. quantae
pecuniae paret dolo malo familiae Numerii Negidii vi hominibus armatis
coactisve damnum factum esse Aulo Agerio duntaxat sestertium tot mil-
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Keller; Semestrium ad M. Tullium Ciceronem libfi sex.
tium, tantee peeuniae quadruplum recuperatores Numerium Negidwm Auto
Agerio condemnanto, si oon paret, absolvunto — späterhin des Zusatz
bona vc rapta nach factam esse erhielt, dagegen die ErwSbnnng der fa-
milia (dieser wesentliche Bestandteil des Edikts) wegfiel, dessgleichen
die Worte vi und armatis. Der §. 5 betrifft das argumentum oratorö,
§. 6 gibt die defensio in partes locosque digesta.
Indem wir nun das caput II : de varietate lectiouis in oratione pro
H. Tulüo cum contextu castigato näher in Betracht riehen, werden wir
vielfältige Gelegenheit haben, auf den Inhalt von Cap. I zurückzukommen.
Der Eingang war in §. 2 von Peyron, dann von Beier unglücklich ge-
nug ergänzt; der Gegensets von Gegenwart und Vergangenheit, der hier
darin besteht, das« jetzt nach dem Gestfindniss des Fabius seine (Cicero*)
Aufgabe schwerer geworden, die der Recuperatoreu dagegen leichter,
während früher es umgekehrt gewesen sey. als er glaubte, blos das Fak-
tum erweisen zu müssen, erheischt durchaus eine bestimmte Bezeichnung
der Personen, etwa so: ego enim omnia [in testibus cum ponerem, fa-
cile contra infitiantem diclurus eram, vos in ipsa infiliatione adveraarii ati-
quid scrupuli in venturi eratis : nuno contra vobis] quid est facilius, quam de
eo, qui confitetur iudicare etc. Den Gedanken dieses Supplements entneh-
men wir der Note zu p. 66.
Die der narratio vorausgehende Erörterung §. 8 — 12 zielt darauf
hin, die Thal der Fabianer als ganz unberechtigt und keiner Vertheidi-
gung fähig hinzustellen; die blosse Kenntniss des Faktums soll fir die
Richter schon hinreichen, die familia Fabii zu verurtheileu ; hatte ja auch
der Stifter des iudicium , M. Lucullus absiehlKch sich nicht an die lex
Aquilia gehalten, indem er den Zusatz injuria weghess, weil die Ausübung
des Faustrechts, wie sie seit der Bürgerkriege eingerissen war, durch
keine Ausrede geschützt werden solRe. Hier berücksichtigt Cicero nicht,
dass die in Anwendung gebrachte vis durch eine ähnliche Ueberschreitnng
des Klägers hervorgerufen seyn konnte, und dann nur das Recht der
Nothwehr ausgeübt wurde: gewiss schloss er nicht ans UeberzeuguiKr,
sondern im Interesse seines Clienten jede exceptio aus. Eine ähnliche
exceptio galt aber bei der derecrio vi armatis bominibus, welche Cicero
selbst ad Div. VII, 14, 2 anfuhrt: quod tu prior vi hominibus armatis
non veneris.*) Die Worte dolo malo hatten ohne Zweifel die Bestim-
mung, einer Ausrede Raum zu lassen, die etwa vorgebracht werden konnte.
'■•) Von der Richtigkeit der handschriftlichen Lesart et tu soles ad x'm
faciundam adhiberi, welche Keller behauptet, indem er die ganze Stelle so para-
phrasirt (p. 336): parum tibi prodest apud Caesarem iuris tua prudenlia, nam
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Keller: Semestrium ad M. Talliara Ciceronem libri aex. $79
Das eigentliche Objekt des Prozesses von Tullios mit Fabius war
eia Feld von 100 Morgen, die centuria Populiana, auf deren Besitz beide
Anspruch machten; Cicero behauptet, sie habe vom Vater her dem Tul-
lios gehört Als Fabius sein viel zu theuer erkauftes Landgut wieder
los werden and dem Acerronius, welcher an dem Kauf bereits Theil ge-
nommen, den ganzen Besitz übertragen wollte, hatte er diesem eine ge-
naue Angabe des ümfangs zu machen (fines demonstrarej , dabei muss-
ten die Gräozstreitigkeiten zur Entscheidung kommen. Tullius selbst scheint
über seine Ansprüche auf jene centuria, ehe Fabius sein Grundstück zum
Yerkauf ausschrieb, im Unklaren gewesen zu seyn; jetzt, wo die Sache
auf dem Spiel stand, besetzte er sie mit seinen Sclaven um den Schein
des Besitzes hervorzubringen uud den Fabius zu hindern, dass er sie dem
Kaufer als vaeuum bezeichnete. Dies bestimmte den Fabius ihn in Ge-
sellschaft des Acerronius zn besuchen und zu einer deduetio aufzufordern.
Tullius ging darauf ein, aber Fabius, so erzählt Cicero, habe nun, statt
die Entscheidung des Gerichts ruhig abzuwarten, die auf der centuria er-
richtete casa durch seine Sclaven angreifen lassen, wobei mehrere des
Tullius, die sich widersetzten, umgekommen seyen. Aus dieser Erzählung
ergibt sich so viel, dass Acerronius die Lust zum Ankauf nicht verloren
hatte, also auch die Ergänzung, welche Beier vorschlug, nicht richtig seyn
kann in §. 18: Acerronius, quomodo potuit, se de tota re [excusavit,
quam primum potuit, Fabio autem statim renuntiavit, maluit enim rei quam
eiistimationis facere iacturam alque ex socielole] cum nomine eiusmodi
seminstulatus ellugit, obwohl ihr noch Huschke (Anal. p. 126J in der
Hauptsache beipflichtete. Hatte nämlich Acerronius den Handel aufgege-
ben, wozu diente es, mit Fabius noch länger und zwar grade in der-
selben Angelegenheit zu verkehren? Was in der Lücke stand, und die
Beziehung des semiustulalus eflugit geht also nicht auf Acerronius, son-
dern hier wird die Erzählung von dem Brand der Hütte auf dem Gut
des Fabius, aus welchem sich Jemand mit Noth und nicht ohne Verletzung
rettete, und dem Verschwinden eines Sclaven des Tullius ihre Stelle ge-
habt haben, da späterbin in §. 54 Cicero bemerkt, er habe die Unrich-
tigkeit solcher Anklagen erwiesen: ostendi falsa esse. Vorher kann dies
ferro non iure illic res geritur, nc tu quidem a bellando habes vacationem, ne-
que in ista vi facienda tibi periculosa erit illa interdicti, quod est de vi armata,
exceptio. Quod tu p. t. h. a. n. v. quippe tardior es ad pugnandutn, ncque upi-
nor, armis quemquam petis, nisi propter summ am defendendi tui necessitaleni
kann Ref. sich nicht überzeugen, und glaubt, dass die Emendation von Schütz,
at tu non soles allein dem Gedanken Ciceros entspreche.
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680 Keller: Semestrium ad M. Tallium Ciceronem libri lex.
in der narratio nicht berührt worden seyn, nach §. 22 war auch kein
Platz dafür, also geschah das hier, wie zuerst Keller scharfsinnig nach-
weist. In zehn Zeilen Hess sich das nicht abthun; mithin ist hier, was
man vordem nicht ahnte, wenigstens ein ganzes Blatt verloren gegangen.
Nach der narralio folgte, wie gewöhnlich die partitio, deren In-
halt und Form uns nicht durch die Blätter in Turin und Mailand, son-
dern durch die drei Rhetoren Yictorinus, Julius Victor und Martianus Ca-
pella erhalten sind und zwar so, dass nicht aus einem allein die mut-
massliche Gestaltung, wie sie bereits Husehke angegeben hat, zu entneh-
men ist, sondern jeder dazu seinen Antheil liefert, besonders aber der
letztgenannte. Ihre Excerpte zusammengefasst liefern folgenden Text, der
vom Beier-Orellischen sich wesentlich unterscheidet: damnum passum esse
M. Tulliam couvenit mihi cum ad versa rio: vici uuam rem. vi hominibus
armatis rem esse gestern non infitiantur: vici aiteram. a familia P. Fabi
commissam negare non audent: vici lertiam. an dolo malo factum sit, am-
bigitur: de hoc iudicium est. Beier, dem Orelli gefolgt ist, irrte auch
gar sehr darin, dass er diese divisio mitten in die refutatio schob (_§. 36),
da sie in die Lücke nach §. 22 gehört.
Cicero deutet das dolo malo darauf, dass eine familia nicht not-
wendig selbst bei gewaltsamem Angriff auf fremdes Eigenthum thlltig seyn
müsse, sondern auch andere Leute dazu veranlassen könne und auch in
diesem Fall zu bestrafen sey. Es ist sehr die Frsge, ob Lucullos dies
bezweckte. Indess gründet Cicero darauf seine weitere Behauptung, der
Zusatz dolo malo komme nur dem actor zu gut, welcher unter den an-
gegebenen Umstünden sonst kein Mittel habe, das ihm widerfahrene Un-
recht zu verfolgen: nemo enim potest haec iudicare, qua in re familia
non interfuisset , in ea re ipsam familiam vi armatis hominibus damnum
dedissc. (Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass hier posset corrigirt
werden muss.) Als bekräftigendes Beispiel wird das Interdikt zugezogen,
in welchem die gewaltsame deiectio, wenn sie mit Vorwissen des Herrn
geschieht, bezeichnet wird durch die Wendung unde de dolo malo tno
M. Tulli M. Claudius aut familia aut procurator eius vi detrusus est. In
der daran sich knüpfenden Interpretation ist der Text nicht ganz klar,
auch die Interpunktion zu berichtigen. Wir glauben, Ciceros Worte ge-
währen erst den bezweckten Sinn, wenn man schreibt: si, cum ita in-
terdictum sil et sponsio facta, ego me ad iudicem sie defendam, u i vi
me deiecisse confitear, dolo malo negem, ecquis me audiat? non opinor
qnidem, quia si vi deieci M. Claudium, dolo malo deieci, in vi enim do-
lus malus inest, a t Claudio utrumvis satis est planum facere, vel se a me
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Keller: Semestriura ad M. Tullium Ciceronem libri sex. 681
ipso vi deiectnm esse, vel me consilium inisse, ut vi deiceretur. Hier bat
ol vi schon Pcyroo vorgeschlagen, was Keller als unnöthig ablehnt; wie
derselbe aber sicut ita interdictum est durch Caec. §. 80 is qnomodo so
restitoisse dixit sichern zu können glaubt, ist uns nicht deutlich gewor-
den. Die getroffene Aendernng belegen wir mit Cic. de or. II, 305:
quid? si, cum pro altero dicas, litem tuam facias aut laesus efferare ira-
cundia, causam relinquas, nilne noceas?
Quinctius hatte die Auslegung des Cicero bestritten und behauptet,
dass nicht eine familia in corpore beschuldigt werden könne, andere Leute
zur ris instigirt zu haben. Cicero entgegnet §. 35, dass durch diesen
Satz das edictum selbst annullirt werde: nam si veuit id in iudicium de
familia, quod omnino familia nulla potest committere: nullum est iudicium,
absolvantur otnnes de simili causa necesse est. Mit Recht äussert Keller
Zweifel an der Zulässigkeit des Aasdrucks de simili causa, wenn er mit
absolvantur in Verbindung gebracht werden soll ; denn die von Huschke u. A.
angeführten Beispiele desselben passen nicht auf vorliegende Stelle. —
Wenn es aber so viel heissen soll, wie ob similem causam, so ist das
similis schlecht gewählt, Cicero musste sagen ob eam oder eandem cau-
sam. Ref. ist der Ansicht, dass vor necesse est ausgefallen sey reae
(sc. familiae). Darauf fahrt Cicero fort: hoc solum, bona mehercule si
hoc solum esset, tarnen vos, tales vir!, nolle deberetis maximam rem,
coniunetam cum summa republica fortunisque privatorum severissimum in-
dicium maximaque ratione per vos videri esse dissolutum. Huschke reihte
fide ein nach mehercule, was Keller befolgt. Wir möchten Beiers res
vorziehet! und interpungiren: hoc solum? bona mehercule res, si hoc so-
lum esset! tarnen etc. Den Gedankeu des Redners, der hier ebenfalls
unvollständig erhalten ist, hat Priscian soweit gerettet, dass der Zusam-
menhang wenigstens nachgewiesen werden kann: Cicero erklärte, wie in
der Caeciniana §. 76 von der Entscheidung der Recuperatoren in diesem
Frozen hänge die fernere Sicherheit aller rechtlichen Verhältnisse ab:
hoc iudicium sie exspectatnr, ut non unae rei statui, sed omnibus consti-
tui putetar. Dem Gebrauch des bei Cicero sehr seltenen Genitivs unae ver-
danken wir die Erhaltung dieser Worte.
Ferner behauptet Cicero (§. 38 sqq.) der Zusatz ioiuria bei damnum
in der lex Aquilia fehle darum in dem edictum Luculli, nm das gewalt-
same Verfahren an und für sich bestrafen zu können und jeder Ausrede
zu begegnen. Dort sey der Zusatz gegründet, denn man könne auch
iure das damnum dare, nach dem Edikt aber werde die Anwendung der
Gewalt eben darum als absolut strafbar betrachtet, weil man sich des
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682 Keller: Semestriura ad M. Tullium Ciceroncm libri sex.
Rechts nicht habe bedienen wollen. In ähnlicher Weise fielen bei der
vis armata die Worte cum ille possideret, quod oec vi nec clara nec precano
possideret weg, vrgl. pro Caec. $. 93. Hierauf konnte Quinctius erwie-
dern, dass der Praetor und die Tribuneu nicht ihm zu Lieb das iniuria
in die formula actionis einschoben, erschwere wohl seine Verteidigung,
beweise aber noch nichts gegen ihn; jene wollten nur nichts Ueberllüs-
siges thun, denn auch so war dem Quinctius keineswegs, wie Cicero
meinte, jedes Mittel, den Fabius zu rechtfertigen, entzogen. In der Be-
rufung auf das interdictum ist eine kleine Correctur nachzutragen, §. 45 :
multa danlur ei, qoi vi alternm detrusisse dicitur, quorum se nnum quod-
libet probari iudici potuerit, etiamsi coofessus erit, se vi deiecisse, vincat
necesse est — nämlich die syntaktische Verbindung verlangt hier das Aetiv
probflfo* L in ^ c k c Ii r t h&t L^cicr 43 j^crsundcri qqs j^crsiiQdcrß ^coidcLi^
wozu Keller bemerkt: illud solnm addo, per codicis vestigia periade Ii-
cere I legere atque E.
Gegen das Argument, dass die Notwehr, wenn sie auch Todtschlag
zur Folge habe, gesetzlich nicht unerlaubt sey, wie die XII tabulao und
die lex sacrata, quae iubeat inpune occidi eum, qui tribunum pl pulsa-
verit bewiesen, wird von Cicero entgegnet, dass diese Gesetze auf den
vorliegenden Fall keine Anwendung erlitten (_§. 48), dann, dass man eher
umgekehrt daraus eine strenge Ansicht der Vorfahren zu erkennen ver-
möge: at primum istae ipsae leges, quas recitas, ut mit t am cetera, signi-
ficant, quam noluerint maiores nostri, nisi cum pernecesse esset, hominem
occidi, primum ista lex sacrata est, quam rogarunt armati, ut inermes sine
periculo possent esse. Die Wiederholung von primum und desselben Pro-
nomens kann unmöglich richtig seyn; Huschke's prior enim isla gewährt
nur halbe Abhülfe. Nicht mit voller Zuversicht schlägt Ref. tribunicia lex
sacrata est vor; was den Sinn haben würde: die lex, welche die Tri-
bunen betrifft, ist eine sacrata und dieser ihrer besondere Eigentümlich-
keit wegen gar nicht beizuziehen.
Die Tulliana hat mit der Caeciniana dem Stoff wie der Behandlung
nach grosse Aebnlichkeit , sie sind wahre gemellae; hier wie dort wird
aus dem Gebrauch der Gewalt an sich schon die Verurteilung der An-
geklagten als noth wendige Folge abgeleitet; das Prooemium drückt in
beiden Reden die Verlegenheit des Sachwalters aus, eine eingestandene
That noch weiter besprechen zu können; in beiden werden den Recupe-
ratoren die schlimmen Consequenzen vorgehalten, die ein für den Wider-
sacher günstiges Urtheil auf das Fortbesteben aller gesetzlichen Ordnung
haben werde; in beiden endlich wird die sehr bedenkliche Grundlage der
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I
Keller: Scmestriuni ad M. Tullium Cicero nein libri sex. 683
Verteidigung, nämlich Caecina's Ansprüche aof den fundus Fulcinianus
nd Tullius Besitz der centoria Populiana als ausgemachte Sache hinge-
stellt, als Dicht zu bezweifelnde Praemissc.
Zu einer nähern Betrachtung der Caeciniana veranlasste uns sowohl
die Zusammenstellung derselben mit der Tulliana in Keller' s Werk als
die schon genannte Schrift Jordan'*, welche die Kenntniss der kriti-
schen Hilfsmittel durch die Mittbeilung der Varianten des cod. Tegernsee-
easis erweitert. Bekanntlich ist dieser, nachdem ihn Harles fttr Garatoni im
Jahr 1789 verglichen hatte, verschwunden, die Collation von Harles hat
aber Theodor Mommsen in Ravenna entdeckt, abgeschrieben und Herrn
Dir. Halm nebst einer Vergleichung der letzten §§. 100—104 mit dem
cod. Vat. 1525 überlassen. Diese schätzbaren Beiträge theilto Letzterer
dem Verf. der commentatio mit, welcher darin die besten codd., welche
von der Rede exisliren, Erf. Teg. Vat. 1525, Pal. 2. mit den Fragmen-
ten des Turinischen Palimpsestes zusammenhält und unter sich vergleicht,
dann alle Lesarten verzeichnet und gelegentlich die schwierigsten Stellen
ausführlicher bespricht. Auch einige beachtenswerthe Conjekturen von
Garatoni kommen vor. Wir dürfen daher die Commentatio als eine in-
teressante Beilage zur Ausgabe des Verfassers betrachten, dessen Sorg-
falt in der Sammlung den kritischen und exegetischen Apparats eben so sehr
anzuerkennen als sein zu ängstliches Festhalten an der handschriftlichen
Ueberlieferung manchem Widerspruch hervorzurufen geeignet ist. Die Kritik
der Ciceronischen Reden würde keine grossen Fortschritte machen, wollte
man 6treng an dem bestehenden Text festhalten und lieber aus den zahlrei-
chen Corrupteleo, mit welchen die meist jungen Handschriften behaftet sind,
gezwungene Interpretationen und zweifelhafte Observationen abstrahiren
als den Ideengang Ciceros verfolgen und dann nach Analogie besser er-
haltener Stellen die ursprungliche Form der verdorbenen zu ergründen
suchen. Die Vaticanischen, Ambrosianischen und Turiner Palimpseste an Güte
und Alter allen andern Handschriften Ciceronischer Reden so weit Ober-
legen, verlangen doch alle Augenblicke Nachhilfe durch Einreihung fehlen-
der Wörter oder andere Correctureo, warum will man Bedenken tragen,
ein gleiches Verfahren bei der Vulgata der übrigen Reden anzuwenden,
welche freilich in sehr vielen codd. überliefert und durch zahlreiche Ab-
drücke gleichsam fixirt ist?
Einen solchen Fall glauben wir gleich aus dem Eingang der Cae-
ciniana anführen zu können. Hier wird der Unterschied von Gewalt und
Recht in verschiedenen Wendungen eingeschärft. Aebutius, behauptet
Cicero (§. 2), war unverschämt in Anwendung der vis-, er ist es jetzt
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684 Keller: Scmestrium ad M. Tallium Ciceronera libri sex,
noch und wagt vor Gericht zu erscheinen, weil er meint, selbst durch
das Geständniss seiner Unverschämtheit durchdringen au können: nisi forte
hoc rationis habuir, quoniam si facta vis esset moribus, superior in pos-
sessione relinenda non fuisset, quia contra ius moremque facta sit, A. Cae-
cinam cum amicis mein perterritum profugisse, nunc quoque in iudicio si
causa more institutoque omnium defendatur, nos inferiores in agendo non
fuluros; sin a consuetudine recedatur, se, quo impudentius egerit, hoc
superiorem discessarum. Offenbar ist hier eine Vergieichung angestellt:
wie Aebutius, wenn bei der deductio das gehörige Verfahren beobachtet
worden wäre, die Oberhand nicht behalten hätte, so wUrde er auch jetzt,
wenn man die Sache nach altem Brauch und Herkommen Yertheidigte,
unterliegen müssen-, der mit quia beginnende Sata ist dann Parenthese,
der mit sin enthält die aus der Vereleichumz für Aebulius sich ergebende
Maassregtl. Dieser ParaUelismns ist in allen gedruckten Texten doppelt
verdunkelt, in einigen codd. aber nur an der einen Stelle. Nämlich quo-
niam kann unserer Annahme zufolge kein Correlat an nunc quoque bil-
den, dieses aber muss durch eine correlative Partikel eingeleitet werden.
Statt quoniam, was in keiner Handschrift ausdrücklich gesetzt zu seyn
scheint, haben diese auom. auo oder cum. wofür sich Keller entschieden
hat, doch würde das sehr xweideutig seyn: die richtige Leaart ist quo-
modo in pk und ^ (einem Pariser und Oxforder cod.J, ihm wird ein vor
nunc ausgefallenes sie oder ita entsprochen haben, der Zwischensatz aber
In der Erzählung §. 10—23 ist ein Hauptpunkt, die Schenkung
des fondus Fulcinianus, welche aller Wahrscheinlichkeit nach Cucsennia
ihrem Cicisbeo Aebutius machte, jedoch mit dem Vorbehalt den ususfruc-
tus des ihm Uberlassenen Grundstückes für sich zu behalten, von Cicero
sehr schlau in Schatten gestellt: erst sollen die Freunde ihr zum Ankauf
dieses Gutes geratben haben (§. 15), dann wird dem Aebutius vorge-
worfen, er habe das Hausbuch der Caesennia, worin der Kauf eingetra-
gen seyn musste, unterschlagen, was Cicero denselben gar in der Form
eines naiven Geständnisses vorbringen Usst (coius rei putat iste rationem
reddi non posse, quod ipse tabulas avertcrit), dann soll Aebutius damit
angefangen haben, dem Caecina sein Erbrecht überhaupt zu bestreiten,
und erst als dieser kühne Angriff misslang, auf den Gedanken verfallen
seyn, seine Ansprüche auf den einzelen fundus zu beschränken. Da
aber nicht denkbar ist, dass ihm, so lange seine Freundin mit Caecina
verheirathet war, oder gar nach ihrem Tod eine Gelegenheit sich darbot,
die tabulae zu beseitigen, wird man eher annehmen dürfen, Caesennia
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Keller: Semestriura ad M. Tullium Ciccronem libri sex. 685
habe ihm wirklich durch Uebergehen des Postens in ihrem Hausbuch und
indem sie ihm vom Banquier quiltiren Hess, statt ihr selbst den Empfang
der Kaufsumme zu bescheinigen, ebenso durch die Quittung des auctor
fundi, Caesennius, den Besitz verliehen. Indem sie von nun an bloss usu-
fructuaria war, konnte Caecina den fundus nicht von ihr erben, hatte
also auch keine rechtlichen Ansprüche darauf, und wurde von Aebutius
nach vorausgegangener Warnung auf eine nicht ungesetzliche Weise vom
Eintritt in das Grundstück abgehalten. Aebutius hatte vorher bei der
Erklärung (denuntiat), das Gut sey sein Eigenthum, keineswegs die Ab«
sieht gehabt, als petitor aufzutreten, sondern nur die, seine Habe gegen
Caecina zu sichern, er lehnte in Bezug auf diesen Besitz das arbitrium
familiae erciscundae ab. Nun hätte Caecina eine actio in rem gegen ihn
anhingig machen müssen, wodurch der Prozess über die Erbschaft im
Ganzen verschoben worden wlre; statt dessen zog er vor, von Aebutius
zn verlangen, dass er ihn deducire; Hess sich dieser darauf ein, so konnte
Caecina als actor die gerichtliche Vorladung beliebig verschieben , denn :
actor deducitur, quicum agitur deducit — es war dann nicht mehr des
Aebutius Sache das Gericht einzuleiten, daher besann dieser sich eines
bessern und meldete Caecina, dass er die verabredete deduetio nicht vor-
nehmen werde. Aber Caecina wollte jetzt mittelst eines interdictum den
Besitz erzwingen.
Diess ist der wesentliche Inhalt der narratio, deren richtige and
lebendige Auffassung auch in der neuesten Ausgabe, der von Jordan, theils
durch unrichtige Interpunotion , theils durch stehengebliebene Corruptelen
erschwert wird. Jenes z. B. in §. 15, wo nach u t fun dum sibi emat
ein Gedankenstrich andeuten müsste, dass der Satz durch die Frage cui
tan dem? unterbrochen werde, ferner nach attenditis kein Absatz folgen
durfte, dann in einem durch keine stärkere awrjii) zerrissenen Zusammen-
hang die asyndeta so fortlaufen mussten: Aebutio negotium datur adest
ad tabulam licetur Aebutius deterrentur emptores multi partim gratia Cae-
senniae partim etiam pretio, fuudus addicitur Aebutio pecuniam argentario
promittit Aebutius: quo testimonio nunc vir optimus nlitur sibi emptum
esse, quasi vero aut nos ei negemus addictum aut tum quisquam fuerit
qui dubitaret, quin emeretur Caesenniae, cum id plerique scirent, omnes
fere audissent, hi coniectura assequi possent, cum pecunia Caesennia ex
illa hereditate deberetur, eam porro in praediis collocari maxime expe-
diret, essent autem praedia quae mulieri maxime convenirent etc. Nicht
bloss am die richtigere Anagnose anzugeben, hat Ref. den ganzen passus
abgeschrieben, sondern auch um ein Bedenken zu erheben. Das doppelte
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686 Keller: Semestrium ad M. Tullium Ciccronem libri sex.
cum Dämlich ist anstössig, da man versucht ist, es heidemale mit dobi-
taret so verbinden, was für das erste ([cum id) nicht angeht, denn das*
die Hoisten davon wussten, ist kein Grund dafür, dass Niemand daran
zweifelte. Man schreibe quod statt cum id, so wird dieser Anstoss weg-
fallen. Ausserdem sind ohne Zweifel Uommseu und Spengel gegen Jor-
dan im Recht, wenn jener nach omnes fere supplirt si qui forte non
audisset, dieser et si quis non audisset, und darauf hi (in den codd. bis}
durch is ersetzt. Letzteres wird beizubehalten seyn, höchstens mit der
kleinen Modification, dass et wegbleibt. Hier ist Jordan (p. 10) io der
Vorstellung, dass Cicero die membratim fortschreitende Rede nicht durch
eine solche Parenthese schwächen und hemmen dürfe, befangen, er bringt
einer eingebildeten rhetorischen Regel die logische Richtigkeit des Ge-
dankens zum Opfer, denn die Notwendigkeit, jene Muthraassung zu fas-
sen, war eben durch das Nichtgehörlhaben hier allein bedingt und dies?
musste ausdrücklich bezeichnet werden.
Weiterbin bat Keller io §. 19 die Correctur von Schütz cum iste
sextutam suam nimium exaggeraret (vulgo: cum ipse etc.) durch Argu-
mente, die aus dem Prosessgang selbst geschöpft sind, über jeden Zwei-
fel erhoben. Das cpostulavit' bezieht sich gewiss nur auf Caecina, sein
Gegner würde, wenn er ihn zur Erbschaftstheiluug aufgefordert hätte,
seine Ansprüche anerkannt haben; wohl aber musste Caecina, um keine
Ungewiesheit Uber sein gutes Recht zu zeigen, das arbitrium verlangen.
Wenn nun nach postulavit die vulgata so fortfährt: atque illis paucis die-
bus, posteaquam videt nihil se ab A. Caecina posse litium terrore abra-
dere, homini Romae in foro deountiat, fundum illum — suam esse, aeqne
sibi emisse ist freilich nicht mit Schutz und Orelli iste paucis (istis ist
Druckfehler bei Letzterem) zu schreiben, aber auch die Fortsetzung mit
atque, wo mit dem nächsten Verbum (videt) nicht dieselbe Person be-
zeichnet ist, kann nicht richtig seyn, Cicero musste den Erfolg der po-
stulatio ausdrücken und das that er wohl durch itaque (für atque), wo-
bei illis paucis diebus unangetastet bleibt (vergl. hieiu Schmidt in Rich-
ters krit. Jahrb. XVI, 707 IT.). Eine besondere Angabe des durch den
Inhalt genügend angedeuteten Subjekts ist dann unnothig.
Cicero glaubt durch das Ge&ländniss des Gegners, der kein Hehl
daraus machte, dass gegen Caecina Gewalt angewandt worden aey und
dafür sogar Zeugen beibrachte, viel zu gewinnen, oder er nimmt wenig-
stens den Schein an, als sey er dieser Meinung und beurtheilt in diesem
Sinn die Aussagen der Zeugen. Unter ihnen befand sich auch der aus
der Rede pro Cluentio bekannte Senator Fidiculanius Falcula, welcher hier
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Keller: Semeslrium ad M. Tulliam Ciceronem libri sex.
687
eben so schlimm wegkömmt, als er dort glimpflich behandelt wird.41) Dieser
soll anfangs in Abrede gestellt haben, dass Aebntins mit Hilfe bewaffne-
ter dem Caecina den Eintritt verwehrte, was Cicero zu der Aeusserang
Teranlasst : visu* est mihi prrmo veterator intelligere praeclare, quid causa
(der Erf. n. a. haben causae) optaret et taotummodo errare, quod omnes
testes infirmaret, qui ante eum dixissent. Befremdlich ist hier der Aus-
druck quid causa optaret, welcher dnreh die Lesart causae, welche Jor-
dan befolgt, nicht besser sondern noch verkehrter wird, sey es nun, dass
man übersetze „was er für die Sachlage zu wünschen habe", oder auch
„was er für eine Sachlage zu wünschen habe." Der Zeuge musste wis-
sen, nicht was er tu wünschen, sondern was er auszusagen habe, um
die Sache seiner Partei nicht zu compromittiren , also quid causa postu-
laret, vergl. pro Quint §.14 und besonders pro Tnllio §. 5: tametsi
postulat causa, tarnen nisi plane cogit, ingratiis ad maledicendum non so-
leo deseeodere, ausserdem pro Sulla $.31.
Da es sehr zweifelhaft schien, ob Caecina mittelst eines interdictum
zu dem fraglichen Besitz gelangen werde, gaben ihm Einige den Rath,
ein anderes Verfahren einzuschlagen (§. 8 muta actionem aal noli mihi
instare ut iudicem), die Gegner aber meinten, sehr ironisch, er möge
iniuriarum den Aeburius belangen. Darauf entgegnete Cicero: quid (id)
ad causam possessionis? quid ad restttuendum eum, quem oportet restitui?
quid denique ad ins civile? aut (so die codd.) ad actoris notionem et
animadversionem ages iniuriarum? plos tibi ego largiar. non solum ege-
•) In der Claentiana $. 103 f. wird er als unbescholtener Richter darge-
stellt, welcher von zwei Anklagen losgesprochen worden sey, der einen, dass
er nicht lange genug an dem Gericht T heil genommen hätte, um mit gutem Ge-
wissen gegen Oppianicus zu stimmen, und der, dass er sich babe bestechen las-
sen. Von der ersten Lossprechung bemerkt Cicero: non numero haue absolti-
tionem: nihilominus enim potest, ut illam non commiserit, tarnen ob rem iudi-
candam ** captam nusqoam Staicnus cadem lege dizit: proprium crimen illud
quaeslionis eius non fuit. Nach iudicandam ist sichreres ausgefallen und dadurch
zugleich das Nächstfolgende unverstiadlich geworden. Was aber hier der Red-
ner gesagt habe, dürfte sich wobl aus der Nennung des Staienus und aus dem
Satz proprium crimen ergeben, und der Sinn der verlornen Worte etwa dieser
gewesen seyn : pecuniam aeeepisse, ut Staienus, qui maiestatis est damnatus cum
iudex pecuniam aeeepisset, darauf konnte folgen: causam tarnen nusquam ea
quidem lege dixit, proprium enim etc. Die Summe, welche von Cluentius dieser
FaJcula erhalten haben solle, ist von Keller in der Note zu §. 28 entdeckt wor-
den, es waren 1300, vergl. p. 458.
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688 Keller: Semealrium ad M. Tu) Ii um Ciccronem UM sex.
ris verum eliam condemnaris licet, numqaid magis possidebis? Ueber
diese Worte, welche Keller für einen locus vexatissimus et aliqua ex
parte omnino desperatus erklärt, hat sieb eine wahre Floth voo Ver-
muthungen ergosseo, welche alle einzeln aozufübren und zu behandele
hier nicht möglich ist. Gegen die Correcturen von Hotomannus, Guiliel-
mus, Graevius, Orelli, Klotz, Savigny ist einzuwenden, dass sie das offen-
bar corrupte actoris beibehalten ; gegen die von Lambiaus, Garatoni (von
Jordan mitgetheilt p. 12) und Beck, dass sie es ausstossen statt zu emen-
diren-, das auctoris von Heyse aber, praetoris von Faber, potius von Bein
verfehlt den Sinn der Stelle. Eher trifft Mommsens facinoris zu, nur
durfte es nicht in diese Verbindung: quid denique ad ius civile, ut ad
facinoris notionem atque animadversionem agas iniuriarum gebracht wer-
den. Auch der von Garatoni nur handschriftlich gemachte Vorschlag quid
denique? ad ius civile an ad notionem atque animadversionem ages iniu-
riarum enthält etwas Gelungenes, aber in unrichtiger Anwendung: das an
statt aut oder wie man vulgo liest, at. Jordan urlheilt darüber (comment
de cod. Tegernseensi p. 12) „ingoniosa est haec Garatonii co nie dura
et perquam commendabilis; quamquam mirum est, quomodo v. actoris in
textum irrepserit.u Aus diesem Grund sowohl, als weil die Interpunctioo
dem Gedanken Cicero* total widerstrebt, ist die Correctur Garatonfs nichts
civile zusammenhängen, wie die vorhergehenden Fragesätze lehren, dann
beginnt mit an eine neue Frage. Und actoris? Dies ist durch Buch-
staben Versetzung verderbt aus alrocis, darnach aber rei ausgefallen, was
um so leichter geschehen konnte, als rei neben actoris keinen Sinn gab.
Wir lesen also jetzt : quid id ad causam possessionis ? quid ad restilnen-
dum eum, quem oportet restitui? quid denique ad ius civile? an ad alro-
cis rei notionem et animadversionem ages iniuriarum? Gleich darauf §. 36
folgt: qui dies totos aut vim fieri vetat aut restitui factam iubet — io
atrocissima re quid faciat non habebit?
(Schluss folgt.)
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Nr. 44. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
f
t
Kellert Semegtrlum ad 1HL Tiilllum Cieeroneni
llbrft «ex«
(SchlOM.)
Um die Miislichkeit der voo ihm vertheidigten Sache iu verhüllen,
macht Cicero in dieser Rede fleissigen Gebrauch von den loci commune»,
welche die Aufmerksamkeit der Richter von der eigentlichen Frage (iudi-
cata) abzulenken bestimmt sind. So wird §. 65 die gewiss nur bedingt
ausgesprochene Behauptung Pisos iurisconsultorum auetoritati obtemperari
non oportere (wahrscheinlich in Bezug auf den weder nachteiligen noch
erspriesslichen Rath des Aquilius, Caecina möge immerhin die deduetio
verlangen} Gegenstand einer langen Diatribe; Cicero kann sein Befrem-
den nicht unterdrücken, wie Piso, der angeblich nur verbo literaque sei-
nen Clienlen verthaidigt, so etwas aufstellen möge; das sey vielmehr die
Sprache derer, welche im Vertrauen auf die Billigkeit ihrer Sache gegen
den Buchstaben des Gesetzes stritten : quod — admodum mirabar, abs te
qnamobrem diceretur: nam ceteri tum ad istam hortationem decurrnnt, quum
se in causa pntaat habere aequum et bonum. si contra verbis et Uteri«
et (ut dici solet) summo iure contenditur, solent eiusmodi iniquitati boni
et aequi nomen dignitatemque opponere, tum illud, quod dicitur 4sive
nive' inident etc. So wie sich der Redner über seinen Gegner verwun-
dert, könnte man hier darüber sich wundern, dass Jordan, nachdem selbst
der cod. Tegernseensis die richtige Lesart, CUr welche sich Lambinus und
Garatoni erklärten, oratio (für hortatio) darbietet, dennoch zurückweist,
ohne einen andern Grund dafür zn haben, als den: plus tribuendum
auetoritati codicis Erf. qui emendate, quam Tegernseensis, qui negli-
genter scriptus est\ Hortatio als Abmahnung an die Recuperatoren ge-
fasst, wäre immer noch fehlerhaft genug angebracht statt dehortatio.
Doch liegt ein solcher Zweck hier ganz fern; für oratio würden sich
viele Parallelstellen beibringen lassen, es genüge an pro Toll. §. 55
su erinnern: haec est illorum iu causa perdita eztrema non oratio ne-
que defensio, sed coniectora et quasi divinatio. Ein noch ärgeres Ver-
derbnis* der angeführten Worte scheint bisher gar nicht bemerkt wor-
den za seyn, dass nämlich quum se in causa — contenditur, nicht, wie
in allen Texten durch volle Interpunction zerrissen werden darf, indem
mit n ein neuer Satz anhebt; dieser ist vielmehr dem mit quum begin-
XLIV. Jahrg. 5. Doppelheft. 44
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690 Kdler: Seracstrium ad II. Tnllium Ciceronem libri «ex.
nenden untergeordnet; darauf lässt Cicero die Figur der repetitio ein-
treten, von welcher im Text das erste Glied mangelhaft ist; gewiss schrieb
er tum solent eiusmodi iniquitati — oppooere, worauf nicht durch ein
Punktum, sondern ein blosses Komma getrennt folgen muss: tum illad etc.
Das erste tum konnte sehr leicht nach conteoditur ausgelassen werden.
Von diesem locus communis über die Gutacbteu der Juristen kömmt
Cicero auf den zweiten, der das ins civile selbst betrifft §. 70—77. Die
Wobltbat, welche in seinem Besitz jedem Mitglied des Staats verlieben
ist, kann nur durch ungerechte und willkürliche Entscheidungen der Ge-
richte geschmälert oder gar aufgehoben werden. Mit Anwendung auf
den vorliegenden Fall erklärt der Redner, es habe weniger auf sich,
wenn Caecina nicht restituirt werde, aber die allgemeine Sicherheit, die
Sache der Römischen Nation, aller Besitz steht auf dem Spiel, wenn —
vestra auctoritate hoc constituetur: q nie um tu posthac de possessione con-
tendes, eum si ingressum modo deieceris, in praedium restituas oportebtt,
sin autem ingredienti cum armata multitudine obvius fueris et ita veoientem
repuleris fugaris averteris, non restitues. — Nun folgt die famöse Stelle,
woran sich nacheinander Naugerius, Lambiuus, Ernesti, Schütz, Klotz ver-
ficht haben, ohne gewahr zu werden, daas die Gegensätze von int und
lubido, jenes auf Billigkeit, diese auf wörtliche Interpretation gestützt bei
aller Verderbnis* der Periode durchblicken und daher für die Emendatioo
Leitsterne seyn müssen. Das hat erst Madvig erkannt, wenn er in der
Vorrede zu Cic. de Fiuib. p. XL VIII besserte: iuris baee vox est, esse
vim non in caede solum, sed etiam in animo, lebidinis, nisi cruor adpa-
reat, vim non esse factam; iuris, deiectum esse, qui prohibitus sit, labi-
dinis, nisi ex eo looo, ubi vestigium inpresserit, deici neminem posse;
iuris retineri sententiam et aequitate piurumum valere oporiere, lubidieis,
verbo ac littera ius omne torqueri. vos statuite, recuperatores, ntra uti-
lior esse videatur. Der Einwand Jordans im Commeitar p. 260, lubido
komme io Ciceros Auseinandersetzung hier nicht weiter vor, und gefalle
nicht allzu sehr als Antithese von ius, mag auf sich beruhen bleiben; wa-
rum soll Cicero Alles zweimal sagen? Ueberdiess ist lubidinis ja keine
Conjectur und könnte zum L'eberfluss aus vielen Stellen, wie Verr. II,
1, 120 belegt werden. Gegründet aber ist der Tadel, dass nach Madvig s
Emendation der Gedanke zu abgerissen darstehe; allerdings verknüpft er
lieb nicht gehörig mit dem unmittelbar Vorhergehenden. Betrachtet man
ci©ü I d c c ii ^ ti ii ^ dos I^o ü ii c r*s 1 o tl t> m ^ 3 d z g q locus com m u d j s y so S4 cfa
als passender Schluss desselben nur die Aufforderung an die Rekuperato-
ren, durch ihr Urlheil die Festigkeit des Rechts, was e? mit den Worten
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Keller: Semcstrium ad M. Tullium Ciceronem libri sex. 691
§. 76 populi Romani causa civilatia ins bona fortunae possessiones um-
schreibt, nicht wertblos zu machen. Auf diese Spur fuhrt der Scbluss
des Satzes, wie ihn die Handschriften geben: vos statuite recuperotores
el (^ne' hat pe, vb) viliores esse videantur, die wahre Gestalt der Ci-
cerouiscben coaclusio verfehlten also die Aenderungen utri aeqoiores esse
videantur, utrun utilius esse videalnr, utra (vox) utilior esse videatur,
utra utilior res esse videatur — denn an dem viliores müssen wir feit-
iiiiioi), uorigeos uie uurcu nomoeoieieuia an uanuerc t/orrupieien versium—
melte Periode etwa in folgen du r Weise mit Benutzung von Madvig's und
SpeogeFs (Phil. II, 2, p. 296) Conjectaren herzustellen versuchen, sin
iuris baec vox est, esse vim non in caede solum, sed etiam in animo,
lubidiois, nisi cruor adpareat, vim non esse factam; si iuris, ... neminem
posse; si iuris, rem et senteotiam et aeqoitatem plurumum vaiere opor-
tere, lubidinis, vcrbo ac litera ius omne lorqueri, vos statuite ita, recu-
peratores, res illae ut ne viliores esse videantur. Jene Dinge sind
eben alle Vortheile des ius civile. Die eine Einwendung Jordan's gegen
SpengePs rem et sententiam , dadurch werde die concinnitas membrorutn
g^tört, setzt voraus, dass Cicero mit Isokratischer Düftelei verfahren sey
und bloss comparia gebildet habe, gegen welche Meinung eine Menge von
Stellen citirt werden könnten, wenn es dessen bedürfte. Was die stabile
Verbindung res et sententia betrifft, die Spengel aus der Rede selbst mit
$. 79, 81f 86 belegt, darf man wobt behaupten, dass eine scharfe üü-
terscbeidoag dieser Ausdrücke gar nicht nothig oder auch nur möglich
ist, zunächst gebt res auf die wahre Sachlage, die sententia hält sich an
diese ohne Wortklauberei und darin gerade besteht auch die aequitas.
Was daher Jordan bemerkt, Tullius non id agit, ut rem opponat verbo,
«ed ut sententiam s. eorum, qui iura decentissime descripserint, iurisque
aequitatem opponat eorum caluroniae atque iniquitati, qui verbo ac litten
ius omne detorqucre stndent, ist nur gesagt, um zn widersprechen.
In §. 95 ist der Einwand at euiro Sulla legem tuiit nicht wegen
sciocs p 1 u t z 1 1 cii c n l^iotrct^Mis t)t)fi o/nülicli^ wig Schosidt ^liiut)tc^ obßr doch
die Beziehung von legem unklar, wenn nicht eine vorhergeroaebte EuU
gegaung der lex schon gedachte oder auf ihr Besteben hindeutete. Da-
her wir Schmidt ( I. p. 708) in der Annahme einer Lücke hier doch
beipflichten müssen, indem Jordans Argumente für die Integrität des §,
CftfiL Prelefg, in der Ausgebe p, 69) uns nicht befriedigen. Dagegen
üadet dieser selbst sogleich im nächsten § eine Lücke, wo aller Wahr-
scheinlichkeit nach keia Buchstabe verloren gegangen ist. Dia Frage ist
kier, ob Caecina die civitas einbüßen konnte, was Cic verneint, und da-
44* •
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692
Rosmann u. Ed«: Geschiebte von Breisach.
bei behauptet, sie könne überhaupt nur mit der libertas jemanden entzo-
gen werden, aber selbst die ganze Römische Nation dUrfe letztere nicht
nach Willkür aufheben : sed quaero abs te, putesne, si populns iosserit me
tuum aut item te meum servum esse, id iussum ratam alqae finnum fu-
turum? perspicis hoc nihil esse et eateris quae inter. Da>s fateris ge-
lesen werden müsse, kann man kann bezweifeln; aber Orelli's quid igi-
tur? passt allerdings nicht zu dem Nächstfolgenden. Das schon §. 35
angewandte Mittel der metathesis literarum scheint auch hier anwendbar:
quaerenti für quae inter, mit Beziehung auf quaero abs te.
In Betreff der coloniae Lalinae, deren Verhaltnisse $. 98 und be-
sonders 102 zur Sprache kommen, dürfen wir jetzt auf Zumpfs Commen-
tationes epigraphicae, p. 233 sqq. verw eisen, der die Ansicht, dass da-
mit die 12 Colonieen des filtern Drusus gemeint Seyen, trefflich begrün-
det hat. Kayaer.
Geschichte der Stadt (Alt) Breisach von P. Rosmann und Fau-
st in Ens mit einem Vorwort von Dr. Weiss. Nebst zwei Stahl-
stichen und zwei Lithographien. Freiburg im Breisgau. In Com-
missi™ der Wagnerischen Buchhandlung. i85t. XVI u. 482 S. in 8.
Diese Beschreibung der Schicksale einer uralten, in der ganzen Ge-
schichte Deutschlands oft genannten Stadt und ehemaligen Festung am
Rheine sah Referent gleichsam unter seinen Augen entstehen. Sie wurde
nämlich von dem jubilirten Prof. von Troppau, Herrn F. Ens, während
seines Aufenthalts zu Konstanz, dem Wohnsitz des Ref., wo er dessen
Bibliothek fleissig benutzte, ausgearbeitet. Den Beruf zu dergleichen Arbei-
ten hatte der Verf. früher durch sein Werk: Das Oppland oder der
Troppauerkreis nach seinen geschichtlichen, bürgerlichen und örtlichen
Eigentümlichkeiten (Wien, bei Gerold 1836. IV Bde.) in einer Weise
beurkundet, die vielseitige Anerkennung fand. Zum Versuch einer Ge-
schichte von Altbreisach fühlte er sich durch Vaterlandsliebe angezogen.
Ist doch sein Geburtsort Rothweil am Kaiserstuhl nur ein paar Stunden
von dieser Stadt entfernt. Auch machte er seine ersten Studien zu Frei-
burg und brachte seine erste Lebensperiode im Breisgau zu. Diese per-
sönlichen Verhältnisse hat sein Jugendfreund, der um die Gemeinde viel-
verdiente Herr Stadtpfarrer Rosmann zu Altbreisach, mit ihm gemein.
Auch war dieser im Stande, ihm zur vorliegenden Geschichte manches Ma-
terial beizuschaffen. Sodann hat er sich theilnebmend für die schöne
Ausstattung des Buches verwendet. Desswegen ist sein Name auf dem
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Rosmann u. Eni: Geschichte von Breisach.
693
Titelblatt dem des Herrn Prof. Ens beigesellt. Dr. Weiss zu Freiburg,
der für den correkteo Druck des Werkes sorgte, hat durch ein lehrrei-
ches, kräftiges Vorwort das Verdienst des historischen Versuchs, so wie
die Schwierigkeiten bei dessen Abfassung beleuchtet. Die grösste lag
darin, dass die meisten urkundlichen Nachrichten und Ueberlieferungen ab-
handen gekommen oder zerstört worden sind. Indessen ist es doch selbst
der Einleitung gelungen, mittelst treuer und scharfsinniger Zusammenstel-
lung der zerstreuten Berichte und Andeutungen ein Bild von dem viel-
bewegten Leben zu entwerfen, das zuerst die keltischen, hernach die
suevischen, dann die alemannischen Stämme in bestündigen Kämpfen, an-
fangs unter sich, seit Caesars Zeiten aber mit den Römern zur Verfech-
tung ihrer Freiheit in den Gegenden fahrten, denen das auf einem Fels-
hügel am Rhein gelegene Breisach zum schützenden Hort und Anhaltspunkt
diente. An dieses Bild schliesst sich im ersten Abschnitte die Schil-
derung von Breisach und seinen Geschicken an, das in der vorrömischen
und römischen Zeit am linken Rheinufer lag, dann von ihm als Insel um-
schlungen wurde, später aber am rechten Ufer emporragte. Von der
Zeit jedoch, wo die Macht der Römer sich Uber die Alpen zurückge-
drängt sab, und Breisgau und Eisass Bestandteile des fränkischen Reichs
wurden, verliert sich ihre Geschichte in einem Kreis dichterischer Sagen.
Davon theilt der zweite Abschnitt das Merkwürdigste mit. Dieser Sa-
genkreis erstreckt sich bis in die Zeiten KarPs d. g. Doch bei den ver-
hängnissvollen Schicksalen Ludwig's des Frommen sehen wir Brei-
sach wieder mehr auf geschichtlichem Boden. Der Versuch seiner Aus-
söhnung mit den ehrgeizigen Söhnen unter Gregorys IV. Vermittelung
geschah auf der Ebene am Siegwaldsberge bei Colmar. Diese bekam
wegen des treulosen Trugs, womit hier der friedfertige Kaiser bintergan-
gen wurde, den Namen: das Lügen fei d. Unter den Wenigen, die ihm
treu verblieben, war Gebhard, Graf vom Lahngau und Breisach (S. 63).
Später weilte Ludwig der deutsche längere Zeit in Breisach und
den andern Städten am Rhein, ihre Wohlfahrt zu heben bedacht Ihr
Aufblühen ward aber jetzt durch neue Kriege und die aus Asien einbre-
chenden Schwärme von Heuschrecken gestört, die die Luft verfinsterten
und alles Grün der Fluren aufzehrten, worauf Seuchen und Hungersnoth
folgten (S. 66). Dem schläfrigen Karl d. Dicken blieb, als ersieh
fast von Allen verlassen sab, Alemannien^ mit Breisach getreu (S. 67). —
Der vierte Abschnitt beschreibt Breisachs Belagerung durch K. Otto L
und seine Schicksale unter den sächsischen Kaisern; der fünfte aber
die unter den fränkischen. Unter Konrad II. verfiel Schwabens Herzog
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694
Ernst II. wegen seiner Mitbewerbung um Burgund in die Reichsacbt. Als
jedoch der Kaiser zum Kriegszug gegen die vorstürmenden üogarn sich
anschickte, bot er dem Geächteten Herstellung in sein Herzogthum, doch
nur unter der Bedingung, dass er jetzt den Grafen Werner von Kyburg,
der als treuester Freund für ihn mit Aufopferung von Gut und Blut ge-
kämpft hatte, als Reichsfeind verfolge. Ernst kehrte aber voll Abscheu
für die Zumuthung solchen Treubruchs dem Kaiser den Rücken, und floh
zu seinem Freunde, fest entschlossen, jedes Schicksal mit ihm zu theilen.
Beide fielen wie Löwen fechtend vor ihrer festen Burg Falkenstein (bei
Baistall?). Ein Volkslied verherrlichte ihre Freundschaftstreue (S. 90 f.).
Auch dem Kaiser Heinrich IV. erwiesen sich in seiner Bedrüngniss im
grossen Kampfe mit Gregor VII. Adel, Städte und Landvolk in AtemBn-
nien treu und ergeben, trotz den vielen Drangsalen, die dadurch Uber sie
kamen ( 8. 105 f.). Schon legen Heinrich 's mächtige Gegner im Grabe
und die Nolh der Christen im Morgenland durch den Fanatismus der 11a-
homedaner rief die Völker des Abendlands auf, sich zum Kreuzzug ge-
gen die Schinder des b. Grabes zu vereinigen, da kehrte Heinrich sieg-
reich aus Italien nach Deutschland, wo er zu Mainz die dnreh I i teigeist
lange getrennten Fürsten in Mintracht um sich versammelt sab. Auch
Bertbold II. von Zubringen, bisher sein Feind, beugte sich dort vor
ihm. Seinen Ansprüchen auf das Herzogthum Schwaben zu Gunsten Fried-
rich"* von Hohenstaufen entsagend, empfing er dafür die Stadt Zürich und
das Thurgau, jetzt von Schwaben getrennt, nebst der Landgrafschaft
Breisgau als Reichsleben mit dem Herzogstilei. Auch erbaute er um diese
Zeit (1090) auf einem Vorberge des Scbwarzwaldes über dem Dorfe
Zubringen die Burg dieses Namens. Ein Hauptsitz der Zlhringer ward
aber von nun an Breisach (S. 116). Diess war auch die Zeit der meisten
Kiosterstiflungen im Breisgau (8. 117). Breisach erhielt ein Fraienstift
(Marien- Au) und all Stift am Münster mit 14 Cborhenrn (S. 121). Fried-
rich von Hohenstaufen, von K. Heinrich V., als er nach Italien sog, zum
Reichsverweser bestellt, that viel für die bessere Befestigung Breisacbs, so wie
anderer Städte am Rhein (8. 123). Nach des kinderlosen Heinrichs MM
wurde jedoch (mit Uebergehung Friedrich s, seines Neffen und Erben) auf Be-
trieb des Brzbischofs Adalbert von Mainz Lothar (II.) v. Sachsen zum Kaiser
erwählt. Aber nach Lothars Tod fiel die Wahl auf Konrad v. Hohen-
staufen, und als dieser bald nach seinem unglücklichen Kreuzzug gestoibea
war, folgte ihm auf den Kaisertbron sein Neffe Friedrich der Rothbart.
Dieser bestätigte im Landgrafthnm Breisgau den Herzog Berthold IV.
von Zähringen, der ihm 1151 auf seinem Zug Uber die Alpen folgte, wo
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Rosinann 11. Ens: Geschichte von Brebach. 695
er die stoben Mailänder demüthigte und die Kaiserkrone empfing fS. 130)
Nach seiner Rückkunft heiratete der Kaiser die Erbin vou Burgund, Ber-
thold von Zubringen, der dadurch seiner Anwartschaft auf dieses Land
verlustig ging, bekam zwar dafür eine Entschädigung, die ihn jedoch nicht
»frieden stellte (S. 1 3 1 I. |. Um diese Zeit wurde Breisach, bis dahin
zum Kirchsprengel von Basel gehörig, wegen veränderten Lauf des Rheins
als Bestandtheil des Breisgaus vom Kaiser dem Sprengel von Konstanz
zugewiesen (S. 133). Als himmlische Bescherung feierte Breisach im J. 1162
die unversehene Erwerbung der Reliquien der heil. Märtyrer Gervasius
und Prot asius. Der Brzb. Reinald von Köln, von Italien heimkehrend,
wohin er den Kaiser auf seinem Kriegszug begleite! hatte, im Begriff
diese Reliquien nebst denen der heil, drei Könige als Siegstropbäen nnf
dem Rheine nach Köln zu bringen, hielt zu Breisach an, und bewilligte
hier der Bürgerschaft auf dringendes Bitten für ihr Münster die Gebeine
des einen der beiden Märtyrer, und weil nun (so lautet die Sage) das
Schiff trotz aller Anstrengung der Ruderer, nicht weiter gefördert wer-
den konnte, so iiess sich der Erzbischof durch die Vorstellung, dass die
im Tod ungetrennten Brüder sich auch jetzt nicht trennen wollten, be-
wegen, beide Leiber in Breisach zurückzulassen. Dieses Ereigniss ward
den Breisachern Veranlassung zu einem jährlichen Dankfest (S. 136 f.).
Noch mehrmal nahmen sie im Gefolge Berthold's IV. an den italien. Kriegs-
zügen des Kaisers Friedrich Theil. Berthold V. aber förderte ihr Ge-
meinwesen und ihre Gewerbsamkeit. Dadurch stieg das Ansehen der Stadt
so sehr, dass das Stift St. Trudpert ihr die Schirm voglei gegen die es
bedrängenden Herren v. Staufen übertrug, welche Schirm voglei später
an die Grafen v. Habsburg überging (S. 143). In dem Kampfe zwischen
Friedrich IL von Hohenstaufen und Otto IV. von Wittelsbach gerieth
Breisach sehr ins Gedräng. Otto suchte in seinen Mauern Schutz bei Ber-
thold von Zäbringen und Hermann von Baden. Aber der wilde Ueber-
muth seiner Schaaren erregte den Grimm des Volk's in Stadt und Laud,
und als dieses den Anzug des Kaisers Friedrich vom Bodensee her ver-
nahm, stand es auf. Otto entfloh nach Sachsen. Friedrich wurde mit
Jubel in Breisach empfangen (S. 150) und zog von da zur Krönung nach
Aachen. Nicht lange hernach erlosch mit dem Tod Berlhold's V. von
Zähringen sein Geschlecht, dessen Verdienste um BreisacU's Wohlstand
S. 151 156 umständlich dargestellt sind. Kaisers Friedrich'* II. ältesten
Sohn Hainrieb, vom Vater während seines Zugs nach Jerusalem mit der
Reichsverwesung betraut, beschlich die Gierde nach Unabhängigkeit. Um
für diese schnöde Absiebt die Fürsten zu gewinnen, schrieb er einen Reichstag
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Rosmann u. Ens: Geschichte von Breisach.
nach Brebach aus. Doch der Kaiser kehrte jetzt 1235 nach Deutschland
zurück. Vergebens sachte Heinrich sich der Treae von Breisach , Basel und
Colmar zu versichern. Er musste sich unterwerfen (S. 157). Doch kaum
hatte der Kaiser auf dem Reichstag zu Mainz den Landfrieden befestigt,
so fiberstieg er schon wieder die Alpen, und halte nun 14 Jahre lang
einen schweren Kampf mit den lombardischen Städten, den mit Gregor IX.
und Innocenz IV. eng Verbündeten, zu bestehen. Inzwischen wuchs Brei-
sach's Gedeihen, bis es den Päbsten gelang, die Wahl von Gegenkaisen!
zu bewirken. Jetzt trat Breisach mit anderen oberrheinischen Städten in
einen Bund zu Gunsten der Hohenstaufen, und 1250 von König Wilhelm
von Holland aufgefordert, ihn ab ihren Herrn anzuerkennen, antworteten
die Breisacher: ihre feste Burg sei der Basler-Kirche Eigenthum; sollten
mitbin je die mit ihnen verbündeten Städte vom Haos Hohenstaufen ab-
fallen, so würden sie der Baslerkirche allein treu und gehorsam sein
(S. 159). Auch bewahrten sie, als Friedrich II. in Italien gestorben
war, ihre Treue seinem Sohn Kourad, und nach dessen Tod huldigten sie
dem Bbchof von Basel, welcher Stadt und Schloss neu befestigen liess
(S. 160). Breisach nahm hernach, als die norddeutschen Städte sich
zu Wilhelm von Holland, die südlichen zu Konradin von Schwaben hiel-
ten, Theil an dem von Watbold zu Mainz gestifteten rheinischenBund,
der den Landfrieden schützte. Selbst König Wilhelm musste diesen Bund
guthebsen. Als aber Wilhelm von den Friesen erschlagen worden, ver-
fiel Deutschland wegen der zwiespältigen Wahl von Richard von Korn-
wall, der nur selten, und Alphons von Castilien, der nie daselbst erschien,
in völlige Anarchie, wo Jeder sich was er konnte, besonders vou den
hohenstauiiscben Besitztümern, zuzueignen suchte (S. 162). — Rudolph
von Habsburg trat als Schirmer von Konradins von Schwaben Erbgnt
auf, bis dieser 1268 auf dem Blutgerüst zu Neapel fiel; er gerieth aber
mit dem Bischof von Basel in Fehde, was der Stadt Brebach eine Be-
lagerung und Verwüstungen zuzog (S. 163). Diess veranlasste Brei? ach,
sich dem König Richard zu unterwerfen, dessen Schutz nun der Stadt
und dem Bischof von Basel zu Tbeil wurde. Doch erneuerten sich noch
spater die Fehden zwischen Rudolph und dem Bischof von Basel auf Brei-
sachs Kosten (S. 167). Für diese Stadt ging wie für ganz Deutschland
ein neuer Glücksstern erst durch die Wahl Rudolphs von Habsburg zum
deutschen Kaiser auf. Als Friedensstifter zog er über Breisach und die
andern Rheinstädte nach Aachen, und auch auf dem Rückweg kam er
nach Breisach, wo er die ungesetzlichen Zölle aufhob, und der Stadt Schulz
ihrer Rechte und Freiheiten zusagte (S. 1 70). Sein vertrauter Rathgeber, der
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Rosmann n. En«: Geschichte von Breisach.
697
neue Bischof von Basel Heinrich v. Isny (ein Minorit), trat alle seine Gerecht-
same in Breisach an Kaiser und Reich ab. Dadurch wurde Breisach zur freien
Reichsstadt, und Rudolph gab ihr 1276 eine Verfassung (S. 172f.)
Seine Thatigkeit gegen jede Störung des Landfriedens führte ihn 1280
wieder nach Breisach , wo er jetzt zu diesem Besuch ein Schiedsgericht
bestellte, desaen Aussprüchen er durch Waffengewalt Geltung verschanze
(S. 176—182). Schon früher stand Meistersänger Walther der Sohale
zu Breiaach vor, und 1270 erhielt die Stadt für den höhern Unterricht
der Knaben ein Augustinerktoiter, das der Kaiser vielfältig unterstützte
(S. 184 f.). — Adolph von Nassau, nach Rudolph^ Tod gewühlt,
kam 1292 nach Breisach und empfing die Huldigung von Breisgau und
Elsass. Durch seine Zumutbung an Rudolphe Sohn Albrecht, dem Her-
zogthum Oesterreich zu entsagen, zog er sich aber einen Krieg auf den
Hals, in welchem Albrecht mit seinen Verbündeten obsiegte, Adolph aber
den Tod fand. Kaiser Alb recht I. bestellte nun in Breisach ein Frie-
densgericht und befreite den Handel von willkürlich ihm aufgelegten Zöl-
len (S. 194). Im Jahr 1302 entstand dort ein Miooritenkloster (S. 195).
Als nach AI brecht 's Heuchelmord die einen Friedrich den Schönen
von Oesterreich, die andern Ludwig von Baiero wühlten, hielten zwar
die meisten Städte zu letzterra ; doch bald wandten sich mit Breisacb die
oberrheinischen zu Friedrich (S. 199). Beide kamen nach Breitach und
kämpften hier und im ßreisgau um die Oberhand, für Friedrich vorzüg-
lich der Graf von Freiburg, für Ludwig ßurkard von Osenberg , von
dessen längst mächtigem Geschlecht der Verf. (S. 200—207) ausführ-
lich beriehtet. — Durch den entscheidenden Sieg bei Mühldorf 1322, wo
Friedrich gefangen wnrde , erhielt Ludwig den Alleinbesitz der Reichs-
krone. Dess ungeachtet belegte Johanu XXII. ihn und Alle, die ihm
anhingen, mit dem Interdict. Die Minor iten zu Breisach kehrten sich nicht
an dasselbe, wofür die Bürgerschaft ihnen Dank zollte, wahrend die
Dominikaner zu Konstanz wegen strenger Befolgung des Interdicts aus der
Stadt vertrieben wurden (S. 209). — Nach der Kaiaerwahl KarTa IV.
machte Breisach einen Versuch, unabhängig von Oesterreich wieder die
reiebsstädtische Freiheit zu erlangen. Der Kaiser bestand aber darauf,
das* die Stadt davon abstehe. Als sie nun Albrecht dem Weisen gehul-
digt, besuchte sie Karl IV. 1353, ihr sein Wohlwollen bezeugend (S. 211).
Im Jahr 1348 blieb sie weder vom Erdbeben, noch vom schwarzen Tode
verschont; sie scheint sich aber an der Judenverfolgung, die 1349 in
vielen Städten losbrach, nicht betheiligt zu haben (S. 212). Als der
Graf von Freiburg, dem der Kaiser das Landgrafentbum über das Breisgaa
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6%S Rosmann u. Eni: Geschichte von BreUach.
rerliehen hatte, Willkür übte, schlössen Freiburg, Breisach, Neuenburg und
Basel dagegen einen Bund. Eine gewaltige Fehde entbrannte darob, die
damit endigte, dass der völlige Besitz von Freiburg an Oesterreich kam
(8. 216). Von nun ao musaten die Breisacher oft au den Kriegslagen
Oesterreichs gegen die Schweizer Tbeil nehmen. So zu Sempach, wo
Herzog Leopold flel. Umständlich erzählt hier der Yerf. S. 222 die Hel-
dentreue des Bannerträgers Martin Mallerer von Freiburg, der in der
Volkasage lebt. - In welches Ungemach Leopolds Nachfolger Fried-
rich von Tirol durch den Schutz, den er gegen das Coocil von Con-
staaz dem ruchlosen Pabst Johann XXIII. verlieh, ihn und seine Länder
brachte, wird S. 130 u. f. genau berichtet. In Breiaach trafen die Ab-
gesandten des Concils den mit List im Eiuverstäudniss mit Friedrich eut-
flohenen Pabvt dem nach Unterwerfung seinei mit des Reicht und Her
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Kirche Baun belegten Beschützers nichts übrig blieb, ab nach Consta»
zurückzukehren und sich dem Ausspruch des Concils zu fügen. Friedrich
erhielt nach seiner Aussöhnung mit Kaiser Sigismund seine Erblande
am Rhein zurück. Auch Breisach mit den andern Städten huldigten ihm.
Weil aber nun der zur Zeit von Friedrichs Aechtung bestellte Statthalter
Markgraf Bernhard von Baden von den Rhein- und Landzölleu, die er
Wöhrend seiner Verwaltung dem Land aufgenötbigt hatte, nicht ablassen,
und das, was er den Städten im Breisgau und Elsass widerrechtlich entzogen,
nicht zurückgeben wollte, so schlössen diese Städte einen Landfriedens-
bund zur Handhabung ihres guten Rechts. Daraus entspann sich 1424 eine
hartnäckige Fehde. Nur mit Mühe brachten des Kaisers Macbtboten einen
Frieden zu Stand, in Folge dessen der Markgraf von seinem Unrecht ab-
stehen musste (S. 236 f.). — Als König Karl VU. von Frankreich dem
Kaiser Friedrich IV. den Dauphin mit der wilden Heerschaar der Ar-
mairnaken zur Hülfe geschickt, diese Soldknechte aber nach der Schlacht
bei St. Jakob vor den Thoren von Basel weit umher Raub, Mord, Brand
und viehische Lust übten, erhob sich gegen sie die Landwehr des Scbwarz-
wsldes in Verbindung mit dem Städteband von Freiburg, Breiaach und
Neuenburg, dem sich andere Bünde, namentlich der Georgenschild, anschlös-
sen. Breisach wurde der Sammelplatz eines wohlgerüsteten Heeres und
der Dauphin kehrte nach Frankreich zurück. Doch nur noch heftiger ent-
brannte jetzt der Krieg zwischen dem Oesterreich anhängenden Adel und
den Schweizern, bis die Breisacher Richtung 1449 Frieden gebot
(S. 243). — Schweres Uobeil brachte zehn Jahre später über Brei-
sach und ganz Vorderüslerreich und EJsass ihre Verpfändung an K a r 1 deo
Kühnen von Burgund. Denn trotz seines Versprechens der Achtung
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u. Ein: Geschichte von Breisach.
699
der alten Rechte und Freiheiten übte Karl eine stets sich verschlimmernde
UraoDische Willkührherrschaft. Dazu ersah er sich zum Werkzeug den
Bitter Peter von Ilagenbach, dessen Uebermutb, Geldgier und Grau-
samkeit jede Rücksicht verschmähten. Seinen Sitz nahm er als Landvogt
in Breisach. Nachdem alle Verwendungen der tief bedrängten Stadt um
Abhülfe und um Auslösung der burgundischen Pfandschaft vereitelt waren,
und sie nnr eine Steigerung des Drucks und der Misshandlung hervorge-
bracht hatten, ermauote sich endlich die Bürgschaft zum bewaffneten Auf-
stand. Hagenbach wurde festgenommen und ein förmliches Gericht zu
dessen Aburtheilung bestellt. Die Sitzungen waren öffentlich. Der Be-
klagte und seine Anwälte boten alle Kunstgriffe auf, um ihn dem Rechts-
spruch zu entziehen. Doch verurtheilte ihn dieser zur Hinrichtung mit
dem Schwerte. Der ganze Verlauf der Tirannei dieses Ruchlosen und
ibres Ausgangs ist S. 248 — 277 vortrefflich geschildert. Doch erst der
Untergang Karls des Kühnen in dem Kriege, den er zur Unterjochung
der Schweizer unternahm, sicherte die österreichischen Rheinlende gegen
die Fortsetzung seiner auf die Pfandschart begründeten Gewaltherrschaft
(S.278). Mit Maximilians I. Regierungsantritt schien aber das Mor-
genroth einer bessern Zeit auch für Breisach aufzugehen. Er besuchte
diese Stadt 1495 (S. 281). Auch die geistige Bildung nahm damals
in ihr einen höhere Schwung, theils durch eigene Lehrer, theils durch
den Einfluss berühmter Lehrer der Nachbarschaft (z. B. TaulerV, Geiler^
von Kaisersberg zu Strassburg, Wimpfeling's zu Schlettstadt (S. 282 f.).
Das» Münster wurde erweitert, verschönert und mit neuen Altiiren ge-
schmückt: der hölzerne Sarg der Gebeine von Gervasius und Protasins
mit einem kunstreicheren von Silber vertauscht. Maximilian, der jetzt oft-
mals in der Stadt weilte, bezeugte ihr viele Theilnahme (S. 286—288).
Koch kurz vor seinem Tod vermachte er dem dortigen Spital 20,000
Gulden (S. 291). Auch hielten die Breisacner mit unverbrüchlicher Treue
an Maximilian, als die Leiter des Bundschuhs zu L e h e n (1 513), die
Freiheit der Bauerscbaft bezielend, in der Stadt einen festen Haltpunkt zn
gewinnen suchten (S. 200). Nach seinem Hintritt kamen Oeslerreichs
deutsche Besitzungen an Karls V. Bruder Ferdinand. Dieser hielt 1524
zu Breisach einen Landtag, um die Gefahren abzuwenden, womit ihm die
Neigung Vieler zu Luthers Reform die* öffentliche Ruhe zu bedrohen schien,
da er darin nur einen Vorwaud für Bestreitungen nach politischer Frei-
heit erblickte. Waldshut und Kenzingeu wurden von diesem Landtag und
dem spfitern zu Säckingen zur Bntfernung ihrer Reformprediger Balthasar
Uibmaier und Jakob Other aufgefordert-, doeb vergebens. Zugleich ver-
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700 Rosmann o. Eds: Geschichte von Breisach.
banden sich die Bauern zu einer allgemeinen christlichen Verbrüderung,
deren Forderungen in zwölf Artikel gefasst wurden. Zu Kiecblingabergen
brach der Sturm los, und nach Verwüstung der Klöster wälzte sich ein
Heer von 20,000 Bauern vor Freiburg, grub der Stadt die Quellen ab
und bemächtigte sich des Blockhauses auf dem Schlossberg. Als nun die
Beschiessung der Stadt begann, bewog eine Meuterei unter den Bürgern
den Stadtrath und Adel, mit den Bauern zu unterhandeln und in ihre Bru-
derschaft mit Vorbehalt der Pflichten gegen das Erzhaus zu schwören
(S. 299). Auch Breisach, nachdem es von der Regierung zu Ensisheim
umsonst Mannschaft begehrt hatte, um Freiburg zu entsetzen, sah sich be-
droht, indem die Bauern Einverständnisse im Frauenstift Marienau geknüpft
halten, um durch ein Pförlchen seiner Kirche in der Stadtmauer zur Nacht-
zeit in die Stadt zu dringen. Doch wurde der Anschlag noch rechtzei-
tig entdeckt (S. 301). Inzwischen änderte die Niederlage der Bauern
durch den Herzog von Lothringen bei Elsass-Zabern die Lage der Dinge.
Die Masse der Aufstander zog von Freiburg vor Breisach. Neue Nieder-
lagen und die Kunde, der schwäbische Bund sei im Anzug, und Erzher-
zog Ferdinand selbst mit grosser Macht zur Dämpfung des Aufruhrs ent-
schlossen, machten die Bauernscbaaren geneigt, den Vermittlungsanträgen
des Markgrafen Philipp von Baden Gehör zu geben, der von Ferdinand
zum Unterhandeln Vollmacht hatte. Zu Offenburg kam ein Vergleich zu
Stande, der der Bauernschaft viele Erleichterungen zusagte, über die Rä-
delsführer aber Tod oder Landesverweisung verhängte (S. 303). In Brei-
sach wurde Luther'* Reformgeist, wie er sich nur zeigte, sogleich erstickt.
Der Stadtpfarrer Konrad Haas musste fliehen,* das Frauenstift Marienau,
wo sich Einige zur Neuerung hinneigten, wurde aufgehoben (S. 304 f.).
Dagegen gab jetzt die Andacht der Bürgerschaft im Münster durch Werke
bildender Kunst sich kund. Eine grossartige Schnitzarbeit in Holz, die
Krönung Mariae im Himmel darstellend, versierte den Hochaltar. Dieses
Meisterstück, hier S. 309 u. f., ausführlich nach einer Schrift von Prof.
Grieshaber zu Rastatt geschildert, wird dem Hans Liefrink zuge-
schrieben. Durch einen andern Meister (Jäger) wurde eine sehr schöne
Kanzel gefertigt. Schon früher hatte ein unbekannter Künstler die Em-
porkirche zwischen dem Chor und Langhaus in Stein gehauen, woran die
Heiligenbilder, die durchbrochenen Thürmchen und andere schöne Zier-
rathen Bewunderung erregen. Gleiches Lob verdient das in Stein ge-
hauene Sakramentshäuscben (s. 313). Für Arme und Krankhafte stiftete
die Bürgerschaft ein Gutleuthaus (S. 314). Uebernaupt war Breisacbs
Zustand ein blühender. Viele vom Adel halten hier Häuser. Auch sie
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Rosmann u. Ens: Geschichte von Breisach.
701
musslen gleich andern den Brückenzoll entrichten. Durch Stadtämter fan-
den sich Manche geehrt. So der berühmte Feldherr Lazarus von
Schweodi als Burgvogt (S. 317). Kaiser Ferdinand I. wurde 1562
von den Breisarhern festlich empfangen (S. 319). Ihm folgte in der
Regierung Vorderösterreichs sein zweiter Sohn, der sich mit der schonen
Philippine Weiser von Augsburg vermählte. Cr hielt 1567 einen Landtag
in Freiburg und besuchte Breisach, durch Leutseligkeit und milde Fürsorge
für Waisen beliebt. Nur solche Uebel, deren Abwendung nicht in der
Macht des Landesfürsten und seines Bruders Kaiser Maximilians II. lag,
empfand damals die Stadt. Dahin gehörte die 1564 ausgebrochene Pest,
die über ein Jahr anhielt und 1580 wiederkehrte (S. 321). Dem kin-
derlosen Ferdinand folgte 1595 Kaiser Rudolph IL, dessen Statthalter
Michael von Ampringen 1599 die Huldigung von Breisach empfing (S. 323).
Im Jahr 1607 wurde hier aus milden Beitragen der Bürger den Kapuzi-
nern ein Kloster erbaut (S. 324). — Schweres und langes Unheil er-
wuchs der Stadt aus dem dreissigjähr igen Kriege, der 1618 Deutsch-
land spaltete und verheerte, und nur dem Ausland Vortheil brachte. —
Für Breistch war er ganz besonders verhangnissvoll. Die erste Gefahr
drohte ihm der Zug des Grafen von Mansfeld, der aber durch Tilly'a
Sieg bei Wimpfen, wo nur der Heldenmnth von 400 Pforzheimern die Flucht
des Markgrafen Georg Friedrich von Baden sicherte (8. 328), abgewendet
wird. Von nun an blieb Breisach durch die Vorsorgen des Erzherzoge
Leopold gegen feindliche Einfälle mehrere Jahre geborgen (S. 329). In
Anfange des Jahres 1630 nahm aber der Krieg für die bis dahin sieg-
reiche Liga dadurch eine nacblheilige Wendung, dass Gustav Adolf
von Schweden sich an die Spitze der protestantischen Union stellte.
Zu Ende 1631 führte die Festnehmung eines geheimen französischen Un-
terhändlers, die in Breisach geschab, zur Entdeckung, dass Max von Baiern
mit Frankreich einen Neutral itäts vertrag geschlossen habe, und ein ähnli-
cher mit Schweden im Werk sei (S. 331). Des Erzherzogs Leopold
Wittwe Clandia, die nach des Gemahls un versehenem Hintritt die Ver-
waltung der österreichischen Vorlande übernahm, entwickelte jetzt zn
ihrem Schutz die grösste Tbätigkeit. Wall enstein wurde zwar am
16. Nov. 1632 bei Lützen ven Gustav Adolph besiegt. Aber der Sieger
fand hier den Tod. Der Krieg behielt jedoch seinen Fortgang. Bern-
hard von Weimar bekam den Oberbefehl des protestantischen Heeres,
das gegen den Rhein vordrang. Der Rheingraf Otto Ludwig umzin-
gelte Breisach. Mit wechselndem Glück wurde nun in Breisgau und El-
sas? gefachten, bis endlich die kaiserlichen Heere unter den Herzog von
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702 Rosmann u. Eni: Geschichte von Breiinch.
Feria and Altringer, deren Vereinigung der Schwede Horn ver-
geblich zu hindern gesucht, über den Schwarzwild zu Breisachs Katsatz
heranzöge». Der Rheingraf zog sich nach dem Elsass zurück, wohin ihm
die Kaiserlichen folgten (S. 342). Mit Beginn des Jahres 1634 worden
die Lander am Oberrheim der Tummelplatz eines verderblichen kleinen
Kriegt. Es war für sie eine jammervolle Zeit. Rauben, Brennen und
Morden war das tägliche Geschäft der Soldaten, woran sich auch die
Bauern im Drang der Noth betheiligten. Die am 7. Sept. dieses Jahres
bei Nördlingen erfolgte Niederlage des Heeres unter Horn und Bernhard
von Weimar Hess die Auflosung der Union und die Beendigung des
Krieges hoftun. Da fachte ihn aber Prankreichs arglistige Politik neuer-
dings an, indem sie der protestantischen Partei grosse Hülfe an Geld und
Mannschaft versprach und dem Herzog Bernhard von Weimar ein POr-
stcntbum am Oberrhein in Aussicht stellte (S. 344). Breisach wurde
jetzt unversehens der Mittelpunkt des Kriegstbeaters. Bernhard von Wei-
mar machte sich die Eroberung dieser wichtigen Festung um so eifriger
zur Aufgabe, als er entschlossen war, sie nicht für Frankreich, sondern
für sieh als Grundstein eines ans dem Sundgau, Elsass und Breisgau za
bildenden Herzogtums au erobern (S. 349. 354). Breisacbs Verteidi-
gung war aber dem tüchtigen Feldzeugmeister Joseph Heinrich v. Rei-
nach anvertraut, und vorzüglich unterstützte ihn der nnternehmende Feld-
herr Johann v. Werth. Die vielen hitzigen Gefechte vor und wah-
rend der Belagerung, sowie diese selbst werden von S. 345—390 um-
^liinrllirh hpsrhriahfMi Dir* HunirersnoLh in Her Stadt stioir in f« Hnr h<%l>
Ueber 2000 Menschen erlagen ihr. Die Häute geschlachteter und gefal-
lener Thiere wurden xur Speise zubereitet. Hunde, Katzen, Batten and
Mause waren seltene Leckerbissen für die Vermutlichen!. Von des Hun-
gers Qual getrieben, gruben mauche die Leichname aus den Gräbern oder
kratzten Kalk von den Wänden, um sich zu nähren. Vergebens wurden
die Kirchhöfe mit Wachen besetzt. Kinder wurden geraubt, geschlachtet
und verzehrt. Lange nachher zeigte man eine Stelle, wo man eine Fran
mit ihren Kindern um die Leiche des Mannes fand, die sich von ihr
nährten (S. 377 f.). Hingegen wird in einer Anmerkung zn S. 378,
die Angabe in Schiller'* Gesch. des dreissigj. Krieges, dass der Com-
mondant v. Reinuch und seine Glttin aus Habsucht schändlichen Handel
mit dem Getraide getrieben und dadurch die Noth verursacht hatten, für
einen Heinachs edeln Charakter widerstreitenden Irrthun» erklärt. Die
Besatzung eruieii uen eiirenvoiisien Aozug. uer Maai wurae ewenerueu
des Eigentums, freie Religionsübung and die Erhaltung der Kirchen und
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Rosmann u. Ens: Geschichte von Breisach. 703
Klöster zugesagt. Als der Tag, wo der Eroberer seinen Einzug hielt,
ist S. 386 der 16. Des. 1638 angegeben. Dieses Datum scheint un-2
richtig, da die Kapitulation Dach S. 383 erst am 17. Des. unterzeichnet
wurde. — Richelieu lockte seinem vertrauten Unterhändler, dem Ka-
puziner Joseph noch in seiner Sterbslunde ein freudiges Lächeln durch
den Znruf ab: „Muth, Huth, Pater t Breisach ist unser"; während Bern»
hard von Weimar Minsen mit dem bretsacber nnd weimarischen Wappen
prügen liest (S. 387). Der Herzog ernannte seinen Vertrauten, General
Er lach snm Statthalter. Von ihm später als Unterhändler nach Paria
geschickt, liess sich derselbe von Richelieu um einen Jahrgehalt von
12,000 Franken das Versprechen abkaufen, Breisach für Frankreichs Dienst
zn bewahren und wenn dem Herzog etwas Menschliches begegnen würde,
lieber zu sterben als sein Wort zu brechen (S. 388 f). Bernhard fuhr
aber fort, dem franzosischen Hof zum Trotz, sich als Landesherr zu be-
nehmen- er bestellte überall Beamte zum Schutz des Eigentbums, ver-
besserte Hreisachs bürgerliche und militärische Einrichtungen und errich-
tete daselbst ein Kammer- und Regierungscollegium (S. 390). Ihn raffte
aber bereits am 8. Juli 1639 ein heftiges Fieber weg. Seine Leiche,
im Münster zu Breisach beigesetzt, blieb dort bis 1655, wo seine Brüder
sie nach Weimar abholen Hessen (S. 393). Er hatte in seinem Testa-
ment Breisacb nebst den dazu gehörigen, von ihm eroberten Ländern die-
sen Brüdern zugedacht, und die Ernennung Erlacb/s, dessen Verabredung
mit Richelieu er nicht abnte, zum Statthalter erneuert (S. 399). Allein
die französische Regierung anerkannte Bernhardts Recht, Uber die in Frank*
reich« Dienst (?) gemachten Eroberungen zu verfügen, nicht. Brlach wurdi
zwar von ihr im Amte belassen , aber d'Oisonville ihm an die Seite ge-
stellt, die Verwaltung im Namen des Königs angeordnet nnd das sftmmt-
liche deutsche wie französische Heer für ihn beeidigt (S. 401. 403). So
kam Breisach, Deutschlands stärkste Schulzwehr am Rhein, mit dem Breis-
gau unter französische Hoheit. (Als Hanptquelle benutete der Verfasser
Hose's Leben Bernhards von Weimar.) Vom Sept. 1641 bis 24. Marz
1642 aass der ritterliche Johann von Werth in Breisach gefangen,
wurde nun aber gegen den Schweden Horn ausgewechselt (S. 412).
Jetzt wieder im Reichsheer angestellt, vertrieb er 1643 die Franzosen
aus Schwaben und im folgenden Jahr wurde das Breisgau abermals Schau-
platz des Kriegs. Freiburg musste sich an M e r c y ergeben. Doch we-
nige Tage hernach vereiuigte sich der Herzog von Enghien mit Turenne,
und nun erfolgte vor Freiburgs Thoren eine mörderische Schlacht. Dsa
kaiserlich-baierische Heer betrat den Rückzug, welchen Jobann v. Werth
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704 Rosmann u. Ens: Geschichte von Breisach.
deckte, indem er bei St. Peter den Feind zurückschlug (S. 417}. Die-
ses war das letzte Kriegscreigniss , das vor dem Westphälischeu Friedet
(1648) Breisach näher berührte. Die Ruhe, Ordnung und Wohlfahrt
der Stadt wurden von jetzt an nur durch die WiUkübrherrscbaft der bei-
den sich feindlich widerstrebenden Befehlshaber Erlach und d'Oisonrüle
gestört. Merkwürdig ist, daas die Mutter des unmündigen Ludwigs XIV.
•Is Regentin sich jeder Beeinträchtigung der Katholiken, welche sich Er-
lach herausnahm, beharrlich widersetzte (S. 419). Der Friedenschluss
von Münster überliess nebst dem Sundgau und Elsass auch die Festung
Breisach mit einigen Dörfern auf dem rechten Rheinufer an Frankreich,
dessen stolzer Hohn Uber Deutschlands Schmach sich an dem vom Mar-
schall Vauban vor der Rheinbrücke von Breisach erbauteu Thor prahle-
risch aussprach. Hier waren die Flüsse Rhein und Donau, von dem mit
dem französischen Wappenschild gezierten Kriegsgott gefesselt dargestellt
mit der Unterschrift: Limes er am Gallis, nunc pons et janua fio; si per-
gunt Galli, nullibi limes erit (S. 426). — Auch der pyrenäisebe Frie-
densschluss 1659, und der von Aachen 1668, änderten nichts an Brei-
snchs Schicksal. Als 1672 eine mächtige Verbundung gegen Ludwig s XIV.
Ehrgeiz sich bildete, schöpfte Breisach neue Hoffnung, wieder deutsch zu
werden. Der Küoig kam 1673 selbst dahin mit prächtigem Hofstaat
(S. 428). Der Krieg brach aber aus. Dem Turenne stand Montecncnli
entgegen. Der erstere fiel am 27. Juli bei Sasbacb, bald darauf Vauban
bei Altenheim. Crequi gelang es jedoch, im Nov. 1677 Freiborg ein-
zunehmen. Der Friede von Nimwegen 1679 bebess Breisach abermals im
vorigen Stand. Nur wurde jetzt hier ein oberster Gerichtshof für die
Deutschen errichtet, die bisher an den zu Metz appelliren mussten (S. 431).
Zugleich wurden aber in Breisach, Metz und Besancon Kammern gebil-
det, um alle Gerechtsame, die noch in deutscher Reicbsverfsssuog aich
gründeten . den Friedensschlüssen zum Hohn, zu unterdrücken. Strasburg
wurde mit Gewalt in Besitz genommen. Ein neuer Krieg war die Folge
solcher Willkühr, und der Friede von Ryswik, der ihn beendigte, be-
stimmte den Rhein als Frankreichs Gränze, wodurch Strasburg ihm zufiel,
aber nebst Freiburg und Kehl auch Breisach wieder an Oesterreich kam.
Doch verliessen die Franzosen die letztere Stadt nicht, bevor die ihr ge-
genüber von Vauban erbaute Festung Neu-Breisach vollendet war (S. 433).
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Mr. 45. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜGHER DER LITERATUR.
Kohiiiuihi lind £nsi Geschichte von BrelSACh.
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(Scilla»».) .,
Im spanischen Erbfolgekrieg fiel Alt-Breisach, weil schlecht verthei-
digt, abermals in die Gewalt der Franzosen. Bin Versuch der Kaiserli-
chen, der Stadt wieder habhaft zu werden, misslang. Erst der Friede von
Rastatt stellte Alt-Breisach Oesterreich zurück (S. 435— 438). Kaiser
Karl VI. Hess die durch die Franzosen vor ihrem Abzüge zerstörteo
Festungswerke herstellen, und auch den Eckartsberg mit einem neuen ver-
seben. Dies kam Alt-Breisacb in dem 1733 wieder abgebrochenen
Kriege wohl zu Statten (S. 439). Aber kaum hatte die Stadt Maria
Theresia gehuldigt, so sah sich diese durch den im versehenen, zwi-
schen Preusaen und Frankreich verabredeten Ueberfall vermüssigt, Brei-
sachs Festungswerke schleifen zu lassen, damit sie nicht den Franzosen in
die Hände fielen (S. 440 f.). Im Jahr 1751 erfreute die Kaiserin die
Stadt mit der Stiftung eines Frauenklosters für Erziehung weiblicher Ju-
gend (S. 442). Die französische Hevolutiou brachte ihr aber Verderben.
Die Schreckensregierung befahl 1793 Breisachs Zerstörung. Am 15. Sept.
bei einbrechender Dämmerung begann von Neu -Breisach und Fortmortier
aus eine furchtbare Bombardirung der Stadt und dauerte vier Tage und
fünf Nächte. Ref. war, damals zu Feldkirch im Breisgau weilend, Augen-
zeuge dieses tragischen Schauspiels. Vom dasigen Landschloss sah man
jede Bombe und jeden Pechkrauz aufsteigen und jeden Brand aufleuchten,
»fr dem sie Alt-Breisacb entzündeten. Besonders schauerlich war dieser
Anblick bei Nacht. Die ersten Gebäude, die in Flammen gerietben, waren
das Franciskanerkloster mit dessen Kirche, wo auch das von Ludwig XIV
ihr geschenkte Altarbild von Rubens verbrannte, und das Zuchthaus. —
Schnell folgte nnn ein Brand auf den andern, bis die ganze Stadt Eine
Brandstätte war, davon dunkle Rauchsaulen längs den Berghttgeln des
Kaiserstuhls sich bis Freiburg hinzogen. Die meisten Breisacher hatten
sich, als die Beschiessung sie überraschle (e.« war ein Sonntag), nichts
Arges ahnend, zum Abendmahl niedergesetzt. Wohl hatte sich am Tag
zuvor eio dumpfes Gerücht verbreitet, dass die Neufranken sich zu einem
Einfall ins Breisgau anschickten. Aber die Verwandlung einer ganz of-
XL1V. Juhrg. 5. Doppelheft. 45
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706 Rosmann u. Ens: Geschichte von Brebach.
fenen Stadt wie Breisacb in einen Schutthaufen war ein Unternehmen,
dessen Beweggrund ein Rathsei blieb. Io der Verwirrung des Schreckens
suchte Jeder nur durch eilige Flucht sein Leben zu retten. Wenige Häu-
ser blieben verschont. Von den Kirchen widerstand einzig das Münster
der Gcwatt des Geschützes. Doch fiel auch hier eine Bombe durch ein
Fenster, wobei die Orgel zerschmolz und die Seitenaltära verbrannten. —
Nachdem die zerstreuten Einwohner sich wieder gesammelt, und, durch
milde Beitrage unterstützt, sich auf den Trümmern neu angesiedelt hatten,
wurde die Stadt 17*6 von den Franzosen besetzt nnd mit Schanzen um-
geben. Die Einwohner durften nicht über diese hinausgehen, um ihre
Feldfrüchte einzuernten. Die benachbarten Gemeinde« bewaffneten sich,
besorgten die Ernte für die Breisacher und brachten sie in sichere Ver-
wahrung. Auch griffen sie den Feind in seinen Verschanzungen an und
ineben ihn über den Rheio. Nun wurde aber Breisach aus Fortmortier
beschossen, bis das bewaffnete Landvolk sich wieder zurückzog (S. 447 f.).
Nach der Auflösung des Congresses vou Rastatt 1799 besetzten die Fran-
zosen AUbreisach neuerdings. Sie verschanzten sich und suchten den
Rhein um oje Stadt zu leiten und sie so zur Insel zu machen. Da sie
tat» lieb die benachbarten Dörfer brandschatzten nnd plünderten, errichtete
das Landvolk auch seinerseits Verschanzunffen. und scblu? die feindlichen
lehfirfälle, mit den Waffen zurück. Wachtposten wurden aufgestellt, d.e
ßeweguogcu des Feindes von dem Kircblhurm von Roth weil aus beobach-
tet und; durch Trommelschlag und Slurmgeläut die Bewaffneten zusammen-
berufen. Diese SelbslvtrUieidigung wahrte beinah ein, halbes Jahr (S. 449.).
purc|, dep frieden von Ll^nevilU (9. Febr. 18Q1) werde der Thal-
weg des H he ins zur Gränze bestimmt, und die Abtretung des Breisgani
an den Herzog von Modena bestätigt. Aber schon im Jahr 1805 brach
der Kr^eg wieder aus, und durch den Pressnurger Frieden vom 25 Dez.
wurde das Breisgau mit Breisach Baden einverleibt (S. 452). — Spa>
tere Ereignisse sind in dem Buche nur mit spärlichen Worten angedeutet.
Dahin gehört vorzüglich die Herstellung einer fliegenden Brücke Uber den
Rhem. Bei diesem Anlass wären auch einige Nachrichten von den Bau-
ten zur Abwehr der Rheinflutben vom rechten tl£er, von dem Fischfang
nnd d^ttj Hendel^veijbÄltüisseu Breisacbs erwünscht gewesen. Der Vera«
uigung cjes Zehnts innerhalb der Slsdlgemarkung mit dem PfnrranM, wo->
durch «ein Einkommen bedeutend verbessert wurde, wird gar nicht ge-
dacht, obwohl sie zum Vortheil der Stadt gereichte. — t Per Anhang
enthalt nebst einigen Gedichten des Heisters Walter von Breuach, en
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Kaltenborn: Geschichte des Natur- and Völkerrecht* 90f
paar noch ungedruckte Urkunden von 1050 and lt74 und ein Ver-
leiebniss von andern im Stadtarchiv noch vorhandenen.
Im Ganzen gebührt diesem ersten Vermach einer umständlichen Dar-
stellung der Schicksale einer Stadt, die durch ihre Lage Jahrhunderte
lang für Deutschland von der gröseten Wichtigkeit war, das Lob einer
fleissigen und wohlgelungenen Arbeit. Wirklich ist Herr Prof. Ens mit einer
ähnlichen Geschichte- der Stadt Bregenz, die er jetzt bewohnt, beschäf-
tigt. Höge ihm auch dafür reichliche Unterstützung mit urkundlichen Nach-
richten zu ThQil werden!
Constanz. J. II. v. *I egaeiiberfc, -m
Die Vorläufer des Hugo Groiius auf dem Gebiete des Jus nalutae ei
gentium sotrie der Politik im Reformationszeitalter. Von Carl
ton Kaltenborn, Doctor und Docent der Rechte zu Halle.
Abtheilung f. Literarhistorische Forschungen. S. 250. Abtheilung lt.
Krttische Ausgabe der Autoren, S.
Auch unter dem Titel:
Zur Geschichte des Natur- und Völkerrechts sowie der Politik. Von
Carl ton Kaltenborn. Erster Band: Das Reformations-
Zeitalter cor Hugo Grotius. Leipzig. Gustat) Mayer. 1S48.
Das vorstehende Werk, das schon vor einigen Jahren erschien,
verdient noch immer eine ausführliche Besprechung, da es für die Literar-
geschiohte des Natur- und Völkerrechts vor Grotius bahnbrechend ist.
Während man sich bisher über diesen Zeitraum meist mit einigen , tiööb
dazu mehr negativen Allgemeinheiten hinweghalf, wird nun hier der Ver-
such gemacht, das positive Material, das in einem Haufen unbequemer,
dieker alter Schweinsleder schlummerte, in zugänglicher Form darzustel-
len. Von der Mühseligkeit des Unternehmens können sich nur die eine
Vorstellung machen, die jene Literatur kennen, und das dürften eben nicht
gar Viele sein. Diese aber werden dem Verf., obschon lächelnd, doch
gerne die Stossseufzer verzeihen , in die er mehrfach fiber die bösen
alten Drueke mit ihren beillosen Abkürzungen und die „entsetzliche" Weit-
schweifigkeit der Schriftsteller ausbricht. Sie werden nur fragen: Was
»I durch diese Mühwaltung zu Tage gefördert, ist das Material inWrbaW
der bestimmten Grenzen genau and erschöpfend gegeben, ist dasselbe auch
gehöfi* wartetet und in* Licht gesetzt?
45*
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708 Kaltenborn: Geschieht« de« Katar« und Völkerrecht!.
Uebenehen wir zuerst den Inhalt. Das Werk zerfüllt in zwei Ab-
theilungen: die erste enthält die literarhistorischen Forschungen. Kap. 1
(8. 3—28) gibt eine kritische Lei. ersieht der bisherigen Bearbeitungen
der naturrechtlichen Literorgeschichte und setzt Bedeutuog, Aufgabe und
Umfang unserer Schrift auseinander. Kap. 2 bringt auf 50 S. die Grund-
lage der ganten Literargescbichte des Naturrechts. Kap. 3 bandelt von
dem Einfluss der Reformation auf die Entwicklung der Wissenschaften
des Natur- und Völkerrechts und der Politik. Kap. 4 bespricht die bis-
herige Berücksichtigung der Vorläufer des Grotius. Kap. 5 schildert
die letzteren im Allgemeinen und handelt dann die Politiker des Refor-
mationszeitalters in sechs Reihen auf 15 Seiten, freilich in äusserit
dürftiger Weise ab. Kap. 6 bietet dann eine ziemlich ausführliche
f f>7 Seilen "i Darstellung der bedeutendsten katholischen Vorläufer des Gro-
tius auf dem Gebiete des Jus naturae et gentium. Es sind die folgenden
ausgewählt: Vasquez, Connan, Covarruvias, Suarez, Lud. Moline, Lessius,
Pom. Solo, Bolognetus. Auf diese folgt eine kurze Musterung der vor-
grotianischen Schriftsteller Uber Kriegsrecht und Yolkerv ertrage , wo je-
doch nur Ayala eine nähere Erörterung zu Theil wird, die Uebrigen bloss
mit ihrem Namen uud Werken verzeichnet sind. Kap. 7 ist den prote-
stantischen Autoren des jus naturae et gentium gewidmet, von denen Lu-
ther, Uelanchthoo, Stephani, Meissner, Albericus Geutilis, Oldendorp, Hem-
ming und Winkler einzeln characterisirt werden.
Iiier schliesst die erste Abtbeilung des Buchs. Die zweite entfallt
einen Abdruck der selten gewordeoeu Werke von Oldendorp, Hemmiog
und Winkler, mit Hin weglassung der Citate, Controversen und Ausfuh-
rungen, die dem Herrn Herausgeber überflüssig erschienen. Von den in
Gänsen 148 S. dieser (besonders paginirten) Abtbeilung kommen nur 44
auf die zwei erstgenannten Schriftsteller, die übrigen auf Winkler.
Indem wir nun auf die wichtigeren Abschnitte der ersten Abtbei-
lung näher eingehen, wenden wir una zuerst su Kap. 2. Der Herr Verf.
meint, ein kurzer Abriss der ganzen Literargescbichte des Naturrechts
werde als Eiuleituug zu deu Vorläufern des Grotius angemessen, wenn
nicht notbweodijr erscheinen ('S 27\ Diess zuffeffeben. zeiut sich doch
in der Art der Ausführung ein Missverbaltniss, das schon äusserten her-
vortritt, indem hier dem Alterthum und Mittelalter nur etwa 20, Grotius
und der späteren Literatur des Naturrechts aber 30 Seiten eingeräumt
sind. Für das Verständnis; der Vorläufer des Grotius ist die Dar-
stellung des Alterthums und Mittelalters von er st er Wichtigkeit, nur für
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die Würdigung jener Schriftsteller im Zusammenhang der gan-
zen Botwickelung ist die Bekanntschaft mit der spateren Lebre nothig.
Hier würde aber eine sehr allgemein gehaltene Skizze völlig genügt ha-
ben. Der Verfasser lässt sieb noch zu sehr auf einzelne verhältnisstnäs-
sit; untergeordnete Schriftsteller ein und hebt dagegen die Hauptzüge der
Entwicklung nicht scharf genug hervor. Indess würde man ihm über-
haupt die ganze Nachweisung das Zusammenhangs der „Vorläufer" mit
dem späteren Naturrecht gern erlassen, wenn er dafür nur die Grundla-
gen, die jene Vorläufer von ihren Vorlaufern überkommen haben, gründ-
licher dargestellt hätte. Die Vorläufer des Grotius auf dem Gebiet des
jus naturae et gentium stehen nämlich nicht so selbständig and isolirt
da, als dass sich nicht ihre Ansichten nach Porm und Inhalt grossentheils
auf gewisse gemeinsame Quellen zurückführen liessen. Von deo prote-
stantischen Vorläufern gilt diess tbeilweise in geringerem Grade, indess
selbst noch von Grotius in höherem als man gewöhnlich glaubt. Jene
Quellen sind besonders Aristoteles, das christliche Dogma, das Corpus juris
civilis et canonici. Indess kommen deo Vorläufern diese Elemente nicht
mehr rein, sondern in der Appretur zu, die sie einerseits durch die
Scholastiker, anderseits durch die Civilisten und Canonisten erholten haben.
Je nachdem die Vorläufer nuo Theologen oder Juristen sind , halten sie
sieh mehr an die scholastische oder an die juristische Tradition. Ohne
Keootniss dieser Traditionen und weiterhin der Elemente, aus denen sie
hervorgegangen, ist kein rechtes Verstfindniss der Vorläufer möglich, und
es ist desshalb ein wesentlicher Mangel dieses Buchs, dass der Verfasser
so wenig auf das eingeht, was die Vorläufer von dem Mittelalter über-
nommen. Unserer Meinung nach mussten mindestens die hieher gehöri-
gen aristotelischen Grundbegriffe gehörig erläutert werden, ohne welche
die Scholastiker und folgeweise die Späteren, ja zum Theil Grotius, un-
verständlich bleiben. Ohne z. B. deo Unterschied des opuoet und vöfjuo
tfxaiov bei Aristoteles richtig gefasst zu haben, nämlich ols Biotheilong
der gerechten Dinge (Handlungen, Einrichtungen u. s. w.), nicht
der Normen, des Rechts im objectiven Sinn, bleibt es ganz un-
klar, warum der heil. Thomas und später noch Lessius und Suarez u. A.
sagen, jus sei gleich justum, i. e. opus jus tum, und noch Grotius
als erste Bedeutung von jus anfuhrt: „nihil aliud signifieat, quam (id)
quodjoatumest.tt Dann war mindestens die Lehre des b. Thomas,
als Haeptreprfisentanten der Scholastiker, grüodlich daranstellen. Ferner
bedurfte es einer Darlegung der Begriffe und Ansichten, welebe Civilisten
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7tO , Kaltenborn: Geschichte des Ketor- und Volkerrechts.
und Canonislen auf den Stellen des jus civile und canonicum über das
jus natura* and gentium entwickelt hatten, wobei auch geteilt werdet
musste, wie die Interpretation zu solchen Resultaten hatte führen köneen.
Yiele Begriffe des jus natura« et gentium vor Grotius verdanken ja deo
Civilisten und Canonislen ihren Ursprung, z. B. der des jus gentium se-
cundaria, von dem Ompteda meint, er trete zuerst bei Va?quez auf, der
sieb aber schon 200 Jahre früher bei ßartolus findet und sieh noch bis
nach Grotius gehalten hat. Der Verfasser erwähnt nun «war den Aristo-
teles, aber er thut ihn in einer Note von 12 Zeilen ab, wovon ich das
Wesentliche hersetze: „Das Haupt verdienst des A. — — scheint
in seiner bestimmten Unterscheidung von einem natürlichen und einem
positiven Gesetz zu bestehen. Uebrigene setzt er die
Gerechtigkeit in einen habitus anirei, quo ad res jestas garendes bovines
efficiuntur idoaci. Er unterscheidet zwischen justitia universalis, eis dem
Inbegriff aller Tugenden (!!), und juülitia particularis, welche
sieh mehr auf das eigentliche Recht bezieben lisst (!),
und wiederum zerfallt in commoiativa und distributiv«.44 Alles buchst
unbestimmt, ungenau und ungenügend.
Dem b. Thomas bat der Verfasser allerdings eine Betrachtung roo
3 Seiten gewidmet. Aber wie durchaus uubefi iedtgend, ja zum Theil un-
richtig ist das, was er Uber diesen Mann sagt, von dem er doch aner-
kennt (S. 45), das« «die nachfolgende Literatur bis aa den Anfang des
Jahrhunderts heran wenigstens in einer gewissen Richtung sich im
Wesentlichen auf seinen Ansichten auferbaut. ': Allgemeine negative Sätze,
wie, dass Thomas Recht und Moral nicht scheide, dass sich bei ihm keine
„fundamentale Anerkennung des Rechts der Persönlichkeit44 finde, konnten
hier nicht genügen. Vom Verfasser war man eine Darlegung der posi-
tiven Conatroctioo des ethischen Gebiets bei Thomas zu erwarten berech-
tigt Da er nun sich einer solchen Darstellung entzogen, musste er die
Antwort auf die einfachsten Fragen schuldig bleiben, z. B. auf die nahe-
liegende, warum denn Thomas von den leg es in der Prim. See. und
dann noch einmal in der See. See. der Summa TbeoL, und zwar bei
Gelegenheit der juatitia, vom jus bandele. Freilich hat das Verhaltma
des Thomas seine Schwierigkeiten; allein man sollte alebt diese durch
Redensarten, wie die folg eu den : „die weitere Paraphrase ist wahrhaft
scholastisch, spitzfindig und ohne Werth, die Erklärung ist sehr undeut-
lich, die Unterscheidung ist spitzfindig44 (S. 43—45) — beseitige«. Mit
solchen Wendungen aber glaubt der Verfasser sieh zu rechtfertigen, wenn
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Kaltenborn: Geschichte des Natur- und Volkerrechts. 711
er von einer eingehenden Erläuterung der Begriffe lex aeterna, naturalis
und humane, namentlich der verschiedenen Arien der lex naturalis, die
Thomas unterscheide!, sodann der Gegensätze jus naturale und positivum,
jus naturale und gentium und des Verhältnisses dieser Arten des jus zu
jenen leges Umgang nimmt. Freilich würde er auf diesem Wege schliess-
lich oft Unklarheiten und Widersprüchen begegnet sein. Wer jedoch die
Unklarheiten und Widersprüche relativ bedeutender Schriftsteller zu ver*
folgen für überflüssig hielte, müsste darauf verzichten, sich mit der Ge-
schichte irgend einer Wissenschaft zu befassen. Um aber die Darstellung
der Lehre des Thomas, so weit eine solche nicht abgelehnt ist, zu
cbarakterisiren, wird die Hervorhebung einea Beispiels genügen. S. 43
hm tarnt mo Tknman nnln.rnl.ni »uiLiik«! I.« rw, rw. _ Miimt ..Ii. mtmiA Lnailtna
ücrssi es, inomas umersciieiac zwiscnen lex aeterno, naturalis unu numano.
S. 44 wird so fortgefahren: „Uebrigens unterscheidet er sioh i0 der See,
See. für die Einlheilung in jus naturale et positivum." Diese lisst sich
nicht wohl anders als so verstehen, dass diese Einlheilung bei Thomas
eine Eintheiluug des objectiven Rechts und das jus mit der lex gleich-
bedeutend, alto z.B. jene lex naturalis gleich dem letztgenannten jus
naturale sei. Wirklich meint diess auch der Verfasser. Er scheint
nämlich ganz übersehen zu haben, dass das jns, von dem in der See. See.
gebandelt wird , durchaus vorschieden ist von der lex , die in der Prim.
See. besprochen und mitunter auch jus genannt wird, dort aber keines-
wegs objectives Recht, sondern res justa, opus juitum bedeutet* Der
Unterschied von jener lex und diesen) jus ist so gross, data z. B. Stahl
(Gesch. d. Rechtsphil., S. 55}, der dem Verfasser doch eine Autorität
ist, sagt, zwischen beiden bestehe auch nicht der entfernteste Zu«
sammenhang, was uns freilich wieder zu weit gegangen seheint. Also
einer der eigentümlichsten Beg rille des Thomas, der, wie schon auge-
deutet, auch spater noch immer eine Rolle spielt, ist de* Verfasser völ-
lig entgangen.
Dasjenige endlich, was die Erklärer des römischen und canoniseben
Rechts zur vorgrotianischen Theorie des Natur- und Völkerrechts beige-
steuert, wird gänzlich unerwähnt gelassen.
Gehen wir nun an die Betrachtung des Kap. 6, das die katholi-
schen Vorläufer nmfasst. Die Art der Behandlung lusst sich nicht besser
bezeichnen als mit des Verfassers eignen Worten S. 188: „-*- — ;
& ist mir troU mancher Versuche nicht möglich gewesen, die Meinungen
jedes einzelnen Autors zu einem bestimmten systematischen Ganzen zn-
sammenzuschliessen. Der Grund des Misslingens dürfte auch nicht (sowohl)
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712 Kaltenborn: Geschichte des
io meiner Ungeschicktheit, alt einiig und allein darin zu lochen sein, dass
keiner von allen diesen Schriftstellern ein eigentliches System bat, son-
dern jeder nur aphoristische Sätze aufstellt, die häufig miteinander nicht
recht im Einklang, ja oft im Widerspruch stehen und wenigstens niemals
so vollständig ouf die Details angewendet sind, um daraus ein abgerun-
detes Ganzes coustruiren zu können. Wollte ich demnach den eigentüm-
lichen Geist jedes Autors wirklich geben, so durfte ich gar nicht streng
Systematiken . Ich musste mich demnach, um der histori-
schen Wahrheit zu genügen, damit begnügen, die einzelnen Behauptungen
möglichst nach einer übersichtlichen Ordnung vorzutragen. Endlich
ist es auch unmöglich gewesen, die Theorien der einzelnen Autoren un-
ier einander in eine systematische Verbindung und Entwickelung zu setzen,
so dass die einzelnen etwa Stufen, Modißcationen einer organischen Ent-
faltung bilden möchten. Denn jeder Autor steht isolirt da, sucht die
mittelalterlichen Ansichten nach seiner Individualität, darum rein
zufällig und willkürlich zu benutzen und zu verarbeiten, einmal mit cita-
tenmässiger Benutzung, keiner wahrhaften Durchdringung und
seiner Zeitgenossen, und sodanu mit
neuen Ideen der Reformation, die aber sehr schwach i&t.u In diesem
letzten Satze tritt der Fehler der Behandlung recht hervor. Der Verfas-
ser erkennt also an, dass alle diese Autoren etwas Gemeinsames
an den „mittelalterlichen Ansichten" haben, die sie „benutzen
und verarbeiten." Hieraus folgt aber, dass diese mittelalterlichen
Ansichten, d. h. eben jene juristischen und scholastischen Traditionen, wie
wir sie genannt haben, gründlich darzustellen waren, wonach dann bei
den einzelnen Schriftstellern wesentlich nur die weitere Entwickelung oder,
am mit dem Verfasser zn reden, Verarbeitung jener Ansichten zu'
folgen blieb. Auf diese Weise hatte der Verfasser einen Faden
nen, der das Ganze zusammenhielt und der es zugleich möglich machte,
dal, was Grotius und die Späteren von den Vorläufern übernommen ha-
ben, recht zu verstehen und zu würdigen. Dadurch, dass der Verfasser
diesen Weg nicht eingeschlagen, ist das ganze Kapitel ohne Einheit und
ihang; wir haben anstatt einer Darstellung der Theorie des jus
le et gentium im Reformationszeitalter nicht viel mehr als eine Samm-
lung von allerdings meist übersichtlich zusammengestellten Excerpten aus
einzelnen Werken jener Zeit. Ferner führt diese Methode zu unnützen
.Schriftstellern Gemeinsamen und zu IM«
als diese verdienen. Wi
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Kaltenborn: Geschichte de« Natur- and Völkerrecht«. 71S
i. B. Thomas auf 9 S, dürftig behandelt wurde, sind dem Soto, dar
gerade in den vom Verfasser zusammengereibten Stellen kaum etwas
Anderes als eino Paraphrase des Thomas gibt, 1 1 S. eingeräumt. Da«
Schlimmste aber ist, dass nun doch die Excerpte nicht einmal genügen,
um ßich ein vollständiges, einigermassen zusammenhängendes Bild der An-
sichten der einzelnen Schriftsteller auch nur zusammenzusetzen. Manche ha-
ben gar nicht ex professo über jus naturae et gentium geschrieben. Ihre
xerstreuten Aeusserungen darüber konnten also nur durch die allgemeine
mittelalterliche Tradition, die der Verfasser so gut wie nicht dargestellt,
ihre rechte Ergänzung finden. Bei allen aber konnte die Einsicht in die
innere Verknüpfung ihrer Ansichten nur dadurch vermittelt werden, dass
der Verfasser die Grundbegriffe und deren Verhflltniss zu einander streng
verfolgte. Br meint nun zwar, diese Schriftsteller hätten kein System,
sie stellten nur aphoristische Sätze auf, und um also den eigentümlichen
Geist eines jeden wirklich zu geben, habe er nicht streng systematiairen
dürfen. Allein wenn er überhaupt einen Geist jener Autoren anerkennt,
so moss er auch einen Zusammenhang jener ongeblich bloss aphoristischen
Satze zugestehen, mag er diess nun System nennen oder nicht, und um
jenen Zusammenhang aufzuweisen, musste er mindestens die Grundbegriffe
gehörig erläutern. Aber nirgends in dem ganzen Buche findet sich
eine genügende Erörterung der Begriffe: lex aeterna, naturalis, human«
— jus naturale, positivum, humanuni, divinum, gentium, civil«, ihrer ver-
schiedenen Unterabtheilungen, ihrer Beziehungen zu einander, ferner der
Begriffe : justitia universalis und parlicularis, commutativa und distributive
Oft genug werden alle diese Begriffe erwähnt und zum Tbeil die Wort«
der Schriftsteller darüber citirt, aber nicht ein einziges Mal werden sie
in ihrer ganzen Bedeutung und in ihrer Wechselbeziehung wirklich er-
läutert. So haben wir denu hier in der Tbat nur eine geordnete Zu-
sammenstellung von nicht einmal recht verständlichen Aphorismen, die Einem
unter den Händen zerbröckeln.
Aber auch die Ordnung der Aphorismen aus einem Schriftsteller
ist mitunter sehr unordentlich. Es folgen z. B. S. 126 die Excerpte aus
Vasquez so auf einander: „Nach Naturrecht bestehe eigentliche Güter-
gemeinschaft : gegen das Meum und Timm spricht er sich vielfaltig aus.
Man müsse in jedem Gesetz auf den Geist, nicht auf die Worte sehen.
Das dominium mündi verwirft er aus Gründen der Vernunft etc.tt
Ferner ist die Ordnung der Schriftsteller eine unangemessene. Wenn
sie der Verfasser in der Reihe: Vasquez, Connan, Covarrovias, Suarez,
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*! 4 Kaltenborn Geicbicble des Katar- auf] Völkerrechte.
Molina, Lessius, Solo, Bolognetus bringt, 80 ist diess entschieden gegei
die Chronologie, und folglich, da der Verfasser keine Scheidung »od
Groppirong nach bestimmten Kategorien oder Richtungen vornimmt, nicht
lu rechtfertigen. Soto ist der früheste unter den Genannten, und wird
fast von allen übrigen , namentlich schon von Covarruvias , beoutzt , auf
den wiederum Vasquez Rücksicht nimmt. Suarez citirt schon den Bo-
logoetus. Wenn der Verfasser S. 158 sagt, er habe absichtlich den
Soto erst uacb Lensins uud Moliua gestellt, weil er, obscboo früher, von
grösserer Bedeutung sei, so ist diess eben die verkehrte Welt-*
numljcb auf diesem Gebiet, denn iu anderen Füllen ist es ganz in der
Ordnung, dass man das Bedeutendste zuletzt bringe, z. B. wenn man
Jemanden eiue Raritätensammlung zeigt. Soto's Bedeutung besteht übri-
gens darin, dass er den Thomas am ausführlichsten commentirt ; an diesen
schliessi er sieb unmittelbar an und musste schon desshalb an die Spitae
gestellt werden.
Nicht minder zeigen sich in unserem Kapitel, wenn wir es noch
als blosse Alaterialiensammlung betrachten, manche Unrichtigkeiten ond
Ein häufig sehr störender Mangel ist es, dass der Verfasser meist
die Angabe, oder wenigstens die genauere Angabe der Beweisstellen aus
den Schriftstellern versäumt. Ganze Kapitel, ja ganze Bücher in Bausch
und Bogen zu citiren oder nur die Seitensabi der gerade vom Verfasser
benutzten Ausgabe, anzuführeo, ist hart gegen den Leser.
Voo den Illustres Controversiae des Vasquez kennt der Verfasser
(s. 125) nur 8 Bücher, indess gibt es noch einen zweiten Tbeil, „Se-
cunda Pars tres posteriores libros continens." Mach Ompteda S. 166
scheint es sogar noch 3 weitere Bücher zu geben, die mir indess nicht
XII Gösiclit gekommen siodL
Ueber denselben Vasquez beisst es ebendaselbst: „Von dem jus
Dat. sagt er: Nil aliud esse quam rectum ratiooem ab ipsa nativitate et
origine humano generi innatam. Das jus nat. heisst auch jus gent. pri-
maevnm.« Allein diess ist ungenau. V. unterscheidet (z. B. Pars I. c
41. n. 29. 30) jus nst. prout omnibus animslibus competit von dem jus
*ut. prout eompetit solis hominibus, das er auch jus gent. primaevum nennt
Ferner berichtet der Verfasser S. 126, nach V. sei dss jus gent.
ursprünglich jus civil e bei einem bestimmten Volk, pflanze sich von da
fort zu andern Völkern und werde so jus gent. Hiernach wäre
also das jns gent. als solches jünger als das jus oivile.
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Kaltenborn: Gerichte de« Natur- und Völkerrecht*. 715
So spricht sich Allerdings V. an mehreren Stellen, z. B. e> 41. c. 89.
b. 23 IT. c. 54. n. 2 — 6. aus. Aber an ander« Stellen, l B. c. 10.
o. 22., wo er die von den Civilisten ausgebildete Theorie der Iria tem-
pore juris vorträgt, weist er das jus gent. dem aweiten, das
jus civile dem dritten tempus an. Diese ganze Theorie der tria
lempora hat freilich der Verfasser überall nicht berücksichtigt und den
Widerspruch, in dem sich V. befindet, gar nicht beachtet.
Von Covarruvias beisat es S. 132 a. E.: „Auch wird dem Natar*
recht eine grosse Kraft eingerüumt und behauptet: idquod contra ratio-
Den naturalem statutum est, non polest tirmum esse nee validdm, etiamsi
s principe aupremo statuattlr. Indessen wird es hiermit nieht so genau
genommen. Er Gndet z. fi. die Theilung dea Eigenllmms, die Sklaverei
iu gewissen Füllen völlig in der Ordnung." Wer es aber hier nicht ge-
nau genommen bat, das ist der Verfasser. Er stellt die Sache so der,
ils ob sich CoV. geradezu selbst widerspräche. Allein er hat gsnz über-
sehen, dass Cov. das jus nat. „positivus" i. e. qnod positive jubet
aal vetat, unterscheidet von dem jus nat. „negativ um", rjuod nec jubet
nee vetat aliquid. Das erste ist ihm unabänderlich, nicht so das zweite.
Zu diesem jus nat. negativum rechnet er nun die primaeva rerum com-
aiunio und hominutn überlas. Er meint oümlich, sie seien etwas im „sta-
tt» natura e- sich von selbst Ergebendes und diesem angemessen, ohne
voa dem jus nat. unbedingt geboten zu sein. Sie können also auch
aufgehoben, getheilles Eigenthum und Sklaverei eingeführt werdet. Pttr
4*e Unterscheidung des jus nat. positivum und negativum beruft sich Cov.
(ad reg. Peccatom. Par. 11. n. 2.3.) auf Thomas Prim. See q. 94. a. 5,
wo dieser sagt, in einem z weifachen Sinn werde Etwas zum jns nat. ge-
rechnet „uno modo, quin ad hoc inclinat natura, sicut non esse inju-
ria« alteri faciendam: alio modo, quia natura non inducit contra-
rinn — — et hoc modo communis omnium possessio et om-
ni um uon libertas dicitur esse de jure naturali: quia sc. disliuetio
possessorium et servil us non sunt indnetae a natura, sed per homi-
nuru rationem.1- Diese ganze wichtige Unterscheidung wird, so v»? ieh
mich entsinne, vom Verf. in seinem ganzen Buche nicht ein einzigeamal
er läutert. Möge er aus diesem Beispiel entnehmen, wie erspriesslicb eine
gründliche Behandlung des Thomas gewesen sein würde. Noch Grohns
schreibt an seinem Bruder Wilhelm (Grot. Epist. Amst. 1687 Append. u.4):
-Sunt quaedat», qtme dicuntur juris naturalis conoeasiv«, non pria-
ceptive, b. e. quia manendo in tnrminis naturalibna res ita
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716 Kaltenborn : Gebuchte des Natur- und Völkerrecht*.
fe habeat, et haec mulari omnino possunt, quia lex nulla
obstat, ut rerum communio, übertat singulorum Domi-
num, sed haec juris nomine improprie appellantur."
Der Abschnitt Uber Biolina ist besonders mangelhaft. Ueberall wird
das der Erläuterung Bedürftige ohne solche woblgemuth hingestellt, uad
die Darstellung ist so verwirrt und falsch, dass man vermuthen tnuss, der
Herr Verf. habe Mol. nur sehr flüchtig gelesen. S. 145 beschreibt er
die justitia im Sinn des »1. als die ganze, die Centraltngend , sofern alle
Tugenden eine Beziehung zum Commune bonum, ad rempublicam haben.
Er vergisst von vorneherein zu sagen, dass M. nach Aristoteles die just
universalis und particularis unterscheide und Jenes nur von der universa-
lis gemeint sei. Weiter wird bemerkt: ..demnach erscheint hier schon
das normale Verhalten zum Gemeinwesen als Gerechtigkeit uad die
Norm dafür als Hecht." Allein das ist ja schon von Arbtot. Eth. Nie
V. cap. 1 und Thomas See. See. 9. 58 a. 5. 7. ausgesprochen. Hier zeigt
sich nochmals, wie nützlich ein tieferes Eingehen auf diese gewesen wäre.
Der Verf. fährt fort: „ Doch nimmt er allerdings noch eine andere Ge-
rechtigkeit an, welche nicht jene Beziehung habe und bloss individuell
sei (justitia monastica Im Gegensatz der politica). Das Object
dieser andern justitia, die (nach Arist.) iegolis heisst, sei das justum, das
nicht gleich mit aequum, sed legitimum, quod lege geboten sei.-
Weiter heisst es : „Zuletzt sagt or, in diesem Werke wolle er von der ju-
stitia als Cardinaltugend, justitia particularis, sprechen, deren Gegenstand
das justum - aequum mit dem Gegensatz des iniquum. Doch behauptet er
spüter, er wolle das jus im weiteren Sinn abhandeln." — Wer soll nun
so etwas verstehen? Wie verhalten sich denn nun die just, monastica
und particularis? Was ist denn die politica und das justum - aequum f
Das Alles fleht den Verf. nicht an. Er sagt ruhig S. 146 a. A.: „man
sieht hieraus, dass dem Hol. das juristische Gebiet in seiner Grenze nicht
klar ist." Ueberdiess beruht Alles, was der Verf. von der just, mona-
stica, politica und legalis sagt, auf entschieden irriger Auffassung der kei-
neswegs unklaren Auseinandersetzungen Molina's (de Just, et Jure Tr. L
disp. 1. 2. 8. 12). H. will sich durchaus dem Arist. und Thomas an-
ichliessen. Er unterscheidet also auch just, universalis, die er, wie Jene,
legalis nennt (vrgl. das vom Verf. selbst S. 45 Uber Th. Gesagte), von
der Cardinaltugend, justitia particularis. Von einer just, mooastica und
politica sagt M. kein Wort. Er sagt nur (disp. 1 n. 1), um den Unter-
scfiicd der iiDivörsälis und ji9i ticulsris l\lor t*w rriRclicn • 3t. tuni otJlusooö^*
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Kaltenborn: Geschichte des Natur- und Völkerrechts. 717
que virlutis posse duobus modis spectari: uoo ut quivis, quatenus parti-
calaris quaedam persona est, per prudentiam monasticam eo ope-
retur consone ad rectam rationem altero ut qui cum elicit, bene
eo se habest ad suum tot um bonumque commune, per prudentiamque
politicam ab eo elicit ur , quatenus pars est reipublicae." Daraus ent-
nimmt nun der Verf. eine angebliche just, monastica und, was noch
schlimmer ist, identifleirt sie mit der just, leg« Iis, deren Identität mit
der universalis doch ganz klar aus seinem Citat S. 146 hervorgeht: just
legalis, quae commune bonum reipublicae respicit, ut quam optime se ha-
best, operaque omnium aliarum virtutum in eum finem refert.
S. 147 wird wieder Molina gelobt, weil er schon fühle, dass
das Verhältnis* zwischen Ellern und Kindern, Scleveu und Herren, sowie
unter Ehegatten kein blos juridisches sei, was ganz in derselben Weis«
schon Thomas (See. See. q. 57 n. 4) nach Aristoteles ausgeführt hat.
Suarez erkennt der Verf. als den für das jus gentium bedeutend-
sten Schriftsteller vor Grotius au. Aber das Werk, welches „ vor-
zugsweise hierher gehört44, de Legibus ac Deo legisiatore, ist
Herrn v. K., wie er selbst gesteht, nicht zu Gesicht gekommen 1 — Er
druckt nur ein Citat aus Ompteda ab und muss sich auf dessen irrige
Versicherung verlassen, dieser Passus enthalte das einzige Wichtige (für
das Völkerrecht) in dem ganzen Buche. So blieben denn natürlich dem
Verf. die wichtigen näheren Modalitäten der allgemeinen Auffassung des
Völkerrechts bei S. unbekannt, unter Anderm namentlich der Umstand,
dass S. die Wirkungen der völkerrechtlichen Institute, die schon nach
jus. nat. begründet wären, aus dem jus gentium ins jus. nat. verweist
und dagegen das Völkerrecht durch imaginäre Rechtssatze bereiohtrt.
Vrgl. Lib. IL c. 19. u. 7. 8. So gründet er z. B. auf das Völkerrecht
nicht die Verbindlichkeit geschlossener internationaler Ver-
trage, die nach ihm schon aus jus nat. folgt, sondern die angebliche Pflicht,
solche Verträge einzugehen, nicht die Unverletzlichkeit ange-
nommener Gesandten, sondern die Noth wendigkeit, solche zu-
zulassen. Diese näheren Bestimmungen wären voo um so grösserem Inte-
resse gewesen, als sich die Wirkungeu solcher Anschauung noch bei
Grotius zeigen.
Eine Unrichtigkeit findet sich in der Darstellung des Bolognetus.
Der Verf. sagt S. 180, nachdem er die Worte desselben über die Ein-
teilung des Rechts in naturale einerseits und bumanum s. gentium ande-
rerseits angeführt, für das „erstere ■ passe nach BoL auch der Name
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718
Kaltenborn: Geschichte des Natur- and Völkerrechts.
jus primaevum, sowie für das ..letztere" (also jus humanuni s. gen-
tium) der Name jus secundarium, und dieses, aber auch nur dieses, zer-
falle in commune und proprium. Aliein bei Bol. c. 23. n. 5 siebt gen
klar, dass sowohl das jus primaevum als das secaedtriom Tb eile des
jus humanuni s. gentium seien, und das secundarium wird dann wieder
in commune und proprium gesondert.
Den protestantischen Autoren des jas natvrae et gentium widmet
der Verf. nach Hiarichsens Vorgang eine besondere Zuneigung, die in-
dess nicht stark genug war, am ihn zu bestimmen, das Cap. 7, welches
jene umfasst, befriedigender eis den- vorhergehenden Abschnitt aufzu-
arbeiten. Immer isi hier noch zu viel Excerpt and blosse Inhaltsan-
gabe, eo wenig freie zusammenhängen Hu Darstellung mit Hervorhebung
und Erläuterung das principiell Bedeutenden. Da der Verf. die katholi-
schen Vorläufer nicht gründlich genug behandelt hat, so erklärt es sieh
leicht, dass er die protestantischen, bei dem unleugbaren Portschritt in
der Darstellung, den sie zeigen, zu überschätzen geneigt ist. Viele der
Ansichten, die er ihnen als neu zum Verdienst rechnet, finden sieb schon,
bald mehr bald minder entwickelt, bei den alteren katholischen Schrift-
stellern. Aach zeigt Cap. 7 wieder im Einzelnen beträchtliche Unrich-
tigkeiten. Was S. 240 über die Bedeutung von jas naturae, gentium
und civile bei Winkler gesagt wird, kann Belege für die meisten dieser
Behauptungen liefern. Dort bebst es : „ Winkler faest das Recht prioci-
paeU auf, einmal als jus naturae prius, etwa das Naturatandsreeht im gol-
denen Zeitalter ungetrlbter Menschlichkeit, abstraotes Naturrecht, mit dem
Princip der Liebe; ferner jus naturae posterius s. jus gentium, des Na-
turrecht unter den Bedingungen getrübter Menschlichkeit, mit dem Prin-
cip der prndentia, doch als raUonis lex zu fassen, indem man sich die
Menschen, wie sie wirklich sind, denkt, als zwar noch nicht in einer
staatlichen, doch in anderer (privaten) Gemeinschaft miteinander lebend;
endlich jus civile s. positivem, worunter mau aber nicht particulares,
poaitives Ii echt eines bestimmten Staates, sondern vielmehr,
im Allgemeinen wenigstens, überhaupt das Recht, unter der
Bedingung der Existenz des Staates, also das natürliche öffent-
liche Recht, sowie die Modificatiouen des Privatrechts durch das Staats-
recht zu verstehen bat, M dass also das sogenannte jus naturae posterius
seu jus gentium und das jus civile etwa das nachher sogenannte ange-
wandte, hypothetische Naturrecbt der Naturrechtslehrer dee 18.
JäIij* liu uci^f in (Jeu or&tt^Q d fö ti ^ t2 o bilci&f» Diü ß6$ctir0it)UD^ des JUS
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Kaltenborn: Geschichte des Natur- und Völkerrecht!. 719
Dilorae und posterius seu gentium ist nicht gerade unrichtig, aber man
gewinnt dadurch keine deutliche Vorstellung, was denn ouo eigentlich Wesen
und Umfang des jus naturae und gentium sei. Hier war unbedingt eine nähere
Erläuterung oöthig. Das über das jus civile s. positivem Gesagte ist ganz irrig.
Ei widerspricht nicht nur durchaus den Ansichten, die Winkler S. 130 IT.
(IL Abtheilung} vorträgt, sondern es ist auch an sich auffällig genug.
So viel lieht doch unter allen Umstanden fest, das« das jus positivom den
Gegensatz des naturale bildet. Wie bann nun je ein jus civile s. po-
s i r i v u m — untunlichen, öffentlichen Recht sein? Richtig ist es fer-
ner zwar, dass das jus civile bei Winkler das Recht unter der Bedin-
gung der Existenz des Staats ist, aber wie kann der Verf. hieraus fol-
gern: alao ist es das natürliche öffentliche Recht? Setzt nicht das
jas civile der Römer auch die Existenz der civitas voraus, und beisst ei
etwa desswegen nur oder vorzugsweise öffentliches Recht?
Und was aollen denn dem Leser solche diplomatische Ausdrucke wie:
das jus civile ist „im Allgemeinen wenigstens überhaupt das
Recht u. s. w.?u Dass übrigens das jus civile bei W. wirklich par-
ticulares positives Recht eines bestimmten Staats bedeutet, geht
doch klar aus Stellen WM die folgenden hervor: „Non vocatur pofiti-
vom omne quod quoque modo ab hominibns mventum est, aed quod
publice compositum et promnlgatum fuit, qnodque, cum in
uostra republica approbatur, induit nomen juris civilis" (S. 96};
„Civile est quod civitas posuitetsibi proprium fecit" (S. 121. Abtblg. IL).
U*l die Beschränkung des jus civile aaf das öffentliche Recht wird schon
dadurch widerlegt, dass es bei Winkler &. Hl beisst: „Tom natnrali-
bus quam jnris gentium pcäeceptia admiscentur civiles
Observation«*», defeneionum, solennitatum vel execotiooum modi, cum in
uvitate publice proponuntur. Civilium vero ea natura est, ut
sioe nqturalibus tanquam accidens sine substantia sobsi-
>tere non possiot." Wenn die civilia siue natoralibns sobsistere non
possunt, d. b. wenn sie eben nnr die Determination der natoralia sind,
so können die civilia sich nicht auf das öffentliche Recht beschränken, der
Verf. musste denn behaupten, dass dies mit den naturalis der Fall sei.
Aus dem Gesagten ergibt aioh von selbst, wie falsch es ist, zu sagen, das
jus gentium und civile des W. entsprachen zusammen dem sog. hypothe-
tischen NaturrechL
In der Note S. 241 sagt sodann der Verf.: „Schon in der Unter-
scheidung von jus naturale prius und posterius möchte ich einen Versuch
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720 Kaltenborn: Geschichte des Natur- und Völkerrechts.
zur Scheidung von Moral fprius) und Recht finden ; freilich fasst Wink-
ler das Verbältuiss noch sehr befangen auf." Wenn Herr v. K. in der
Dislinction von jus naturae prius und posterius einen Versuch zur Son-
derung von Moral und Recht erblickt, so lasst sich io gewisser Hinsicht
Nichts dagegen einwenden f wohl aber dagegen, dass er, wie die Note
offenbar andeutet, diese Unterscheidung und diesen Versuch erst von
Winkler datiren will. Io ersterer ist der Saehe nach nichts Neues ent-
halten. Mao vergl. z. B. Covarr. ad reg. Peccat. Par. 11. n. 2. 3. 5.
Vasq. Coetrov. Pars I. c. 10. n. 22. c. 41. o. 40. Bologn. c. 10. n. 1.
n. 10 ff. c. 13 und c. 23. n. 2.
Die zweite Abtheilung unseres Werks enthält, wie schon erwähnt,
einen gekürzten Abdruck der Werke von Oldendorp, Hemming und Wink-
ler. Derselbe rechtfertigt sich selbst, iusofern er die Bedeutung dieser
Schrill* i eller zeigt, welche nicht nur die Resultate der vorgrotianischeo
katholischen Literatur meist klarer und methodischer darlegen, sondern
auch theilweise Neues zu Tage fördern. Dass jeue Werke selten seien,
kann Ref. bestätigen. Er bat sie nie zu Gesicht bekommen. Freilich ist
liebes Ding. Der Verf. will zwar nur das ganz Unwesentliche wegge-
lassen haben. Allein wer verlässt sich in solchen Dingen gern auf frem-
des Urtheil? ladess scheint allerdings in diesem Fall, nach dem
Gegebenen zu scbliessen, das Weggelassene von geringer Bedeutung.
Sollten wir unsere Ansicht Uber das vorliegende Werk zusammen-
fassen, so ist es folgende. Anerkennenswert!» ist an sich das Unterneh-
men des Verfassers. Ihm gebührt gewissermassen der Ruhm des Ent-
decken von unbekanntem Land; er bat auf eine Lücke in der Wissen-
schaft hingedeutet, wenn auch jene durch ihn selbst noch lange nicht aus-
gefüllt ist. Rein materiell, als Ueberlieferung fremder Ansichten betrach-
tet, lasst das Buch öfters Richtigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit ver-
missen. Sodann aber ist das Material viel zu wenig verarbeitet und
durchdrungeo, es fehlt Eiubeit und Zusammenbang der Darstellung, ja es
fehlt die notwendige Erläuterung der vorkommenden Grundbegriff , so
dass in letzter Instanz dieses Buch weder dem Zweck genügt, die vorgro-
tiaaische Literatur gehörig verstehen, noch dazu ausreicht, ihren EinBuss
auf die spätere Entwicklung gebührend würdigen zu lernen.
Jena.
E. ir. Mockniftr.
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I
Hr. 46. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DIR LITERATUR
Die beiden Schlösser zu Baden, Ehemals und Jetzt. Eine Erinne-
rungsgabe Seiner Königlichen Hoheit des Grossherzogs Leopold
ton Baden. Für die Freunde deutscher Kunst- und Kulturge-
schichte. Karlsruhe, Druck der W. Hasper sehen Hofbuchdruckerei
1851. 212S.ingr.8. (Mit dem Motto: Patrum ingressus vesUgia.)
Wenn in den Worten des Titelt schon gewissermassen Zweck und
Absicht des Werkes selbst ausgesprochen ist — denn, wie das Vorwort
wahr und treffend bemerkt, die Gesinnung, welche die väterlichen Haileo
wieder hergestellt und geschmückt hat, wünscht, dass auch Andere sich
daran erfreuen — so wird es auch von unterer Seite keiner weiteren
Erörterung Uber diesen Punkt bei der Anzeige eines Werkes bedürfen,
in dem wir nicht blos eine von hoher Hand gespendete Gabe der Erin-
nerung, sondern auch tugleich einen eben so gründlichen wie erschöpfen-
den Beitrag zur Förderung vaterländischer Geschichtskunde, die unter
dem Fürsten, dem wir auch diese Gabe verdanken, zu neuem Leben er-
blüht ist, zu erkennen glauben. Der Verfasser des Werkes, der Grossh.
Oberst G. H. Krieg von Hochfelde n, ist den Freunden vaterländi-
scher Forschung bereits durch eine Reihe von gediegenen Arbeiten be-
kannt, die für diesen Zweig der Forschung Bahn gebrochen, auch die
verdiente Anerkennung stets gefunden haben, da hier mit dem gründ-
lichsten Quellenstudium die Erforschung der alten Baudenkmale selbst, ge-
stützt auf eine, in der Regel seltene, den gelehrten Altertumsforschern
meist fehlende Kenntniss der architektonischen Verhältnisse, sich vereint
findet, in einer Weise, die zu überraschenden Ergebnissen geführt, manche
neue Aufschlüsse gebracht und selbst manche Lücke der schriftlichen Tra-
dition ausgefüllt bat. Und so fordert uns auch diese neue Leistung zu
neuem Danke auf eben so sehr gegen den Fürsten, von dem das Ganze
ausgegangen, wie gegen den Mann, der von ihm zur Ausführung ersehen
ward, und diese auch in einer so würdigeu, dem Sinne des hohen Für-
sten entsprechenden Weise durchgeführt hat; denn die Geschichte der An-
lagen zu Baden, die uns dieses Werk vorzuführen bestimmt ist, greift
tief in die Geschiebte unseres Fürstenhauses ein und ist vielfach und innig
damit verbunden. Darum mag es uns hier vergönnt seyn, aus dem rei-
chen und anziehenden Inhalt des Gebotenen Einiges wenigstens mitzutei-
len, um auch Andern einen Begriff Dessen zu geben, was Uber einen
XLIV. Jahrg. 5. Doppelheft. 46
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m : l Die beiden Schlösser in Baden.
meist dankein, bisher wenig erörterten, und doch wesentlichen Theil un-
serer vaterländischen Geschichte ein sorgfaltiges Stadium der schriftlichen,
bisher kaum benutzten oder gekannten Quellen im Bunde mit einer gründ-
lichen Kunde der alten Baukunst zu Tage gefördert hat. Diess zeigt .«ich
gleich bei dem ersten Abschnitte, welcher das sogenannte alte Schloss
— wer von den Tausenden, die alljährlich die herrliche Stätte besuchen,
kennt es nicht unter diesem Namen — oder, wie es wohl bezeichnender
genannt werden dürfte, die Burg Hohenbaden, zu seinem Gegenstände
bat. lieber die historischen Verhältnisse dieser Burg schwebte bisher ein
Dunkel, das darum auch alle die, auf die Gründung und erste Anlage wie
auf den weitern Ausbau, die Einrichtung, Verwendung u. drgL bezügli-
chen Fragen nicht minder betroffen hat. Es ist dem Verfasser gelungen,
dieses Dunkel im Wesentlichen zu lüften , obne dabei zu Vermuthungen
seine Zuflucht zu nehmen, die zu ihror Annahme erst noch weiterer Prü-
fung bedürfen. Bestimmte Nachrichten Uber die erste Anlage der Burg
sind nicht vorbanden: aus zwei voo Baden dalirten Urkunden der Mark-
grafen aus den Jahren 1260 und 1265 wird man auf ein Vorhandensein
derselben allerdings einen Schluss machen dürfen. Diesen Hangel schrift-
licher Quellen ersetzen die noch vorhandenen Trümmer der Burg, die
auch in ihrem gegenwärtigen Zustande dem, der mit der Geschichte mit-
te Li Ii etlicher Baukunst, zumal der fortificatorisebon, in ihren verschiedenen
Stadien, naber bekannt ist, Manches bieten, was über die Zeit der Anlage
und der Ausführung, wie der Bestimmung der einzelnen, zu verschiede-
ner Zeit ausgeführten Theile Aufschlug zu bieten vermag. Auf diesem
Wege ist der Verfasser, der, wie Wenige, mit diesem Zweige aiterthüm-
lieber Forschung innig vertraut ist, bald zn der Ansicht gelangt, dass
die höchsten und offenbar ältesten Punkte der ganzen Anlage, der auf
der obersten der beiden Felseustaffeln befindliche viereckige Thurm (Berch-
fried) sammt dessen kleinen östlichen Vorhof, der untere Theil der öst-
lichen Terassenmouer , so wie der auf der zweiten , unteren Staffel an-
gelegte, zum Wobneu eingerichtete Bau, das Belvedere genannt, römi-
schen Ursprungs sind, und uns auf das Ende des dritten Jahrhun-
derts, also in dio spätere Zeit der Bümerherrschaft zurückweisen. Auf
diesen, bei dem Zurückweichen der Börner wahrscheinlich zerstörte« Bau
ward dann am Ende des eilften, oder, was noch wahrscheinlicher er-
scheinen dürfte, zu Anfang des zwölften Jahrhunderts — etwn am
1102, anter Markgraf Hermann II — der neue Bau begründet, so dass
wir die .erste, noch beschränktere Anlage des Schlosses Hohenbaden wohl
in diese Zeiten verlegen können. Wenn demnach diesem Theile der An-
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Die beiden Schlösser zu Baden. 723
läge, so weit er noch vorhanden ist, die Benennung: des Hernisn Aschen
Baues mit Recht zufallen mag, so wird die nächste Erweiterung durch
die Anlage des sogenannten Rittersaales wohl mit Recht als Bernhar-
dini scher Bau bezeichnet werden können, indem das daran befindliche
Wappenschild uns auf Markgraf Bernhard I, ulso auf das Ende des vier*
zehnten Jahrhunderts, zurückfuhrt. Eben so weist das auf dem an der
Südseite des Hofes errichteten Bau Uber der Pforte befindliche Wappen
auf die Zeiten Jacob's I, und zwar nach dem Anfall der sponheimseben
Erbschaft im Jahr 1437. Dieser Markgraf war es, der eine kleinere Barg
mehr in der Nähe der Stadt zu einem bequemeren Wohnsitze sich an-
legte; durch Markgraf Christoph ward dieselbe erweitert, und seit 1479
znm fürstlichen Sitze bestimmt, während Hohenraden , als Wittwensit*
für die Fürstinnen des Hauses, fortwährend, ungeachtet des prachtvoll im-
mer weiter ausgebauten neuen Schlosses, in bewohnbarem Zustande blieb,
bis es am IB. August des Jahres 1689 durch die Franzosen zerstört
ward. Wir beschränken uns auf diese weuigen vom Verfasser auf dem
bemerkten Wege ermittelten Angaben, und müssen es insern Lesern über-
lassen, die übrigen Theile der gründlichen Erörterung, die uns die suc-
cessive Entstehung des Ganzen nach seinen einzelnen Tbeilen bis zn der
Vollendung- vorführt, in der es noch in einer als Vignette hinter dem
fünften Abschnitt S. 158 eingedruckten Abbildung aus dem Jahre 1546
erscheint, in dem Werke selbst nachzulesen, dessen zweiter Abschnitt mit
der Anlege des neuen Schlosses sich beschäftigt. Auch hier ist es dem
Verfasser gelungen, neue, vorher kaum geahnete Aufschlüsse zu gewin-
nen. Denn er bat nachgewiesen, dass der lang hingestreckte Hügel, auf
welchem jetzt dieses Srhloss stehet, ebenfolls von den Kömern schon ge-
kannt und benetzt worden ist; römisches Mauerwerk bildet die Grundlage,
und zeigt sich noch jetzt an der Südseite, unmittelbar über dem Punkte,
wo die warmen Quellen hervorsprudeln und auch noch in neuester Zeit
römische Bäder entdeckt worden sind. So mag wohl der Hügel, durch
Terassirung zn einer ebenen Fluche gebildet, und durch starke Mauern ge-
schützt, in seiner ursprünglichen Anlage und Bestimmung das Castrum
der Ci vi ins Aquensis gebildet haben, das bei dein Andränge der
deutschen Stämme und dem darauf erfolgten Zurückweichen der Römer
der Zerstörung unterlag, alsbald aber wieder in einen wehrhaften Bau
umgeschaflen ward, da im Jahr 1330 von einer durch den Bischof zu
Strassburg erfolglos unternommenen Belagerung der Stadt Baden in Kö-
nigshofen^ elsassischer Chronik die Rede ist. Mit Recht bemerkt der
Verf., dass, wenn dieses die ganze Stadt beherrschende Plateau unbefe-
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724
Die beiden Schlösser tu Baden.
stigt gewesen wäre, dann auch der Angriff nicbl erfolglos hätte bleiben
können. Auch liegt es wohl in der Natur der Sache, dass an einem,
auch nach dem Abzug der Römer fortwährend, selbst von den deutschen
Kaisern besuchten Orte die Trümmer eines römischen Castclls nicht un-
benutzt geblieben, sondern zur Anlage neuer Wohustätten u. s. w. be-
nutzt worden sind. Um so weniger wird es dann befremden, wenn der
Markgraf Jakob sich bestimmt fühlte, hier, in der Nähe der Stadt, an
einem allerdings bequemeren und wohnlicheren Punkte ein ScWosa sich
anzulegen. Allerdings gilt er gewöhnlich für den Erbauer des Schlosses,
das in seinem Testament von 1453 zum erstenmal in der Geschichte auf-
taucht. Er mag, wie der Verf. S. 32 ganz richtig angibt, die vielleicht
sehr unwobnlicbe Befestigungsanlage (vielleicht nur einen Thurm) zu einer,
wenn auch kleinen, doch bewohnbaren Burg umgeschaffen und mit Un-
terkunfUraumen verseben haben. Auch weist der Verf. noch weiter aus
der Beschaffenheit der ersten Anlage selbst nach , dass diese erste An-
lage, die Keller und die darüber befindlichen Wobngebäude am Schlüsse
des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrbunderls erbaut worden
sind. Hit aller Genauigkeit werden die noch vorhandenen und nachweis-
baren Bestandtheile der Burg des Markgrafen Jakob, die wahrscheinlich
schon seit 1447 von dem Markgrafen Karl 1, dem Sohne Jakob 's , be-
wohnt ward, durebgangen. Die nächste Erweiterung der Anlage fällt
unter den Nachfolger dieses nach der Mitte des 15. Jahrhunderts (1475)
gestorbenen Fürsten, den Markgraf Christoph, welcher 1479 hier
seinen Wohnsitz aufschlug. Mit gleicher Genauigkeit werden diese Er-
weiterungen im Einzeluen angegeben und Zweck und Bestimmung der-
selben nachgewiesen; wir bemerken darunter insbesondere den runden
Thurm, welcher auf der südöstlichen Ecke des Wohnhauses angebauet
ward, dann die noch aufrecht stehende Hingmauer sammt den dazu ge-
hörigen Anschlüssen, das Gebäude für die Hofdienerschart, die Vorburg,
in welcher die Wohnungen des Amtskellers (die jetzige Domänenverwal-
tung) u. s. w. sich befanden. Mit gutem Grund wird bemerkt, wie mit
diesem Markgrafen Christoph es eigentlich erst beginnt in der Localge-
sebichte der Stadt und des Schlosses heller zu werden; Markgraf Chri-
stoph und Grossberzog Karl Friedrich erscheinen als diejenigen früheren
Regenten unseres fürstlichen Hauses, welche am meisten in der dankbaren
Erinnerung des Volkes leben. Was der erstere, dessen wohlgelungenes
Bild den Titel dieses Werkes schmückt, für die Stadt Baden getban, wird
näher ausgeführt; zwei recht merkwürdige, von ihm im Jahr 1488 er-
lassene, bisher nicht bekannte Verordnungen über die Freibäder zu Ba-
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Die beiden Schlösser zu Baden
den werden in der ersten Beilage vollständig und wortgetreu mitgeteilt.
Aach der Markgraf Philipp I liess sich es angelegen seyn, Einzelnes wei-
ter auszuführen und auszuschmücken ; Alles, was von ihm herrührt, zeugt,
wie der Verf. ausdrücklich bemerkt, von sehr ausgebildetem Geschmack
und vorgeschrittener Technick. Wir bemerken darunter auch die Anlage
eines für das Archiv bestimmten Thurmes. Aber unter seinem Sohne
Philipp n (1569 — 1 588) ward dos Schloss von Grund aus umgebaut
und aus der einfachen Wohnung der Markgrafen, was sie doch seit Ja-
kob gewesen war, in einen Palltst- und Prachtbau, nach den damals ver-
breiteten, aus Italien nach Deutschland gebrachten Ansichten, umgeschaf-
fen. Graf Otto von Schwarzenberg leitete den Bau, dessen Ausführung
durch einen Werkmeister und Steinmetzen Caspar Weinhardt erfolgte,
der schon vorher ähnliche Bauten zu Regensburg und München geleitet
bitte. Seine Aufgabe war es allerdings, das einfache Wohnbaus des
forstlichen Hauses durch einen den Anforderungen jener Zeit entsprechen-
den Pallast zu ersetzen, dabei jedoch die bestehenden Banlichkeiten zu
benatzen und in zweckmassiger Weise für den neuen Prachtbau zu ver-
wenden, dann aber auch das Ganze so einzurichten, dass es, im Falle un-
erwarteter Angriffe oder Befebdung oder Aufstande, für Eigenthum wie
Person den nöthigen Schutz und die gehörige Sicherheit gewähre, ohne
darum ausdrücklich als Feste zu gelten. In diesem Sinne ward der neue
Bio ausgeführt, von welchem der dritte Abschnitt: der Schloss pal-
last, eine äusserst genaue, auch in die architektonischen einzelnheiten
eingebende, die Abweichungen von der älteren Bauweise näher bezeichnende
Beschreibung liefert, die insbesondere auch über den Prachtsaal und des-
sen allegorische Bilder sich erstreckt, und damit die vollständigste De-
Isilschildernog des Ganzen liefert, das uns die diesem Abschnitt vorange-
druckte Vignette in einem getreuen Abbild vor die Augen führt. Mit dem
nächsten Abschnitt, dem vierten, wendet sich die Darstellung den un-
terirdischen Räumen zu, die noch heute vielfach besucht, durch
die eigentlich auch erst in neuerer Zeit Uber ihre Bestimmung verbreiteten
Gerüchte ein gewisses Aufsehen erregt und dadurch eine Bedeutung ge-
wonnen haben, die eine nähere Prüfung und Untersuchung der Sache al-
lerdings wünschen liess, um dadurch zu einem bestimmten Ergebniss zd
gelangen. Desshalb unternimmt der Verf. zuerst eine ganz genaue Be-
schreibung dieser Souterrains, die selbst durch einige eingefügte Holz-
schnitte verdeutlicht ist, und zeigt uns dann in einer so klaren und über-
zeugenden Weise , dass hier an nichts weiter zu denken ist. als an eine
Lokalität, die nur als Versteck dieuen sollte, um in Zeiten der Gefahr
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Die beiden Schlüter zu Baden.
werthe Gegenstande (nicht einmal Personen) in sichern Verwahr zu brin-
gen und vor der Plünderung oder Zerstörung zu icbülieo. Bei der Zer-
störung des Schlosses durch die Franzosen (1689) wurden diese Trüm-
mer wahrscheinlich verschüttet; sie scheinen damals nicht für den Zweck,
der ihre Anlage hervorgerufen , benutz,! , ja vielleicht kaum gekannt ge-
wesen zu seyn; erst später bei der Aufroumung des Schuttes, in Folge
der Wiederberstellung des Schlosses, entdeckte man diese Raumo, denen
die Phantasie jener Zeit bald diese, bald iene mehr oder minder schauer-
voUe Bestimmung verlieh, um in ihnen bald Folterkammern, bald Vehm-
gerichte, bald Gefängnisse oder auch geheime, unterirdische Zufluchtsstät-
ten u. drgl. zu erkennen. Von Allem dem kann aber auch nicht ent-
fernt jetzt mehr die Rede seyn , und ist es gewiss als ein wahres Ver-
dienst des Verf. anzusehen, dass er durch seine gründliche Erörterung
dieses Gegenstandes, die auf der sorgfältigsten Untersuchung des Ganzen,
wie des Einzelnen beruht, alle diese Sagen für immer abgewiesen bat.
Wenn die neuere Zeit, die zu wenig vielleicht bei ibreu grossen Pracht-
bauten auf die Anlage derartiger Riiumo Rucksiebt genommen hat, eine
solche natürliche Bestimmung mehrfach und laogere Zeit verkannt hat, so
wird diess jetzt nicht mehr der Fall seyn können, nachdem schon aus
architektonischen Gründen diese wahre Bestimmung nachgewiesen ist und
sogar die allerneueste Zeit uns gezeigt hat , wie nützlich und erspriess-
lich derartige Räume, welche die Vorsicht unserer Vorfahren nie ausser
Acht gelassen hat, selbst in Zeiten, wie die unsrigen, noch immer seyn
können und zwar bei gröfseren wie selbst bei kleineren Bauten.
Auch dieses herrliche Scbloss, dessen innere Einrichtung uns bis ia
alles Detail der Bericht eines Augenzeugen, des Pater Gamaas aus dem
Jahre 1667 schildert, den wir in der zweiten Beilage S. 166 aus der
im Carlsruher Archiv befindlichen Handschrift abgedruckt Gnden , unterlag
im Jahre 1689 der Zerstörungswut der Franzoseo, die Baden, die Stadt
und ihre Umgehungen, auf gleiche Weise betraf, wie die übrigen nshen
Orte der Markgrafschaft ; auch darüber wird uns in der fünften Beilage
S. 186 ff. der Bericht des damals in Baden weilenden, und den Tag vor
der Katastrophe, bei der für seine Person eingetretenen Gefahr, flüchti-
gen Pater Hippolyt mitgetheilt. Wir sehen daraus, dass die französischen
Mordbrenner hier nicht anders verfuhren, wie in der Pfalz um jene Zeit,
und dass die Bauden des aller christlichsten Körrigs unter Anführung des
Monsieur de Duras in Baden und seinen Umgebungen eben so heuern,
wie die Schasren des Meine zu Heidelberg und dessen näheren und fer-
neren Umgebungen. ,
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Die beiden Schlüter zu Badeu.
727
Es war gewiss am besten, diese Trauerscene uns in dem Berichte
eines Zeitgenossen und Augenzeugen iniUulheilen , um auf diese Weise
die Lücke auszufüllen, die dann den Weg zu dem fünften Abschnitt
bahnt, welcher die Wiederherstellung des Schlusses befassf. Ein lieber-
blick der Hauptereignisse, welche das Schtoss betroffen hüben, in chro-
nologischer Folge, leitet diescu Abschnitt ein und lässt uus die ganze
Geschichte desselben mit Bequemlichkeit überschauen; mit denv Jahre 1607.
beginnt die Wiederherstellung unter dem Markgrafen Ludwig, Wilhelm und
dessen Gemahlin Sybilla Augusts, einer geborenen Herzogin von Sachsen-
Lauenburg; im Jahre 1714 am 9. Oktober schlicsseu Prinz Eugen und
der französische Marschall Villars hier den Frieden zwischen dem deutschen
Reiche und Frankreich; im Jahre 1796 musste das Schloss sogar als Spi-
tal dienen und später stand es völlig leer, üeu ersten Aulsss zu einer
neuen Benutzung des Schlosses, das wohl die Aussicht hatte, mit der
Zeit eine Huine zu werden, gab eine Badekur der verwittweten Königin
von Preussen im Jahre 1804; der Grossherzog Karl Friedrich bot der-
selben das Schloss zur Wohnung an und liess zu diesem Zwecke eineo
Theü desselben wieder herrichten ; im folgenden Jahre zog Karl Friedrich
selbst wieder in die verlassenen Kiiume seiner Vorfahren ein; hier weilto
er auch iu den Tagen des Sommers der nächsten Jahre : ein Umstand, der
nicht wenig dazu beitrug, dem nun wieder aufblühenden Kurort die wahr-
haft Europäische Bedeutung zu geben, die er jetzt in jeder Beziehung
gewonnen hat. Penn auch noch dem Tode Karl Friedrichs war das
Schloss der regelmassige Sommeraufeuthalt unseres fürstlichen Hauses ge-
worden, seit dem Tode des Grossherzogs Karl im Jahre 1S18 aber
wurde es die Sommerresidenz der verwittweten Grus&herzogin Ste-
phanie, die es im Jahre 1812 an den Grossherzog Leopold überliesi.
Mit ihm beginnt eine neue Epoche, die der Wiederherstellung des Gan-
zen in einer eben so geschmackvollen und sinnigen, als der Würde des
erlauchten Fürstenhauses angemessenen Weise. Sie begann unter der Lei-
tung des Baurath Fischer schon im Jahre 1813 und ward ibl7 vollen-
det, konnte sich aber, der Natur der Verhältnisse nach, nicht sowohl auf
die Aussenseite des Baues, als vielmehr auf das Innere, auf die inne-
ren Räume des Schlosses und deren Einrichtung erstrecken.
Was aber in dieser Beziehung geleistet worden, wi e die Aufgabe,
Bequemlichkeit und Wohnlichkeit mit der Würde und dem Ansehen lürst-
licber Repräsentation in eben so sinniger als geschmackvolle* Weise zu
vereinigen, gelöst worden ist, davon wird sich Jeder bald überzeugen»
der diese herrlichen Räume, von denen uus hier eine so genaue Be-
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728
Die beiden Schlösser zu Baden.
Schreibung vorgelegt wird, durchwandert bat. Sie verweilt nicht blon
bei den Einzelnheiten der Einrichtung selbst und der genauen Angabe
aller architektonischen und ornamentalen Verhältnisse, welche das beson-
dere Interesse des Künstlers ansprechen, sondern sie entwickelt eben so
sebr auch alle die historischen Beziehungen, zu welchen der vielfach in
Innern, jedoch ohne alle Ueberladung angebrachte Schmuck, die sinnreich
gewählten Verzierungen, die herrlichen Glasmalereien alter und neuer
Zeit (die letzteren aus der Werkstätte des Dr. Stanz in Bern), dann
insbesondere die bildlichen Darstellungen der Regenten des badischen
Hanses, welche, meist in Lebensgrösse , nnd zum Tbeil sogar aus älte-
rer Zeit, passend vertheilt, diese Räume schmücken und uns in ihrer
Reihenfolge die ganze Geschichte des Regeutenhauses gewissermassen dar-
stellen, endlich selbst die eben so sinnig und geschmackvoll angebrachten
Wappenscbilde, einen reichen Stoff bieten; wir treten an der Hand eines
solchen Führers in die schön verzierte Vorballe ein, in welcher gleich
bei dem Eingange die Hauptabschnitte des Scblossbaues uns durch drei
Rundfelder angezeigt werden, welche die Wappen der Fürsten, von wel-
chen der Bau ausgegangen, mit lateinischer Umschrift enthalten ; die neue
gänzliche Wiederherstellung und prachtvolle Einrichtung wird einfach durch
das Wappen des Grossberzogs Leopold mit der Umschrift Reuovavit Leo-
poldus magnus dux anno 1847 angedeutet! und aus dieser Vorballe wan-
dern wir dann in die innern Gemächer, die Gastzimmer, den grossen
Speisesaal, die geschmackvoll angelegten Wohnzimmer u. s. w., die uns
eben so sebr Zengniss ablegen von dem hohen Sinn und Geschmack, der
die ganze Anlage leitete, wie von der Kunst, die Alles in einer dieses
hohen Sinnes würdigen Weise auszuführen und darzustellen gewnsst bat
Auch dem Verfasser dieses Werkes, der uns diess Alles, was wir kaum
ahnen konnten, in einer so anziehenden und lehrreichen Weise schildert,
gebührt auch von dieser Seite alle die Anerkennung, die ein an grünl-
licher, historischer Erörterung, wie »n neuen Ergebnissen so reicher Bei-
trag der vaterländischen Geschichte ohnehin, wie schon oben bemerkt
worden, anzusprechen ein Recht hat. Die sechs dem Werke beigefügten
Beilagen, welche den sechsten Abschnitt bilden, sind zum Theil schon in
unserem Berichte erwähnt worden; wir haben hier nur noch der dritten
zu gedenken, welche die Correspondenz des oben schon genannten Stein-
metzen und Werkmeisters Weinbardt, welcher den Bau des neuen Schlos-
ses ausführte, mit dem Stadtratbe zu Strassburg, aus den dortigen Pro-
tokoüen von 1582 enthält, so wie der vierten, welche einen Abdruck
von Johann Faulhaber's (seltenem) Tractat über die Benutiung alter Keller
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Esquerra del Bayo: Elementos de Laborco de Minas. 729
in Verstecken bringt uod zu dem im vierten Abschnitt bebandelten Ge-
genstände gehört. Die sechste Beilage gibt ein Verzeichnis» der Bilder,
welche im grossen Bildersaale des neuen Schlosses aufgestellt sind. So
enthält die Schrift in der Thal Alles, was man von einer solchen Gabe
der Erinnerung erwarten konnte. Noch aber haben wir der artistischen
Beigaben, sowie der vorzüglichen typographischen Ausführung zu geden-
ken ; jene bestehen nicht bloss in einer Reihe von herrlich ausgeführten
Vignetten, welche dem Werke an verschiedenen Orten eingedruckt sind
und einzelne Theile der beiden Schlösser, mit besonderer Bezugnahme auf
den Text und die Beschreibung derselben, sondern auch in grösseren Bei-
gaben: es gehört dahin vor Allem das meisterhaft gestochene Bild des
Markgrafen Christoph von Baden und Höchberg, welches den Titel schmückt,
sowie die nach einer Zeichnung des Jahres 1581 gefertigte Abbildung des
neuen Schlosses und der Stadt Baden in grösserem Umfang; endlich auch die
verschiedenen Pläne und Umrisse des alten und neuen Schlosses, welche
uns die einseinen Bestandtheile u. s. w. aufs genaueste verfolgen lassen.
Eine eigene Erklärung zu den beiden Haupttafeln III. u. IV. ist S. 209 ff.
gegeben. Freunde der Wappenkunde werden wir wohl aufmerksam machen
dürfen auf die merkwürdige Gestaltung des hadischen Schiides und Hel-
mes, welcher auf der äusseren Decke des Buches angebracht ist: er ist
die getreue Abbildung einer Skulptur aus dem Anfange des sechsten Jahr-
hunderts, welche oberhalb der aus dem Garteo in das Schloss führenden
Thüre eingemauert ist. Chr. BAhr,
•» • , •, • •» * ,
Elementos de Laboreo de Minas precedidos de algunas fiociones sobre
Geologia con aplicacion al mejor Conocimiento de los Terrenos
que pueden ser Objeio de las Inrestigaciones mineras. Por el Sr.
Von Joaquin Etquerra del Bayo, Inspecior general de
Minas, Vocal de la junta superior facuüatka del Ramo, Miembro
de la Academia Real de Ciencias de Madrid, genlil hombre de
Cdmara de S. M. con ejercicio cet. Segunda Edicion nolablemente
a menlada. 584 pag. in 8. Madrid; imprenta de la Viuda de
Don Antonio Yenes. i85i. (Ein sechszehn Tafeln enthaltender
Atlas begleitet das Werk.)
Vor zwanzig Jahren sendete die spanische Regierung drei ihrer
jungen Bergwerks-Ingenieure, unter diesen den Verfasser des Werks, das
wir besprechen wollen, nach Freiberg, um sich daselbst in den verschie-
denen Zweigen ihres Wissens weiter auszubilden. Von der berühmten
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730 Ezquerra del Bayo: Elementes de Laboreo de Minas.
Schule für Berg- und Hudenleute begaben sieb die Spanier nach Heidel-
berg; hier wünschten sie mit Geognosie und Geologie vertrauter zu wer-
den, namentlich mit der plutonischen Lehre.
Ezquerra del Bayo bat eine schöne Laufbahn gemacht, indem
er gegenwärtig mit an der Spitze des Bergwesens in Spanien steht. Dass
unser vormaliger akademischer Mitbürger sich auch mit dem theoretischen
Tneile seiner Wissenschaft fortdauernd beschäftigte, dass derselbe keines-
wegs nur ein „ Bergmann vom Leder" geworden, davon zeugen die vor-
liegenden „Grundzüge «er Bergbaukunde." Bzquerra del Bayo blieb
nicht unbekannt mit der neuesten ausländischen Literatur seines Faches,
namentlich mit der deutschen ; davon liefert dessen Werk zahlreiche Beweise.
Nach einer ollgemeinen Einleitung, den Werth des Bergbau-Betriebs
». s. w. abhandelnd (S. 7 — 38) , wendet sich unser Verf. zu geologi-
schen Betrachtungen (S. 39—132). Er spricht über abnorme und nor-
male Fels -Gebilde, über Gänge, Lager und Stockwerke u. s. w. Den
bekannten Stockwerken von Geyer und Altenberg, im Erzgebirge Sachsens,
wird die gleichnamige Erz- und Lagerstätte von Bio-tinto in der Provinz
Huelva, entgegengestellt. Ebenso vergleicht Bzquerra del Bayo ge-
wisse Erz-Vorkommnisse in England, im Norden von Europa, in Frankreich
nnd Asien mit jenen in Asturien, in Caslilla la Vieja, Orbö, in der Sierra
Morena o. s. w. Die Gegenwart des Goldes in Sibirien, Brasilien, Caü-
foroien und Spanien kommt zur Sprache. (Neben allen andern Schätzen,
die man uns aus Süd - Australien verkündete, soll neuerdings auch Gold
daselbst gefuuden worden seyn; wie es scheint, ist dem Verf. so wenig
als uns gelungen, etwas Näheres zu ermittein.) Endlich ist die Bede von
den so sehr ergiebigen Vorkommnissen kohlensauren Bleies zu Cartagena.
(Der Berichterstatter verdankt seinem gelehrten Freund ein prachtvolles
Exemplar aus der Grube Helampago : Nadeiförmige Krystalle von rein weis-
sem kohlensauren Blei, begleitet mit schön zitronengelbem, dünnen Ueber-
zuge von arseniksaurem Blei.)
Von besonderem Interesse sind die Nachrichten über die Bleiglanz-
Ablageruug im Gebirge las Alpujnrras (S. i 1 5 IT.). Blocke des reichen
Erzes vou ansehnlicher Grosse finden sieb in 210 — 300 Fuss Teufe im
Bergkalk (mountain limestone) und eine zweite ähnliche Thatsache wurde
90 — 150 Fuss weiter abwärts nachgewiesen. Unter dem Kalk erschei-
nen Schichten von altem rotben Sandstein und von Schiefer.
Auf der ersten Tafel findet man die, für Bergleute besonders wich-
tigen, Verhältnisse der Erz - Lagerstätten bildlich dargestellt: Verrücknn-
geo, Biegungeu u.a. w. von Plötzen, merkwürdige Gang- Beziehungen u. s. w.
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Ezquerra del Bayo: Elementos de Laboreo de Minas.
73!
die vortrefflich ausgeführten Lilhographieen, auf dieser, wie auf sü mm Hi-
eben Tafeln, ohne Ausnahme, nach Zeichnungen des Verfassers, dessen,
uns längst bekanntes, schönes Talent sich auch hier wieder in recht glän-
zender Weise bewährte: eine Deutlichkeit, die nichts zu wünschen lässt,
bei möglichst kleinem Uassstab.
Die Haupt -Abtheilung des Werkes, von den verschiedenen Berg-
mann!-Arbeiten handelnd, zerfallt in drei Abschnitte (S. 133-546).
Ohne in Einselnheiteu eingehen zu können und za wolle«, gestatten wir
uns nor Andeutungen. • . '«
Arbeit auf dem Gestein und dazu diensames Geiiihe, Vorrichtungen
und Anstalten: d. h. die notwendigen Geralhschoften wie Schlägel und
Eisen, Bohren und Schiessen, Feuerselzen.
'Gruben- Ausbau: Sicherung der Gebäude gegen Gebirgs-Druck durch
Zimmerung und Mauerung. Ungemein interessant, ja wohl einzig in sei-
ner Art, ist ein achthundert Fuss (ein spanischer Fuss ~ einem leipziger
Fuss) unter Tag, mit Backsteinen in den Gruben von Almaden ausge-
führter Bogen, dessen Sehne achtundseebzig Fuss misst (S. 251 und auf
Tafel V des Atlasses vorzüglich schön dargestellt). Die berühmte Queck-
silber-Logerstütte { S. 306) besieht aus drei Gängen von sechshundert
Fuss Langen-Erstreckung. Jeder derselben bat einundzwanzig Fuss mitt-
lere Massigkeit, die Stärke wächst bis zu neununddreissig Fuss. In einer
Teufe von 1050 Fu>* hat man gegenwärtig den nichtigsten jener Güngo
mit dem Grubenbau erreicht. Zwei der befragten Gange, San Francisco
und San Nicolas, treten einander hin und wieder sehr nahe , so dass sin
sich beinahe berühren, nur drei bis vier Fuss weit geschieden durch« ein
Zwischenmittel von thonigem Schiefer. Die sehr gebreche Beschaffenheit
des letztere Gesteines machte, «m ,der Sicherung willen, die Aufführung
gemauerter Bögen notwendig, und namentlich jene des ebeti erwübntea
so sehr bemerkenswertheu ; er umfasst zwei Zinuober - Gänge. Das Ge-
biet, in welchem die Queck>ilber-Erze zu Almadeu ibren Sitz haben, ge-
hört zur oberen silurischen Formalion. Es besteht aus mehreren Lagen
kohleoführenden thonigen Schiefers, wechselnd mit Schichten eines sehr
harten uud dichten quarzigen Sandsteines. Kalk- und Grauwacke-Logen,
reich an fossilen Holen , finden sich etwas weiter gegen Norden im
Hangenden der Erz-Lagerstätte.
Abbaue, Veranstaltungen zur unmittelbaren Erz-Gewinnung : Spros-
sen- und Förstenbae, Stockwerksbau, Pfeilerba* u. s. w.
Vorkehrenden zum Befabreu von Gruben dienend. Um altere Berg-
leuleu namentlich liefe Strecken — in manchen Gebirgen gibt es deren
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732 Jährbücher des Vereins von Alterthumsfreunden.
2000 Fuss und mehr unter Tag — noch zugänglich zu machen, um
ihnen übermässige Kraft- Anstrengung zu ersparen, wurden bekanntlich in
neuester Zeit die Kunstgestänge — Vorrichtungen, um die Kraft von Um-
triebs - Maschinen fortzupflanzen — zu „Fahrten" benutzt. Vermittelst der
„ Fahrkünste a kann man sich ohne besondere Wagniss in die Tiefe und
wieder hinauf schaffen. Am Kunst-Gestänge werden „ Tretbretter" befe-
stigt, und die Maschine ersetzt nun, wenn Bergleute sich an einer Stange
auf die andere begeben, die fortbewegende Kraft Ueberaus schön und
deutlich stellen Fig. 152- und 153' auf Tafel X diese Vorrichtung dar.
Beleuchtung der Gruben.
Förderung von „Bergen", von tauben Gesteinen und von Erzen.
Bergmännische Orientirung uud Markscheider-Arbeiten.
Die würdige Ausstattung des Werkes gereicht der Madrider Presse
zur grossen Ehre. Leonhard.
Jahrbücher des Vereins ton Alterihumsfreunden im Rheinland. XV. mit
5 lithog. Tafeln. Bonn, 1850. 8.
•
Unter den Publikationen, welche die historischen oder Alterthums-
vereine Deutschtands ediren, zeichnen sich die Jahrbücher des Bonner
Vereins am rühmlichsten aus ; denn während die Hefte anderer Gesellschaf-
ten gewöhnlich nur Lokalsacheo enthalten , geben diese meistens allgemein
interessante Abhandlungen ; daher mag es vergönnt sein, in diesen Blättern
Ober das neueste Heft einige Worte vorzubringen. Wir werden jedoch
nicht alle Aufsätze, welche dasselbe enthält, hier besprechen , sondern
nur diejenigen, welche entweder Allgemeines enthalten, oder für die
Rheinische Geschichte von besonderer Wichtigkeit sind, etwas genauer
betrachten. Einen grossen Tbeil der Tbätigkeit der Vereine am Rhein und
Donau und der zunächst liegenden Gegenden nimmt die alte römische Ge-
schichte in Anspruch, und hier ist wohl der Ort, öffentlich einen Wunsch
auszusprechen, den wohl Mancher schon bei sich gehegt, und dessen Reali-
airung im Allgemeinen und Speziellen von grossem Gewinn sein würde.
Die antiquarischen Vereine in den ehemaligen römischen Provinzen be-
fassen sich , wie es sich von selbst versteht , nicht bloss mit den Denk-
mälern aus jener ältesten Zeit, sondern das Germanische, das Mittelalter,
die neue Zeit nimmt sie auch nicht wenig in Anspruch; daher enthalten
ihre Hefte gewöhnlich bunt durcheinander bald eine Abhandlung aber
römische Inschriften, bald eine Untersuchung über eine alte Burg, oder
den Stammbaum eines längst nicht mehr existirenden Geschlechtes und
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Jührhitrhpr Amt Wrrina von AlUrthntiufreundeii 733
Aeboüches mehr, so dass das Aufsueben dei Zusammengehörigen nicht
nur erschwert ist, sondern auch manches Wichtige unter Unbedeutendem
Dicht selten vergessen wird. Wenn die Vereine übereinkämen, Alles,
was sich auf die römische Zeit bezieht, zu einem gemeinsamen Werke
alljährlich — und an Stoff hieiu fehlt es gewiss nicht — zu vereinigen;
welche Mühe würde dann den Forschern gespart, wie leicht die üeber-
sicht des neu gewonnenen Materials, wie schnell befördert die Geschichte
der römischen Provinzen 1 Eine gleiche Vereinigung könnte wegen der
germanischen Denkmaler, wegen des Mittelalters u. s. w. stattfinden , wie-
wohl namentlich beim letzteren es minder notbwendig wäre, weil es hier
des Lokalen so Vieles gibt, dass ein Znsammenstellen mit Anderweitigem
viel ferner liegt Die Mitglieder der einzelnen Vereine müssteu natür-
lich von dem allgemeinen Werke über die römische Zeit Abdrücke der
Aufsitze erhalten, welche ihre eigene Gegend besprechen. Wir haben
früher gemeint und gehofft, dass der Verein in Bonn, der sich einen weiten
Umkreis steckte, eine solche ausschliessliche Richtung für die römischen Denk-
mäler wenigstens im Rheinlande annehmen würde; allein manche Gegenden
des Rheines sind selten oder gar nicht vertreten, und da anderwärts gleiche
Vereine bestehen, so ist eine Verbindung in der oben genannten Weise
no Inwendig, indem sonst die einzelnen Vereine ibre Hefte gern zuerst
mit den neu entdeckten Denkmälern schmücken wollen. Seitdem aber
der Bonner Verein auch das Mittelalterliche in seinen Kreis mit aufge-
nommen hat, ist jene Hoffnung geschwunden; wir würden wünschen,
da er jährlich zwei Hefte edirt, dass er die Arbeiten scheide und das eine
Heft nur der römischen Zeit widme; und wenn dann die Vereine am
Rhein und der Donau zu jener Verbindung geneigt sind, woran wir nicht
iweifeln, indem sie nur ihr eigenes Interesse dadurch fördern würden,
so könnte leicht das Bonner Heft als Organ für alle römischen Auffin-
dungen dienen. Diese Idee, welche eigentlich nicht von mir herrührt,
sondern von Herrn Professor Gerbard in Berlin mir mitgetheilt wurde,
habe ich um so lieber in diesen Blättern zuerst niedergelegt, da eigent-
lich keine andere Zeitschrift am Rhein existirt, welche allgemeinen wis-
senschaftlichen Besprechungen offen steht. Indem wir nun obigen Vor-
schlag allen Vereinen am Rhein und der obern Donau zur Beherzigung
und weitern Fortentwicklung anempfehlen, und namentlich wünschen, dass
der Verein in Bonn, oder wenn dieser verzögert, der älteste Alterthums-
verein in Deutschland, der in Wiesbaden, die Initiative zu einer derartigen
Vereinigung treffe , wenden wir uns zu dem zu besprechenden Jahrbucbe,
and bemerken im Voraus, dass es zu unserer Freude, wie es sich auch
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734 Jahrbücher des Verein« von Alterthumsfrcunden.
manchmal in froheren Jahrgängen traf, römische Denkmäler aocb aus ent-
fernteren Rheingegenden seiner Betrachtung unterbreitet . somit also aoeh
jene Orte, wo andere Vereine bestehen, mit richtigem Takt euch in seinen
Kreis hereinzieht. Wir werden zunächst die Aufsätze über die römische
Periode einer kurzen Anzeige unterwerfen. Die erste Abhandlung „ Deutz,
eine Römerfeste, Castrum Divitennum" von Deycks in Münster ist ein
fchöner Beitrag zur Lokalgeschichte des Unlerrhcins. Ehe der Verfasser
an sein Thema kommt, gibt er auf 1t Seiten eine Uebersicht der ältesten
Geschichte des Rheinlandes bis zu Constantin, welcher eine Brücke Ober
den Rhein bei Cöln gebant haben soll, wodurch die Frage entsteht, ob
Cöln gegenüber eine Römerfestc bestand. Wiewohl wir bekennen, dass
wir diese Uebersicht mit Vergnügen und nicht ohne Belehrung lasen, so
sehen wir doch die Notwendigkeit eines so langen Einganges nicht
ein, es ist eben leider? die Gewohnheit der Rheinischen Geschichtacbrei*
her, dass sie bei der Geschiebte jeder Stadt mit dem Ei der Leda, d. h.
mit Cäsar und Ariovist anfangen. Was nun die Untersuchung Ober Deutz
selbst betrifft, so kann zwar aus den alten Schriftstellern ein Kastell da-
selbst nicht bewiesen werden, wie diess Überhaupt bei vielen Orten nicht
nur in Germanien, sondern auch anderwärts der Fall ist; allein einmal
zeigen Inschriften, die dort gefunden wurden, deutlich, daas der Ort von
den Römern bewohnt war, und dai.n geben Urkunden aus dem Anfange
des 11. Jahrhunderts von einem Kastelle daselbst Meldung, dessen Er-
bauung damals dem Kaiser Constantin zugeschrieben wurde. Was nun
die vier Inschriften betrifft, die der Verfasser anführt, und welche, so viel
wir wissen, nicht mehr vorhanden sind, was anzumerken vergessen wor-
den — indem es immer für den Altertumsforscher von Wichtigst ist
zn erfahren, ob ein zu besprechende! Denkmal noch irgend wo sich fin-
det — so folgert der Verfasser namentlich aus der ersten Inschrift
(Grut. MCX, 10) viel zu viel; zwar zweifelt er selbst, ob aus ...NSVS
ffortensius könne gelesen werden, in welchem Zweifel wir ihn bestürken
möchten, allein wenn er EX. DEC S. MOESICAE mit ex decreto le-
gionis Moesicae erklärt und sich dabei auf Tac. Hist. II, 85 u. III 2 be-
ruft, so werden hier zwar die Moesicae legiones (III, VII Cl. G. u. VIII)
erwähnt, allein eine legio Moesica namentlich auch ohne Zahl, kann nicht
wohl angenommen werden, so dass die Inschrift in jene frühe Zeit nicht
fallen wird. Die folgende Inschrift gehört ins Jahr 223, und um diese
Zeit möchten wir so ziemlich alle setzen. In der vierten Inschrift ist
ERIA TTIVS IVCVNDI vielleicht richtiger mit Jucnndi lllius, wie auch
Steiner hat, als Jucundinius, wie der Verf. will, zu erklären. Warum
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Jahrbücher des Vereint von Alterthu ras freunden. 735
eine fünfte Inschrift (Steiner 900), welche bei Deutz 1776 gefunden
wurde, nicht auch aufgeführt, sondern nur gelegentlich S. 20 erwähnt
ist, »eben wir nicht ein. Wenn ober der Verf. in dieser SATVRNNIVS
mit SATVRNIMIVS oder SATVRNINVS geben will, so ist letzteres Wort
nicht anzunehmen, wenn auch Osann in der Altertbumszeitung 1841 S. 991
es schon vorgesehlagen bat; ei wird nur das erstem SATVRNrNIVS als
nom. geatile richtig sein,' indem bekanntlich N u. I gar oft so verbunden
sind. dass I nur einem tufmerksatien Beobachter nicht entgeht; die Lesart
SATVRNNIVS widerspricht jeder Analogie, SATVRNINVS passt als cog-
nomen nicht. Oass eine andere Inschrift von zweifelhaftem Fundorte
(Lewob, C. Mos. I, N. 37 nicht p. 17 wie der Verf. bat — vgl.
Steiuinger, Gesch. der Trev. I, S: 70, welcher wie Aldenbrück
als Fundort annimmt) nur berührt ist, wollen wir nicht tadeln; dagegen
wundern wir uns, dass dem fleissigen Sammler eine Inschrift entgangen ist,
die in Deutz gefunden wurde; freilich steht sie weder bei Httpsch noch
bei Steiner, wenn sie gleich schon vor mehr als 200 Jahren aufgefno-
den wurde; sie ßndet sich in Wiltb, Luciiiburg. sig. 181, und Mull
HEGVLA ... j
NINVS. EX. N
ION. TRA.L.A
r. SVB CVRA
G. f. M. ANON.
d. b. vielleicht: Regulanius Saturninus, ex notione Tramm? .... sub cura
... magistcr annonae? (gewöhnlich ist praef. aunonae.) Wenn aber diese
Inschriften das Dasein eines römischen Ortes beweisen, so ist doch der
Name desselben unbekannt, indem auf Inschriften der Name des Ortes ge-
wöhnlich nicht vorkommt (vgl. Zeitschrift des Mainzer Vereins S. 214),
erst in des h. Heribert Urkunde vom J. 1003 kommt der Name eastel-
lum Divilensium vor, und eine Inschrift, welche Ruperlus, Abt des Bene-
diktiner Klosters in Deutz um 1130, als um diese Zeit gefunden, aufge-
zeichnet hat, schreibt die Erbauung des Kastells dem Kaiser Constantiu
zu. Wiewohl nun der Verfasser ausführlich und gründlich zeigt, dass
diese Inschrift weder in der Fassung, wie sie Rupertus gibt, noch mit
den wenigen Varianten, die im 16. Jahrhundert Surius ungewiss woher
vornringt, Seht römisch sei, also auch wenigstens nicht in ihrer Vollstän-
digkeit jener Zeit, der sie zugeschrieben wird, angehören kann, so zeigt
sie doch, dass Constantin der Gründer des Kastells ist, und aus den In-
schriften, die aus früherer Zeit dort gefunden wurden, folgt nicht, wie
der Verfasser S. 28 meint, dass dies Kastell früher erbaut sei, sondern
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736 Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden
nur, dass Köln gegenüber sich Römer niedergelassen hatten. Zuletzt unter-
sucht noch der Verfasser, woher der Name Diviteosii kommen möge. So
hebst nämlich nicht nur ein Truppencorps, gewöhnlich in Verbindung mit
Tuogricani, sondern die leg. II Italien und ein Numerus DELM. fuhren
auch diesen Beinamen; nachdem nun der Verfasser die bisherigen Ablei-
tungen wie von dives, die noch neulich Böcking festhielt, von Divitum in
Sicilieo mit Recht zurückgewiesen, auch die von Di vi«» (Oijon) als un-
statthaft erklärt, ist er nicht abgeneigt, das Wort von diut, taut d. i.
Volk, der uralten Benennung der Germanen, herzuleiten. Wir haben nun
gegen diese Herleitung gerade Nichte einzuwenden, indem sie von den
bisher vorgebrachten als die annehmbarste erscheint ; wir möchten aber ihr
nicht von „einem deutschen Stamme in der Nlbe der lungern, vielleicht
Nachkommen der allen Ubier«, wie der Verf. S. 34, herleiten noch auch
annehmen, „dass solche Hilfstruppen von Constantin oder Valeotinian in
die Festung Köln gegenüber gelegt" und daher den Namen caslellum Di-
vitensium entstanden sei, sondern wir möchten vielmehr annehmen, dass
Germanen und Deutsche jenseits des Rheines schon früher, als mao ge-
wöhnlich annimmt — wiewohl schon aus Auguslus Zeiten Beispiele vor-
liegen — von den Römern seien iu Dienst genommen worden; ebenso
mag das Kastell Köln gegenüber das „deutsche" gebeissen haben. Uebri-
geni bat der Verfasser, der dem Namen Divitensis überall nachgespürt
bat, eine Inschrift übersehen, die ebenfalls hierher gehört. Im Mainzer
Uuseum steht nämlich auf einem 1829 aufgefundenen Grabsteine Numerus
exploratorura D1VITIESIVM ANTOMNIANORVM, welches Wort sogar der
ursprünglichen Form diut noch mehr zu entsprechen scheint; zugleich
geht aus dieser Inschrift hervor, dass schon unter den Anloninen solche
t
Deutsche in römischem Dienste slanden, wie wir schon oben aonahmen.
Bereits hat Lindenschmit (das germ. Todtenlager von Selzen S. 40) un-
ter dem letzteren Worte Deutsche, wenn schon mit Beziehung auf Deutz,
verstanden. Die Entscheidung aber, ob das Wort deutsch, welches so-
mit eine bisher vermisste Autorität hei den Römern erhielte, bei diesen
also geformt werden konnte, kann dann erst herbeigeführt werden, wenn
die unzweifelhaft ächten deutschen Namen, wie sie nun auf Inschriften
des Rheines uud der Donau vorzüglich erscheinen , zusammeugestellt und
mit einander verglichen sind, was leider! bisher noch nicht geschehen
ist. Ebenso wünschen wir, dass alle Städte am Rhein einen so fleissigeo
Aufspürer und Erklärer ihrer Ältesten Denkmäler finden mögen, wie Deutz
an dem gelehrten Verfasser.
(Sckluu folgQ
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Nr. 47. . HEIDELBERGER 185L
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
k
Jahrbücher den Verein« von Altertlmnmfreuiideii.
, ; . . (Schluss.) . •.. .
Die übrigen Aofsätze, welche weiter die römische Zeit betreffen,
köuuen wir Übrigens nicht so ausführlich betrachten, wie den aber Deutz,
wiewohl wir recht gern es i hüten, auch es uns an Stoff dazu eicht
fehlt; allein wir würden die Grenzen, die eine Recensioo vorschreibt,
weil überschreiten. Gleich „die Zusammenstellung der so Rotteuburg am
Neckar aufgefundenen römischen Inschriftenu von Domdekan von Jau-
man, dem bekannten Verfasser der „Col. Sumlocenne" kann zu nuneben
Erörterungen, Zusltzen und Bedenken Gelegenheit geben; allein wir wol-
len bor einige Bemerkungen, von denen die erste die Redaktion trifft,
uns erlauben. Wenn wir nicht irreu, sollen die in den 15 Jahrbüchern
fortlaufenden Zahlen an der Seite vieler Inschriften anzeigen, dass sie
zuerst hier edirt sind. Nun führen diese Inschriften aus Rottenburg ins-
gesamt»! solche Zahlen, während doch bei weitem die meisten schon in
oben erwähnter Schrift des Verfassers, viele anderwärts vorher und spä-
ter, ja nicht weniger bereits in den früheren Bonner Jahrbüchern, und
zwar damals, wiewohl zum erstenmal tbeilweise edirt, ohne solche Num-
mern, bekannt gemacht sind. Hierdurch steigt diese Randnummer auf
einmal von 190 bis auf 408, wahrend wir überzeugt sind, dass nur etwa
100 Inschriften zum erstenmal in diesen 15 Bänden edirt sind. Was nun
die Zusammenstellung der Rotten burger Inschriften betriflt, so zeugt diese
von vielem Fleisse und nicht gewöhnlicher Genauigkeit. Schon die Ria*
tbeilong ist ein Beweis davon; die Inschriften sind nämlich geordnet in
Bezug auf den Namen der Stadt, die Dauer derselben, die Religion, das
Kriegswesen, die bürgerliche Verwaltung, die Gewerbe und Einwohner
überhaupt , endlich Töpferstempel; ausserdem ist hierbei durch Unterau-
theiluogen angegeben, ob auf Steinmonumente, Ziegeln oder Geschirren,
bei letztern ob mit Griffeln oder Stempeln die Inschrift aufgetragen ist
Während wir nun wünschen, dass solche genaue Einteilung auch ander-
wärts nachgeahmt werde, hallen wir sie doch bei Rottenburg fast für z«
kleiolicb, denn von den 250 Inschriften, wovon obeu gegen 20 doppelt
aufgeführt und gezählt werden, sind %. B. nur 21 Steinmonumente, wovon
wiederum einige doppelt gerechnet sind, und ein andermal 6 Stücke, die
XLIV. Jahrg. 5. Doppelheft. 47
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*2* ! Jahrbüch tr des Vereins von AI terlh ums freunden. ' .
ab fnsltnm angehörend angesehen werden — wiewohl am den dürftigen
Zeichen Wiehls mit Gewissheit erhellt — eis eben so riele Monumente
genommen werden, so dass von diesen 21 Steinmonumenten Uberhauot
von allen 250 Nummern nur 7 (sieben) Inschriften sind, wovon drei voll-
standig erhalten; alle Übrigen sind dürftige Fragmente auf Steinen, ein-
geritzte Worte oder Stempel von Tüpfernamen und Aehnlicbes. Wir sa-
gen nun diess nicht aus Geringschätzung solcher Ueberreste, denn wir
wissen nur i u gut, wie wichtig oft ein kleines Fragment sein kann •, allein
wir glaubten diess hervorheben zu müssen, damit Niemand aus dieser gros-
sen Zahl Rottenburger Inschriften einen bedeutenden Gewinn erwarte;
namentlich haben sie sehr wenig allgemeines Interesse, wenigstens sind
sie nur von ganz lokaler Bedeutung. Hierbei aber können wir euea
Verdacht nicht unterdrücken. Bs kommen nämlich unter diesen Inschrif-
ten gar viele vor, welche auf Töpfen eingeritzt sind. Nun weiss man,
dass am ganzen Rheine and überall wo Römer wohnten, dergleichen ein-
geritzte Inschriften eine grosse Seltenheit sind, und wo sie einmal sich
finden, ist es gewöhnlich Cursivsckrifl und sie enthalten unbedeutende
Hamen oder Legionszeichen. Dagegen hier in Samlocenne findet man
in grosser Anzahl die Namen der Präfekten der Kolonie, des Präses der
Stadt mit Jahreszahl und Nennung der Konsuln, die Anführer der Legio-
nen n. s. w. auf Geschirren vor und nach dem Brande eingeritzt, Dinge,
die sonst suf Töpfen höchst selten erscheinen; und wahrend man Jahr-
hunderte in Ungewissneit wer, wo Mimiocenne zu sucnen sei, werden jetzt,
seit Leichtier und Jaumann unwiderleglich Rottenburg dafür erklärten,
Seherhen in grosser Anzahl zum Theii mit dem ganz ausgeschriebenen
Namen der Stadt gezeigt, da doch von allen andern Orten in Germanica
noch kein Name sich auf einer Scherbe gefunden hat, Überhaupt es gar
nicht Sitte War, auf Töpfen den Namen des Ortes anzumerken. Wir stehen
nun allerdings an, einem solchen gelehrten Alterthumskenner gegenüber
wie der Verfasser, diese grosse Anzahl von Inschriften für unecht sn er-
klären; allein unser Zweifel wird noch dadurch vermehrt, dnss meistens
die gewöhnlichen «rossen Buchstaben der Römer eingeritzt sind. Wir
wurden noch bei einzelnen, fast bei den meisten noch besondere Anstände
vorbringen können, wenn uns die Zeit hier erlaubte, die Inschriften ins-
besondere zu betrachten. Nur eine Frage noch: sind all' diese AUerthü-
mer noch vorbanden? Sie würden ein schönes wenn schon kleines Museum
bilden. Nirgends ist hierüber ein Wort angemerkt.
Ein weiterer Aufsatz über römische Denkmäler sind Bemerkungen
und Zusitse „zu rheinliindischen Inschriften" von J. Becker in Hadamar
^ I- . .
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(a 85— 108); «t erstrecken sich über niederrheinische, Rottenburger
und Mainzer Denkmäler, and liefern nicht nur manche scharfsinnige Br-
kiireagen mehrerer derselben, sondern stellen euch einige allgemeine Re-
gale Cur die Lesung und Deutung von Inschriften auf; daher bedauern
wir, dass uns der Raum verbietet, ausführlich hierüber zu berichten j
namentlich wünschen wir, einige Mainzer Gegenstände näher besprechen
so können ; denn wnnn wir auch im Ganzen dem Yerfaaaer wegen feiner
Erklärungen nur beistimmen können , so bleiben uns doch noch einige
Bedenken; namentlich halten wir die Akten Uber den Namen der Can~
nenssates, oder Cannanesates wie der Verfasser schreibt, noch nickt lUr
abgeschlossen, wie wir hoffentlich bald zu neigen Gelegenheit finden werden.
Die berühmte antiquarische Sammlung der Freu Sib. Mertens-
Sohn äff bansen in Bonn liefert den Stoff zu drei Aufsätzen, von de-
nen wir den letzteren etwas naher betrachten wollen; hier gibt uns die
kunstsinnige Frau eine „Ueb er sieht über ihre neuesten antiquarischen Er-
werbungen % Uber weiche wir um so mehr glauben ein W ort hier spre-
chen zu müssen, als diese meisten Funde in Mainz erworben wurden,
tater ihnnn steht oben an „ein Gefass von gebranntem Thon, gefunden
im Dez. 1846 zu Harzheim bei Mainz, in einem Weinberg, nebst drei
römischen Ziegeb, bezeichnet LEG. XXII mit dem Delphin, u. mehrere röm.
Bronze- und Sil bermü uzen; in dem mit Erde gefüllten Gefässe lag eine
klciae Bronzefigur, eckt indischen Ursprungs" „in der PehJwi-Sebrifl am
Postament lasen die Herren Lassen und Bopp den Namen des indischen
Königsgottes Skanda-De?a.u Das Gefass ist ein chinesisches älterer Fa-
brik, gleicht einer schlanken hohen Blumenvase, — die Reliefs auf dem-
selben zeigen eine ebenso sonderbare als rülhselhafte Zusammenhäufunp
- mm ■ — ■ ^— • •— ^ mw^m -mw • " am mf ^r-mmw ■— mr • mmmmm> mw •mmmmw mt ^m m mmm wmmmm^^^m^r ™" •— m^*m mm* wmm mw mmmmmm *m » — ^^y^
von Symbolen der verschiedenartigsten nationalen Mythen, und nun wird
erzählt, „wie eine bnudais tische Gestalt «ach Indien, die Tauben nach
Assyrien, Mitbra nach Persien, ein Drache nach Pbönizien, Thyrsusstäbe
nach Jonien, eine kubuhnliche Maske nach Aegypten hinweisen" 1 Und
diese Gefass soll mit römischen Legionsziegeln nnd röm. Münzen gefunden
worden seiu: hoc cnedat Judaeus Apelia! Wir nimmer! In unserer Ge-
gend sind viele hundert römische Gräber und Sc hutthaufen geöffnet nnd
beschrieben worden; solche Dinge fanden sich nie, und können sich nicht
finden. Im Interesse der Wissenschaften sagen wir hier nur, was wir
glauben ; wiewohl wir mehr sagen könnten. Als wir jene Schüssel hier
ausgestellt nahen, verglichen wir sie mit manchen Denk um lern im Mann-
keimer Antiquarium, nnf welchen ebenfalls aus allen möglichen Mythologien
und Geschichten Abbildungen genommen nnd besonders Orientalisches in
47*
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Figoren und Schrift beigemischt ist; diese find im vorigen Jahrhundert,
uidu weiss iiitiii nie, ucquinri »Urtica, una weruen Tun bciucui aiki-
thumskonner für antik gehalten werden. Ad dem obeo beschriebenen
Fond hat auch die kenntnissreiche Frau Besitzerin einen Augenblick ge-
zweifelt, nur aber weil mehrere Silber münzen dabei waren; „da aber
die Aussage des Finders als schriftliches , dnreb den Bürgermeister von
Main» beglaubigtes Dokument nun vorliegt44 — welchen Grund 1 wie wenn
An- Diirnnrmai Up a|..,ai » | ka/»l»llki f»#o nla nur A'ia II a n A c»hrif »
uer Durgürnicjbicr etwas auucigs ULgiauuigic bis nur uie nunuscunit,
nicht den Inhalt der Schrift — so wird der ganze Fund vor die Zeit
der 30 Tyrannen gesetzt, „indem nach dem Kaiser Probas die Silber-
geoe , aoss nier eine mennaene antiquarisme lausenung vorging, wie
tueb bereits Gerbard in Aren. Anzeig. 1850, p. 135 den Fund sehr ge-
lind als einen „seltsamen"' bezeichnet bat. Auch die übrigen Funde, die
aus Maine berichtet werden, sind nicht ganz ohne Verdacht, von den
gen zu urth eilen, einige uns unächt. Aus diesen Andeutungen, die wir
noch viel vermehren könnten, folgt auch, dass wir den Fundstücken in
dem germanisch - römischen (?) Grab zu Guntersblum noch nicht vollen
Glauben aehenken. Wir nehmen bei Antiquaren die Alterlhümer wie sie
sind, ohne sofort leichtgläubig jeder Angabe Uber ihren Fund u. s. w.
zu trauen; der Kaufmann preist seine Waaren — wie sie gelten. Doch
wir müssen abbrechen und führen die übrigen Aufsätze ohne weitere Be-
merkungen an: Overbeck in Bonn bespricht 8 geschnittene Steine,
Gerhard in Berlin 12 Gemmenbilder aus der obenerwähnten Sammlung
Zeit bildet die Übersicht der Münzgeschichte des Rheinlandes bis zur
Mitte des achten Jahrhunderts von Senckler in Cöln; Theodorich als
Vermittler zwischen Chlodowich und den Alemannen.
In dem Abschnitt Literatur bespricht Ritter in Bonn die kleine
Schrift C. L. Grotefend's über den Stifter der leg. I. Adj. nnd zeigt ge-
gen denselben, „dass sie von Nero und niebt von Galba errichtet sei."
Grimms Geschichte der deutschen Sprache (Leip. 1848) findet eine aus-
führliche Anzeige durch Simrock in Bonn.
Die Miscellen enthalten manche wichtige Bemerkung und einige ge-
lehrte Beiträge; wir beben daraus her: das acutum Cimbricnm Maria nntn
von J. Becker in Hadamar (mit welchem die en unseren Thoren be-
findlichen monströsen Köpfe mit hervorgereckter Zunge verglichen wer-
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Thöl: Einleitung in das deutsche Privatrecnt. 741
den); die Heidenmauer zu Kreuznach und Uber Gussmauern Überhaupt
voi Referendar Eltester, Ober den Gagot als Nachtrag zu einem
froheren Aufsätze Noggeratlfs von Braun, dann mehrere Bemerkungen
ober die Hefte anderer Altertbumavereine und Aehnliches mehr.
Aus der Chronik entnehmen wir, dass die unterbrochenen monatli-
chen Sitzungen wieder eingeführt wurden, was für den Verein nur höchst
sAUlicb und forderlich sein kann. Dass der Verein, der sich so einen
weiten Umkreis gesteckt hat, nur 203 ordentliche Mitglieder im 9. Jahre
seines Bestehens besitzt , erregt billig Bewunderung; gerade der weite
Umkreis soheint uus demselben in dieser Hinsicht nicht zum Vortheile zu
gereichen; der Verein sollte lieh vor Allem in Bonn uod Cöln heimisch
machen, und statt an erstem Orte 40, an letztern kaum 20 Mitglieder
xo ziblen, wttrde er bald in diesen zwei Städten Uber 500 TheUnehmer
rechnen können, und diess wUrde auch in den Provinzen und am ganzen
Rheine einen bedeutenden Zuwachs verschaffen. FUnf Tafeln Abbildungen
sind dem Hefte beigegeben. Uebrigens reiht sich, wie aus Obigem von
selbst folgt — wobei wir noch bemerken, dass manche der nicht be-
sprochenen Aufsätze an wissenschaftlicher Bedeutung und gründlicher Ge-
lehrsamkeit mehrere der betrachteten Ubertreffen — dieses Heft den früheren
wärdig an; daher wir mit dem Wunsch schliessen, dass es dem Verein
vergönnt sein möge, in seinem bisherigen öffentlichen Wirken so tbütig
uod unermüdlich fortzufahren, wie wir es bisher an ihm wie an wenigen
andern Vereinen rühmen können.
Maina. Klein.
— — -
Einleitung in das deutsche Pritatrecht von Dr. Heinrich Thöl9 Pro-
fessor der Rechte zu Göttingen. Güttingen, Verlag der Dieter ich" sehen
Buchhandlung. 1851 Vitt und 194 S. 8.
Diese Einleitung in das deutsche Privat recht ist nicht, wie die
Bichborn's, ein Lehrbuch oder eine Darstellung des deutschen Privat-
rechts, sondern eine Einleitung in eine Darstellung des deutschen
Privatrechts. Ihrem Inhalte nach ist sie im Wesentlichen das, was man
auch als allgemeinen Theil des gemeinen deutseben Privatrechts
findet, z. B. in Beseler's System. Sie zerfällt in einen historischen und
in einen dogmatischen Theil. Der historische Theil enthält die äussern
Merkmale der Quellen und Zeugnisse des Bcchts, welche sie als Thatsa-
cben individualisiren ; die s. g. äussere Recbtsgeschichte. Der dogmatische
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743 Thöl: Einlei ton; in das deutsche Privat recht.
Theil enthält aber nicht etwa auf den lohalt dieser Quellen and Zeugnisse
^rundete Dogmen, sondern Dogmen Ober die Bedeutung and den Ge-
L-.-.r JKrfl« fnhnllc* unrl »vvnr nirht hlncc lilipr ftpsfion \vi«*Pnf chnftlir hfln
oruucn lures ibhbiis, udq in Br uico* viubb uucr uchcd v»i»sBUPi/iiaiiin»utJi*^
sondern auch, anter dem Titel: T Verhüllniss verschiedener Rechtssatze
zu einander14 (%. 67—85. S. 163—190), Über deren praktischen Ge-
brauch. Die zuletzt geoanote Materie, die * g. Colliaion der Statuten
Oder das S. g. internationale Privatrecht, wird als Bestand Ifaeil eines
gemeinen oder universellen Kredit nie angesehen werden können. Deoa
diese Eigenschaft kann ihm oor beiwohnen in seiner Beziehung zu den-
jenigen particalairen Rechten, denen es als Grandlage dient. Die Frage, in
wie weit et im particalairen Rechte Geltung habe, oder mit andern Worten,
iowiefern es wiederum Bestandteil einet particulairen Rechts tey, gebort
dem particalairen Rechte an. Ihre Beantwortung ist Oberdiett unabhängig
davon, inwiefern die zu beurteilenden Thalsachen diesem oder jenem
Rechtsgebiete angehören, weil das universelle Recht seine Anwendung nur
alt Bestand theil einet particulairen findet, und immer mit diesem ein und
daatelbe Rechtsgebiet bildet Ihrer Natur nach gehört aber diese Materie
dem anzuwendenden Rechte selber an und scheint sonach such in einer
Einleitung keinen Fiats finden zu kOnnen ; wenn nicht der didaotisobe Grand,
dass es sonst an einem Platte für sie ganzlich fehlen würde, ihr hier
•inen Matz vindicirt. Allein dieaer Grund kann nur dann alt ein durch-
greifender angesehen werden, wenn die Darstellung des deutschen Pri-
vatreebtt zugleich eine Anleitung für die Anwendung des particulairen
Rechts zu geben bestimmt ist. Dann Uberschreitet sie aber die Grenzen des
gemeinen Hechts, und wenn nicht im Innern derselben wiederum eine
Scheidung desselben von jener Auleitung stattfindet, so muss diese Mischung
der Darstellung den Charakter einer Darstellung des gemeinen Hechts
ganzlich entziehen. Der Verfasser will die Darstellung det deutschen
Rechts nun nicht auf das gemeine Recht beschranken, sondern das „ prak-
tische Bedürfnisse über ihren Umfang entscheiden lassen, und auch das
particulaire Recht, sofern es Uberall oder an vielen Orten in Deutschland
gilt, und sich durch diesen Umfang seiner Geltung als ein allgemei-
nes Recht charakterisirt, in sie aufnehmen (§. 86. S. 191 — 193). Der
Verfasser nennt diesen Theil „die** Rechtsstatistik; und zu ihr würde
denn aueu die Angabe gezShlt werden müssen, welche Institute des rö-
mischen Rechts nicht reeipirt worden sind; eine Angahe, die ebenfalls
Theil der Darstellung werden soll (S. 192). Di«, nirmlieh die ganw,
Bechtsstatiitik Deutschtands wurde indess damit nicht gegeben seyn (und
man wird schwerlich an jemanden die Anforderung stellen können, eine
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Thöl: Einleitung in das deutsche Privtirecht. 741
solche ku geben) ; namentlich wurde zu ihr auch noch die Angabe ge-
hören, in wie weit denn das gemeine Recht in jedem einzelnen particu-
lairen Rechte zur Anwendung komme. Sonach wäre es die Absicht des
Verfassers, neben dem gemeinen deutschen Rechte eine deutsche Recbts-
kande mitzuteilen, deren Umfaug von seiner Ansicht über das prakti-
sche ßedürfuiss abhängig bliebe, welches nach Verschiedenheit der par-
ticulsirea Rechtskreise, denen die Bedürftigen angehören, ein sehr ver-
schiedenes seyn kann. Der Verfasser scheint aber dem allgemeinen Rechte
einen grössern EinUuss auf die Darsteliuug gestalten zu wollen, wen» er
für dessen Wichtigkeit anführt: dass es möglich sey „den gesummten
Stoff des geltenden Rechts, wenigstens annäherungsweise, in feiner
ganzen Fülle darzustellen, wenu man ihn classificire , also die überein-
stimmenden Rechtssätze verschiedener Orte zusammenstelle und erörtere."
Darnach wird also uicht die Gestattung des gemeinen Rechts Uber das
System entscheiden, sondern die des allgemeinen Rechts, so weit es
zum Gegenstande der Darstellung gemacht wird. So stellt sich die vor-
liegende Einleitung dar als: eine Einleitung in die Darstellung einer deut-
schen Privatrechtskunde.
Von diesem Standpunkte aus kann nur das subjective Ermessen des
Verfassers darüber entscheiden, was Gegenstand der Darstellung, und da-
rüber, was Inhalt der Einleitung werden soll oder sollte. Und wenn man
die Einleitung als einen s. g. allgemeinen Theil betrachtet, so lässt sieb
auch von diesem Standpuukt aus darüber nicht weiter rechten, dass die
Cellision der Statuten in ihr ihren Platz gefunden hat.
Die Ausprägung der geschichtlich herrschenden Vorstellung; näm-
lich desjenigen Elements, welches zwischen der ^geschichtlichen) Thatsoche,
die das s. g. objective Recht erzeugt, und der förmlich ausgebildeten Vor-
schrift, in der Mitte liegt j dürfte indess in einer wissenschaftlichen Dar-
stellung des deutschen Rechts den ersten Platz verdienen, während die
Mitlheilung einer blossen Rechtskunde sieh eben durch das Vermeiden je-
des Berühren* dieses Elements charakterisirea würde. Bei der Arbeit
des Verfassers scheint keine dieser Alternativen festgehalten. Zur nühern
Erörterunir dieses Umstaudes und seines Einflusses werden aus ihr nach-
folgende Momente hervorgehoben.
Das Wesen der Rechts verschieden heil findet der Verfasser darin,
dass dieselben (ihatsächlichen) Verhältnisse durch Verschiedenheit der
Rechtssalze verschiedene Rechlsinstitute werden (§ 28. S. 78), und gibt
einen zweifachen Begriff des Reehtsiastiluts, £s sey einmal ein Tnat-
bestan4, welcher ein Recht begründe, und in einer andern Bedeutunf
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744 Thöl: Einleitung in das deutsche Privatrecht.
wiederum das Abstractum eines Rechtsverhältnisses, oder das Rechts-
verhü I tniss in seiner Möglichkeit der Verwirklichung durch einen Rechts-
satz. Die letztere Bedeutung gibt der Verfasser als eine engere, von
anderen angenommene an (§. 41. S. 44). Sie erscheint aber ab eine
gradezu entgegengesetzte, indem jener erste Thatbestand doch als
ein Concretum gedacht werden muss. Uud dann entsteht die Frage, in
welchem Sinne der Verfasser den Ausdruck bei der Bestimmung der Ver-
schiedenheit des Rechts genommen wissen will. Wenn ihm thatsächliches
Verhältnis» und Thatbestand gleich sind, so kann nur eine Verschieden-
heit des Rechtsinstituts in der zweiten Bedeutung gemeint seyn, welche
der Verfasser auch später (§. 42. S. 116) im Auge zu haben scheint.
— Der Thatbestand wird aber vom Verfasser wiederum nicht überall in
gleicher Bedeutung genommen. Bald ist er ihm ein historisches Moment,
aus dem mit Hilfe der Anwendung eines Rechtssatzes auf dasselbe ein
subjectives Recht erzeugt wird (§. 32. S. 91. §. 41. S. 114), bald ein
historisches Moment, aus dem ein Rechtssatz (§. 32. S. 22), also ein
öbjectrves Recht (oder auch eine Billigkeitsregel? §. 40. S. 113), her-
vorgeht, und welches im Gegensatze des Rechts (einer Einrichtung, t. B.
der Hypotheken) als (deren) Wesen bezeichnet wird (§. 32. S. 92).
Man wird dabei an eine Aeusserung bei Gerber: System des deutseben
Privatrechtf, Aufl. 2, S. 154 — 156. erinnert, nach welcher im alteo deut-
schen Rechtszustande die Rechte nur Thalsachen gewesen, welche durch
eine formelle rechtliche Substanz, die Gewere, geschützt worden.
Irgendwo muss hier einmal das Thatsachliche und das Rechtliche
mit einander identificirt seyn; und die Ursache dieser Vermischung dürfte
eben darin zu suchen seyn, dass das vorbin hervorgehobene Element, die
geschichtlich herrschende Vorstellung, nicht selbstständiger Gegenstand der
Auffassung geworden ist. Der Verfasser redet selbst von einem in dem
Volksleben bestehenden unermesslichen Thatbestande, welcher dem gesamm-
ten Rechte entspreche (%. 32. S. 91). Dieser Thatbestand, im Gegen-
satze der ein einzelnes Rechtsverhältnis! begründenden Thatsache, kann
eine Bedeutung för das Recht nur insofern haben, als er objectives Recht
erzeugt. Diese Erzeugung ist nur dadurch möglich, dass er eine Vorstellung
vom Daseyn eines objectiven Rechts hervorruft. Ein solcher Thatbestand ist,
%. B. auch der Act der gesetzgebenden Gewalt, welcher einen Recntssatz aus-
spricht. Andere Thatbestände, denen nicht die Absicht inwohnt, Recht^atze
herzustellen, können dahingegen entweder nur solche anerkennen, oder eine
Rechts Vorstellung erzeugen, d. b. eine Vorstellung, welche unentwickelte
fteebtssätze in sich trägt. Diese Vorstellung muss sieb aber nolhwendig an
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Thölr Einleitung in das deutsche Privotrecht. 74&
irgend einen körperlichen oder ideellen Stoff knüpfen, der zu ihrer Verwirk-
lichung dient, wenn sie mehr als eine blosse Idee und von rechtlicher Bedeutung
seyo soll ; weil sie nicht von einer zum Tragen des objectiven Rechts qualifi-
cirten Macht getragen wird, wie es bei dem Producta der gesetzgebenden
Gewalt der Fall ist. Sie ist dann dam abstracten Hechtsinstitute darin gleich,
dass sie eine Rechtsstttse in sich sc h liessende Vorstellung ist; dem Rechts-
verhältnisse darin, dass sie mit einer Substanz bekleidet ist. Diese Sub-
stanz iit aber nicht, wie bei dem Rechtsverhältnisse, einem bestimmten
Triger angeeignet, sondern nur der Vorstellung als Mittel ihrer
rechtlichen Verwirklichung dienstbar. Die Vorstellung ist also kein Rechts-
verhältnis», sondern ein blosser Zustand, d. Ii. eine herrschende Vorstel-
lung. Und sofern dieser Zustand keiner Sonderherrschaft eines Trägen
unterwürfen ist, steht er jenem abstracten Rechtitinstitute an rechtlicher
Bedeutung völlig gleich. In Unabhängigkeit von einer solchen Unterwür-
figkeit gedacht, ist er es eben, was man als Wesen bezeichnet. Der
Zustand de« Bestehens der Hypothekenrechts-Sätze, das ist das Hypothe-
ken Wesen ; und der Stoff der ihm dienstbar ist, besteht in den Kräften
und Mittein, deu Beamten, Büchern u. s. w., welche zu seiner Verwirk-
lichung dienen. Wenn man nun diese Substanz und die Thatsachen, welche
sin zn Mitteln für Jenen Zweck gestaltet haben, als einen Thatbeatand
oder als Thalsuche bezeichnet, so ist dieses thalsach liehe Moment eher
einem Akte der Gesetzgebung, als der Begründung eines einzelnen con-
ereten Rechtsverhältnisses verwandt. So erklärt es sich denn freilich,
wenn der Verfasser ein Rechtsinstilut kennt, welches ein Thatbeatand ist,
und einen Thatbestand, welcher Rechtssätze erzeugt; und wenn Gerber
Thatsachen kennt, welche Recht sind. Es ist das immer nichts andere«
alt der rechtliche Zustand. — Die Behandlung desselben als blosser
Tbatsacbe scheint auf der Ansicht zu beruhen, dass das Daseyn des Rechts
durch die Ausdrucksform des Rechtssatzes bedingt sey. Diese Ansicht
tritt bei dem Verfasser insbesondere hervor, wenn er der Sache, oder
den Institute, aus deren Natur Rechtssütze gefunden werden, die Eigen-
schaft eines Rechtsinstitutes abspricht und sie für einen blossen Thatbe-
stand erklärt (§.57. S. 144). — Das mag der Standpunkt einer Rechts-
kunde seyn, aber es ist nicht der Standpunkt der Rechtswissenschaft.
Der Urheber eines intellectuellen Producta selber, d. h. derjenige,
welcher eine Vorstellung nicht bloss vermittelst einer rein verständigen
Rpflpxinn aeitaltet und die Wirklichkeit dieser Gestaltung begründet f wie
es 1. B. bei der Auffindung einer rationellen Norm nach den Gesetzen
des Denkens, eines Rechtsverhältnisses nach gegebenen Normen für dit
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746 Thöl: Einleitung in das deutsche Privatrecht.
Handlungsweise der Menschen, der Fall ist), sondern der die Quelle des
sinnlichen Elements der producirten Vorstellung geworden ist, steht immer
auf dem Standpunkte eines Organs eines seine Thatigkeit beherrschen-
den Zustande«. Sein Produet ist Produet einer ihn beherrschenden Vor-
eUllimo Aim eich in ihm vnn Her nra/lnr irlün Vnr c I oll 11 n rr iinH vnn ceinar
StV(l*Ug| V|W iltll III IHH TUM HCl |JI UUUlll Ivll " VI 3%Clllilj£ UHU 1VU 9CIUC1
eignen producirendeo Tbiitigkeit nicht scheidet, und diese mit jenen bei-
den, so wie diese untereinander , identiucirt Sein Produet ist Reproduct
einer herrschenden Vorstellung . oder Fortentwickeln".? eines Zustande*
Sehen wir nun von jener rein verständigen Reflexion ab, stellen wir sie
ku den ausser der Beachtung stehenden Ausnahmen, so ist alles Recht,
welches nicht in der Form der Vorschrift, nämlich eines Gebotes, oder
Verbotes, oder etwa einer Erlaubnis*, ausgesprochen ist, ein reprodueir-
ter Zustand. Der Urzustand der Dinge mit der ihm beigegebenen mensch-
lichen Kraft, hat sich durch die Thatigkeit der letzteren KU geschichtli-
chen Zuständen gestaltet, welche, sofern sie die Beziehungen der Menschen
au einander bilden, und diesen eine Notwendigkeit auferlegen, in den
Vorstellungen der Menschen vom Rechte, welche sie kund geben, sey es
durch wörtliche Aussprüche oder andere Handlungen, wiederum reprodn-
cirt werden. Diesem Tbeile des Rechts liegt denn auch allerdings jener
unermessliche Thatbestand, die Geschichte, zum Grunde, aber in seiner To-
talität als sich fortentwickelnden Zustand, und nicht insofern, als er eine
specielle Richtung auf die Erzeugung oder Anwendung einer Vorschrift
nimmt, und entweder reiner Willensact oder reiner Verstandesact wird. In
diesem Sinne jenen Thatbestand aufgefasst, gebort ihm auch die Thatigkeit
der Schöllen an, welche unabhängig von gegebener Vorschrift Recht spra-
chen. Und wenn man das durch die, einem solchen Tbatbestande enge»
hörende, Thatigkeit in ihrer Gesammtheit entwickelte Recht als Schöffen-
recht bezeichnen will, so kann man freilich mit dem Verfasser für die
altere und mittlere Zeit das gesammte Recht in gesetzliches (promolgirtes)
und Scköffeorecht eintheilen (§. 2. 3. S. 6. 8). Versteht man indess
unter Scuöffenreeht, wie billig, nur das durch die Schöffen funetion ge-
bildete Recht so ist diese Eintkeilunir nicht z.n rechtfertigen Schöffen-
■rlBUWW ■>! uv*1* ^ UFW mmTW "'VwV UllltUVIlUII^ UIVUI Ma\A I WVIIIIVI iin^^pii WIIVIIWU
recht in ieaem weitern Sinne ist aber in der Tbat auch alles heutige
»wuv mmm j v«v"i w* ,,M " mm^mmmmmv mmm m w v ■ mmm *»w« * mmmmw ** v •# mm mm
gemeine deutsche Privatrecht, mit Ausnahme der spärlichen Fragmente,
welche lieh in den Reichsgesetzen finden lassen; von demjenigen abge-
sehen, was zur Zeit des projeclirten neuen deutschen Reiches in der Form
eines cemeineu Gesetzes aufgetreten ist Denn wenn auch von diesen
%j mm mm mm mm mw m* mm* +r ^ mmm>m0 mm mmw ■ mmm mm mm^m mmmmm mm y m^mm \m m
A, usoflh e n 3l)^e$efi c o ^ j oo es Ree b t vi u i (J u rc Ii d i c o rs t e 1 I u n ^ der J u r \$ t eo
erkennbar wird, so kann diese Darstellung doch nur insofern Recht ent-
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Thöl: Einleitung in das deutsche Privatrecht.
halten, als sie in der That die Gestaltndg jenes unermesslichen Thatbe-
standes, sofern er Deutschland angehört und in ihm ein gemeinsamer ist,
den deutseben Gesammtzustand, und nicht etwa nur den Zustand des Dar-
stellers, reproducirt. Soll ihr Inhalt also Beeht seyn, so darf der Darstel-
ler nicht der Urheber der in ihm enthaltenen Vorstellungen seyn.
Darin ändert es denn auch nichts, dass der Zustand des Darstellers der
Zustand eines Juristen ist. Selbst dann ändert dieser Umstand nichts,
wenn er der Ge>amm( zustand aller Juristen ist, da dieser Gesammtzu-
stand jenem Gesammlzustande der Nation gegenüber nur ein Sonderzustand
ist. Wäre aber auch der Zustand des Darstellers mit dem Gesammtzu-
stande der deutschen Nation in seiner Gestaltung identisch, so würde sein
Product wiederum nur eine Heproduction des Gesammtzustandes, also nicht
sein eignes Product seyn. Sofern also die Darstellung des Rechts nicht
des Prodeet der Gesammtheit, sondern das Product der Juristen oder der
Wissenschaft ist, kann dasjenige, was von ihrem Inhalte in der That Recht
ist, nicht das Product dieser Wissenschaft seyn. Der Verfasser sagt in-
des*, dass die Wissenschaft Recht erzeuge. Bs ist gewiss richtig, wenn
der Verfasser (§. 55. 8. 138) bemerkt, dass das wissenschaftliche Recht»
also die Rechtsdarstellung des Juristen, einer innern Begründung
bedürfe. Diese innere Begründung- muss aber bei der Darstellung des
gemeinen deutschen Rechts, ron den genannten geringen Ausnahmen ab-
gesehen, notbweodig die Eigenschaft derselben ab einer Reproduction
jenes Gesammtzustandes zum Gegenstande haben. Nicht weniger rich-
tig ist es, wenn der Verfasser sagt, dasS die Rechtssülze durch die wis-
senschaftliche Entwicklung gefunden und nachgewiesen werden
(ebenda!.). Was gefunden nnd nachgewiesen werden soll, das muss aber
doch schon vorhanden seyn; und was, auch wenn es schon ist, doch
noch einer Begründung bedarf um als das zu gelten, was es seyn soll;
das kann kein selbstständiges Erzeugniss, sondern nur eine Nachahmung
ron etwas snderm seyn, mit dem es sich nicht identificirt.
So weit das beutige gemeine deutsche Privatrecht nur durch ju-
ristische Darstellung erkannt wird, bedarf es zu dessen Anwendung kei*
ser Normen Uber die Auslegung eines Gesetzes -Text es. Zu einer wissen-
schaftlichen Erforschung der Gestaltung des Znstaodes genügen aber jene
Normen nicht. Der Verfasser hat die Begriffe der verschiedenen Arten der
Auslegung, welche die Theorie des Pandektenrechts kennt, angegeben
(§. 58. & 144 IT), ohne dass dabei eine strenge Begrenzung der Critik
des Textes und der Entwicklung des Rechts gegenüber gewahrt erscheint
Wenn nämlich der Verfasser die berichtigende Auslegung als diejenige
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748 Thöl: Einleitung in du deutsche Privatrecht.
bezeichnet, welche das „unwahre" Wort berichtigt (§. 63. S. 154),
io passt diese Bezeichnung nur anf den Fall, wo an die Stelle eines vom
Gesetzgeber nicht gesprochenen Wortes das von ihm gesprochene,
an die Stelle des un achten Wortes das ächte gesetzt wird; gleichviel,
ob das letztere in irgend einem Gesetzestexte vorgefunden wird oder
nicht. Diese Thatigkeit entspricht der Bedeutnng der Auslegung jeden-
falls nicht. Verschieden davon ist der Nachweis, dass der vom Gesetz-
geber gebrauchte ächte Ausdruck unrichtig (S a v i g n y Syst d. R. R. L
S. 231) sey, der ein Mittel sein kann, eine von den Worten des Ge-
setzes abweichende Auslegung zu rechtfertigen. Ferner legt der Verfasser
jeder Auslegung die Kraft bei, einen neuen Recbtssatz hervorzubringen
(§. 58. S. 144). Denn sagt er: wenn der durch Auslegung gefundene
Rechtssatz auch vor der Auffindung durch die Auslegung in dem Worte
des Gesetzes enthalten war, so übersieht man, dass die wissenschaftliche
Auslegung erst herausgestellt hat, dass er so and nicht anders darin ent-
halten war (S. 144. 145). Allein mag sie es auch herausgestellt haben,
dass er überhaupt darin enthalten, so entsteht dadurch doch immer nur
08 Ig 0 ü 6 f U ü d C 8C \\ Is S 8 1 £ IS t ^^^J 0 ^£ I C 1 C h C ID I l€* 1* ETI 1 L d 60) ^ 8 IIS
welchem er gefunden wird, sagt der Verf. selber §. 62, S. 153}, wenn
sie eben nur Auslegung, nemiich Darlegung des Inhalts von (vorhande-
nen) Worten ist, wie der Verf. selber an einer andern Stelle (§. 59.
S. 145) sie nennt. Der Verf. sieht demnach, im Widerspreche mit der
eben gedachten Bedeutung der Auslegung, theils die Kritik in das Gebiet
der Auslegung, theils die Wirkung der Auslegung in das Gebiet der
Rechtsenlwickelung hinüber. — Der Verf., welcher den Recbtssals, wel-
cher die Quelle eines andern ist, ab das Princip bezeichnet (§. 60. S. 1 48),
versteht unter Analogie die Findung und Anwendung eines Princips, ohne
(§. 64. S. 154. 155). Darnach besteht die Analogie in dem unmittel-
baren Gebrauche eines Princips als Grundsatz. Diese Analogie wäre dann
die analoge Anwendung. Wenn der Verf. aber diese analoge
Anwendung noch wiederum in eine Gesetzes - Analogie und in eine
Rechts* Analogie (mit KieruIfT, Civilr. S. 29— -32) eintheiit, je nachdem
zur Auffindung des Princips nur Bin Hechtssatz benutzt worden oder meh-
rere, so wird diese Einteilung als eine müssige betrachtet werden müssen.
J Bei der Beschränkung der Bedeutnng des Rechts auf den förmlich
ausgesprochenen Hechissatz, wird es insbesondere an einer Rntscneidnngs-
norm fehlen, wenn es sich darum bandelt, inwiefern das Gesetz einet
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ThöJ: Einleitung in das deutsche Privatrecht. 749
Landet in Ansehung eines gewissen Verhältnisses etwas bestimmen, nem-
iieb seine Vorschrift auf dasselbe erstrecken wollen. Dieser Wille des
Gesetzes soll indess nach dem Verf. ($. 72. S. 170 ff.) darüber ent-
scheiden, in wie weit der Richter eines Landes dasselbe antuwenden hat,
wenn Trager des streitigen Verhältnisses oder unmittelbar dessen Stoff,
einem andern Lande angehören. Und da, wie der Verf. bemerkt, die
Gesetze über die örtlichen Grenzen ihrer Herrschaft sieb meistentheis nicht
aussprechen, so wird es doch oothwendig, diese Gränzen ausserhalb des
gesetzlichen Ausspruches zu suchen. Der Verf. (S. 171) zählt freilich
diese Operation zur Auslegung des Gesetzes, und vermischt so mit dieser
die Anwendung des Gesetzes. Gesetzliche Vorschriften Uber die Aufhe-
bung des Conflicts der Gesetze, regeln indess nicht, wie der Verf. will,
die Auslegung, sondern die Anwendung. Und hängt es denn nur von
dem Willen des Gesetzes ab, wie weit seine Herrschaft sich erstreckt?
Der Wille des Gesetzes kann dessen Anwendung doch in keinem andern
Kreise vermitteln, als in dem, wo der Zustand seiner Herrschaft verwirk*
licht ist! Hat das Gesetz den ihm unterworfenen Richter angewiesen,
ohne Rücksicht auf die Unterwürflgkeit der Partbeien oder des Stoffes
anter ein anderes Recht, nach seiner Vorschrift zu entscheiden, so muss
dieser Richter freilich Folge leisten. Dann ist aber für ihn Überall
keine Collision vorbanden, und das Gesetz hat die Gollision beseitigt, and
keine Vorschrift zur Beseitigung der Collision aufgestellt. — Ausserhalb
des Kreises der positiv sanetionirten Rechtskraft der Entscheidung jenes
Richters hängt aber die Anwendbarkeit eines Gesetzes von der gesetzge-
benden Macht des Urbebers des Gesetzes über den in Frage stehenden
Stoff ab. Die Herrschaft des Inhalts einer Vorschrift aemlich kann nur
entweder durch absolute Vernünftigkeit, oder durch die Unterwürfigkeit
eines Stoffes unter die Herrschaft ihres Urhebers eine Verwirklichung er-
langen. Im ersten Falle hat er sein Daseyn Uberall eicht erst vom Ge-
setzgeber empfangen, und seine Geltung ist eine allgemeine, so dass mit
dem Daseyn eines Conflicts verschiedener Gesetze, anch die Verneinung
der Anwendbarkeil einer Vorschrift von absolut vernünftigem Inhalte ge-
geben ist. Denn gibt man den Conflict zu, so kann das Daseyn einer
solchen Vorschrift für den gegebenen Fall keine Anerkennung erlangt ha-
ben. Wo dieser Conflict besteht, da kann es sich demnach nur um Vor-
schriften anderer Art handeln. Und hier kann die Anwendbarkeit eines
Gesetzes nur denjenigen Stoff ergreifen, der dem Gesetzgeber als Mittel
fttr seine Gesetzgebung unterworfen ist; nemlich als Mittel, um ihn wie»
deram zum Mittel für andere Zwecke (hier gleichviel, ob für seine eig-
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750 Thöh Einleitung in das dentache Privatrecht.
oen oder für die der ihm unterworfenen Gesommtheit, für Sonderzwecke
oder für Gesammlzwecke) iti gestalten. (Jod diese Unterwürfigkeit ist
allerdings ein Product von Thatsacben, aber eben d esshalb etwas ände-
ret alt die prodocireode Tbatsache; sie ist eine ena dieaer hecvorge-
Bedeutung der Handlungen der Menschen, weiche diesen Stoff zum Ge-
genstände haben. Wenn das nicht ein rechtliches Moment ist, so gibt
es keines. Es zeigt sich demnach auch iu diesem Beispiele, wie die Be-
handlung des Verr. dem Wesen des Hechts eine Figur substituirt, die nur
eine Darstellung von einen Reckte ist.
Auf der andern Seite scheint der Verf. dem Rechtssatte wiederum
nicht die nölhige Absonderung von seinem Ausspruche, nemlieh voo dem
Gesetze zu Theil werden in lassen. Er fuhrt an: „man" sage, eaas
jeder Rechtssatz gebietend sey, womit man sagen wolle, dass jeder
Rechtssalz ein Recht gebe; daa sey unrichtig, und man bebe dabei des
-Recht auf die Anwendung des Recbttsatses mit dem Rechte aus dem In-
halte des Rechtsseties verwechselt (§. 33. S 97). BekannÜich hat man
aber die Gesetze in verbietende und gebietende getheiU und bisweilen
des Daseyn des erlaubenden Gesetzes in Zweifel gezogen, indem man in
dem Gesetze den Charakter des Befehlens fand, das man als ein Gebie-
ten bezeichnete, und als die nothwendige Voraussetzung jedes Rechts be-
trachtete (vrgl. Thibaut, Syst. d. P. R. §. 24). Damit bat man aber
nneh nicht behauptet, dass iedes Gesetz ein Recht ertheile und eben so
gebietend sey. Das Gebot der Anwendung des Rechtssatzes kann doch
immer nur in dem Gesetze gefunden werden, welches ihn ausspricht. In
jener vom Verf. getadelten Eint Heilung der Gesetze liegt vielmehr nichts
weiter, nie die Feststellung des Weaens der gesetzgebenden Tätigkeit,
das aich auf des Gebieten und Verbieten, oder auf das Gebieten des Thuns
und des Unterlassens beschränkt. Dienen Charakter verliert sie nueb dann
nicht, wenn ihre Vorschrift eine bloss bedingungsweise ist, nämlich in der
-Art, dasa man dieses oder jenes tkuu, z. B. Zeugen zuziehen, oder unter-
lassen müsse, wenn diese oder jene rechtlichen Folgen eintreten sollen. Die
'Vorschrift des Gesetzes, sein Inhalt oder der Hechtssatz, kann indess nicht
-bloss gebieten and verbieten, sondern auch orgaoisiren, d. h. Mittel für Zwecke
gestalten. Jeder positive Rechtssatz setzt eiue solche Gestaltung voraus, sey
es nun, dass sie der gesetzgebenden Mach t ihren Ursprung verdankt, oder
■von dieser ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt worden ist, oder
sich ohne deren Tbatigkeit durch Gewöhnung gebildet hat; sofern er
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Thc-I: Einleitung in da« deutsche Privatrecht. 754
nicht etwa bloss in Strafbestimmungen besteht. Denn abgesehen von der
Straf bestimmung kann ein Hechtssntz, der unabhängig von einer solchen
Gestaltung ist oder nicht von einer solchen begleitet wird, nur eine An-
erkennung des absolut rationellen Rechts, des s. g. Vernunftrechts, ent-
halten. Der einfachste Fall eines positiven Gesetzes, die Sanctioairnnf
von Eigenthum an einem beweglichen Körper, ist ohne Gestaltung des
Erwerbes des Körpers geradezu unmöglich. Diese Gestaltung ist eine
Gestaltung der Gesammtheit der beweglichen Körper zu einem Stoffe für
Eigenthumsgegeustände. In gleicher Weise setit die Sancttooirung des
Grundeigentums voraus, dass der Erdboden der Zerlegung in einzelne
Grundstücke fähig gemacht, d. b. mit rechtlichem Effecte fähig gemacht
ist. Es ergibt sich daraus eine doppelle Punktion der (positiven) Ge-
setzgebung; eine fundamentale organisirende, und eine fundirte vorschrei-
bende. Die letzlere ist der gesetzgebenden Macht ihrer Natur nach ei-
gen, und sofern sie in ihr sieb bewegt, identiGciren sich auch Gesetz und
Rechtssatz ihrer rechtlichen Bedeutung nach. In der ersten übt sie indess
eine Thätigkeit aus, deren die Gesammtheit sich nie entäussert, und die, sofern
sie nicht mit der Schöpfung von Einrichtungen verbunden ist, ihr auch grossen-
iheils Uberlassen zu bleiben pflegt. Das fundamentale Element des Rechtssatzet,
den sie durch diese Thätigkeit, ausdrücklich oder stillschweigend, ins Da-
seyn ruft (z. B. dass man von dem Hypothekenbuchführer die foscription
verlangen kann) trennt sich von dem Gesetze selber als dessen bereits
durch dasselbe, so weit der Ausdruck des Anwendens hier passt, zur
Anwendung gebrachte Organisation (z. B. das Daseyn des Hypotheken»
weaens). Bei dem Verf. fällt, wie sich aus dem Bisherigen ergibt, diese
fundamentale Thätigkeit in das Gebiet der Thatsacben oder der Erzeugung
von Thatsachen. Ohne ihr Produkt zum Grunde zu legen, wird man in-
dess schwerlich mit dem Verf. ausser den gebietenden und verbietenden
Rechtssätzen noch verneinende, begriffsentwickelnde , berechtigende und
erlaubende Rechtssützo (§. 33. S. 9?) unterscheiden können. Zn den
Producten dieser Art gehört auch der durch das Daseyn gestatteter oder
in Vorstellungen eingeschlossener, noch ungestalteter Rechtssätze begrün-
dete Zustand, ohne den die Unterscheidung des Verf. zwischen strengem
und billigen, zwischen consequentem und incoosequenten Rechte (§. 38.
39. & 105 ff.) ebenfalls unmöglich scheint. Elementen, die solche Un-
terscheidungen ermöglichen, durfte doch der Charakter des Rechts nicht
abzusprechen seyn. Verweiset man sie aus dem Gebiete des Rechts, so
schliesst man aus dem juridischen Kreise Alles aus, was nicht auf der
Gesetztafel steht oder in der Schreibstube sich gestaltet. Führt man das
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Thöl : Einleitung in dm deuUche Privatrecht.
eigene Hechl einer lebenden Nution darauf zurück, fo ist et, in der Ge-
stalt, die es dadurch empfangt, auch nicht um ein Hoar besser als ein
herübergenommenes von seiner Lebensquelle abgerissenes und damit ab-
getödtetes Recht. Hag indess auch eine solche Behandlung mit der Mode
im Einklänge stehen und eine Annäherung an die Behandlungsweise des
römischen Rechts seyn, welcher, von Einzelheiten abgesehen, die Vor-
wurfe gebühren, welche man dem römische« Rechte selber gemacht hat,
so wird es um so dringender, darauf aufmerksam zu machen, wohin sie führt.
Der Verfasser schliesst die Darstellung seines Thatbeslandes indess
keineswegs von seiner Betrachtung aus. Er nennt, was in diese Dar-
stellung gehört, bemerkt, dass sie getrennt von der Darstellung des Rechts
oder Bit dieser verbunden gegeben werden könne, und dass das Tbat-
sächlicke „ Voraussetzung u alles Rechts und dessen Keontoiss daher be-
deutend sey ($. 32. S. 91 IT.), dass sie durch den Juristen oder dessen
Vermittlung ergänzt und berichtigt werden müsse (§. 32. S. 953, un<*
dass die Darstellung sieb auf dasjenige beschranken werde, was für das
gegenwärtige Recht erheblich sey. Allein wenn der Verf. sagt : die Dar-
stellung „schildere"4 die in der Wirklichkeit bestehenden Verhallnisse und
Rechtsverhaltnisse (§. 32. S. 92), so dürfte es kaum möglich seyu, das
darzustellen, was die Bedeutung dieser Worte in sich schliesst. Betrachtet
man aber die Einzelheiten, welche der Verf. dahin zahlt, so findet man,
dass nur eine Schilderung des Zustaudes , welcher aus dem Daseyn der
verschiedenen Arten jener Verhältnisse entspringt, beabsichtigt sein wird.
Dabei werden aber solche Gestaltongen, die von diesem Standpunkte ans
nur als Rechts begriffe hierher gehören können, deren concretes Daseyn
indess wiederum Voraussetzung für andere coucrete Rechte ist, nament-
lich juristische Personen, Stande, aber auch schlechthin „ einzelne Hen-
•chentt (ohne dass man sieht, ob darunter nur deren juristische Eigen-
schaften , oder Iodividuen welche sie tragen , verstanden werden sollen),
in diesen Thatbestand gestellt In gleicher Weise werden Rechtsgeschäfte
genannt. Ei wird ferner dabin gezahlt die Art und Weise der Betrei-
bung des Gewerbeverkehrs, und diese ab die juristische Betreibung
der Gewerbe bezeichnet. Darunter wird verstanden seyn, der Gewerbe-
betrieb, welcher durch Rechtsgeschäfte vermittelt wird. Die rechtliche
Bedeutung dieser Geschäfte gehört aber doch in das Recht. Der Betrieb
selber ist nur ein Gebrauch dieses Rechts, und nur eine für das Recht
gleichgültige Veranlassung zur Anwendung desselben. Bedeutend für das
Recht sind aber die Vorstellungen, welche über die Verhältnisse der
Gewerbtreibenden zu einander und deren Gegenstände durch den Ge-
werbebetrieb herrschend geworden sind, ohne zu Rechtssätzen gestaltet
«zu seyn. — Diese Seite geht aber hier ganz verloren , während wie-
derum durch Rechtsgeschäfte veranlasste Streitigkeiten hierher gezogen
werden, die doch als solche nur Veranlassungen zur Anwendung des
Rechts sind. Hi u< k< .,!,«>« i i.
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Nr. 48. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBOGHER DER LITERATUR.
Lehrbuch der Mechanik. Von Dr. J. F. Broch. Erste Abt/ieilung.
Mechanik der festen Körper. Berlin, 1849» Veit $ Comp. Chri-
stiania. Feilberg und Landmark.
Von dem so eben genannten Lehrbuche liegt der erste Abschnitt
der ersten Abtheilung in 222 Seiten (8.) vor, der die Gesetze des
Gleichgewichts und der Bewegung umfassl. Es ist somit noch
lange kein Ganzes, das hiermit angezeigt wird, auch ist der vorliegenden
ersten Lieferung keinerlei Einleitung beigefügt, aus der etwa der Plan
des Ganzen übersehen Werden könnte. Dieselbe wird wahrscheinlich den
spSteren Lieferungen beiliegen. Trotzdem glaubt Ref. diesen ersten Ab-
schnitt in diesen Blattern anzeigen zu müssen, da er die allgemeinen Ge-
setze der Bewegung und des Gleichgewichts umfassend behandelt und in
dieser Weise gcwissermassen ein für sich bestehendes Ganze bilden könnte.
Eine nähere Uebersicht wird diese Ansicht rechtfertigen.
Der vorliegende erste Abschnitt umfasst zehn Kapitel. Das erste
behandelt die Wirkungsweise und das Mass der Krifte. Nach
der Erklärung des Wortes „Kraft", ihrer Richtung, Darstellung u. s. w.,
wird die Wirkungsweise einer Kraft auf einen festen Körper, die innere
Fortpflanzung derselben, betrachtet, wobei denn der feste Körper aus
„Molekülen" zusammengesetzt gedacht wird. Ref. hat dazu nur zu bemerken,
das* der letzte Absatz S. 2 wohl besser zu Anfang des §. 2 seinen Platz
gefunden hatte, da es jedenfalls logischer gewesen wäre, die Art, wie
man sich die Zusammensetzung eines Körpers denkt, zu Anfang anzuge-
ben, ehe man daraus Folgerungen zieht. Die Bewegung eines Körpers
ist gleichförmig oder veränderlich („accelerireud" oder „retar-
tirend"). Hinsichtlich der Verbindung, die zwischen einer Kraft und der
tod ihr erzeugten Bewegung besteht, so stellt dass vorliegende Werk
vier, als durch die Erfahrung gelehrte Gesetze auf, nämlich:
1) Ein Körper kann nicht in Bewegung kommen, auch nicht die
fchon vorhandene Bewegung andern, weder in Richtung, noch in Grösse,
wenn nicht eine oder mehrere Kräfte auf ihn wirken. (Gesetz der Trägheit.)
23 Die Geschwindigkeiten , welche verschiedene , unveränderliche
Kräfte in gleichen Zeilräumen demselben Körper mittheilen können, stehen
in demselben Verhältnis wie die Kräfte selbst; ebenso verhält sich auch
zu einander diejenige Vermehrung oder Verminderung der Geschwindigkeit
XLIV. Jahrg. 5. Doppclheft. 48
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754 Broch: Lehrbuch der Mechanik.
eines bewegten Körpers, welche verschiedene, in der Riebtang der Be-
wegung wirkende Kräfte diesem Körper miUheilen.
3) Um auf derselben Stelle der Erde bei verschiedenen Körpern
dieselbe Veränderung der Geschwindigkeiten hervorzubringen, müssen die
Kräfte der Schwere der Körper proportional sein.
4) Wenn eine Kraft auf einen Körper wirkt, welcher schon eine
Bewegung hat, so wird die neue hierdurch hervorgebrachte Bewegung
relativ zur ursprünglichen dieselbe sein, als wenn der Körper ursprüng-
lich in Ruhe gewesen wäre.
Diese vier Gesetze umfassen allerdings die ganze Grundlage der
Mechanik; doch wäre es wohl klarer gewesen, sie, wenn auch ein Be-
weis nicht zulässig ist, klarer abzuleiten, statt sie so ziemlich als Axiome
aufzustellen. Vielleicht geschieht diess in der noch fehlenden Einleitung,
auf die übrigens kein Bezug genommen wird. Namentlich das vierte Ge-
setz, aus dem das Parallelogramm der Kräfte fliesst, hätte eben
dieser Folgerung wegen, die auch nur angegeben ist, umständlicher er-
örtert werden dürfen. Dass die „Trägheit" der beschleunigenden Bewe-
gung entgegen, der verzögernden förderlich ist, ist nicht ganz klar, da
sie eben nur jeder Aenderuug entgegenwirkt, also eben so gut auch einer
Verzögerung. Gerade diese „Trägheit" hat manche Unklarheit verschul-
det, und es dürfte besser sein, ihren Namen ganz wegzulassen, sowie denn
auch das „ Trägheitsmoment u mit einer Trägheit wenig zu thun hat —
Auch die „Masse" ist hier eigentümlich definirt. Unter ihr versteht näm-
lich unser Buch diejenige Kraft, welche in der Richtung der Bewegung
wirkend die Geschwindigkeit eines Körpers in der Zeiteinheit nm die
Längeneinheit vermehrt. Dass man im gewöhnlichen Leben unter Masse
ganz etwas Anderes versteht, ist bekannt, und es entsteht so leicht Ver-
wirrung der Begriffe. Ueberhaupt dürfte der Begriff der Masse füglich
aus der Mechanik wegbleiben und statt dessen der des Gewichts einge-
führt werden, wie diess z. B. Coriolis tbut. Auch bei dem kurzen
Nachweis des Parallelogramms der Geschwindigkeiten, der hier gegeben
wurde, ist zwar wohl klar, dass der Punkt nach D kommt, aber nicht,
warum er gerade auf der Diagonale sich bewegt.
Folgerungen aus dem vierten Grundgeselze erschöpfen den Gegen-
stand des zweiten Kapitels. Das Gesetz des Parallelogramms der Kräfte
wird in analytische Formeln gefasst, dessgleichen das der Zerlegung der
Kräfte. Eben so wird dio Zusammensetzung beliebig vieler auf einen
Punkt wirkenden Kräfte gelehrt und die bekannte allgemeine Formel da-
für gegeben. Endlich gibt das Buch die Formel, wornach man aus den
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Broch: Lehrbuch der Mechanik. 755
drei (rechtwinklichen) Seitenkräften einer Kraft die Seitenkraft derselben
nach einer willkürlichen Linie bestimmen kann.
Das dritte Kapitel wendet sich nun zur Statik und umfasst die
Bedingungen des Gleichgewichts eines Systems mit einander verbundener
Punkte, deren Verbindung durch von der Zeit unabhängige Gleichungen
zwwcnen ihren Koordinaten ausgedruckt werden könne. Zunächst ist klar,
dass, wenn auf ein solches System Kräfte wirken, in den verschiedenen
Tbeilen Spannungen oder Drucke entstehen, vermöge der Verbindungen,
die zwischen diesen Punkten entstehen. Denkt man sich diese Drucke
durch Kräfte erzeugt, die an den Punkten, wo jene s taUbaben, angebracht
waren, so könnte man die Verbindung aufheben, wenn man nur statt
ihrer diese Kräfte der Verbindungen einführte.
Man habe nun zwischen den Koordiuaten der Punkte, x, y, z; xl9
y,, z, n. s. f., die eine Gleichung u = o, so findet man, dass, wenn
Gleichgewicht statt haben soll, die Komponenlen der gegebenen Kräfte
längs den drei Koordinatenaxen sein müssen: im Punkte (xt , y, , zj:
du du du . _ . r ^ du du da
u. s. w. — Ganz leicht lisst sich die angewandte Betrachtung erweitern
und man findet so, dass, wenn die Verbindungen zwischen n Punkten durch
die r Gleichungen: ^=0, ^ = 0, ur = o, zwischen ihren Koor-
dinaten ausgedrückt wird, für den Fall des Gleichgewichts, die Komponenten
der gegebenen Kräfte sein müssen (allgemein) im Punkte (xB, ya, zm) :
Xn-81 dx«+a dxB+*- + 8r daB'
du, du2 , dnr
z"=8' -£7 + '» !,:+••••+''
worin a, , a3 , ar willkürliche Grössen sind. Eliminirt man zwischen
diesen 3n Gleichungen (m=l, 2,...n) die r willkürlichen Konstanten
a„ a2, ar, so erhält man 3n — r Bedingungsgleichungen des
Gleichgewichts zwischen den Komponenten der gegebenen Kräfte. Die
im Punkte (xm, y„„ zm) normal auf die Fläche u, = 0 wirkende Kraft ist
die in demselben Punkte, normal auf die Fläche u3 = o wirkende:
48*
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75« Broch: Le>rb,*h der Mechanik.
u. s. f. (worin, d. h. in ttj=o, ua = o,..., jeweils nur x«, y«, %m als
veränderlich angesehen werden).
Daraus folgt leicht, dass, wenn dem System eine mit dieser Ver-
bindung übereinstimmende Bewegung er t heilt wird, die Gleichung:
Y d*l IV dy«_l_7 dZU \ ^ J_V dy» ! 7 dZ3 I — n
Xi^+Y»7t+Zi7t"+X2"dT+Y^ir+Z2^r + =°
stattfinden muss
Unter gewissen (hier angegebenen) Bedingungen wird die erste
Seite dieser Gleichung integrabel und die Gleichung nimmt die Form
dl)
-—— O an, wo dann U die KrK ftef unktion heisst.
dt
Bezeichnet man durch s, , s2,... die durch die Punkte beschriebe-
nen Bahnen, durch Pt, Pa, ... die auf dieselben wirkenden Kräfte; heissen
ds, ds«
die Geschwindigkeiten—, -^...welche die durch oben erwähnte Glei-
chungen verbundenen Punkte annehmen können, virtuelle Geschwin-
digkeiten, dessgleichen die nach der Tangente der Bahn zerlegte Kom-
ponente der Kraft, die Tension derselben (T,, Ta, ....), und T,
n. s. w. die virtuelle Arbeit, so kann obiger Salt auch so ausge-
druckt werden: „Die virtuelle Arbeit der bewegenden Kräfte ist derje-
nigen der widerstehenden gleich." Diess ist der Sets der virtn ei-
len Geschwindigkeiten. Aus ihm lassen sich leicht die froheren
Gesetze wieder ableiten, so dass er, als Princip vorangestellt, die Mecha-
nik umfassen würde. Eben so ist der Satz nicht nur notbwendig,
sondern auch hinreichend für das Gleichgewicht. Es ist hier nur zn
ds
bemerken , dass die Formel — und ahnliche für die Geschwindigkeit a n-
■
genommen sind, deren Nachweis also hier fehlt.
Das folgende Kapitel behandelt nun die Anwendungen der im
so eben Behandelten gegebenen allgemeinen Formeln, und zwar zunächst
auf das Gleichgewicht eines. Punktes, der entweder ganz frei, oder ge-
zwungen ist, auf einer oder zwei Oberflächen zu bleiben. Die allgemei-
nen Formeln zeigen, dass in letzterm Falle die Resultante der wirkenden
Kräfte normal auf der Oberflache oder der krummen Linie, in der sich
beide schneiden, stehen muss. Siud alle Punkte des gegebenen Systems
unveränderlich mit einander verbunden, d. b. bilden sie einen festen
Körper, so werden die Gleichungen u, =o, u3 = o, 0^ = 0 die
sein, welche ausdrücken, dass alle übrigen Punkte in demselben Abstand
von drei unter ihnen, und diese wieder in demselben Abstand von
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Broch: Lthrbnch der Mechanik. 757
ander beharren. Diess gibt 3n — 6 Gleichungen von der Form u, =
fr-xo3 + Cyi — y2)2+ C^i — «2}a— ci8=° t. m
Die Elimination der Unbestimmten a, , a2,.... führt also anf 3n-~
(3 n — 6} nts 6 Gleichungen des Gleichgewichts , die bekanntlieh durch
IX = o, 2Y = o, 2(Yz— Zy) = o, 2(Zx— Xz)=o, Z(Xy— Yx):=o
ausgedruckt werden kOnnen.
Hat der feste Körper einen unbeweglichen Punkt, so wähle man
ihn zum Anfangspunkt der Koordinaten, und führe wieder obige Bedin-
gungen ein, EU denen noch die drei Bedingungsgleichungen u, aus x, aJ= o,
Uj^yj^ro, 03 = 1,1=0 kommen, so dass jetzt r = 3n— 3, und man
also nur 3 Bediogungsgleichungen des Gleichgewichts erholt, die drei letz-
ten der vorigen Gleichungen nämlich. Der Druck auf den festen Punkt
findet sich dann leicht, seine Komponenten sind: ZX, IV, ZZ.
Hat das System zwei feste Punkte, und nehmen wir die durch die-
gehende Gerade als Axe der z an, so erhält man 3n — 1 Glei-
der Verbindungen und also nur eine Bedingungsgleichung dei
Gleirhgewichts, die letzte der obigen sechs. Die Drucke-, senkrecht auf
die z Axe haben zu Komponenten:
_ > s 2fZx-
im
Hieraus ergeben sich dann auch leicht die Bedingungen, dass ein
fetter Körper, der sich gegen eine oder mehrere Ebenen stützt, im Gleich-
gewicht sei. «
üebrigeus ist hier zu bemerken, dass der Nachweis, wie diese
Formeln folgen, insoferne nicht gegeben ist, als nur die Gleichungen ge-
geben sind, aus denen sie dnrch Elimination folgen, nicht aber diese Eli-
mination selbst, die allerdings keine mechanische, sondern bloss analyti-
sche Aufgabe ist, und also Weggelassen werden konnte, wenn gleich ihre
Einfügung der Deufticbkeit genützt haben würde. • 1 " ^
Hat man ein (biegsames) Seilpolygon von 1 n Seiten, ^so be-
atehen nur n — 1 Verbindungsgleiohungen , insoferne nämlich die Längen
der einzelnen Stücke unveränderlich sind. Sind nun die gegebenen Kräfte
ao den Endpunkten der Stöcke angebracht, so wird Irtan also 3n—(n—l)
s=t2a+l Bedingungsgleicbungen des Gleichgewichts' erhalten, die denn
noch angegeben sind. Die Spannungen der einzelnen Seilstücke er-
geben sich daraus leicht. Die Riohtungen der Verbiudungblinien , so wie
der Widerstand des (befestigten) Anfangspunktes des Polygons ergeben
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758 Broch: Lehrbuch der Mechanik.
sich gleichfalls. Ein besonders behandelter Fall ist der, da alle Kräfte
parallel sind, der dann unmittelbar zur Ketten Ii nie fahrt, die ausfuhr-
lich bebandelt ist.
Eine Tafel lehrt den Werth der horizontalen Spannung aus der
Weite und der Länge der Keltenlinie kennen. Die Kettenbrücken
bilden eine zweite Anwendung der allgemeinen Formeln. In §. 31 ist
es nicht ganz klar, dass z und z, gegeben sind, doch kann man sie an-
nehmen und darnach die Länge der Kette berechnen.
Müssen die Verbindungspnnkte des Seilpolygons auf einer gegebe-
nen Flüche bleiben, so treten weitere Bedingungen hinzu (§. 33) nnd
eben so wenn eine Kettenlinie auf einer Fläche bleiben muss. Ist die
Schnur ohne Schwere und kann überall der Fläche folgen, so ergeben
diese Formeln, dass die Spannung überall dieselbe ist, und der normale
Druck der Krümmung der Fläche proportional.
Das fünfte Kapitel behandelt nun die Reduktion der Kräfte.
Sind die gegebenen Kräfte mit einander nicht im Gleichgewicht, so kann
«dieses hergestellt werden dadurch, dass man im Aligemeinen zwei Kräfte
zu den gegebenen hinzufügt, welche dann (entgegengesetzt genommen)
die Res ultir enden der gegebenen Kräfte heissen. Man bat alsdann
12 Unbekannte, nämlich die sechs Komponenten der zwei Kräfte und die
sechs Koordinaten ihrer Angriffspunkte. Unter besondern Umständen kann
auch eine neue Kraft hinreichen, um das Gleichgewicht herzustellen. Io
diesem Falle müssen die gegebenen Kräfte einer Bedingung unterworfen
sein, welche in der Gleichung 2X. 2(Yz — Zy) + 2Y. Z(Zx — Xz)+2Z.
2(Xy — Yx) = o ausgesprochen ist, vorausgesetzt, dass nicht ZX = o,
ZY = o, 2Z = o sei.
Sind die gegebenen Kräfte alle parallel, so ist es leicht, die Re-
sultante zu finden, so wie ihre Richtung, die, bei ungeänderten Kräften,
immer durch einen Punkt gebt, der von der Richtung der Kräfte unab-
hängig ist. Sind nur zwei solcher Kräfte vorhanden, so findet man da-
raus den bekannten Satz. Sind diese Kräfte entgegengesetzt gerichtet,
so entsteht ein Kräftepaar, das nun weiter untersucht wird, in der
Weise, wie dies Poinsot in seinen bekannten Elements de Statiqne darstellt
Wir finden hier die Sätze über die Verlegung eines Paars, sein
Moment, die Zusammensetzung der Paare, ihre Axen u. s. f.
Wenn nun 2X=o, 2Y = o, 2Z =o, so können die gegebenen
Kräfte zu einem Paare zusammengesetzt werden, dessen Moment gleich
V (2(Yz-Zy))*+(2(Zi-Xz))4-(X(Xy-Yx))» ist
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Broch: Lehrbach der Mechanik.
Eine Kraft und ein Kräftepaar können durch eine einreine Kraft
ersetzt werden, wenn sie io derselben oder in parallelen Ebenen liegen.
Diese Bedingung ist nothwendig und hinreichend. Alle Kräfte, die auf
einen Körper wirken, können immer auf eine Kraft und ein Kräftepaar
reduzirt werden. Die Resultante (R) kann in einem beliebigen Punkt
angreifen, und das Resultantenpaar hängt von R und der Lage dieses
Punktes ab. Beieichnet man mit G das Moment dieses Paares, so ist es
von Interesse, den Angriffspunkt in finden, für den G ein Maximum ist.
In diesem Falle steht das Resultantenpaar auf der Richtung der Resultt-
renden senkrecht. Alle Kräfte können also immer zu einer längs einer
bestimmten Linie wirkenden Resnltirenden und einem auf ihr senkrechten
Resultantenpaar reduzirt werden, in welcher Lage alsdann das letztere
seinen kleinsten Werth hat. Diese bestimmte Linie heisst die Zentr al-
axe der gegebenen Kräfte.
Das Moment des kleinsten Paares bestimmt sich aus den gegebenen
Kräften. Für Punkte, die gleiche Entfernung von der Zentralaxe haben,
sind die Resultanteopaare gleich. Das Resultantenpaar in Bezug auf jede
andere Axe kann durch jenes kleinste Paar bestimmt werden. Da für
den Fall, dass die gegebenen Kräfte eine einzige Resultirende haben, das
Moment des kleinsten Resultantenpaares Null sein muss, so erhält man
wieder die schon oben angeführte Bedingungsgleichung.
Seite 56 Zeile 3 muss „zwei" statt „drei«, und S. 57 Z. 6 „eine
Resultirende" statt „Gleichgewicht stehen.
Das folgende (sechste) Kapitel handelt vom Zentralpunkt, der
Zentrallinie und der Zentral ebene der Kräfte. Gesetzt nämlich
(unveränderliche) Kräfte wirken auf einen Körper, so dass sie iu unver-
änderlichen Richtungen an ihren Angriffspunkten haften, so wird man als
Bedingungen, dass der Körper in jeder Lage im Gleichgewichte sei,
finden: 2X = o, 2Y = o, ZZ — o, 2Xx = o, SXy =: o, 2Xz=o, 2Yx=o,
2Yy = o, 2Yz = o, 2Zx = o, 2Zy = o, IZz = o. Es scheint mir, als
sei die Ableitung dieser Gleichungen nicht ganz überzeugend, namentlich
ist nicht nachgewiesen , warum , wenn diese Gleichungen in irgend einer
Lage des Körpers gelten, sie in jeder andern gelten müssen. (X, Y, Z,
x, y, z beziehen sich auf Axen , die im Räume fest sind, sich also nicht
ändern mit der Stellung des Körpers. Die Komponenten der Kräfte: X,
Y, Z,... werden also in jeder Stellung des Körpers, bei der beliebigen
Drehung um den Anfangspunkt der Koordinaten, dieselben bleiben, wäb-
raod die Koordinaten x, y, z, der Angriffspunkte sich ändern. Man
lege durch denselben Anfangspunkt ein im Körper festes System der u,
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760 Broch: Lehrbuch der Mechanik.
v, w, so werden x, y, z durch u, vf w vermittelst dreier Winkel <p,
V, o, und umgekehrt, ausgedrückt werden können.) Gesetzt nun, diese
Gleichongeii gelten in irgend einer Stellung des Körpers und man drücke
o» v, w durch x, y, i aus, so wird mau findeo, dass £Xu=o, XXv=o,
SXw=ro, XZw = o. Da eher u, r, w in jeder Stellung dieselbe*
sind, so folgt unmittelbar, dass die obigen Gleichungen dann allgemein
gelten, da ja x, y, z durch u, v, w , also XXx durch ZXu, 1 X v. XXw,
gegeben ist, und zwar als derartige lineare Funktion dieser Grössen, d&ss
sie mit ihnen verschwindet
Finden nun nicht alle jene Gleichungen statt, so isl es immer leicht
eine oder mehrere Krade zuzufügen, welche das Gleichgewicht herstellen,
wenn diese Kräfte mit unveräuderlicher Richtung an ihren Angriffspunk-
ten haften.
Ist dazu nur eine einzige Kraft (deren Komponenten X, , X, , Z,
und ihr Angriffspunkt x,, y„ z, sei) nüthig, so muss oOenbar: XX— Xt
=eo, !X\ — X,a,?=o, 2Yx— Y,x, =o, vZx— Zlxl^=&, SY-j— YgSis«,
SXy-— X^ ==o, XYy— vZy — Z^^o, tl — Z, =o, 2Xz —
X,Xj=ro, IY* -rY,*, ^o, XZz~-Zt z4~ o seio. Daraua folgt, dasa die
gegebenen Kräfte folgende Bedingungen erfüllen müssen:
SXx - IYx SZx IXy lYy _ iZy^ 2Xt_2Yi_X&
2X ~ 2Y XZ ' IX 2Y XZ ' XX " 2Y "™ 2Z '
und dass, wenn sie erfüllt sind, ist:
XXx __XYa _ XZz
xx,yi~ x*' h~XZ'
Dieser Punkt nun heisst Z e n l r a I p u n k t der Kräfte, liegreiflich darf
nicht augleicb 2X = o, 2Y=:o, XZ = o seiu. Dieser Punkt ist im Kör-
per fest (was im Buche zu bemerken Übersehen ist), da man für seine
Koerdinaten up v,, w, die Ausdrücke ^J, findet, die sich
-\ XY jlL
nicht ändern. Parallele Kräfte haben immer einen Zenlralpunkt. Ist die
Redoktion auf eine einzige Kraft nicht möglich, d. h. finden obige Be-
dingungsgleichungen nicht Statt, so kann mau, wenn die Gleichungen:
XX[2Yx. 2Zy— XZx. XYy]-j-XY[XXy. XZx— XZy. £Xx]-fXZ |> Yy. SXx
XXy. XYx] = o, XX[XYxXZz-2ZxXYa|+XY[XXzXZx— XZzXXx]+lZ
[XYy. SXx-XXz, XYx]=ro erfüllt sind, die gegebenen Kräfte auf eine
neue und ein Kräftepaar reduziren. Es ergibt sich sodann, dass man den
Wirkepunkt der Kraft (welche nichts anders als die Mittelkraft des Sy-
stems ist) willkobrlich auf einer im Körper festen Zen hr allin ie wüh-
len kann; der Arm des Paares kann beliebig auf einer der Zentrale
X, — XX, Y, — 2Y, Zj — vZp Xj — —^TiYt — ~TU~izi
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Broch: Lehrbuch der Mechanik. 761
parallelen Linie angenommen werden, und die Kraft dea Paares bekomm!
eine von der willkürlichen Länge des Arms und der Lage dea Angriffs-
punktes der Kraft bestimmte Grösse.
Wenn die Mittelkraft Null ist, ao kann man die Kräfte durch ein
Paar ersetzen, dessen Arm willkürlich ist, das aber eine bestimmte Nei-
gung hat.
Ist keine der vorigen Bedingungen erfüllt, ao kann man die gege-
benen Kräfte durch eine Kraft und zwei Kräflepaare ersetzen. Der Wir-
kepunkt der Kraft kann beliebig in der im Körper festen Zentralebene
gewählt werden, und sie ist der Mittelkraft des Systems gleich nnd pa-
rallel; die Arme der Paare sind dieser Ebene parallel, und ihre Momente
hingen vom Angriffspunkt und ihrer Lage ab.
Wühlt man die Kraft und die Paare ao, dass jede Kraft auf der
Richtung der andern senkrecht ist und ebenso die Arme der beiden Paare
auf einander, was immer möglich ist, so findet man alsdann, dass die
Kraft in einem Punkte der Zentralebene angreift, der desshalb Mittel-
punkt der Zentralcbene heisst; die Arme der beiden Paare sind
parallel zweien festen Linien in der Zentralebene, die die Mittellinien
derselben heisaeu. ,t
Ist die Mittelkraft Null, so sind beide Arme einer festen Ebene
parallel, doch muss dabei noch eine gewisse Bedingungsgleichung erfüllt
sein j ist das letztere nicht der Fall, so kann man die Kräfte immer durch
drei Paare ersetzen.
Sucht man diejenigen Stellungen des Körpers (also auch seiner
Zentral axe), bei denen das kleinste Kräftepaar Null ist, also die Kräfte
auf eine einzige reduzirbor, so findet man den zuerst von Prof. E. Minding
aufgestellten Satz, dass alsdann die Richtung dieser Kraft im Körper eine
Ellipse und eine Hyperbel trifft, die deu Mittelpunkt der Zentralebene zum
gemeinschaftlichen Mittelpunkt haben und die in den zwei auf einander
und der Zentralebene senkrechten Mittelebenen (durch die Mittellinien)
tagen, und die Scheitel der einen mit den Brennpunkten der endern zu-
sammenfallen.
Data die mehr genannten Linien und Ebenen jeweils im Körper
fest sind, ist im Buche angegeben, aber nicht nachgewiesen, obgleich
wenigstens eine Andeutung dieses Nachweises nicht am unrechten Platze
gewesen wäre.
Verlangt man die Bedingungen zu kennen, dass ein Körner bestandig
im Gleichgewichte sei, wenn er nur um eine (die z) Axe gedreht wird,
bei Kräften von unveränderlicher Richtung, die an ihren Angriffspunkten
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Broch: Lehrbuch der Mechanik.
haften, so findet man:
2X -o, IY = o, 2Z =s o , Z(Xx + Yy) = o , 2(Xy — Yx) = o,
2Xz = o, 2Yz = o, SZx = o, ZZy = o.
Damit, wenn diese Gleichungen nicht Platz greifen, die gegebenen
Kräfte durch eine einzige ersetzt werden können, müssen (drei} Bedingungs-
gleichungen statt haben, und die Resultantkraft geht immer durch desselben
Punkt, der dann der Zentralpunkt der gegebenen Kräfte in
Bezug auf die angeführte Axe genannt wird. Liegen alle Kräfte
in einer auf jener Axe senkrechten Ebene, so kann dieser Punkt leicht
graphisch bestimmt werden. Sollen die gegebenen Kräfte durch eine ein-
zige Kraft und ein Paar ersetzt werden können, so muss der Angriffs-
punkt der Kraft auf einem Hyperboloid mit einem Mantel gewählt werden,
während der Arm des Paares parallel einer durch jenen Punkt gehenden
erzeugenden Geradeu des Hyperboloids ist.
Ein Körper heisst astatisch, wenn er in jeder Lage im Gleich-
gewicht ist. Ist ein Körper mit einem festen Punkte nnn nicht astatisch
(aber immer Kräften, wie so eben betrachtet, unterworfen) und hat das
System der Krfifte einen Zentralpunkt, so wird der Körper im Gleichge-
wicht sein, wenn der Zentralpubkt in die Richtung der durch den festen
Punkt gezogenen Nittelkraft kommt. Aebnliches gilt in den weitern Fullen,
was nun untersucht wird.
Wendet man die Gleichung der virtuellen Geschwindigkeiten auf
den Fall an, da Kräfte mit unveränderlichen Riebtungen an ihren Angriffs-
punkten haftend auf ein System materieller Punkte wirken, die irgend
wie mit einander verbunden sind, so findet man, dass, im Falle des
Gleichgewichts, 2(Xx-|- Yy-f-Zz) ein Maximum oder Minimum sein muss.
So folgt, dass für das Gleichgewicht eines solchen Systems bei parallelen
Kräften der Mittelpunkt (Zentralpunkt) der parallelen Krfifte so hoch oder
tief wie möglich liegen muss, von einer Ebene an gerechnet, die senk-
recht ist auf der Richtung der Kriifle und einige ähnliche Sätze.
Eine Anwendung der Theorie des Mittelpunkts paralleler Kräfte
(Schwerpunkts) auf schwere Körper enthält das siebente Kapitel. Es
wird bestimmt der Schwerpunkt einer geraden Linie, des Umfangs eines
Polygons, eines Kreisbogens, einer Parabel, einer Cycloide, Kettenlinie,
sowie der Satz nachgewiesen, dass der Flächenraum einer Unidrehungs-
fläche gleich ist dem Produkt der Länge der beschreibenden ebenen Linie
mit dem Umkreise, den der Schwerpunkt der Linie beschreibt. Der Satz
wird angewendet auf das Umdrehungsellipsoid. Sodann wird der Schwer-
punkt eines Paralleltrapezes, eines Dreiecks, Ellipsensegments, Hyperbel-
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Broch: Lehrbuch der Mechanik.
7«3
segments, Parabelsegments, Segments der Kettonünie, einer cycloidischen
Fläche ; der Oberfläche eines Kugelsectors, eines sphärischen Dreiecks be-
stimmt ond die bekannte Guldinsche Regel abgeleitet. Von Körpern
wird der Schwerpunkt einer dreiseitigen abgestumpften Pyramide, einer
dreieckigen Pyramide, eines Ellipsoidensegments, eines Kugelsegments, einer
sphärischen Pyramide bestimmt, natürlich immer nach Anleitung der ge-
gebenen allgemeinen Formeln. §. 73. wlre wohl besser „Gewicht" statt
„Masse" gebraucht. Ebenso wird im achten Kapitel die Theorie der
Zentrallioie auf schwere magnetische Körper angewendet, da hier eine
resultirende Kraft nnd ein resultirendes Paar auftritt. Es werden kurz
die Gleichgewichtsstellungen eines solchen Körpers, je nach der Art seiner
Befestigung, angegeben.
Das neunte Kapitel wendet sich nun zur Dynamik und stellt zu-
nächst die Gesetze der Bewegungen eines Systems von
Punkten, die mit einander verbunden sind, dar, wenn diese Verbindun-
gen durch Gleichungen ausgedrückt werden, die von der Zeit unabhängig
sind. Wie früher, treten auch hier wieder die Kräfte der Verbin-
dungen auf. Die totalen Kräfte sind diejenigen, die, wenn alle Ver-
bindnngen der Punkte aufgehoben würden, im System dieselbe Bewegung
hervorbringen würden, die es hat. Da die Kräfte der Verbindungen keine
Bewegung für sich hervorbringen können, und die totalen Kräfte aus den
gegebenen und diesen letztem bestehen, so folgt, dass die gegebenen
und die totalen Kräfte sich ersetzen, d. h. dass diegegebenenKröfte
und die in entgegengesetzter Richtung genommenen tota-
len sich im Gleichgewicht halten. Diess ist das d'Alem-
herrsche Prinzip.
Es ist höchst einfach, den Satz abzuleiten, dass eine Kraft gleich
ist der Masse des Körpers, auf den sie wirkt, multiplizirt mit der Be-
schleunigung der erzeugten Geschwindigkeit. Ist K nämlich eine Kraft,
P das Gewicht des Körpers , g die Beschleunigung der Schwere , p die
durch K in dem Körper hervorgebrachte, so hat man:
K:P = p:g,K = £p,
P
worin -— die Masse des Körpers ist. p ist auch die Geschwindigkeit,
welche die (unveränderliche} Kraft K dem Körper in einer Sekunde (der
ersten} mittheilt. Ist die Kraft veränderlich, und ist e die gerade Linie,
welche der Körper, der sich in der Richtung der Kraft bewegt, beschreibt,
•o ist allgemein „ P d2e
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TG4 Broch: Lehrbuch der Mechanik.
Zerlegt man eine, auf einen Punkt wirkende Kraft R nach
geute der Kurve, welche der Punkt beschreibt und nach der Normale der-
P d2a P ?3
selben Kurve, so ist die erstere — —z- die zweite , wenn s der
g dt2 g r
Dogen aer i\urse, v aie uesenw Innigkeit in oiesem runKie, r uer r\rum-
mungshalbmesser der Kurve ist Die erste Kraft heisst die Tangential-,
letztere die Zentrifugalkraft. Beide zusammen machen wieder R ans.
Aus dem d'A lern herrschen Prinzip folgt unmittelbar, dass man
die Gleichungen der Bewegungen erkalten wird, wenn man in den Glei-
chungen des Gleichgewichts statt X, Y, Z hier X jp-, Y — 2,
d'z
Z — setzt. Die Einführung des d'Alemberfschen Prinzips in das der
virtuellen Geschwindigkeiten gibt den Satz der lebendigen Kraft
Die lebendige Kraft eines Systems, wie es betrachtet wird, ist gleich
der lebendigen Kraft des Schwerpunkts, wenn das ganze System dort
vereinigt wäre, und der lebendigen Kraft des Systems, wenn nur die
Bewegung relativ zum Schwerpunkt beachtet wird (dieser also fest ge-
dacht wird).
Die Sätze der Erhaltung der Bewegung des Schwer-
punkts, sowie der Erhaltung der Flachen sind leichte Folge-
rungen aus den allgemeinen Gleichungen der Bewegung. Bndlich ist all—
gemein: l d| + -y ) =f 2 m v
Die allgemeinen Gesetze, welche im vorigen Kapitel aufgestellt
wurden, werden nun im zehnten angewendet auf die Bewegung eines
festen Körpers. Hat eiu solcher Körper einen festen Punkt, so bat
man natürlich nur die Bewegung aller andern Punkte in Bezug auf dieses
zn beachten; hat er diess nicht, so kann die Bewegung des Körpers ge-
funden werden, wenn man die Bewegung irgend eines Punktes desselben,
so wie die relative Bewegung aller andern Punkte zu diesem untersucht.
Als solcher Punkt wird am besten der Schwerpunkt gewählt, weil dieser sich
bewegt, als ob die ganze Masse des Körpers in ihm vereinigt sei und
alle Kräfte an ihm angebracht wären. Der natürliche Gang ist also der,
zunächst die Bewegung eines solchen materiellen Punktes zu untersuchen.
Als Beispiel ist die Bewegung eines geworfenen Punktes im leeren und
erfüllten Räume ausführlich erörtert.
Bei der Untersuchung der drehenden Bewegung treten die Träg-
heitsmomente und die Hauptaxen auf, die hier nun znm Voraus
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Broch: Lehrbuch der Mechanik. 765
bestimmt sind. Es wird nachgewiesen, dass für jeden Punkt eines Kör-
pers es drei Hauptaxen, die auf einander senkrecht stehen, gibt, die dann
so beschaffen sind, dass zu einer das grösste Trägheitsmoment für alle,
durch jenen Punkt gehende Axen, zur zweiten das grösste für alle in
eioer, durch jenen Punkt gehenden und auf der ersten Axe senkrechten
Ebeoe gelegenen Axen gehört. Die Eigenschaft der Hauptaxen ist be-
kanntlich durch fxydm = o,^Jyzdm = o,^azdm sss o ausgedrückt. Es
wird aun nachgewiesen, in welchen Fällen es mehr als drei Hauptaxen
geben kann und wie mao die Lage der Hauptaxen zu bestimmen im Stande
ist, so wie auch, wie mao in einem Körper (falls es möglich ist) den
Punkt finden kann, für den alle Trägheitsmomente in Bezug auf die durch
ihn gebenden Hanptaxen gleich sind , nnd endlich , dass jede durch den
Schwerpunkt gebende Hauptaxe zugleich auch Haupt axe ist für alle Punkte
des Körpers, durch die sie geht. Das Trägheitsmoment wird, in Bezug
auf durch den Schwerpunkt gehende Hauptaxen, was völlig genügt, be-
stimmt für ein Prisma, Ellipsoid, abgestumpften Kegel, Kugelsegment.
Der zweite Theil der Aufgabe ist nun noch, die relative Bewegung
der übrigen Punkte des Körpers zum Schwerpunkte, allgemein zu irgend
einem Punkte, zu bestimmen, was in der bekannten Weise geschieht. Es
wird die augenblickliche Dre h ungsaxo, die Winkelgeschwin-
digkeit um dieselbe u. s. f. bestimmt, überhaupt die Gleichungen
dieser Bewegung gegeben. Die Bewegung eines solchen Körpers kann
immer durch das Rollen zweier Kegel auf einander dargestellt werden,
wovon der eine im Räume, der andere im Körper fest ist. Die Berüh-
rungslinie beider ist die augenblickliche Drehuugsaxe. Zeichnet man über
die in dem betrachteten Punkte sich schneidenden Hauptaxen ein Ellipsoid,
dessen Haiboxen den Quadratwurzeln der drei Hauptträgheitsmomente re-
ziprok gleich sind, so gibt jeder Radius-vector den reziproken Werth
der Quadratwurzel des Trägheitsmoments an, in Bezug auf eine durch
ihn gelegte Axe. Dessgleichen ist die augenblickliche Umdrehungsge
schwindigkeit der Lange desjenigen Radius- vector proportional, om den
sie statt hat. Die Ebene, weloho das Ellipsoid im Pole der Umdrehung
berührt, ist im Räume fest (was übrigeus im Buche nicht deutlich genug
nachgewiesen ist}, und der Ebene des Paares der Bewegungsmomente
parallel, vorausgesetzt immer, dass die Momente der gegebenen Kräfte in
Bezug auf den festen Punkt Null seien. Das Ellipsoid rollt also auf je-
ner festen Ebene. Zeichnet man ein zweites Ellipsoid auf dieselben Axen,
so aber, dass die Halbaxeo den Quadratwurzeln der Trägheitsmomente
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Broch : Lehrbuch der Mechanik.
gleich lind, so ichneidet die Axe dei Beweguogsmomentes dasselbe in
einem Punkte, der im Baume gleichfalls feil ist.
Nachdem noch die Gleichung fflr die Umdrehung um eine feste Axe
gegeben, so wie die Drucke auf dieselbe bestimmt werden, wird die
Anwendung des Schwungrades kurz berührt und die Theorie des
(zusammengesetzten) Pendels im leeren und erfüllten Baume ausführlich
behandelt, wobei denn die elliptischen Funktionen angewendet werden.
Der Schluss des Abschnitts bildet die Ableitung der Gesetze der Bewe-
gung eines festen Körpers, der auf einer festen Ebene sieb befindet, wo-
zu als Beispiel die Bewegung eines schweren Zylinders auf einer festen
Ebene gegeben wird.
Seite 158 fehlt die Figur 42 und Seite 188 der Nachweis, dau
Apa + Bq3+Cr3 konstant ist, der übrigens leicht zu führen ist; S. 201
wäre mehr Klarheit zu wünschen, da im Allgemeinen nicht o o,
M . . o>0* k* + 2ag (1 — cos a) .
P — * ist, was für (o0 = o erst mit o
4ag
Auch S. 205 ist der Werth von T nicht klar, da B
fallen wird , Indem es wenigstens nach dem Vorangegangeoen keine
deotnng hat.
Man wird aus dem Vorstehenden den reichen Inhalt dieser ersten
Abtheilnng leicht entnehmen können. Die Darstellung ist, Weniges ab-
gerechnet, vortrefflich, wenn auch meistens wohl zu gedrängt. Für An-
fänger ist das Buch jedoch nicht geschrieben. Die Ableitung des Prinzips
der virtuellen Geschwindigkeiten und damit des Grnndiatzei der gesäum-
ten Wissenschaft, ist ausgezeichnet und der Standpunkt einer analytischen
Mechanik durchgängig gewahrt. Wir sehen mit Verlangen dem Erschei-
nen der folgenden Abteilungen entgegen.
Journal of the American orienlal society. Second tolume. Xetr-York
et London. G. G. Putnam, t851. XLll u. 342 p. in 8.
Vorliegender Band gibt einen erfreulichen Beweis von dem Ge-
deihen der noch kein ganzes Jahrzehend zählenden amerikanisch-morgen-
ländischen Gesellschaft und von ihrem mit Erfolg belohnten Streben, glei-
chen Schritt mit ihren Schwestern in Paris, London und Halle-Leipzig zu
halten. Während der erste Band dieser Zeitschrift, welcher im zweiten
Doppelheft der Jahrbücher angezeigt worden ist, eines Zeitraumes von
•ieben Jahren zu seiner Entstehung bedurfte, folgt ihm gegenwärtige1.
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Journal of the American oriental society. 767
seboo nach etwa anderthalb Jahren und enthält eine Reihe von gediegenen
Aufsätzen Uber die verschiedensten Theile der orientalischen Philologie.
Die ersten XLII Seiten enthalten Berichte Uber die Versammlungen
der Gesellschaft im Mai 1849 zu Boston, im Oktober desselben Jahres
xu New -Häven, im Mai 1850 zu Boston und Cambridge, im Oktober
desselben Jahres zu New-Haven, ferner die Statuten der Gesellschaft, das
Yerzeichniss ihrer ordentlichen, correspondirenden und Ehrenmitglieder, so
wie das der Werke, welche der Bibliothek der Gesellschaft geschenkt
oder von ihr angeschafft worden sind.
Der erste Aufsatz dieses Bandes fuhrt die Ueberschrift : „Shabba-
thai Zevi and bis followers by rev. William G. Scbauffler, Missionary
of the American board in Turkey.tf
Die Geschichte des Schabbaibai Zevi ist in Deutschland bekannt
darum begnügt sich Ref. damit, das Leben dieses merkwürdigen Mannes
nur in seineu HauptzUgen hier anzugeben, um das, was Herr Scbauffler
Neues Über die Lehre seiner Anhänger bietet, daran zu knUpfen. Schab-
bathai oder Schabthi Zevi, geboren im Jahr 1625, war der Sohn eines
jüdischen Kaufmanns in Smyrna. Schoo in früher Jugend zeichnete er
sich durch ein zurückgezogenes religiöses Leben, so wie durch seine
Kenntnisse im Talmud und der Kabbalah aus. Er schloss mehrere Ehen,
musste aber, da er sieb immer weigerte, sie zu vollziehen, sich von den
ihm angetrauten Frauen wieder scheiden lassen. Im 24. Lebensjahr trat
er als Messias, der Sohn Davids auf und behauptete, allein die wahre Aus-
sprache des Namens Jehovah zu kennen, was ihm eine Excommunica-
tion der jüdischen Geistlichen zuzog und ihn nöthigte, nach Saloniki zu
entfliehen. Da er auch hier gegen die Verfolgungen der Juden keinen
Schutz fand, begab er sich zuerst nach Athen, dann nach Egypten und
zuletzt nach Jerusalem, wo er mehrere Jahre unangefochten Vorlesungen
Uber den Talmud und die Kabbalah hielt, bis er endlich auch hier (im
Jahr 1665), angestachelt durch einen gewissen Nathan Benjamin aus
Gaza, sich für den verheissenen Messias ausgab und von den Rabbis Ver-
stössen ward. Inzwischen halten aber seine Verwandten ihm in Smyrna
viele Anhänger gewonnen ; er konnte es jetzt wagen, dahin zurückzukeh-
ren, ward daselbst wie ein Prophet empfangen und erhielt Deputationen
von Haleb und andern judischen Gemeinden. Auch in Konstantinopel ent-
stand eine grosse Aufregung unter den Juden, welche durch Schabba-
tbars Ankunft daselbst gesteigert ward, und sich Uber das ganze türki-
sche Reich verbreitete. Bald wurde die otbmaoische Regierung aof das
Treiben dieses Juden aufmerksam gemacht, und auf Befehl des Sultans
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768
Journal of tbc American oriental society.
Mohammed IV ward ihm Kotahja als Aufenthaltsort angewiesen. Diese
Verbannung schmälerte indessen das Ansehen Schabbathafs keineswegs,
er lebte in seinem Exil wie ein Fürst, empfing Gesandtschaften von sei-
nen Anhängern und fuhr fort, die Erlösung als nahe bevorstehend tu ver-
künden. Während seines Aufenthalts in Kutabja trat ein polnischer Kab-
I) nl ist, Rabbi Nehemia genannt, vor ihn und disputirte mit ihm Uber seine
angebliche Sendung. Der Streit ward immer heftiger und bald lief der
polnische Rabbi Gefahr, von deo Freunden des neuen Messiaa getüdtet
zu werden ; es blieb ihm, um sein Leben zu retten, kein anderer Ausweg,
als sich zum Islam zu bekehren. Der Proselyte begab sich hierauf, mit
Empfehlungsschreiben des Groesveziers versehen, zum Sultan und klagte
Scbabbathai als einen Betrüger und Verführer seines Volkes an. Der da-
mals m Adrianopel residirende Sultan Hess alsbald Scbabbathai herbeiholen
und auch dieser, um der ihm angedrohten Todesstrafe zn entgehen, ward
Muselman. Aber auch als solcher setzte er seine Beziehungen zu seines
frühern Anhängern fort und behauptete bald, seine Bekehrung gehöre auch
zu den Kennzeichen des Messias. Viele seiner Freunde traten gleichfalls
zum Islam über, ohne jedoch, wie Scbabbathai selbst, aufzuboren, die Sy-
nagoge zn besuchen und eine eigene Liturgie geltend zu machen. Das
zweideutige Benehmen Scbabbatbai's uud die fortgesetzten Bemühungen der
Juden, ibn beim Grossvezier zu verdächtigen, bewirkten endlich dessen
nochmalige Verhaftung und später dessen Verbannung nach Bosnien, wo
er wahrscheinlich (1676) eines gewaltsamen Todes starb.
Mit dem Tode Schabbathai^s hurte indessen seine Wirkung nicht
anf, seine Kabbalistischen Lehren fanden noch eifrige Verfechter, in de-
nen sogar sein früherer Gegner Rabbi Nehemia gehört. Andere lehrten,
wie manche Schiiten von Ali nnd dessen Nachkommen , er sei gar nicht
gestorben und werde bald in erneuter Herrlichkeit wieder erscheinen.—
A mli nach Polen nnd Deutschland wanderten Missionäre des Schabbatnats-
mus nnd verliehen ihren Dogmen ein christliches Gewand, so wie ihre
Brüder im Osten ausserltch Anhänger des Islsms geworden. Sie waren
würdige Schüler der Ismaeliten oder Batiniten, denn auch sie lehrten:
die heilige Schrift habe neben dem äussern buchstäblichen, noch einen
innern verborgenen Sinn, welcher allein das wahre Wesen der Religion
bilde, während das todte Wort nur dessen Schale sei. So lehrten sie
denn auch wie Jene, dass Gott in menschlicher Gestalt zu wiederholten-
malen, unter Andern auch als Christus, sich auf der Erde gezeigt habe
und dass er dereinst auch wieder zur vollkommenen Erlösung der Mensch-
heit als Mensch wiedererscheinen werde.
(Schluss folgt.)
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Nr. 49. HEIDELBERGER UM,
JAHRBÜCHER OER LITERATUR.
Journal of the American oriental soelet y.
» i -I
. • * * i i .
(Schluss.)
Herr SchauOler. welcher zunächst für das amerikanische Publikum
schreibt und darum auch mehr ins Einzelne, sowohl Uber das Leben
Schabbathai's, als Aber die Kabbalistische Philosophie einzugeben genöthigt
war, theilt am Schlüsse seines Artikels ein Dokument mit, das ihm von
einem Scbabbathaier in der Türkei mitgetheilt worden. Ort und Name
des Verfassers wird nicht genannt, das Dokument selbst, eine Art Glau-
bensbekenntniss und Missionsschreiben , ist nicht einmal von dem Schab-
batbaier selbst geschrieben, sondern nur einem Nicbtmobammadaner diktirt
worden. Der Scbabbathaier ist nämlich äusserlicb Muselmann, musste sieb
daher wohl hüten, etwas zu schreiben, das ihm, wenn es bekannt würde,
d^Bfl 1^ o p f kosten k o o n 1 «i es Einern l^iofitn^usliro zu diktirco y inoohtG öjt
weniger Anstand nehmen, entweder weil der Schreiber sein volle« Ver-
trauen hatte, oder weil auch im schlimmsten Falle sein Zeuguiss gegen
ihn ungültig wäre. Im Wesentlichen stimmt dieses Dokument mit dam
Glaubensbekenntnisse, das die Scbabbathaier vor dem Bischof von Camenz
ablegten, überein. Auch hier wird in So ha ritisch allegorischer Weise dar-
getban, dass Gotteserkenntniss mehr als Gottesdienst, dass die güllliche
Offenbarung einen innern verborgenen Sinn habe, und dass die durch
Sünden gefallene Menschheit durch den Messias wieder von denselben ge-
reinigt worden.
Merkwürdig ist diese Mittheilung des Herrn Scbsuffler besonders da-
durch, dass sie uicht nur das Fortbesteben dieser Sekte im Oriente dar-
thut, sondern auch, dass selbst mohammedanische Scbabbathaier Christus
als Messias anerkennen, was bisher nur von den nach christlichen Staa-
ten ausgewanderten Scbabbathaiern geglaubt worden ist. In diesem neue-
sten Glanbensbekenntnisse ist übrigens von einer Dreieinigkeitslebre keine
Rede. Christus wird nicht als Sohn, sondern als ein Gesandter des ein-
zigen Gottes dargestellt, der von göttlichem Geiste beseelt war. Es weicht
bierin entschieden von dem vor dem Bischöfe von Camenz abgelegten ab,
wo, wie bei den Schiiten, von einer dreimaligen Incarnation der Gott-
heit selbst die Rede ist, als Adam kadmon, als Christas und dereinst
als Erlöser der Menschheit. . v.
XUV. Jahrg. 5. Doppelheft. 49
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770 Journal of Mm American orienlal sociely.
Der zweite Aufsatz ist Überschrieben:
Account of a Japanese Romance, with an introduction by William
Turner*
Der Verf. gibt einen summarischen Ueberbück über den Verkehr
der Japaneser mit fremden Völkern, von der ersten Landung der Portu-
giesen im Jahr 1542 bis zu den letzten Versuchen der Amerikaner vor we-
nigen Jahren, Handelsbeziehungen mit Japan anzuknüpfen, dann eine Ge-
nflnpuitrlipn "Sinsum in Rnrnna hia auf Amm n«ru»i« Werlr
jjnuc ?i»v ii ^iuuilii in liuiupa , uu am uas ucucswa t» ci»
Ii. ff. W.u, dessen Inhalt ausführlich mitgelheilt wird.
Der folgende Aufsatz: „Nota on Japanese Syllabaries, by Sei
Well Williams u, bildet einen Appendix zu dem Vorhergehenden, denn
und eine Probe der neuesten ii Japan
Der dritte und vierte Artikel liefern scbatsenswerthe Beiträge zur
Geogrephie und neuem Geschichte von Kurdistan. Erslerer ist ein Brief
des Missionars Azariah Smith an H. Salianury, d. d. Aintab,
20. August 1849, mit einer Karte von
„Journal of a tonr froin Oroomiah to Mosul, tbrougfc the
tains, and a visit to the ruins of Niaiveb , by Justin Perkins, Uisaionary
of the American board in Persia.tt Aus dem Schreiben des Herrn Smith
geht hervor, dass die von Ainsworth im „joarnal of
cal sociely" (London, 1841) milgetheilte Karte von
Berichtigungen bedarf und dass namentlich die bedeutendsten Plötze, wie
Ascbitnh, Jnlamerk, Kerim, Kumri Kala und andere weiter
nördlich liegen, als sie von Ainsworth angegeben sind. Auch den
fluss setzt A. zu weit südlich, wahrend er dem kleinen Zab
iiHuei ungB nci»r uio oittrtio ucr DevuiKcruug^ oer iiasionaujsciien tieuirge
angegeben. Das Tagebuch des Herrn Perkina beginnt den 25. April
1840, mit deasen Abreise von Mossul, endigt mit einem Besuche der
Ruinen von Nimrud den 18. Mai, und Uefert
Notiz Uber (he Kurdische Sprache von B. Ed wnrds, welehe
zöge aus den über diesen Gegenstaad sich erstreckenden Aufsätzen ia
„Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes" enthalt.
Der fünfte Artikel enthalt unter der Ueberschnft . ^
on the Peschito Syrien Version of the new testameat , by Prot.
W. Gibbs" eine genaue Zusammenstellung aller Eigenheiten dieser Ueber-
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Jburnal of tbe Americoo oriental «ociety. 771
setzung des neuen Testaments, welche langst schon, sowohl durch ihren
i n oem Werth , als durch ihr hohes Alter und die Verwandtschaft dir
Sprache mit dem zu Christi Zeit io Palästina gesprochenen Dialekte, die
Aufmerksamkeit der Bibelforscher io Anspruch genommen hat.
Unter dem Titel: „ Syllabus of tue Siva-Gnana-Poikam u tbeilt der
Missionir H. R. Hoisington deo Hauptinhalt, nebst einigen Auszügen,
dieses in zwölf Abtheilungen zerfallenden heiligen Buches der Indier mit.
Dsrauf folgt: „Spedmens of the Naga laoguage of Asam, by Nathan Brown,
Missionary of the American baptist union in Asam/-
Aensserst belehrend ist der achte Artikel: r Chinese coltire: or
remarks on the eauses of the pecuNarities of the Ghioeae. By rev. Sa-
muel R. Browe, täte principal of the Morrison school at Hong-Kong, China."
Wir finden hier ein lebendiges Gemälde von diesem merkwürdigen Lende,
von seiner Cnltur, Literatur, Staatsleben, Religion, Sitten und Gebrauchen
io nicht ganz fünfzig Seiten zusammengedrängt, wie wir es vergebene in
diesem Zusammenhange und mit so geistreicher Aurfassung und klarer
Darstellung io bandereichen Werken über China suchen.
Artiole IX enthält eine Fortsetzung der im ersten Bande dieser
Zeitschrift begonnenen Uebersetzeeg der Eroberung Persieaa durch die
Araber, aus dem türkischen Tabari, von J. P. Brown, nebst dem Tode
und der Charakterschilderung des Chatifen Omar, aus derselben Quelle.
Die hier mitgeteilten Kapitel betreffen: die Eroberung von Tudj in Fars,
die Eroberung von Kerman, Sedjestan und Mekran. Der Zug nach Bei«
rat (?) jenseits Bassrab, die Sendung des Salim Ibn Keis. Ref. verweist
anf seine Bemerkungen zum ersten Bande in Betreff der Glaubwürdigkeit
dieser Berichte und auf den ersten Band seiner Cbalifengeschicnle Über
den Tod und Charakter Omars.
Article X enthalt: „Notes of a tour in mount Libanon and to tbe
eastern aide of lake Hüleh in a letter to a relative by Henry A. de Forest,
M. D. ilissionary of tbe American board in Syriu". und der folgende Ar-
tikel: „The form» of tbe greek Substantive verb by Prof. James Hadley.a
Der Verfasser bemüht sich, io diesem kleinen Aufsatze die Anomalien des
Zeitworts etut durch Vergleichung mit dem Sanskrit zu erklären.
Der letzte bedeutendere Artikel ist überschrieben : Translation of
two nnpoblished arebio documents, retating to the doetrioea of tbe Is-
mailis and other öatinian sects, with an Introduction end notes, by Ed-
ward E. Selisbury." -
Der gelehrte Ucbersetzer bat diese Documente von dem oben ge-
nannten Missionäre Dr. de Forest erhalten und durch deren Veröffentli-
49*
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772
Journal of the American oriental Society
chung unsere Kenntniss von einer Sekte vermehrt, welche vor dem Islam
in Penien ihre Wurzeln schlaff nnd dann unter verschiedenartigem mo-
hammedanischen Gewände und allerlei Namen bis auf unsere Zeit fort-
bestand. Das erste hier Uberseite Stück ist eine Streitschrift, welche den
Titel führt: „Der Angriff der Gerechtigkeitsliebendeu gegen die Sekte der
Ismaeliten und das zornige Ange gegen die Karmaten.tt Es ist ein Aus-
zug aus dem Werke: „Kitab Manahidj Attawassul fi mabahidj Altarassul.-
Bs besteht aus drei T heilen: 1) ein Gedicht, in welchem der Verfasser
von der Sekte, gegen welche er schreibt, eine vollständige, natürlich
nicht vorteilhafte, Schilderung entwirft. Diesen Theil bat H S. noch
unübersetzt gelassen; 2) ein ähnliches Gemälde der Ismaeliten in Prosa
von einem gewissen Alamidi, vielleicht Seif Eddin Alamidi aus
Hama, welchen Ibn Cballikan als Verfasser religiöser und philosophischer
Streitschriften nennt und dessen Tod nach Herbelot in das Jahr 816 d. H.
fallt, 3) eine Reihe von juridisch - theologischen Fragen in Betreff der
Nussairfs, die dem Scheich Taki Eddin Ibn Jatimeh (gestorben im
Jahr 748 oder 768 d. H.) vorgelegt und von ihm beantwortet worden.
Dieses Dokument, von Gegnern der Ismaeliten entworfen, darf nur mit
Vorsicht gebraucht werden und zeigt uns nun mit Bestimmtheit, was die
orthodoxen Muselmänner von ihnen dachten, die gewiss von frühester Zeit
her ihnen Lebren und Handlungen andichteten, die kaum später bei ein-
zelnen Zweipen derselben mit historischer Gewissbeil vorgefunden werden.
Zum bessern Verständnis dieser Dokumente schickt H. S. voraus, was
Schebrestani über diese Sekte unter dem Artikel: „Batinijeh, Gha-
lijeh, Nusseirijeb, Ishakijeh, Bakirijeh und Djafarijeh
mittheilt.
Das zweite Stück hat wahrscheinlich einen Missionär der Ismaeliten
zum Verfasser und besteht aus vier Tbeilen: 1) ein System der Cosmo-
rrnnif ninn Arl filaiihAnehplr Anntnifl« • '1\ «inn mvcticrh- nllflcrnr'nrhp
guuii , %> i omo Aik \jiaoucii9UcnoiiuiiiiBt , o i eine uijausnj aiioguuiiut
Interpretation desselben und 4} eine Darlegung der Lehre vom Imam.
Bin drittes Stück, in Form eines Gesprächs zwischen Mohammed
Ibn Ali Albakir und Chalid Ibn Zeid, welches H. S. erat später mitzu-
teilen gedenkt, soll von den obigen Dokumenten io Betreff mehrerer
Dogmen der Ismaeliten wesentlich abweichen. Wir hoffen, dasa es im
nächsten Bande enthalten sein wird, und dass etwaige, dem gewissenhaf-
ten Uebersetzer noch dunkel gebliebene Stellen im Urtexte beigegeben
werden. Wer dieser Chalid Ibn Zeid war, ist nicht mit Bestimmtheit zo
ermitteln, vielleicht ein Sohn des Zeid Ibn Ali Ibn Hinein Ibo Ali, wel-
cher im Jahre 122 d. H. in Knfa umkam.
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Karte Anzeigen. 773
Endlich enthüll der vorliegende Band noch nnler dem Titel: „Mis-
ce!laoiesu 1) eine Untersuchung über drei zu Malta entdeckte unterirdi-
sche Gemächer \ 2) ein Vorschlag, wie eine gleichförmigo Orthographie
der südafrikanischen Dialekte herzustellen wäre ; 3) Winke Ober den Ur-
sprung des Bnddismns in Burma Ii; 4) ein Verzeichuiss arabischer Hand-
schriften zu Worcesler; 5) Nachricht Ober die" inländischen Druckereien
in Ostindien; 6} ein Verzeichniss der neuesten in Ostindien erschienenen
Sanskritwerke und 7) Uber die Juden zu Kaifung-fu und ihre heiligen
Bücher. Well.
Kurze Anzeigen.
1. Löthrohrbuch. Eine Anleitung tum Gebrauch des Löthrohrs, nebst Beschreibung
der vorzüglichsten Löthrohr-Gebldse. Für Chemiker, Minerahgen, Metallur-
gen, Metallarbeiter und andere Techniker; sowie »um Unterricht auf Berg-,
Forst- und landwirthschaf tlichen Akademieen, polytechnischen Lehranstalten,
Gesterbschulen u. s. «?. Von Dr. Theodor Scheerer, Professor der
Chemie an der königl. Sächsischen Bergakademie sm Freiburg. Mit in den
Text eingedruckten Holzschnitten. VI. und 113 S. kl 8. Braunschuseig
Druck und Verlag ton Fr. Vietoeg 4* Sohn. 1851»
2. Leitfaden beim Löthrohrprobir- (nicht Probier-) Unterrichte an der Bergschule
sm Clausthal von Bruno Kerl, Vice- Büttenmeister und Lehrer der Che-
mie, Hüttenkunde und Probirkunst an der Bergschule sm Clausthal. 20 S,
in 8 Clausthal Verlan der Schuieioer'schen Buchhandlimo. 1851.
Die relative Schmelzbarkeit der Mineralkörper ist ein Merkmal von ho-
hem Wertbe, das jedoch, als solches, nur im Kleinen beobachtet werden kann.
Dies« Betrachtungen hatten die Entdeckung des Löthrohres oder Blaserobres zur
Folge, einet Werkzeuges, vermittelst dessen man auf das kleinste Bruchstück
irgend einer Mineral -Substanz möglichst heftige Hitzegrade einwirken lassen
kann. Durch Berselins und Plattner erlangte die Gerättischart noch grös-
sere Bedeutung; ihre Anwendung wurde zu einem sehr wichtigen Theile che-
mischer Untersuchungen. Man blieb nicht mehr beschränkt auf die, allerdings
mehr oder weniger wisseoswürdigen, Erscheinungen, wie: Glühen, Phospbores-
cenz, Aenderungen von Farbe und Form, Aufschäumen, Blasenwerfen, Umwan-
delnngen zn Glas oder Schmalz, Redoction metallischer Oxyde u. a. w.; mit dem
Ldihrohr lassen sich selbst Analysen anstellen.
Der „Leitfaden", welcher uns in der ersten der genannten Schriften
aus den Händen eines der berühmtesten Chemiker neuester Zeit geboten wird,
kann nur willkommen sein, und die allgemeine Verbreitung des nützlichen Büch-
leins ist dringend zu wünschen; es füllt eine wesentliche Lücke aus und kann
nicht genog empfohlen werden. So vortrefflich die Schriften von Berselina
und Plattner — wir sind weit entfernt, ihren Verdiensten zu nahe zu treten
— so eignen sich solche, der Ausführlichkeit wegen, kaum für Anfänger; aber
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774
Kurze Anzeigen.
auch die, welche weiter vorschritten, wir zählen uns seihet mit andern Fach-
männern dahin, können Scheerer's „Leih rohrbuch" nicht entbehren. Sehr
zweckgemas* wurden auch die Prüfungen im Glaskolben und in der offenen
Glasröhre abgehandelt, sowie die Anstellung von Versuchen, welche die Nach-
weisung von diesen und jenen Stoffen zum Zwecke haben.
Die Ausstattung der Schrift, was Papier, Druck und Holzschnitte betrifft,
ist so , wie man solche an jedem Artikel der sehr achtbaren Verlags- Handlung
kennt und zu schätzen weiss, das beisst mustermassig.
Das Buchlein des Herrn Kerl, ein Auszug nusBerzelius „ Anwendung
des Löthrohres" und ans Plattner's „Probirkunst mit dem Löthrohr*, ent-
spricht ebenfalls seinem, weniger umfassenden Zwecke.
v. Leonhard.
Die Quart führenden Porphyre, nach ihrem Wesen, ihrer Ver-
breitung, ihrem Verhalten zu abnormen und normalen Ge-
steinen, $o tcie Erzgängen, ton Gustav Leonhard. — NU zwei
Lithographien, fünf colorirtcn Profilla/cln und zwölf Holzschnitten im Texte-
Stuttgart i85i. J. B. Müller's Verlagshandlung, gr. 8. Vitt. u. 212 S.
Wenige plutonische Felsarten treten unter so denkwürdigen und man-
nigfaltigen Verhältnissen uuf, wie die Quarz führenden Porphyre. Nachdem der
Verfasser schon vor zwölf Jahren in einem kleinen Aufsätze die unfern Heidel-
berg, bei Schriesheim und Weinheim vorkommenden Porphyre beschrieb, suchte
er nun im vorliegendem Werke ein allgemeine Schilderung der in rielfacher Be-
ziehung so wichtigen Felaart au geben. HauBge Wanderungen in den Schwarz-
wald, eine grössere Reise in einige der wichtigsten Porphyr -Putride Deutsch-
lands (Gegend von Halle, slchsiehee Erzgebirge, Böhmen, Tyrol) boten StofT za
mancher Beobachtung, das Studium der Schriften deutscher, französischer und
englischer Geologen gewahrten reichliche Belehrung.
Nach der Einleitung, welche eine gedrängte Geschichte der Felsart, so
wie einige physikalisch-chemische Bemerkungen enthält, folgt eine ausfuhrliche
Charakteristik des Porphyrs, der Grundmasse der Einmengungen, der ausser-
wesentlichen Beimengungen, so wie der Slructur und Absonderung desselben.
Alsdann gibt der Verfasser eine Uebersicht der Verbreitung der Felsart in den
verschiedensten Gegenden der Welt. An diese reiht sich die Schilderung der
Beziehungen, welche Porphyre zu normalen und abnormen Gebilden wahrneh-
men lassen. — Eine interessante Thatsache ist, dass Porphyre sich in gewissen
Gegenden selbst durchsetzen, also von verschiedenem Alter sind. Den Sehlus*
bildet der Abschnitt über Erzführung der Porphyre und deren Verhältnis* zo
Erzgängen, ans welchem hervorgeht, das die Feisart häufig als Erzbringer be-
trachtet werden muss.
Der Verfasser fühlt wohl, dass seine Arbeit der Lücken und Mingel nicht
entbehrt; er bemerkt aber auch ausdrücklich, dass er keine Monographie, son-
dern nur einen Beitrag zur Kenntniss der Quarz fuhrenden Porphyre liefern
wollte. —
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Karze Anzeigen.
775
Grundiüge der Mineralogie, Geognosie, Geologie und Bergbaukunde, frei nach Da-
vid T. Ans t ed. Erste Lieferung: Mineralogie; bearbeitet ton G. Leon-
hard. Stuttgart, J. B. Müllers Verlagshandlung. 1851. 8. S. 176.
Im vorigen Jahre erschien Anstedt „eleineotary oourse of mineralogy, geo-
logy, «od phyftical geography," ein Werk, das sich namentlich wegen seiner prakti-
schen Richlung in England vielen Beifalls erfreute. Eine Uebertragung ins Deutsche
wurde von mehreren Seiten lebhaft gewünscht; ohne sich genaa an das Origi-
nal zu halten, befolgte der Bearbeiter hauptsächlich den Plan desselben, in mög-
liehst gedrängtem Rahmen ein Werk über Mineralogie, Geognosie und Bergbau
zu schaffen, und »war so, dass jeder Abschnitt gleichsam für sich ein Gan-
zes bildet.
Die erste Lieferung enthält die Mineralogie. Oer Bearbeiter hielt lieh in
der Aufzählung der Mineralien an das System, welches Dana in der dritten Auf-
lage seiner „mineralogy" (Neu-York, 1850) wühlte, und benutzte von Lehrbüchern
der Mineralogie namentlich die in den letzten Jahren erschienenen Werke von
Hausmann, Naumann und Dufrenoy. Alle, bis zum Mai 1851 bekannten
Substanzen sind angefahrt, die wichtigeren mit grossem, die unbedeutenderen —
worunter die bedeutende Zahl der „neu entdeckten14 — mit kleinem Druck. Ein
ausfuhrliches Register erleichtert den Gebrauch des Buches in hohem Grade.
Noch im Laufe dieses Sommers folgt die zweite Lieferung, Geognosie und
Geologie, welche in gleichem Umfang, über hundert Holzschnitte (Petrefacten,
Profile etc.) en thalten wird.
Der achtbaren Verlagshandlung von J. B. Müller, welche den „Grundzügen
der Mineralogie, Geognosie, Geologie und Bergbaukundea eine so geschmackvolle
und gediegene Ausstattung verlieb, die dem englischen Orignale in keiner Weise
nachsieht, sagt der Bearbeiter hiermit den gebührenden Dank.
Ci. Leonhard.
Specimen lUerarium inaugvrale de Prometheo Äeschyli denuo edendo, guod
publico ahpie sotenni examini svbmiitet Ernestus Julius Kiehl,
Hagamts. Lugduni Batarorvm apud E. J. Brill, academiae typographum.
MDCCCL. 110 5. in gr. 8. .
Zu einer Schrift wie der Prometheus des Aescbylus wird jeder Beitrag,
er betreffe den Text oder die Erklärung, nur erwünscht seyn können. Denn
für Beides ist, angeachtet mancher namhaften Leistung, doch immer noch Man-
ches zu thun übrig geblieben. Das mag auch der Verfasser dieser Inaugural-
schrift wohl gefühlt haben, als er den Plan fasste, eine neue Ausgabe des Pro-
snethens zu liefern, die nicht bloss eine Zusammenstellung alles Dessen, was
frühere Herausgeber und Erklärer Brauchbares bisher beigesteuert, bringen,
sondern auch Neues und Wesentliches Diesem beifügen sollte. Indessen von
einem solchen Plane glaubte der Verf. vorerst noch abstehen zu müssen, indem
eine nähere Untersuchung, namentlich über neue Quellen und Hülfsmittel zur
Herstellung des Textes, ihn bald überzeugte, dass aus dem, was ihm zu Gebot
stehe, kaum Etwas zu gewinnen sey. Und so beschränkte sich der Verf., ne-
ben der Mittbeilung der zu diesem Zweck vorgenommenen Untersuchung und
ihrer Ergebnisse, auf eine Reihe von VerbesserungsYorschlägen , weiche die
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776 Kurie Anzeigen.
zweite Abtheilung der Schrift fS. 50— 80 Novae lectione») einnehmen. Die
erste Abtheilung, Über die wir zuvörderst berichten wollen, enthält unter der
Aufschrift Expos itio fontium (S. 5—49) die bemerkte Untersuchung, wel-
che zuerst Über die noch zu diesem Stück vorhandenen Scholien und deren
Werth und Bedeutung für die Herstellung des Teites sich verbreitet. Sie hat
allerdings ein ganz negatives Resultat geliefert, insofern diese Scholien in ihren
Mittheilungen durchaus Nichts enthalten, was für die Kritik des Textes von
Nutzen seyn könnte; in dieser Beziehung entfernt sich auch der Verf. von sei-
nem nächsten Vorgänger Francken,*) der immerhin aus diesen Scholien
noch Einiges Tür die Verbesserung des Textes gewinnen zu können glaubte.
Bei näherer Prüfung und Erwägung wird man indessen kaum Bedenken tragen,
der wohlbegründeten Ansicht des Herrn Kiehl beizutreten. Dieser bespricht
nun die Lesarten der Mediccischen Handschrift (Collatio Cobetiana codicis Me-
dicei), welche auch von ihm für die älteste unter den noch vorhandenen Quel-
len des Aeschyleischen Textes anerkannt wird, insbesondere für die Quelle
der übrigen bis jetzt bekannten Handschriften, wie diess ja auch in Deutschland
so ziemlich anerkannt seyn dürfte; a. z. B. Franz: des Aeschylos Oresteia
S. 304. oder Prien im Rhein. Mus. N. F. VII. p. 20ÄIT.; jedoch wird nach
dem Urtheft des Verf. (S. 31) auch diese aus einer älteren Quelle, etwa des
neunten Jahrhunderts stammende Handschrift keineswegs die Grundlage einer
neuen Ausgabe bieten können, weil die Verderbnisse aus einer schon frühem
Zeit, wie er glaubt, stammen; „jam saeculo sexto ad ultimum, probabiliter jam
•aeeulo tertio p. Chr. Aeschyli teztus ferc Hadem, quibus hodie vitiis laborabat",
heisst es S. 27.
Spuren dieser älteren Lesart hofTte der Verfasser in einzelnen An-
führungen des Lexicographen Hesychius zu finden; allein auch hier ward die
Erwartung völlig getäuscht; der Verf. gelangte auch hier zu dem Resultat, dass
für die Gestaltung des Aeschyleischen Textes aus dein, was Hesychius bringt,
Nichts zu gewinnen stehe (S. 48). So würde denn für die Verbesserung des
Textes kein anderes Verfahren mehr einzuschlagen übrig bleiben, als das der
Conjecturalkritik, wie es der Verf. in dem nächsten Abschnitt auch angewendet
hat, aber in einer Weise, die um so mehr Bedenken erregt, als wir in Be-
zug auf die medieeische Handschrift immerhin der Meinung sind, dass aus
ihr, wie diess Prien am a. 0. an den Persern gezeigt hat, für die Gestaltung
oder vielmehr Berichtigung des Textes noch Manches zu gewinnen scy; denn
es wird die Conjecturalkritik doch nur da anzuwenden seyn, wo sie unumgäng-
lich nothwendig geworden ist durch Verderbnisse des Textes, welche durch
das, was die Handschriften bringen, in keiner Weise geheilt werden können;
Hegt die Unzulänglichkeit des Textes nicht am Tage , so wird kein besonnener
Kritiker von diesem letzten Heilmittel einen Gebrauch zu machen gesonnen seyn.
Hiernach können wir z. B. die Verse 36 und 2«5, die hier für fremdartige Ein-
schiebsel erklärt werden, keineswegs dafür ansehen, da die bemerkte Unzuläng*
lichkeit hier auch nicht entfernt nachgewiesen werden kann; und dasselbe wird
'
*) In dessen Schrift; De antiquarum Aeschyli interpretalionura ad gern r-
nam lectionem restituendam usu et auetoritate. Trajecti ad Rhen. 1845. 8. Siehe
Jahrbücher 1847. p. 274 sqq..
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Kurze Anceigen.
777
ebensowenig Vers 263 bei dem Worte eXacppov der Fall seyn, welches nach dei
Verf. Vorschlag in eXa©poc umgewandelt werden, und nach der Analogie von
&xaio; nnd ähnlichen Ausdrücken hier in der Verbindung mit dem Infinitiv (ita-
patvsTv voudrreTv re) angewendet seyn soll in der Bedeutung: leicht im Stande,
geneigt, einem einen Rath zu geben, einen zu ermahnen, während
doch wahrhaftig diese Infinitive, als das Subject zu eXaopov genommen, nicht im
Entferntesten ein Bedenken erregen können; dasselbe wird von der Interpola-
tion gelten , die der Verf. sogar in grösserem Massstabe nach Vers 267 für die
drei folgenden Verse geltend machen will. Mit gleichem Grunde, oder viel-
mehr Ungrunde, wird Vers 331 und 333 dem Aeschylus abgesprochen, des-
gleichen 370 (381 bei Blomfield, ftspuoTc auX^cxou ßsXeai ituprcvcou CaXijc in
der herrlichen Schilderung des Typhon). Die Vers 403 (413 ed. Blomfield)
vorgeschlagene Verbesserung ap/av ffir atXjidv würden wir, wenn sie selbst in
einer Handschrift sich fände, eher für ein mattes Glossem von at'Xu-sv erklaien,
zumal da ett"/^ in dem bezeichnenden Sinne von Gewalt, Macht, Herr-
schaft doch wahrhaftig kein Bedenken erregen kann Wir wollen nicht wei-
ter fortfahren, da die gegebenen Proben genügen können, als Nachweis unserer
vorhin ausgesprochenen Behauptung. Die dritte Abtheilung bringt eine dreifache
Probe aus den Collectaneen des Verf. über den Prometheus (Expositio Collec-
taneorum p. 81 ff.); die erste betrifft den Wortgebrauch; der Verf. hat die dem
Prometheus eigentümlichen Ausdrücke in alphabetischer Folge zusammenge-
stellt, nnd die verwandten Ausdrücke anderer Dramen des Aeschylus, sowie die
Stellen anderer Autoren (bis Aristoteles), in welchen der von Aeschylna ge-
brauchte Ausdruck vorkommt, beigefügt; was er daraus hier mittheilt, ist eine
aus dem Buchstaben N genommene Auswahl. — Die zweite Probe ist metri-
scher Art, und betrifft zunächst die Chorgesänge; die dritte mythologischer Art;
sie enthält eine Zusammenstellung aller der den Apollo betreffenden, ihn unter
diesem oder jenem Beinamen bezeichnenden Stellen in den verschiedenen Dra-
men des Aeschylus. Angehängt sind dieser Abhandlung von S. 103 an sechs
und dreissig Theses, fast sämmtlich kritischer Art, insofern sie zu einzelnen
Stellen verschiedener Autoren Verbesscrnngsvorschläge bringen, die uns jedoch
noch sehr zweifelhaft erscheinen.
Kritische und exegetische Bemerkungen tu den Persem des Aeschylus von Dr. Lud"
teig Schiller. (Programm zum Jahresbericht der K. ß. Studsenanstalt
sm Erlangen.) 1850. 26 S. in gr. 4.
Diese in einer Gelegenheitsschrift mitgetheilten Bemerkungen bilden einen
überaus werthvollen, ja Tür den Kritiker wie rar den Erklärer der Perser we-
sentlich notwendigen Beitrag, der durch die schon vorher angeführte Abhand-
lung des Herrn Prien zunächst hervorgerufen worden ist, und uns tatsächlich
zeigen kann, wie viel doch noch für die richtige, d. h. urkundlich treue Fas-
sung des Textes aus der genannten medieeiseben Handschrift zu gewinnen steht
Es wäre rein unmöglich , wenn wir alle die Stellen hier bezeichnen wollten,
welche in dieser Schrift in gedrängter Kürze bebandelt und, setzen wir hinzu,
auch meist glücklich behandelt werden; wir beschränken uns daher, die ein-
zelnen Gassen anzuführen, nach welchen diese Stellen hier besprochen werden.
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778
Kuno Anzeigen.
Zuerst werden alle diejenigen Stellen angeführt, in welchen der genannte Ge-
lehrte einfach die Aufnahme der Lesarten der mediceischen Handschrift ver-
langt, und auch von Dindorf der richtige Weg eingeschlagen worden iat;
in aweiter Reihe erscheinen die Stellen, in welchen beide Gelehrte über die
Anerkennung der mediceischen Handschrift difTeriren; an dritter Stelle wird
on* gezeigt, wie an noch gar manchen Orten die handschriftliche Autorität in
ihre Rechte einzusetzen sey; diesen reihen sich viertens diejenigen Stellen an,
welche nach Anleitung der vom Cod. Medic. gebotenen Lesarten leicht geheilt
werden können; wie selbst aus den Verderbnissen der Handschrift Gewion ge-
zogen werden kann, wird an einer Anzahl von Stellen in fünfler Reibe gezeigt;
in sechster und siebenler werden Stellen besprochen, in denen die Conjectural-
kritik zu Hülfe genommen wird, oder wo bloss auf dem Wege einer bessern
Interpunction oder Accentuation , oder endlich auch milteist einer besseren In-
terpretation geholfen werden kann. Dieser Abschnitt, in dem anch manches
Andere (wie z. B. S. 23 über Zweck und Aufgabe dieses Dramas) zur Sprache
kömmt, darf wohl besonderer Beachtung empfohlen werden, wie wir aus einer
Reibe von Stellen, denen wirklich auf diesem Wege geholfen worden ist,
leicht nachweisen könnten , wenn der Raum solches überhaupt gestattete. Kei-
ner, der mit Aeschylus sich näher beschäftigt, wird übrigens die Schrift un-
beachtet lassen können.
1 Arm in ins Koe chhj: Emendafiones Apollonianae. Turici ex officina Zür-
cher* et Furreri 1850. 15 S. in gr. 4.
2. Ar min tu s Koechly: Tryphiodor* de Mi excidio Carmen denuo recognitum.
Tuiici etc. 1850. 28 S. in gr. 4.
S. Arminius Koechly: De Madis ß, 1—483 Dispvtatio. Turici etc. 1850.
24 S. in gr. 4.
4. Arminius Koechly: Conjectaneonm epicorum fasciculus I. Turici etc.
1851. 24 S. in gr. 4.
Wir stellen diese verschiedenen, in kurzer Zeit nach einander erschie-
nenen Gelegenheitsschriften zusammen, weil sie ihrem Inhalte nach mehr oder
minder verwandte Gegenstände bebandeln, und, auch von Seite der Behandlung,
in weiteren Kreisen bekannt zu werden verdienen. Der Verf., der uns erst un-
längst durch seine Ausgabe des Quintns Smyrnaus gezeigt hat, wie vertraut er
mit demjenigen Kreis von Schriftstellern ist, welche den Cydus der späteren
Epik der Hellenen bilden, hat einen neuen Beweis davon in einer Weis« gelie-
fert, die uns zugleich zeigen kann, wie er die Kritik, die sogenannte höhere
•ognt wie die Wortkritik, im Sinn und Geist seines grossen Lehrers, Gottfried
Hermann, an üben versteht, dem er zugleich in einem dieser Programme
ein schönes Denkmal gestiftet hat, worauf wir noch zurückkommen werden.
Das erste dieser Programme bringt eine Reihe von einzelnen Verbesserungsvor-
schligen au einzelnen Stellen des Apollonias von Rhodus, den der Verf. mit
Beeilt unter den AI exend rinischen Dichtern hervorhebt, insbesondere auch we-
gen der Art und Weise seiner Nachbildung der Homerischen Poesie; eine ge-
nauere Kenntniss der Sprache, der ganzen Aufdrucks- und Daratellungsweise
des Apoll on ms wird auch hier nur dazu dienen können, ein günstiges Urlheil
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779
über diesen Dichter zu begründen, und dazu wird selbst der vorlief ende Bei-
trag nicht ohne Emfluss seyru Die einzelnen dtrin behandelten Stellen auch
hier anzuführen, erlaubt uns der Umfang der Anzeige nicht, die nur die Freunde
der epischen Poesie auf diese Schrift hinweisen soll; nur an Einen Punkt wol-
len wir erinnern; er betrifft den tiebrauch der Modi, insbesondere des Con-
jnnetivs oder Optativs nach Partikeln des Zwecks und der Absicht, wie 670a,
tva und ähnlichen. Der Verf. gibt eine Zusammenstellung der einzelnen Falle,
unternommen in der Absicht, daraus ein allgemeines Ergebniss in bestimmten
Regeln, nach denen Apollonias sich gerichtet, abzuleiten. Bei dem mehrfisch
bemerkbaren Wechsel der Modi, ohne das» bestimmte sachliche Gründe vorlie-
gen, bei dem hier mit hervortretenden Einfloss des Metrums ist es schwer, ein
solches bestimmtes Ergebniss jetzt schon zu gewinnen, wo wir noch nicht ein-
mal in allen Stellen über die wahre, d. h. urkundliche Schreibong des Textes
verlässigt sind. Wir zweifeln jedoch nicht, dass es dem Verf. bei fortgesetzter
Forschung gelingen werde , mit der Zeit ein solches Ergebniss und damit die
Losung mancher den Text In- treffenden Schwierigkeiten zu erzielen.
Das an zweiter Stelle genannte Programm bringt einen neuen, berichtig-
ten Abdruck des unter dem Namen des Tryphiodorus , oder, wio Letronne
will, Triphiodorus auf uns gekommenen epischen Gedichtes über die Eroberung
Troja's. Wer nicke, der zum letztenmal dieses in manchen Beziehungen, na-
mentlich aueh historischen nicht zu übersehende Gedicht im Jahr 1819 heraus-
gegeben hatte, war über der Herausgabe gestorben und hatte damit selbst nicht
die letzte Hand mehr an seine Arbeit legen können. Dass daher noch Manches,
auch in Bezug auf die Gestaltung des Textes , Andern zu tkun übrig gelassen
worden ist, kann keinem Zweifel unterliegen, ebenso wie es auch anerkannt
werden muss, dass Herr Kochly, der in diesem Kreise der epischen Literatur
vor Andern zu Hanse ist, auch zunächst berufen war, diese Lücke des Vorgän-
gers auszufüllen. Das hat er aber auch hier in der That geleistet. Wir erhal-
ten den Text in einem üusserst correcten Abdruck, und unter demselben die
Hauptabweichungen sorgfaltig aufgeführt. Dass der Text des Gedichtes, für
dessen Verbesserung der Verf. schon früher nahmhafte Beiträge hatte erscheinen
lassen, hier an nicht wenigen Stellen in einer besseren Fassung erscheint, und
das Ganze dadurch lesbarer und verständlicher geworden ist, wird kaum einer
besondern Erwähnung bedürfen.
Die dritte Schrift enthält die nähere Ausführung einer Ansicht, die der
Verf. schon früher in der Philologcnversammlang zu Darmstadt im Jahre 1846
(s. deren Verhandlungen S. 73 AT.) vorgetragen hatte, über die Bildung und Zu-
sammensetzung des ersteren Theils (Vers 1 — 483) des zweiten Gesangs der
Ilias aas zwei verschiedenen Liedern. Diese Ansicht war inzwischen auf Wi-
derspruch gestos9en, insbesondere ist IVagelsbach in der neuen Ausgabe sei-
ner Anmerkungen zur Dias dagegen aufgetreten; darum versucht nun der Verf.
seine frühere Ansicht hier zu vertbeidigen und naher nachzuweisen, sowie die
dawider vorgebrachten Einwürfe zu widerlegen; in wie weit ihm dies gelun-
gen, wagen wir freilich, ohne eine sorgfältige und genaue Prüfung des Ein-
seinen, wie wir sie anzustellen hier ausser Stand sind, nicht auszusprechen, um
00 mehr, als wir in der Grundanschauung dieser Verhältnisse allerdings anderer
Meinung sind wie der Verf., und insbesondere von der ganzen Art und Weise
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780 Kurie Anzeigen.
der Beweisführung, durch welche die ursprüngliche Zusammensetzung der Ho-
merischen Gesänge aus einer Reibe von einzelnen, auch von einander verschie-
denen und unabhängigen Liedern erklärt werden soll, uns bisher noch nicht
haben überzeugen können. Und so bat es uns denn auch in dem vorliegenden
Falle nicht gelingen wollen, uns zu überzeugen, dass die beiden Lieder, aus
welchen nach des Verf. Annahme dieser erste Theil des zweiten Buches zu-
sammengesetzt ist, in der Weise im Einzelnen ursprünglich zusammengesetzt
gewesen, wie diess der Verf. am Schlosse seiner Erörterung S. 23 ansogeben
versucht. Alle Diejenigen aber, die mit der ganzen Frage über Bildung und
Entstehung der Homerischen Gedichte sich beschäftigen, werden die Schrift des
Verf. nicht ungelesen lassen dürfen, ja vielmehr einer gründlichen Durchzieht
und Prüfung zu unterziehen haben.
Bei dem vierten dieser Programme, das eine Reihe von einzelnen Ver-
besserung vorschlagen zu den Frogmenten der früheren epischen, insbesondere
der sogenannt kyklischen wie der Hesiodetschen Poesie, nebst einiger andern
verloren gegangener Dichter enthält, dürfen wir wohl insbesondere auf den
Schluss wie auf den Eingang aufmerksam machen. Zum Schlüsse nämlich gibt
der Verf. einen Abdruck der sieben und siebzig Verse einer Gigantomachie,
welche unter dem Namen des Claudianus aus einer Madrider Handschrift von
Iriarte (Bibl. Matrit. Codd. Graecc. I. p. 219 ff.) bekannt gemacht worden
aind; bei der Seltenheit dieses Werkes verdient dieser Abdruck, bei welchem
der Verf. mehrfach passende Verbesserungen angebracht und eine Anzahl von
Bemerkungen kritischer und exegetischer Art beigefügt bat, doppelte Berück-
sichtigung. Des Eingangs glaubten wir aber ans dem Grunde besonders ge-
denken zu müssen, weil der Verf. hier einen einst von ihm als Mitglied der
Griechischen Gesellschaft zu Leipzig an Gottfried H e r m a n n gerichteten Brief
aufgenommen hat, auf den wir alle Freunde des grossen Mannes aufmerksam
zu machen uns gedrungen fühlen. Denn wir lesen darin eine so lebendige and
frische, eine so anziehende und selbst gemüthliche Schilderung der Art und
Weise, in welcher Hermann die Hebungen der Griechischen Gesellschaft lei-
tete, dass das Ganze einen in der That nur erfreulichen Eindruck hervorbrin-
gen, dem dankbaren Gefühl des Schülers aber nur Ebre machen kann.
Graeca nomina in u> exetmlia. Cotnmentathnis lexicographicae et gramtnaixcae Parti-
cvla vritna. Scriosit et ex vroarammale mimnasii Maodalenaei Vratisla-
viensis paschali anni MDCCCLl separatim ediiüt Pistotheus Tachir-
ner. Vratislatiae apvd A. Schuh et Soc. (Herrn. Aland) MDCCCLl.
52 S. in gr. 4.
Die vorliegende Schrift, die einen wahrhaft gediegenen Beitrag zur Grie-
chischen Grammatik und Lexicographie, zunächst in Bezug auf die Eigennamen,
bringt, kann aufs Neue zeigen, wie Viel hier noch zu thun ist und wie We-
nig eigentlich bisher auf diesem Gebiete geleistet worden ist, zumal wenn wir
an die Behandlung des Einzelnen den Massstab legen, den der Verf. dieser
Schrift sich selbst gesetzt hat. Ihm war die Wichtigkeit des Gegenstandes nicht
entgangen, der in neueren Zeiten noch nicht mit gleicher Sorgfalt wie manche
andere Zweige der Griechischen Sprache und Literatur behandelt worden ist
>t
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Kurte Anseigen.
(ist doch Pape's Wörterbuch der griechischen Eigennamen eigentlich der erste
grössere und anch gewiss verdienstliche Versuch neuerer Zeit auf diesem Ge-
biete), aber doch in jeder Hinsicht grössere Aufmerksamkeit anzusprechen hat;
denn wir sagen mit dem Verf.: „profecto ab hoc studio quamvis exiguum at-
que exile esse videatur, non nihil repetitur, quod maximi est momenti ad etymoio-
giam, mythologiam, historiam, cognationem populorum." Diess wird gewiss
Niemand bestreiten können, zumal wenn die Eigennamen in Bezug auf ihre
Abkunft und Hcrleilung, oder in Bezug auf ihre Bedeutung, ihre Flexion und
dergleichen in der Weise untersucht und behandelt werden, wie diess der Verf.
dieser Probe so erschöpfend gethan hat. Bei dem grossen Umfang und den
grossen Schwierigkeiten dieses Theils der Lexieographie , der noch eine Reihe
von Vorarbeiten erheischt, hat der Verf. einen ganz speciellen Punkt der Be-
handlung sich gewählt, indem er alle die auf ü ausgehenden Griechischen Ei-
gennamen in alphabetischer Ordnung zusammenstellt und zu jedem eine Erörte-
rung gibt, die sich über alle die eben bemerkten Punkte verbreitet und wohl
als ein wahres Muster der Behandlung derartiger Gegenstände angesehen wer-
den kann, zumal da dem Verf. bei seiner sorgfaltigen und umfassenden Leetüre
kaum irgend Etwas auf dem weiten Gebiete sprachlicher wie sachlicher For-
schung entgangen seyn dürfte, was mit den von ihm behandelten Eigennamen
in irgend einer Berührung steht. Ein gleiches Lob dürfte dem Verf. in Bezug
auf die Sorgfalt, mit der alles Grammatische behandelt ist, sowie auch in Bezug
auf die im Gebiete des Etymologischen beobachtete Vorsicht nicht entgehen,
und insofern nur der Wunsch übrig bleiben, dass es ihm gelingen möge, die
hier begonnenen Studien weiter fortzusetzen und zu einigem Abschluss zu brin-
gen. Denn in diesem ersten Theile reicht die Zusammenstellung nur bis zum
nur die vier ersten Buchstaben des Alphabets. Bei je-
dem einzelnen Wort werden vom Verf. nicht bloss die Stellen angeführt, in
welchen dasselbe vorkommt, sondern es werden auch weitere Erörterungen da-
mit verbunden, welche auf die Ableitung des Kamens, seine Bedeutung und
Anwendung, sowie sein Verbältniss zu ähnlichen oder verwandten und abge-
leiteten Wörtern sich bezieben, lauter Punkte, die an und für sich gewiss wich-
tig und bedeutend, doch in der Ausführung auf manche Schwierigkeiten stossen,
zumal da, wo der Käme nicht sowohl Griechischen, als fremdartigen, insbeson-
dere orientalischen Ursprungs erscheint. Wir wollen nur Ein Beispiel der Art
ans dem Worte 'Au-aCu» anführen, wo uns der Verf. die verschiedenen Ablei-
tungsversuche Griechischer Worlkünstler anführt, daraus aber — und wohl mit
Recht — nur Ein Ergebniss gewinnen kann, dass nämlich das Wort keineswegs
Griechischen Ursprungs, sondern aus irgend einer Asiatischen Sprache abzulei-
ten sey. Und wenn hier nun die von Movers bemerkte Ableitung aus dem
Semitischen (Am-aza, d. i. fortis mater) vorzugsweise seinen Beifall findet,
so wird man jedenfalls diese Ableitung für weit einfacher und natürlicher als
die andern mehrfach in Vorschlag gebrachten anzuerkennen haben. Bei dem
Namen Ai&o, womit eine der Grazien bei den Athenern nach Pausanias
IX, 35 §. 2 bezeichnet wird, fiel uns die bei den Aegineten verehrte Au^st«
ein, die schon 0. Müller Aeginelt. p. 171 mit dieser Attischen A&e zusam-
mengestellt halte. Bei 'A<ppo5iTÜ>, aus Hierocles und dem Antoninischen Itinerar
als Bezeichnung der Aegyptischen Stadt Aphroditopolis (A<ppo5iTTjc noXic) ange-
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T32
Kurze Altteigen.
fdbrt, htben wir einiges Bedenken, da uns ähnliche Abkürzungen nicht Dekanat
sind. Oder toll eine solche Abkürzung in späterer Zeil stattgefunden haben,
etwa nach der Analogie des die Gottheit wie die Stadt bezeichnenden Namens
Bo'jrci»? Auf die umfassende Erörterung, zu welcher der Artikel i'ooYÜ Veran-
lassung gibt S. 33 — 38, brauchen wir wohl kaum noch besonders aufmerksam
machen zu müssen; in ähnlicher Beziehung können noch weiter die Artikel
AcpxtTtti, Aijjm», At]u> und manche andere angeführt werden, wenn es überhaupt
noth wendig erscheinen sollte, das oben ausgesprochene Urlheil noch durch wei-
tere Belege zu bekräftigen, die Jeder leicht ans jeder Seite tntnehmen kaaa.
Um so mehr wird aber der schon oben ausgesprochene Wunsch einer weiteren
Fortsetzung und Vollendung der hier angefangenen Probe gerechtfertigt erscheinen.
Mnive und sein Gebiet mil Rücksicht auf die neuesten Ausgrabungen im Tigris-
tlutU ton Dr. Hermann Jo. Chr. Weissenborn, Professor am k. Gym-
nasium sm Erfurt. Erfurt 1851. Druck ton Gerhardt und Schreiber.
36 S. in or. 4.
Der grossartigen Entdeckungen neuester Zeit auf dem Boden des alten
Assyriens ist auch in diesen Blattern mehrfach gedacht worden (Jahrg. 1850. S.
62 ff. 740CT.) ; schon darin mag für uns ein Grund liegen, auch der vorliegenden
Schrift zu gedenken, die eine Uebersicht der zunächst das alte Ninive betref-
fenden Forschungen und Entdeckungen beabsichtigt, und dadurch beizutragen
hofft, auch in weiteren Kreisen, zumal solchen, denen die grösseren und theueren
englischen wie französischen Werke minder zugänglich sind, das Interesse an
diesen wichtigen Entdeckungen zu erwecken, und da, wo schon Bekanntschaft
vorhanden war, es zu erhöhen (S. 34). Diesen Zweck hat die mit sorgfältiger
Kunde des Gegenstandes selbst und aller darauf bezüglichen Quellen abgefasste
Schrift jedenfalls vollkommen erreicht. Der Verf. wirft zuerst einen Blick auf die
nach Asien überhaupt in neuerer Zeit zu gelehrten Zwecken veranstalteten Reisen
Europäischer Gelehrten, er giebt dann eine geographische Schilderung des zwi-
schen Euphrat und Tigris gelegenen Landes und des Laufes der beiden Flosse
selbst, und kommt dann auf die in grauer Vorzeit am linken Ffer des Tigris,
dem beutigen Mossul etwa gegenüber angelegte Hauptstadt Ninivc, worüber
alle diejenigen Angaben der Reihe nach aufgerührt und besprochen werden, welche
aus dem Alterthumc darüber uns zugekommen sind, bis auf die arabischen Geo-
graphen des Mittelalters herab, hei welchen noch im 13. Jahrhnndert die Rainen
Kinive's an der bemerkten Stelle erwähnt werden. Daran reihen sich die Ver-
suche neuerund neuester Zeit, die Stätte selbst wieder aufzufinden, von Ntebnhr
an bis auf Botta und Layard herab. Da Layard's Werk früher in die-
sen Blättern ausführlicher besprochen worden ist, so können wir uns hier auf
die Angabc beschränken , dass der Verfasser dieser Schrift einen sehr genauen
Bericht der sämmllichen, von dem thätigen Britten gemachten Entdeckungen vor-
gelegt und selbst manche Zuzätze dazu uns gegeben bat, so dass wir in den
stand gesetzt sind, bequem den ganzen Stand dieser Nachgrabungen zu überblicken.
Er ist aber noch weiter gegangen; er sucht aus dem, was dieso Entdeckungen
zu Tage gefördert haben, auch weitere, für Wissenschaft und Kunst belangreiche
Resultate abzoleiten; demgemäss bespricht er zuerst die Bauweise des Volkes,
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Kurze Anteilen.
783
die durch die Verhältnisse de« Boden« wie des Klima'f bedingt war, und hier
allerdings noch manche Punkte darbietet, die einer näheren Erörterung bedür-
fe«, wie sie kaum anders, als durch fortgesetzte Nachgrabungen und Entdeckun-
gen zu gewinnen seyn wird. Denn selbst die neuesten Versuche eines englischen
Architekten (James Fe rgason: The Palaces of Nineveh and Persepoli« re-
siored. London 1851. S. 233 IT.) und die dem Titelblatt gegenüber beigefügte,
auch kunstvoll ausgeführte Restaurationsprobe eines der Palastrflume zu Kbor-
svvau weraen uns grossere \\ cmrscneiniiciiKeit oaer gar uewissneit scnweriicn
bringen, was man, ohne den Verdiensten dieses Mannes zu nahe zu treten, wohl
wird behaupte« dürfen. Eher lassen sich über Sculptur, ja überhaupt über die
bildende Kunst der Assyrer, bestimmtere Ergebnisse ziehen, indem hier die
Masse dea Entdeckten und die meist gute und vollständige Erhaltung um dazu
eher befähigt, namentlich auch das Verhältnis« dieser Kunst zu der persischen
und ägyptischen, wie zur vorderasiatischen und namentlich zur griechischen
nun schon deutlicher hervortritt, und damit auch der Einftuss, den diese in so
früher Zeit schon so vorzüglich entwickelte und ausgebildete Kunst auf die
griechische geäussert bat. Es freut un«, bei dem Verf. eine Anerkennung die—
«es orientalischen Einflusses im Allgemeinen auf die frühere hellenische
Kunst, die dadnreh bei ihrer weiteren selbständigen Entwicklung wahrhaftig
auch nicht das Geringste verliert, gefunden zu haben; auch zweifeln wir nicht,
dass bei weiter fortgesetzten Nachgrabungen und Entdeckungen dieser Punkt
immer mehr zu einer allgemein anerkannten Wahrheit werde, die jede« Beden-
ken abweist, wünschen aber auch desshalb die eifrige und angestrengteste
Fortsetzung dieser Nachgrabungen, und wiederholen die Worte B. G. Nie-
buhr's au« dem Jahre 1829, — also vor der Zeit dieser grossen Entdeckun-
gen — welche der Verf. at« ein recht passendes Motto auf den Titel seiner
Schrift gesetzt hat: „Ninive wfrd das Pompeji Mittelasiens werden, eine an-
ermessliche und noch unberührte Fundgrube für unsere Nachkommen — denen
ein Champollion für die assyrische Schrift nicht fehlen wird — hoffentlich schon
für unsere Kinder.*
Die beiden dieser Schrift beigefügten Tafeln enthalten theils Pläne der
in der Schrift besprochenen Gegenden zur näheren Orientirung, theils Abbildun-
gen einiger der vorzüglichsten Sculpturen, welche durch Layard, Botta u. A.
bekannt geworden sind, und so auch Denjenigen bekannt werden, welche in
diese Werke selbst noch keinen Blick werfen konnten. Auch dafür gebührt
dem Verf. unser Dank, mit welchem der Wunsch sich verbindet, noch öfters in
der Weise durch ihn über derartige Gegenstände belehrt zu werden.
BeitriuMi zur Geschichte der Ha] Wachen Schulen Freie* Stück Von Di F A
EcAsfei». Halle. Druck der Waisenhausbuchdruckerei. 1850. 50 S.
in gr. 4.
Erst dann, wenn wir eine Reihe solcher Beiträge erhalten haben, wird
es möglich werden, eine gründliche und auch näher ins Eiuzelne gehende Ge-
schichte de« höheren deutschen Schulwesens von den Zeiten der Reformation
an, wie sie uns noch fehlt, zu liefern; es kann daher nur höchst wünschens-
wert erscheinen, wenn die Vorsteher der verschiedenen Anstalten es sich wol-
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784
leo angelegen seyn lassen, in ähnlichen Darstellungen wie die vorliegende an
die Geschichte der iUuen anvertrauten Anwalt aus officiellen Quellen darzulegea
und damit zugleich der gesaminten Culturgeschichte unseres Vaterlandes ein
wesentliches Fordernis* zu bringen. In dieser Ueberzeugung hat uns die vor-
liegende Arbeit nur bestärken können; von dem Verf. derselben sind wir ohne-
hin gewohnt, nur Gründliches und Gediegenes zu erhalten; er hat diese Erwar-
tung auch keineswegs getäuscht in der Schilderung, die er uns von einer der
zu Halle befindlichen Anstalten, dem ehemaligen lutherischen Gymnasium, du
im Jahre 1808 mit der lateinischen Schule in den Francke'schen Stiftungen
vereinigt ward, vorlegt. Er führt zuerst diejenigen Quellenschriften a„t wejcfte
' die Verfassung und Einrichtung der Schule betreffen, und dann die Gesetze,
worauf an dritter Stelle die Schulschriften in chronologischer Ordnung nach der
Reihenfolge der Rectoren kommen. Der Verf. befolgt dabei folgenden Gang.
Er führt die einzelnen Rectoren auf und knüpft daran die weiteren Personalno-
tizen über dieselben, sowie Angaben über ihre amtliche Thätigkeit an der An-
stalt wie über ihre literarischen Leistungen; nachher werden die von ihnen in
ihrer amtlichen Stellung herausgegebenen Schriften genau aufgeführt und mit
manchen andern Nachrichten und Angaben begleitet, die theils ein literarhisto-
risches Interesse haben, theils auf den Unterricht, die Einrichtungen der Schule
und dergleichen sieb beziehen, hier aber Manches bringen, was, selbst abgese-
hen von dem historischen Interesse, in praktischer Hinsicht auch in unserer
Zeit noch Beachtung verdienen wird, wenn man anders die Winke der Erfah-
rung benutzen und nicht spurlos alles Das vorübergehen lassen will, was auf
dem Felde der Erziehung von unseren Vorfahren schon richtig erkannt und in
Anwendung gebracht worden ist. Aus der sorgfältigen Prüfung und richtigen
Auffassung mancher Einrichtungen der Vorzeit wird auch unsere Zeil noch Man-
ches lernen, Manches gewinnen können, wenn sie anders nur es will, und dann
auch die Mühe nicht scheut, mit allem Dein sich bekannt zu raachen, was auf
diesem Gebiete früher schon vorgekommen ist. Es liefse sich Manches der Art
auch aus diesen Milthcilungen anführen, worauf wir hier nur im Allgemeinen
«hinweisen können; die literarhistorischen Angaben, sowie die auf die Geschichte
der Schule, Methodik und Behandlung des Unterrichts und dergleichen bezügli-
chen Notizen bilden allerdings den wesentlicheren Theil, und liefern damit auch
manche Berichtigung fehlerhafter oder irrthümlicher Angaben, welche über der-
artige Verhältnisse und Personen hier und dort sich finden. Aus den genau
bei jedem der Rectoren angeführten Schulschriflen lässt sich über den Inhalt
und Charakter derartiger Schriften, die damals im Ganzen und der Mehrheit
nach eine nähere Beziehung tur Schule und den darin behandelten Gegenstän-
den hatten, als diess jetzt der Fall ist, ein Begriff bilden, aus einzelnen der
von den Rectoren getroffenen Anordnungen der Stand des Unterrichts überhaupt
ersehen.
[Still 't $3 [otyt.)
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Ir. 50. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen.
(Schluss.)
Die Abfassung von Gedichten, um nur diesen Punkt zu erwähnen,
bei feierlichen Gelegenheiten , wo sie sogar vorgetragen wurden, die Auffüh-
rung Yon dramatischen Stücken, die theils zu solchen Zwecken besonder« ge-
fertigt wurden, spielt hier noch neben öfteren Streitigkeiten, die, besonders bei
der Anstellung der Rectoren und Lehrer, durch die kirchlichen Verhältnisse je-
ner Zeiten und die von diesem Standpunkt aus gestellten Forderungen herbei-
geführt wurden, hier auch meist in Zusammenhang standen mit den verschie-
dentlich verursachten Reformplänen, eine besondere Rolle. So ward z. B. in
der Fastenzeit des Jahres 1617 eine actio comica de christiani nominis sorte ac
fortnna aufgeführt; die letzte grössere Komödie , die aufgeführt ward, fällt in
das Jahr 1710, also fast ein Jahrhundert spater; in dem damals aufgeführten
Stück: „Das goldene Vliess, d. i. die unvergleichliche Belohnung einer uncr-
müdeten Arbeit", traten vier und dreissig, meist aus der mythisch-heidni-
schen Zeit, einige auch aus dem alten Testament gewählte Personen auf, Jason
mit sechs Gefährten, Europa, als Weltheherrscherin , Japhet, Sem, Cainan und
Attabaiiba, als Vertreter der vier VYelttheile, Aeetes und Medea u. s. w. Eine
ähnliche Anzahl von Personen finden wir an einer ähnlichen Aufführung theil-
nebmend, welche zur ersten Jubelfeier des Gymnasiums am 18. August 1665
stattfand und so grossen Beifall einämtete, dass sie am 25. August wiederholt
werden musste. Wir kennen das Stück, das nicht gedruckt wurde, nicht näher,
ersehen aber aus dem Programm, dass es eine religiös-moralische Tendenz hatte:
„data also der gantze Zweck dahinaus gehet, welcher gestalt ein rechtschaffe-
ner Christ beständig in wahrem Glauben wider alle Verfolgung beharren und
Tor die schnöde nichtige Eitelkeit dieser Welt die hohe und selige Ewigkeit
getrost erwehlen sol.w Bei derselben Feierlichkeit fand auch ein actus oratorio-
comieus statt, bei welchem (so schreibt der Verf.) erst Apollo eine lateinische
Rede hält, dann die neun Musen, eine nach der andern, auffordert, von denen
jede einen Lebrgegenstand preist, Melpomene die alten, Terpsichore die deut-
sche Sprache, gegen welche Euterpe redet, und so fort. Nach den Musen tre-
ten fünf andere Personen ungerufen auf, ignorantia, otium. voluptas, doxosophia
und discordia, die Apollo zum Sprechen lässt, aber ziemlich kurz abfertigt. Zu-
letzt kommen die Musen noch einmal, um gegen die Anwesenden nach Rang
and Würden, vom Herzog August zu Sachsen an bis zu den Scholarchen, Dank
and Glückwunsch auszusprechen. So wenig derartige Auflührungen als Muster
des Geschmacks in unserer Zeit werden gelten können, so liegt doch auf der
andern Seite in dem Ganzen etwas Sinniges, was uns unwillkührlich anspricht,
zumal wenn wir an manche der jetzt üblichen Redeactus mit ihrer Vornehro-
thoerei und ihrem Hinaufschrauben in andere Sphären denken und die für die
gesummte Erziehung daraus hervorgehenden Nachtheile erwägen, die keinem
XUV. Jahrg. 5. Doppelheft. 50
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m %W Anzeigen.
wahren Pädagogen verborgen bleibe« können. Unter den im Jahre 1672 ein-
geführten Reformen finden wir auch die, dass zweimal die Woche, Mittwoche
nnd Samstags, Redeübungen gehalten werden, und im Interesse dieser Rede-
übungen festgestellt werden sollte , dass fortan Keiner ans der ersten Klasse
entlassen werde, „er habe denn mit einer orajioq cum annexa gratiarom actione
pro aeeeptis benefieiis publice valediciret." Dass damals schon man insbeson-
dere in den oberen Classen daran dachte, recht viele Zeit für die Leetüre der
alten Schriftsteller zu gewinnen, könnte auch unsere Zeit, die in Allem sich so
vorgeschritten wlhnt, wohl sich merken; die Mahnung an die Lehrer: „ihre Stun-
den richtig zu halten, auch die etliche Zeit keineswegs mit unnöthigen Die*
coursen, wodurch die Jugend nur zur Dtssolution gewöhnt wird, zuzubringen*
wird auch für unsere Zeit noch Geltung haben, da, wo die Lehrer, statt ihrer
nächsten Pflicht zu genügen, lieber von Politik and Landständen oder von der
Republik sich mit ihren Schülern unterhalten. Die Beschränkung der vierwö-
chenüichen Hundslagsferien (während welcher nur die Nachmittagsstunden aus-
Helen), auf viersehu Tage, wird auch in unsera Tagen noch beachtenswert h
bleiben, wir würden ihr wenigstens unbedingt den Vorzug geben vor einer
Einrichtung, die, eben um einzelnen Lehrern den Genuas eines Bades zu er-
leichtern, wenige Wochen vor dem Schlüsse des gesammten Schuljahres noch
einige Wochen gänzliche Ferien anordnet aber im Interesse des Unterrichts
schwerlich begründest seyn dürfte. Doch Derartiges wird man noch Man-
ches in diesen Mittbeiiungen finden; die angeführten Proben mögen genügen,
um der Schrift recht viele Leser zuzuführen.
GvchichUtabellcn mm Auswendiglernen von K. Arnold Schäfer, Professor an
der h. sächs. landesschulc tu Grimma. Dritte Auflage. Leipzig. Armol-
di'tche Buchhandlung 1851 VI und 6t S. in gr. 8.
Wir haben schon die beiden ersten Auflagen dieses Büchleins als ein
zweckmässiges Hülfsmittel bei dem geschichtlichen Unterricht auf Schalen em-
pfohlen (s. diese Jahrb. 1847 v 477 and 1848 p. 3t«j) und können diese auch
bei dieser neuen dritten Auflage mit um so mehr Grund thun, als wirklich
dieselbe vor den beiden früheren sich durch einzelne, indess mit Beobachtung
des Masses, so wie des der ganzen Schrift zu Grunde liegenden Zweckes, ge-
machte Zusätze nnd schärfere Fassung des Mit gelbeilten auszeichnet, und über-
desa noch eine ganz neue Zugabc in einem dritten Curaus erhalten hat, welcher
in ähnlicher Weise eine tabellarische Uebersicht der Cult Urgeschichte be-
greift, ao dass auch von dieser Seite her dem Lehrer ein guter Leitfaden in die
Hände gelegt ist, durch den es ihm möglich wird, auch das geistige Leben der
Völker in seinen Hauptmomenten wenigstens darzustellen und dem Schüler die-
jenigen Nanner vorzuführen, die durch ihre geistige Thätigkeit von dem wesent-
lichsten Einfluss auf die Cultur und damit auf das gesammte Leben der Völker«
in ihren verschiedensten Beziehungen geworden sind. Der Verf. hat damit, wie
Wir glauben, eine Lücke ausgefüllt, die bei den meisten ähnlichen Schriften der
Art sehr fühlbar ist; wir wünschen darum diesen Geschieh tstabellen auch in die-
ser nenen Gestak recht weite Verbreitung, damit sie in der That den Katzen
stiften, den der Verfasser damit an erreichen bestrebt war.
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Kuno Anzeigen.
Lehensabriu ton Johann Caspar Orelli. Aus den Heu jähr shläUern der Stadt-
bibliolhtk in Zürich besonders abgedruckt. Zürich 1851. In Commission
bei (hell, Füssli und Comp. 20 S. in gross 4. Mit dem schon gestochenen
Bildnisse Orelli's.
Schon früher ward in diesen Blattern (Jahrg. 1850 S. 154) der in fran-
Eüsischer Sprache abgefaßten Lebeniachilderung des Mannes gedacht, dessen An-
denken auch die hier anzuzeigenden Blitter zu ehren bestimmt sind. Wenn in
jener Schilderung insbesondere die gelehrte Seite hervortrat, und die Leistungen
Ort: Iii 's auf dem Gebiete der classiseben Philologie und andern verwandten
Zweigen, wodurch dieser Mann sich in ganz Europa bekannt gemacht, und für
eise ganze Richtung der gelehrten Kritik bestimmend geworden ist, hauptsäch-
lich den Gegenstand und Inhalt bildeten, so tritt aus dieser Schilderung mehr
die Persönlichkeit des Mannes, die ganze geistige Entwicklung desselben nach
ihren verschiedenen Stadien in einem schönen Bilde hervor, das übrigens auch
die andern Seiten, namentlich die gelehrte, und hier in der That unermüdliche
Tätigkeit Orelli's nicht unberührt lägst und hier selbst manche wohl zu be-
achtende Notiz uns mittheilt. Schon das Knaben- und Jünglingsalter, das uns
itier näher geschildert wird, bietet manche Züge, die selbst für die spätere
Kntwickclung nicht ohne Belang sind: auch das häusliche leben in dem Kreise
der Familie tritt in manchen noch nicht bekannten Zügen, die auf den Cha-
rakter, wie er später immer mehr hervortrat, ein Licht werfen, hervor. Daran
schliefst sich die Entwickeln ng des gereiften Mannesalters, in welchem Orelli
als Gelehrter wie als Lehrer gleich ausgezeichnet gewirkt hat. Von seinen ge-
lehrten Leistungen hier zu reden, glauben wir unterlassen zu können; nur der,
der auf dem Gebiete der philologischen Wissenschaft ein völliger Fremdling
ist, könnte diess vermissen; wohl aber wird dessen au gedenken seyn, was wir
aus dieser Schrift auch über die Lehrtätigkeit des Mannes erfahren, der auf
dem Gebiete der classischen Philologie als Gelehrter so Tüchtiges geleistet hat.
Der Vortrag Orelli's (so lautet die Mittheilung eines seiner Schüler S. 9) hatte
eine hinreissende Gewalt; sobald er das Catheder bestiegen und das Buch ge-
öffnet, geriet h Alles bei ihm in Leben und Bewegung; die prachtvolle metallene
Stimme, die Würde der Sprache, die Lebhaftigkeit der Gesticolation, die kurzen
sententiösen, oft witzigen und sarkastischen Bemerkungen dazwischen — alles
Dieses übte auf den Zuhörer einen Zauber aus, der unwiderstehlich war. Er
wollte anregen, anspannen, ermuntern, begeistern, die antike Welt selbst ken-
nen zu lernen und zu studiren. Wünschen wir, dass der von ihm auf diesem
Felde ausgestreute Same die besten und schönsten Früchte trage und auf diese
Weise sein Andenken in seiner Vaterstadt fortlebe und fortwirke.
a
America. In geschichtlichen und geographischen Umrissen ton Dr. Karl
Andre e, corresp. Mitglied der üistorical Society und der Elhnological So-
ciety zu Neu - York. Mit Abbildungen. Braunschceig , bei Georg Westcr-
mann. 1—4. Lieferung. 320 S. in gr. 8.
Diese» Werk, das in drei Banden die ganze neue Welt befassen soll, hat
zunächst die Bestimmung, bei dem stets wachsenden Verkehr zwischen der al-
ten und neuen Welt, mit den Verhältnissen der letzteren in den auf dem Titel
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Kurze Anzeigen.
bemerkten Beziehungen, geschichtlichen wie geographischen, naher bekannt tu
machen, und dadurch eine richtige Anschauung und Würdigung derselben zu
veranlassen. Darum ist der Blick zuerst auf das Land selbst und dessen Urzu-
stände gerichtet, wie sie zu der Zeit waren, in welcher die ersten Niederlas-
sungen erfolgten; die Urbevölkerung des Landes, wie die eingewanderte und
deren weitere Schicksale bis auf die neueste Zeit und die grossartige Entwicke-
lung derselben in jeder Hinsicht, die Ausdehnung, welche Handel und Schiff-
fahrt in einer Weise gewann, die noch vor einem halben Jahrhundert, um von
früheren Zeiten nicht zu reden — kaum geahnet ward — das Alles soll uns
hier übersichtlich und in seinem innern Zusammenhang vorgeführt werden, um
so jenen Totaleindruck hervorzurufen, welcher von dem Verfasser beabsichtigt
wird. Sein Werk soll ein Gemälde der neuen Welt liefern, das, auf einer ge-
lehrten Unterlage beruhend und auf gründliche Forschungen gestützt, die Er-
gebnisse der Wissenschaft einem grosseren gebildeten Publikum vorführen, und
ihm eine eben so belehrende und nützliche, wie angenehm unterhaltende Leetüre
gewähren soll. In so fern hat es Much einen praktischen Zweck, als ea Han-
del und Wandel, Verkehr und Verbindung insbesondere in seinen Kreis zieht
und darüber diejenige Belehrung gibt, die der Gebildete über derartige Verhält-
nisse zu gewinnen wünscht. Der erste Band, von dein uns die vier ersten Lie-
ferungen vorliegen, enthalt Nordamerika, und beginnt mit einer Einleitung,
welche die physischen und klimatischen Verhältnisse, die Beschaffenheit des Lan-
des im Allgemeinen, die Pflanzen- und Thier weit, wie die Menschen bespricht
und hier die Frage nach der Abkunft der amerikanischen Menschheit (nach Mor-
ton) nicht übergeht; auch die weitere Km Wickelung der Bevölkerung, die ver-
schiedenen darauf wirkenden Einflüsse werden in allgemeinen Umrissen darge-
stellt. Das erste Hauptstück hat es mit Island und Grönland zu thun;
die Fahrten der Normänner nach diesen Ländern im neunten Jahrhundert bilden
den Ausgangspunkt. Die IVaturbeschaffenheit wie die Bevölkerung wird dann
charakterisirt. Das zweite Hauptstück bringt eine umfassende Darstellung der
Potarreisen, welche uns von den ältesten Zeiten an der Reihe nach bis zum
Jahr 1850 hier vorgeführt werden, insbesondere auch mit Rücksicht auf die Be-
mühungen, eine nordöstliche und nordwestliche Durchfahrt zu finden. Wrir zwei-
feln nicht, dass die hier gegebene Uebersicht ansprechen wird. Das dritte
Hauptstück schildert Amerika, im Norden des fünfzigsten Breitengrades ; die Ge-
birge wie die Ebenen dieser weiten, von Indianern und von Pelzhändlern durch-
zogenen Strecken, die Thier- und Pflanzenwelt, der Pelzhandel und dessen Ge-
schichte, also auch eine Darstellung der verschiedenen Handelscompagnien, wel-
che damit beschäftigt sind, das Leben und Treiben, die Beschäftigung und der
Verkehr der verschiedenen Indianerstämmo, dann die verschiedenen Niederlas-
sungen der Europäer in diesen Strecken, der Russen wie der Engländer wer-
den in eben so anziehender als umfassender Weise geschildert, um so ein Ge-
sammtbild des Ganzen zu gewinnen. Das vierte Hauptstück schildert die In-
dianer in Canada und den vereinigten Staaten östlich vom Mississippi. Aber
nicht bloss die gegenwärtig in diesen Ländern wohnenden Stimme sind der Ge-
genstand dieser Schilderang; der Verf. geht auch in die Vorzeit zurück, die
merkwürdigen Alterthümer, die jetzt noch Zeugniss geben von einer nun ans*
gestorbenen Welt, werden uns vorgeführt und zun Theil selbst durch eilige*
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78»
druckte Abbildungen anschaulich gemacht. Die verschiedenen über diese Ge-
genstände angestellten Forschungen neuer und neuester Zeit sind dein Verfasser
nicht entgangen, der hier ein sehr anschauliches Bild des Ganzen geliefert hat.
Eine klare, lebendige Darstellung, die nicht so sehr bei dem Einzelnen sich auf-
hält, wohl aber die Hauptpunkte treffend hervorzuheben weiss, zeichnet über-
haupt diese Schrift aus, deren weitere Fortsetzung nur erwünscht seyn kann.
Was in den vier ersten Lieferungen uns vorliegt, haben wir angegeben; die
weiter folgenden dieses ersten Bandes sollen die Vereinigten Staaten, sowie
Californien bringen; wird die Schilderung in der hier begonnenen Weise fort-
geführt, so wird sie anziehend und unser Interesse vielfach anregend seyn.
Der zweite Band soll Mexico, Mittel- America und Westindien begreifen; der
dritte Südamerica. Die äussere Ausstattung ist selbst für ein grösseres Publi-
kum, das auch auf die Aussenseite Rücksicht zu nehmen pflegt , sehr befriedi-
Fran coeur (L. B. ehem. Prof. der Mathematik an der Universität tu Paris etc.):
Vollständiger Lehrkur s der reinen Mathematik. Ersten Ban-
des erstes und drittes Buch, enthaltend die elementare Arithmetik
und Geometrie. Zweite deutsche Auflage, bearbeitet von Dr. Phi-
lipp Fischer, Lehrer der Mathematik an der höhrrn Gewerbschule in
Darmstadt. Bern, Chur und Leipzig I8o0—1851 , Verlag und Eigenthum
von J. F. J. Dalp.
Der von Fran coeur bei der Bearbeitung seines Cours complet de Ma-
themal i(ju es pures beabsichtigte Zweck war : seine Leser in den Stand zu setzen,
alle Schriften über die verschiedenen Zweige der Mathematik durch das Studium
seines Werkes verstehen zu lernen. Die Darstellung sollte eine mehr kurige-
f aaste sein, die sich nicht auf lange ermüdende Eni Wickelungen einlaset. —
Francoeur bemerkt mit Recht: „Der Schriftsteller, der Alles sagt, was
er denkt, hindert den Leser, selbst zu denken. Der Eotwickelung jedesmal
die den Fähigkeiten des Schülers entsprechende Ausdehnung zu geben, ist
die Aufgabe des Lehrers. Um gut zu unterrichten, muss man nicht Alles sa-
gen, was man weiss, sondern nur das, was für denjenigen passt, den man
unterrichtet.'1 —
Das erste Buch des ersten Bandes enthält die gewöhnlichen Grundleh-
ren der Arithmetik in einer ebenso einfachen als klaren Darstellung. — Ob-
gleich die verschiedenen Satze durchgängig nur an Z a h 1 e n beispielen, ohne alle
Anwendung von Buchstaben, entwickelt sind, so thut dies offenbar doch der
Allgemeingültig keil keinen Abbruch; denn die Allgemein Gültigkeit ei-
nes Beweises hängt nicht von der blossen Anwendung von Buchstaben,
sondern von der Allgemeingültigkeit der dabei gemachten Schlüsse und Betrach-
tungen ab. —
Das dritte Buch des ersten Bandes enthält die Gründl ehren der soge-
nannten Elementargeometrie in der Ebene und im Räume. Die Geo-
metrie wird als die Wissenschaft definirt, welche sich mit der Ausmessung,
so wie mit der Erforschung der Formen und Eigenschaften des Räum-
lichen beschäftigt. — Die gerade Linie wird als ein durch die Anschauung
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gegebener einfacher Begriff angenommen, und die Ebene als die Fliehe
deßnirt, welche die Eigenschaft hat : das« die g e r a d e Verbindungslinie je zweier
Tunkte derselben ganz in diese Fläche flllt. — Der Winkel wird deßnirt als die
zwischen zwei von demselben Punkte auslaufenden geraden Linien liegende
Fl Sehe (?), und dennoch soll die Grosse des Winkels nicht Ton der Lange
•einer Schenkel abhängen! — Wenn man sich die Schenkel aller Winkel hVs
Unendliche verlängert denkt, so verhalten sich die Grossen dieser Win-
kel (als Richtungsunterschiede gedacht) allerdings wie die zwischen ih-
ren Schenkeln liegenden unendlichen Fliehen; allein die Definition ist eine
ganz unpassende, und bei der Lehre von den Parallelen wird sich zeigen, wess-
balh diese Definition des Winkels gegeben ist. — Dan Scheitelwinkel
einander gleich sind , folgt unmittelbar aus dem Begriffe der geraden Linie. —
Mit Recht wird der Satz: „Die gerade Linie ist der kürzeste Weg
zwischen zwei Punkten14 bewiesen, und nicht als für sich klar angenom-
men; allein bei der Yergleicbung der Länge der geraden Linie mit der diesel-
ben Endpunkte verbindenden krummen wird stillschweigend angenommen: das*
der Längenunterscbied zwischen der krummen Linie und der in dieselbe beschrie-
benen TolygenHllinie von unendlich vielen uneodlich kleinen Seiten unendlich
klein ist, was wohl erst nachgewiesen werden müsste. — Um diese Schwie-
rigkeit zu umgehen, must man den Satz indirect beweisen, indem man zeigt:
dass jede andere, als die gerade Linie k e i n e kürzeste ist, und da es not-
wendig eine kürzeste Linie zwischen zwei Punkten gaben muas, so folgt mit
Nothwendigkeit: dass die gerade Linie die kürzeste sein muss. —
Parallelen werden zwei in derselben Ebene liegende gerade Linien
genannt, welche sich nie treuen, wie weit sie auch nach der einen oder an-
dern Seite hin verlängert werden mögen. — Da der Satz : dass der Aussenwin-
kel eines Dreieckes grösser ist, als jeder der beiden innern gegenüberliegen-
den Winkel, vorhergegangen ist, so liessen sich die drei bekannten directen
Sitze über die Parallelen, nämlich dass zwei Gerade parallel sind: I) wenn
die Gegenwinkel, 2) wenn die Wechselwinkel gleich, und 3) wenn die Summe der
beiden innern (oder äussern) Winkel an derselben Seile der Trnnsrersale (Secante)
zwei rechte betrögt, leicht streng erweisen. Um aber die nm gekehrten Sätze
zu beweisen, muss der ganz fremdartige Satz: dass ein Winkel (nach der frü-
heren Definition als unendliche Fliehe gedacht), wie klein er auch sein mag,
doch immer grösser ist, als jeder noch so breite unendliche St reifen (Fläche
zwischen zwei unendlichen Parallelen), zn Hülfe genommen werden!
Wir brauchen hinsiehtlich dessen, was wir über die Fnndamentalbegrifle
(gerade Linie, Richtung, Ebene, Parallelen, etc.) hier zu sagen hätten, nur auf
das, was wir bereits früher bei verschiedenen Gelegenheiten in diesen Blättern
darüber bemerkt haben, zu verweisen. —
Der Inhalt des Buches ist der gewöhnliche, und die Darstellung durch-
weg ebenso einfach als klar, so dass es ganz den Eindruck eines deutschen
Originales macht, und sich besonders als Leitfaden oder Grundriss bei
dem Unterrichte an höhern Lehranstalten (höhern Bürgerschulen, Gewerbschn-
len etc.) eignet. Die äussere Ausstattung ist ebenfalls sehr gut und correct.
Von den übrigen Titeilen des in Rede stehenden Werkes soll s. Z. eben*
laus Dentin er>uiiici vterueti. irr* wciiiiMUt?.
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Grades. Von Simon Spitier. Mit einem Vorworte ton Dr. Schul*
v. Strassniltki, Prof . der Mathematik am k. k. polyt. Institute in Wien.
Aus den naturw. Abh. III Band, 2 Abih. Wien. i849. Bei W. Braumül-
ler JL JL üofbuchhändlcr. 34 S. in 4.
Die vorliegende Abhandlung hat den Zweck, die Ho rner'sche Methode
auf die Berechnung der imaginären Wurzeln anzuwenden. Ein kurzes Vorwort
von Prof. Schulz v. Strassnitzki leitet dieselbe ein.
Zunächst setzt der Verf. die Horn er' sehe Methode in Anwendung auf
die Berechnung reeller Wurzeln klar auseinander, wenn er natürlich nicht ge-
sonnen sein konnte, in die besondern Schwierigkeiten der Aufgabe etwa weiter
einzutreten.
Denselben Gang verfolgt er sodann bei der Aufsuchung der imaginären
Wurzeln und erweist die praktische Brauchbarkeit seiner Ansicht durch Aufsu-
chung der imaginären Wurzeln einer Reihe von Gleichungen. Dess die Rech-
nungen sehr zusammengesetzt ausfallen müssen, ist von vornherein klar; immer
aber ist es ein Verdienst, die Bestimmung der imaginiren Wurzeln durch die-
selbe Metbode versucht zu haben, durch welche die reellen bestimmt werden.
Es bleiben allerdings noch manche Schwierigkeiten zu erörtern. Einmal ist der
Fall gleicher imaginirer Wurzeln zu untersuchen, obgleich allerdings derselbe
umgangen werden kann , indem man die gleichen Wurzeln nach den bekannten
Methoden entfernt. Sodann ist der, bei reellen Wurzeln besondern Schwierig-
keiten unterliegende Fall, da mehrere Wurzeln der Gleichung nahezu gleich gross
sind, auch hier zu behandeln, wo er natürlich noch verwickelter ausfallen muss.
So ist dann auch ein genaues Kriterium festzustellen, dass man über eine ima-
ginäre Wurzel hinausgegangen sei, wie man dies bekanntlich bei den reellen
Wurzeln dadurch findet, dass das letzte Glied sein Zeichen wechselt in der neu-
gebildeten Gleichung. Dies sind Funkte, die festgestellt werden müssen, ehe die
Aufgabe vollkommen gelöst ist. Herr Spitzer hat aber in der vorliegenden
besonders abgedruckten Abhandlung einen wichtigen Schritt dazu gethan und er
wird aoeh, wie Ref. hofft, der weitern Vervollkommnung der Metbode seine
Beiträge zur meteorologischen Optik und zu verwandten Wissenschaften, Von J. A,
Gruncrl u. s. w. Viertes Heft.
Auch unter dem besonderen Titel:
Die Lichterscheinungen der Atmosphäre, dargestellt und erläutert von R. C lau-
st us. Mit sechs lithographirten Tafeln, hevpug 1850. Verlag um E. B.
Schwickert.
Wir haben schoii früher die ersten Hefte dieser Beiträge in diesen Blät-
tern angezeigt, und haben dort auf den interessanten Inhalt derselben aufmerk-
sam gemacht. Das vorliegende vierte Heft enthält nun, was, wie der Heraus-
geber früher bemerkte, eigentlich in den Anfang der Zeitschrift gehört hätte, eine
Ucbersicht der sfinuntlichen, der Optik angehörenden Erscheinungen in der Al-
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mosphäre, von dem durch mehrere andere hierher gehörende Arbeiten wobl be-
kannten (laus ins. En ist sonach dieses Heft, in ähnlicher Weise, wie die an-
dern theil weise auch, ein für sich bestehendes Ganze, das, abgesehen von der
Zeitschrift, zu der es gehört, dem Leser einen Ueberblick über jene durch Far-
benpracht und zum Theil zauberhaftes Auftreten den herrlichsten Anblick ge-
wahrenden Erscheinungen giebt.
Die in dem vorliegenden Hefte betrachteten Erscheinungen sind nun:
Die Gestalt des Himmelf. Ea isl eine, bei nur oberflächlicher Be-
trachtung leicht sieb darbietende Erfahrung, das* der Himmel als ein Gewölbe
erscheint, das keineswegs halbkugelförmig ist, sondern eine sehr grosse Ab-
plattung hat, so dass der horizontale Halbmesser weit grösser ist, als der verti-
kale. So untersuchte schon Smith die Gestalt dadurch, dass er sich den Bogen
vom Zenith zum Horizont halbirt dachte und dann den Winkel bestimmte , den
die vom Auge aus nach jenem Punkte gezogene Gerade mit dem Horizonte
machte. Statt 45°, die er haben sollte bei Kugelform, fand sich jener Winkel nnr
23°, woraus eine starke Abplattung folgt. Die Erklirungsweisen dieser Erschei-
nung sind mehrfach. Wohl am besten wird die schon von Smith aufgestellte
sein, dass uns überhaupt Gegenstände am Horizont desswegen ferner scheinen,
weil wir durch die an der Erdoberfläche befindlichen Gegenstände überhaupt
einen Massslab zur Vergleichung der Entfernung haben, was wir hinsichtlich der
im Zenith befindlichen Gestirne nicht besitzen; bekanntlich beruht auf demselben
Grunde die Erklärung der Täuschung, dass wir Sonne und Mond am Horizonte
für grösser halten, als am Zenith.
Die Gestalt des Himmels ist von Wichtigkeit für die Beurtheilung man-
cher Erscheinungen. So würde es offenbar falsch seiu, wenn min von einem
Gegenstand, der etwa in der Mitte des Bogens vom Zenith zum Horizonte sich
befindet, sagen würde, er wäre 45° über dem Horizonte gewesen, was man
leicht versucht sein könnte. Es ist daher bei dergleichen Bestimmungen wohl
auf diese Tauschung, die mit unterlaufen könnte, zu achten.
Die Schwächung des Lichts in der Atmosphäre ist eioe
langst bekannte und schon vielfach untersuchte Erfahrung. So hat Sausaure
durch das Verschwinden zweier ungleicher schwarzer Kreise die Schwächung
zu bestimmen gesucht; ßouguer uniersuchte die Schwächung des Mondlicbts,
je nachdem derselbe höher oder tiefer am Himmel steht. Die Durchsichtig-
keit der Luft hangt sehr von der Witterung ab, sie ist um so klarer, je
trockener sie ist. Doch steht dem wieder eine andere Erfahrung entgegen, die
nämlich, dass die Luft kurz vor oder nach Regen ausserordentlich durchsichtig
ist, wie man dies ja aus fast täglicher Erfahrung kennt. Diese letztere Erschei-
nung widerspricht der ersteren übrigens nicht, steht vielmehr neben ihr, ist aber
noch nicht hinlänglich erklärt. Das zum Tbeile nur von der Atmosphäre absor-
birte Licht, das auf dem Wege zu uns verloren geht, bringt die allgemeine Ta-
gcshclle hervor, indem es an den in der Luft überall befindlichen Wn- -er-
haschen, nach der Annahme des Verf., reflektirt wird. Dadurch erscheint dann
das ganze Himmelsgewölbe leuchtend und wenn man, wie der Verf. in Crelle's
Journal, Bd. 34 und 36 gethan, die Lichtmenge berechnen will, die ein bestimm-
ter Punkt der Erdoberfläche erhält, so muss man dieses Leuchten des Himmels-
gewölbes mit in Anschlag bringen.
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Auf der Reflexion der Lichtstrahlen in der Luft und dem Leuchten des
Himmelsgewölbe* beruht die Dämmerung. Man unterscheidet eine bürgerliche
and eine astronomische. Erstere dauert so lange, als man noch gröbere Arbei-
ten ohne künstliches Licht su verrichten im Stande ist. Bei uns dauert dies, bis
die Sonne etwa 6° unter dem Horisonte ist. Die astronomische dauert bis da»
hin, da man auch die kleinsten sichtbaren Sterne au sehen beginnt; die Sonne
hat dann eine Tiefe von etwa 18°. Die Dauer der Dämmerung hängt aber,
eben weil diese auf der Reflexion des Lichts in der Atmosphäre beruht, wesent-
lich von dem Zustande der Luft ab, und sie ist eine andere in andern Ländern.
So hat sie Humboldt in Amerika sehr kurz gefunden u. s. w. Der in Osten
nach und nach immer rascher aufsteigende Schatten ist der Er d schatten, der
die Atmosphäre verdunkelt. Die Erscheinung, dass dieser Schatten sich am Zenilh
weit rascher bewegt als am Horisonte, lisst sieb leicht erklären; und eben so
die Erscheinungen, welche die aweite u. s. w. Dämmerung hervorrufen. Wir
müssen hier darauf verzichten und auf das Buch verweisen, da ohne Figur die
Sache kaum deutlich würde. Die Dämmerungserscbeiuungen sind übrigens im
xweiten Hefte von dem Herausgeber einer ausfuhrlichen Untersuchung unterzo-
gen worden.
Die aus ihnen gefolgerte Höhe der Atmosphäre beträgt nicht über 4 Mei-
len: doch ist dies nicht eine Höhe der Atmesphäre, sondern nur die Stel-
len, die noch Licht reflektiren.
Die blaue Farbe des Himmels entsteht durch Interferenz des re-
flektirten Lichts, das von den Wasserbläschen in der Luft zurückgeworfen wird
— wie denn die New ton 'sehen Farbenringe aus ähnlichen Gründen entstehen.
Werden die Wände dieser Bläschen dicker, so verschwindet das Blau und man
erhält eine weissliche Färbung. Das von solchen dünnen Bläschen duruhgelas-
sene Licht ist dann roth, woraus Morgen- und Abendröthe sich erklären.
Die Erscheinung, die Forbes wahrgenommen, dass, wenn man durch den aus
einem Dampfkessel ausströmenden Dampf ein Licht betrachtet, dasselbe durch den
Dampf dicht am Kessel in seiner natürlichen Färbung erscheint, weiter darüber roth,
das immer tiefer wurde, je höber das Licht gehalten war, bis endlich der Dampf die
Gestalt von Nebel annahm, der das Licht unsichtbar machte, oder an einzelnen
Steilen weiss erscheinen Hess, erklärt sich daraus vollkommen. Dicht am Kes-
sel ist der Dampf gasartig, so dass er auf das Licht keine Wirkung ausübt; höher
hinauf entstehen sehr dünne Bläschen , die eben jene Erscheinung im durchge-
lassenen Lichte aeigen müssen, und noch weiter hinauf werden diese Bläschen
so dick, dass das Rothe (Orange) nicht mehr allein kommt, sondern alle Farben,
die dann in ihrer Mischung weiss erzeugen.
Auch die Polarisation des Himmelslichlea beweist, dass dasselbe re-
gelmässig an Körperchen in der Luft reflektirt wird. Da aber das Licht einer
jeden Stelle des Himmels nicht bloss von der Sonne herrührt, sondern von allen
andern Thailen des Himmelsgewölbes und der reflektirenden Erdoberfläche, so
wird die durch Erfahrung bestätigte Erscheinung eintreten, dass die Polarisa-
tionsebene des Lichta nicht genau so liegt, wie sie es sein sollte, wenn das Licht
von der Sonne allein herrührte. Durch das Zusammenwirken alles reflektirten
Lichta entstehen die neutralen Punkte, die Arago, H abinet und Brew-
ster gefunden.
Digitized by
794
Korea Anzeigen.
Die Strahlenbrechung in der Atmosphäre erzeugt eine Reihe Erscheinun-
gen, die zum Tbeil durch ihre Pracht den Betrachter bezaubern. Zunächst er*
zeugt sie das Erheben der Gestirne. Ist aber die Luft nicht in ihrem ge-
wöhnlichen Zustande, sondern etwa der untere Tbeil derselben stärker erwärmt,
so entsteht die Senkung des Horizontes, indem unser Gesichtskreis ver-
engert wird; im entgegengesetzten Falle entsteht die Hebung des Horizon-
tes, so dass ferne Gegenstände, die wir sonst nicht sehen konnten, uns plötz-
lich Sichtbarwerden, wovon ein auffallendes Beispiel, von Latbam beschrieben,
angeführt wird. Auch die Luftspiegelungen beruhen hierauf. Die mathe-
matbische Theorie derselben ist im dritten Hefte vom Herausgeber behandelt
worden; hier wird jene wunderbare Erscheinung vollständig beschrieben und
erläutert. Bekanntlich wurde diese Erscheinung bei Gelegenheit des ägyptischen
Feldzugs Napoleons von Monge untersucht nnd ist seither (und auch schon
vorher) vielfach beobachtet werden. Die Ebene Unterägyptens erscheint in sol-
chem Falle als ein weiter See, aus dem die Hügel wie Inseln hervorragen. —
Nähert man sich einem solchen Hügel, so entfernt sich das scheinbare Ufer, zer-
theilt sich endlich vor dem Hügel und ist nur noch hinter demselben, wenn man
ihn erreicht. Dieses peinigende Gefühl zurückweichendes Wasser in dem bren-
nenden Sande ist zur Verzweiflung bringend. Dass ähnliche Erscheinungen schon
viel früher beobachtet wurden, beweist eine Stelle des Korans (Sure 21). Auch
in der Provence bemerkt man Aebnliches u. s. f. Die Fata Morgana Inder
Meerenge von Messina gehören hieher. Die ausführlichste Beschreibung solcher
Erscheinungen hat Scoresby gegeben in seiner Beschreibung einer Reise in
das nördliche Eismeer. Die Berge an den Küsten nahmen die sonderbarsten Ge-
stalten an; sie sahen aus wie Schlösser, Thürme und gleich darauf verwandelte
sich der Anblick in den von Brücken u. a. f., so dass das Ganze in steter Ver-
wandlung der wunderbarsten Formen begriffen war. Die Bilder entfernter
Schiffe, welch letztere man oft gar nicht sah, schwebten verkehrt in der Luft,
ja zwei Bilder desselben Schiffes über einander. Einmal erschien ihm das Bild
eines unsichtbaren Schiffes so klar, dass er es als das seines eigenen Vaters er-
kannte, und obgleich das Schiff nicht zum Vorschein kam, ergab sich später ans
der Vergleicbong der Tagebücher, dass er recht gesehen hatte. Der Verf. geht
auf eine ziemlich genügende Erklärung dieser feenhaften Erscheinungen ein. *■*■
Auch das Funkeln der Gestirne, sowie die Aenderung ihrer Farbe wird er-
läutert. —
Die Theorie des Regenbogens, nach der gewöhnlichen Pf ewfton'scben
Weise, und auch nach der genauem, anf der neuern Theorie de« Lichta beru-
henden von Airy wird sodann gegeben, worauf Wir, bei der wohl bekannten
Erscheinung, nicht weiter eingehen wollen.
Um die Höfe mit ihren Erscheinungen zu erklären, ist man genötbigt.
zweierlei Wolken anzunehmen — solche, die aus Wasserbläachen nnd solche,
die aus Eisnadeln bestehen. Letztere erzeugen die Erscheinungen der Höfe und
Nebensonnen, die erstem die Lichtkränze, die man ohnehin jeden Tag sehen
kann, an dem die Sonne scheint und Wolken in ihrer Nähe am Himmel sind.
Eine Beschreibung mehrerer frühern Erscheinungen ist schon im zweiten Hefte
gegeben worden; hier gibt der Verf. die ausführliche Erklärung derselben, die
denn auch im Ganzen sehr befriedigend ist. Wir können hier eine Uebertickt
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Karte Anzeigen* 795
dieser Erklärungen schon des Räumet wegen nicht geben, und müssen dessbalb
auf das Buch selbst verweisen.
Das Wasserziehen der Sonne ist nichts Änderet, als Reflektion des
Lichtet an dem etwa in der Luft schwebenden Wasserdampfe.
Den Schluss des interessanten vierten Heftes macht eine, gTÖsstentheils
nach Argelander gegebene Beschreibung des Nordlichtes, das bekanntlich
tu den herrlichsten Lichterscheinungen in der Atmosphäre gehört. Eine Erklä-
rung dieses prachtvollen Phänomens wird nicht versucht, da unsere Erfahrungen
bis jetzt eine solche nicht gestatten.
Man wird aus vorstehenden kurzen Andeutungen ersahen, dass so ziem-
lich alle optischen Erscheinungen in der Atmosphäre aufgeführt und, fügen wir
bei, deutlich beschrieben und fasslich erklärt sind, ohne dass dabei besondere
mathematische Entwicklungen gebraucht worden wären.
1 ) Sopra U Superßcie parallele ed Applicaiione di guesla teorica alt Ellissoide.
Ricerche di ßarnaba Tortolini, ProfessorediCalcolo Sublimo% e Mem-
bro del Coüegio Filosoßco alV Unitersilä Romano, Uno dei Quaranta della
Societä Italiana delle Scierne. (Eni rotte dagli Annali di Scierne matema-
Hche et fisicke, Gennajo, 1850.) Roma, Tipografia delle belle arti. 1850.
(20 S. in 8.)
2) Applicaiioni dei Trascendenti ellittici alla Quadratur a di alcune Curve sferiche.
Memoria di Barn. Tortolini etc. {Estratte etc. Novembre 1850.) Roma,
Tipografia delle belle arti. 1850. (46 S. in 8.)
3) Sulla Riduüone di alcuni Integra Ii deßniti ai trascendenti ellittici ed applicaiione
a differtnti problemi de Geometria t di Meccanica rationale. Memoria etc.
(80 S. in 8.)
4) Sopra alcune Superficie curve derivate da una data Superticie e di Genere con-
ccidali. Memoria etc. (27 S. in 8).
Vorstehende vier kleinere Schriften sind dem Unterzeichneten durch die
Gefälligkeit ihres geehrten Verfassers zugekommen, und er glaubt, dieselben um
so mehr in diesen Blättern erwähnen zu sollen, als damit zugleich auch in Er-
ianerang gebracht, dass „auch jenseits der Alpen" die mathematischen Wissen-
schaften eifrig bearbeitet werden. Die beiden ersten Schriften sind, wie ihr
Titel auch milbesagt, nur Abdrücke aus Abhandlungen, die der gelehrte Verf.
in die von ihm seit Januar 1850 herausgegebenen „Annali di Scienze matema-
tiche e fisiche" (Roma, Tipografia delle belle Arti.) geliefert hat. Diese Zeit-
schrift, wie ihr Titel ausspricht, den mathematischen und physikalischen Wis-
senschaften gewidmet, enthält in dem bereits Erschienenen eine bedeutende Anzahl
Abhandinngen zumeist italienischer Gelehrten, und zeigt, wie bereits schon be-
merkt, dass diese Wissenschaften auch in Italien kräftig betrieben werden. Die
zwei andern, oben genannten Schriften sind von etwas früherm Datum, wovon
die eine (Nr. 3) ans dem Giornale Arcadico, Tora. CXVI abgedruckt ist.
Der Inhalt obiger vier Schriften ist folgender:
L Eine Fläche lauft einer andern parallel, wenn sie die einhüllende
Fläche aller Lagen ist, die eine Kngel annehmen kann, wenn sich ihr Mittelpunkt
auf der andern Fläche bewegt. Die parallelen Flächen sind mehrfach schon un-
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796 Kurze Anzeigen.
tersucht worden, so von Reis* in Güttingen, und Bordoni in Pavia in einem
Memoria prensatata alla Socio la Italiann, veröffentlicht 1813.
Sei f(x. y, z) = u = o die Gleichung der gegebenen Flache; l\, y. zi ein
Punkt derselben; X, Y, Z laufende Koordinaten, so ist die Gleichung der be-
weglichen Kugel, wenn ihr Mittelpunkt in (x y z) ist: .
(X-x)* +(¥-,)' + (Z~0' = k».
Da i, y, 7. durch die Gleichung u=o verbunden sind, so kann
als Funktion von z und y ansehen, und wenn _ sp, — = q, so erhalt
dx dy
man, wenn man, der Theorie der UmhÜllungaMchen gemäss, nach x und y dif-
fcreoffkt;
X-x + (Z-i) p = o, Y-y + (Z-z) q = o.
Zugleich sind p und q aus u = o bestimmt, so dass, wenn man diese
Gleichungen mit u = o und der Gleichung der Kugclfläche verbiudet, man die
Grössen x, y, z climiniren kann und so die gesuchte Fläche erhalt. Da letztere
Gleichungen nichts anderes sind, als die Gleichungen der Normale im Punkte (x
y z), so sieht man, wie das natürlich war, dass man die gesuchte Fläche erhält,
wenn man die Normale in jedem Punkte der Fläche u = o um k verlängert and
dann die Endpunkte verbindet. Dass man so zwei Flachen — eine innere und
äussere, je nachdem k negativ oder positiv — erhalte, ist klar. Von diesem
letztern Standpunkt aus hat auch Ref. die Aufgabe in Grunert's Archiv der
Mathematik und Physik, 12. Tbeil (1849) gefasst. Man findet nun leicht als
Koordinaten des Punktes der gesuchten Fläche, der dem Punkte (xyz) entspricht:
Vl+pH-q2' Vl+pH-q2' Vi+pH-q* '
wenn man nur die äussere Fläche beachtet.
Was nun die Quadralurder neuenFläche anbelangt, so ist der Inhalt :
Man betrachte X, Y als Funktionen von x, y und bilde das doppelte In-
tegral nach den bekannten Formeln um, so findet sich:
™D 0 = (l+p')« + O+<l,)r-2p<I'. r = -g-,.= g-, fcs jl.
Das erste dieser Integrale gibt den Inhalt der ursprünglichen Fläche; das dritte
ist, wenn diese Fläche eine geschlossene ist, und die Krümmungshalbmesser nie
ihr Zeichen wechseln, wie nach Rodriguez bewiesen wird (Gauss, disqui-
siüones generales. . .) gleich 4it. Für den Fall, dass die gegebene Fläche ab-
wickelbar ist, ist dasselbe Null. Ist die gegebene Fliehe so beschaffen,
jedem ihrer Punkte beide Hauplkrümmungshalbmesser gleich und entgegengi
gerichtet sind, so ist Q=o.
allgemeinen Formeln werden nun auf das EUipsoid:
x2 y2 i2
=="aT+ b*+ o1~lr=0'
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Karze Anzeigen. 797
angewendet und durch eine Reihe lehrreicher und höchst eleganter Umformun-
gen findet sich, dass die Oberfläche der in der Entfernung k mit diesem Ellip-
soid parallelen Flächen gleich ist der Fläche des ursprünglichen Ellipsoids, eines
EUip.oide,, de».. fcIHwÄ, und der KugeUUeh. yom H.lb-
roesser k. Den Kubikinhalt des von der neuen Fläche umschlossenen Körpers
hat Ref. in der angeführten Abhandlung in Grunert's Archiv berechnet. Die
elliptischen Funktionen, welche den Flächeninhalt ausdrücken, sind vollständig
entwickelt ; und eben so hängt auch der Kubikinhalt von solchen Funktionen ab.
Die vorkommenden Integrale haben grosse Verwandtschaft mit denen,
welche die Anziehung eines Ellipsoides auf einen Punkt In, bj c, ) im Innern
geben. Heiuen dieselben (nnch den Koordtnatenaxen) A, B, C, so ist bekanntlich:
A B C
a, bj c,
Zwei andere, ähnliche Gleichungen leiten sich ans den gefundenen For-
meln leicht ab. »
IL Denken wir uns eine Kegelfläche, deren Gleichung ffi, "7)— 0
aei und eine Kugelfläche x2-\-y2-\-i*~i, so schneiden sich beide in sphäri-
schen Curven, und es handelt sich um1 die Bestimmung des von der sphäri-
schen Curvc umschlossenen Raumes (auf der Kugel).
Die allgemeine Formel ist.
was in unserm Falle xn:
-SS* * ^^iHi'
SS¥
wird, wenn das Integral ausgedehnt wird auf alle Punkte, die innerhalb der
sphärischen Kurve liegen. Diess geschieht auf eine Reihe von verschiedenen
Fällen, in denen die Leitkurven der Kegelfläche folgende Linien sind:
(x*+y>)'=aV-by ,(|)S+ (f ) = 1, (xa+y3)2 C"W)
= .bxV, 5+jI = l, O'+Y2) C«V+bV) = (a^) CbV-
a*y2), u. •. w.
Die angewendeten Transformationsformeln sind höchst elegant und bieten
xur Uebung in diesem ziemlich schwierigen Felde reichen Stoff dar.
III. Das Integral, um das es sich in dieser Schrift bandelt, ist:
Daaselbe wird mit Hülfe der elliptischen Funktionen rekurrirend bestimmt und
die dadurch gefundenen Formeln angewendet auf die Quadratur der Oberfläche
eines Ellipsoids; die Berechnung der Anziehung eines Ellipsoids auf einen Punkt
in seinem Innern» wobei dann diese Anziehungen durch elliptische Funktionen
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798 Kurze Anstalten.
ausgedrückt sind; auf die Berechnung der Oberliche der Elas tisitätsfläche ; auf
die Berechnung der Trägheitsmomeute bei eben dieser Fläche; anf die Berech-
nung des Inhalts der Fläche, die man erhall, wenn man vom Mittelpunkt dei
Hyperboloids mit zwei Fachern Senkrechte auf feine Tangentialebenen füllt und
deren Fusspunkte verbindet, auf die Fläche, welche alle Ebenen berührt) die
anf den Endpunkten der Diameter eines Ellipioids senkrecht stehen,
Ein ganz ähnliches Integral, das sodann ebenfalls bestimmt wird, ist:
das gleichfalls auf ähnliche Probleme angewandt wird.
IV. Sei f(x, y, s) = o die Gleichung einer Oberfläche, man siehe von ei-
nem gegebenen Punkte aus einen Radius veclor auf den Punkt (xya), verlängere
denselben um h und suche die Fläche, die durch alle Endpunkte gebildet ist,
so findet sich als deren Gleichung:
w0 t»=x»+y»+i».
Dies wird angewendet auf die Fläche, die man erhält, wenn man als Ur~
x3 y3 i2
fläche das Ellipsoid — - + -f» — s= 1 annimmt, und dadurch die Gleichung
der Fliehe erhalten, die Ref. in den Nonvelles Annales von Terquem (Juin 1847)
angegeben, wie dies der Verf. auch bemerkt. Die Formel für den Kubikinhalt
des von der fraglichen Flüche umschlossenen Körpers, der durch elliptische Funk-
tionen ausgedrückt wird, und die Ref. an demselben Orte ohne Beweis gege-
ben, wird hier abgeleitet Dieselbe Anwendung wird gemacht, wenn die Ur-
fläche die Oberfläche der Elastixitit ist. £(i«+y3+*2),= «3»M-bty,+cV].
Dr. J. Diesiger.
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INTELLIGENZBLATT.
I¥r» 4L September und Oktober. f Mi«
' — ===== ggggsgaagg ggg— gs—3—t
Fauna der Vorwelt
mit steter Bepücksichtigmig der lebenden Thiere.
Monographisch dargestellt
von
Dr. C. CS« Giebel.
Dritter Band: Mollusken.
Erste Abtheilung:
CVp h m t © p o a e tt«
Erste Hälfte.
Gr. 8. Geh. 2 Tblr.
Der erste Band (1847-1848, 5 Thlr. 18 Ngr.), die Wirbelthiere ent-
haltend, besteht aus folgenden drei Abtheilungen, deren jede ein für sich abge-
schlossenes Ganzes bildet:
I. Die Säugethiere der Vorwelt. 1 Thlr. 18 Ngr.
II. Die Vögel und Amphibien der Vorwelt. 1 Thlr. lONgr.
HI. Die Fische der Vorwelt. 2 Thlr. 20 Ngr.
Der zweite Band wird die Gliederthiere behandeln und erst nach
Beendigung des dritten Bandes erscheinen.
Leipzig, im August 1851.
£L Jrodvljotis.
Bei L. Fr. Fues in Tübingen sind erschienen und durch alle Buchband-
lungen zu bezichen:
Sammlung der würtembergischen Schulgesetze, erste
Abtheilung, enthaltend die Gesetze für die Volksschulen, nebst
Einleitung von Diacon. M. Th. Eisenlohr. gr. 8. 4839.
Preis fl. 4. 24 kr. oder Rtblr. 2. 22 % Ngr.
Sammlung der würtembergischen Schulge setze, zweite
Abiheilung, enthaltend die Gesetze für die Mittel- und Fach-
schulen, nebst Einleitung von Prof. C. Hirzel. gr. 8. 1847.
Preis fl. 6. 6 kr. oder Rthlr. 3. 18 Ngr.
Dieses Werk, das in verschiedenen Zeilschriften rühmende Anerkennung
gefunden hat, liefert einen wesentlichen Beitrag zur Cult Urgeschichte eines
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IT Literarische Anzeigen.
deutschen Landes, welches auf diesem Gebiete des Unterrichts ganz eigenthüm-
lfche Anstalten aufzuweisen hat. Schulmänner insbesondere werden mit Hülfe
der „vortrefflich gearbeiteten Einleitung, welche eine übersichtliche Geschichte
des Wärtern bergischen Schulwesens seit Anfang des 16. Jahrhundert* enthalt"'
(Berliner Gymnas. Zeitschrift von 1848, S. 287), das würlembergische Schalwe-
sen auf dieser Stufe ebenso leicht als vollständig kennen, und in seinen jetzi-
gen Verhältnissen an der Hand der Geschichte begreifen lernen.
Sammlung der würtembergischen Schulgesetze, dritte
Abiheilung, enthaltend die Universitätsgesetze nebst Einleitung
von Seminar-Rector Dr. T h . E i s e n 1 o h r. gr. 8. 1 843. Preis
iL 4. 42 kr. oder Rlhlr. 2. 25 Ngr.
Jede Abtheilung wird auch einzeln abgegeben.
Klüpfel, Dr. K., Universitatsbibliotbekar, Geschichte und Beschrei-
bung der Universität Tübingen, gr.8. Preis fl. 3. 30 kr.
oder Rlhlr. 2. 4 Ngr.
Diese Schrift schildert nicht nur die wissenschaftlichen Zustände der Uni-
versitlt von ihrer Gründung an bis auf die neueste Zeit, sondern erzählt auch
die Verfassung«- und Sittengeschichte mit vielen interessanten Einzelnheiten.
i •
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Nr. 51. ~ HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
. , ■■ . , , , . . , ,- ■■ , -n - , ■■ ,
Derbend-Nameh, translated from a selecl turkish version and pub-
Ushed toith the texts and with notes, illustrative of the history,
geography, antiquities etc. etc. occitrring throughout the work by
Mirza A Kazem-B eg.
Dieses für die Geschichte und Geographie der Araber überhaupt,
insbesondere aber der Lander und Völkerschaften zwischen dem schwarzen
und kaspiseben Meere höchst bedeutende Werk füllt nahezu 300 Seiten
des in diesem Jahre zu St. Petersburg erschienenen 6. Bandes der „me-
moires presentls ä Tacademie imperiale des sciencesu aus. Die Existenz
des Derbend-Nameh ist in Europa seit dem Jahre 1725 durch Bayer be-
kannt4) und den wesentlichen Inhalt desselben hat Klaproth im Pariser
journal asiatique" des Jahres 1B29 mitgetheilt. Hier erhalten wir aber
zum erstenmale den vollständigen Texl mit einer neuen englischen Ueber-
setzung nebst sehr belehrenden Anmerkungen und Untersuchungen Uber
alle diesen Gegenstand betreffenden Fragen. Was zunächst den Verfasser
dieses Buches angeht, so schreibt Bayer, ohne seine Quelle zu nennen:
„Cum Mahometani duce Gjerai Chano Derbentum et Anderum urbes oc-
cupassent, Muhamed Auabi Akrassi jussus est, ut excussis Arabum Per-
sarumque scriptis, Antiquitates Dagestanas turcice commentaretur etc.tt Das-
selbe wiederholt auch Klaproth im Journal Asiatique" ebenfalls ohne eine
Quelle zu dieser Notiz anzugeben, die er jedoch nicht Bayer nachgeschrie-
ben zu haben scheint, da sie mehrere Zusätze enthalt und in einzelnen
Punkten auch davon abweicht. Dieser Nachricht zufolge wäre das Derbend-
Nameh erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfasst worden,
als der Chan der Krim, Mohammed Gherai, mit seinem Sohne und seinen
Brüdern auf Befehl des Sultan Murad III. als dessen Hilfsgenosse gegen
die Perser ins Feld zog und diese Tartaren mehrere Jahre hindurch Der-
bend und andere Plätze Dagistans besetzt hielten. Nach der Vorrede einer
Handschrift des Derbend-Nameh im Romanzoffschen Museum zu St. Pe-
tersburg wäre aber der obengenannte Mohammed Auabi Akrassi nicht der
Verfasser dieses Buches, sondern nur der Uebersetzer desselben aus dem
Persischen ins Türkische. Auch ergibt sich aus dieser Vorrede, dass er
nicht das ganze Buch übersetzt, sondern nur den Theil, welcher die
Geschichte der Gründung von Bab-Alabwab, der Eroberung desselben,
*) In den Commentarii Academ. scient. Imp. Petropolitanae t. L
XUV. Jahrg, 6. Doppelheft. 51
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800
Mirza A Kazem-Beg: Derbend -Nameh.
sowie der Kampfe ia Dagistan enthält; dieser Theil allein wire uns dem-
nach erst bekannt geworden, wahrend das ursprüngliche Derbend-Na-
■ eh noch aufzufinden bliebe.
Ausser diesem RomanzofTschen Manuscripte hatte der Herausgeber
noch zwei andere zu seiner Verfügung: eine von H. Dorn verfertigte Ab-
schrift der zwei Handschriften der kaiserl. Bibliothek zu St. Petersburg
und eine ans Derbend selbst, wo er seine Jugend zugebracht und, so
viel er sich erinnert, drei Handschriften des Derbend - Nameh vorhanden
waren. Letztere, von den andern vielfach abweichende, bildet die Grund-
lage seiner Arbeit, indem sie vollständig edirt und übersetzt wurde. Nach
jedem Abschnitte wird zur Vergleichung das betreffende Kapitel der Klap-
roth'schen Uebersetzung des Berliner Manuscripts milgetbeilt und in den
Anmerkungen werden dann auch die andern Versionen berücksichtigt.
Zur Vervollständigung dieser Arbeit hat Kazim Bey auch noch ausfol-
genden Autoren mehrere, die Geschichte Dcrbend's betreffende Abschnitte
beigefügt: 1) Aus der türkischen Uebersetzung der Chronik des Tabari,
welche nach der Ansicht dieses Gelehrten gegen das Ende des 14. Jahr-
hunderts verfertigt wurde, und zwar auf Befehl des Ahmed Pascha,
Stifters der Dynastie der Beni Ramazan, welche in Adana residirte und
das nördliche Syrien bis gegen das Ende des 1 5. Jahrhunderts beherrschte.
2) Aus der persischen Uehersetzuug des Tarich Alfutub von Ahmed
Ibn Aatham Alkufi. Der arabische Verfasser dieses Werkes lebte
im Anfang des 4. Jahrhunderts der Hidjrah, der persische Uebersetzer im
siebenten. 3) Aus dem Raudhat liuli-l-Albab, von Facbr Ed-
din Benakiti, eine bis zum Jahre 1317 sich erstreckende Universal-
Geschichte, von welcher schon d'Ohsson die Einleitung mitgctheilt bat
4) Aus einem Werke des narim Dedeh Efendi, welches von der
von Alexander dem Grossen erbauten Mauer handelt und endlich, 5) aas
dem Bruchstücke eines Werkes von Molla Mohammed Rafi, Soha
eines Kadhi von Kumuk, das ihm einer seiner Freunde aus Derbend mitgetheilt.
Der erste Theil des Derbend - Nameh handelt von der Gründung
der Stadt und Wiederherstellung der Mauer Alexanders unter Kobad. Dieser
soll eine Tochter des Chakanschah, Fürsten der Chasaren und anderer Völker-
schaften des Nordens geheurathet, dann wieder ihrem Vater zurückgeschickt
haben, sobald er die Grenzen seines Gebietes durch diese Mauer sowohl, all
durch die Gründung anderer festen Platze, die er mit Jrakanern*) unJ
Parsern bevölkert, gesichert hatte. Nun entbrannte ein Krieg zwischen dem
•) Mit Bewohnern aus Irak und Fürs nicht Arak, auch heisst die Toch-
ter Omars, von welcher S. 442 die Rede ist, nicht Ha f a deeb, sondern Hafts ab.
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Mirta A Kaiem-Beg: Derbend -Nameb. 801
Cbakan und Kobad, der auch noch anter des Leistern Sohn Anaschirwan
fortdauerte. Erst nach dem Tode Anuscbirwans erfochten die Chasaren
mehrere Siege und drangen raubend and mordend in die Provinzen (wa-
lajat, nicht Städte es towns S. 463) Irak und Adserbeidjan. Sonderbar
klingt der Scbluss dieses Theiles, in weichem behauptet wird, Mohammed
habe, als die Muselmänner von allen Seiten von Griechen und Persern an-
gegriffen wurden, 4000 Maon gegen die Griechen und Chasaren geschickt,
welche sie besiegten und mit Beute beladen wieder heimkehrten. Moham-
med hatte bekanntlich gegen die Chasaren gar keinen Krieg geführt, ge-
gen die Byzantiner fanden die Feldzuge von Mula und Tabuk statt, in
oralerem wurden aber die Mohammedaner geschlagen und bei letsterm,
an welchem Mohammed selbst sich betheiligte, kam es zu gar keinem
Treffen. Die» hat wohl der Herausgeber auch eingesehen, aber selbst
seine Behauptung: Mohammed habe genng zn thun gehabt mit den „Sy-
riern, Egyptern, Ethiopern, Persern und Römern," ist, zum Theil wenig-
stens, irrig.
Der zweite Theil handelt vom Feldzuge des Salman Ibn Rabia Al-
bahili, welcher nach Ibn Kuteiba, Beladori und andern altern Quellen,
unter Otbmans Chalifate statt hatte, hier aber fälschlich in das Jahr 41
der Hidjrah, in Muawia's Chalifat gesetzt wird; der Irrthum rührt daher,
weil diese Expedition von Muawia ausging, welcher damals Statthalter von
Syrien war. Dem Cbakan der Chasaren soll, nach unserer Version, der
von China zu Hülfe gekommen sein, wovon die Araber nichts wissen.
Unmöglich wäre nicht, dass irgend ein turkomanischer, unter chinesischer
Botbmässigkeit stehender Häuptling den Chasaron Beistand geleistet habe,
der dann in den Chakan von China umgewandelt wurde; denn auoh im
türkischen Tabari ist bei einem spätem Kriege zwischen den Arabern und
den Chasaren von einem Bündnisse zwischen letztern und den Chinesen
die Rede, die allerdings in jener Zeit ihre Herrschaft bis gegen das kas-
pische Meer hin ausgedehnt halten. Das letzte Treffen und der Tod Sal-
mans fand in oder bei Balandjar statt, nicht Bulch oder Boich er
wie der Herausgeber glaubt. Vergl. Ibn Koteiba ed. Wüstenfeld p. 221
und den von Ref. mitgeteilten Auszug aus Beladori im 3. Bande seiner
Geschichte der Chalifen, Anh. I. S. 4. Balandjar ist sowohl nach dem
Kamus als nach Abu-l-Mahasin der Name einer Stadt an der Grenze von
0
Georgien und Cirkassien. Der türkische Ueberseizer des Tabari gibt die-
sen Namen auch einer Provinz nördlich von Derbend, Bleadori einem
Flusse in jener Gegend, und im Urtexte Tabari" s wird auoh ein Gebirg
Balandjar genannt.
51«
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802 Mirza A Katern -Beg: Derbend -Nameh.
Im dritten Theile wird berichtet, dass unter Welid die Cbasareo
Darbend überrumpelten. Maslama, der Bruder des Chalifen, zog an der
Spitze von 40000 Mann gegen die Chasaren, nahm Derbend wieder dorcfa
Verrath eines Chasaren, schleifte dann, trotz der Einsprache des Abd
Alaziz Albahili, welchem es gelungen war, die Citadelle einzunehmen, die
Festung und kehrte nach Syrien zurück. Diess soll im Jahre 64 der
Hidjrah geschehen sein. Im Jahr 70 soll er, da die Chasaren inzwischen,
wie Abd Alaziz vorausgesehen, sich wieder in Derbend befestigt und Ein-
falle in das islamitische Gebiet gemacht hatten, abermals an der Spitze
von 40000 Kriegern nach Derbend zurückgekehrt, die Festung wieder
erobert und bei seiner Heimkehr eine Besatzung von 5000 Mann zurück-
gelassen haben. Am Schlüsse dieses Tbeiles wird noch berichtet, dass im
Jahre 73 d. H. die Grossen des Reichs Welid entthront und dessen Bin-
der Abd Almelik dem Sohne Merwans gehuldigt und dass die Chasaren
Derbend belagert und ein Theil derselben, westlich von Derbend, durch
Dagistan und Adserbeidjan bis an die Grenze des Byzantinischen Reichs
gedrungen.
Dass die hier angegebenen Daten uurichtfg sind, mussten sowohl
Klaprotb als unser Herausgeber einsehen , denn Welid trat erst i. J. 86
d. H. die Regierung an nnd starb im Jahre 96. Die Zahl 64 konnte
nach arabischer Schreibart von einem Copisten leicht aus 94 entstanden
sein, wie aber das Jahr 100, wie unser Herausgeber verbessern will,
in 70 verwandelt ward, ist schwer zu begreifen. Uebrigens stimmen diese
Jahre gar nicht, mit den aus andern Quellen bekannten Daten der Feld-
züge Maslama's Ubereio. Mach Wakidi, im Urtexte Tabaris angeführt,
(Cod. msc. Berol. fol. 161} unternahm Maslama im Jahre 89 seinen er-
sten Feldzng nach Derbend. Einen zweiten Feldzug nach Dagistan un-
ternahm Maslama im Jahre 110. Den dritten siegreichen Feldzug bis
über Balandjar hinaus machte er im Jahre 112 und den letzten unglück-
lichen im Jahre 114.
Was den letzten, geradezu unverständlichen Bericht dieses Tbeiles
betrifft, so glaubt der Herausgeber ibn auf die Empörung des Jezid Iba
Muhall eb beziehen zu können, welche durch Maslama im Jahre 102 ge-
dämpft ward. Ref. vermuthet eher, dass hier Welid Ibn Jezid (Welid II)
mit Welid Ibn Abd Almelik (Welid 1.) verwechselt worden. Auch dann
muss aber das Wort „karindaschi" gestrichen und vor „Abd Almau*"
muss „Jezid Ibn Welid Ibn" eingeschaltet werden.
Der vierte Theil des Derbend - Nameh enthält einen ausführlichen
Bericht über die Expedition des Djarrah Ibn Abd Allah, im Jahre 103
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Mirza A Kazem-Beg: Drehend -Nameh.
803
d. II., welchen der Heraasgeber noch durch den türkischen Tabari ergänzt,
der aber auch hier in vielen Punkten vom arabischen Urtexte abweicht.
Von der Niederlage und dem Tode Djarrah's wird nichts erwähnt, und in
der Klaproth'schen Uebersetzung wird sogar DjarratTs Feldzug ohne Un-
terbrechung bis in das Jahr 114 fortgesponnen, obgleich er schon im
Jahre 112 getödtet ward. Aus den arabischen Quellen, namentlich aus
Tabari, ergibt sich, dass Djarrah zwei Kriege gegen die Chasaren fahrte,
den ersten im Jahre 103 gegen Nardjil, Sohn des Chakans, den er bei
Nahrawan*) schlug. Von hier drang er, nach Einnahme mehrerer anderer
festen Plätze, bis Balandjar vor und der Fürst dieser Stadt floh nach
Samandar (nicht Samarkand wie im türkischen Tabari). Djarrah wollt©
weiter vorrücken, aber der Fürst von Balandjar, welchem er seine in die-
ser Stadt zurückgelassene Familie zurückgegeben hatte, warnte ihn vor
den im Aufstande begriffenen Gebirgsvölkern , er zog sich daher nach
Kesch zurück, um Verstärkung abzuwarten. Wir hören dann nichts weiter
von dem Kriege Djarrah's, der wahrscheinlich nach dem Tode Jezids zu-
rückgerufen ward und Haddjadj Ibn Abd Alraelik schloss im ersten Regie-
rangsjabre Hischams einen Frieden mit den Völkern Dagistans. Erst im
Jahre 110 brach der Krieg wieder unter Maslama Ibn Abd Almelik aus,
welchen Djarrah im Jahre 112 bis zu seinem Tode fortsetzte. Ihm folgte
Said Ibn Amru, dann im Jahre 114 abermals Maslama und zuletzt der
spätere Chalife Merwan.
Im fünften Theile ist abermals von einer siegreichen Expedition des
Maslama Ibn Abd Almelik die Rede und von den verschiedenen Einrich-
tungen, die er in Dagistan traf. Diese ist die letzte dieses tapfern Feld-
herrn und füllt, nach dem Urlexte des Tabari, iu das Jahr 114, nicht 115,
wie im Derbend - Nameh angegeben wird. Hieran reiht sich die Erzäh-
lung von der Statthalterschaft Asad's Ibn Zafir, welche, nach dem Berliner
und Petersburger Codex, zwischen die Maslama's und Merwan's, in das
Jabr 118 fällt. Die ältern arabischen Quellen erwähnen nichts von diesem
Asad, was anzunehmen berechtigt, dass er nur Unterstatihalter Mer-
wans war.
Der sechste Theil des Derbend - Nameh erwähnt die Sendung Mer-
wans nach Derbend, im Jahre 120 und den Tribut, welchen die ver-
schiedenen Provinzen Dagistans ihm zu entrichten hatten. Die Anmerkungen
*) Nahrawan, über welchen Ort der Herausgeber keine Auskunft zu geben
weiss, lag, nach dem arabischen Tabari, sechs Pharasangen nördlich von Bab
Alabwab.
804 Miro A Kazem-Beg: Derbend- Namen.
des Herausgebers zu diesen T heile bedürfen eisiger Berichtigung. Er
lässt Merwan bis zum Jahre 128 in Adserbeidjan verireilen, während er
schon im Jahre 126 in Mesopotamien einfiel und von hier aus mit Jesid 10.
einen Frieden schloss, der noch im Jahre 126 starb. Beim Tode Jezid'a
war Merwan schon in Harran und von hier, nicht von Armenien, brach
er gegen Ibrahim nach Syrien auf.
Im siebenten Theile wird von den Bemühungen der Chasaren ge-
handelt, während der Bürgerkriege zwischen den letzten Omajjaden und
Abbasiden und selbst noch unter der Herrschaft Manssurs, die Muselmän-
ner wieder aus Derbend zu verdrängen. Sie scheiterten jedoch an der
Tapferkeit des Jezid Ibn Asad, Manssnrs Statthalter von Derbend, der auch
neue Festungen an der Grenze anlegte. Die „Chawaridj welche unter
Merwan in Dagistan und Adserbeidjan, von Zeid Ibn Hilal angeführt, das
Haupt erhoben und Merwans Feldherrn Abd Almelik Ibn Maslama schla-
gen, waren nicht Ahden, wie der Heraasgeber in einer Note (p. 575)
glaubt, sondern Rebellen, welche sich gar keinem Oberhaupte unterwer-
fen wollten und wahrscheinlich in Verbindung mit Dhabhok Ibn Kets slan-
den, welcher in Mesopotamien, dem Hauptsitze der Republikaner, von
frühester Zeit her, gegen Merwan Krieg führte. Dass hier unter „Chawa-
ridju nicht Aliden gemeint sind, geht auch bus dem Petersburger Codex
hervor, wo es heisst: „die Benu Hascbim erwiesen, nach dem Untergänge
der Herrschaft der Omejjadcn, der Stadt Derbend viel Gates und trugen
durch ihre Verbesserungen zur Vermehrung der Bevölkerung bei. Sie
führten viele Kriege gegen Cbawaridj und Ungläubige, der Glaube des
Islams gewann an Stärke, während die Chawaridj und Ungläubige ge-
schwächt und gedemüthigt wurden.14
Der achte Abschnitt des Derbend- Nameh enthält nichts Bemerkens-
werthes als die, gewiss erdichtete, Nachricht von Harun Arraschid's Reise
und dessen siebenjährigem Aufentbalte daselbst. Aehnliches wird auch bei
Kafib Tschelebi von dem Chalifen Hischam erzählt, wovon aber ebenfalls
andere Quellen schweigen. „Hezimeh the so.» of Tscharkbi« (S. 582),
welchen Harun nach Derbend schickte, ist wahrscheinlich Chuzeima
Ibn Chazim, und „Saghsa* oder „Hafadz" Ibn Omar ist kein Anderer
als Hafss (mit Sid nicht Dhad) Ibn Omar.
Von Harun Arraschid macht der neunte Theil einen Sprung bis
nur Muwaffak, welcher (im Jahre 272) die Nafta- und Salzquellen der
Provinz Schirwan den Kriegern von Derbend angewiesen und Mohammed
Ibn Ammar ab Aufseher über diese Einkünfte bestellt haben soll. Im
Jahre 290, als der Statthalter ßischutur, um sich zu bereichern, die Ein-
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Hirz« A Kaaem-Beg: Derbend- Hauch. 805
kaufte der Krieger schmälerte, gaben sich die Bewohner Derbends dem
Handel und Erwerb hin; bald nacuer entstand auch eine solche Verwir-
rung in Bagdad selbst, als die Chalifen das Werkzeug ihrer Emire wur-
den und rast jeder Befehlshaber in seiner Provinz sich unabhängig erklarte*),
dass auch Dagistan nicht länger dem Cbalifate treu blieb. Auch hier er-
hoben sich unabhängige Fürsten, und die Stadt Derbend ward bald von
dem Einen bald von dem Andern unterjocht, bis sie, so sculiesst unser
Manuscript, unter die Herrschaft der Chane und Sultane kam. Im Peters-
burger Codex werden noch Namen zweier Statthalter aus den Jahren 255
und 260 angegeben, so wie auch der des Nachfolgers von Mohammed
Ibn Ammar. Dann wird noch ein Statthalter aus dem Jahre 430 genannt,
worauf ebenfalls der Ausfall der Einkünfte von Nafta und Salz, welche
die Bewohner Scbirwans für sich behielten, als Grund des Verfalls von
Derbeod angegeben wird. Dieser Codex schliesst mit dem Wunsche, dass
Gott dereinst den frühern Zustand dieses Landes wieder herstellen möge!
Diess mag der wirkliche Schluss des Derbend -Nameh gewesen sein, wäh-
rend der unseres Heraasgebers von einem spatern Copisten oder Ueber-
setzer herzurühren scheint, zu dessen Zeit Derbend, nachdem es mehrfache
Einfülle der Mongolen erlitten, bald von den Persern, bald von der Pforte
erobert ward. Entere blieben jedoch bis gegen das Ende des 17. Jahr-
hunderts Herrn von Derbend. Im Jahre 1722 unterwarf sich der Statt-
halter I m a m Kuli dem Scepter Peters des Grossen. Unter Nadirschah
war ein gewisser Feridun Statthalter von Derbend uod nach der Er-
mordung Nadirschab's ward wieder ein Sohn des I m a m Kuli zum Fürsten
erwählt. Im Jahre 1760 eroberte Fath Ali Chan Derbend und erst
■
nach dessen Tode, in Folge von Streitigkeiten zwischen seinen Nachkom-
men und den Fürsten von Schirwan, kehrte endlich Derbend wieder un-
ter die russische Herrschaft zurück.
Am Schlüsse dieser Geschichte wird in unserm Codex noch erzählt,
dass bei Kirchler 372 Märtyrer begraben liegen und ausser diesen
noch 10 Jungfrauen, welche vor dem Feinde geflohen und in einer Höhle,
in der Nöhe von Kirchler verschwunden sein sollen. Im Petersburger Co-
dex werden die Namen von 50 Märtyrern angegeben und dazu bemerkt,
dass ausser diesen noch 456 Andere in der Nähe von Derbend begraben
liegen.
*) Diess ist der Sinn der (p. 601) angeführten Worte, aus dem Djami-
1-lataif: „wastakalla kullu melikin n beledihi", wenn man nur die iwci
Punkte vom h a streich».
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806 Mirza A Kazem-Beg: Derbend -Namch.
Wir schliessen diesen Anfialz mit zwei Berichtigungen, welche die
Anmerkungen des Herausgebers zu den Beilagen erfordern:
Seite 463 setzt der Herausgeber die von Herwan gewonnene Koth-
scblacht (Ghazwat Attin) in das Jahr 113 und beweist dies aus dem
türkiseben Tabari. Nun muss aber zunächst bemerkt werden, dass diese
ganze Steile, welche von dem Feldzuge Merwans zwischen Maslamas und
Said's Statthalterschaft handelt, im Urtexte fehlt, folglich aus einer an-
dern Quelle vom Uebersetzer hinzugefügt ist. Im Urlexte ßnden wir Said
als Nachfolger Djarrabs, dann noch im Jahre 114 Haslama, erst als die-
ser entweder umkam, wie Tabari berichtet, oder zur Rückkehr genöthigt
ward, wie man bei Tbeophanes p. 630 liest, übernahm Merwan den Ober-
befehl.
Seite 661 bemerkt der Herausgeber: Hamza, der Oheim Moham-
meds, sei in dem zweiten Treffen von Bedr, Ghazwat Assughra
genannt, gefallen. Diess ist ein doppelter Irrthum. Erstens biess nicht
das zweite, sondern das erste Treffen bei Bedr „Ghazwat (Bedr} Assughra^
es war der Zug gegen Kurz Ibn Djabir, welchem Mohammed bis in das
Thal Safwan in der Nahe von Bedr nachsetzte. Das zweite Treffen von
Bedr war das Grosse (Alkubra), in welcfiem der erste ernstere Zusam-
menstoss zwischen den Muselmännern und Kureischiten statt hatte und das
mit der Niederlage der Letztem endete. Zweitens fiel Hamza gar nickt
im Treffen von Bedr sondern in der Schlacht bei Obod, im Schawwal
des 3. Jahres der Hidjrah. Well.
t. Erste Grundlinien der mathematischen Psychologie ton Morii Wil-
helm D robisch. Mit einer
Voss. 1850. XVI ti. 232 SS. in 8.
2. Die Lehre ton den Elementen der Psychologie als Wissenschaft ton
Wilhelm Fr. Volkmann y Doctor und Pritatdocent der Phi-
losophie an der K. K. Karl- Ferdinands - Unit er sitäl zu Prag.
Prag 1850. Schnellpressendruck ton Johann Spurey, Karlsgasse
Piro. 184. In Kommission bei 0. Aug. Schul* in Leipzig. 105 SS. in 8.
Mathematische Psychologie ist bis auf diesen Augenblick
noch für Viele, wenn wir es höflich ausdrücken sollen, eine Paradoxie,
die ihnen bald ein mitleidiges Lächeln abnöthigt, bald einen eisigen Schre-
cken einflösst. Man bedauert die Männer, die Zeit und Kraft verderben,
indem sie sich mit einem Phantome beschäftigen, das nicht mehr Realität
hat, als ein viereckiger Zirkel; hinwiederum in schwachen Augenblicken
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Drobisch nnd Volkmaun : üeber mathematische Psychologie. 807
fühlt man eine Anwandlung von Furcht, es möchte am Ende doch etwas
Wahres an der Sache sein, und der Geist mit olP seiner vielgepriesenen
indeterministischen Freiheit in Mechanismus und Recbenexempel verwandelt
werden, vor denen sich ffirder kein Gebeimniss des Herzens in verbor-
gene Schlupfwinkel flüchten könnte. Inzwischen beruhigt man sich doch
mit der tröstlichen Betrachtung, dass die Anzahl derer, die sich alles
Ernstes mit mathematischer Psychologie befassen, bis jetzt ziemlich klein
geblieben ist, und dass es Uberdiess keine Seltenheit ist, wenn sich deutsche
Denker, ideologisch wie sie sind, mit sonderbaren, wohl gar absurden
Ansichten tragen. Wo sich die Meinung Uber einen wissenschaftlichen
Gegenstand so bestandlos hin nnd her werfen lösst, da fehlt es noch an
der gehörigen Kenntniss desselben, worin allein die haltbare Grundlage
für ein festes Urtheil gelegen ist. Unter diesen Umstünden würde es den
Bedürfnissen der meisten Leser dieser Jahrbücher wenig entsprechen, wenn
sich Ref. bei Besprechung der vorliegenden Schriften in einzelne Parthien
vertiefen und sie kritisch beleuchten wollte. Viel angemessener wird es
sein, vorzugsweise bei der Grundlegung zu verweilen, und von da aus
nur in grossen Zügen Inhalt und Resultate des Uebrigen anzudeuten. So
könnte am ersteu eine leidliche Bekanntschaft mit Wesen und Ziel der
mathematischen Psychologie in weitern Kreisen vermittelt worden.
Der II. Verf. von Nr. 1. ist bekanntlich zugleich Philosoph und Mathe-
matiker und diese Verbindung hat eben so sehr seinen übrigen Leistungen
für beide Wissenschaften ein eigenthümliches Gepräge aufgedrückt, als
sie ihn für Förderung d er mathematischen Psychologie besonders geschickt
macht. Ueberdiess versteht er es, seine Gedanken lichtvoll und schön dar-
zustellen; dies bewähren in der vorliegenden Schrift vorzugsweise die
einleitenden Parthien, deren Studium selbst für denjenigen, der das Rech-
nen perhorreszirt, angenehm nnd sehr belehrend sein dürfte. Der H. Verf.
beginnt in der Vorrede mit einem Rückblick auf Herbart, den Erfinder
der mathematischen Psychologie. Zwar sei seit dem Erscheinen von
Herbarfs „Psychologie als Wissenschaft" schon ein volles Viertel des
Jahrhunderts verflossen, aber von einer schriftstellerischen Betheiligung des
wissenschaftlichen Publikums an den mathematisch psychologischen Unter-
suchungen sei bis auf seine (DrobischV) eigene und die Willst ein's
nichts zu berichten. Der Grund dieser Erscheinung lüge zum Theil wohl
darin, dass es den meisten Psychologen an der nöthigen mathematischen
Vorbildung und Uebung, den Mathematikern an psychologischen Kenntnis-
sen und selbst an Interesse dafür fehlen möchte. Die Mathematiker ins-
besondere hätten bald ein Vorurtheil gegen eine Theorie gefasst, deren
808 Drobisch and Volk mann: Uebet mathematische Psychologie.
Resultate sieht einer Kontrolle durch Messung sich unterziehen lasten.
„Herbart hatte es noch nicht nachdrücklich genug ausgesprochen, dass
seine mathematische Psychologie eigentlich erst eine abstracto Vorbereitung
zu einer künftigen Theorie der durch die innere Erfahrung gegebenen
Erscheinungen ist; er strebte vielleicht zu frühzeitig den synthetischen
Theil seiner Untersuchungen mit dein analytischen in Verbindung zu brin-
gen, was doch nur in lockerer Weise geschehen konnte, so dass es da-
mit weder gelang, die empirische Gültigkeit der mathematischen Formeln
exaet nachzuweisen, noch die Unentbehrlichkeit eiuer mathematischen Theorie
zur Erklärung der psychischen Phänomene genügend darzuthun. Indessen
würde ein etwas tiefer eingehendes Studium der dargebotenen Lehren bald
von selbst auf die richtige Würdigung des Verhältnisses der mathemati-
schen Psychologie zu der empirischen geführt haben," hätte nur Herbart
dies nicht dadurch sehr erschwert, dass er seine Psychologie auf Erfah-
rung der Metaphysik gründete, und seinen Lesern zumulhete, sich mit bei-
den recht ernstlich zu befassen. Es hilft nichts, dass er wiederholt gel-
tend macht, es lasse sich die Ansicht von den Vorstellungen als psy-
chischen Kräften auch als Hypothese aufstellen und mathematisch entwi-
ckeln. Er selbst geht, wenigstens in seinem psychologischen Hauptwerke,
mitten durch die dornenvolle Metaphysik hindurch. Begreiflicherweise sind
auch seiue psychologischen Lehren nicht alle gleich lichtvoll und fest be-
gründet, sondern sie erwarten hie und da die bessernde und vervollkomm-
nende Selbsttätigkeit seioer Nachfolger. Unter diesen Umständen gehürt
allerdings ein grosses Interesse an der Sache und eine feste Ueberzeu-
gung von ihrer Wichtigkeit und Ausführbarkeit dazu, um diese Schwie-
rigkeiten zu überwinden.
Der IL Verf., der durch die vorliegende Schrift vorzüglich die Iba-
tige Theilnahme Anderer für die mathematische Psychologie gewinnen will,
bestrebt sich den Zugang zu ihr zu erleichtern. Das glaubt er vor Al-
lem dadurch erreichen zu könneu, dass er die streng metaphysische Be-
gründung bei Seite lässt , und kurzer Hand für die in der innero Erfah-
rung vorkommenden Grössen plausibel erscheinende Verhältnisse der ge-
genseitigen Abhängigkeit hypothetisch annimmt und diese dann durch Rech-
nung entwickelt. Freilich müssen die psychischen Thatsachen, von deuen
ausgegangen wird, aus den übrigen ausgewählt, die Begriffe, durch weiche
sie zu denken sind , müssen aus ihrem anfänglichen Schwanken zur Fe-
stigkeit gebracht und zur Deutlichkeit erhobeo werden; es müssen end-
lich darin, unter Aufgeben der Willkür und Beliebigkeit, die Motive ge-
funden werden , warum die Hypothesen über die gegenseitige Abhängig-
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Drobisch nnd Volkmann: Ueber mathematische Psychologie.
kcit der in Betracht gezogenen GrOssen gerade so zu stellen sind, wie
sie gestellt werden. Dies Alles kaou ohne ernstes Denken nicht abgehn,
immerhin werden auf diesem Wege die weit grössern Schwierigkeilen
umschifft, die Herbart in seiner grossen Psychologie selbst geübten Den-
kern entgegengeworfen hat dadurch, dass er Alles und selbst die Grund-
lagen der Rechnung aus der speculativen Auflösung des Problems vom
Ich ziehen woUte. Eine derartige Grundlegung besitzt dann freilich nicht
blos hypothetische Geltung, sondern sie ist so gewiss, wie jeder andere
durch Spekulation gefundene Satz. Indessen macht Drobisch in dieser Be-
ziehung die Bemerkung, dass „das letzte Urtheil über mathematische Psy-
chologie sich am Ende doch mehr durch das, was sie zu leisten yermag,
als durch die Meinung Uber die Unantastbarkeit ihrer Principien feststellen
wird. Ob diese deduzirle Grundsätze oder motivirle Annahmen sind, wird
daran nicht viel ändern." Darin liegt freilich kein Lob für das, was
man heutzutage Spekulation zu nennen beliebt. Nichts desto weniger muss
man der Wahrheit die Ehre geben; wenn eine Ansicht, ein Urtheil blos
aas einer einzigen, vielleicht noch dazu sehr abslracten Gedankenreihe
hervorgegangen ist nnd auf der Spitze derselben gleichsam balanzirt, so
besitzt es in der Regel nur eine geringe Sicherheit; zur festen Ueber-
zeugung wird es erst, wenn eine Mehrheit von Gedankenreihen, die ein-
ander tragen uud stützen und zugleich vielfach an das Gegebene anknüpfen,
zu seiner Bewährung zusammentrifft. Mit Recht beruft sich der H. Verf. auf
die Naturwissenschaften, in denen die von ihm in der Psychologie einge-
schlagene Methode längst heimisch ist und zu grossen Resultaten geführt
hat. Ausserdem fuhrt er aber auch noch das Beispiel der Mathematik an,
die doch nicht minder apriorische Wissenschaft ist, als die Philosophie.
Auch hier hat man es nicht verschmäht, Schwierigkeiten in den Anfängen
vorerst nur provisorisch zu erörtern, ihre definitive Lösung aber bis zur
vollen Entwicklung etwa gemachter Annahmen auszusetzen. Soll doch ein
berühmter Geometer der Gegenwart erkliirt haben, nicht zu wissen , was
Grösse sei! rL«sst sich doch, sagt Drobisch, an den Grundbegriffen
und Grundsätzen der reinen Mathematik gar Manches aussetzen nnd nicht
weniger an vielen Beweisen der wichtigsten Lehrsätze. Wie viele un-
fruchtbare Versuche sind gemacht worden, das elfte Axiom des Euklides
zn beseitigen, wieviel ist über das Unendlichkleine gestritten worden I Wie
spät htt man von vielen durch eine unvollständige Induktion aufgefundenen
Haupttbeoremen, z. B. dem Fundamenlalsatze der höhern Theorie der Glei-
chungen, dem Harriot'schcn Lehrsatz, dem Parallelogramm der Kräfte, dem
Princip der virtuellen Geschwindigkeit u. n. allgemeine und vollkommen
810 Drobisch und Volkmann: ücber mathematische Psychologie.
strenge Beweise gefunden! Die Mathematik hat sich dadurch in ihrem
Gange nicht aufhalten lassen. Sie hat das Problematische hypothetisch an-
genommen und ist muthig weiter fortgeschritten. Warum sollte die ma-
thematische Psychologie im schlimmsten Falle dieses Beispiel nicht nach-
ahmen dürfen ?u In der That kann selbst der strengste Logiker nichts
gegen diese Methode einwenden, so lange man ihren Resultaten keine
andere als problematische Gültigkeit zuschreibt. Genau genommen hat
auch schon Herbart auf ihre Anwendung in der Psychologie nicht blos
hingedeutet, sondern sie wirklich gemacht. In dem zuerst 1816 erschie-
nenen Lehrbuche zur Psychologie stellt er der „Hypothese von den Gei-
stesvermögen11 die ..Hypothese von den Vorstellungen als Kräften" ge-
genüber, so jedoch, dass er der Erklärung der psychischen Erscheinungen
aus dieser Letztern nur wenige „ vorbereitende Lehrsätze aus der -Meta-
physik1' vorausschickt. In der Abhandlung de attentionis mensnra, die
wohl eigentlich für Mathematiker bestimmt ist, lässt er alle metaphysischen
Voruntersuchungen bei Seite, und knüpft ohne Weiteres an die geläufigen
Begriffe von Bewegung und Veränderung, von Kraft und Gleichgewicht
entgegengesetzter Kräfte an, sowie an die durchgreifende physische
Thatsacbe, dass sich die Vorstellungen einander aus dem Bewusstsein ver-
drängen.
Nach diesen allgemeinen Angaben über Stellung und Methode der
Schrift betrachten wir kürzlich ihr Ziel und die Mittel zu seiner Er-
Zwar erklärt die gewöhnliche Psychologie aus Assoziation und Re-
produktion eine Menge innerer Vorgänge: Erinnerungen, Phantasien, den
Wechsel der Gefühle und Gemüthsstimmuogen , der Wünsche und des
Verlangens, des leidenschaftlichen Begehrens und des vernünftigen Wol-
lens, selbst Urlbeilen, Schliessen, Selbstbewusstsein und überhaupt die hö-
here Thätigkeit und Ausbildung des Geistes. Allein alle diese Erklärungen
leiden an Unbestimmtheit, weil sie sich auf die quantitativen Verbältnisse
entweder gar nicht oder nicht mit Genauigkeit einlassen. Und doch sind
die Gradunterschiede der verschiedensten Zustände unseres Bewusstseins
und die Gesch wind igk ei ts unterschiede ihres Wechsels bekannte und
unbestreitbare psychische Thatsachen. In ihnen liegt in Verbindung mit
dem erwähnten Mangel die Aufforderung, durch mathematische Behandlung
dieser Quantitäten dem psychologischen Wissen Exaktheit zu geben. So-
fort stellt sich aber der Gründung und Ausführung einer mathematischen
Psychologie scheiubar wie ein unübersteigliches Hinderniss der Umstand
entgegen, dass jene Grössen nicht messbar sind, und dass darum jede
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Drobisch und Volkmann: Ueber mathematische Psychologie. 811
auf irgend eine Hypothese gebaute mathematische Theorie der Veränderun-
gen unserer Geisteszustände, in Ermanglang der Möglichkeit einer nume-
rischen Vergleicbang ihrer allgemeinen Formelo mit der Erfahrung pro-
blematisch und unfruchtbar bleiben zu müssen scheint. Dagegen stellt nun
Drobisch eine Unterscheidung auf, die von der grössten Wichtigkeit ist,
weil sie jenen von so Vielen vorgebrachten oder begierig ergriffenen Ein-
wand seiner prätendirten Bedeutung entkleidet und auf seine wahre zu-
rückführt. Es muss nämlich die theoretische Messbarkeit von der
praktischen unterschieden werdon. Jene ist da vorhanden, wo sich
die Möglichkeit der Messung in Begriffen n a oh w eisen lässt,
während diese die Ausführbarkeit der Messung in der Wirklichkeit be-
deutet. Nur die erstere ist nothwendig, um darauf hin eine mathematische
Theorie veränderlicher Erscheinungen, in unserm Falle der Phänomene des
Bewusstseins, versuchen zu können. Eine so entstehende Theorie ist frei-
lich nur eine mathematische Spekulation; es kommt also nur zu einer
abstrakten psychischen Mechanik. Indessen würden auch unter Voraus-
setzung der praktischen Messbarkeit der psychologischen Grössen die An-
fange der mathematischen Psychologie immer nur sehr abstrakt ausfallen,
und kein Ausdruck der unmittelbaren Erfahrungstatsachen sein. Jede
Theorie hat vom möglichst Einfachen auszugehen, und kann erst später
zum Zusammengesetzten und Verwickelten fortschreiten. So geschieht es
io den mathematisch-physikalischen Theorien, so muss es in der mathe-
matischen Psychologie geschehen, die unter allen Umständen anfangs viel
einfachere Voraussetzungen machen und entwickeln muss, als sie je in
der Wirklichkeit unsers Seelenlebens statthaben. Eine Menge von Um-
ständen, die in der psychischen Wirklichkeit von grossem Einflüsse sind,
müssen zunächst bei Seite gesetzt werden , um erst späterhin bei höherer
Ausbildung nach und nach berücksichtigt und in die Rechnung aufgenom-
men zu werden. Dieser Methode darf sich die mathematische Psychologie
in keinem Falle entscblagen, wenn sie soll auf ähnliche Erfolge hoffen
dürfen, wie sie die mathematischen Naturwissenschaften in der Gegenwart
bereits errungen haben. Uebrigens ist die Möglichkeit durchaus nicht ab-
geschnitten, dass die methodische Entwicklung der mathematisch-psycho-
logischen Theorie künftighiu zu Resultaten führe, die, vielleicht in sehr
mittelbarer Weise auch zu einer wirklichen Messung der empirisch ge-
gebenen psychologischen Grössen Anleitung geben. So etwas ist nicht ohne
Beispiele im mathematisch-physikalischen Gebiete. Sicherlich darf man an
die eben erst entstandene Wissenschaft der mathematischen Psychologie
nicht den Massstab derjenigen Kritik anlegen, welcher für die mathema-
812 Drobisch and Volkmann.' üeber mathematische Payehologie.
tischen Naturwissenschaften in ihrem heutigen Zustande gilt, sondern man
muss sich an die Kindheit derselben erinnern, wo man sich auch mit sehr
allgemeiner Uebereinstimmung zwischen Theorie und Erfahrung begnügt
hat. Nämlich bei aller Abstraktheit der psychischen Mechanik und trotz
der Trüglichkeit und Ungenauigkeit des Schützens der psychologischen
Grössen muss sich doch eine Uebereinstimmung der Rechnungsresultate mit
den wirklich in uoserm Innern beobachteten Pbönomenen von ferne her
zeigen, wenn man sich bei den zu Grunde gelegten Voraussetzungen soll
beruhigen können. Und dies ist in der That auch in einem solchen Masse
der Fall, wie es nur immer von den Anfangen der mathematischen Psy-
chologie erwartet werden kann, so dass mao sich vielfach zur Anwendnag
dieser Theorie bei der Erklärung der Thatsechen des Bewußtseins aufge-
fordert fühlt. Dabei ist freilich Vorsicht nöthig, dass man sich nicht
Ubereile und in Irrlhum verfalle ; denn es ist immer noch eine sehr grosse
und weite Kluft zwischen den abstrakten Formelo, selbst den komplhur-
tcsten, und den konkreten Thatsachen. Die Warnung, die in dieser Be-
ziehung Drobisch ausspricht, ist ganz au ihrer Stelle. Ganz wunderlich
aber, um nicht zu sagen vollkommen idiotisch ist die Furcht, als wurde
der individuelle geistige Mensch durch die mathematische Psychologie zcr
Maschine herabgewürdigt und in ein blosses RechenexempeJ umgewandelt.
Allerdings macht sie die Grundvoraussetzung, dass Alles, was in unserm
Innern geschieht, in einem unter mathematischen Gesetzen stehenden Kau-
salnexus sich befindet. Herbart hat sogar wirklich die ' mathematische Re-
gelmässigkeit des niedere, durch die Eingriffe der Selbstbeherrschung nicht
gestörten Vorstellungsverlaufes als „ psychologischen Mechanismus" bezeich-
net, offenbar aus Mangel eines entsprechenden Ausdruckes. Dennoch on-
terscheidet sich der Mechanismus in der äussern Natur durch seine gleich-
massige periodische Wiederholung der Phänomene ganz wesentlich von
der mathematischen Gesetzmässigkeit im Seelenleben , die keine Periodi-
zität an sich trägt. Ohnedies würde eine solche, selbst wenn sie vor-
Ii and An wtire durch die t&useudfochen keiner erkenn bsren festen Rcfftl
zu unterwerfenden Berührungen mit der Aassenwelt gänzlich zerstört werden.
Jeder gegenwärtige augenblickliche Zustand eines Menschengeistes ist von
so vielen Bedingungen abhängig, dass sie alle zumal von der Rechnung
nimmer beherrscht werden können. Vollends aber unsere Gedanken, Wun-
sche und Gefühle auch nur auf eine Stunde hinaus voraus bestimmen, davon
kann niemals die Bede sein. Das höchste Ziel, das sich die mathemati-
sche Psychologie ateokt, ist viel bescheidener; Herbart bat es in dea
Worten aufgesprochen, die Drobisch als Motto seiner Schrift vorgesetzt
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Drobisch und Volkmann: Ueber mathematische Psychologie. 815
hat: „In der Psychologie können wir bei dem Mangel oder doch der
Schwierigkeit bestimmter Beobachtungen weniger darauf ausgeben, irgend
ein wirkliches und individuelles Ereigniss genau zu erkennen und zu er-
klären, als die einfachen Gesetze einzusehen, deren höchst
manchf al tig e Verflechtung die Wirklichkeit bestimmt."
Um nun die Grundbegriffe und Grundsatze der mathemalischen Psy-
chologie darzulegen, wäre der erste Abschnitt der vorliegenden Schrift
zu resumiren. Ref. wird jedoch, eingedenk der Schranken, innerhalb deren
er sich hier bewegen darf, nur einige Hauptpunkte herausbeben, und muss
im Uebrigeo auf die Schrift selbst- verweisen. Gefühle und Begehrungen
sind nicht unabhängig von den Vorstellungen, wohl aber diese von jenen.
Daher die ersten Gegenstände der Untersuchung der Vorstellungen, und
xwar wiederum nicht die zusammengesetzten, sondern die einfachen, also
die sogenannten Empfindungsvorstellungen, die den einfachen Empfindungen
als Nachbilder entsprechen. Jede einfache Vorstellung hat eine unverän-
derliche Qualität und eine veränderliche Klarheit im Bewusstsein, deren
höchster Grad im Momente ihres Eutstebens durch Empfindung statthat;
man nennt diesen ihre ursprungliche Klarheit, während der niedrigste Grad
der ist, bei welchem die Vorstellung aus dem Gedächtniss verschwindet.
Die fundamentalen ThaUachen, die an die Spitze gestellt werden, um ans
ihnen und zugleich für sie Erklärungsprinzipien zu entnehmen, die der
mathematischen Behandlung fähig, sind folgende: 1) die Anzahl der Vor-
stellungen, deren wir uns gleichzeitig bewusst sind, ist in Vergleich mit
der Anzahl derer, die nacheiuander zur innern Erscheinung kommen kön-
nen, eine sehr geringe. 2) Vorslelluugen werden durch andere Vorstel-
lungen aus dem Bewusstsein verdrängt. 3) Vorstellungen, die aus dem
Bewusstsein verschwunden, durch andere verdrängt sind, können unter
günstigen Umständen in dasselbe zurückkehren. Sie sind nicht als ver-
nichtete, sondern nur als völlig unwahrnehmbar gewordene anzusehen, und
ihre Wiederkehr ist keine neue Erzeugung derselben. Diese Thatsacheu
gelten zunächst von zusammengesetzten Vorstellungen, wie fast alle die-
jenigen sind, die wir wirklich in uns beobachten. Da jedoch das Zu-
sammengesetzte von seinen konstituirenden Elementen abhängig ist, so darf
man gleichwohl nach jenen Thatsacben das Verhalten der einfachen Vor-
stellungen also entwerfen: Die Grundursache der Vorstellung ist die Tbä-
tigkeit, die in der Seele entsteht, wenn sie von aussen dazu angeregt
wird. Diese Thätigkeit ist eine intensive. Qualitativ verschiedenen Vor-
stellungen liegen ebenso verschiedenartige Thätigkeiten zu Grunde; auch
entspricht der quantitativen Verschiedenheit der ursprünglichen Klarheit
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814 D robisch und Volkmann: Uebcr mathematische Psychologie.
der Vorstellungen verschiedene Stärke oder Intensität der Thötigkeiten des
Vorstellens. Diese Thätigkeiten , einmal entstanden, dauern io unverän-
derter Qualität und Stärke gleicbmässig fort. Nur ihrer Ausübung können
sich Hindernisse in den Weg stellen; die Folge davon ist Verminderung
der Klarheit, die bis zum völligen Verschwinden fortschreiten kann. Da-
durch werden jedoch die Tätigkeiten selbst weder gradweise vermindert,
noch aufgehoben, sondern sie dauern in anderer Form, als Streben vorzu-
stellen, ungeschwächt fort, und gehen wieder in wirkliches Vorstellen über,
sobald die Hindernisse beseitigt sind. Man muss also die freie von der —
theilweise oder gänzlich — gehemmten Thätigkeit des Vorstellens unter-
scheiden. Die Hindemisse des freien Vorstellens können leibliche sein,
wie in Schlaf und Ohnmacht, oder geistige. Die vorliegende Schrift be-
schäftigt sich allein mit den letztern. In dieser Hinsicht ist die qualitative
Verschiedenheit der Vorstellungen als Hauptgrund anzusehen , warum sich
ihrer mehrere nicht in ungeschwüchter ursprünglicher Klarheit nebeneinander
behaupten können. Nun werden unterschieden die disparnten Vorstellungen,
wie ein Ton und Geruch, von den gleichartigen, z. B. zwei Tönen oder
zwei Farben. Die gleichartigen sind entweder ganz gleich, wie wenn der
nämliche Ton wiederholt wird, oder sie sind einander entgegengesetzt, und
zwar ist dann ihr Gegensatz entweder voll, konträr = 1 wie zwischen schwan
und weiss, oder zwischen Grundton und Octave, oder er ist geringer als 1,
wie zwischen weiss und grau, oder zwischen Grundton und Terz. Sind mehr
oder minder entgegengesetzte Vorstellungen gleichzeitig in einer Seele
vorhanden, so können sie nicht anders als sich gegenseitig hemmen; die
verminderte Klarheit der Vorstellungen ist der in der innern Erfahrung
zu Tage tretende Effekt davon. Allein jede Vorstellung widerstrebt auch
der Hemmung, weil die Thätigkeit des Vörstettens durch Hemmung nicht
vermindert wird, sondern nur in dem Masse, in welchem sie aufhört frei
zu sein, die Form des Strebens vorzustellen annimmt. Je stärker nun
die ursprüngliche Thätigkeit des Vorstellens ist, einen um so grössern
Widerstand setzt sie der Hemmung entgegen. Es werden also unter übri-
gens gleichen Umständen Vorstellungen von grösserer Intensität in gerin-
gem! Ilasse der Hemmung unterliegen als schwächere.
(Schlmt folgt.)
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Kr. 52. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Drobftaeli und Volkmannt Ueber niatheniaf Ische
Psychologie.
(Schluss.)
Sofern nun die Grade des Gegensatzes und die Intensitäten der Vor-
stellungen als Grössen betrachtet werden dürfen, die sich in Zahlen aus-
drucken lassen, so muss es für jede von mehrern gleichzeitig gegebenen
entgegengesetzten Vorstellungen eine bestimmte Grösse der Hem-
mung geben, bei welcher das Widerstreben gegen dieselbe der von don
entgegengesetzten Vorstellungen ausgehenden Nötbigung dazu gleich ist.
Tritt diese Gleichheit zwischen Nötbigung und Widerstreben für alle gege-
benen Vorstellungen gleichzeitig ein, so ist zur Veränderung der Hem-
mung keine Ursache mehr vorhanden, so ist Gl eich gewi cht oder Ruhe
unter diesen Vorstellungen. Der Uebergang aus dem ungehemmten Zustand
in den irgendwie gehemmten muss stetig sein, weil das Widerstreben der
Vorstellungen, welches mit der wirklichen Hemmung zunimmt, nicht um-
hin kann, die Wirkung der Nötbigung zur Hemmung zu verzögern. Dieser
Uebergang zeigt sich in der Veränderung der Klarheit der Vor-
stellungen und wird Bewegung genannt, wobei selbstredend an
rSum liehe Bewegung nicht zu denken ist. Es gibt nur zwei einander
entgegengesetzte Arten von Bewegungen der Vorstellungen, weil nur
Abnahme oder Zunahme der Klarheit der Vorstellungen gedenkbar ist.
Man bezeichnet sie anschaulich jene als Sinken, diese als Steigen
der Vorstellungen. Dagegen sind unzahlig viele Verschiedenheiten
für die Geschwindigkeit dieser Bewegungen und für die Aende-
rang der Geschwindigkeit denkbar. Hiernach hat die mathematische Psy-
chologie zweierlei Untersuchungen anzustellen : für jede Anzahl gleichzeitig
gegebener Vorstellungen von bekannten Intensitäten und Graden ihrer Ge-
gensätze sind: 1) die Grössen der Hemmung zu bestimmen, bei denen
sie sich im Gleichgewicht befinden, 2) die Bewegungsgesetze, nach de-
nen sie sinken und steigen *, bei weiterer Fortführung ist beides nicht blos
für einfache Vorstellungen zu berechnen , sondern auch für irgendwie zu-
sammengesetzte. Die erste Klasse von Untersuchungen trägt den Namen
psychische Statik, die andere den der psychischen Mechanik,
wiewohl man mit Mechanik oder Dynamik auch beiderlei Untersuchungen
»
zofammenfasst.
XLIY. Jahrg. 6. Doppelheß. 52
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S15 Drobiich und Vom mann: UeJ>er mathematische Psychologie.
Diu Bedingung psychologischer Rechnungen, die theoretische Mess-
barkeit der hier in Betracht kommenden Grössen wird zum Schlüsse des
ersten Abschnittes erörtert. Nachdem im Allgemeinen vorausgeschickt ist,
dass Gegensätze und Intensitäten der Vorstellungen konstante, Hem-
mung und Klarheit veränderliche Grössen sind, wird der Reihe nach be-
handelt die numerische Darstellbarkeit des Gegensatzes unter den Vor-
stellungen der Intensität, der Hemmung und der Klarheit der Vorstellungen.
Wir glauben, dass sich Drobiseh hierdurch ein wesentliches Verdienst um
die Apologie und festere Begründung der mathematischen Psychologie er-
worben bat. Hat man nämlich wohl unterschieden zwischen theoretischer
und praktischer Messbarkeit, zwischen abstrakter psychischer Mechanik und
mathematischer Theoria der wirklichen psychischen Thatsacheo. und ist
der Nachweis für die theoretische Messbarkeit der psychischen Grössen
gegeben, so sind damit im Wesentlichen die Einwürfe gegen die mathe-
matische Psychologie beseitigt, sofern sie auf Verkennung jener Unter-
scheidungen hinauslaufen. Daher bat es Drobiseh mit Recht nicht mehr
für nöthig gerunden, sich auf Widerlegung einzelner Einwürfe einzulassen.
Im zweiten Abschnitt der vom Gleichgewicht einfacher Vorstellungen
handelt, werden zuerst llemmungssumme und Hemmungsverbältuiss bestimmt,
d. h. die Summe des von beliebig vielen gleichzeitig gegebenen entge-
gengesetzten Vorstellungen zusammengenommen im Gleichgewichte zu Hem-
menden und das Verhultniss . in welchem hierbei iede einzelne hetheihat
ist und wirklich gehemmt werden soll. Es ist ohne Weiteres einzusehen,
dass man es hier mit Grundbegriffen zu thun hat, die zu den wichtigsten
in der mathematischen Psychologie gehören. Die klaren Auseinandersetzungen
des H. Verf. sind um so dankenswerther, als die entsprechenden Expo-
sitionen Herbarts im ersten Bande der Psychologie als Wissenschi fl eine
Mischung von hypothetischen und spekulativen Sätzen bieten, und dem
Urheber selbst späterhin nicht genügt zu haben scheinen. Wenigstens ist
er in der ersten Abhandlung der „ Psychologischen Untersuchungen a wie-
der darauf zurückgekommen, und hat sich des Weitern namentlich über
Gleichgewicht verbreitet; unsers Eracbtens ist es ihm aber nicht gelun-
gen, die Schwierigkeiten und Dunkelheiten dieser Gegenstände gänzlich za
besiegen und aufzuklären. Auf den gelegten Grundlagen werden sodann
allgemeine Formeln für das Gleichgewicht zweier und mehrerer Vorstellun-
gen entwickelt und erläutert, und namentlich auch Tafeln von numerisch
berechneten Werthen aufgestellt, wie sie mit steigender Ausbildung der
mathematischen Psychologie immer nötltiger werden. Auf diese und die
folgenden Rechnungen kann hier nicht eingegangen werden; nur auf ei-
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Drobisch und Volkmana: Ucber mathematische Piychologle. M
nige Stellen soll noch aufmerksam gemaoht werden, wo sie sich, wie
abstrakt sie immer hier sein mögen, doch zur Erklärung von wirklichen
Thalsachen des Bewusstseins schon dienlich zeigen. Setzt man zwei Vor-
stellungen voraus, so kann die schwächere von der starkern nie ganz
gehemmt, d. i. aus dem Bewusstsein verdrängt werden , wie vielmal auch
die Intensität der letztern grösser ist als die jener. Dagegen kann schon
von drei Vorstellungen die schwächste leicht eine so geringe Intensität
besitzen, dass sie von den übrigen beiden im Zustande des Gleichgewichts
ganz unterdrückt wird. Das wird im dritten Abschnitte, der von den
Bedingungen des Verschwindens einfacher Vorstellungen aus dem Bewusst-
sein bandelt, nachgewiesen. Namentlich ist es von Wichtigkeit, den Gränz-
Werth der schwächsten beim Verhältniss zu den beiden stärkern a und b
zu finden, und durch Tafeln zu veranschaulichen, bei welchem c gerade
aus dem Bewusstsein verschwindet. Bis hierher sind nur einfache Vor-
stellungen in Betracht gezogen, die Rechnung hat sich also in einem Ge-
biete von Abstraktionen bewegt, da einfache Vorstellungen isolirt und
ohne Verbindung* mit andern nicht mehr in unserm Innern vorkommen.
Es ist also eine Annäherung an die psychische Wirklichkeit, wenn im vier-
ten Abschnitt vom Gleichgewicht zusammengesetzter Vorstellungen gehan-
delt wird. Hier treten uns die Komplikationen disparater Vorstellungen
und die Verschmelzungen gleichartiger, als zwei verschiedene Klassen zu-
sammengesetzter Vorstellungen entgegen. Die Rechnungen in §§. 76 bis
79 geben im 80. Paragraphen Erklärungen für die unwillkürliche Auf-
merksamkeit und für die Gefühle des Kontrastes her; über die letztem
bat man auch §. 64 zo vergleichen.
In den Abschnitten 5 — 7 werden die Elemente der psychischen
Mechanik vorgetragen. Dario spielen die veränderlichen Grössen der Zeit,
der Geschwindigkeit und der von beiden abhängigen Hemmung eine be-
deutende Rolle. Im fünften Abschnitte wird zu Anfang der Begriff der
Geschwindigkeit einer Erörterung unterworfen, und der Mechanik der Kör-
perwelt ein vergleichender Blick zugewendet. Geschwindigkeit kommt
nämlich jeder stetigen Veränderung zu, mag es Ortsveränderung sein oder
Veränderung intensiver Zustände. In der mathematischen Psychologie sind
die Hemmungen der Vorstellungen das in stetiger Veränderung Begriffene,
möge« nun wie beim Sinken der Vorstellungen die Hemmungen zu-, oder
wie beim Steigen abnehmen. Die Diskussion der Gleichungen des §. 104
führt zur Erkenntniss der Gesetze des Sinkens einer Vorstellung. Es ist
nämlich im ersten Anfange ihres Sinkens das Quantum ihrer Hemmung
der Zeit direkt und einfach proportional. Dennoch gelangt die Vorstel-
52*
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818 Drobiscb und Volkmann: Ueber mathematische Psychologie;
1ung io keioer endlichen Zeit zu der für absolutes Gleichgewicht gefe-
derten Hemmung , sondern nähert sich diesem nur ohne Ende, und zwar
anfänglich in ziemlich schnellen Schritten, die aber immer langsamer wer-
den. Dasselbe gilt mutalis mutandis auch für das Steigen der Vorstellun-
gen. Zur Versinnlichung dieser Bewegungen wird eine Kurve konstruirt,
die sich der Abscissenaxe als Asymptote int Unendliche bin annähert.
Derlei Konstruktionen der mathematisch-psychologischen Formeln hat Dro-
bisch schon früher in seinen Quaestionibus mathematico-psyebologicis mit
Yortheil angewendet; sie geben, wie nichts Anderes, durch das anschau-
liche Bild dem abstrakten Denken Haltung und Bestimmtheit, und wir em-
pfehlen dessbalb ihre fleissige Benützung allen denjenigen, die sich mit
der hier besprochenen Theorie erst noch bekannt und vertraut zu machen
haben. Die Resultate aus den Rechnungen des sechsten Abschnittes über
die Bewegungen successiv gegebener Vorstellungen zieht §. 138. Die
geführten Untersuchungen geben nämlich „im Kleinen ein Bild von einem
Tbeil der Vorgänge, die stattfinden, wenn unsere Gedanken durch sinn-
liche Wahrnehmungen gestört werden." Die Wahrnehmungen üben durch
ihre Starke und ihren Gegensatz gegen die im Bewusstsein vorhandenen
Vorstellungen auf diese letztern einen Einfluss, den man als Reiz der Neu-
heit bezeichnet, und der gar oft in Affekt ausartet, Dabei zeigt sich dann
die Depression und Exaltation der Vorstellungen, die hier rechnend be-
stimmt ist. Damit verbinden sich allerdings Reproduktionen anderer älterer
Vorstellungen, wovon hier abstrabirt ist; gleichwohl lassen sich an dem
in Rechnung Gezogenen die Keime der Affekte erkennen. Im letzten Ab-
schnitt endlich wird das freie Aufsteigen gehemmter Vorstellungen un-
tersucht und die wichtige Rechnungstbatsacbe zu Tage gefördert, dass
sich entgegengesetzte Vorstellungen, wenn sie bis dabin gänzlich gehemmt
waren und nun, von aller Hemmung befreit, gleichzeitig aufsteigen und zam
ersten Male im Bewusstsein zusammentreffen, eine grössere Klarheit oder
Höhe erreichen und im Gleichgewichte behaupten, als diejenige ist, auf
welcher sie bleiben würden, wenn sie durch äussere Wahrnehmung ins
Bewusstsein getreten und durch Sinken ins Gleichgewicht gekommen wä-
ren. Also sind die aus dem Innern zugleich aufsteigenden entgegenge-
setzten Vorstellungen untereinander verträglicher, als wenn sie von Aussen
gegeben wären. Dehnt man dies spezilizirend aus, so darf man sagen,
dass Objekte der innern Wahrnehmung, bei gleichem Gegensatze ihres In-
haltes wie Objekte der äussern Wahrnehmung, einander doch nicht so
schroff zurückstossen wie diese, dass blosse Gedanken von entgegengesetz-
ter Beschaffenheit weniger unerträglich erscheinen als eben ao entgegen-
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Drobiich und Volkminn: Uebcr mathematische Psychologie. 819
gesetzte Thatsachen der äussern Erfahrung; dass in der Phantasie Man-
ches sich nicht so unvereinbar ausnimmt wie in der Wirklichkeit. „In
der Gedankenwelt, sagt Herbert, stossen sich die Dinge lange nicht so
arg als in der wirklichen. Die Gedankenwelt behält immer etwas Phan-
tastisches, Märchenhaftes, ja Traumähnliches im Vergleich gegen das Harte,
Strenge, Schroffe der äussern Erfahrung.14 Es liegt aber in dem obigen
Satze noch die Wahrheit, dass Gedanken, die sich von Innen heraus ent-
wickeln, zu grosserer bleibender (durch das Gleichgewicht bedingten)
Klarheit gelangen als solche, die uns von Aussen her zukommen. Ref.
halt es für eben so passend als nothwendig, dass die Lehre von den frei-
steigenden Vorstellungen sogleich in die Elemente der mathematischen Psy-
chologie aufgenommen ist. Denn die freisteigenden sind mit die stärksten,
bleibendsten, einflussreichsten Vorstellungen; es sind Vorstellungen, die
nicht blos einmal steigen und bald wieder sinken, sondern jeden Tag mit
jedem neuen Erwachen von neuem steigen und, einmal hervorgetreten, nun
nicht mehr weichen, ausser in kurzen Fristen, um sogleich ihren alten
Platz wieder einzunehmen, die deshalb vom entscheidendsten Einfluss fUr
die Aperception und das Selbstbewusstsein des Menschen , und bei Selbst-
bestimmung und Selbstthätigkeit aller Art äusserst bedeutend sind. Hat
man für sie den Blick nicht offen, so macht sich diess durch Mangelhaf-
tigkeit in der Auffassung psychischer Thatsachen und durch Einseitigkeit
in der Theorie bemerklich.
Die sämmtlichen Rechnungen, deren Auslegungen theilweis so eben
mitgetheilt sind , entwickeln sehr einfache Voraussetzungen : zwei oder
drei einfache Vorstellungen, zwei oder drei Komplexionen, jede von zwei
Gliedern, werden in Wechselwirkung gedacht; nur einige Male wird Ober
diese engen Grenzen hinausgegangen, und n Vorstellungen werden ange-
nommen. Jedermann sieht auch ohne unsere Hinweisung, dass diese Rech-
nungen ungeheuer weit von den wirklich in unserm Innern vorkommenden
Thatsachen entfernt bleiben. Kaum möchte es noch vereinzelte, unver-
bnnden gebliebene Vorstellungen in uns geben; die Komplexionen beste-
hen in der Regel aus viel mehr als zwei Gliedern; die Anzahl der in
jedem Augenblicke wirksamen Vorstellungen ist ziemlich bedeutend, und
was besonders zu beachten ist, sie sind zu kürzern oder läugern Reiben
verbunden, und treten selbst Massenweise in Wechselwirkung. Nicht ein-
mal in einer kindlichen Seele geht es so einfach her, wie beim Beginn
und Verfolg der Rechnung die Voraussetzungen sind, und, wie oben schon
bemerkt, den Reichthum des wirklichen innern Lebens und die vielfachen
äussern und innern Bedingungen kann keine Rechnung befassen. Daher
820 Drob i seh and Volkmann: Ueber mathematische Psychologie:,
ist die oben erwähnte Unterscheidung Drobisch's zwischen abstrakter psy-
chischer Mechanik und mathematischer Theorie der konkreten innern Thal-
sachen vollkommen berechnet und gültig, und man darf die Resultate von
jener nur mit Vorsicht und Einschränkung zur Auslegung der Tbatsacbeu
der Erfahrung anwenden. Ist es unter diesen Umstanden nicht zum Ver-
wundern, dass der H. Verf., der seine uns eben beschäftigenden Elemente
der mathematischen Psychologie gewiss als abstrakte psychische Mechanik
charakterisiren wird, darin doch, wie aus dem Angeführten hervorgeht,
der Versuchung nicht widerstanden ist, öfter auf individuelle Tbalsacben
hinznblicken und sie aus seinen Formeln zu erklären? Wir finden diese
Lockuug aus der Natur der Sache begreiflich genug. Wenn aaalytiscbe For-
meln durch Zahlenwerthe erläutert, wonn für den Zusammenbang der ver-
änderlichen Grössen eine bildliche Darstellung im Haum gefunden wird, so
steigt man damit von der aligemeinen Formel zu den einzelnen Fallen
herab, man gewinnt einen Ueberblick über das unter einem allgemeinen
Begriffe befasste Einzelne, kurz mau wird in das Gebiet des Individuellen
versetzt. In diesem liegen aber auch die wirklichen Thalsachen, und wenn
diese auch viel reicher und konkreter sind, als die elementaren Schemale
und Typen der mathematischen Psychologie, so kommt man durch ihre
Individualisirung mittelst Zahlenwerthe oder räumliche Konstruktion doch
dem Wirklichen ungleich näher, als man es je mit allgemeinen Begrif-
fen vermag. Man denke nur an die abstrakte Starrheit der psychologi-
schen Vermögenslehre im Gegensatz gegen die Schwing- uod Biegsam-
keit mathematischer Formeln. Da sich nun Drobisch doch einmal her-
beigelassen hat, in vorliegender Schrift Einiges aus dem Gebiete der
Thalsathen zu erklären, so vermissen wir ungern präzise Bestimmungen
über die Gränzen der Anwendung der mathematischen Untersuchungen auf
die psychischen Thatsachen. Es ist wahr, derlei Bestimmungen gehören
in den Eingang einer mathematischen Theorie der konkreten inaeru That-
sachen. Allein wenn man liest, die Rechnungen des sechsten Abschnittes
•
gäben „im Kleinen ein Bild von eine/n Theile" gewisser psychischer Vor-
gänge, wenn in den daselbst untersuchten Störungen des Gleichgewichts
der Vorstellungen durch äussere Eindrücke „schon die Keime zur Erklä-
rung der Affekte* liegen sollen, so lassen gerade diese figürlichen Aus-
drücke und Vergleichungen den Mangel bestimmter Begriffe recht fühlen.
In dieser Beziehung drängt sich die Bemerkung auf, dass die abstrakten
Typen psychischer Vorgänge, mit denen sich die mathematische Psychologie
beschäftigt, einerseits auf eine möglichst geringe Anzahl von Eletneeteo,
von einfachen Vorstellungen beschränkt, anderseits jeder füf sich, isourt
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Drobisch and Volkraann: üeber mathemati che Psychologie. 821
in Betracht gezogen werden, wfihrend in der psychischen Wirklichkeit
stets eine viel grössere Menge von vielfach verbundenen Vorstellungen
thötig ist, und ihre Wirksamkeit zugleich von verschiedenen sich gegen«
seilig modifizirenden Gesetzen bestimmt wird.
Bei dem Allen erscheint dns besprochene Werk doch um Vieles ab-
strakter, als es sein könnte. Nicht, als bäte es nicht schon genugsam verwi-
ckelte und zusammengesetzte Formeln, deren Eleganz übrigens den Mathe-
matiker ergötzen mag. Warum sollte auch die vielfache Bedingtheit des
geistigen Lebens zu minder verwickelten Berechnungen fahren, als etwa
die der Störungen der Planeten? Der Grund der grösser erscheinenden
Abstraktheit liegt vielmehr darin, dass Drobisch nur einen Theil der ma-
thematischen Psychologie geboten hat, und obwohl der Umfang des Ge-
gebenen gross genug ist, um einem tiefer eingehenden Studium als Grund-
loge dienen zu können, so ist doch gerade der Ausschluss mancher
Untersuchungen , namentlich der über mittelbare Reproduktion , um so
empfindlicher, je weitgreifender deren Wirksamkeit ist im ganzen gei-
stigen Leben. Möge es daher dem H. Verf. bald gefallen, eine Fortsetzung
seiner Arbeiten zu veröffentlichen. Sicherlich liegt dies in seinem und der
Sache Interesse. Denn so lichtvolle und ausgereifte Arbeiten wie die sei-
nigen fördern die Wissenscboften immer, und die vorliegende wird dem
Mathematiker von Profession ungleich mehr zusagen, als die Herbart'sclieft.
Inzwischen dürfen wir Jedem, der sich für mathematische Psychologie
interessirt, die kleine unter Nro. 2 aufgeführte Schrift empfehlen. Zwar
ist sie in einem sehr beschränkten Raum eingeschlossen, allein der Reich-
thom ihres Inhalts überragt die Enge und Unscheinbarkeit ihres Rahmens.
Ihr Charakter ist jedoch ein ganz anderer, als der von Nro. 1. Meta-
physik und Rechnung sind ihr nicht fremd, von beiden wird Gebrauch
gemacht, aber wenige Grundgedanken von jener und ein paar Hauptfor-
meln genügen dem H. Verf., um daran die Erklärung uud Beleuchtung
einer grossen Menge psychischer Thatsachen zu knüpfen. Ihm sind hier
Metaphysik und Mathematik nur das Mittel, eine mathematische Theorie
des konkreten geistigen Lebens das eigentliche Ziel seiner Bemühungen.
Freilich kann man nicht verlangen, dass anf hundert Seiten und etlichen
das ganze Gebiet der Psychologie durchmessen wird. Aber man sehe
nur, wie Vieles geboten ist! In der Einleitung wird unter Anknüpfung
an die Erfahrung und Benützung der Metaphysik von der Seele gehan-
delt, und von ihren innern Zustünden, in die sie geräth , wenn sie mit
andern realen Wesen entgegengesetzter Qualität in KausalverhUltnisse tritt.
Der erste Abschnitt bietet eilte Theorie der Entstehung der einfachen Vor-
822 Drobisch and Volkmann: üeber mathematische Psychologie.
Stellungen, und man flodet hier, abgesehen von den reinen Vorstellungen.
Vitalempfindung und Gemeingefübl, die Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit
der sinnlichen Gerüble, die Bewegungen und Handhingen sammt Uebnng
und Fertigkeit erklärt, sogar eine Vermuthung Uber den Sonnambalismus
wird geäussert und «war mit lobenswertber Bescheidenheit. Hiebei muss
begreiflicherweise fielfach auf die Thiitigkeit des Nervensystems eingegan-
gen werden, und der H. Verf. zeigt dabei eine gute Bekanntschaft mit
den neuem Entdeckungen und Ansichten der Physiologen. Bis bieher kana
die Schrift geradezu als vorbereitende Ergäniung von Nro. 1. beeülit
werden, da Drobisch die einfachen Vorstellungeu kurzweg als vorhanden
voraussetzt. Natürlich darf dann der Leser metaphysische Erörternngea
nicht ganz scheuen; zu grosse Zamuthungen werdon ihm in dieser Be-
ziehung nicht gemacht, und die Darstellung des II. Verf. ist im Goniea
leicht und geschickt. Der zweite Abschnitt spricht von der „Wechsel-
wirkung der Vorstellungen,* also von Hemmung und Verbindung gleich-
seitiger Vorstellungen, wobei auch die physiologischen Ursachen der Hem-
mung berücksichtigt werden ; von der Hülfe, die verbundene Vorstellungen
einander leisten; vom Sinken und Steigen; von der Abnahme der Em-
pfänglichkeit. Der dritte Abschnitt bebandelt den „Fortbestand der Vor-
stellungen, u der sich vor Allem in der Reproduktion der gehemmten
zeigt. An die mittelbare Reproduktion wird die Erklärung der Sinnes-
täuschungen angeknüpft; die Lehre von den Vorstellungsweisen gibt die
Grundlage für das Vorstellen des Zeitlichen, Räumlichen, Gezählten, Be-
wegten, und es steht damit auch die Bildung der Vorstellung vom Leibe,
die Verörllichung der Empfindungen und das Vorstellen der Aussendinge
in Verbindung. Dies Alles wird besprochen, und im Allgemeinen recht
besprochen. Dazwischen treten uns noch manche kritische Bemerkungen
entgegen, aus denen wir diejenigen hervorheben, welche gegen die ver-
wandle Psychologie von Waitz gerichtet sind, zuweilen ohne Nennung
seines Namens. Diese Psychologie hat nämlich u. A. den Beweis gelie-
fert, natürlich unbeabsichtigt, dass es sehr nothweodig ist die mathemati-
sche Behandlung der psychologischen Grössen beizubehalten und immer
weiter zu treiben. Sonst verliert sich auch sofort wieder alle Schärfe und Be-
atimmtbeit der Begriffe und Erklärungen, wie sie Herbart zuerst erreicht hat;
man verfällt auch gar leicht in Hypothesen, deren Grundlosigkeit und Lo-
snwendbarkeit die mathematische Behandlung unwiderleglich dartbun würde.
Wir wünschen schliesslich dem vorliegenden Büchlein die Beachtung,
die es verdient, und dem H. Verf. die Nüsse und Gesundheil, die ihm bei
der Abfassung desselben gefehlt hat, damit er sich ermuntert and kräftig
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Drobisch und Volkmann: Ueber mathematische Psychologie. 823
fühle, um die psychologische Literatur bald mit Grüsserm zu bereichern.
Wir erwarten ober sicher, dass dies in einem ansprechendem Gewände
uod mit weniger Druckfehlern sich präsentire, als das gegenwärtige. Noch
erlauben wir uns die Bemerkung, dass, obwohl die Schreibart im Ganzen
gut uod zuweilen schön uod nicht ohoe poetische Anklänge ist, sie doch
hie uod da einen Mangel an formeller Schärfe zeigt. Eine Besserung in
dieser Beziebuog würde um so vorteilhafter wirken, als der H. Verf.
schon in dieser kleinen Probe seine begabte Natur und reiche Bildung zu
erkennen gegeben hat. Freilich scheint jenes bei den hervorragenden
Oesterreicbero nicht minder charakteristisch zu sein, wie dieses. Immerhin,
hat Oesterreich nur an solchen Kräften einen grossen Reichtum, dann felix
Austria!
G Jessen. Schilling.
Die Burg Höchberg im Breisgau, hauptsächlich tom sechszehnten
Jahrhundert an. Beschreibung und Geschichte aus urkundlichen
Quellen. Von Christ. Phil. Ii erbst, Pfarrer %u Mundingen u.
s. 10. Mit drei Lithographien. Im Selbstverlage des Verfassers.
Karlsruhe. Buchdruckerei von Malsch und Vogel. I85L XII u. 199 S. 8.
Wir freuen uns , auch in diesem Hefte der Jahrbücher eine neue
Bereicherung unserer vaterländischen Literalur mit dieser Schrift anzeigen
zu können. Sie ist ein oeuer erfreulicher Beweis , dass auch ohne Ver-
ewigung der vereinzelten Kräfte, wie sie nach dem Vorgang anderer Län-
der auch für das Grossherzogthum Baden wünschenswert wäre, doch
dasselbe in diesem Zweige der gelehrten Forschung hinter andern Gauen
des gemeinsamen deutschen Vaterlandes keineswegs zurückbleibt. Der
Gegenstand vorliegender Schrift ist eine Burg, die als Landesburg und
Fttrstenschlos8 , sowie als Bergfeste einst die bedeutendste in der ganzen
Umgegend war, und noch jetzt als Ruine vielleicht die bedeutendste und
umfangreichste nicht blos in dem jetzigen Grossherzogthum Baden — mit
einziger Ausnahme der Heidelberger Schlossruine — sondern in ganz
Suddeutschland genannt werden kann. Mehrere Jahrhunderte hindurch war
sie der Sitz eines Zweiges unseres Fürstenhauses, dessen Geschicke mithin
an diese Borg zu einein grossen Tbeile geknüpft sind ; sie diente vielfach
zum Schutz und Schirm der Umgegeod, zunächst des sie umgebenden fürst-
lichen Gebietes; sie zieht auch jetzt noch durch ihre herrliche Lage die
Blicke des Wanderers auf sich, während die auf dem Maierhof in unmit-
telbarer Nähe der Burg gegründete Ackerbauscbule jetzt ihre Segnungen
Herbst: Die Barg Hachberg.
über das ganze Land zu verbreiten beginnt. So verdiente wohl diese
Barg der Gegenstaad einer Monographie zu werden, wie sie uns hier von
der Hand eines der Veteranen vaterländischer Geschichtsforschung geboten
Wir*, der schon früher durch andere Leistungen auf diesem Gebiete rühm -
liehst bekannt , auch in dieser Schrift die Ergebnisse mühevoller , viel—
jähriger Forschung in wohlgeordneter klarer Darstellung vorlegt. Dass
Alles das, was in gedruckten Schriften Uber diesen Gegenstand vorlag
oder damit in näherer oder entfernlerer Beziehung stand, von dem Ver-
fasser benutzt worden, wird kaum einer Erwähnung bedürfen ; wohl aber
wird man anzuführen haben, wie bei dem Wenigen, was auf diesem Wege
bekannt geworden war, der Verfasser hauptsächlich auf handschriftliche
bisher unbenutzte und unbekannte Quellen gewiesen war, auf denen seine
Darstellung beruht. Keioe Mühe ward hier gescheut, Keine Anstrengung
gemieden, dieses Material in möglichster Vollständigkeit von allen Orten
her über alle Schicksale der Burg im Laufe und Wechsel der Jahrhun-
derte zu gewinnen; und wenn hier nicht alle Hoffnung in Erfüllung ge-
gangen ist, wenn namentlich für die frühere Periode nur Weniges auf-
zutreiben war, so ist es wahrhaftig nicht die Schuld des Verfassers, wohl
aber die Ungunst der Zeit, welche die schriftlichen Denkmale froherer
Jahrhunderte vernichtet oder an unzugänglichen Orten verborgen, dem
Späherblick der gelehrten Forschung bis jetzt noch entzogen hat.
Der Verf. beginnt seine Darstellung, wie billig, mit einer topogra-
phischen Beschreibung der Burg und ihrer nahen Umgebung; diese sorg-
fältig m das Detail der noch vorhandenen Raine eingehende und alle
einzelnen Theile derselben, so weit nur immer möglich, nachweisende Be-
schreibung wird durch drei dieser Schrift beigefügte Pläne veranschaulicht,
von welchen der erste ein im Jahre 1820 von einem Freibarger Archi-
tekten aufgenommener Situationsplan ist; hoflen wir, dass bei einer voll-
ständigen Aufräumung des Schuttes und Entfernung alles Heckengestrnpps
und Baumwerkes, was bis jetzt jeder genauen Orientiruug und Untersu-
chung der einzelnen Bestandteile und ihrer frühem Bestimmung hemmend
in den Weg tritt, Manches von dem, was damals noch nicht völlig ins
Heine gebracht werden konnte, aus dem Dunkeln und Ungewissen an das
klare Licht gezogen werde. Dass übrigens der vorliegende Plan zum
Verständniss des Ganzen durchaus nolhwendig war, wird Niemand in Ab-
rede stellen. Ein zweiter Plan gibt den Umriss der Festungswerke, mit
denen einst die Burg umgeben war, nach einer auf der Grossherzoglichen
Hofbibliothek zu Carlsruhe befindlichen Zeichnung vom Jahre 1673. Die
dritte Tafel bringt eine Ansicht des innern Theiles des Schlosses mit den
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Herbst: Die Burg Hachberg.
Werken, vom Hornwald her, lisch einer Originalzeichnung vom Jabre 1 670,
also vor der letzten Zerstörung des Schlosses. Nachdem auf diese Weise
der Leser zuerst mit der ganzen Lokalität nach allen ihren einzelnen Thei-
Jen bekannt geworden und zugleich auch gezeigt worden, wie diese
Burg , welche eine Stande von Emmeodingen und drei von Freiburg ent-
fernt auf einen etwas über sechshundert Fuss ober der Ebene (also circa
zwöUhundert Fuss Uber der Meeresfläche) erhobenen, mild ansteigenden
Bergkegel mit herrlicher, nach allen Seiten hin freien und geöffoeten Aus-
siebt hervorragt, eine der reichsten und schönsten der ganzen weiten
Umgegend gewesen, da sie Alles besass, was man in der Blülhezeit des
Rillerltiums zum Glanz ued Ruhm einer Burg rechnete, fruchtbare Felder,
Teiche und Weiher, Waldungen und Gfirlen, stattliche Wohnungen und
sichern Schutz und Schirm gegen jeden Angriff u. dgl., wendet sich der
Verfasser zur Geschichte der Bnrg, welche von S. 29 an den grösseren
Theil seiner Schrift wie billig einnimmt. Wir haben schon erwähnt, dass
für die frühere Periode die Quellen, zunächst die handschriftlichen, die
hier fasl allein in Betracht kommen, leider nur dürftig fliessen; was der
Verfasser ausfindig machen konnte (und er bat diese Quellen in der Vor-
rede Seile V IT. genau verzeichnet) zu Emmendingen, oder zu Karls- .
ruhe, hier besonders im Generallandesarchiv und auf der Hofbibliotäek,
gehört meist der späteren Periode des secbszehnlen und siebenzebnten
Jahrhunderts an und gibt, besonders in der sorgfältigen, kritisch gesich-
teten Darstellung des Verfassers, ein anschauliches Bild der Schicksale der
Burg während dieser spätem Periode, indem die früheren Jahrhunderte
noch grösstenteils mit einem Dunkel bedeckt sind, das ohne neue Quel-
lenfunde nicht sobald gelüftet werden kann. Dieses Dnnkel lastet ins-
besondere auch auf der ersten Anlage der Burg und lässt uns daher auch
die Frage nach dem Ursprung derselben, so wie nach dem Geschlecht,
das im ersten Besitz derselben war, nicht mit völliger Sicherheit und Ge-
wissbeit beantworten. Wohl weiss die Sage von einem Grafen Hacho
zu melden, der im neunten Jahrhundert unter Karl dem Grossen die Burg
angelegt nnd ihr den Namen gegeben; ein Dietrich de Hacbberg
kommt in einer Urkunde des eilften, ein Erkenbold de Hacbberg
m Urkunden des zwölften Jahrhunderts mehrmals vor, letzterer namentlich
ift Verbindung mit den Herzogen von Zäbringen ; dass beide einem Dienst-
Biauneageschlecht der Letztern angehört, ist eine Verinutuung, die jeden-
falls, auch bei dem Mangel anderer Beweise, zu nahe liegt, um von der
Hand gewiesen zu werden. Wie freilich die Burg dem Stamm der Zäh-
rioger zugefallen, vermögen wir nicht anzugeben, nur so viel bleibt ge«
r
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Herbst: Die Burg Hachberg:
wiss, dass Berthold L, der Stammvater der Zubringer, Herr des Breis-
gaues, Uschberg besessen hat, da dem zweiten Feiner Söhne Hermann I.
die Herrschaft Hachberg alt ein Theil des väterlichen Zahringer Familien-
Gutes im Breisgau mit dem Grafenamte des Lindes und mit dem Titel
eines Markgrafen zugefallen war. Zu diesen Besitzungen knm alsbald noch
die Herrschaft Baden im Osgau, wie denn sein Sohn Hermann II., der
dem 1074 im Kloster zu Clugny gestorbenen Vater folgte, bereits all
Markgraf von Baden erscheint; dessen Sohn Hermann III. (1130—1160)
mnss ebenfalls auf Hachberg gewohnt haben, da er der Grundlegung des
nahen Klosters Thennenbach beiwohnte; er wird hier neben Berthold IV.
von Zlhringen als Markgraf de castro Hachberg angeführt. Nach dem
Tode seines Sohnes Hermann'» IV. (1160— 1190) trat aber die Tren-
nung ein; die beiden Söhne theilten sich in das väterliche Erbe, der al-
tere, Hermann V., erhielt die Markgrafschaft Baden nebst Ettlingen und
Durlach; der jüngere, Heinrich I., das alte Stammland im Breisgau, die
Markgrafschaft Hachberg; so bildeten sich zwei Linien, von welchen die
Höchberg sehe bis zum Jahre 1418, wo sie ausstarb, fortgedauert bat.
Dass aber Hachberg (denn so, und nicht Hochberg muss nach den alten
Urkunden geschrieben werden, pag. 32) jedenfalls zu den ältesten Be-
sitzungen des zilhringisch-badiseben Fürstenhauses gehört, und selbst noch
vor Baden, das als späterer Erwerb erscheint, wird hiernach kaum ei-
nem Zweifel unterliegen, und gibt der Burg, als dem ältesten Besitzthum
unseres Fürstenhauses, eine Bedeutung, die ihre Schicksale mit den Geschi-
cken unsers Fürstenhauses auch für die folgenden Jahrhunderte so eng
verknüpft bat. Die nächste Periode von dem Jahre 1190 bis zu dem
Erlöschen der Hachberger Linie im Jahre 1418 bildet den Inhalt des
dritten Abschnittes S. 39 flf.; wahrend dieser zwei Jahrhunderte hat Hach-
berg, wie der Verfasser sich ausdrückt, seinen schönsten und unange-
fochtenen Ruhm und Glanz. Nach dem bemerkten Ausslerben der Linie
mit dem unverehlichten Otto II. kam Hachberg an den Markgraf Bernhard
von Baden, der nm die Summe von 80000 Gulden die sammtlicben Hach-
berg'schen Lande übernahm. Der vierte AbschniU führt uns die Begeb-
nisse vor, welche Hachberg unter der Regierung der Badenseben Linie
bis mm dreissigjährigen Krieg (1418 bis 1618) betroffen haben; die
Verheerungen des Bauernkrieges, welche in diesen Zeitraum fallen (1524),
Hessen die Veste unberührt. Anders ward es freilich in der Periode, welche
im nächsten fünften AbschniU besprochen wird, in der Periode des dre-
ijährigen Krieges; die aus dieser Zeit reichlicher fliessenden Quellen
machten es auch dem Verfasser möglich, diesen Zeitraum mit grösserer
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Herbst: Di« Burg Hachberg.
827
Ausführlichkeit und aller Genauigkeit des Details zu behandeln. In Folge
der unglücklich ausgefallenen Schlachten bei Wimpfen uod Nördlingen,
gegen Ende des Jahres 1634, breiteten österreichische und baierische Trup-
peo sich Ober die Gegenden aus, in deren Mitte und zu deren Schutz und
Schirm die Veste Höchberg angelegt war; aber erst im Jahre 1636 ge-
lang es ihnen, der Burg, die sich nicht länger mehr behaupten konnte,
sich zu bemächtigen, wobei die kleine Garnison , die den Platz solange
rcrtheidigt und gehalten hatte, einen ehrenvollen Abzug erhielt; die dar-
über abgeschlossene Capitulation bat indess merkwürdiger Weise bis jetzt
noch nicht in den Archivalakteo aufgefunden werden können. Alsbald
nach der Uebergabe, wie uns der Verfasser im sechsten Abschnitt berich-
tet, erfolgte die Abführung des vorgefundenen Geschützes sammt den vorhan-
denen Kriegs vorrätben, von welchen ein genaues Verzeicbniss mitgetheilt wird ;
dann schritt man zur Schleifung und Zerstörung der Festungswerke, wo-
mit mehrere hundert Arbeiter mehrere Monate lang beschäftigt waren. AI»
aber endlich der westphälische Friede die Veste wieder an sein Fürsten-
haus zurückgebracht hatte, da erfolgte nach längerem Zeiträume in den
Jahren 1662 und folgende die Wiederherstellung der zerstörten Werke,
eine ständige, später verstärkte Garnison diente fortan als Besatzung der
wiederaufgerichteten Veste, gegen welche, wie in dem Abschnitt VIII.
uns näher erzählt wird, seit dem Beginne des mit Frankreich 1674 aus-
gebrochenen Reichskrieges die Blicke der Franzosen gerichtet waren, je-
doch ohne Erfolg, da die Besatzung der Veste inzwischen bedeutend ver-
stärkt worden war. In Folge des Friedens von Nymwegen zog die
kaiserliche wie die Reichsbesatzung ab und eine badische Garnison blieb
zurück ; bald aber trat die Schwierigkeit einer gänzlichen Wiederberstellung
der Festungswerke, wenn sie anders ernstlichen Angriffen bei der fort-
geschrittenen Kriegskunst erfolgreichen Widerstand entgegen stellen soll-
ten, sowie der Unterhaltung derselben in so fühlbarer Weise hervor, dass
der von Seiten des Markgrafen im Spätjahr 1681 gefasste Entschiusa ei-
ner Demolirung derselben, der dann auch mit aller Schnelligkeit ausge-
führt wurde, kaum befremden kann, wenn man sich von der Unhaltbarkeit
einer solchen Veste in Fällen eines Krieges überzeugt hat. Das Schlots
blieb unversehrt, bis nach einem im Oktober 1684 ausgebrochenen Brande
im Jahre 1689 die gänzliche Zerstörung desselben erfolgte, ausgeführt
durch dieselben französischen Schaaren , die schon früher die Schlösser
zu Röteln and Sausenberg zerstört, die eben so auch das Schloss von
Bäden and die untere Markgrafschaft, so gut wie die rheinische Pfalz
zum Gegenstand ihrer Verheerungen gemacht hatten. Wir können hier
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828 Herbst: Die Barg Hacbberg.
nur das beifügen, dass nach der aos laoter officielleo Berichten und Akten
geschöpften Darstellung des Verfassers die Franzosen in Ganzen hier nicht
mit der furchtbaren Zerstörungswut!! verfahren sind , die sie an andern
Orlen damals rücksichtslos an den Tag gelegt haben. Seit dieser Zeit
hat das Ganze ein verändertes Ansehen gewonnen; schon früher waren
die Fischweiher ausgefüllt und in Wiesen und Aecker verwandelt worden,
die äussern Vorwerke , die Wolle «od Grüben, welche die Veste ringsum
um n □ l\ a n c in/? nein vaha aIiw im/likn iins~l j i < _ . I ) 1 . 4 1 . _ 1 . ^ Wqii/I ornrd j _ \.i
umj*nut*n, pinu nun verscn™ uikicu una (icni diickg uc» tTanuercrs mim
mehr erreichbar, wohl aber dem Pfluge dienstbar geworden; nur die ei-
gentliche Burg ragt in ihren Ruinen noch Uber dem Bergkegel hervor,
dessen oberste Flüche sie krönt, vielfach verschlungen mit Gebüsch, mit
Baumwerk und Gestrüpp , das dem Ganzen ein eben so romantisches als
molanr finlicrh a« AncaliPii oihf iinrl Hon fl n«jn mm \ tt i n rt rnrlf rlit*cpp Trümm*»r
lU CIOI1 V II vFI 13 v II vj /\IlaCHCII kiUI UUU UCU VI 18 U III III l v I II U I Uvlt UIvBCi 1 I UHIlUCt
vergangener Zeit nur zu erhöhen vermag. Im Interesse der Wissenschaft
würe freilich Aufrüumung des angehäuften Schuttes, Entfernung des sin-
rnnrlpn RilCrhu'Arl; o*a K o c n n r I o r ^ Aac in /lia Moiiorn hin Ain rrAWnphennPn Clt*
I CIIUCII DU 9vll TT CrtlC9^ UOSUIlUCl 9 UC9 lU UIU JII all CI II UtllCIlJg v Vt il ^ II? Cll Cll uc*
»trüppes zu wünschen, weil es nur dann, wenn die Hauern mögliehst
blosgelegt und die einzelnen Bestandteile des Ganten, sowie ihre Ver-
bindung und Beziehung zu einander erkennbar sind, möglich werden wird,
die Bauart näher in untersuchen und ans der Beschaffenheit des Baues,
der einzelnen Theile wie des Ganzen, diejenigen geschichtlichen Folge—
...... •k»nl»i#A*» w.|.La ,i: _ Jnn|.fl|. PmwifiAm Am— frii |,arnn Tskrtimi
luugav Buiuiriicii, vtciviiu in uic uuimeio r onuuc ucr iruucrcu jaurnuu—
derte einiges Licht tn werfen und so den Mangel schriftlicher Quellen
zu ersetzen vermögen. Möge dazu diese gründliche und verdien st liebe
Schrift den weitern Anstoss geben; der ehrwürdige Verfasser derselben
nhor fnrtfuKiran nno Aom rainhan Crliil?« ci'inor KnrcrJi nnrran nnc
auvw ivitivnivH, aus uciii icivuoii oiuiutD sciuui t uiiiuuii^cii uua tut»
ähnlichen Mitthcilungon zu erfreuen ; zunächst dürfte es wohl die Geschichte
der nahen, im sechzehnten Jahrhundert während des Bauernkrieges zer-
störten Burg Land eck und ihrer Besitzer, des im ganzen Breisgau einst so
ausgebreiteten, mit den Markgrafen von Baden in vielfachem Verkehr ste-
henden Geschlechts der S newelin sein, welche wir von seiner Hand
um so eher zu erwarten haben, als er seit Jahren mit ausgebreiteten,
darauf bezüglichen Forschungen beschäftigt ist.
* iir. nnnr.
i
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Smith: Ueber den Sbhiffbau im Alterthum, von Thierse!*, m
Ueber den Schiffbau der Griechen und Römer im Alterthum. Eine an-
tiquarische Abhandlung um James Smith. Aus dem Englischen
lung. 1851. 53 S. in gr. 8.
Bei dem Dunkel, das Uber unsere Kunde des] alten Seewesens in
so manchen Beziehungen im Einzelnen noch obwaltet, kann es nur dank-
bar anerkannt werden, dass eine Abhandlung, wie die vorliegende, auch
auf deutschen Bodeo verpflanzt worden ist, was sie gewiss verdiente. Der
englische Verfasser, beschäftigt mit einer Untersuchung über den in der
Apostelgeschichte cp. 27. 28. beschriebeneu Schiffbruch des Apostels Pau-
las, ward in seinem Bestreben, Alles, was nur einigermassen zur Aufhel-
lung und Erklärung dieser Sache dienen konnte, herbeizuziehen und Nicht*
unbeachtet zu lassen, was aus alter wie neuer Zeit zu ermitteln war, auch
auf eine Untersuchung über die Beschaffenheit und den Bau der alten
Schiffe, ihre einzelne Bestandteile u. s. w. geführt, indem eben Einzel-
nes davon bei der Erzählung jenes Schiffbruches zur Sprache kommt. Er
studirte zu diesem Zwecke mit aller Sorgfalt die Werke des Alterthums,
and stellte die auf diesem Wege erhobenen Nachrichten mit dem zusam-
men , was die bildlichen Denkmale des Alterthums, die Manzen, die Werk»
der Kunsl (Reliefs]) über diesen Gegenstand bieten ; er schiffte selbst viele
Jahre auf der See herum, und zog über jeden einzelnen Punkt die Man-
ner vom Fach, die erfahrnen Seeleute, zu Rathe, und gelangte auf diesem
eben so gelehrten, wie praktischen Wege allerdings zu Ergebnissen, wie
sie vor ihm keiner der Gelehrten gewinuen konnte, welche diesem Ge-
genstand ihre Aufmerksamkeit mehr oder minder geschenkt haben. Diese
Ergebnisse einer wohl dreissigjührigen Forschung legte er dann in einer
Abhandlung nieder, welche unter der Aufscrift: On the sbips of the An-
cients, einen integrirenden Theil des grössern Werkes bildet, das die
Gesammtresultate eiuer, dem oben erwähnten biblischen Gegenstande zu-
gewendeten Forschung enthält und in der That auch im Ganzen eine
deutsche Uebertragung verdiente , wie sie hier der oben genannten Ab-
handlung über die Schiffe der Alten im Besondern zu Theil geworden
4
ist. Denn wir glauben, dass der gelehrte Theolog, auch abgesehen von
dem, was im dritten Abschnitt (S. 203 ff.} des grössern Werkes, dessen
Titel wir in der Note beifügen*), über die Quellen des Lucas, und was
*) The voyagc and shipwreck of St. Paul, with dissertations on the sour-
ces of the writiogs of St. Luce and the ships and navigatton of the ancienta.
By James Smith, Esq. of Jordanhill etc. London 1848. 8. bey Longmau, Brown
830 Smith: Ueber den Schiffbau im Allerthum, von Thiersch:
im ersten Uber Leben and Schriften des Evangelisten Lucas (S. i — 18)
enthalten ist, namentlich der Exeget gar Manches zur Abklärung der
Seereisen und Seeabentheuer des Apostels und zum besseren Verständnisse
der einschlägigen Berichte der Bibel finden wird, die hier eine so um-
fassende Erörterung und Besprechung nach allen Seiten und Richtungen
hin erhalten.
Der Verfasser war vor Allem bedacht, durch seine Abhandlung uns
eine klare Anschauung von der Beschaffenheit und dem Bau eines alten
Schiffes zu verschaffen, und hier insbesondere auch auf die Verschieden-
heit aufmerksam zu machen, welche der Bau eines alten und eines mo-
dernen Schiffes erkennen lüsst. Er untersucht daher zuerst die Aussenseilen
des Baues, die Länge und Breite, weil hier gerade jene Differenz ganz
besonders hervortritt, er bespricht die Anlage des Steuers, er geht dann
Ober zu der Ausrüstung eines Schiffes mit Hasten und Segeln, mit Ankern
und Hypozomen (wo der Verfasser sogar zeigt, wie selbst noch jetzt
in besondern Fällen ein solches Umgürten der Schiffe, wie es mit diesem
Ausdrucke bezeichnet wird, stattfindet S. 28 — 33) ; er knüpft daran ei-
nige Bemerkungen über die Art des Segeins, und über die Schnelligkeit
der Fahrten im Alterthnm ungeachtet der im Ganzen doch nur unvoll-
kommnen Ausstattung mit Segeln; dann kommt (S. 36 ff.) die innere
Einrichtung des Schiffes für die Ruderer zur Sprache, die allerdings manche
Schwierigkeiten bietet, die der Verfasser milteist technischer Kunde und
praktischer Uebung zu lösen versucht hat, da die in alten Schriftstellern
darüber enthaltenen Notizen so weoig wie die Bildwerke ausreichen, um
genügenden Aufschluss Uber Alles zu geben. Und doch wird für den
Alterthumsforscher gerade dieser, die Triremen und das Kriegswesen
betreffende Punkt mit einer der wichtigsten, wessbalb die hier gegebenen,
durch bildliche Darstellungen (Abdrücken von Münzen) erläuterten Auf-
schlüsse ganz erwünscht sind. Die Uebersetzung ist durchweg reiu, das
Ganze liest sich auch im deutschen Gewände recht gut. Eben so befrie-
digend ist die äussere Ausstattung.
Chr. Bühr.
Green oud Longmans. Hier findet sich die Abhandlung über die Schifte der Al-
len d. 140 - 202.
♦ •i .<!.'!. ^ *.;.» "i ... . . ' l: .. . .i « • 1 .ii ' •
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Nr. 53. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Kirche in ihren Liedern durch alle Jahrhunderte. Von Johann
Friedrich Heinrich Schlosser. Erster Band. Mit etnetn
radirten Blatt nach Eduard Steinte. Mainz. Verlag von Kirchheim
und Schott. 1851. 438 S. in gr. 8.
Wenn auch die gesammte christliche Kunst aus dem Kultus hervor-
gegangen ist und fortwährend dort den sichersten Grund und die höchste
Weihe eines gedeihlichen uud würdigen Lebens zu suchen hat, so ist
doch Poesie und Gesang die älteste und allgemeinste Begleiterin des ehrist-
liehen Kultus. Ehe noch die christlichen Basiliken sich erhoben, ehe noch
die Malerei und Plastik die heilige Geschichte in Bildern darstellte, er-
tönten in den Versammlungen der Christen Psalmen und Hymnen. Welche
Fülle von tiefen Gedanken, von innigen Empfindungen, von schöpferischer
Phantasie quillt in diesem reichen Strome von Liedern, der durch so
viele Jahrhunderte und durch so viele Völker sich bis jetzt ergossen hat.
Darunter nehmen für uns die Hymnen frühester Jahrhunderte der abend-
ländischen Kirche, wie der Zeit so dem Werthe nach, die erste Stelle ein.
Die grossartige Einfacheit, die Wahrheit der Empfindung, der dogmatische
Vollgehalt des lateinischen Kirchenliedes werden diese ehrwürdigen Denk-
mäler des christlichen Altertbums für jeden Bekenner des Christenthums,
so wio für jeden unbefangenen und tiefer eindringenden Freund der Poesie
und Literatur stets als einen Gegenstand des höchsten Interesse darstellen.
Der grösste Theil jener Hymnen bildete während eines Jahrtausend und
lunger einen Haupttheil der Liturgie der gesammten abendländischen Kirche;
sie ertönten in einträchtigem, alle Nationen umfassenden Chore während
einer so langen Reihe von Jahrhunderten in den Basiliken und Domen der
Christenheit, ohne jedoch das nationelle Kirchenlied in den Laudesspra-
chen feindselig auszuschliessen , wie die deutschen Kirchenlieder aus der
Zeit vor der Kirchentrennung beweisen (s. Hoff mann Geschichte des
deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit. Breslau 1832). Aber auch
nach der Kirchentrennung wurden lauge Zeit hindurch noch einzelne je-
ner lateinischen Kirchengesänge aus dem früher gemeinsamen Schatze fort-
während in den protestantischen Kirchen gesungen, worüber Daniel an
mehreren Stellen des Thesaurus hymnologicus die Nachweisungen gibt (Tom.
n. p. 60. 99.274. 295.); andere wurden in das Deutsche übersetzt und
gingen in dieser Form in den protestantischen Kirchengesang über. In
XLIY. Jahrg. 6. Doppelheft. 53
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83» Schlosser: Die Kirche in ihren Liedern.
*
der «Ken Kirche blieben die lateinischen Hymnen in den liturgischen Bü-
chern und in dem Brevier enthalten in fortwährenden kirchlichen Ge-
brauch; doch gerade bei uns in Deutschland wurden bei dem öffentlichen
Gottesdienste viele derselben durch neue Lieder verdrängt, so wie ja auch
die alten liturgischen Kirchengebete in den für den Gebrauch der Laien
bestimmten Gebetbüchern fast allgemein neugemachten Gebeten dea näch-
sten besten Verfassers w eichen mussten. Hätte man in Deutschland, wie
sonst in allen übrigen Ländern bei den Katholiken geschieht, den Gebet-
büchern fortwährend zum Inhalt die kirchliche Liturgie mit eiuer daneben
stehenden Uebersetzung in der Landessprache gegeben, so wäre für die
Erbauung besser gesorgt worden und die durch Alter und innern Werth
so ausgezeichneten Gebete und Gesänge der lateinischen Liturgie wären
nicht so Vielen entfremdet worden. Wenn in neuerer Zeil, wie hinsicht-
lich der Architektur, Malerei und Musik eine richtigere Würdigung der
Kunst der christlichen Vorzeit und des Mittelalters eingetreten ist, nun
auch immer mehr dasselbe in Beziehung auf das alte Kirchenlied statt-
findet, so lässt es sich nicht läugnen, dass die Katholiken in Deutschland,
welche doch die nächste Veranlassung und Verpflichtung halten, jene allen
Schätze zu bewahren und zu gemessen, die Anregung zur Rückkehr auf
den bessern Weg zu einem nicht geringen Theile ihren protestantischen
Mitchristen verdanken, und dass sich hier in manchen Kreisen ein lebhaf-
teres Interesse für jene kirchlichen Denkmäler zeigte, als unter den Mit-
gliedern der alten Kirche, so wie es denn eine häufige Erscheinung ist,
dass man den eignen, althergebrachten Besitz eines Gutes oft nicht zu
schätzen weiss, bis man von Andern darauf aufmerksam gemacht wird.
Ram b ach' s Anthologie christlicher Gesänge (Altona 1817) und Daniel"»
Thesaurus hymnologicus (llalis 1841) haben in dieser Beziehung ein gros-
ses Verdienst. Einer von katholischer Seile ausgehenden kleinen Sammlung
gleichen Inhalts, die zum Besten der studirenden Jugend von K e h r e i n
veranstaltet wurde (Lateinische Anthologie aus den christlichen Dichtem
dea Mittelalters, für Gymnasien und Lyceen. Frankfurt 1840), wäre darum
in ihrem Kreise mehr Verbreitung zu wünschen als sie gefunden zu he-
ben scheint. Aber freilich, während der protestantische Theologe Daniel
dieses Unternehmen, wodurch die Kenntniss der Kirchenhymnen an katho-
lischen Gymnasien befördert werden soll, lobt und ihm recht herzlich ei-
nen guten Erfolg wünscht (Tom. I. Praef. p. XXIII.) , weise der Schrei-
ber dieser Zeilen aus eigener Erfahrung, dass ein Versuch für denselben
Zweck an den katholischen Gymnasien unsers badischen Heimellandes Et-
was zu thun, bei Einigen unserer aufgeklärten Katholiken auf grosse Hin-
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Schlosser: Die Kirche in ihren Liedern.
833
dernisse stiess. Wie dem nun auch sei, es steht fest, da» das altcbrist-
licbe Kirchenlied ein gemeinsames Gut aller christlichen Confessionen ist;
das» es einen Theil des Bandes ausmacht, welches die wenn auch Ge-
trennten noch vereinigt; dass es einen gefriedeten Raum bildet, in wei-
chem wohlgesinnte und friedlich gesinnte Muuuer beider Theile sich die
Hand reichen können.
Von solchen Grundsätzen ausgehend würden wir das Erscheinen des
vorliegenden Werkes, welches das katholische Kirchenlied durch alle Jahr-
hunderte in seinen schönsten Erzeugnissen umfasst, mit reiner und voller
Freude begrüben, wenn nicht die Trauer Uber das Hinscheiden des treu-
lichen Verfassers mit diesem Gefühle der Freude sich vereinigte. Wenn
irgead Jemand in Deutschland, so war vorzugsweise Friedrich Schlos-
ser befähigt und berufen zu einem solchen Unternehmen. Inniges und
tiefes Gefühl christlicher Frömmigkeit, Verständuiss und Liebe des Geistes
der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen, eine gediegen allgemein
wissenschaftliche Bildung und geuug lueologiKhe Kenntnisse, um des Sinn
des Kirchenliedes richtig: aufzufassen und in dem besten Ausdrucke wie-
der zu gehen, ein nicht gewöhnliches poetisches Talent, eine seltne Ge-
wandtheit in der Sprache und im Versbau, ein reiner und sicherer Ge-
schmack, — diese Eigenschaften werden sich nicht leicht in dem Maasse
mit einander vereinigt finden, wie sie in Schlosser vereinigt waren. Ge-r
ride diese Eigenschaften zusammen sind aber nuth wendig, um aus dem
reichen Schatze des katholischen Kirchenliedes das ßeste auszuwählen und
in der besten Form wiederzugeben. Dazu kam nun noch bei diesem Unter-
nehmen Schlosse r"s der unermüdliche gelehrte Fleise und die Reife
der Zeit. Wie wir aue dem Vorworte erfahren, welches dem Vernehmen
Dach von einem hochwttrdigen Mitglied* des Seeyrer DomcapUel» herrührt
oad das Werk auf eine würdige Weise einführt, so geht die älteste Ue-
bertragung dieser Sammlung, die Ue bei trug ung des Stabat mater in das
Jiar 1802 zurück, wo der damals noch jugendliohe Verlasser an der
Ittvereiftat Jene den Stadien oblag. Wie dieses Stück wiederholt über*
arbeitet wurde, so findet sieh auch unter den übrigen Stacken kaum ei-
nes, welches von dem Verfasser nicht wiederholt verbessert und durch-
gesehen worden wäre. Seine letzten Arbeiten auf diesem Gebiete reichen
** in die jüngsten Jahre herab. So begleiteten diese hohem Harfentöne
den trefflichen Mann fast ein halbes Jahrhundert lang durch das Leben,
nnd was er davon mit Liebe, Verständuiss und Kunstfertigkeit auffasste
»od wiedergab, bildet in religiöser, kirchlicher und literarischer Beziehung
einen bleibenden, reichen und reinen Schatz der Erbauung, Belehrung»
53*
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834
Schlosser! Die Kirche in ihren Liedern.
des Genusses für Andere und dai schönste Denkmal für den Dahinge-
Der vorliegende erste Band des Werkes begreift die Inte
Kirchenlieder von der frühesten Zeit an bis in das XVII. Jahrhundert,
Torzugsweise solche, welche in den liturgischen Büchern und in dem Bre-
vier enthalten sind, aber auch andere; das Ganze ist in fünf Bücher ein-
geteilt. Das I. Buch enthalt Lieder aus den sechs ersten Jahrhunderten,
von Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Prudentius u. A. Das zweit« Bach
begreift die folgenden Jahrhunderte bis zu dem elften; das dritte Bach
das zwölfte und dreizehnte; das vierte Buch das fünfzehnte; das fünfte
Bnch das sechzehnte und siebenzehnte Jahrhundert. Anf die Uebers
dieser Lieder folgt als Anhang die Uebersetzung der doxologischen
verse der im römischen Brevier enthaltenen Hymnen. Die nacl
Anbange gegebenen Noten enthalten die Angabe der Quellen, wo der
lateinische Text der Hymnen zu finden ist, Hinweisungen auf die Samm-
lungen von Hombach und Daniel und andere literarhistorische Nachwei-
sungen. Den Schluss des Ganzen bilden drei genaue Register: 1) In-
haltsverzeichnis der deutschen Uebersetzung, 2) Verzeichnis der lateini-
schen hier übersetzten Lieder nach den Anfangsworten alphabetisch ge-
ordnet, 3) Verzeichniss der Hymnen, zu welchen die doxologischen Schluss*
verse gehören, gleichfalls nach den Anfangsworten.
Die Uebersetzung der ältesten Hymnen (vom IV. bis VL
dert) gibt ganz jene ruhige einfache, aber in dieser ihrer Einfachheit
so wirkungsvolle Weise wieder, welche wir in jenen herrlichen Liedern
auf die verschiedenen Tagszeiten, auf die Feste und zur Verherrlichung
der Märtyrer finden. Die rhythmische Form ist treu nachgebildet, nur im
G g b r 3 u c Li c des Reimes ^ der in (Jen 0 r i ^ i n o 1 c o Dieb \ immer regelmässig c i o
halten ist, wird die durch unser Gefühl im Deutschen verlangte bessere Regel-
mässigkeit angewendet. Es ist keine leichte Aufgabe, die prägnante Kürze
der lateinischen Verse einigermassen im Deutschen ohne fremdartige Hirte
wiederzugeben: der Verfasser bat dieses mit grosser Virtuosität erreicht;
fast ein jedes Stück dieses ersten Buches könnte als Beispiel dafür an-
geführt werden. Von gleichem Charakter sind auch noch viele Hymnen
des zweiten Buches. Als Probe der Behandlung des Verfassers mag hier
seine Uebersetzung des berühmten und vielgesungenen Pfiugsthymnus ste-
hen, mit dem Original zur Seite, welches man Karl dem Grossen zuschreibt :
Komm, Schöpfer Geist, kehr' in uns ein. Veni , creator Spiritus ,
Der Deinen Herzen harren dein: Meotes tuorum visita,
Füll' an mit lichter Gnaden Strahl Imple supernä gratia
Die Seelen, die du schufst, zumal. Quae tu cre&sii pectora.
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Schlosser: Die Kirche in ihren Liedern.
Dich preisen wir, o Tröster Werth,
Dich, den ans Gottes Huld bescheert,
Lebend' ger Born, Feu'r, Liebe, dich,
Und Geistes Salbung krafiiglich.
«
Du siebenfält'ger Gaben Pfand
Da Finger an des Vaters Hand,
Von Gott verbeiss'ner Gnadenhort,
Da schenkst der Zunge Flammenwort.
Sinn' erleucht mit lichtem Schein,
Geass Lieb' in unsre Herzen ein:
Wann unser müder Leib erschlafft,
Stark' uns mit deiner ew'gen Krad.
Des Feindes Grimm scheuch von uns weit,
Und schenk' ans Fried' in aller Zeit:
0 leit* uns stets auf rechtem Pfad,
0 schätz uns, wann Gefahr uns naht.
*
Den Vater auf dem ew'gen Thron
Lehr uns erkennen, und den Sohn:
Geist, der aus beiden strömt, an dich
Glaub' unser Herz beständiglich.
Preis sei dem Vater unserm Gott,
Dem Sieger auch von Grab und Tod,
Dem Sohn, und ihm, der Trost verleiht,
Dem hcilgon Geist, in Ewigkeit
Qui Paracletos diceris,
Donum Dei altissimi,
Fons vivus, ignis,
Et spiritalis unctio.
To septiformis tnunere,
Dextrae Dei lu digitus,
Tu rite promissam Patris,
Sermone ditaos gnltura.
Accende lumen ^».u»,
Infunde amorem cordibus,
In firm a nostri corporis
Virtute firmans perpeti.
Hostem repellas longiüs,
Pacemque dones protinüs ;
Ductore sie te praevio,
Yitemus omne noxium.
Per te sciamus da Patrem,
Noscamus atque Filium;
Te utriusque Spiritum
Credamus omni tempore.
Sit laus Patri, laus Ftlio,
Par sit tibi laus, Spiritus.
Aftlante quo mentes sacris
Lucent et ardent ignibus.
Eine reichere Entfaltung in Gedanken, im Ausdruck und im Reim
zeigen die Kirchenlieder des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, und
eben dadurch für den Uebersetzer entsprechende Schwierigkeiten. Unter
der Auswahl ans dieser Zeit stehen in dem dritten Boche die Lieder des
■
heiligen Thomas von Aquin voran, und es gehören ferner hierher jene
am allgemeinsten und auch ausser den kirchlichen Kreisen berühmten zwei
Sequenzen: Slab.it mater dolorosa und Dies irae, dies i IIa. Um auch von
dieser Gattung und von der Virtuosität des Verfassers im Ueberwinden
dieser Schwierigkeiten eine Probe zu geben, mag vergönnt sein, von
dem jetzt noch fortwährend in den katholischen Kirchen ertönenden Ge-
lange: Pauge lingua des Thomas von Aquin, die erste Strophe nebst
den zwei letzten Strophen hier beizusetzen:
Künd', o Zunge, des verklärten
Frohnleichnams Mysterium,
Und des Bluts, des hoch lc wahrten
Das zur Wellentsöodigung
Gab die Fracht des unversehrten
i, der Völker Heil und Ruhm.
Fange, lingua gloriosi
Corporis mysterium ,
Sanguinisque pretiosi,
Quem in mundi pretium
Frnctus ventris generosi
Rex eftundit gentium.
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838 Schlosser; D16 Kirche m ihren Liedern.
Solch erhabnes Bundeszeichen Tantum erge Sacr
Beten wir mit Ehrfurcht an: Veneremur cermii,
Und der alte Brauch muss weichen, Et antiquum docum
Da der neue Brauch begann, Pimo cedat ritui:
Wo die Sinne zagend schweigen, Praestet Ii de» supp
Steigt der Glaube himmelan. Sensuum defectui.
Preia dem Vater und dem Sohne, Genitori, genitoque
Preis and ateter Jubelsang: Lau et jubiiatio;
Heil und Ehre schall' zum Throne, Salus, honor, virtus
Lob und Segens - Wonncklnng : Sit et benedictio;
Auch den Geist in gleichem Tone Procedenti ab utroque
Singe unser Hochgesang. Amen. Compar sit laudatio.
Der hier gegebenen Uebersetzung des Dies irae liegt die Schlegel-
sche Uebersetzung uim Gruode, welche demnach dem Verfasser unter den
acht und fünfzig deutschen Ueberselzungen, welche Lisko (Dies irae, Hym-
nus auf das Weltgericht, herausgegeben von Lisko. Berlin 1840) und
Daniel (T. II. p. 128) aufzählen, als die beste erschien. Von dem Sta-
bat mater gibt er eine eigene und neue Uebersetzung, welche sich aa
die besten unter den von Lisko (Stabat mater, Hymnus auf die Schmer-
zen der Maria. Berlin 1843) aufgezählten drei und achtzig Ueberselzon-
gen würdig anreiht. Wir besorgten eine zu grosse Ausdehnung unserer
Anzeige, wenn wir als Probe, mit welchem Glücke die Schwierig-
keiten der häutigen Doppelreime innerhalb der Zeilen in diesem durch
seinen Inhalt und Ausdruck mit Recht bewunderten Stücke überwunden
sind, die Uebcrsetzung dieses oder andrer ähnlicher Hymnen hier mittheil-
ten. Eine andere Klasse der metrischen Form nach bilden diejenigen
kirchlichen lateinischen Hymnen, welche ohne Reim in antiken Versmaas-
sen (meistens dem sapphiseben und asklepiadeiscben) abgefasst sind. Der
Verfasser hat es für angemessen gehalten, sie in jambische gereimte Strophen
Ton gleich viel Versen umzugestalten. Aber auch in dieser Umgestaltung
finden wir dieselbe Wahrheit und Treue der Auffassung, Schönheit des
Ausdruck? und dieselbe Kunstfertigkeit der Ausführung.
Auf dem Umschlage des schön ausgestatteten Buches, dessen Titel
ein nach einer trefflichen Zeichnung Steinlc's von Bucher radirtes
Bild (David die Harfe spielend) ziert, wird die Notiz mitgetheilt, dass
dem zweiten Bande ein Charakterbild des Verfassers von Herrn Geistlichen
Rath Beda Weber zu Frankfurt und ein Portrait des Verfassers nach
einem Gemälde des Herrn von Strahlendorf, radirt von Bucher,
beigefügt werden wird.
So hat die treue und liebende Hand, welche das Werk veröffent-
lichen liess, nicht blos dem theuern Hingeschiedenen das würdigste und
dauerndste Denkmal gegründet, sondern sich auch zugleich ein grosses
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837
Verdienst om die bessere Kenntniss und Verbreitung des Kirchenliedes
und der christlichen Poesie erworben. Denn wer fortsn in diese geweihten
Räume eingeführt werden will, kann keinen treuem und bessern Führer
finden, als dieses Werk ist. Bell.
1. Achtzehnte Publikation des literarischen Vereins in Stuttgart. (Fünfter
Jahrgang, erste Publikation) enthaltend: Konrads ron Weinsberg>
des Reichserbkämmerers Einnahmen- und Ausgabenregister, her-
ausgegeben ton J. Albrecht. Tübingen 1850. VIII u. 95 S. 8.
IL Neunzehnte Publikation des literarischen Vereins in Stuttgart. (Fünfter
Jahrgang, zweite Publikation) enthaltend: Das habsburg-österrei-
chische Urbarbuch, herausgegeben ton Dr. Franz Pfeiffer.
Tübingen 1850. XXVIII u. 404 S. 8.
Es kann bei der Anzeige voranstehender Veröffentlichungen des Ref.
Absicht nicht sein , über das wissenschaftliche Unternehmen, von welchem
sie einen Theil bilden, sieb überhaupt zu verbreiten, er setzt dasselbe als
bekannt und durch das Bedürfniss hinlänglich gerechtfertigt voraus. Was
hinsichtlich der urkundlichen Forschung Schwabens Mone's „Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins" ist, das sollen für alle Zweige des
Wissens diese Veröffentlichungen der Hinterlassenschaft früherer Jahrhun-
derte durch den Stuttgarter Verein mittelst der wissenschaftlichen und
öcODomischen Betheiligung seiner Mitglieder bewirken.
Die vorliegenden Hefte der Sammlung wurden vom Ref. zur An-
zeige gewühlt, weil sie einen wesentlichen Beitrag nicht bloss zur sprach-
lichen Forschung, sondern auch ebenso zur äussern, als Sittengeschichte
SQddeutschlands darbieten.
Das letztere ist denn vorzüglich bei'm erst genannten Werke der
Fall, dessen Heransgeber, der F. Hohenlotfsche Archivar Albrecbt, den
Lesern dieser Jahrbücher als Verfasser der Münzgeschiohte des genannten
Fürstenhauses ehrenvoll bekannt ist Die vor uns liegende Arbeit ist nun
zwar weder von dem Umfange noch der Anstrengung, wie die so eben
erwähnte, da dem diplomatisch treuen Abdrucke seiner Handschrift der
Verfasser nur kurze Bemerkungen theils sprachlichen, theils sachlichen
Inhalts beizufügen hatte, um das VerstBndniss des Textes zu erleichtern-,
deonoch aber ist sie keineswegs von geringerm Verdienste, denn sie gibt
nicht nur zu mannigfach anregenden Vergleicbungen mit der Gegenwart
Veranlassung, sondern verschafft uns Uberhaupt die lebendigste Anschauung
der damaligen Lebensverhältnisse, des Geldwerths, der Preise, Ziusverbältnisse
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$98 Publikationen des literarischen Vereins.
u . s. f. | deren Ergebnisse u. A. in der Einleitung (S. VI — V ITH über-
sichtlich dargestellt sind. Aber auch zu einer grossartigern Auffassung
jener Zeit und ihrer Verhältnisse ßndet man in der Aufzahlung des Lehens-
and Dienstadels des Reichserbkümmerers, in der Aufzählung seiner diplo-
matischen Reisen für den Kaiser sowohl, als die rheinischen und fränki-
sehen Bischöfe reichlichen Stoff.
Ref. kann dieses natürlicherweise nur andeuten und muss den Leser
auf die Schrift selbst verweisen. Doch in einem Punkte kann er sich nicht
enthalten, eine Parallele zu ziehen. Bekanntlich wurde der Entdeckung
von Amerika stets ein starkes und plötzliches Sinken des Geldwertes,
folgerichtig also eine Preiserhöhung aller Bedürfnisse zugeschrieben. Ref.
bat nun gerade in diesem Ausgabcnbuche die bemerkenswerte Erschei-
nung gefunden, dass im Jahre 1437 Conrad von Weiusberg unter ähn-
lichen Verhältnissen fast eben so grosse Aufgaben machen musste, als m
Ende jenes Jahrhunderts Graf Wolfgang von FUrstenberg, geh. Rath Kai-
ser Maximilians und Begleiter Philipp des Schönen nach Spanien, auf seine
Hofhaltung und Bedürfnisse verwendete. Diess .dem Leser anschaulich zu
machen, stellt Ref. einen Jahrgang der Einnahmen und Ausgaben beider
Herrn nebeneinander.
Conrad v. Weiusberg nimmt nach der Specifikation in S. 6
bis 28 der angez. Schrift im Jahre 1437 ans den Anlehen vom Abte
von Schönthnl, von Berngar von Berlichingen, vom Bischöfe von Passau,
von Caspar von Schlatt, Gerhard von Thalheim, Hans von Gemmingen,
ferner aus dem Erlös von verkauftem Vieh, aus der Judensteuer, aus zu-
rückbezahlten Vorschüssen im Ganzen die Summe von 8247 '/2 Gulden ein.
Seine Ausgabe dagegen für Haushaltung, Löhne, Kleider, Waffen, Schmuck,
Reisen, Zinse belauft sich auf 8714 Gulden.
Vergleichen wir damit eine Stelle aus dem s. g. Kinzigthaler Lagerbuch,
geführt von Michael Speiser, Sekretär des Grafen Wolfgang von FUrsten-
berg, Handschrift des FF. Archivcs zu Donaueschingen.
: Hier ßnden wir folgende Darstellung der öconomisoben Verhaltnisse
des Grafen vom Jahre 1500.
Dieser Herr hatte in der Abtheilung mit seinen Vettern 1498 die
Herrschaften im Kinzigthale — einen grossen Theil der Grossh. Bez. Aera-
ter Wolfach und Haslach, die Hälfte des Prechthals und das Amt Neustadt
auf dem Schwarzwalde erhalten, und zwar mit den darauf lastenden Schul-
den, deren Zinse und Gülten jährlich 929 Gulden betrugen. Das Einkommen
derselben bestund in directen Abgaben, Zoll, Zins, Fischwasser vom Kinziglbal
1050 Golden; vom Prechthal circa 54 Gulden und 250 Pf. Fische, von Neustadt
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Publikationen des literarischen Vereins. 839
circa 300 Gulden. Hierunter war nicht inbegriffen der Ertrag der Wälder, des
Wildes, der Viehzucht, der selbst gebauten Schlossgüter, die Sterbfälle, die bei
der damals noch bestehenden Drittelspflichtigkeil zu einer beträchtlichen Summe
ansteigen, aber in manchen Jahren auch ganz ausbleiben konnten. Diese sammt
den Frohnden, welche meist in Frohnholzabgabe für die Schlösser umgewandelt
waren, dienten zur Bestreitung der Haushaltung und Besoldung der Beamten, die
grösstenteils in Naturalien verabfolgt wurde. Dieselbe zu 1000 Gulden ange-
schlagen, beträgt dieGesammteinnahme der Herrschaft höchstens 5000 Guides.
Dagegen beliefen sich die ßaarauslagen, meistens aus Aulehen ge-
schöpft, weil sie theils zur Erwerbung von Grundstock vermögen dienten,
theils als Vorschüsse an den Kaiser anzusehen sind, im genannten Jahre
auf 6720 Gulden, die auf folgende Posten vcrtheilt sind, mit beigefügter
Verwendung: 140 fl. vom Abt zu Alpirsbach „zum ersten ritt zum Kö-
nig und enoz mer (itcr transmarinum uach Spanien): 310 von OiTenburg
„Sollich gelt fuort min her an k. ho f in der mainung mit K. N. gen wien
zu ziehen und mer dazu"; 1000 fl. von Erhard wurmser in Strasburg,
wovon 600 11. an seinen Sohn, Graf Wilhelm nach Augsburg verausgabt,
200 fl. für einen Wechsel von ebendaher, 200 11 an Gangolf von Ge-
roldseck zur Ablösung des Pfandrechts an erkauften Grundbesitz; 1000 fl.
von Spilmauu in Breisach gegen Unterpfand von Prechthal, Lenzkircb,
Neustadt „Ist von Min herrn Graf Wolfgong an Spilgelt von Mins herrn
Graf Heinrich sei. versprochen zu bezahlen. (Also ein Quasikauf der ge-
nannten schwarzwälderischen Herrschaften von einem kinderlosen Grosso-
heim}; von Strasburg 600 fl. für „Lunsen tuoch, goldsebmid und ander
Rüstung auf den Ritt zum jungen Prinzen nach Niederlande verwendet;
300 fl. von OiTenburg „Uf den Prinzeuntt gen Brabant«; 300 fl. zu
lospruck entlehnt; mehr auf den Ritt nach Geldern zum Prinzen 200 fl.
für eine goldene Kette, die bis Mai ohne Zinsen in natura erstattet wer-
den kann; 780 fl. zum Baue des Schlosses in Wolfach; 1000 fl. „da
Graf Wilhelm die von Vay nahm und min her gen Museiburg und Ellin—
court ritt und fürter in die Niederlanden zum Köuig von Kastilien zum
Zug gen Hispanien;u weitere 700 fl. auf die 3 Städte, wahrscheinlich
zu gleichem Zwecke; 1000 fl., wovon 800 fl. zum Kauf der v. Recken-
bach'scnen Güter im Kinzigthal und 200 fl. „In ein seckel zum Landtag
gen Ensisheim". Rechnet man also die 2580 fl. für Gülererwerb und Bau-
ten von obiger Summe ab, — so bleibt die Ausgaben- Summe 4140 fl.,
welche die Einnahme um einige hundert Gulden übersteigt.
Das Voranstehende mag zur Bestätigung unserer eben ausgespro-
chenen Ansicht genügen; die Vergleichung mit der von Herrn Albrecht
840
Publikationen des literarischen Vereins.
herausgegebenen Schrift wird aber auch auf den ersten Blick zeigen, am
wie viel genauer und sicherer die Angaben Conrads von Weinsberg sind,
und so das Dankenswerte des Herausgebers noch mehr herausstellen.
Das zweite Werk, das Habsburgisch Oesterreichische Urbar ist
nach einer andern Richtung hin höchst anziehend. Es enthält nemlich
nicht nur für die Topographie des jetzt französischen, schweizerischen
oder schwäbischen Theil Alemanniens bedeutende Aufschlüsse, sondern bie-
tet ingleich einen äusserst belehrenden reherblick Ober das Habsburgische
Hausgut zu einer Zeit, da dieses Geschlecht schon nach einem grossen
Theile Deutschlands seine Hand begehrlich ausstreckte. Dieses materielle
Interesse gewinnt aber noch bedeutender durch den Umstand, dass nicht
nur die Guter selbst, sondern gar hanfig die Art ihrer Erwerbung, die
Erhebungsweise der Zinse, die Auflage von Steuern, die Gewobnheits-
Rechte angemerkt sind, wodurch sich das Urbar an manchen Stellen zum
Range eines Weisthums erhebt. Ueber die Art der Herausgabe dieses
wirklich kostbaren Schatzes «rollen wir uns nicht mit der Nachricht be-
gnügen, dass Herrn Pfeiffer die grosse goldene Medaille des Kaiserreiches
zu Theil geworden sei, sondern wir glauben in unserer Anzeige nach-
weisen zu können, dass diese Auszeichnung die Anerkennung eines wirk-
lichen grossen Verdienstes um sprachliche und historische Kenntniss gewesen
sei. Die Vorrede (S. I — XXV) ist umfangreich : sie ist fast eine ei-
gene selbstständige Arbeit, die Geschichte des herausgegebenen Schrift-
Werkes. Wir lernen deraus (S. VIII), dass schon Rudolf von Habsburg,
der eben so umsichtige Gutsbesitzer als kräftige Kaiser, den Plan der
Abfassung des Urbars fasste und es durch seinen Protonotar Burkbart von
Frikke meist an Ort und Stelle aufnehmen lies». Es ist dabei vom Herrn
Herausgeber mit Recht auf die wahrhaft königliche Weise aufmerksam
gemacht worden , in welcher König Rudolph nicht nur einen Mann mit
dieser Arbeit betrauen konnte, dessen Freisinnigkeit er kennen musste,
sondern auch dessen Bemerkungen über den unerschwinglichen Steuer-
druck, die Härte der Vögte und andere üble Gewohnheiten derselben —
Dinge, die später der Abgrund wurden, in welchem das ursprüngliche
Habsburgische Hausgut verschlungen wurde — hinnahm und der Nachwelt
erhielt. Wir fügen zum Belege nur einige Stellen an: S. 172 beisst es
z. B. : „Die burger von Zur*«? falttt von alter gewonheit nicht mer' geben
ze stiure jerlichs danne X marc Silbers. Sit aber diu heuchaft begonde
koufen lant unde liut, sö hant si als ander der henchaft statte jeriieh
m€r gestiuret denne X murc wan si haut geben in etswie wenigen jaren,
Wie swere es in lag, je des jares XXl/2 marc.tt S. 210 von dem Kelu-
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Publikationen des literarischen Vereins.
841
hof zn Wisnang : „Er hat oach gegeben Ij pfunt eines jöres and beschach
das nie me>, nnde mag onch nihl wol mßr besehenen von der linte tr-
moot.a S. 208: „Ze Weinowe Kl ein hof, .... so den die herschaft
rihfet als si in rihten sol von alter gewonheit, so sol der bof gelten ze
zinse WCC Kese elc „Die hersebaft sol aber den hof rihten alsö. Sie
sol geben uf den hof XXX nutzber Küe HI pfarren etc. . . unde wen die
herachaft den hof vor mengen Ziiten alsd nit gerihtet hat, do beleih
der hof wfleste und ane allen nutz der herschaft. Dö das der vogt ersacB,
dö twang er liute dar ftf unde kam mit den überein, das si, alle die wllo
so der hof nit berihtet we>e als da" vorgeschrieben stAt von jdem hove
geben sollten jerlichs XVHI müt kernen VI maller habern Wintertorer m£s
unde XXX Schill, den." — Beispiele, die sich fast auf jedem Bogen des
Werkes wiederholen, und über die wir ganz wie der Herausgeber or-
theilen: „Sie gereichen dem Fürsten, der die Wahrheit hören nnd dem
Diener, der sie sogen mochte, gleich sehr zur Ehre.44 — Doch geschah
die eigentliche Abfassung des Burkharlischen Urbars, wie S. IX nach-
gewiesen ist, erst von 1303 — 1311 nnter König Albrecht und dessen Söh-
nen. — Ob derselbe auch die obersehwöbischen Aemter selbst aufgenom-
men, ist S. X als zweifelhaft dargestellt. Jedenfalls kann es der Fall
nicht sein bei LV „Diu Rehlunge ze Tengen", die nach der Bemerkung
des Herrn Herausgebers von einer Hand des XV. oder XVI. Jahrhan-
•
derts nachgetragen ist. Diese Herrschaft Thengen kam, wenn wir der
seitherige!! Kunde der badischen Topographien glauben wollten, erst
1522 durch Verkaufshandlnng der Dynasten von Thengen, die zugleich
Grafen von Nellenbnrg waren , an Carl V. oder dessen Bruder Ferdi-
nand von Oesterreich. — Dies ist nun (Seite 236 des Urbars) durch
die bestimmte Angahe wiederlegt: „Dis sind die nutze unde reht die
din herschaft hftt zuo Tengen an liuten und an guote, die konfet sind
umbe herrn Albrcht von Klingenberg die derselbe her Albreht
konfte von junkherren He inrichen von Tenffen.w Nun findet Ref.
von dem zahlreichen Geschlechte von Klingenberg, welches im Hegau,
a A. schon Hohentwiel besoss, in seinen Auszügen nur einen Albert,
der hicher passen könnte, den nemlichen, der 1465 mit seinen Brüdern
Caspar, Heinrich, Wolfgang, deu Mitbesitzern von Hohentwiel, den 28. Jön-
ner zn Biberach durch Herzog Sigismund gegen die Grafen v. Würtem-
berg und Werdenberg und die Ritterschaft voti St. Georgenschild vertra-
gen wurde. (Lichnowsky R. VII 960.) Da derselbe anch das Oeffnungs-
Recht auf Hohentwiel, welches sein Bruder Heinrich und Vetter Eberhart
13. Jan. 1465 an Oesterreich überlassen hatten (Lichnowsky R. VII 958),
Publikationen des literarischen Vereini.
dem Habsburgischen Hause überliest (Schönhut Hohentwiel p. 64) und das
Geschlecht durch die erwähnte würtembergische Fehde sehr herunterge-
kommen war, »o ist sogar wahrscheinlich, dass der Kauf der Herrschaft
Thengen nur ein Scbeinkauf gewesen sei. Nun tnuss aber noch jener Jun-
ker Heinrich von Thengen näher bestimmt werden. Bader (ZeiUchr.
f. Gesch. d. Obcrrb. I. 92) macht Uber die letzten Verbältnisse des Nel-
lenburgischen Geschlechtes, die hier beigeiogen werden müssen, folgende
Angaben: Eberhard des Jüngern weltliche Söhne waren Eberhard und
Wolfram. Letzterer starb ohne Erben. Eberhards Tochter Kunigund,
an Johann von Schwarzenberg vermählt, desgleichen; — so kam die
Landgrafschaft Nellenburg durch seine Schwester Anna Sophia an Freiherrn
Johann von Thengen. Hier muss zuerst berichtigend bemerkt werden,
dass Kunigund von Schwarzenberg 1463 in einer Urkunde Über Auslösung
von Gefällen in Mauenheim den Grafen Johann von Thengen ihren Bruder
nennt (Raisersches Urk. Verz. v. Insbruck); sie ist daher wohl die Tota-
ler des Freiherrn Johann v. Thengen, der vor 1439 starb, weil in die-
sem Jahre 12. April zu Wien seine Söhne Heinrich, Hans und Conrad
mit der von ihrem sei. Vater besessenen Landgrafschaft im Hegau und Madach
belehnt wurden (Lichnowsky Reg. V 4214). Da ferner der Verkauf von
Nellenburg an Erzherzog Sigmund von Hans v. Thengen, sicher Bruder
Heinrichs, 1461 beredet wurde (Lichnowsky VII Reg. 475); — ao
muss unbedingt angenommen werden, dass Heinrich von Thengen 1461
schon gestorben war, der fragliche Kouf zwischen 1439 und 1461 fal-
len. Mit dieser frühen Zeit stimmt auch die Sprache und Rechtschreibung
der S. 236—238 beigebrachten „Rehtunge ze Tengen« gut überein,
obwohl Ref. das Original des Rodels nicht gesehen bat.
Auf die Erörterung über das Alter der Rödel, welche Ref. zu die-
ser grössern Abschweifung benutzte, um zu zeigen, wie Manches in der
badischen Specialgeschichte noch im Argen liege, lässt Herr Pfeiffer S.
XI — XXII eine sehr interessante Geschichte der Rödel und eine Auf-
zählung der in den verschiedensten Händen zerstreuten Bruchstücke fol-
gen, wobei man nur bedauern muss, dass der Gesammtrodel , welcher
nach S. XIV wieder aus schweizerischem Besitz in Oesterreichischen kam,
sich verloren hat.
Auf die Einleitung folgt sodann S. 1-346 der Abdruck der Rö-
del selbst, mit kurzen, kritischen und erklärenden Anmerkungen. Da die
aufgeführten ßesitzthUmer so weit in verschiedener Herren Länder zerstreut
sind, so können wir nur im Allgemeinen die Sorgfalt dankend aner-
kennen, mit welcher der Herausgeber in der Ortsbestimmung verfahren
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Publikationen des literarischen Vereins. 843
ist, einer Sache, die namentlich in der Schweiz bei so oft in ganz an-
dern Cantonen wiederkehrenden gleichen Namen, schwierig genug war.
Um einen Schluss auf das Andere zu erleichtern, will Ref. hier nur aa
den badischen Besitzungen nachweisen, was die Topographie durch die Her-
ausgabe des Werkes gewonnen habe.
Von Sackingen wusste man bisher, dass die Stadt ein Kloster-
lehen der Grafen von Habsburg gewesen (Huhn bad. Lex. S. 950). Hier
lernen wir kennen, dass die Rechte der Grafen von Habsburg an die Stadt
— denn so ist sie schon im Urbar benannt — theils von der Kast-
vogtei, theils vom Landgrafenamt im Prickgau, welcher sich also über den
Rhein herüber erstreckte, herrührten (S. 41), ferner dass das Schult-
heissenamt durch Kauf vom Gescblechte der Wielandingen — deren Erb-
lehen es wahrscheinlich war — an Oesterreich gedieh. Todtmoos
wurde sonst schon 1268 als Pfarrkirche angenommen; hier ersehen wir,
dass es noch 1300 eine blosse Kapelle war (S. 46). Bei W aids-
hat, welches wir hier als ein ursprüngliches Eigen thum der Grafen von
Habsburg erkennen, erfahren wir den Bestand einer alten Kl» ein brücke
(S. 53). Das Dorr Herrischried, welches man als Bestand t heil der
Grafschaft Hauenstein anzusehen gewohnt war (Huhn a. a. 0. S. 547),
erkennen wir als Säckingisches Eigenthum, über welches die Grafen von
Habsburg das Vogtrecht , die Herrn von Wielandingen das Haieramt hal-
ten. Ober- uud Ünter-Alpfen hatte (wie wir S. 51 sehen), freie
Bewohner, die an Habsburg wegen der Gerichtsbarkeit nur Zins und Fast-
nachtshühner bezahlten. K renk in gen, welche Herrschaft vom Freiherrn
Heinrich 1275 an St. Blasien verkauft wird (Gerbert H. N.S.III. 192),
sehen wir hier in Habsburgischem Besitze.
Gailingen, welches in der badischen Topographie in verworre-
ner Weise dem Herrn von Gay! und einem eigenen Adel gehört haben
soll , lernen wir als ein Lehen kennen, welches die Habsburger vom Bis-
thum Konstanz trugen (S. 230). Th engen haben wir oben erwähnt
Nenenhöwen, oder die Herrschaft und Schloss Stetten bei En-
gen, welches die Archivalien des jetzigen Besitzers, des Fürsten von Für-
st enberg, als eine von den Herrn von Höwen an Oesterreich gediehene
und von da an die Grafen von Hohenberg verpfändete Besitzung kennen
(Vergl. meine Forlsetzung der Münclf sehen Geschichte des Hauses Fürsten-
berg IV. 263), finden wir hier als eine ursprüngliche Besitzung der Gra-
fen von Hohenberg, von denen es durch Graf Albrecht (den Minnesänger
vergl. v. Stillfried u. Härcker Ho he nzo II ersehe Forschungen S. 104) an die
Habsburger verkauft wurde (S. 288). „Dia sind nutze und reht, die
844 Publikationen des literarischen Vereins.
diu kerschaft hat an Unten und au guote, die mit der bürg le der Nie-
wen He wen koufet sind umbe greveo Albreht van Heigerluch." Es dürfte
dieser Umstand besondert geeignet sein, die Aufmerksamkeit der Forscher
für Hobenzollersche Genealogie auf die Archivalien dieser Gegend
zu ziehen, zumal die Stiftung des Kloster» St. Margen und jene rätsel-
hafte Stelle der alten St. Georger Annalen: ..Bellum int er dneem (von
/abringen) et Zolrenses. Dax occupavit Castrum Für#leuberga auf Güter*
Külitz ifttips (*&sclilt?ch tes iu der westlichen Rhaf hindeutet J)as& übri*?£OS
die Herrschaft ursprünglich zu Howen geirrte , geht aus den mit dersel-
ben erworbenen Gütern zu Zimmerholz nnd Stetten hervor, welche „an
Sant Martin hörent." Dies aber ist die Pfarrpfründe der Stadt Engen,
die bekanntlich (1370. 10. Jan. Basel) von Herzog Leopold zusammt
„der Burg vormals Iunghewea, jeUt Heweoegg« — bei Möhringen —
an Peter von Hewen wieder als Leben übertragen wurde, nachdem sie
wahrscheinlich von ebendemselben verkauft worden war. Wenigstens schul-
den die Erzherzoge ihm 1398 noch Geld (Lichnowsky IV. Reg. 954.
V. Reg. 263. 2S4. 331. 332. 337). Bei Aach und Badolphsell
erfahren wir S. 290, dass Oesterreich als Vogt des Bislbnms Koostaoi und
der Abtei Reichenau bestimmte Einkünfte hatte, die später erst sich in
eine Art Landeshoheit verwandelten, aus welcher für kurze Zeit (1419
— 1435) Kaiser Sigismand letzlere Stadt unmittelbar an das Reich brachte.
Ref. will seine Anzeige nicht schliefen, ohne durch einige Berich-
tigungen dem Herrn Herausgeber die Aufmerksamkeit nachzuweisen, mit
welcher er seiner mühevollen Arbeit gefolgt iat. S. 45 wird die Sielte.
„Die herst-haft hat in (den bei Wehr erwähnten) dörferr» allen und in
andren dorfern unz uf die Murge iu und ie gerihlel" auf den Flu&s
Murg bei Rastatt bezogen, während es offenbar nur auf einen gleichna-
migen Bach des Dorfe* Murg bei Sackiogen sich bezieben kann.
Schadhusen S. 48 wird — mit Frage — auf Stadenban-
sen bei Lüllingen bezogen ; Ref. möchte es au/ Schadenbirndorf bei
Biradorf beziehen.
Ko b ol t z fk 53 wird mit Zweifel auf Kadolzharg (KadeJbnrg) be-
zogen; — es ist sicher das Dorf Cobleaz, unfern von Waldshut am Zu-
sammenfluss der Aar mit dem Rheine. Zell, eben das. ist gewiss das im
Wiesenthaie, das au Stickingen gehörte, worüber che Habsburger ja die
Schirmvogtci hatten.
Zum Schlüsse läset Herr Pfeiffer (S. 347-367) ein sprachliches
nnd (S. 368-464) ein geographisch - historisches Register folgen. Bs
ist dies eine sehr danken s wer the Arbeit, wie jeder ermessen kann, der
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Publikationen des literarischen Vereint.
845
auch noch dem sorgfältigsteu Studium eines derartigen Werkes bei spa-
lerm Nachschlagen sich in völliger Hathlosigkeit wegen Mangels eines
solchen Registers befunden hat. Auch hier will Ref. nur wenige Be-
merkungen beifügen. S. 347 wird bei balche, „balle, grosse mariine,
weissfelcheu" bemerkt, dass auch kanbalchen und stanbalchen vorkom-
men. Es durften die beiden letztem Arten des gleichen Fisches, des Fei«
chen sein. Auch im Bodensee, der durch seine Felchen berühmt ist, un-
terscheidet man Weissfelchen , Blaufelchen und Sand felchen, und will die
drei Arten dem verschiedenen Alter desselben Fisches zuschreiben.
S. 142 hat der Herr Herausg. einen Zweifel über den dunkeln
Ausdruck: „Der Son hütten git ein Schilling Imperial." Hütten scheint
nach der Zusammenstellung mit „wollen Tuchu, von welchem 6 El-
len 2 Imperial Marktgeld kosten, grobe Decken zu bedeuten (cf. Hui,
Hütte, provinc. Huss = Bettdecke, Kuzze, Kozze, etc). Son aber ist
aller Wahrscheinlichkeit verschrieben, statt S o m , eine Pferdlast, wie die-
ser Ausdruck, der nur noch für die Flüssigkeit geblieben ist, in den
Marktordnungen des XIV. Jahrhunderts häufig wiederkehrt und mit der,
auch in andern Schriftstücken gleichmütig vorkommenden Schreibung so um
auf der gleichen Seite zu finden ist. Es dürfte also vielleicht die ganze
Stelle so auszulegen sein: „Swer stahel and isen mit einander veil bis,
der git von der hütten (dem Verkaufszelte) XXX Imperial (nach S. 353
23/2 Schilling Imperial und dies nach S. 352 */u Mark, oder nach un-
serm Werthe ongef. 1 Gulden); swer aber deweders sunderlich veil bat
der git (von jedem der beiden Kramzelte) XV Imperial. Das pfunt wol-
len git einen Imperial (= i/244 Mark, oder 0,098 Gulden d. i. etwa
5 Kreuzer). Der son hütten (die Pferdelast Decken, oder Loden) git
einen Schilling Imperial (oder »/61 Mark =0,39 Gulden, ungef. 23 kr.).
Swer hütten niht hat, unde wollen tuoch veil bat (wahrscheinlich wurde
gewöhnlich Loden und Wollentuch im gleichen Krem verkauft, wie Stahl
und Eisen), der git von sechs eine die er verkaufet (nach der Preisbe-
stimmung S. 367 sechs Schilling, oder mehr wertb) Ij Imperial (etwa
10 Kreuzer von drei Gulden Kauferlös).
Doch bescheidet sich Ref. dieses nur als einen Versuch zur Erklä-
rung der schwierigen Stelle beizubringen.
Dass S. 367 eine für die Culturgeschichte beachtenswertbe Preis-
liste von LebeasmiUeln und Anderm beigebracht sei, wurde so eben ge-
legentlich erwähnt
Mit dem geographischen Register ist das geschichtliehe verbunden,
bei welchem Ref. nur gewünscht hätte, dass die Geschlechts-, nicht die
846
Monuments historiques de Luxembourg.
Tauf - Namen zur Aufnahme massgebend gewesen wären. So ist zom Bei-
spiel Graf Alberl von Heigerloch, Albert von Klingenberg, von Rormos
u 0. f. beim Buchstaben A zu suchen u. s. f.
Ref. bedauert, nicht weiter auf die Einzelheiten der so dankens-
werten Arbeit eingehen zu können. Doch glaubt er genug beigebracht
zu haben, sein Eingangs gegebenes Urtbeil aufrecht zu erhalten. Doch
es wird dem mit so mühsamen Forschungen Vertrauten genügen, and da
diese ernstern Studien der Landes- und Cnlturgescbichte in neuester Zeit
wieder neuen Aufschwung und grössere Verbreitung gewinnen, so ist zo
hoffen, dass beide Werke den Erfolg haben werden, den wir ihnen wünschen.
Rastatt. FIckler.
Publications de la societe pour la recherche et la conserration des mo-
numents historiaues dans le Grand-duche de Luxemboura 4 Tom
Luxemb. i846—1849. 4.
Auf die Alterthümer im Grossherzogthum Luxemburg wird in den
gelehrten Zeitschriften so wenig Rücksicht genommen, dass wir es für
nothweedig halten, nur kurz darauf hinzuweisen. Hat ja doch, so viel
wir uns erinnern, das berühmte Werk Luciliburgensia von Alex. Wiltheisi
noch keine ausführliche Besprechung irgendwo gefunden. Wir wollen
nicht denken, dass diese Beschreibung römischer und belgischer Alter-
thümer von Luxemburg und den angrenzenden Orten, so wie sie 200 Jahre
als Manuscript in den Bibliotheken verborgen lag und nur von Wenigen
benützt wurde, so auch jetzt, wo sie schon Uber 8 Jahre edirt ist, unbeach-
tet bleibe, da sie im Gegentheil um so mehr Berücksichtigung verdient,
■la sie einmal viele Inschriften enthält, welche in den Sammlungen dor-
tiger Monumente, wie bei Brower, Berlbolet, Quednow, Steiner, Lersch
(welcher letztere zwar nur die noch vorhandenen Inschriften edirte) u. A.
sich nicht finden und dann auf 100 Tafeln, zwar in rohen Umrissen, den-
noch deutlich und genau eine grosse Anzahl von Alterthümern jeglicher
Art abbildet, welche, wie die meisten der dort mitgeteilten Inschriften,
nicht mehr vorhanden sind. Denn wenn gleich jede Stadt am Rhein den
Verlust römischer Alterthümer während des 16. und 17. Jahrhunderts
beklagen kann, so wird es doch kaum einen Ort geben, wo schon da-
mals ein so schönes Museum aufgestellt war, wie in dem Schloss Clausen
durch die Kunstliebe des Grafen Peter Ernst von Mansfeld (L J. 1563),
welche reichhaltige Sammlung durch die zerstörenden Einfälle der neuern
Yandalen gegen das Ende der zwei vergangenen Jahrhunderte fast spur-
los verschwunden ist
(Schluss /oty.)
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Hr. 54. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
ITIoiiiimenlH lilHtorl<|iie» de JLu*eiHbourg.
(Schluss.)
Um so mehr ist es zu lobeu, dass auch in Luxemburg endlich (1845)
ein Verein zur Erhaltung der AlterthUmer gegründet worden ist. Indem
wir nun wünschen, dass Wiltheim's erwähntes Werk in diesen Blättern
eine kurze Beurtheilnng finde, wollen wir uns zu den Publikationen jenes
Vereines, welche seit seiner Gründung ausgegeben wurden, wenden, und
kurz sehen, was darin der Alterthumskunde ein allgemeines Interesse bie-
ten kann. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient der Bericht des H.
Sen ekler in Köln (in französischer Sprache? wiewohl Titel und offi-
zieller Bericht dieses Vereins in dieser Sprache gegeben sind, wundern
wir uns doch, dass hier Deutsche (?) französisch schreiben, da doch
Luxemburger sogar hie und da in diesen Bänden sich der deutschen Sprache
bedienen); er behandelt von S. 58 — 83 den bekannten Dahlheimer Fund;
bei diesem Orte in der Nähe von Luxemburg wurden nämlich 1842 an
24,000 röm. Kupfermünzen aus dem 3. u. 4. Jahrhundert in 3 Töpfen
gefunden; zwar schon früher wurde Uber diese reichhaltige Sammlung,
die grösstenteils in das Kabinet des Hrn. de la Fontaine, Gouverneur von
Luxemburg, kam, gehandelt, namentlich auch von Senckler z. B. in seinem
Catalogue de la collection de medailles rom. (Col. 1847) und noch später,
Jahrbücher des V. f. Alt im Rheinlande. Bonn. XIV p. 6 sqq.; nirgend aber,
so viel wir uns erinnern, werden die vorzüglicheren der dort gefunde-
nen Münzen so ausführlich mitgetheilt, wie im erwähnten Aufsatze, da-
her wir die Freunde der röm. Nüuzkunde besonders darauf hinweisen.
Wenn aber durch solche Müozfunde die früheren Verluste in Luxemburg
eioigermassen ersetzt wurden, so gilt dieses nicht ebenso in Betreff an-
derer Alterthümer, namentlich in Bezug auf Inschriften, solche werden
selten gefunden, und wenn eine entdeckt wird, findet sie, wenigstens
bisher, wie es scheint, nicht gleiche Berücksichtigung, was nm so
mehr zu beklagen ist, als Inschriften gewöhnlich von mehr lokalem In-
teresse sind, als Münzen oder kleinere Alterthümer. So wurde 1823
und sogar wieder 1842 bei Waldbillig eine ziemliche Anzahl von römi-
schen Allerthümern verschiedener Art ausgegraben, aber wieder verschla-
gen oder vergraben, sogar der Inschriften wurde nicht geschont; daher
XLIV. Jahrg. 6. Doppelheft. 54
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848
Monuments historiques ie Luxembourg.
ist man Uber die Inschriften jener Gegend ganz im Unklaren. Wir wol-
len dies an ein paar Beispielen, die uns im III. Band anfstiessen, zeigen.
Prof. Engling in Luxemburg handelt Uber die Gemeinde Waldbillig
archäologisch-statistisch (?) und bespricht ausführlich p. 176—200 die
früher entdeckten und noch vorhandenen Romervesten, wobei wir aar
glauben, dass der Phaotasie zu viel Spielraum gelassen wurde. Bei die-
ser Gelegenheit hören wir auch, dass eine Inschrift, von welcher Eveqae
Itineraire da Luxem, german. (1844) p. 234 sagt, das» sie 1823 bei
jenem Orte gefunden worden sei, gar nicht hieher gehöre, sondern dass
aie die schon von Grut. 904. 2. und Bertholet (1741) I. p. 432 aus
Lyon edirte sein soll; da wir doch weitere Aufklärung wünschen, wollen
wir sie miUbeilen : D M | CACVROM SATTONfl TRKVERI | ANNORYI
Vn | SINILVS DEFVNC V1VVS. Die Inschrift ans Lyon wird in 8 Zei-
len angeführt, hat SATTONIS und gibt die Jahre auf XVII an; wenn aber
ans dieser Inschrift auf den Namen Sattonius, der übrigens nicht unge-
wöhnlich ist, geschlossen wird, so übersah man, dass Grut. SATTOMS hat,
nnd hier also Ii Iii zu ergänzen ist, es also nickt Beiname des Cacuro-
nius, sondern Salto der Name des Vaters ist, wie er auch anderwärts
vorkommt (vergl. Abbild, d. Mainz. Mus. S. 6) ; ja ich möchte sogar nicht
Cacuronius, sondern Cacaro als Name des Treverer's annehmen , indem bei
Gruter CACVRON eine Zeile ausmacht, also die Endsilbe IS wohl ver-
schwunden sein konnte.
Wenn man aber Uber die Existenz dieser Inschrift im Zweifel ist,
Jie Lesarten aber nur unbedeutend verschieden sind , so findet bei einer
andern das Gegen t heil statt, wobei man sich über die Nachlässigkeit, mit
der mnn eine ganz schleckte Leeart verbreitet, nickt genug wundern kann.
Es wird n» ml ich p. 177 eine 1844 im benachbarten preuss. Ort Bollend ort
gefundene Inschrift also catirl : D. M. | VLLVCINARI | ILLAE TA CC.
FILIA ( FASCDJA ATTON | IVS SECVNDINVS F. wahrscheinlich nach
Evöque, welcher I. o. p. 208 nnr ATI OMA.. P in der letzten Zeile
variirt Diese Inschrift zu erklären wird natürlich kein Versuch gemacht,
wäre auch unmöglich nnd dazu unnöthig, da schon vor 6 Jahren die richtige
Abschrift edirt ist, nämlich von Lersch in Bonn, Jahrbücher V. p. 328, wo sie
also beissi: D. M. ATTVCIA ARI | 1LLA. KT. ACCEPTIA | TASCILLA.
SATTON | IVS. SBCVDINV3 F. Ein eklatantes Beispiel, wie leicht eine
Inschrift durch fehlerhafte Abschrift verdoppelt werden kann; wen« dies
zn unseren Zeiten geschieht, welche Dinge waren dann früher möglich I
Leicht könnten wir aus Apiani, Gruter, Muratori u. s. w., ähnliche nnd
r
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Monument* historiques de Luieubourg. $49
doch Vereine sich hüten mdgen, zur Verbreiteng solcher schlechten Ab-
schriften beizutragen.
Weiter linden wir im erwähnten Aufsatz nur eine Inschrift sunt
erstenmal, so viel wir wissen, edirt:
10. ET IVS
MALIVT '
....IOV
CONIV...
MASSAE
IVIR...
• • •
....
am alten Thurm zu Waldbillig S. 178. Die Abschrift scheint uns fehler-
haft; wir sehen aber doch, dass es ein Altar dem Jupiter und der Juno
geweiht war. Sonst verdient der Aufsatz wegen genauer Erörterung auf-
gefundener Altertbfimer alles Lob und ist für die Lokalgeschichte nicht
ohne besonderes Iuteresse. Der IV. Band dieser Luxemburger Publikatio-
nen enthält nicht minder interessante Abhandlungen, jedoch nichts Inschrift-
liebes; dagegen die Freunde der Münzkunde finden niedreres, was sie
belehren wird; so wird von ISamur über einige grieeb. Münzen (von
Smyrna") berichtet, die 1847 bei Diekirch gefunden wurden S. 95—97,
so bandelt Senckler (S. 90 — 95) bei Gelegenheit eines Medaillon ans*
führlich Uber den Caesar Licinius junior (von seinem Oheim Konstantin
wahrscheinlich 386 getödtet), — die Abhandlung von Prof. Engling
über den Heidenaltar in der Kirche zu Bendorf, auf welchem Apollo, Juno,
Herkules und Minerva vorgestellt sind, genügt minder (S. 98 — 109), in-
dem über das Viergötlersystem überhaupt, über die Bedeutung der er-
wähnten Gottheiten nichts vorgebracht, keine Vergleichung mit ähnlichen
Ueberresten, deren es am Rheine viele gibt, angestellt, kurz die alter-
tümliche Betrachtung und Untersuchung bei Seite gelassen, und ober
Verwandlung und Verwendung dieses Steins zu einem christlichen Altar,
wozu er noch dient, und über ähnliches damit Zusammenhängendes, de»
Breiten viel vorgebracht ist. Gelegentlich hören wir, dass vor etwa
100 Jahren noch auf dem Petrusaltar der Kirche eine Jupiterstatue mit
dem Donnerkeil in der Hand als Gott Vater verehrt wurde, bis sie da-
mals von einem allzueifrigen Kaplan weggeschafft wurde (S. 102). Wenn
aller weiter S. 104 erzählt wird, dass 1810 in Bendorf „ein Bündel an-
tiker Pasees ausgegraben wurde, u so wünschten wir hierüber nähere Anf-
««rang. Schliesslich hoffen wir, dass die römischen Altertümer, wo?on
54*
r
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850 Siuder's Geologie der Schweix.
noch viele io Luxemburg verborgen sind, fortwährend sich einer gentuen
Aufmerksamkeit zu erfreuen haben mögen, damit was fast seit Wiltbeim
in jenem Lande versäumt worden ist, nachgeholt werde, und Manches,
was bisher, wie wir oben zeigten, zweifelhaft oder oberflächlich behan-
delt wurde, genau eruirt und fest bestimmt werde. %
Mains. ■Ueitn.
Geologie der Schwei* von B. S tu der, Dr. d. Phil., Prof. d. Min. u.
Geol. in Bern u. s. w. Erster Band. Mittehone und südliche Ne-
benzone der Alpen. Mit Gebirgs-Durchschnitten und einer geolo-
gischen Vebersichtskarte. IV. und 485 S. in 8. Bern, Stämpflfsche
Verlags - Handlung , 185/.
Der verdienst- und talentvolle Verfasser, ein Mann von seltener
Geistesbildung, der sein Leben rein wissenschaftlichen Arbeiten widmet,
gilt uns — wie wir schon bei anderer Gelegenheit in diesen Jahrbüchern
gesagt, — als der Saussure der Jetztzeit.
Von dieser Ueberzeugung belebt, nahmen wir das Buch zur Hand,
welches besprochen werden soll. Eine merkwürdige Arbeit, die Aufsehen
machen muss, da sie reich ist an einer ausserordentlichen Menge höchst
wichtiger und belehrender Tbatsacbeo, dargelegt mit geschickter, takt-
voller Hand und mit schlichter Entschiedenheit
Man gestalte uns, die Worte zu wiederholen, womit S tu der sein
, Werk einfuhrt in die Wissenscharts - Welt.
Das Interesse an Erforschung der wichtigsten Massen-Erhebungen un-
teres Continentes — so ungefähr sagt der Berner Geolog — ist in den
letzten Jthren mit grosser Lebendigkeit rege geworden. Während in
früherer Zeit nur Einzelne die Untersuchung kleiner Alpenlheile, des Mont-
blanc oder des Gotthard , sich zur Aufgabe setzten , während vor drei
Jahrzehenden Gliederung und geologisches Alter des Jura und Apennin
nicht besser bekannt waren, als jetzt noch viele Gebirge in entfernten
Weltgegenden, sehen wir nun eine stets wachsende Zahl von Arbeitern
um die Wette bemüht, die Erforschung unserer Gebirge zum Abschluss
zu bringen. Rings um die Alpen vertheilte Wachtposten einer Beobachtungs-
Armee ; jeden Sommer dringen sie vor nach dem Gebirgs - Innern und
erobern der Wissenschaft einen Theil desselben. Der Jura, von Cham-
bery bis ntch Franken, ktnn bereits als gewonnenes, allen Gesetzen der
Doktrin gehorchendet Land betrachtet werdeu; auch Toteana, dar alte
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Studcr's Geologie der Schweix.
851
Stammsitz derselben, und das tiefere Italien bestreben sich, ihr zu hul-
digen. — Wer gedenkt nicht beim Jura der Hochverdienste des Grossmei-
sters aller Geologen, Leopolds von Bach?
In Frankreich, Piemont, Oesterreich, Baiern haben die Regierungen,
zum Besten des Gewerbfleisses und der Staatswirthschaft, für geologische
Erforschung ihrer Länder, für Darstellung der Ergebnisse auf Karten reich-
liche Geldmittel ausgesetzt. In den grossen Mutterstädten des Wissens,
in London, Paris, Berlin, werden die Resultate örtlicher Untersuchungen
gesammelt, mit den bereits gesicherten verglichen, und ihr Einfluss auf
Fortschritt des Ganzen regt den vereinzelt stehenden Geologen an zu er-
neuter Anstrengung.
Studer's „Geologie der Schweiz^ soll zunächst zur Erläuterung
einer Karte des Alpenlandes dienen, welche wir noch im Laufe dieses Jah-
res erwarten dürfen. Sie wird Studer's und Escherts Namen tragen.
Bei den vielen Abweichungen der südeuropäischen Gebirgs-Verhäitnisse von
jenen mittel- und nordeuropüischer Länder, bei den Schwierigkeiten, die
selbst erfahrne Fachmänner finden, wenn sie zum erstenmale das Alpen-
Gebiet betreten, war ferner eine übersichtliche Darstellung der bis jetzt
Ober dieses Gebirgs-System und über seine Verzweigung gewonnene Kennt-
nisse noth wendig; Studers Schrift ist, auch in dieser Beziehung, als
Einleitung zum Studium südeuropüischer Geologie, als Reise-Handbuch sehr
zu empfehlen. (EbeTs „Bau der Erde im Alpen- Gebirge", classisch
für seine Zeit, ist nun etwas veraltet.) Zu letzterm Zweck ist der
Schrift, wovon unsere Anzeige bandelt, eine Uebersicbts- Karte des Al-
pen-Systems und seiner Umgebungen beigegeben worden, welche sie auch
ohne Beibülfe der grössern Karte, verständlich machen soll.
Was den Mittheilungen Studer's besonders grossen Werth verleiht,
ist der Umstand, dass er die meisten geschilderten Gegenden selbst sab,
viele wiederholt besuchte, nicht wenige in Gesellschaft Escherts. (Das
Berner Museum bewahrt die Belegstücke zur gegebenen Darstellung, Fels-
arien und Petrefacten.) Wo der Verf. sich fremder Beobachtungen be-
dienen musste, findet man stets die Quelle angeführt. Die wichtige Un-
terstützung Escherts erkennt Studer mit lebhaftem Dank; alle schrift-
lichen Reise-Bemerkungen überliess jener so sehr achtbare Geolog seinem
Freunde zur Benutzung.
Dies vorausgesetzt, wollen wir, so weit es der Raum gestattet,
den Inhalt vorliegenden Buches andeuten.
Eine allgemeine Einleitung ist der Betrachtung des Apennins, der
Alpen und des Jura gewidmet. Die Alpen folgen einander in nach-
852
Studer*a Geologie der Schweis.
stehender Ordnung: Ligurische, die erste alpinische Gruppe, der man
westlich ron Genua begegnet; Meeralpen, in denen der alpinische Ty-
pus bereits deutlicher in einer zweiten Centralmasse krystallinischer Schie-
fer entwickelt ist; Cotlische und Crajische Alpen; Alpen von
Oisans, sie entsprechen der Vorstellung einer alpinen Centralmasse voll-
ständiger, als irgend eine andere, die Sind er bis jetzt durchwanderte;
an keiner wird es ao deutlioh, dass die Feldspath - Gesteine, ihren Kern
bildend, erat nach Ablagerung der darüber den Silz habenden neptuni-
schen Gebilde aufgestiegen sind, sie durchbrachen , nach allen Seiten ab-
warfen und an der Grenze umwandelten; die Rousses, ein in der Ge-
schichte des Französischen Bergbaues berühmtes Gebirge; die Westal-
pen: <die S c h we i s er a 1 p e n und endlich die Ostalpen.
So weit die Einleitung. Es folgt nun der erste HaupUheil des Wer-
kes, und in dessen erstem Abschnitt die Mittelzone der Alpen.
I. Alpen -Granit, Gneiss und krystallinische Schiefer. Die Alters-
Bestimmung des Alpen -Granits, welche Jurine durch Einführung der
Benennung Protogyn festzustellen glaubt, ist zu einem Wendepunkt der
altern und der neuern Geologie geworden. Die Entstehung der krystal-
liniaebcn Schiefer aus neptunisch abgelagerten Massen durch Metumorpbose,
und die Erklärung dieses Processes nach Grundsätzen, welche nicht mit
den Lehren der Chemie und Physik im Widerspruche stehen. Die alte
Frage: ob die Entstehung jener Gesteine durch Wasser oder durch Feuer,
oder durch beide zugleich bewirkt worden, betraget der Verf. als, wie
vor fünfzig Jahren, im Vordergrund des dem Geologen zugewiesenen
Arbeits-Feldes stehend, und nach «einem Dafürhalten dürfte eine befrie-
digende Lösung kaum von der nächsten Zukunft zu erwarten sein. Wir
können und wollen keineswegs unbedingt widersprechen, leben indessen
der Hoffnung, dass viele gegen den sogenannteu „Ültra-Pluteniamusu ge-
stellte chemische Einwendungen durch die Chemie selbst, und vielleicht in
nicht gar langer Zeit widerlegt werden dürften Solches weiter auszufüh-
ren, ist hier der Ort nicht.
€s bespricht nnn Studer, als dieser Unter- Abtheilung angehörend:
die Centralmasse der Aiguilles Rouges, des Montblanc, des Fin-
etera arhornes, des Gotthard und der W alliseralpen, sodann
werden abgehandelt die Tessinor alpen, das Adulagebirge, das
Sureta- und Seegebirge, die Centralmasse des Beroina, nnd jene
des Seloretta, endlich die Gebirgsmasse der Oezthaler Feraer.
Der Alpen -Granit oder Protogyn der Centraimasse der Aiguil-
les-Ron gea eiguet sich nicht selten Gneissartige Struktur en. ia der
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Studer's Geologie der Schweix.
Umgegend von Servoz wurde gegen Ende des zweiten Jahrhunderts star-
ker Bergbau getrieben auf Silberheitenden Bleiglanz und Kupferkies. In
der Grube von Promenaz brachen Blei- und verschiedene Kupfererze auf
Barytspath - Gängen u. s. w. Granit scheint nicht nur in die kryalalliai-
sche Schiefer-, sondern selbst in Kaik-Gebilden gangförmig eingedrungen
zu seyn. Der Süd-Abbang der Dent de Hördes bietet Andeutungen, die
weiter verfolgt zu werden verdienen. In einer Theorie der Hocbalpeo
wird die Aehnlichkeit der centralen Granitmassen mit trachytischem Dome
stets berücksichtigt werden müssen, so abweichend auch, bei näherer Be-
trachtung, die Verhältnisse sich zeigen. W ie Tracbytkegel Uber einen cen-
tralen Schlund , so scheinen jene Granitgebirge über längere Spalten sich
erhoben zu haben ; sei es, dass vielleicht die ganze Nasse, in starrem oder
erweichtem Zustande, hervorgestossen worden, oder — was dem Bericht-
Erstatter weniger glaubhaft — dass flüssige oder dampfförmige Substanzen
eindrangen in frühere Sedimente, sie veränderten und ihr Volumen zur
Hohe der Hochgebirge, wovon die Rede, auftrieben.
In der Centralmasse des Montblanc herrscht, wie in jener der
AiguillesRouges, Protogyn und zeigt sich ebenfalls am mächtigsten auf
der Ostseite und nach der Milte bin. Dass die gegenwärtige Gestaltung
der Uontblanc-Masse die ursprüngliche sei, wird Niemand behaup-
ten, der die zerrissenen Felsgrate kennt, die schlanken Nadeln, die schrof-
fen Abstürze, welche das Eismeer des Montantvert und die hinter ihm
liegenden Gletscher - Reviere umgeben. Fast möchte man glauben, das
Gebirg habe sich, nach seiner ersten Bildung, ungefähr in der Gegend
des oberu Tacnl-Gletschers am höchsten erhoben, und durcii ein Zurück«
sinken der Masse sey das hohe Gletscberthal entstanden, das vom Meer da
Glace nach dem Montblanc ansteigt. Wie ThUrme am Eingange eines in-
dischen Tempelraumes, erheben sich M. Chetif und M. de la Saxe zur Seite
der Fels -Schlucht, durch die man von Courmayeur in die Lez Blanche
und in V. Ferrat eingeht. Die Aussicht von dieser Höhe auf die Mont-
blanc-Kette übertrißt an Großartigkeit jene des Cramont. Unfern der M.
de la Saxe ist der Stollen des Trou des Romains, in unbekannter Zeit
getrieben zum Abbau eines Ganges von silberfübreudem Bleiglanz. Es ist
dieser längst verlassene Berghau keineswegs der einzige, welcher, im
Umfang der Montblanc - Masse, tbeils früher versucht worden, theils noch
im Umgang sich betiudet. So gewinnt man noch jetzt auf der Höbe von
Mit beiden erwähnlen Central- Massen zeigt die des Finsteraar-
horn es, ungeachtet der wtit grössern Ausdehnung und ihres abwei-
854
Studer's Geologie der Schwei«.
ch enden Sreichens, mehrere und zum Theil ganz anerwartete Analogieen.
Die Lagerungs- Verhältnisse derselben zum anstossenden Kalk- and Schiefer-
Gebirge stimmen überein mit den in Savoyen beobachteten, sind aber
zum Theil weit grossartiger and deutlicher aufgeschlossen. Die merk-
würdigsten Thatsachen über den Contnct krystallinischer und sedimentärer
Bildungen trifft man längs dem Nordrande der Masse; hier bat die tiefe
Thal-Bildung das Gebirge, quer durch die BerUhrungs-Fläche eingreifend,
bis an den innern Kern aufgerissen. Auf der Bachalp, oberhalb Leuck,
scheint ein keilförmiges Eingreifen des Gneiss - Gebirges in das es um-
ziehende Kalkstein - Gebirg angenommen werden zu müssen. Vortrefflich
eignet sich das wundervolle Gaslerentbal zum Studium solcher Verhält-
nisse. Mannigfaltige Biegungen und Verschlingungen der Kalk- und Schie-
ferlagen an den Felswänden der auseinander gerissenen Masse des Alteis-
und des Doldenhorns, so wie die Umwandlung der untersleu Lagen in
Marmor ond Dolomit, beweise, dass hier, wie in Savoyen, das Kalk-Ge-
birg früher da war, als das iu seiner Grundlage hervortretende Fcldspath-
Gebirg. Am Östlichen Abfall des Tschingel-Gletschers erscheint der Gra-
nit ebenfalls unterhalb der Kalkdecke. Analoge Beziehungen lösst der Ge-
birgs-Finschnitt wahrnehmen, durch welchen der untere Gletscher von Grin-
delwald heraustritt. Die lehrreichsten Aufschlüsse Ober die Rand-Verhäll-
nisse der Centralmasse gewahrt der Hintergrund des Urbachthaies, und
besonders der schmale Kamm des Urbachsattels zwischen dem Tossen-
horn and dem Gstellihoro. Die wichtigste Thatsache ist wieder die steil
S. fallende Schieferung des Gneisses. Bei flüchtiger Betrachtung könnte man
wohl annehmen, das Gneiss-Gebirg sey Alter als der Kalk, und seine ge-
genwärtigen Umrisse längs demselben wären dnreh Zerstörung seiner Masse
entstanden; eine Ansicht, die jedoch unmöglich festzuhalten ist, wenn man
einen Blick auf die gegenüberliegende Thal seile wirft, auf die Gebirge
des Laubstocks und des Triftenstocks. — Der Grimsel-Pass hatte, durch
die Süssere Gestaltung der Gesteine, schon Saussure's Aufmerksamkeit
erregt. Die abgerundete sphärische Form — Rockes moutonnees , Rund-
höcker — des Gneisses und Granites im Thalweg, das baucharlige und
cylindrische Hervortreten der Felsen in den Seitenwänden zeigt sieb sel-
ten so constant, so auffallend. Nicht oft ist der Contrast dieser tiefern ge-
rundeten Felsen und der scharf zackigen Grate der höchsten Felskämme
ao grell ausgeprägt, wie er an der Kette, welche den Aargruod auf der
Grimsel and den Vorderaar-Gletscher umgeben. Man glaubt zwei ganz
gänzlich verschiedenartige Fels-Gebilde zo seheo, and muss durch genaue
Untersuchung sich überzeugen, dass die gerundeten Buckel aas sebieferi-
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Studer's Geologie der Schweis.
gen Gneiss bestehen, der ohne Trennung in den obern Gneiss fortsetzt.
Eine Erosion durch Gletscher, wie Agassiz und dessen Genossen sie
für diese Gegenden voraussetzen, ist auch nach dem Verf. die einfachste,
der Natur am besten entsprechende Erklärung.
Näher noch, als die Montblanc-Masse an die der Aiguilles ron-
ges, drängt sich von Süden her die Gotthard-Masse an die des Finster-
aarhornes. An Längen - Ausdehnung steht diese Central- Masse gegen die
vorige weit zurück, übertrifft aber die Montblanc- Masse, nur ist sie
weniger breit und hoch. Zunächst oberhalb des Hospital sehr entschiedene
Glimmerschiefer. Aufwärts nach dem Gemsbodeo zu, deutlicher Gneiss.
Das Gebiet des eigentlichen Gotthard-Granites beginnt auf der Fläche der
Gotthard See'n. Am Süd-Gehänge, gegen Val Tremola hinunter, wieder
Gneiss, sodann Hornblende- Gestein und Dolomit. Die bekannte Fächer-
Struktur des Gotthards erstreckt sich nach Osten hin so weit, als der
Granit sich verfolgen lösst. — Der Gotthard ist als reiche Fundstätte man-
nigfaltiger Mineralien berühmt. Wie Daubree sehr richtig bemerkt, zei-
gen die Substanzen dieser Centralmassen, in Oisans , in Montblanc, Fin-
steraarhorn und Gotthard, eine auffallende Uebereinstimmung, so dass sich
auch von dieser Seile die Annahme eines engen genetischen Zusammen-
hanges aller erwähnten Gebirge bestätigt. Es bestehen ferner zwischen
mehreren jener Mineralien und den Erzeugnissen neuerer Vulkane Analo-
gion, wie man sie, bei der grossen Verschiedenheit der Stamm - Gebirge,
nicht erwarten dürfte. Die Chemie lehrt aus dieser Vergleichung Schlüsse
herleiten, die über ihren dunkeln Ursprung und die Bildung der Centrai-
Massen selber einige Aufhellung hoffen lassen. Tiefere Begründung die-
ser Schlüsse wird jedoch erst nach neuern Untersuchungen und Verglet-
cbnngen der einzelnen Fundorte, ihrer geologischen Verbältnisse und der
Beschaffenheit der Muttergebirge möglich werden. Von dem um diesen
Tbeil der schweizerischen Mineralogie wohl verdienten Wies er in Zürich
dürften am ersten belehrende Angaben zu erwarten sein.
Die geologische Beschaffenheit der Cenlralmasse der Walliser-Alpen
erscheint als Uebergang von den, näher dem äussern Alpenrand liegenden
hohen Fächer-Gebirge zu den mehr wagrecht verbreiteten Gneiss-Gebil-
den, die den innern Rand des Alpenringes ausmachen. Eine Fäcber-Strnc-
tur der Gneiss- und Glimmer-Straten tritt nicht deutlich hervor, die Nei-
gung zu einer symmetrischen Anordnung der Gesteine fehlt. Häufiger
zeigen sich Einlagerungen von Kalk und Marmor; Serpentin und Gabbro
drängen eich hervor, und im südlichen Theil der Masse trifft man auch
einen Granit - Syenit , wie er nur am Süd -Rande öfter zu sehen. Wai
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Siuder's Geologie der Schweiz.
diese Centralmasse auszeichnet, ist die innige Verbinden; ihrer Gesteine
mit denen angrenzender Schieferronen, sowohl durch die oft seltsame Ver-
flechtung der Schichten, als durch petrographische Uebergtfnge der Fels-
arten. — Talkgneiss und grüner Schiefer bilden, mit Ausnahme der Ser-
pentin- und Gabbro-Einlagerungen, alle Berge auf beiden Seiten des Fer-
peole-Gletschers und des Col dTtriu. In der Hauptmasse des M. Cervin,
dieser unersteigticben, wandervollen Pyramide unterscheidet man zwei, durch
Färbung scharf begrenzte, Abtheilungen der Gestoine; Verhältnisse, ähn-
lich denen der AiguiUcs rouges. — „Räthselbafte* .Verbindung zwischen
Gneiss, Serpentin, Schiefer und Kalkstein, welche in diesen Gebirgen überall
hervortreten, zeigen aich namentlich auf der Höhe des Matterjochs; hier
war es, wo Saussure deren Untersuchung mehrere Tage widmete.
Im Gneiss- und Glimmerschiefer - Gebiete der Tessiner-Alpen
ist der eigentümliche alpinische Charakter der Gesteine und ihrer Stroc-
tur- Verhältnisse so viel als ganz verschwunden. Ausgezeichneter Gneiss
herrscht, und nächst ihm bildet Glimmerschiefer ein wesentliches Glied
der Gruppe. Letztere Felsart ist reich an mannigfaltigen sogenannten zu-
fälligen Beimengungen, besonders an der Cima di Lambro am Fusse des P.
Forno auf Sponda oberhalb Chironico, auf dem Lambro u. s. w. — Die Kalk-
und Schiefermasseo der Levi- und Deveralpen liegen im Streichen der von
Saas her durch Zwischbergen zu verfolgende grüne Schiefer und Kalksteine
und dürfen als deren Fortsetzung betrachtet werden. —Grössere Verwi-
ckelungen zeigen sich in dem merkwürdigen Gebirgsknoten von Naret,
wo die wilden Thal er Bavona, Peccia und Campo In Torna zusammen-
gössen. In der tief eingeschnittenen Schlucht des hintern Val Bavona,
am östlichen Fusse des bisher fast unbekannten, von keinem Geologen
notn uniersu einen uran rusuutin, uuenagcri uuciss, ucr hui soiucr ▼» es*—
seite die Alp Suena umscbliesst, den zur nördlich austosaenden Kalkzone
gehörenden Dolomit und ist mit diesem und mit Schiefer-Geeiem verfloch-
ten. Weiterhin zeigt sich Gneiss deutlich als Grundlage des Gebirges.
Einen ungewohnten Charakter entwickelt die Gliederung des Alpen-
Systems im Adula- Gebirge. Längen- und Quer-Thäler scheinen ihre sonst
übliche Beschaffenheit ausgetauscht zu haben. Die Trennung der befragten
Gebirge vom Gneiss der Tessiner-Aipen kann durch ihre bedeutende mas-
sige Erhebung, so weit ausserhalb der Axe der letztem, gerechtfertigt
werden *
der Tessiner-Gebirge, ist mit diesem die Gneiss-Masse verbunden, welche
sich aus Schorns nach der Roda and nach Ferren ausdehnt und in den,
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Studer*s Geologie der Schwei«.
857
vod Gletschern umschlossenen, Schneegipfel der Sureta-Alpen ihre mach-
tigste Entwicklung erreicht. Die Umgebungen des Splttgen-Passes eignen
sieb vortrefflich tum nähern Studium dieter Gruppe. Im Westen erbebt
»ich die schöne Pyramide des Tambohornes, aus nach Osten fallenden
Gneisstagen bestehend. Mit diesem Gneiss verbinden sich, im Hintergründe
der Logaalp, Kalk- oder Glimmerschiefer, Hornblende-Gestein und Quar-
xite, meist von schwankendem Charakter. Vom Splügen her der Haupt-
stresse folgend in die malerischen Engpässe der Rofta, dringt man so-
gleich in die innere Kernmasse der Gruppe ein. Die am Spittgen ver-
breiteten „graue glimmerige und kalkigeu Schiefer weichen erst Suveri
gegenüber Chlo ritschief ern und Talk-Gneisien mit weissem Marmor wech-
selnd. — Auf dem Wege von Pignen nach Newa, bis in ungefähr fünf-
hundert Meter Uber dem Thalbodcn, wagreebt liegender Schiefer als Grund-
lage mächtiger Wände von weissem Marmor und grauem Kalkstein. Die
Alp Despin, oberhalb Zillis, in einem eng umschlossenen Thalkesael, des-
sen Hintergrund nach dem hoben Gipfel des Curver ansteigt. Gegen We-
sten schliesst eiu Kalkstein- und Dolomit-Plateau jenen Kessel, bis auf den
schmalen Ausweg des Bergwassers. Am Ausgange des Thaies wurde in
älterer Zeit anhaltend gebaut auf silberhaltigen Bleiglanz und Kupferkies,
die im Talk-Gneiss mit grosson Feldspath Krystnllen ihren Sitz haben. Am
Rande des in vielen Katarakten herabstürzenden Wildbaches, und längs
dem felsigen Abfall des Gebirges gegen Neza, zählt man Uber ein Dutzend
zerbrochener Stolleu - Mundlöcher.
Die zwischen der vorigen Gruppe und der südlichen Nebenzone vor-
kommenden krystalliniscben Schiefer lassen sich nicht leicht charakterisiren
und allgemeinem Gesichtspunkten unterordnen. Wir überlassen den Lesern
im Boche nachzusehen, was über das See-Gebirge gesagt wird. (S. 254
- 260.J
Die Gebirgsmasse des Bernina stellt sich in der Gruppe von Gneiss-
und Glimerschiefer- Höhen, welche den Raum zwischen Oher-Engadin und
Val Camonica, den Serpentinen von V. Malenco und der Kalksteine des
Ortles anfüllt, als centrale Masse dar, ausgezeichnet durch Höhe der Gi-
pfel, durch Schönheit der Gletscher und Firne und durch krystnUmische
Entwicklung der Gesteine. Nirgends in diesen Gegenden tritt Gneiss so
mächtig auf und die Eis-Gebirge, au deren östlichem Fusse die Bernina-
Strasse führt , lassen sich den Grossartigsten vergleichen , deren die Ai-
penwelt aufzuweisen hat. Wie keine andere der besprochenen Centrai-
Masse, wird der Bernina beinahe vollständig von einem Hinge von Granit,
Hornblende-Gestein und Serpentin umschlossen j man könnte wohl versucht
Studer's Geologie 4er Schweiz.
seyn, io dieser Nasse den Hebel zu erkennen, welcher den Gneiss hier
in so ungewöhnlicher Höhe emportreibt. Die Haoptslrasse über den Ber-
Dina führt von der Höhe der See'n mehr östlich, durch die Alpen Motu
und Rosa. Am nördlichen Ufer des Lago Bianco herrscht ein dunkel-
grünes, Serpentin ähnliches Gestein. Am steilen Abfall nach den Abgrün-
den von Motte und im Niedersteig gegen La Rosa Gneiss. Der Granit
von Brusia erscheint nur als beträchtliche Einlagerung.
Die Centralmasse der Selvreta erinnert , in mehreren Beziehungen,
an die am äussern Rande der Miltelzone vorhandene Centralmasse, in
anderer Hinsicht hat sie wie jene der andern Gruppen besondere Eigen-
tümlichkeiten. Fächerförmige Struktur ist vorbanden, das Auftreten des
Alpen-Granits in der Axe des Fachers, das ('ebergreifen krystalliniscber
Schiefer Uber das Kalk-Gebirge u. s. w. werden nicht vermisst. Dagegen
findet man Hornblendeschiefer überaus mächtig und weit verbreitet, den
Gneiss in einem beträchtlichen Theile der Gebirgsmas^e fa*t verdrängt
Die Reise über Fluela gewährt eine gute Uebersicht der Verhältnisse des
Die Gebirgsmasse der Oezlhaler - Ferner endlich gleicht der Sel-
vreta-Hasse; Gneiss- und Glimmerschiefer-Gebirge greifen keilförmig in
die Bündner-Alpen ein. Im südlichen, höchsten Theile erkennt man zwei
Fächer -Systeme von
Es folgen nun mehr oder weniger ausführliche Bemerkungen über
die einzelnen Felsarten : Granit, Hornblende-Gestein, Serpentin und Gabbro,
grünen Schiefer, grauen Schiefer, Kalkstein und Marmor, Dolomit, Gyps,
Verrucano, Quarzit und rothen Sandstein. Das Auftreten in diesen und
jenen Gegenden und Oertlichkeiten werden besprochen, eigentümliche Cha-
raktere hervorgehoben. Das, dem zweiten Bande von Studer's Werk
beizugebende, umfsssende Ortsnamen - Register dürfte diesen Abschnitt für
Gebirgswanderer ganz besonders wichtig machen. Wir können hier bei
so vielen wissenswürdigen Einzelheiten nicht verweilen. Nur wenige Aus-
Beim Serpentin und Gabbro (S. 317) heisst es: „Die Frage
ist nicht entschieden, ob Serpentin und der ihn häufig begleitende Gabbro
als plutonisch aus dem Innern bervorgestiegene Masse, Ursache des Ue-
bergangs der grauen in grüne Schiefer gewesen , oder ob umgekehrt jene
massigen Gesteine als letzte Stufe metamorphischer Umwandelung der Schie-
fer betrachtet werden müssen." Unbefaugene Beurtbeilung der vorliegen-
den Tbatsacben, glaubt der Verf., müsse der letzten Ansicht den Vorraog
zuerkennen , er gesteht jedoch offen und ehrlich ein, dass man sich durch
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Studer's Geologie der Schwei».
dieselbe io grössere Schwierigkeiten verwickelt sähe, als durch jene, die
lieh auf die Grundlage der Centrai-Erscheinungen stützen kann.
Wir haben, und zu wiederholten Male Gelegenheit genommen, uns
über den in neuester Zeit so sehr beliebt gewordenen, Metamorphismus
auszusprechen. Innerbalb gewisser Grenzen erachten auch wir,
weit entfernt geologische Umwandlungen abzuleugnen, die Lehre als
vollkommen begründet; aber ihre willkürliche Ausdehnung bleibt bedenk-
lich. Man erlaubt sich nur zu oft die „Theorie" auf etwas anzuwenden,
das nach dem gegenwärtigen BegrifTe unvereinbar ist, in der Hoffnung,
es „könne" in Zukunft vereinbar werden. In den Alpen, wo sehr
grossartige Umwandlungen nicht bestritten werden dürfen, vermag man
das „Wie und Wodurch der Metamorphose u oft kaum vermutungs-
weise anzudeuten. Dieses gestanden ernste, tüchtige Forscher ein.
Die „grünen Schiefer" sind, auf ihrer ersten und verbreitet-
sten Entwickelungs-Stufe, grünlichgrau, berg- oder dunkelgrüne Thon-
Schiefer, mit mehr oder weniger Neigung zu schuppiger oder kristal-
linisch blätteriger Textur. Die „grauen Schieferu zeigen sich als
graulichschwarze Thonschiefer, theils stark, theils gar nicht aufbrau-
send, auf den Flächen oft schimmernd von, enge mit der Grundmasse
verwachsenen Glimmer-Blätteben u. s. w. Es zerfallen die grauen Schie-
fer io : ältere Schiefer, Anthracit-Schiefer, jurassische Schiefer und Flyscb.
„Dem grauen Schiefer untergeordnete Gesteine," die
„Endungs-Gesteine der nördlichen CeDtralmasse,u die
„Quarzite der nördlichen Zwischen-Bildung,u „rothe Sand-
steine und Verruca do des Ostrandes, u endlich Verrucano
und rothe Sandsteine desSüdrandes machen den Schluss. lieber
diese Felsarten ist das Weitere im Buche nachzulesen.
Im zweiten Abschnitt des Haupttheiles handelt unser H Verf. die
südliche Nebenzone der Alpen ab. Es kommen zur Sprache: Val Trom-
pia, Val Seriana, Val Brembana, Comersee und Brian za,
ao wie die westliche Gegend, Bei letzterer wird der Porphyre und
Granite gedacht, der altern Kalk- und Dolomit-Gebirge, der jüngern Kalk-
Gebirge, der Flyscb- und Tertiär- Bildungen.
Das Aeussere des Buches ist in jeder Beziehung sehr anständig.
Dem Erscheinen des zweiten Bandes, welcher die nördlichen Kalkalpen
enthalten soll, den Jura and das Hügelland, sehen wir mit Verlangen
entgegen.
»
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860 Des Königs Gedanken.
Des Königs Gedanken und ein Stuck Geschichte 1816 — 1847. Aus den
Papieren eines Mannes , der mit ihm alt geworden. 20 S. in
Duodez. Stuttgart, i849 bei P. Neff.
Der Bericht -Erstalter ist des Glaubens — und kaum dürfte ersieh
irren — den die kleiue Schrift , wovon die Rede sein soll , den Lehern
der Jahrbücher, und mit ihnen vielen Andern, eben so unbekannt geblie-
ben, wie dieses bei ihm, dem Referenten, bis vor ganz kurier Zeit der
Fall gewesen. „Des Königs Gedanken" verdienen jedoch gekannt zu sein,
und in mehr als einer Hinsicht. Zum Beweise gestatten wir uns die Mit-
theilung einiger Stellen. Die „Widmung" lautet so:
Jetzt, wo ihren Gang die Geister freier denn vor Zeiten gehn,
Wo die Völker wir verwalten und die Fürsten feiern seh'n
Jetzt, wo Königsloh Verratli ist an des Volkes Majestät,
Das mir theuer, dessen Herrschaft doch ibm nicht zu Häupten steht,
Da, die ihm zu Füssen sitzen , seine Freunde Schelme sind
Und dich an der Nase führen, gutes Volk, du ewig Kind,
Wie die Zeit auch schnell die Saat jettt, Kraut und Unkraut zeitigt — nein,
Mündig wird die Masse nimmer, Majestät der Michel sein!
Jetzt, ihr Wüstenlieder wachet, die ihr lang' geschlafen, auf,
Könnt ihr auch die Welt nicht wenden, lenkt ihr doch die Blicke drauf
Und erweckt, wüTs Gott, Vertrauen, da ihr schwiegt und dann erst singt ,
Wo das Singen keine Kränze, aber Dornenkronen bringt.
Es wurden diese Worte geschrieben am 4 August 1848; aliein
Hindernisse bedauerlichen Andenkens, deren Beseitigung nicht in der Macht
des Verfassers stand, verzögerten den Druck bis zum 1. ApriV im Jahre
des Heils ein Tausend acht Hundert und neun und vierzig „unserer Er-
rungenschaften im zweiten.*4
Unter der Ceberschrift „Wegweiser" lesen wir:
Es sind des Königs Gedanken,
Ich stehe dafor ein,
Ich sag' es unverhohlen,
Ich habe sie gestohlen,
Aus seines Herzens Schrein.
Er schloss ihn hin und wieder
Wohl auf, das hab' ich erpasst
Und nahm von den Edelsteioen ,
Sie sind und bleiben die seinen ,
Ich habe sie nur gefasst.
Von den „Stationen" heben wir die dritte hervor. Hier beUst es:
Man hat uns viel genommen
Vom Wesen und vom Schein,
Ob zu der Völker Frommen —
Ich glaube ja und nein.
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Des Königs Gedanken.
861
Man hört es oft beklagen —
Mir macht es keinen Schmers.
Ich fühle ruhig schlagen
Wie sonst mein Fürstenherl.
Gefallen sind die Throne
Im Werth, ich weiss! Wohlan,
Hält nicht den Mann die Krone,
So halte sie der Mann.
Nur lasst's ihn auch vollbringen,
Lasst Fürsten Fürsten sein,
FCnr sprecht in seinen Dingen
Nicht unberufen drein.
Erspart dem Land den Jammer,
Dehnt nicht die Vollmscht aus,
Thut nicht als sei die Kammer
Auch schon das ganze Haus,
Seht, sonst steht zu besorgen,
Geht die Geduld uns aus,
Wir künden heut' oder morgen
Der Kammer nnd schliefen das Haus.
Das aber war noch selten
Fürs Land ein Erntefest,
D'rum lasst den König gelten,
Wie er euch gelten lasst .
Wer Verfasser der „Königs- Gedanken" ist? Diess bleibt unser
Geheim niss. Wir kennen ihn; den Lesern genüge die Zusicherung: dass
sie ei mit einem Ehrenmanne zu thun haben.
v. Leonhard.
Begründung eines neuen \erfahrens, sämmtliche Wurzeln einer höhern
Gleichung ohne alle Vorkenntnisse der höhern Algebra auf dem
mechanischen Wege schnell und sicher zu berechnen. Wissen-
schaftlich dargestellt, durch Beispiele erläutert und für die Praxis
bearbeitet ton Dr. G. A. Jahn. Leipzig. Verlag ton Otto Spa-
mer. 1851. (72 S. in 8).
Die vorliegende kleine Schrift, gewidmet dem Hrn. Ober-Buchhalter
Carl Lichtenberger in Neunkircbea bei Saar brück, hat) wie ihr aus-
führlicher Titel besagt, sich die Aufgabe gestellt, neben den bis jetzt be-
kannten, gewiss nicht zu wenig zahlreichen Methoden zur annftherungs-
i
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862 Jahn: Verfahren, die Wurzeln höherer Gleichung zu berechne!.
weisen Auflösung der höhern Gleichungen eine neue zu erfinden, die als
neueste natürlich auch die allerbequemste , sicherste und zweckmäßigste
sein muss, da sonst begreiflicher Weise die zu ihrer Auffindung ver-
wandte Mühe verloren gewesen wäre. Ungeachtet „der sonst höchst ver-
dienstvollen'' Bemühungen eines Fourier, I) robisch und besonders
Gräffe, sii mint liehe Wurzeln einer höhern numerischen Gleichung auf-
zufinden und zu berechnen, sei doch der theoretische Theil dem prakti-
schen dermalen vorausgeeilt, dass sogar Mathematiker gar manche Un-
bequemlichkeit fühlen, wenn sie sich mit der Auflösung einer hohem
Gleichung abgeben wollen. Dem nun gründlich abzuhelfen, und also eine
lief uod allgemein gefühlte LUcke auszufüllen, ist die Absicht des Ver-
fassers der vorliegenden Schrift. Ob es ihm gelungen sei, durch seine
neue Auflösungsweise das Berechnen saramtlicher Wurzeln einer ge-
gebenen höhern numerischen Gleichung rein elementar und in Bezug auf
den eigentlich praktischen Theil, ohne sich um irgeod eine theoretische
Bücksicht bekümmern zu brauchen, völlig mechanisch zu machen — sagt
der Verfasser — könne nicht die Kritik, sondern nur die Erfahrung der-
jenigen Rechner bestimmen, welche die Wurzeln einer und derselben
Gleichung sowohl nach einem bisherigen, als auch nach seinem Verfahren
bestimmt haben. Obgleich hiedurch der Verfasser von vorn herein gegen
ein theoretisches Urtbeil (die „Kritik") Einsprache erhebt, kann sich Re-
ferent doch nicht versagen, ein paar Worte, weun auch nur theoretisch,
über genannte Schrift hier laut werden zu lassen.
Zuerst muss man sich darüber verständigen, was mau nach dem
dermaligen Stande der Wissenschaften von einer Methode zur genäherten
Auflösung der numerischen Gleichungen fordern darf. Neben einem Me-
chanismus, der nicht schwer verständlich und leicht zu handhaben ist,
ist nämlich ein wichtiges Erforderniss noch, in jedem Stadium der Rech-
nung genau zu wissen, in wie weit die gefundene Näherung genau ist,
d. h. man muss eine bestimmte Grenze für den begangenen Fehler anzu-
ben wissen. Dass dies z. B. Fourier's Methode leistet, ist bekannt, dass
aber namentlich die von Horner (wovon unser Buch wohlweislich kein
Wort sagt, angegebene Methode in vorzüglichem Müsse dasselbe gleichfalls
leistet, ist eben so bekannt. Dass aber die hier vorgeschlagene Methode,
wenigstens in dem Zustande, in dem sie in vorliegender Schrift darge-
stellt wird, dies nicht leistet, wird man sich sehr leicht überzeugen, wenn
man nur flüchtig die gegebenen Entwickelungen Ubersiebt.
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Nr. 55. HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
t V
(Schluss.)
Nachdem im ersten Abschnitt (gleich im §. 1.) ein unbewiesener
Satz aufgeführt ist, wird der eigentliche Grundgedanke der neuesten Auf-
lösungsmethode sogleich auseinander gesetzt, der einfach darin besteht,
eine gegebene Gleichung des n«*« Grades in eine des zweiten ond eine
des n— 2lcn Grades zu zerlegen, wobei dann freilich bei der Bestimmung
der Koeffizienten dieser zwei Gleichungen die alte Schwierigkeit wieder-
kehrt, nämlich eben die höhere Gleichung auflöseu zu können. Dafür
wird nun im zweiten Abschnitt die Annahme gemacht, dass wenn die
zu suchende Gleichung des 2ten Grades x2-\-Btx-{-B0—Q ist, die Koef-
fizienten Bj und B0 die Form hoben: Bl=m(1-fbl), Bjprm'QJ-j-bg),
wo m ein angenäherter Werth von B, , m'ß ein angenäherter Werth
tod B0 ist, den man zum Voraus kennen muss. Ein von da
an nicht unbequemer Mechanismus lehrt dann, unter diu- Voraussetzung,
dass man die höhern Dimensionen von b0 uud hl vernachlässigen kann,
die Koeffizienten der Gleichungen des n— 2,en Grade* finden und das
aus diesen Untersuchungen sich ergebende Schema wi.J auf die Glei-
chungen des 3l(n bis 7,e» Grades speziell angewendet. Abgesehen davon,
dass aus den im Buche gegebenen Eutwickelungen auch durchaus nicht
hervorgeht, io wie ferne man den begangenen Fehler auch nur io ziem-
lich weiten Umrissen schätzen kann; abgesehen ferner davon, dass es
Referenten nicht rect einleuchten will, wozu denn die io §. 1 ver-
langte Umformoog einer Gleichung io eine solche, die lauter Zeicheowech-
sel hat uod vollständig ist, nötbig ist, möchte die Bestimmung von m und
ß gerade das Misslichste der ganzen Arbeit sein. Zwar ja der Verfasser
M M
schlägt im dritten Abschnitt vor, anzunehmen, das tn= J,ß=:— 21
Mam
M
oder aoeh m=MB_1ß=-^, weoo die gegebeoe Gleicbuog ist xa-|-MB_i
xb— i_|_Mn_2x««— 2-f- -|-M3x2-f-M1 x-f-M0^=0, ohne aber diese An-
nahme irgeod wie weiter [zu begründen. Ja er sagt sogar (S. 22), dass
dann wohl b0 und b, noch grösser als 1 sein könnten, und doch beruht
seine Methode auf der Annahme, b0 und b, seien sehr klein. Dass also
hinsichtlich der eben angeführten Annahme bedeutende Anstände obwalten,
XLIY. Jahrg. 6. Doppelheft 55
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864 Jahn: Verfahren, die Warsöll höherer Gieicbing sa berechnen.
unterliegt keinem Zweifel, aod es wäre vielleicht zur Beurteilung des so
ausserordentlichen Nutsens dieser neuen Methode dienlich gewesen, wenn
in den 8. 23 ff. gelösten Beispielen die „flüchtigen1* Rechnungen, die zur
Annahme der dortigen Werthe von m und ß geführt haben, ebenfalls
mitgetheilt wären. Uebrigens wüssten wir nicht, in wie weit gerade die
mitgeteilten Beispiele sollten sur Empfehlung der Metbode dienen. So
werden für die drei Wurzeln der so viel als Beispiel gebrauchten Glei-
chung x8— 7x+7=0 gefunden -f- 1356809,-3 048915, 1 692106,
während die wahren Wurselo sind : + 1-356895,— 3048917, 1 692021
(Kluger» Wörterbuch, Supplemente, Artikel Gleichung S. 568). Daraus
mag die Genauigkeit der neuen Methode beurtheiit werdeo.
Gleiches mag auch von der zweiten AMbeilung gölten, die sich die
Aufgabe stellt, die Wurzeln der höbern Gleichungen direkt in der Form
m+V^--n heriuslellen (bekanntlich die Rutherford'sche Form). Ge-
nau dieselben Vorwürfe treffen auch diesen Tbeil und wir wollen sie des-
wegen nicht wiederholen.
Soll also die hier dargestellte Methode einen wissenschaftlichen Werth
und damit auch eine wahrhafte Geltung für die Praxis (die übrigens von der
Wissenschaft nicht gar weit abseits liegen darf) erlangen, so müssen eine
Reihe höchst wesentlicher Verbesserungen an ihr angebracht werden, na-
mentlich muss gezeigt werden, in welcher Weise die ersten genäherten
Werthe leicht zu finden sind , sodann muss ein Merkmal angegeben sein,
nach dem man die Genauigkeit des erhaltenen Resultats bestimmen kann.
Ohne dies ist die Methode ungenau und darum, bei den bekannten, weit
genauem Methoden, verwerflich.
Der Situotionskalkul. Versuch einer arithmetischen Darstellung der nie-
dern and höhern Geometrie auf Grund einer abstrakten Auffas-
sung der räumlichen Grössen, Formen und Belegungen ton Her-
mann Scheffler. Mit 97 in den Text eingedruckten Holz-
sehnilten, Braunschioeig , Druck und Verlag ton Friedrich Vie-
u>eg und Sohn. 1851 (A7K * 404 S. in 8.)
An die namentlich von Gauss angeregte sogenannte geometrische
Bedeutung der imaginären Zahlen anknüpfend, hat der Verfasser des vor-
liegenden Buches schon 1846 unter dem Titel: „Ueber das Verhältnis!
der Arithmetik zur Geometrie, insbesondere Uber die geometrische Be-
deutung der imaginären Zahlen von H. Sehe ff! er, tt (Brauusch weif,
Yerlag der Uofbuchhandlung von Eduard Leibrock.) ein dem Gegenstände
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Sehe 01er: Sitoationskalkul.
865
des vorliegenden so sehr verwandtem Werk geschrieben, dass das neue
Buch gewissermaßen nur als Fortbildung und Entwicklung der Gedanken
des frühem angesehen werden kann. Die wesentlichen Grundsätze, wenn
auch oft minder klar und bestimmt ausgesprochen, liegen dem frühem
Und dem spätem Bnche zu Grunde, wofür freilich die Eleganz der Ent-
wicklung und Ableitung der Sätze, die Ausdehnung der Grundprinzipien
auf die mannigfaltigsten geometrischen Gestaltungen dem spätem Werke
einen bedeutenden Vorzug vor dem frühem einräumen. Immerhin aber
soll das letztere gelesen werden , ehe man das erstere zur Hand nimmt,
so wie es auch ziemlich viele Einzelheiten enthüll, die in dem neuem
fehlen. Der Fortschritt, den die Ideen des Verfassers bei ihm selbst ge-
macht, läset sich dadurch ebenfalls recht anschaulich auflassen, da in dem
frühem manche Punkte sind, die, wie der Verfasser in der Vorrede zum
vorliegenden Buche sagt, noch nicht zum völligen Durchbrnche gekom-
men waren. Es schiene desswegen angemessen zu sein, zuerst das frü-
here Werk zu besprechen, und dann erst sich zum neuen zu wenden;
allein da, wie bereits gesagt, dieselben Grundsätze beiden zum Fundamente
dienen und eine blosse Vergleicbung der etwaigen Fortschritte nicht Zweck
dieser Anzeige ist, so bat Referent es vorgezogen, bloss das spätere Buch
seiner Betrachtung in diesen Blättern zu unterziehen, zumal die in Frage
stehende neue Methode gerade erst hier schärfer ausgeprägt erscheint.
Wir werden dabei einerseits das Wesen dieser Methode, wie es im vor-
liegendem Buche dargestellt ist, in so ferne es der beschränkte Raum
einer Anzeige gestaltet, wiederzugeben suchen, anderseits Einzelheiten
nur berühren und dafür auf das Buch selbst verweisen.
An jeder mathematischen Grösse hat man zu betrachten die Quan-
tität (Vielheit der T heile), die Richtung und den Ort derselben.
Data man die Quantität a in einem gewissen S i n n e oder in einer gewissen
Richtung entstanden denken soll, wird aritbmethisch durch eineu beson-
dern Koeffizienten, den Richtungskoeffizienten, bezeichnet, mit
welchem die Quantität a zu m u 1 1 p I i c i r e n ist In wie ferne dies mit
Notwendigkeit geschehen müsse, bat der Verfasser in dem frühem Werke
darzuthun gesucht (§. 33 ff.), allein trotz jenem Nachweise liegt hier
eine Willkür uuter, die nämlich darin besteht, dass man die Richtung
durch einen Koeffizienten (Faktor) bezeichnet. Nimmt man diese willkür-
liche Festsetzung an , so folgt allerdings die geometrische Bedeutung der
imaginären Grosse yZT\ von selbst; allein gerade wegen jener willkür-
licben Annahme ist diese Bedeutung keineswegs über alle Zweifel erho-
ben. Referent will ei bedanken, dass man Arithmetik und Geometrie
55*
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866
Schettler: Situationskalkul
etwas weiter auseinander halten sollte, da dieselben denn doch verschieden
und die arithmetische und geometrische Bedeutung von nicht
geradezu dasselbe sind, wenn nämlich die geometrische Bedentang in dem
Sinne aurgefasst wird, wie unser Buch sie gibt. Wir verweisen als Bei-
spiel nur auf die §§. 58 — 64 des frühem Buchs, die wahrlich die hier
gemeinte Bedeutung der imaginären Grössen kaum empfehlenswert ma-
chen würden, wenn man eben damit über den Kreis hinaustreten wollte,
in dem sie in ihrem vollen Rechte ist. Angenommen also, die Rich-
tung werde durch einen Koeffizienten (Faktor) angedeutet, ao ist es
leicht , denselben zu Gnden. Von einem Punkte aus iu einer geraden Linie,
die wir die primäre Axe heissen wollen, fortschreitend, stellen wir die p o-
sitiveLinien dar, in entgegengesetzter Richtung fort- (oder vielmehr rück-)
schreitend, erhalten wir die negativen Linien. Eine negative Linie — a wird aus
der positiven a (der Quantität) erhalten, wenn man letztere mit - 1 moltiplizirf.
Soll aber die positive Linie a in die negative — a übergehen, ohne ihre
Quantität (absolute Länge) zu ändern, so kann diess, da alle Uebergänge
ihrer Natur nach nur stetig sein können, nur dadurch geschehen, da»
a In einer durch die primäre Axe gelegten Ebene sich um den Null-
punkt (Anfangspunkt der primären Axe) stetig dreht, bis sie in die
negative Richtung (Verlängerung) der primären Axe fällt. Denken wir
uns für einen Augenblick, sie stehe durch diese Drehung senkrecht anf
der primären Axe und lassen wir obige Annahme hinsichtlich der Mul-
tiplikation mit einem Faktor gelten, so sei a dieser Faktor, mitbin a<z
die nach Quantität und Richtung ausgedrückte Linie. Setzt man die
Drehung um weitere 90° fort, so wird aa nothwendig zu aaa = aal
geworden sein, da die Multiplikation mit a einer Drehung von 90° ent-
spricht. Da aber die gesammte Drehung 180° beträgt, so ist die nach
Quantität und Richtung ausgedrückte Linie a=( — l)a, so dasa also
aaa=(— l)a, d. h. az~—1, a=y"Z^ sein mufs. Daraus folgt also,
dass eine Multiplikation mit V~\ einer Drehung von 90° entpricbt, wo
V^— 1 definirt ist durch (y^Z~j")a= — Wir sehen nun hier allerdings
die imaginäre Einheit y/ —\ zum Vorschein kommen und sehen zugleich,
dass *V'~\ eine Linie = a bedeutet, die auf der primären Axe senk-
recht steht; allein, wie bereits gesagt, beruht diess Alles nur auf der
Annahme, dass die Drehung durch Multiplikation mit einem Faktor ausge-
drückt werde. Diese (erlaubte) Annahme einmal gemacht, ergiebt sich
das Uebrige mit Nothwendigkeit, ohne dass aber daraus folgt, dass es
gerade so sein müsse , oder dass y/~{ immer eine auf -f- 1 senkrecht
stehende Richtung bedeute, am wenigsten, wenn man eine derartige ße-
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Scheffler: Silnationskalkul.
86T
Bedeutung in ein Gebiet tibertragen wollte, das dem hier behandelten
iil.
Es ist nun leicht einzusehen, dass die Grösse wyf— 1 nach Quan-
tität und Richtung eine Gerade (=a) darstellt, die durch den Nullpunkt
gebt und sich unter dem Winkel — gegen die positive Richtung der
« nv
primären Axe neigt. Das die Grösse V—l— e oder allgemein
r m7iv/ "~i
Q — 1 )m=e hat der Verfasser allerdings in dem frühern Werk
nachgewiesen (§. 45}; ohne dass wir übrigens jenen Nachweis unbe-
dingt für genügend erklären wollten, da man auf dem Wege der gewöhn-
lichen Algebra weit einfacher zu demselben Ziele gelangt Somit wollen
wir also ( — l)n,=e m7:V— 1 ' —cosnrn+sinmrcv^T^teenjSodassend-
mitv'' |
lieh a e nach Quantität und Richtung eine Linie bezeichnet, die sss a
und mit der primären Axe den Winkel mit macht.
Die auf der primären Axe im Mittelpunkte senkrechte Linie soll die
sekundäre Axe heissen, die nach der einen Seile positiv, nach der andern
negativ ist. Eine jede in ihr liegende Gerade wird durch a/^i~ ae
% . 371 .
— y — i
2 oder —ay/^i=e% ausgedrückt, je nachdem sie nach
der positiven oder negativen Seite der sekundären Axe gerichtet ist. Al-
gemein möge „e"1^-! darch (a) bezeichnet werden. Hat man nun
iwei Linien (a)=a e*^1 , (b>=b e^-1 , deren Quantitäten (ab-
solute Längen) also a und b, und deren Neigungen gegen die primäre
Axe a und ß seien, nnd will dieselben addiren, so heisst dies nichts
Anderes, als eine Linie (c) erzeugen, die vom Mittelpunkte beginnend
in einem Punkt endigt, den man findet, wenn man an (a) die Grösse (b)
(also nach Quantität und Richtung) ansetzt. Nach dieser Erklärung
folgt dann leicht, dass man die Summe (a)+(b)=(c) findet, wenn
man zunächst eine Linie a unter dem Neigungswinkel a und sodann eine
b onter dem Neigungswinkel ß, beide vom Nullpunkt aus, zieht, sodann
im Endpunkte der erstem eine der zweiten parallele, gleich gerichtete
nnd gleich lange zieht, und den Endpunkt dieser letztern mit dem Null-
punkt verbindet. Ist also c die Quantität, f die Neigung dioser letetern
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Schettler: SituationskalkaL
Daraus schliesst man leicht, dais wenn man von einem Punkte der
Ebene zu einem andern übergeht, auf welchem Wege (durch eine ein-
fache oder gebrochene Linie) dies auch sei, der ganze Weg, d. h. die
Summe der einzelnen Linien, unveränderlich sei.
Eine Linie von einer andern subtrabiren heissl nur die Richtung der
zu subtrahirenden verkehren , so dass die Subtraktion a e — b
er auf die Addition von ae -f-b er
Gesetzt nun, man wolle die in der primären Axe liegende Gerade
acos'p und die in der sekundären Axe liegende a sin <p y^ZLl, nach der
eben gegebenen Erklärung dieses Wortes, addireo, so erhall man, wie
man leicht sieht, eine Gerade a, die sich unter dem Winkel <p gegen
<2v/°_~i .
die primäre Axe neigt, so dass also ae a cos cp-}-asin Oy — 1
d. h. dass man jede Linie (a) als die Summe zweier Linien a cos cp nnd
a sin <p ansehen darf, von denen die erste in der primären, die zweite in der
sekundären Axe liegt. Daraus folgt dann leicht, dass ae -f-be
auch gleich ist der Summe (a cos a + b cos ß) -j- (a sin a -f- b sin ß) yf^X und
*(V— 1 ay^— 1 Öv/^— 1
wenn also ce =ae -f-be sein soll, man haben muss:
c cos Y -f - c sin \ — (a cos a +D cos ß) -f- Ca s,n a ~h ^ sm ß) V— 1 •
Solleu zwei Linien einander gleich sein, sowohl in Richtung als
Quantität, so muss das Primäre und Sekundäre beider gleich sein, d. b.
insu muss haben: c. cosY^rracosa-f-bcosß, csinY=asina-}-bsmß,
woraus c und 7 bestimmt werden können.
Wir sind bei diesen Erläuterungen allerdings nicht geradezu dem
Buche gefolgt, sondern haben (wie dies noch mehrfach geschehen wird)
die Sache dargestellt, wie sie uns im Geiste der fraglichen Methode
zu liegen scheint; man wird aber daraus leicht entnehmen, welche Be-
deutung der Snmmirung zweier Linien in dem hier ausgesprochenen Sinne
gegeben werden muss, wenn man sie in die Sprache der gewöhnlichen
analytischen Geometrie übertragen will. Die Summe eiuer Reihe zusam-
menhängender Linien ist alsdann eine Linie, deren Projektionen auf zwei
rechtwinkliche Axen gleich sind resp. den (algebraischen) Summen der
Propektionen des ganzen zusammenhängenden Liniensystems. Es lasst sieb
keineswegs Iäugnen, dass die Darstellungsweise unser* Buches eine scharf-
sinnige, das Wesen der Sache erfassende ist, und dass eben desswegen
dieselbe sich ausnehmend empfiehlt.
Es lässt sich hieraus nun auch leicht entnehmen, dass eine Drehung
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Schettler: Situationskalkul. 869
der Linie ae^ um einen Winke! ß arithmetisch dadurch voll-
zogen wird, dass man aeÄV^ mit e^^^"""* multipliiirt, wodurch man
ja aev rjY erhält, welche Linie sich allerdings unter dem Win-
kel (a+ßJ e*e«*en die pnmäre Axe neigt.
Wir ttbergeheu das, was der Verfasser Uber Multiplikation, Division,
Potenzirung, Wurzelausziehuug und Exponentiation sagt, einerseits da die
Resultate bekannt sind, anderseits eine Hinweisnng auf das Buch genügen
mag. Sehr interessant ist namenlich die dort geführte Untersuchung über
die Vieldeutigkeit der Wurzeigrössen. Bei unserer, schon oben ausge-
sprochenen Ansicht würdeu wir dergleichen Untersuchungen In die „Arith-
metik14 verweisen und sie also hier nicht aufrühren, zumal ja auch im Fol-
genden keinerlei Gebrauch davon gemacht wird.
Das Gesagte dient nur dazu, Quantität nnd Richtung einer Geraden
festzustellen , die durch den Nullpunkt geht. Gerade diese letztere Be-
dingung aber ist es, die noch aufgehoben werden muss, um eine Gerade
in einer Ebene allgemein betrachten zu können. Denken wir uns
eine ihrer Quantität und Richtung nach gegebene, durch den Nullpunkt
hende Gerade be^^""1 bewege sich parallel mit sich selbst längs der
ebenfalls gegebenen Geraden a * hin, bis sie deren Endpunkt er-
reicht hat, so wird dieselbe dadurch jede beliebige Lage in der Ebene
können und man wird also die gestellte Aufgabe in völliger
Allgemeinheit gelöst haben. Die Grösse ae^ 1 beisst nun der Abstand
der Grösse be^-1, und man wird also im Allgemeinen unter dieser
Beziehnung eine Linie (nach Quantität nnd Richtung) verstehen, die vom
ßV*— 1
Nullpunkte zu einem bestimmten Punkte gezogen ist. Die Linie be
bezeichnet nun der Verfasser, indem er andeutet, dass sie den Abstand
ae hat, durch ((b))~„(a)„-|-(b), worin also das zwischen An-
führungszeichen gesetzte (a) den Abstand, und (b) die vom Endpunkte
von (a) aus, nach der durch ß gegebenen Richtung gezogene Gerade
bedeutet. Bezeichnet man mit (c) die vom Nullpunkte nach dem End-
punkte von ((b)) gezogene Gerade, so ist offenbar (c)=(a)-j-(D). Dass
man in ähnlicher Weise für den Abstand ein gebrochenes Liniensystem
wählen kann, ist klar, so dass etwa allgemeiner:
C(«J)>=»-K«>K"»)+WB+[(O+C«>K0] «■ '• *
870 Scheffler: Situntionskalkul
Ueberhaupt kann jeder beliebige Zug, der stelig durchlaufen wird,
in dieser Weise dargestellt werden, wobei es sich recht wohl er-
eignen kann, dass ein und derselbe Weg mehrmals und in verschiedenen
Richtungen durchlaufen werden kann. Auch verschiedene Züge lassen
sich dadurch verbinden. So bedeutet z. B. die Formel: „(OA)" + (AB)
-f (BC) + (CD) + (DE) -f „(EK)„ + (HJ) + (JH), das» der Ab-
Itand des Anfangspunkts A des Zuges (AB) + (BC) -f (CD) -f- (DR)
vom Nullpunkte sei (OA) ; dass ferner der Anfangspunkt K des Zuges
(KJ)-j-(JH) vom Endpunkte des vorigen Zuges, nemlich E, den Ab-
stand (EK) hohe n. s. w. Es Irrten also bei einem linearen Zuge drei
Blerkmole auf, die einzeln oder zuspmmen einer Veränderung fähig sind:
die I, (Inge, der Abstand nnd die Richtung. Angenommen also
man habe den Zug „(a)„ -f- (b) -j- (c) -j (d) — „a e „ -|~be
-|_ ceS^"~ 1 -f-de ^V \ so werden neue Züge daraus ent-
stehen, wenn man die (absolute) Länge einer Seite, z. B. (c) ändert,
also c etwa in c, übergehen lägst, oder wenn man den ganzen Abstand
fc(a)u Ändert, oder wenn die Richtungen einer oder mehrerer Seit
werden. Diese Betrachtung ist in unserem Buche sehr klar und at
durch Zeichnungen unterstützt, durchgeführt, und wir enthalten uns, namentlich
* -
des letztern Ilmstands wegen, darauf weiter einzugehen. Wir wollen
nur darauf aufmerksam machen, wie hieraus höchst einfach der bekannte
Satz von der Summe der Winkel in einem Vieleck folgt. Man denke
sich nämlich eine Gerade in der primären Axe, deren Richtungskoeffizient
also e °V — 1 jst Wjr nenmf n ouf derselben ein Stück a vom Null-
punkte aas, und drehen den Rest um den Endpunkt dieses Stücks um
4eo Wiukel a, so dass der Richlungskoeffizient des gedrehten Stücks
e ist. Ganz dasselbe thun wir nun auch auf dieser Linie, indem
wir auf ihr eiu Stück b wühlen und den Rest noch weiter um den
Winkel ß drehen, so dass der Richlungskoeffizient des gedreheten Stücks
(a -f ß) V'-Tf
• ist. Fahren wir so fort, bis endlich ein gedrehtesaStück
iu den Nullpunkt geht und drehen dann zum letzten Mal um den Win-
kel m in die primäre Axe zurück, so hat diese den RichlungskoefBzien-
{ea e , der gleich e aetn mnss,
wo k eine positive ganze Zahl ist. Danach hat man «+ß + ....
+ OJ = 2k7C. Sind einzelne der Winket ß,... negativ, so erhält man
ein Vieleck mit einspringenden Wiukeln; im Allgemeinen sind a, ß,...o
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Scheffler: Siluntionsknlkul. 871
die Aussenwinkel des Vielecks. Da k eine ganze Zahl ist, so wird also
durch eine sehr kleine Verrückung der Seiten die Summe cc -j- p -f- . . .
— j— co nicht geändert, da eine solche Verrückung auch nur eine kleine
Aenderung in jener Summe hervorbringen könnte; daraus schliesst man
leicht, dass durch eine wiederholte kleine Verrückung, d. h. durch jede
Verrückung, jene Summe nicht geändert wird. Durch angemessene Ver-
rückuog der Seiten kann aber jedes Vieleck in ein Dreieck geändert
werden, und dann ist die Summe a-j-ß-f-Y<3TC, also offenbar
k=l, d, h. die Summe der Aussenwinkel eines Vielecks r=2it.
Die Formel „(ao^ ^"-f-*«^^ in der a, a, ß konstant,
z veränderlich stellt offenbar eine Gerade in ihrer ganzen Ausdehnung
dar, die durch den Endpunkt von ae geht, wenn man x sowohl
positive als negative Werthe beilegt. Bezeichnet man mit (r) den Ra-
diusvector, der vom Nullpunkte nach einem beliebigen Punkte dieser Ge-
raden gezogen ist, so stellt (rj^ae^'^xe^^^ die Gleich-
oag obiger Geraden dar. Ganz ebenso wird (r)=be^^ ^-j-ae^^ *
worin b, ß, a konstant, <p veränderlich, die Gleicheng eines Kreises dar-
stellen, dessen Halbmesser =a und dessen Mittelpunkt im Endpunkt der
Geraden be^—1 liegt.
" '■ Sind oKO^P^+xe^Cr, ^-(-x, e"' ^
die Gleichungen zweier Geraden, so wird (r)— (r,) ihren Durchschnitts-
punkt geben, d. h. man muss haben:
b cos ß -|- x cos ot~b, cos ß, -f- x, cos a, , b sin ß -)- x sin a=b, sinß, -f-*i sinOj ,
b, sin(a, — ß,) — bsi»(aj — ß) _ bsin(a-ß)-b,sin(a-ßj),
sin(a, — a) ' 1 sin(a — a,)
wodurch nun in jeder der zwei Linien (r) und (r,) der fragliche Durch-
schniltspunkt festgelegt i*t. Ganz in ähnlicher Weise wird der Durch-
schnitt einer Geraden und eiues Kreises, sowie zweier Kreise bestimmt ($. 8).
Interessante Betrachtungen Uber das Verhältnis* der geometrischen
Konstruktion zur arithmetischen Rechnung, über eine Reihe der elemen-
taren Konstruktionen der Geometrie, sowie Uber die Konstruktion der Aus-
drücke y^a¥, V^ä*±b^ u. s. w. bilden den Gegenstand der folgenden
§§., auf den wir aber hier nicht weiter eingehen wollen, da, wenn gleich
höchst lehrreich, die Resultate keineswegs neu sind nnd ohne Zeichnung
die Darstellung begreiflicher weise sehr schleppend sein müsste.
Wenden wir uns nun zur Betrachteng krummer Linien in einer
woraus
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Schettler : Siiuatiomkalkol.
Ebene, so werden wir uns die Entstehung
machen, wenn wir uns dieselben als Polygone von unendlich vielen,
endlich kleinen Seiten denken, so dass sie also durch einen Punkt be-
schrieben werden, der stetig fortschreitet, aber auch stelig dabei
Richtung ändert. Bezeichnet nun ds eine der unendlich kleinen
des Polygons (Kurve), d<|» die unendlich kleine Drehung, welche der er-
setzende Punkt machte (d. b. der Winkel, den diese Seite und die vor-
hergehende mit einander machen), so wird zwischen ds und tty ein Ver-
faältniss statthaben müssen, das in der Natur der entstehenden Kurve be-
gründet ist, und das eine Funktion des Winkels *}, f(0, "in muss, so
dass man haben wird ~j^=f(<|/). Daraus folgt, dass das Element ds, nach
Lange und Richtung aufgefasst, durch ds ~~X —{(jfifr^^ ~ 1 dar-
gestellt werden muss, wo <|> der Winkel ist, der die Richtung des Ele-
ments mit der primären Axe macht. Ist a e** der Abstsnd der Kurve,
d. h. die Länge und Richtung der vom Nullpunkte auf denjenigen Punkt
gezogenen Geraden, in dem der Bogen s anfängt und für den r{— iQ ist,
folgt nach dem Frühern leicht, dass
W=re =»° Vfc
die Gleichung der Kurve ist, worin 6 die unabhängige Verinder-
liehe, re nach Länge und Richtung derRadiusvector für den $ ent-
sprechenden Punkt ist.
Dass es leicht ist, von dem hier gewählten natürlichen Koor-
dinatensystem zu einein der gewöhnlichen überzugehen, liegt auf der Hand.
Will man z. B. zu einem rechtwinklickten übergeben, so ist x=rcos<p=acosct
-f- (lOrOcosOrOd^, y=rsiu9=asina-|- | »(t^sin^df, woraus r und 9
folgen. Auch ist ds=f(»d<|/, 6x=l(ty cos fdf, dy=f(f) sin 4)df , also
mithin fQ»)=^:r= F*^Gx) ]^ * *' W" ^ ta^tlc^ anc^ ^er
" dVy
dz3
kel, den die Tangente in dem tf> entsprechenden Punkte der Kurve mit
der primären Axe macht. Demnach ist die Gleichung der Tangente in
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^5 c \\ g fl*^ &r • ^5 1 tu fl 1 1 o n s o 1 k q *
873
dem Punkte der Kurve, der zum Winkel <|>, gehört: [(Ol— »ae
+ r'lf(+>^~^^+le*lV^=:7, worin t die unabhängige Veraoder-
liehe ist. Diese Gleichung kann man auch darstellen durch (r)=acosa
Die Gleichung der auf der Tangente senkrecht stehenden Normale
Ut mitbin (r)=.ea^+jt^>tv^id++xe(+,+^V'^T.
Würde die Grösse \( - ) iu allen Punkten der Kurve konstant sein,
also z. B. vom Punkte ^ an den konstanten Werth (<|>,) behalten, so
entstünde ein Kreis, dessen Halbmesser ) wäre. Dieser Kreil hätte
also in dem fraglichen Punkte dieselbe Krümmung, wie die Kurve selbst,
und heisst desslialb der Krttmmungskreis. Der Mittelpunkt desselben
liegt auf der Normale und ist somit unschwer zn bestimmen.
Das bei obigen Betrachtungen eingeführte Koordinatensystem ergab
sich unmittelbar durch die Methode selbst; es hat den Vortheil, keinerlei
der Curve fremde Dinge mit einzuführen, vielmehr bloss die wesentlichen
Merkmale der Elemente selbst in Rechnung zu bringen. Daher bat es
der Verfasser mit Recht auch das natürliche geheissen. Eine Um-
setzung der Gleichung einer Curve in die verschiedenen möglichen, oder
vielmehr gebräuchlichen Koordinatensysteme lehrt dann §. 20,
worüber wir auf das Buch selbst verweisen, da der Gedankengang ein
einfacher ist.
Die Diskussion der Gleichung zwischen natürlichen Koordinaten für
besondere Fülle (Kreis, Gerade, Ellipse, Hyperbel, Parabel, Zykloide, lo-
garitbmische Spirale, Kettenlinie) , so wie dio Behandlung einiger Auf-
gaben , wie z. B. der Durchschnitt zweier Curven zu finden, Polygone
ein- und umzuschrauben u. s. w. macheo vertrauter mit der Anwendung
des natürlichen Koordinatensystems.
Ein Kurve kann aber auch erzeugt gedacht werden dadurch, dass ein
Linienzug sich bewegt, indem seine einzelnen Theile sich gesetzmässig
Andern, und der Weg des Endpuuktes als die erzeugte Curve angenom-
men wird. Denken wir uns ein aus zwei Geraden bestehendes System,
welches durch xe + *e dargestellt werdeu weg, so
können in demselben x, y, yj, & als veränderlich angesehen werden und
diese vier Grössen bilden dann ein zusammengesetztes Koordi-
natensystem. Es ist leicht einzusehen, dass alle bisher gebräuchli-
874
Schemer: Siluationskalkul.
eben Koordinatensysteme in diesem begriffen sind. Natürlich müssen x,
y, ij, 0 Functionen einer einzigen Veränderlichen sein. Wir wollen ein
einziges Beispiel (S. 143) wühlen: es haude<t sich um die Glei-
chung der Zykloide. Nehmen wir den Mittelpunkt des erzeugenden
Kreises in seiner anfänglichen Lage als Nullpunkt, die primäre Axe pa-
rallel der Geraden, auf der der Kreil rollt und sei x das Stück der
primären Axe vom Nullpunkte bis zum Mittelpunkte des rollenden Kreises
in einer spätem Lage, y=a der Halbmesser des erzeugenden Kreises,
Y — 1 , worin x die unabhängige Veränderliche ist. In ähnlicher
Weise werden die Epizykloide und Hypozykloide betrachtet, und der Zu-
sammenhang zwischen diesem Koordinatensystem und dem oben betrach-
teten natürlichen angegeben.
Dass man auch mehrere Gerade in dem beweglichen Zuge anneh-
men kann, ist klar und man erhält dadurch weit allgemeinere zusammen-
gesetzte Koordinatensysteme (§. 24.). Diese Systeme haben den we-
sentlichen Vortheil, dass man es bei jeder einzelnen Aufgabe in der
Hand bat, sich die fUr dieselbe passenden Koordinaten zu wählen. Die
Rückkehr zu einem bekannten ist immer leicht.
Bis daher wurden nur Linien in einer Ebene betrachtet. Wl
man aber allgemeine Linien im Raumo betrachten und halten wir uns
zunächst an die geraden, so muss zu den bis jetzt eingeführten ein neues
Bestimmungselement hinzutreten. Insoferne eine Gerade in einer Ebene
liegt und durch den Nullpunkt dieser Ebene geht, reieht es hin, Quanti-
tät und Richtung zu betrachten. Die Richtung entspricht einer Dreh-
ung um die primäre Axe in der fraglichen Ebene oder vielmehr einer
DrehuLg um eine auf der Ebene im Nullpunkte senkrecht stehende Linie,
welche wir die Axe der fraglichen Linie beissen wollen. Denken wir
uns durch die primäre und die sekundäre Axe eine Ebene gelegt, welche
wir die primäre Ebene heissen könnten, und errichten auf dieser letztem
in ihrem Nullpunkte eine Senkrechte, so soll dieselbe die tertiäre
Axe heissen. Zur Abkürzung wollen wir diese Axen auch die der x,
y, z heissen (analog der Bezeichnung bei den rechtwinkligen Koordi-
naten) und die durch sie gehenden Ebenen resp. die der xy, xi, yi
nennen. Denken wir uns nun eine Gerade in der Ebene der xy, so
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Scheffler: Siluationskalkul.
875
kann diese, die wir durch den Nullpunkt gehen lassen wollen, im Räume
jede beliebige Richtung in folgender Weise annehmen, bei der wir die
fragliche Linie etwa zuerst in der Richtung der primären Axe denken
wollen. Wir denken uns, wie schon gesagt, eine in die Richtung der
tertiären Axe fallende, mit der Geraden unabänderlich verbundene, also
darauf senkrecht stehende Gerade von derselben (absoluten} Länge;
drehen alsdann das System dieser beiden Geraden um die tertiäre Axe
um den Winkel <p, wobei die Gerade in der Ebene der xy, ihre Axe
in der tertiären Axe bleibt; alsdann drehen wir dieses System um die
primäre Axe um den Winkel , wobei die Axe der Geraden in der
Ebene der yz bleibt und der Winkel ^ mit der tertiären Axe macht,
während die durch die ursprüngliche Gerade und die primäre Axe ge-
legte Ebene mit der Ebene der xy den Winkel <\> einschliesst. Offenbar
bestimmen nun 9 und <]> die Lage der fraglichen Geraden vollständig und
man kann, wenn man 9 und sich ändern lässt, diese Gerade in alle
möglichen Lagen bringen. Offenbar hätte man dasselbe Resultat auch
auf folgendem umgekehrten Wege erhalten können: das System der Ge-
raden und ihrer Axen werden zuerst um die primäre Axe um den Win-
kel tp gedreht, d. h. die Axe der Geraden mache den Winkel <p mit
der tertiären Axe, wobei die Gerade immer noch in der primären Axe
liegen bleibt; alsdann drehe man die Gerade um ihre eigene Axe um
den Winkel 9. Schon früher haben wir gesehen, dass die Drehung
einer Geraden um ihre Axe durch den Koeffizienten e (?v^~1 angedeu-
tet wurde; die Drehung der Axe einer Geraden aber um die primäre Axe
(die im Räume unverrückbar ist) wird analog durch einen Koeffizienten
e zu bezeichnen sein, wo also das Zeichen -V gerade diese Dre-
hung besonders hervorhebt. Die Grösse e 1 ist gleich cos ttV-f% ein
«rV-n, worin das Zeichen *+. dem Zeichen — r entgegensteht, nnd cos
<|/, sin y, den cos <], , sin ^ analoge Werthe haben, nur dass ~f- und
— in --f. und verwandelt sind. So ist f. B. cos -f- a^ = -v-
sin a n. s. w.
Um zu unterscheiden, heissen wir die Drehung um die tertiäre Axe
die Dek I ination (9), die um die primäre Axe die Inklination
und stellen eiue nach Quantität, Deklination und Inklination be-
9V^— 1 *\>V — H
stimmte Linie durch oe ' e T dar.
Betrachten wir nun eine in der primären Axe liegende Linie a,
m Scheffler: Situatioaskalkul.
and behaften sie mit dem Inklinationskoefflzientea cos <p .~\~' sin tj/\/^ — H,
10 dess sie sn a [co* <|> .-(-' »in ? 1 ] wird, so ist blos die Axe die-
■er Linie geändert worden, die Linie selbst bleibt, wie und was sie ist.
Betrachtet man also bloss Lage und Grösse einer Linie, so kann man bei
primären Linien den Inklinationskoeffizienten füglich weglassen. Hat man
nun zweitens eine in der sekundären Axe liegende Linie ay*^— i und be-
haftet dieselbe mit dem laklinationtkoefliiienten cos .-{-• ein V — M,
so wird die Axe dieser Linie sich um den Winkel in der Ebene der
yz verrückl haben nnd folglich auch die Linie selbst. Diese Linie wird
also unter einem Winket <} sich gegen die sekundäre Axe neigen, und
analog dem frühem, wird man sie auffassen können als die Summe
zweier 1 inieu, die eine a cos in der sekundären Axe, die andere asiuy
in der tertiären. Multipliiirt man aber ayTT mit cos $ sin
V^Fi, so erhält man a cos ■ sin <J> V^M y^— U «od da die
• • • ■
hindurch dargestellte Linie eine wirkliche Summirung der Linien, nicht
der Axen darstellt, und eine solche durch dargestellt wird, so folgt
bieraas, daes man durch + ersetzen darf, ferner cos <J> und sin 0/
durch cos <|< und sin $ und mithin die fragliche Linie darzustellen' ist
durch a cos f V~\ + a sin u) °" Zeichen y/^i
bedeutet also die Lage in der tertiären Axe.
Betrachten wir nun irgend eine in der Ebene der xy liegende
Gerade ae , so kann dieselbe angesehen werden, als die Summe
der zwei Geraden a cos 9 und a sin 9 yf— \ \ soll diese Gerade eine
Drehung uv um die primäre Axe machen , so werden die zwei a cos 9
und 0 sin (p \'—\ dieselbe Drehung machen und die Summe dieser zwei
wird immer noch die Gerade in der neuen Lage sein. Nun liegt aber
acoscp io der primären Axe, bei einer Drehung 'l um diese letztere än-
dert sie sich also nicht, mithin bleibt a coa 9 ungeäodert. Die Gerade
n sin <pV^l liegt in der sekundären Axe; wie wir so eben gesehen,
wird tie zu a sin 9 coa \^~T+ 8 "n 9 »in + V^~M V~U wovon
der erste Theil (a sin 9 cos io der sekundären, der zweite (a sin 9 sin
<l ) in der tertiären Axe liegt. Daraus folgt, dass die Gerade
*e ^ ' 1 durch a cos 9 -j- a 8'D 9 COf + V^—i + a sin 9 sin *}
ff yf—X dargestellt werden kann, wovon der Theil a cos 9 io der primä-
ren , a sin 9 cos ^ in der sekundären, a sin 9 sin •} in der tertiären
Axe liegt. Eine jede Gerade im Räume, wenn man bloss aof ihre Lang©
und Richtung, und nicht auf ihre Entstebungsweise achtet, kann also
durch die Summe von drei nach den Hauptaxcn liegenden Geraden an-
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gesehen werden. Das» dies den Frühem vollkommen analog ist, liegt
vor Augen; acos<p,asin<pcos<|s a sin <p sin <j> sind die P r o j e k t i o n e n auf die
drei Axen. Sollen zwei so dargestellte Lioien gleich sein, so muss das
Primäre, Sekundäre, Tertiäre gleich sein, d. h. aus ae ^^^e
z=bt9iyr=ri e*1^"7"1 folgt: a cos (p = b cosflpn a sin <p cos ^ =
b sin 9, cos<|>„ a sin 9>in «) = b sin 9, sin fc, woraus a = b, 9 3= 9, ,
$ = Wir übergeben die „Grundoperationen" ($.26.) hier aus dem
bereits oben angeführten Grunde. Was die Addition übrigens betrifft,
10 geben die Linien (a) = a cos 9 -f- a sin 9 cos <J> y^Hi-J-a sin
9 sin y^Tl V^l und (a,) =r a, cos 9, -f- a, sin <pt cos ^, y/ZT\ -f-
a, sin 9, sin <J>i V-H V^— i d»e Summe : a cos 9 ai cos ¥1 4"
(aj sin 9, cos "f* a sin ¥ C01 40 V— 1 + (ai 8'° ¥1 sin ^1 + •
sin 9 sin <J/) y'-::T7 V^l, wie leicht ersichtlich.
Der Koeffizient e e kann also , in so ferne es sich
bloss um Länge und Richtung einer Geraden handelt, immer durch cos 9
-f- sin 9 cos V"— 1 +sm 9 sin <|> y*-H y^IHT dargestellt werden,
und heisst letzterer Ausdruck desshalb der abgekürzte Richtung s-
Koeffizient. Dass bei weitern Drehungen einer mit Deklination und
Inklination versehenen Geraden genau auf die einzelnen Theile geachtet
werden mnss, ist klar. Wir wollen z. B. annehmen, die Gerade a cos 9
-f- a sin 9 cos <[> V^i + a «in ?. 8»D 4* V^-H V—l müsse ciner
Drehung 5 um die tertiäre Axe unterworfen werden, so werden bloss
der primäre und der sekundäre Theil davon berührt. Der primäre geht
Über in a cos 9 (cos 3 -J- sin 3 T) = a cos 9 cos 3 -f- a cos 9
ein 3 y/^i, der sekundäre in a sin 9 cos y/^i (coa 3 + 8in &
y^— i) = a sin 9 cos <J> cos 3 v^-^l — a 8,0 ¥ cos 4> sin 3, 80 dass
die neue Linie dargestellt wird durch a (cos 9 cos 3 — sin 9 cos <|*
ain 3) 4" a Ccos 9 «n Ä -f- sin 9 cos ^ cos 3) \/— ^ H~ a 8'° ¥ s*u 41
'^H y'Jrr. Soll nun diese Linie noch eine Drehung e um die pri-
märe Axe erleiden, so werden bloss der sekundäre und tertiäre Theil
davon berührt Der sekundäre geht Über in (a cos 9 sin 3 + ein 9
cos ^ cos 3) V^l. (cos e -j- sin 8 -m) = a cos 9 sin 3 cos 8
Y^ZT -f- a cos 9 sin 3 sin 8 y^H-l V^—l + a sin 9 cos cos 3
coa e V^— 1 4" ■ ,in ¥ cos 4* C08 ^ sm 8 — i« Der i«rtiMre
wird zu a ain 9 sin y/~Ti CC08 e + sin e y^TI)== a sin 9
ain 4* coa 8 y/^^Ft y/^i — • «0 9 sin ^ ain e v^—l» 80 da88
endlich nun die Linie selbst zu a (coa 9 cos ö — sin 9 coa liQ ö)
878 Schettler: Sitoatiooskalkol.
-}- a (cos 9 sio i cos e -f- sio 9 cos cos 3 cos e — sio 9 sio f
sio e) V^~i a (c0* ¥ "n $ »in t -f- sio 9 cos $ cos 3 sio e -f-
sio 9 sio + cos e) y/^Ti y/^i geworden ist. Mao siebt schon hier-
aas, welchen Vortheil die io Frage stehende Methode gewahrt, da sie die
drei Projektionen der neuen Lage der Linie so leicht ergiebt.
Im Obigen worde immer oocb angenommen, die Gerade gebe
dorch den Nullpunkt. Will mao sieb von dieser besebriokeodeo Vor-
aussetzung frei machen , so geschieht dies wieder io derselbeo Weise, wie
oben bei der Betrachtoog der Geraden io der Ebene. Man lässt wieder
die anfänglich durch den Nullpunkt gehende Gerade parallel mit sich
selbst sich längs eioer begränzten Geradeo ae ay^~ !e ^ ' 1 bewegen,
so dess dann allgemein (o)) ~ n CO " ~t~ 00 w>e^er die oach Quan-
tität, Deklination, Inklination and Abstand gegebene Gerade bedeutet.
Dass man beliebig zusammenhangende Linienzüge in ähnlicher Weise dar-
stellen kano, ist einleuchtend, sowie auch, dass Lange, Richtung und Ab-
stand sich beliebig ändern können (§. 27 und 28). Es dürfte vielleicht
nicht unpassend sein, zu zeigen, io welch eiofacher Weise die bekannten
Grundgleichungen der ebenen Polygonomelrie nach der hier gegebenen
Methode abgeleitet werden können. Seien a,, a3, , an die von links
oach rechts herum auf einander folgenden Seiten des Poligoos; a,, a,,
... a„ die in derselben Ordnung auf einander folgenden Neigungswinkel
dieser Seiten gegen einander (a4 der Winkel zwischen a, und a2 u. s. w.
ond diese Winkel immer gegen das Innere des Polygons gerechnet).
Man lege nun das Polygon so, dass die letzte Ecke 0 (io der at ood
an zusammenflössen) in den Nullpunkt, die Seite a, io die oegative Seite
der primären Axe fallt. Alsdann lasse mao das Polygoo io der Richtung
der primären Axe sich um ol fortbewegen, so bat man für deo End-
punkt 0 die Gleichung (r ) = a,. Man lasse nun das ganze Polygoo
sich um die tertiäre Axe drehen (es liegt io der Ebene der xy; die
positive Drehung geschieht von der primären gegen die sekundäre Axe)
um den Wiokel « — , so erhält mao für 0 deo Ausdruck (r) =
(*-a) V=i
(ScMusm folgt.)
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Hr. 56. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
— 1 ■ ii ■
Der Situationskalkul. Versuch einer arithmetischen Darstellung der
dem und höhern Geometrie auf Grund einer abstrakten Auffas-
sung der räumlichen Grössen, Formen und Bewegungen ton Her-
mann Scheffle r. Mit 97 in den Text eingedruckten üolt-
schnilten. Braunschweig , Druck und Verlag von Friedrich Vie-
weg und Sohn. i85i. QXIV u. 404 S. in 8.)
(Schluss von Seile 676.)
Nun lasse man wieder eine Parallelbewegung mit der primä-
ren Axe um a2 eintreten, wodurch man für 0 erhält (r) sa
82 H~ai e^ 1 » a'sdann drehe man wieder um den Winkel
tz — a, um die tertiäre Axe, wodurch für 0 erhalten wird : (r) = a3 o
die letzte Drehung r>— a„ geschehen ist, so liegt 0 wieder im Nullpunkt
und man hat also:
V-i + + Bn e («-«.) V-i =0$
wahrend nrc — (a, -f- <h + ••• + °0 == 2 8,80 ai + *2 + + •«^
— 2} 71 sein muss. Trennt man nun das Primäre und Sekundäre, so
erhält man:
8,-8, cos a, +a3 cos + (-O"1 8«
cos (a, + a, + + 8n_t) =o,
— e2 sin «j -I- a3 sin (a, + «a) — -f- (—1) s.
sin (^ + «2+ + a„_i)=:o,
welches bekanntlich die verlangten Grundgleichungen sind. In ganz ähn-
licher Weise werden die Bestimmungsgleicbungen für ein Polyeder abge-
leitet, woraus z. B. die Grundformeln der sphärischen Trigonometrie fol-
gen (S. 197.).
Wie bei der Bestimmungsweise der Curveo in der Ebene ein na-
türliches Koordinatensystem zu Grunde gelegt wurde, so geschieht es
auch hier bei der Bestimmung der Curven im Räume. Denkt man sich
nämlich einen Punkt im Baume so bewegt, dass er stetig fortschreitet,
aber auch stetig Deklination und Inklination seiner Bewegung ändert, so
erhält man eine Curve im Räume. Ist d die Deklination, 1 die Inklina-
XUY. Jahrg. 6. Doppelheft. 56
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Schaffler: Sitaationikalkal.
tioa kl irgtnd eiuem Punkte der Curve, da die folgende (unendlich
Mm) Seil« derselben, so werden obige Grössen resp. lieb um d6\ dl
ds ds
ändern, so dass Funktionen ein und derselben Grösse, z. B. Ä sind
do di
(ebenso gut aber etwa auch von t, s oder einer neuen unabhängig Ver-
änderlichen t). Der vollständige Ausdruck für das Element ds ist dann:
ds [cos 6 + sin d cos t yTi -f sin 3 sin i y^-fl V^T) = ds
• 7 eT ' i und es ist leicht einzusehen, dass die Gleichung der
Curve sein wird:
(r) = (cos a + sin a cos ßy^T + ß V^TJ V^T +fj ds(cos$
siu i cos t + »"* Ö *io t V^—l V— l) »
wo a e e der Abstand des Punktes der Curve ist, dem
der Bogen s0 entspricht, und 6*, t als von Fuuktionen von s (oder
gekehrt) gegeben sind durch ^=rF(3)=, ^ F, (i).
Sind in dieser Gleichung 8 und i konstant, so erhält man
Gerade; sind i und konstant, so erhält man einen Kreis; sind o
ds
und -r- konstant, eine Schraubenlinie. Die Gerade hat keine
dt
mung, sie kann daher zur Darstellung der Richtungen gebraucht
(Tangente) ; der Kreis bat gleiche Krümmung in allen seinen Punkten,
aber keine Torsion (Biegung, zweite Krümmung), er eignet »ich da-
her zur Darstellung voo Krümmungen (Krümrotmgskreie); die Schrauben-
linie hat in allen ihren Punkten gleiche Krümmung und gleiche Torsion;
sie eignet sich also zur Darstellung von Doppelkrümmungen (Krümmungs-
schraube).
Die folgenden Untersuchungen ($. 33.) betreffe» nun die Richtnogs-
nnd Kr ümmungs Verhältnisse doppelt gekrümmter Kurve«; nämlich der
Tangente, Normale, Krümmongskreis und Krümmungsebene. Torsionswin-
kels, Krümmungsschraube, Evolvente, der Evoluten u. s. w. Wir halten
uns dabei nicht auf, sondern machen nur an* die zweckmässige Einfüh-
rung der Krümmungsschraube aufmerksam, was bis jetzt gewöhnlich nickt
geschah, wenn gleich schon vielfach darauf aufmerksam gemach« wurde.
Wie in der Ebene ein zusammengesetztes Koordinatensystem sieb
als sehr zweckdienlich erwies, so auch hier ein derartiges, aus drei ia-
sammenhäneeoden Linien bestehendes R* werden «o abgeleitet die
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8Bi
Gleichungen der Schraubenlinie, der sphärischen Fpi zykloide, shärischen
Hypozykloide, sphärischen Schraubenlinie, Planetenspirale (Kurve, die eis
Punkt einer Kogel beschreibt, die sieb um einen Durchmesser dreht, der
immer dieselbe Richtung beibehält , Während der Mittelpunkt der Kogel
den Umfang einer Ellipse durchlauft) . ond die einer Mondbahn. De ein
derartiges Koordinatensystem alle bisher gebräuchlichen omfasst, so ist
die dorch dasselbe gebotene Koordioalenverwandlong höchst ellgemein.
Zwei Linienzüge sind identisch, wenn sie allen ihren Tb eilen
aowohl nach Länge ond Richtung, als auch nach Abstand und Reihen-
folge gleich sind. Daraus ergeben sich eine Reihe Bedingungen zwischen
den die Curven bestimmenden Stücken, die nothwendig erfüll! sein müs-
sen (§. 35.). Ist man im Stande, iwei Raumgestalten dadurch, dass
man die eine in irgend welcher Weise bewegt (dreht oder fortschreiten
Hast) cor Identität zu bringen, so heissen sie kongruent Das Prin-
oip der Kongruent, in dieser Weise aufgefasst, giebt ein Mittel an die
Hand, manche Aurgeben sehr leicht zu lösen (§. 37.). Als Beispiet ist
die Aufgabe gelöst, die Entfernung zweier Geraden im Räume zu be-
betimmen. Das System der zwei Geraden wird kongruent gesetzt dem
System zweier Linien, von denen die eine in der primären Are liegt,
die andere durch die tertiäre Axe geht und der Ebene der xy parallel
hl. Indem man dieses letzte System eine Drehong um die tertiäre Axe,
sodann eine um die primfire Axe und eine nochmalige um die tertiäre
Axe (wodurch jede Lage erreicht werden kann) und endlich eine pi-
rallele Fortschreitung machen Itisst, bringt man es mit dem ersten zur
Kongruenz, wodurch der Betrag der Drehungen und des Fortschreitens
bestimmt werden. Die Entfernung des Nullpunkts von dem Punkte, in
dem die zweite die tertiäre Axe durchschneidet, ist die gesuchte Ent-
fernung der zwei Linien. Die bekannten Lehrsfttze in Bezug auf die
Dorschnittspunkte einer geradlinigen und einer kreisförmigen Transversale
mit einem zusammenhangenden, geschlossenen Linienzuge (Polygone), in
sehr einfacher, und völlig bestimmter Weite abgeleitet ($. 38.), bilden
den Sohlusa dieses Abschnitts.
Betrachtet man nun die Flüchen, als Oerter Yen Funkten und
Linien, so braucht man jeweils nur in den Gleichungen der Linien im
Räume zwei unabhöngige Veränderliche einzuführen, um die Gleichung
des Ortes, d. h der Fläche zu erhalten. Lösst man in der Gleichung
der Geraden (r) = rö ?>^e ♦V'1^ EUgleich r und ? ab
gige Veränderliche gelten, so bat man die Gleichung der Ebene;
56*
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882 Schettler:
r und f veränderlich, so erhält man eine Kegelfläche;
9 und + eine Kugelfluche a. s. w. Dm Prinzip der
es schon oben ausgesprochen worden,' führt auch hier
ganten Auflösungen (§. 41 u. 42). Die Gleichungen einiger
werden daun speciell abgeleitet Als Beispiel wollen wir die Gleichung
der Rotationsflächen ableiten. Sei (r) = i-f y/-i-}-i V-H
die Gleichung einer Curve (in der x, y, z Funktionen einer einzigen
Yen. nder heben sind), die sich um die primäre Axe dreht. Multiplizirt
man nun, nach der früher gegebenen Vorschrift, diese Gleichung mit
cos <|> .-p sin <j* V'—H» so erhalt man:
(r) = x + (y co» + — * «io 40 V—i + (y «° + + * C0B 40
als Gleichung der entstandenen Fläche, worin nun ausser der frühern un-
abhängigen Veränderlichen auch noch <|> unabhängig veränderlich ist
Wäre (r) ss r cos 9 -f- r sin 9 cos <|/ -f- r sin 9 sin 4> -H
y/*~ 1 die Gleichung der erzeugenden Curve, so braucht man blos $ den
Charakter einer unabhamriir Veränderlichen beizulegen um sofort die
Gleich uo^ der Lindröhu U£&fltich6 zu erholt tu
Wir wollen nicht besonders eingehen auf die Untersuchungen über
die Richtung*- und Krümmuogsverbältnisse der krummen Oberflächen, die
von S. 309 — 331 im Garnen deutlich abgehandelt sind. Wir bemer-
ken nur, dass das S, 323 und 324 Gesagte bereits schon längst von
Poisson gefunden worden, wie denn z. B. Coornot in dem Traite ele-
mentare des Fonctions I. pag. 474. Dasselbe sagt Die Ableitung der
zwei, den frühem über die Transversalen ähnlichen Sätze über die
Transversalebene und die Transversalkugel, ist eben so einfach.
Durch Bewegung eines gebrochenen (geradlinigen)
laa^s einer leitenden Linie hin entstehen die srebrochenen Flachen
Gleichung sehr leicht aufzufinden ist Natürlich können die einzelnen
Seiten des Zuges ungeändert bleiben (prismatische Fläche), oder sie
können sieb gleichförmig ändern (pyramidaliscbe Fläche), oder der Li-
nienzug kann sich drehen (Kanalfläche) u. s. w. Wir woUen
weise nur den einfachsten Fall betrachten. Seiae"^ 1 e der
Abstand des Zuges, dessen (zusammenhängende) Seiten sind .^e2'^ '
e 1 , s2 e * w er* , , so wird die Formel:
JM"-ii t »
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Scheffler: Situationskalkul.
883
eine jede der Seilen darstellen können. Soll z. B. die Seite 83 darge-
stellt werden, so giebt man s,, s2 ihre konstanten Wert he, setzt für s3
eine unabhängige Veränderliche z, die von 0 bis s3 geht und schliesst
obige Formel mit diesem Glied. Bewegt sich nun dieser Linienzug pa~
rallel mit sich selbst längs der Geraden xe T Y ejr ' (worin 9
und <f> konstant sind) so ist also z. B. die Gleichung der durch s3 ent-
stehenden Seitenfläche des Prismas : ,
worin x und z die unabhängigen Veränderlichen sind.
Für rechtwinkelige Koordinaten ist die Gleichung irgend einer
Fläche (r)=x -|- y -+- i/Tt V^T, worin z eine Funktion
von x und y ist, so dass* es immer leicht ist, auf diese bekannte Form
zo rück zukommen.
Die Ausdehnung der festgestellten Prinzipien auf die Flächen, als
Grössen aufgefasst, scheint uns nicht so verständlich, wie das Frühere,
zumal wir kein rechtes Bedürfniss dazu einsehen können. Indessen sind
wir weit davon entfernt, desswegen auf das im vierten Abschnitt Be-
bandelte einen Tadel werfen zu wollen. Im Gegentheil ist das dort Ge-
sagte, z. B. über Homogenität, Berechnung der Flächen u. s. w. recht
interessant. Nur, wie gesagt, scheint uns kein Bedürfniss obzuwalten,
das in §. 49, 50 Behandelte in die analytische Geometrie einzuführen.
Lässt man in der Formel x + y V~i + * V°-H V—l = (0
drei unabhängige Veränderliche gelten, so stellt dieselbe jeden möglichen
Punkt im unendlichen Räume dar, d. h. diesen Raum selbst. Betrachtet
man aber einen begrönzten Körper, so wird er am besten als Ort
einer sich bewegenden Fläche aufzufassen sein. Wählt mau z. B. die
Formel x+y y/*Z{ = (0, in der x von — - a bis + a, y von —
in
der Ebene der xy liegenden Ellypse dar. Behaftet man das zweite
(sekundäre) Glied mit dem Iuklinatiooskoefßzienten e , so stellt
(r) = x + ycos f y/^~\ +y sin tp y"=H y/^\ die Gleichung des Ro-
tationsellipsoids dar (des Körpers), das durch Drehung der Ellipsen-
fläche um die primäre Axe entstanden ist, in so ferne x, y, <j>
gige Veränderliche sind, und worin x und y obigen Bedingun
Schettler: Situationakalkul.
sprechen. Aehnlich verfahrt man in andern Füllen. Die Berechnung des
Körperinhalts (§. 55.) bildet den Schlun des Werke«.
Ein „Anhang" bandelt kurz von der
Gleichungen, indem die erweiterten Begriffe der Fnw*rcu,
und tertiären Grossen eingeführt werden. Referent ist übrigens damit
nicht einverstanden, da, wie er schon zu Eingang dieser Anzeige gesagt,
es ihm nötbig scheint, rein arithmetische (algebraische) Probleme und
rein geometrische aus einander tu ballen, und er also keineswegs ein
Freund davon ist, in diese rein algebraische Aufgabe geometrische An-
schauungen verflochten tu sehen. Allerdings hat man dieses schon oft
gethan, und die ersten Mebter der Wissenschaft haben oft so gehandelt,
aber man ist immer wieder davon abgegangen, indem man das Bedtirf-
niss fühlte, auf rein algebraischem Wege auch solche rein algebraische
Aufgaben zu lösen. Algebra und Geometrie wirkeo auf einander, davon
ist gerade unser Buch ein glänzendes Zeugniss; allein jede dieser Wis-
senschaften bat auch wieder ihr eigenes Feld, das man am besten ihr
allein überlüsst. So wird der Verfasser selbst zugeben, dass 3 ±
— _j-8jy^Zl als Wurzeln von x2 -f- at x -f- a2 = o keinen rechtes
Sinn haben wollen (S. 401.), trotz der Erklärung auf S. 402. Auch
ist schwer abzusehen, wenn man auch einen Sinn hineinzwängen wollte,
wozu dies nützen könnte. Wenn der Gleichung vom 2ten Grade
Wurzeln zugetheiit werfen (S. 403.), so ist dies arithmetisch
mehr verständlich. Die Arithmetik kennt das Zeichen V'~i , aber nicht
\ " *1) ihre Operationen fuhren nicht dazu, es gehört der Geometrie
an, wenn sie sich eines dem arithmetischen ähnlichen Gewandes bedie-
nen will.
Sind wir so in einigen wenigen Punkten auch nicht vollkommen
derselben Meinung, wie der geehrte Verfasser des vorliegenden Werkes,
so müssen wir dafür aussprechen, dass ein aufmerksames Studium seines
Buches uns fortwährend mit Freude erfüllt hat. Es weht in demselben
ein Geist der Klarheit, mathematischer Bestimmtheil, eine leichte Beweg-
lichkeit in den Formelo, die gleichsam in fortwährendem Fluss begriffen
sein Buch nur mit Vergnügen zur Hand nahmen. Wir
mit Ueberzengnng dasselbe für eine höchst empfehlens-
wert!» Erscheinung in der mathematischen Literatur und hoffen, das« die
in demselben ausgesprochenen Grundsätze mehr und
werden. Die Form selbst kann allerdings auoh noch
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Yulliemin: Chfflon.
865
wie die« der Verfasser bereit! selbst in der Vorrede angedeutet; die
Sache, des Wesen aber wird, hoffen wir, fruchtbringende Wirkung haben.
Es ist eine solche Menge neuer und den Stempel der Fruchtbarkeit an
eich tragender Ideen in diesem Buche niedergelegt, dass man sieh unwill-
likürl ic h zu c] c ro s c 1 1) ö n hin^czo^cn f II 1)1 1 j so b &ld md u ojoo bbcIi nur oljftjr-
nach liehe Bekanntschaft mit demselben gemaoht hat- Wir haben im Obi-
gen versucht, von einigen der Grundgedanken eine Lebersiebt zu geben,
in der Weise nämlich, wie wir dieselben selbst aufgefasst und man wird
daraus vielleicht ersehen können, wie leicht und bequem die in diesem
Buche bebandelte Metbode Probleme löst, die nach den gewöhnlichen
Metboden ganz andern Aufwand von Hiifsmitteln erfordern.
Dr. .1. Diesiger.
CkULon. Etüde historiaue var L. Vulliemin. Lausanne. BrideL 1851
v ■ ww » w v • w . v wvvw f«Pff W* w\wmwmr mm-mwm mmm w mm w w w w mmw w wwm mm m ■ mm www » w • mm- m wwmmvm m
334. S. 8.
Auch die Kerker, besonders die sogebeissenen Staatsgefting-
■ isse, haben ihre Geschichte und zwar oft eine lehrreiche, tief ersehnt-
die stillen Gedanken und Betrachtungen schuldiger wie unschuldiger Opfer
der Rechtspflege oder der Gewalt vernehmen, sie wurden ein schauerli-
ches Zeugniss bald wider die Ruchlosigkeit, bald für den Adel des
Menschengeschlechts aufstellen und den Posaunen des jüngsten Gerichts
ahnlich vor dem Weltrichter ihr letztes Unheil niederlegen, dort die Ju-
stiz , wenn sie mit verbundenen Augen und unparteiisch strafte , durch
den Ebrenkranz lohnen, hier, wenn sie aus Leidenschaft, Furcht oder Hoch*
muth bandelte, der gerechten Wiedervergeltung durch das ewig brennende
Höllenfeuer der Reue Uberliefern. Da überdiess die Rechtspflege,
besonders die peinliche, in mancher Rücksicht den Spiegel der jewei-
ligen Zeitbildung darstellt, so kann die Geschichtsforschung allerdings aus
den Verbrechen und Strafen feste Beiträge zur Charakteristik des ange-
hangen Jahrhunderts oder Menschenalters schöpfen, ein Weg, welchen
man bisher jedoch nur selten betreten bat. Wohl ist es im Allgemeinen
geschoben, eher nicht im Besondera und mit Bezug auf die bervorra-
i/endfin Merkmale und Rpstrehuntren eines bestimmten Zeitabschnitts Denn
•£ %WmW PiWPSBl *** W I Bill avaW WM** W^i«»***W«BMI1^WM w Bmmism? uv<i*iiiihmvm mmmwm « wwwvMiitMi't mm mm
dieser zeigt eicht nur in der Civil- und Criminalstatistik neben
vielem Gleichförmigen eigentümlich gefärbte Straffälle, sondern liefert auch
in den sogeheisseneu Staatsverbrechen den Wiederschein der in dem Zeit-
alter arbeitenden Kräfte. UeberflU?eln und hemmen sie den vorherrschen-
W*m mW W mymmmmmJwm §w\mm mm m rwi mjm -www v ■ • ■ my m- m mm mm mrm^mm—m w mm* %W mW m mm w ~mr m mmrmrmtm m"wmm m mm
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I
«86
Vulliemin: Cbillon.
den Gang der regierenden nnd schaltenden Gewalt, so entstehen Con-
flicte, welehe gewöhnlich mit dem Fall der mehr oder weniger verein-
zelten nnd daher schwachem Persönlichkeit endigen, den vorlauten oder
vor der Zeil Werktätigen Vertreter der noch unreifen oder ungelenken
Richtnng in den Maoern des Staatsgefängnjjses begraben. Die unter-
suchende und richtende Macht begntlgt sich dabei häufig nur mit dem
Schein der Schuld; Aeusserungen , halbe Werke fasst sie als vollendete
ThaUachen auf, im blinden Zorn oder Schrecken, stets das Gemein-
wohl als Triebfeder des leidenschaftlichen Richtersprochs vorschützend.
Wie durch Geist und Charakterstärke ausgezeichnete Persönlichkeiten trotz
mancher Flecken und Gebrechen für den Kern und Strebepfeiler ihres
Jahrhunderts bald aus politischen, bald aus religiös-moralischen Gründen
mit der Freiheit und dem Leben einstanden, das ist bekannt genug, aber
keineswegs hinlänglich geprüft und dargestellt. Der Verfasser des vor-
liegenden, durch Gehalt und Form ausgezeichneten Buchs , gibt für die
Verbindung vorragender Staatsgefangenen mit dem jeweiligen Geist und
Grundton ihres Zeitalten ein treffendes Beispiel; er zeigt wie mehre Be-
rühmtheiten dea Waadtlandischen Staatsgefangnisses Chi Hob im innigen
Zusammenhange mit den bessern, vorwärts schreitenden Bestrebungen des
jeweiligen Jahrhunderts kämpften, fielen und litten; er dringt die innere,
den Kern umfassende Zeitgeschichte, wie sie sich in grossartigen Per-
sönlichkeiten abspiegelt, gleichsam in den engen Kerkermauern des alten,
romantisch gelegenen Schlosses zusammen und gibt dabei in den Anmer-
kungen theils die Belege, theils die weitern Ausführungen seiner frischen,
Natur und Menschheit umfassenden Lebensbilder. Zuerst tritt der
Graf Wala als Gefangener Chillons (»30) auf; er erscheint als wei-
land Minister-General Karls des Grossen, verfolgt nnd gederan-
thigt durch das neue, priesterlich-hochadelige Regiment und Ka-
binet Ludwigs des Frommen; seio unabhängiger, trotziger Charakter,
welcher den Schlichen und Kniffen der, den Kaiser beherrschenden Bi-
schöfe und Mönche widerstrebt, soll durch die Staatshaft in einer
damals öden, rauhen Gegend gebeugt, zerknirscht werden. Allein der
Soldatenminister bleibt in dem Thurm Chillon's ungetfndert; hat er gleich
das Schwert mit der Mönchskutte, den Feldherrnstab mit dem Krummstab
des Abts von Korbei vertauscht, seine fromme, unabhängige Seele trotzt
den Ränken nnd bigotten Heucheleien, welche seit der Ankunft der Schwä-
bischen Judith in wachsender Stärke am Hofe des Kaisers regieren;
müde fruchtlosen Eifere für den Frieden und das Gleichgewicht der staat-
lichen nnd kirchlichen Kräfte zieht er sich nach vielfachen Wechseln als
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Vullietain: Chillon.
887
halber Flüchtling: in die Einsamkeit des Italinnischen Klosters Bobbio zu-
rück nod stirbt hier nach einer glücklichen, aber kurz dauernden Frie-
deosmission an den Vater und die kämpfenden Söhne im August 836 als
Mönch. Mehrere gelehrte Abschweifungen, z. B. über die erst dreissig
Jahre später vollständiger von den Bischöfen redigirten Kapitularien
Karls des Grossen, unterbrechen den wechselvollen, bisweilen abenteu-
erlichen Lebensgang des Haupthelden nnd geben helle Einblicke in den
Geist des Zeitalters. — Die zweite hervorspringende Persönlichkeit,
der Tröger des geordneten, auf städtischen und ritterlichen Corpora-
tion en fussenden Lehenstaates ist der thatkräflige , planvoll ero-
bernde und den Gewinnst behutsam einspeichernde Graf Peter vonSa-
voyen. Unter ihm, welcher den grössten Theil des Waadtlandea
in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts besetzt und als der
glücklichste Nebenbuhler Habs burgs auftritt, wird Chillon ein pracht-
volles, mit Gemälden und Bildwerken geschmücktes Residenzschloss,
ohne jedoch ganz der Bestimmung des Staatsgefängnisses zu ent-
sagen. Dieser anfangs vorherrschende Grundcharakter kehrt unter dem
dritten Vertreter einer überwiegenden Zeitrichtung zurück. Bonivard,
in Genf und Umgegend Kampfer für die kirchlich-sittliche Re-
formationsidee, macht von neuem den Kerker Chillons berühmt
Mit Sorgfalt und eindringender Lebhaftigkeit schildert der Verfasser den
stürmischen Lebensgang, die Gedanken und Bestrebungen des freimüthigeo
unerschütterlichen, durch keine Leiden und Verfolgungen gebeugten Glau-
bens- und Freiheitshelden; die Kraft Luthers vereinigt er mit dem
praktischen Vermögen Zwing Ii 's und der dialektischen Gabe Chau-
vin"*: im unterirdischen, schauerlichen Gewölbe des Felsenschlosses bleibt
er Jahre lang hell von Kopf, stark und heiler von Gemüth, wahrlich eine
seltene, für die erschlaffte, abgespannte Gegenwart doppelt theure und
stählende Erscheinung. Viele bisher ungedruckte Briefe, Gedichte und Auf-
sätze werden dabei tbeils in die schöne Darstellung aufgenommen, tbeils in den
beigefügten Belegen milgetheilt, andere der Gesammtausgabe der literari-
schen Verlassenschaft vorbehalten. Möchte der ritterliche Prior von St.
Victor, der Geburt nach Savoyen, dem Leben nach Genf, „dem Ketzer-
nezt,tt angehörig, bald das gebührende Denkmal, die Sammlung und
Herausgabe seiner sämmtlichen Schriften, gewinnen! — Denn die Urth eile
Uber Slaat, Kirche, Gesittung nnd andere Gegenstände der theo-
retischen und praktischen Politik sind meistens treffend, aus reifem
Nachdenken und gründlicher Erfahrung geschöpft. So äussert sich der
Gefangene von Chillon über den auch damals auftauchenden Communis-
8*8
Vulüemin: Chillon.
mus der Wiedertäufer und anderer Sektirer etwa folgend erat assen :
„Wollen wir wie Adam leben, so müsste es ohne Eigentbum und in
voller Gütergemeinschaft gestliehen. Aber in welchem Weltlbeil ausser
Utopien sind denn die Sachau so gemeinschaftlich, dass du sie ohne Er-
laubnis* nehmen könntest? Gehst du in die neue Welt, wo angeblich
Gütergemeinschaft herrscht, so wisse, dass man dort keinen Fremden u-
lässt, oboe ihn zu fressen; der eine Leib verzehrt die andern... Vom
Naturrecht darf man nicht mehr reden ,• Völker- und Staatsrecht
haben ihm alles Ansehen genommen; ja, wenn du nur von der Luft le-
ben und ganz nackt gehen wolltest, könnte es nicht ohne weiteres und
straflos geschehen. Erstens würde man dich für einen Narren und zwar
mit Recht halten; die kleinen Kinder würden dir nachlaufen und den
Hinterbacken stechen, die grossen daneben aus Zeitvertreib die Peitsche
geben, kleine Mücken und Tuiere dich stecheo, grosse verschlingen ; denn
die Gewalt, welche Gott einst dem Menschen über die Tbiere verlieb,
besteht nicht mehr; endlich werden dich die Leute wie in der neuen
Welt behandeln, in Knechtschaft schleppen und sagen: „ warum will der
Lump da ohne iu arbeiten leben ?u — Und daran geschieht dir Recht
(Vom Ursprung der Sünde. Jahr 1562. S. 324). An einer andern Stelle
(S. 161) heisst es: Die Barfttsser bei den Papisten, die Wiedertäufer
bei uns, den Gegenpäpstlern (papefigues), haben keinen Singularis für das
Besiltprooomen ; sie werden also nicht sagen, „mein Mantel, mein
Quersack (bisack),tt sondern unser Mantel, unser Quersack, tt aie wer-
den selbst so weit herabsteigen, dass es lautet: „unser Geldbeuteltf
Kommt aber die Rede auf den Inhalt, so erfolgt sogleich Rückkehr zum
Singnlaris, und sie werden sprechen, nicht: „unser Geld,- sondern „mein
Geld." Unsere Mitgegenpäpstler, die Anabaptisten, stellen sich nur
als sei ihnen alles gemeinschaftlich; fühlen sie sich aber als die Stärk-
sten, dann üben sie die christliche Liebe nicht passiv, sondern aktiv
aus. So bandeln auch die armen Bettler der Mohamedaniscben Religion,
und der Spanische Herr von Mooego, welcher da spricht: „Yo soa
ei segaor de Monego, chi non a roba se aon la ruber d. h. „Ich bin
der Herr von Monego, wer keinen Rock hat, dem nehme ich keinen.11 ~
Dergleichen Leute wollen kein Ei gen th um besitzen, sie begnügen sich
mit dem fremden, nehmen lieber Almosen, denn dass sie darum biUea.
So sind auch unsere Anabaptisten; sie wollen zwar eines Andern Gut ge-
meinschaftlich besilsen, aber kein Gegenrecbt anerkennen. — Davon gibt uns
der König von Münster in Westphaien ein Beispiel. Und woher stammt dar
Irrtbum bei diesen armen Leuten? — Woher anders als weü sie sich
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VulliemiD: ChiUon.
889
nicht nennen wollen Kinder Adams des Sünders, sondern Adams des Ge-
re c Ii t e d, nicht Erben seiner Sünde, und also auch seiner Arbeit (Strafe),
sondern Erben seiner Gerechtigkeit und folglich des Lohns (loyer), wel-
chen er durch seine Gerechtigkeit zu verdienen glaubte. Sie irren gröb-
lich diese armen Thoren; im Glauben einen Fuss aus dem Schlamm zu
ziehen, gerethen sie mit beiden Beinen hinein, mit dem ganzen Leibe
bis an das Kinn.**
So dachte und schrieb der Gefangene, für welchen endlich die
Stunde der Befreiung schlug; am ersten Februar 1536 hatten sich 6,000
Berner wider den welllichen und geistlichen Despotismus in der Waadt
in Marsch gesetzt und die Luft mit ihrem Kriegsgesange erfüllt. „Der
Bär, lantete er, das kluge Thier, hat seine Höhle verlassen, und ziehl
aus, um diejenigen dem Tode zu entreissen, welche die Erde preisgab.
Neun Jahre lang verfolgt und gehetzt, hat Genf die Stadt unsern Bund
gesucht, neun Jahre lang hält es der Herzog (von Savoyen), der neue
Pharao, unter dem Stock gefangen und ohnmächtig. Jetzt naht für das
arme Israel die Stunde, das Bleer zu Uberschreiten. In diesem Zeitalter
der Schmerzen für die Kinder Gottes, der Kämpfe für die Armen des Geistes,
hat de rBär, der Bar allein, sein Herz dem Mitleiden geöffnet. Auf also,
muthigea Thier, und Verderben dem, welcher nicht wie du die Lügner
und Heuchler befehden will!" (S. 171.). — Berns Kriegszug befreite
fast ohne Blutvergießen die Wandt. Genf sicherte die Reformation und
dehnte die Marken der Eidgenossenschaft bis an den Jura aus. — „Bo-
nivard lebt er?tt fragten Genfer und Berner nach der Uebergabe Cbillons
(30. März); man stürzt sich ihm entgegen und ruft: Bonivard, du bist
frei! „Und Genf? — Es ist auch frei." — Thränen im Auge verliess
der Gefangene den Kerker, seine neunjährige Heimath, sein väterliches
Dach , welches ihm der lange Aufenthalt thener gemacht hatte. So ge-
wöhnt sich der arme Mensch an Alles, selbst an die Knechtschaft. —
Der vierte Abschnitt schildert die letzten Zeiten Cbillons, zuerst
das Leben und Wesen der Bernischen Oberherrlicbkcit nach ihren Liebt-
und Schattenseiten, der halb ritterlichen, halb bürgerlichen Sitten und deren
allmühlige Umwandlung. Dabei wird ein wenig bekanntes , romtntis hea
Abentheuer eingeschaltet; kurz vor dem Bernerzug kämpfen im Turnier
die Vermählten und Ebelosen; jene durch den Ritter und Herrn
von Blonay vertreten, siegen; der Hagestolzen Kämpe, der Sire von Cor-
saut unterliegt und heirathet darauf das arme Fräulein Yolonthe von
VilleUe, eine Seilenverwaadte der Blonay. Diese novellenartige, streng
geschichtliche Erzählung liefert dem romantischen Dichter einen trefflichen
890
Vulliemin: Chillon.
Stoff, gleich wie sie klar auf der andern Seite den Geist des Jahrhun-
derts abspiegelt. Darnach werden die Wechsel und Uebergünge des-
selben beschrieben, Voltaire und Rousseau als Anwohner des Le-
manersecs inren urunusaizen, Leureo uua einuussreicnen YTirKungen oaca
meisterhaft entwickelt, die Ursachen nnd Wechsel der Helvetischen, auf
die Waadt zurückgreifenden Revolution mit wenigen, kernhaften Zogen
hervorgehoben und die Gefangenen erwähnt, welche hin und wieder un-
ter den Schlägen der politischen Stürme für längere oder kürzere Zeit
Chillon bewohnen müssen. Meistens geschah es in ziemlicher Gemäch-
lichkeit; die Lage der unfreiwilligen Gäste ist komfortabel, wie der Eng-
länder sagt. So wollte es die Zeit; ihr fehlte der blinde, peinigende
Hass , welcher den Prior von St. Victor Jahre lang zu den dunkeln Ge-
wölben des Felsschlosses venirthcilte. Die neuen Staatsgefangenen kön-
nen sich in den hellen, wohnlichen Räumen des Obergeschosses ziemlich
frei bewegen, einander Gesellschaft leisten und im Hofe ergehen. — Zu-
letzt kommen die Besucher Chili ons, vor allen Lord Byron, dessen
Aufenthalt in der Nachbarschaft, webmüthige Schwärmerei und berühmtes
Gedicht — der Gefangene von Chillon — lebendig und anziehend ge-
Biuuucii n crueu. ein raisiuiiie uc» Driii&cnon LMimcrs unu ucs isuiucn
Bonivard , Plane des Schlosses, mehrere schöne Kupferstiche, welche Br-
zng haben auf Schloss und Umgegend, geben auch in artistischer Rück-
sicht dem gründlich und trefflich geschriebenen Buche bleibenden Werth.
Gewiss wird es bald eine Teutscbe oder Englische Uebersetzung bekom-
men; denn in ihm sind auf eine nicht gar häufige Weise das Nützliche
und Anmutbige niedergelegt.
Bernhard E manu ei von Rodt. Lebensbild eines All-Berners als Soldat,
Staatsdiener, Geschichtsschreiber, Zeilgenosse und Augenzeuge der
schweizerischen Umwälzungen. Geschildert von L. Wur st emb er-
ger. Mit drei Plänen. Bern. Huber. iS5l V. 273. S. 8.
Mehrmals haben sich im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts und
später, als ihre Regierungs- und Corporationsmacht schon unterhöhlt und
gebrochen war, Bernische Patrizier auf dem Schlachtfelda und Gebiet der
liistoriseh-staatswirthscbaftlichen Wissenschaften ausgezeichnet. Dort glän-
zen z. B. die Erlach, Graffenried und andere, hier die Steiger,
Tschar ner, Wattenwyl, von Nuhnen und Andere. Mancher
trachtete beide Richtungen zu verbinden; aus dem Kriege heimgekehrt,
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Wurstemberger: E. T. Rodt.
warf er sich auf die Verwaltung: uud ihr entsprecheude Studien, dereo
Früchte aus Mangel an literarischer Ruhmliebe nicht immer der Oeffent-
licbkeit übergeben wurden. So sind die historisch - statistischen Arbeiten
Rysiners auf dem Lehenarchiv, die, von vielen Urkunden begleitete Ber-
nische uod Helvetische Revolutionsgeschichte von Mutachs noch onge-
druckt. Nicht so karg mit der Veröffentlichung seioes prüfenden, das
Gefundene darstellenden Fleisses war Emanuel von Rodt, welchem ne-
ben andern Arbeiten das historische Publikum die treffliche Geschichte des
Berniscben Kriegswesens und Karls des Kühnen verdankt. Auch das
biographische Denkmal, welches hier ein ehemaliger, würdiger Freund,
Amts- und Studiengenosse dem zu früh Verstorbenen setzt , enthält viele
eigenbändig geschriebene Aufzeichnungen, deren Lücken von dem kundi-
gen Verfasser des Lebensbildes ergänzt und zu einem anschaulichen,
aicberlich meistens treuen Gemälde nicht nur des Mannes, sondern auch
grösserer Zeitkreise ausgefüllt werden. Letzteren gehört namentlich der
sonst nirgends richtig dargestellte Krieg auf Elba im Jahre 1801 an,
besonders die Belagerung von Porto Ferrajo. Der erste Absshoitt schil-
dert die Jugendzeit und ersten, bei der Verteidigung des Schweizeri-
schen Neutralitätsprinzips sichtbar gewordenen MUittfrleistungen Emanuels
von Rodt, welcher am 8. November 1776 zu Bern geboren, streng
sittlich und nach dem Massstab jener Tage auch wissenschaftlich erzogen,
schon als Jüngling drei, später stets bewährte Neigungen kund gab; er
hatte entschiedene Vorliebe für das Studium der Geschichte, des Kriegs-
wesens und der plastischen Kunst.
Die erste militärische Erfahrung wurde 1796 an der Baslerischen
Grunze gewonnen und benutzt, um den Oesterreichischen Sturm auf den
Hü oinger Brückenkopf (in der Nacht des 30. November) genau zu beo-
bachten und, wie die Miltheilungen beweisen, kunstgerecht zu beschrei-
ben. Der zweite Abschnitt schildert den heldenmüthigen , unglücklichen
Krieg Berns mit den Franzosen (1. — 5. März 1798) und liefert dafür
die treuen, aus dem Leben gegriffenen Berichte Rodts, welcher in dem
Graubolztreffen , neben Neueneck dem Tbermopylengefecht der alten Ber-
ner, zwei Geschütze als Lieutenant befehligle. Ein genauer Plan veran-
schaulicht das Gefecht, in welchem 1000 schlecht eingeübte, zwieträch-
tige Milizen 18,000 Franzosen unter Schauenburg zwei Stunden lang
die Stirne zu zeigen wagten und wie Männer stritten. Trotz der Nieder-
lage und vielfacher, meuterischer Unordnung kann Bern in Bezug auf
opferbereite Hingebung den fünften März noch jetzt als einen Ehrentag
bc lr 0 ob loo^ so cb cm d 1 0 ^^^ttrd o döF u 0 tcrhobltcii uod 0 b 6 d dco 0
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892 WüTttemberger! E. v. Rodt.
publik durch Mannhaft der Verth ei diger behaaptet worden ist. Dm an-
erkannten selbst die Sieger nicht sowohl durch ihre, den Schate und da«
*9 n/_LnllJ. laApanrlan TltA^ilh m\ o A t%Wt f\\x JJa A n m Hirantririnni nkrrarlnllslAn
Aeugnaus icerenuen lnaien bis uuren uie , utm uireciurmm BDgcsiaiietrn
Amtsberichte und persönlichen Urtheile. Der dritte Abschnitt führt des
Leser in die Mitte des Prenssischen Kriegsdienstes, welchen Rodt
ans tief eingewurzelter Neigung und aus Hass gegen die Unterdrücker
seines Vaterlandes im Sommer nachsucht und in Folge gewichtiger Ftr-
sprache als Föhn rieh, bald als Lieutenant im Breslau er Regiment Treuen-
fels gewinnt. So mannichfaltige Gebrechen auch das damalige Heerwesen
der Monarchie darstellte, enthielt es auch treffliche Einrichtungen, welche
nicht gehörig von der Kritik nach dem Unglücksjahr 1306 gewürdigt
sind. „Auch das Loos und die Behandlung des Soldaten, heisst es S. 44
m Betreu oes auimerKsamen Augenzeugen, iana er wen leicnier, mensen-
ltcher und günstiger, als er sichs vorgestellt hatte. Noch in seinen leis-
ten Lebenstagen beschuldigte er den Bischof Eylert (warum blieb er
sieht auf dem geistlichen Steckenpferd, dem Kirchenrösslein?) grosser
Uebertrcibung in seinen Beschreibungen des Elendos dieser Soldaten, der
Hörte ihrer Offiziere und der Grausamkeit der preussischen Militärstrafen, die
derselbe in seinen Charakterfügen Königs Friedrich Wilhelms 1(1. so
tragisch (wie Hiob) ausmalet. Im Geg entheil bezeugte Rodt mündlich
und in seinen nachgelassenen Schriften wiederholt, er habe immer an-
gemessene Freundlichkeit und viele Menschlichkeit der Offiziere gegen die
Soldaten wahrgenommen und selbst die Strafen, z. B. das verrufene Gas-
senlaufen, seien weit weniger grausam gewesen als das brit tische
(parlamentarisch - nii littirische ?) zu Wasser und zu Land übliche Peit-
schen mit der „cat-of-nine-tailstt (der nennseh winzigen Katze). Asch
das Aosreissen sei zu seiner Zeit ziemlich selten, die Lage des lässiges
Soldaten sehr günstig gewesen ; von je drei Tagen habe er zwei frei ge-
habt und dadurch Gelegenheit gefunden, in Breslau taglich einen halben,
iü Berlin einen vollen Thaler täglich durch Arbeiten bei den Bürgers ss
erwerben. Dazu sei mit dem 1. Junius 1799 eine nicht unbedeutende
Solderhöhung eingeführt und die früher üblich gewesene Brotanrechnong
öDgescnani woraen. — ine uenauigKeu aer grossen manoteroewegungeo,
nesonaers aer neuere! , aui aer roisaamer neersenau unu aer Ann lies
gefeierter Waffengeffchrten Friedrichs I!., Tempethofs, Möllendorfs snd des
jungem, allein unbezopften Büchel machten auf den vorwärts stre-
benden Berner den tiefsten Eindruck. Dabei wird gelegenheitlich, wss
bisher unbekannt war, gemeldet, warum der zuletzt erwähnte General
ein unbezopftes Privilegium besass. Rüchel musste nämlich wegen sein«
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tt uiBicinocrger . c t. nuuv.
von jeher schwachen Haarwuchses einen falschen Zopf Ingen, welchen
ihm einst zu Sanssouci unter den Augen des grossen Königs ein mut-
williges Windspiel rücklings aurspringend hinwegries und trotz der raschen
Verfolgung durch den Inhaber zwischen Stühlen und l i chen umherlau-
fend als Siegesbeute davontrug. Lachend dispensirte Friedrich RücheTn
auf immer vom Tragen eines Zopfes. — Wie Herr von Kodt aus Sehn-
sucht nach Krieg ungern und etwas leichtfertig aus dem dm als friedlich
gesinnten Preussischen Dienst in den Oesterreichisch - Englischen eintrat
(Frühling 1800), hier in seinen Erwartungen durch das Missgescbick der
Kaiserlichen und andern Umständen getäuscht mit dem Schweteerregttnent
Wattenwyl (früher Roverea) der brittischcn Fahne folgte, mancherlei
Whrlichkeiten zu Wasser und zu Land bestand, Porto Ferrajo auf Elba
gegen die Franzosen vertheidigen half (Sommer 1801), dann in Folge
des Friedeos von Amiens anfangs auf Urlaub, darnach für immer, dem
fremden MilitSrwesen entsagte und in die Heimath zurückkehrte, (Herbst
180t), *- das Alles wird in den Abschnitten 4 — 8 auf eine eben so
anziehende als lehrreiche Weise beschrieben. Den Kernpunkt bildet die
schon erwähnte Belagerungsgeschichre Porto Ferrajo's, welche viele bis-
her unbekannte Thatsachen liefert und manche, in Französischen und an-
derweitigen Berichten niedergelegte Irrtbümer berichtigt. Ein Plan der
Stadt und eine Karte der Insel veranschaulichen das Dargestellte. Auch
die nichtmilitfirischen Reiseansflüge, z. B. von Malta nach Stcilien bringen
manches Beachtenswert he, wodurch Volk und Zeit aufgehellt werden. Wel-
chen Abstand bildet nicht z. B. der gastliehe, hochgebildete um] beschei-
dene Ritter Landolina in Syrakus von der Armuth und Unwissenheit des
lief gesunkenen, in seinen Trümmern noch ehrwürdigen Vororts der Sike-
Hschen Dorier! (S. 181). Was Göthe von jenem trefflichen Kennet
des Altcrthums erzählt, wird hier vollkommen bestätigt. Nicht minder an-
stefcend ist die Aetnareise (Mai 1802). „Rodt, heisst es bündig, von
Roverea , Sohn, (seinem ermatteten Reisegefährten) ermahnt, erklomm den
Hand des Höllenschlundes, dessen Abgrund er mit Grausen erblickte; schwarze
und gelbliche Qualmwoftren von erstickendem Schwefeldampf machten das
Weilen auf dieser Hohe fast Uneusheltbar ; das Infernale des Anblicks genoss
der Wanderer in vollen Zügen ; das Himmlische der Aussicht hingegen, die sich
bei hellem Wetter über ganz Sicilien und die umliegenden Festlande und
Inseln erstreckt, wurde ibm durch Nebelte wölke im Osten und Süden
sehr verkümmert.4* (S. 183). Man begreift jetzt bei dem Aneinander
der Gegensätze, des Himmels und der Hölle, der Fülle und Oede den
Aescbyleischen Mythos vom begrabenen Kies enunget hUm Typboeus und
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Wursteraberger: E. v. Rodt.
auf der Koppe hämmernde» Hepbaistos, man sieht ein, wie Lin-
ter dem Schwefelgewölk halb revolutionärer Wirren und Dünste nach ge-
reinigter Luft die reine Aussicht besserer Zukunft liegt. Auch Rodt
musste heimgekehrt diese Erfahrung machen ; sein umdüsterter Blick konnte
aber nach menschlichem Loose in den Zerwürfnissen, halb verschuldeter,
halb verhängnissvoller Zuckungen der Schweizerischen Heimath das noch
ferne Ziel einer verständigen und erträglichen Wiedergeburt nicht ganz
erkennen. Festen Charakters und nicht gewohnt gegen seine Ueberzeu-
gung zu dienen, zog er sich nach musterhafter Verwaltung des Münster-
thaies (Abschnitt 10) bei dem Aufgang einer neuen politischen Welt
(1830) für immer in die Einsamkeit des häuslichen und literarischen Le-
bens zurück (Abschnitt 11 n. 12). Was er in dem letzten Kreise durch
die Geschichte Karls des Kühnen, des Bernischen Kriegswesens, des Twing-
herrnstreits und andere historische Arbeiten leistete, bleibt bei kundigen
Schweizern und Fremden wohl noch viele Jahre lang als dauerndes Denk-
mal im dankbarem Gedächtnis«. „Wem übrigens, bemerkt nicht ohne Grund
der Biograph, in unserer Zeit ums Geld zu tbun ist, der tbut besser
Geschichten zu machen, als G e s c h i c h t e zu schreiben, besonders nicht
diplomatisch -kritische, noch mit Rodtischer Gewissenhaftigkeit „Tendenz*
ist die Hauptsache, auf die heutzutage gesehen, die bezahlt wird; Wahr-
heit aber nur Nebensache bleibt und pedantischer Obskurantismus heisst;
und doch konnte der ehrliche Rodt sich seine langweilige Wahrheitsliebe
nie abgewöhnen." — Diese etwas scharfe Herzensergiessueg des höchst
acbtungswerlhen Verfassers schmeckt, scheint es, nach örtlicher Partei-
galle; denn seines Freundes literarische Arbeiten haben doch innerhalb
und ausserhalb Berns ihre gerechte Anerkennung gefunden und Niemanden
ist es eingefallen, dem Sohn einer vielfach beseitigten Zeiteutwicklung dess-
halb anklagende Vorwürfe zu machen, weil er ihr etwa in seinen Wün-
schen, gewählten Beschäftigungen und Verhältnissen mehr anhing und
huldigte, als einer noch gäbrenden, unabgeschlossenen und häufig uner-
freulichen Gegenwart Rodt starb am 16. August 1848, inmitten ringsum
aufgegangener Stürme, welche er schon einmal ab junger Mann und zwar
in weit stärkerer Macht und Nacbaaltigkeit erfahren hatte.
15. Nov. Mortüm. ♦
r
* ■
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Nr. 57. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Hisloire de la Confederation Suis sc, par Jean de Müller, Gloutt-
Blozheim et J. Hottinger; traduite de VAllemand atec des
notes noutelles et continuejusquä nos jours, par Charles Mon-
tier d et Louis Vulliemin. Tome dix-huitihme = Charles
Monnard. Paris, Ballimore, editevr. Geneve. Cherbulie*, libraire.
1851. 8. VIII. 544.
Mit diesem Band, welcher bis zum Jahr 1815, dem Abschluss dei
neuen , der Mediationsakte folgenden Bundes hinabreicht, hat das
grosse, nalionalbistorische Werk der Schwei* vorläufig sein Ziel erreicht.
Wenigen Völkern und Ländern Europas ist es verliehen, eine so umfas-
sende, durch Gründlichkeit, Klarheit der Anordnung und Sprache ausge-
zeichnete Darstellung der Gesaiumtgeschicbte zu besitzen. Und die-
ses Ergebniss wurde inmitten vielfach bewegter, selbst zwieträebtiger Tage,
und stürmischer Wirren durch die Vaterlandsliebe, den rastlosen Fleiss und
vor- wie rückwärts blickenden Scharfsinn etlicher Männer und Bürger ge-
wonnen. Was Job. Müller 1780 durch die Herausgabe seiner ersten
Umrisse begann, haben Vulliemin und Monnard auf würdige Weise
jetzt beendigt. Denn abgerechnet die, von Tillier gut beschriebene
Restaurationszeit (1815—1830), gehört die fernere Entwicklung
noch zu sehr den Kämpfen und Bestrebungen der laufenden Gegenwart
an, als dass sie sich zum Gegenstand einer abgerundeten, dem grossen
Gänsen anheimfallenden Historie eignete.
Denkschriften und Monographien müssen hier als Zeugnisse der,
gleichzeitigen Beobachter und Mithandelnden dem künftigen Geschichtsschrei-
ber die Bahn ebnen und den Boden befestigen. Wenn nun mit gebüh-
render Aufmerksamkeit und Anerkennung das bedeutsame Unternehmen in
diesen Blättern verfolgt -; J und genau, selbst hin und wieder kritisch, bespro-
chen wurde, so kann der Abschluss des Werks ohne Beeinträchtigung
warmer Theilnahme auf Kürze Anspruch machen. Denn die der Media-
tionszeit augehörigen und auch benutzten Schriften Rovereas und
Tilliera**) sind einerseits hinlänglich erörtert worden, anderseits ver-
gönnen die einzelnen, übrigens trefflich ausgeführten Abschnitte für die
•) Jahrg. 1842. 1846 und 1848.
♦*) Jahrg. 1847. 1848 und 1849.
XUV. Jahrg. 6. Doppelheft ' 57
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896 Monnard et VuHiemin! Hialoire de la confe^eration Saisse.
Oricntirung- des Lesers nicht leicht Auszüge oder etwa hier oder da ent-
gegenstehende Bemerkungen. Die kunstfertige Geschicklichkeit, den Stoff
angemessen und zwanglos zu gliedern, (Organisationstalent) wird am be-
sten ans dem Inhalt, erhellen und die leichte am rechten Ort selbst red-
nerische Schreibart des Verfassers in etlichen Bruchstücken des Nach-
worts volle Bewahrheitung finden. Die erste Abtheilung (Sektion), Ober-
schrieben : Begebenheiten vor dem Russischen Kriege, Na-
poleons Oberherrlichkeit (Suprematie) ;u gibt im ersten Kapitel
den Charakter und die Lage des Zeitatters an; im zweiten die
innern Schwierigkeiten and Unruhen, namentlich im C. Zürich
(1804), schildert im dritten das Verhält niss der Eidgenossenschaft
znm ersten Consul, spätem Kaiser Napoleon, im vierten die wach-
sende Macht desselben und im fünften die zunehmende Ab-
hängigkeit der Schweiz, welche ihren Handel zerstört, ihre Presse
ünd Bürgerschaft von der Französischen Polizei überwacht sehen moss.
Der C. T essin wird sogar militärisch besetzt und trotz der dawider
eingelegten Verwahrung Jahre lang nicht geräumt. Umsonst feierte msn
auch in der Eidgenossenschaft mit ungewöhnlichem Prunk die Gebart des
Königs von Rom (20. Mfrz 1811), umsonst verherrlichten die Pfarrer
heider Bekenntnisse wetteifernd das „g ebene d eie te K in d* and an-
erkannten die Zeichen der beliebten Vorsehung. Aber diese rief dem
Welt erobere r zuerst in Spanien, darnach in Kussland ein entschie-
denes „Halt!" zu. Darum beschreibt die zweite Abiheilung: Abnahme
und Fall Napoleons/ im ersten Capitel mit Recht den Rassische»
Feldzug, m Leistungen und Verluste der dabei gebrauchten Schwei-
zerregimenter, welche hauptsächlich den Rückzug decken and bel-
denmüthige, besserer Tage würdige, Tapferkeit entwickeln, schildert das
zweite Capitel die Folgen der Leipziger Schlacht und das Ende der
Mediationsakte. Die dritte Abteilung, überschrieben: „Bildunf ei-
nes neuen Bundesvertrags/ entwickelt im ersten Capitel das eid-
genössische Zwischenregiment (Interregnum), im zweiten die
konstitutionirenden oder Verfassunggebenden Arbeite*
and Wirren; hn dritten den Wiener Congress, natürlich zunächst
im Bezug auf die Schweiz, im vierten Waterloo und den zweiten
Pariser Frieden. Die vierte Abtheilong: „Inneres Leben% schil-
dert im ersten Capitel das Bundeswesen, im zweiten die Canton-
V er waltung, im dritten das Geistes- oder Culturleben, letzteres
mehr skizzenhaft denn ausführlich. Ueberhaupt sieht man, dass ee zum
Schlnss geht Qa doture! la clotaret), wie lioh denn auch ein ichöa
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Monnard et Vulliemin: Histoire de la conftfderation Suisie.
gedachtes, gefühltes und geschriebenes Nachwort an die Eidgenossen
wendet und gleichsam Ton ihnen Abschied nimmt. Vor noch drei Jahren
würde man die Lehren und Rathschläge, welche der Verfasser, darin ähn-
lich Napoleon gegenüber der Helretischen Consulta in Paris, seinen Lands-
leuten gibt, hier oder da für eine mürrische, pedantische Schulmeistern
erklärt haben; jetzt aber, wo so viele traumähnliche Tauschungen her-
umirren, wird man die ernste, väterliche Mahnung sicherlich von ihrem
wahrhaften Standpunkt aus betrachten und für die eine oder andere Seite
beherzigen. „Die Schweiz, lautet sie stellenweise, (S. 530) soll pflicht-
müssig weniger die Formen als den Geist der Republik und Demokratie
den übrigen Nationen achtungswerth machen. Dieser Geist betrachtet den
Staat als die gemeine Sache (res pnblicaJ, als die Sache Aller;
et will die Vorherrschaft des Volks, d. h. Aller, folglich das Reich
der Freiheit, in welchem sich die Kräfte entwickeln, die Einsicht erbebt
nnd das Herz erweitert. Diesen Geist unter allen Formen der Regierung
auszubreiten, fordert die Mission unserer Republik. Grosse und heilige
Mission! Die Schweiz wird sie erfüllen, nicht durch geheime Send-
finge (Agenten; nnd revolutionäre Propaganda, nicht durch Feuerbrflnde,
Welche in die benachbarten Staaten geschlendert werden, sondern durch
das Uebergewicht des Beispiels. Möge sie Europa ein Leuchtturm, nicht
aber ein Feuerherd seynl
Dorch Beachtung fremder Staatsrechte wird die Schweiz ihrem eigenen
Staatsrecht Achtung verschaffen, auf dem Boden des guten internationalen
Rechts grössere Mittel für den Schirm ihrer Unabhängigkeit gewinnen, als Men-
schen und Völker auf dem Boden der Ungerechtigheit. — Unabhän-
gigkeit! — - auch sie legt dem Bunde Pflichten auf. Die Schweiz kann
Sich nicht vereinsamen fisoliren? wie eine Insel, welche über Weltmeer
nnd Schrankenlosigkeit waltet. Ein kleines Laud von Grossstaaten umge-
ben, ohne andern Seehafen nnd Ausgang als die Nachbarn erlauben, hat
Sie die letztern nötbig zum Geben und Empfangen, zur Ausfuhr eigener
Erzeugnisse und zur Ergänzung des Lebensbedarfs. Sie muss also auch
Vom politischen Standpunkt aus betrachtet gegenüber andern Staaten kein
verriegeltes sondern gesellschaftliches Leben führen, gute Nachbarsverbält-
nisse unterhalten, ohne sich ihnen zu unterwerfen; sie muss sich selber
echten, um durch Achtung die Kraft und den Willen der Mächte zu zü-
geln; sie muss Unabhängigkeit nnd Vergesellschaftung (Tassociatiun; zn
einigen wissen. — Schweizer schirmt und ehrt eure Volksthümlickeit ohne
fremde Nationen zn kränken! Wollt ihr stark seyn vor den Möchten,
seid es durch enre Würde! Entweihet nicht die heiligen Namen derUn-
57*
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898 Monnard et Yulliemin: Histoire de Ia confederation Suisse.
abhangigkeit and Freiheit, wie man stündlich den Namen Gottes miss-
braucht! — Spielt nicht mit grossen Gedanken und edlen Gefühlen 1 —
Würzet nicht eure öffentlichen Feste durch herausfordernde Redensarten!
Seid fest ohne Hochmuth und fröhlich ohne Prahlerei! Ahmt nicht nach
die armseligen Hüter eurer Häuser, welche im spröden, hartnäckigen Ge-
belfer scheinbare Stärke niederlegen! — Unabhängig ist das Volk,
weiches treu seinen Sitten, Gesetzen und Charakterzügen, stark durch
Eintracht die Beziehungen zu den auswärtigen Cabineten nicht abbricht,
um ihr Lächeln nicht buhlt, ihre Ränke abweist und sie eben so wenig
zu Schiedsrichtern seines Looses macht. Drei und ein halbes Jahrhundert
der Abhängigkeit haben der Schweiz eine theuer bezahlte Lehre gege-
ben, nicht aber das Recht, die Könige anzuklagen; ein Volk, welches
sich nicht selbst sein Schicksal zu machen weiss, darf nicht klagen, wenn
es ihm von anderer Seite her gemacht wird. Hoffentlich werden fortan
die Schweizerdinge in der Schweiz und durch das Volk der Schweizer
ihre Wendung bekommen.
Die Achtung vor dem Rechte Anderer, die edle, ruhige Haltung
gegenüber dem Schirm des nationalen Lebens werden die Bedeutung
der Schweiz im Europäischen Staaten System erhöhen. Grosse
Monarchen haben davon bei Europäischen Krisen Zeugniss abgelegt und
werden es von neuem thun, wenn die Eidgenossensehaft durch Theten
den Glauben bewahrheitet, dass der politische Werth eines kleinen
Staats im Verhältniss zu der sittlichen Tüchtigkeit steht. Die Schweiz
jr d d&bcr Dicht d rti 13 c 1 s jj j c I jener ci 0 1 1 u L 0 folgen ^ e I c h e ä ii f lb reo
Pergamentbwefen schlummern und die Verdienste ihrer Ahnen, die Quelle
ihres Adels, mit Gleichgültigkeit behandeln. Statt rückwärts so schauen
und sieb zu brüsten mit dem Vergangenen, wird sie die Augen auf das
richten, was ringsum und vor ihr liegt, sich vergesellschaften mit dem
unaufschiebbaren Werk der Gesittung (CivilisationJ. Die grossen geisti-
gen und staatsbürgerlichen Bewegungen gelten a 11 e n Völkern ; die Schran-
ken der S t a a t e n finden sich nicht auf dem Gebiet der Geister. Hier
schätzt man die Bedeutung einer Nation nicht nach dem Umfang des Rau-
mes sondern des Geistes ab; hier machen kleine Völker den Vor schritt
der grössern streitig; Athen hat das Reich der Perser durch den Ruhm
des Gedankens wie auf dem Schlachtfelde überwunden. Die kleine Schweiz
nimmt in der Geschichte der Wissenschaften, schönen Künste und übrigen
Gesittung häufiger einen Ehrenplatz ein, als mancher Grossstaat. In
der allgemeinen Bewegung zu Gunsten des socialen Fortschritts sah man
die Schweiz oder einzelne Cantone immer in der Vorhat. Die Eidge-
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Monnard et Volliemio: Histoire de la confe'deration Suiase.
nossenschaft gab in der neuern Zeit die ersten Beispiele der geregelten, fried-
lichen Demokratie, das erste Mnsler der Kriegswissenschaft und spä-
ter des Land weh r Systems, welches den Pfalz bleibender Heere ver-
tritt. In der Staatswirthschaft haben die gewerblichen Cantone,
in der Praxis die Kühnheit fremder Theoretiker ausgleichend, durch die
Freiheit aber alle Hemmnisse gesiegt, welche andere Staaten ringsum ihrer Na-
tionalindustrie entgegenstellten. Die Schweiz hat durch ihr Beispiel die
Herrschaft des Associ ationsgeist es zuerst angekündigt. Alles ladet
also ein zur Besserung der socialen Verhältnisse nnd zum Gennss dersel-
ben. Im Sittlichkeitsprincip der Einzelnen und der Völker geht
die Pflichtfrage der Glücksfrage voran; jeoe enthalt den Grund,
diese die Wirkung; aber aus dem Glück, wenn es sich über Alle er-
streckt, entspringen auch Pflichten wie für die Gesellschaft, so für
die Glieder derselben. Vergleichen nun die Schweizer das Ganze ih-
rer Lage mit dem anderer Völker, so werden sie sich überzeugen, dass
nur wenige eine gleiche Zahl von Bedingungen der Gemeinwohlfahrt ver-
einigen. Die centrale Lage setzt das Land in Berührung mit drei gros-
sen Nationalitäten, der Französischen, Ilaliifnischen und Teutschen;
bei einer mittlem, gesunden Temperatur führt die Mannigfaltigkeit des
Himmelstrichs innerhalb weniger Stunden von den Pflanzen Siciliens zu
denen Lapplands; reich ist das Gewässer der Seen, Ströme, Flüsse, Bäche,
mineralischen uud warmen Quellen; man findet Ebenen mit Gelraide be-
deckt, kräuterreiche Thäler, vom Weinstock prangende Hügel, Gebirge
mit fetten Matten, adwechselnd Wälle und Schmuck; die Schönheiten
der Natur machen das bewundernde Europa und Amerika der Schweis
gewissermassen zinspflichtig; der Boden ist fruchtbar genug um die Ar-
beit zu belohnen, karg gegen die Faulen; der Volksstamm besitzt Ge-
sundheit, Kraft, Feuer für die Anstrengungen des Arms und Kopfes; alle
Art des Lebens und der Werkt hü tigkeit sieht man nebeneinander; durch
den Handel reich gewordene Städte, Gewerblicbkeit, deren Gewebe mit
England wetteifert, welche den nackten Neger Brasiliens bekleidet, nach
China Seidenzeuge führt, Uhren und Juwelenarbeiten in beide Welten sen-
det, ihnen Eingang zum Serail des Grosstürken verschafft; Städte und
Dörfer untermischt für die Förderung der geistigen Pflege und zwar in
grösserer Zahl als anderswo; beinahe überall tritt uns das Bild der Wohl-
habenheit entgegen ; leicht sind die Verbindung- und Fahrmittel, muster-
sterhaft die Strassen bis zum Hochgebirge hinauf ; Volksbildung ist, so zu
sagen, verbreitet bis zu den letzten Hütten; man kennt Pflege der Wis-
senschaften, literarischen Ruhm , militärische Einrichtungen nnd Tapferkeit,
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900 Monnard et Vulliemin: Hktoire de U confederauon Seisse.
ein unsichtbares Heer, weichet auf den ersten Ruf geschult, so Manus-
zucht und Ordnung gewöhnt aus dem Boden emporsteigt; man bat wach-
same Behörden in den Cantonen, und waebseedo Bundeieinheit (Union;;
das öffentliche Leben gedeiht, mit Beihülfe schwacher Steuern werden
gemeinnützige Werke geschaffen; das, vom Volk gezahlte Geld dient
der Wohlfahrt des Volks; deo massigen Amlsgehalt ergänzt die Pflicht-
treue; hohe Obrigkeiten umgibt die Achtung ihrer einfachen Würde; es
gibt keine geldsuchtigen Beamten; keine amtliche Bestechung, kerne Hof-
pracht, keine Prinzenausstaltiing; statt des Pompes und der Hoheit gilt
im öffentlichen Leben die Freiheit und als Vater und Beschirmer der Frei-
heit jener Gott, welchen alles Volk anbetet in deu herrlichen Tempeln
der Stidte, in den weissen Kirchen der Dörfer, den ländlichen Capellen
der Feisahhänge, unter dem Dache des Reichen end Armen, in den Sa-
lons und Aelplerhütten. So ist die Schwei». Und weicher Schweizer
sollte nicht mit gerührtem Danke ausrufe«: „Das Land, welches uns Gott
der Herr schenkte, ist gut." (Deuter. I, 25 ).
Nachdem darauf der Verfasser gezeigt hat, wie trotz vieler betrü-
bender Ereignisse, Fehler und Missgriffe die Eidgenossenschaft im 18. und
19. Jahrhunde rt wirkliche Fortschritte in der Gesittung und im Staate ge-
macht bat, schliesst er also: „Die Ordnung der Jahreszeiten findet sich
in dem langen Völkerjahr wieder. Vor der Erndte Arbeit und Aus-
fssat, vor dem Korn und der Weintraube das Düngen. Wie der Ab-
all (Jcs rebuts) der stofflichen Natur Felder und Weinberge düngt, eben
so macht nach dem göttlichen Haushaltsgeselz der Abfall des sittlichen Lebens
den Boden der Menschheit fruchtbar ; er häuft eich an und verfault ; nach-
her kennt man ihn nicht mehr wieder in den Blumen, Erndtee und Früch-
ten des Herbstes.
Glücklicherweise leben die Völker nicht in der, von Menschen ein-
gerichteten Ordnung, sondern in derjenigen des Weltschöpfers. Die Vor-
sehung regiert die Gesellschaft durch Gesetze, welche weder der wan-
delbaren Rath« noch der gleich Meer es fluten umhergetriebenen Menge zur
Bestätigung vorliegen. Das ist der Grund patriotischer Hoffnung, welche
nicht zu Schanden werden lässt.
Gewisie Menschen, welchen daran gelegen ist, den Stachel dieses
Glaubens zu brechen, werden für den Sieg ihrer Unordnung diese gött-
liche Ordnung längnen. Volk , sie werden dir sagen , dass du allein ihr
Gott bist; wenn du sprichst, werden sie schreien: „Stimme eines Gottes
und nicht eines Menschen!" — Hüte dich, dass nicht in dem Augenblick
ein unsichtbarer Engel Gottes dich treffe, fall* du nicht Gott die Ehre gibst!
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v. Sinner: Bibliographie der Schweiiergeschichte. 901
(Apostelgeschichte XII, 22. 23.). Hüte dich Volk, ,dass man dich nicht
durch dich selber truoken mache! Trunkenheit ist eine schlimme Ratbge-
btrin; in der Trunkenheit schwankt man.
Zwei Gattungen Menschen werden vor dir erscheinen ; Etliche wer-
den dir mit liebreicher Strenge deine Schwächen und Gefahren enthüllen;
dies sind deine Freunde; Andere, weit zahlreicher, werden dich be-
räuchern und herabbringen, das sind deine Schmeichler. Alle Sou-
veräne haben ihre Schmeichler, insonderheit das königliche Volk, dessen
Höflinge mit Grobheit kriechen und ihre Stimme anstrengen, um in lob-
hündeln. —
0 Schweizervolk, demüthige dich, aber erniedrige dich nicht!
Steige herab von den Höhen des Stolzes, aber nicht hinein in den Schlämmt
Wachse an, indem du dich beugst vor dem einzigen Wesen, von wel-
chem alle Grösse ausgebt! Die Freiheit selbst, die mächtigste der irdi-
schen Mächte, ist auf dem strahlenden Thron der Alpengipfel nur dann
unerschütterlich, wenn sie sich als Tochter Gottes anerkennte
Können anch hin und wieder die Farben dieses vortrefflichen Schluss-
worts etwas zu grell und düster aufgetragen seyn, ungewöhnliche Zeiten
fordern auch eiue, vom Herkömmlichen abweichende Mahnung. Wer da
stehet, sehe zu, dass er nicht falle 1 Und Mass zu halten, ist in allen
Dingen gut.
Bibliographie der Schweizer geschickte, oder systematisches und theilweis*
beurteilendes Verzeichnis* der seil 1796 bis 1851 über die Ge-
schichte der Schweiz von ihren Anfängen an bis 1798 erschiene-
nen Bücher. Ein Versuch ton Dr. G. R. Ludwig ton Sinn er 9
früher Unterbibliothekar der Universität in Poris. Zürich, Fr
Schulthess, Bern, Stämpflische Verlagsbuchhandlung. 1851. 8. X. 292.
Der als Pbilolog rühmlichst bekannte Verfasser zeigt sich in dem
vorstehend eti Werk auch als Kenner und Forscher seiner vateriündischen
Geschichte; er liefert den Freunden derselben in und ausserhalb der Schwei*
ein längst vermisstes bibliographisches Handbuch, welches sieb der
berühmten Arbeit G. F. von Hallers anscbliesst, für die' Jahre 1840—
1845 die trefflichen Uebersichten G. Ney er 's von Knonau im Archiv
der geschichtforschenden Gesellschaft (B. 1. 2. 4. und 6) benutzt, in
allen übrigen Theilen aber mit geringen Ausnahmen durchaus selbständig
auftritt und für sich Bahn bricht. Diess ist um so anerkenaenswerther,
je grössere Hulfsmi ttel dem Vorgflnger zu Gebote standen ; derselbe { Hai-
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• • • • $m a
yu* T. Dinner: DiDiiograpnie aer scnwcizergcscnjcnic.
ler) hatte zwei gelehrte Revisoren nnd 62 Collaboratoren , dabei in der
Aufzählung Rücksicht auf noch ungedrnckte Handschriften, indess der Fort-
setzer allein dem gesteckten Ziel zusteuert und nur die erschienenen Hand-
schriften d. b. die gedruckten Bücher, aufnimmt Q\\ dennoch aber, wie
er bescheiden sagt, auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen
will. Andererseits erscheinen aber auch die Umstände wieder günstiger;
es herrschen seit etwa zwanzig Jahren in der Eidgenossenschaft 0 äf-
fen tlichkeit und regere, trotz der politischen Bestrebungen und theil-
weisen Wirren allgemeiner verbreitete Empfänglichkeit für das vater-
ländisch e Geschichtsstudium. Die frühere Geheimthuerei ist gänzlich
gefallen; Archive der Staaten und Sammlungen der Einzelbürger sind je-
dem bewährten Freund und Liebhaber der Geschichte leicht zugänglich,
viele seltene Quellen durch die Presse veröffentlicht , viele dunkle oder
bestrittene Punkte für und dawider durch die Kritik geprüft, für rein
wissenschaftliche oder populäre Zwecke in der mannichfaltigsten Art
beleuchtet und dargestellt worden. Die allgemeine geschichtforschende
Gesellschaft und eine Reihe von historischen Vereinen erhalten dabei ohne
Staatskosten durch eigene Beiträge an Fleiss, Forschnng, Kunstvermö-
• gen und Geld das Studium im ununterbrochenen FIuss und damit auch
das Publikum oder die Lesewelt. Wie ganz anders war das in den Ta-
gen Hallers und Johann*» von Müller, des ersten, gemeinschweizeri-
seben Geschichtschreibers! Alles lag unter Schloss und Riegel, ängstlich
überwacht und wie ein Palladium gegenüber der Oeffentlichkeit gehütet.
Der arme Pfarrer Was er musste seinen literarischen Fürwitz in Zürich
mit dem Leben zahlen, Müller den ersten Abriss seiner Schweizerge-
sebichte in Bern als Stadt Boston erscheinen lassen (1780) und dabei
in der Vorbemerkung folgendcrmassen warnen: „Die Besitzer der unge-
druckten Urkunden bitten sehr verschwiegen zu bleiben, denn wohl eher haben
ein Bürgermeister und Rath, in diesem 18. Jahrhundert, mitten in Europa,
vor den Augen gesitteter Nationen, einen gelehrten Mann auf den Arg-
wohn einer bösen Absicht mit einem alten Brief alsobald hinzurichten keine
Scheu getragen; in lang beschirmte Dunkelheit Staaten nnd Minister vor
deo Augen der Welt, bis die Gerechtigkeit die Muse der Historie ihr zum
Beistand aufgerufen." (S. 3 in diesem Buche). — Verbälfoissmgssig war
in engen Gefolge der Heimlichkeit die T h e i I n a h m e am vaterlän-
dischen Geschichtsstudium nur gering; die regierenden Herrn tbaten nicht
nur nichts dafür, sondern erschwerten nnd verkümmerten auch den Ge-
brauch der Qnellen; ebenso strenge war die Censur; sie märzte ans,
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v. Sinner: Bibliographie der Schweizergeschichte, 903
-
mit einem Verbot drein. ..Zwei Berner Landvögte, erzählt z. B. Zim-
mermann aas Brugg, haben im Jahre 1758 über meine Schrift vom
Nationalstolz also abgeurtheilt : Erster Landvogt blätterte in dem Buche,
legte es weg, runzeile die Augeobraanen und sprach: „Nous voulons de
Tobeissance et pas de la science." Zweiter Landvogt las das Buch durch
und sagte: „ce docteur Zimmermann est un homme remuant et (lange-
reux; il faut lui faire mettre bas sa plume!tt — Buchhändler zahlten so
schlecht und das Publikum kaufte so wenig, dass Job. von Müller,
etwa auf den Ertrag seiner Schweizergeschichte angewiesen, für
den Tag beiläufig neun Kreuzer Renten gehabt hätte (S. 2 bei von Sinn er).
Diese Gleichgültigkeit und Knauserei bestehen seit langem nicht
mehr; Regierungen und Vereine fördern nach Kräften die wis-
senschaftliche und populäre Kenntniss der Landesgeschichte;
fttr sie werden in den ungünstigen Tagen der Gegenwart besonders von
Privatmännern und Gesellschaften bedeutende Summen verwendet, höhere
und untere Schulen mit dem nothwendigsten historischen Geräthe ausge-
stattet, die Archive untersucht, die Urkunden vollständig oder in Auszü-
gen und Uebersiehten (Regesien]) veröffentlicht, schwierige Abschnitte von
neuem geprüft und vielfach aufgehellt, von reichen Bürgern Sammlungen,
seltene Bücher und Handschriften, bisweilen auch ansehnliche Geldbeiträge
dem historischen Studium gewidmet. Wie sehr sich dieses nun, zunächst
für die Landesgeschichte seit etwa zwei Menschenaltern erweitert
und vervollkommnet hat, erhellt am Besten aus der vorliegenden Biblio-
graphie. Sie zeichnet sich ähnlichen Schriften anderer Völker und Zei-
ten gegenüber zuerst aus durch eine logisch-systematische Glie-
derung, welche den unbehülflichen, reicheu und mannichfaltigen Stoff auf
bestimmte Arten des Gemeinschaftlichen und Angehörigen zu-
rücktuführen trachtet und dadurch deu Gebrauch natürlich sehr erleich-
tert. Das erste Buch handelt von der allgemeinen oder bündischen
Schweizergeschichte, bespricht im ersten Kapitel theils die früheren Ge-
schichtsschreiber vor 1786, vor allem den eigentlichen Begründer der eid-
genössischen Universalbistorie, Job. von Müller, theils später erschie-
nene kürzere Geschichten, welche als Hand-, Schul- und Lesebücher ge-
nau aufgezählt und bier und da kritisch gewürdigt werden. Das zweite
Kapitel erörtert einzelne Hauptepochen bis auf die Reformation, z. B.
die Römer zeit, die Anfänge der Eidgenossenschaft, die Burgunder-
kriege, den Schwabenkrieg und die Mailänder Feldzüge. Die Abschnitte7
„Biographien und Ritterburgenu bilden gewissermassen den Ue-
bergang aus der allgemeinen Geschichte zur kantonalen. Diese
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904 v. Sinner: BiblioffrsDbie der Schweizerffeschicbte.
„besondere Geschichte der 22 Kantone" überschrieben, ist Ge-
genstand des zweiten Buchs, welches in zwei und zwanzig Kapiteln
den sehr zerstreuten und verwickelten Stoff ordnend und gruppirend durch-
mustert. Dabei wird auch mit Recht auf einen löblichen Literaiorcweig
Bücksiebt genommen, auf die in vieleu Kantonen seit langem üblichen
Neujahrsblatter. Sie behandeln aut eine oft sehr gehaltvolle und
anziehende Weise Gegenstände der allgemeinen oder kantonalen Schwei-
zergesebichte für die Belehrung des Volks and der reifern Jugend. Diess
gilt von Zürich (S. 50—58), Winterthur, Bern (S. 64—66),
Zug, Freiburg, Luzern, Basel, St. Gallen, Aargau, Thur-
gau. Einzelne Gesellschaften (Korporationen), wie in Zürich, gin-
gen und gehen dabei mit ihrem Beispiel voran; Kupferstiche und Bilder,
oft kunstgerecht, erläutern in der Regel die Erzählung, welche eine edle
oder beldenmüthige That zum Nacheifer, ein schlechtes oder verbrecheri-
sches Ereigniss zur Warnung des Lesers darstellt. Diesen guten Braach
könnte man auch in Teutschland statt der meistens elenden Musen-
almanache mit ihrem faulen, unerquicklichen Inhalt zum Frommen des
Volks und der Jugend einführen. Denn wozu nützt, wenn nicht ein Ken
darin liegt, der ganze ästhetisch-poetische Kram? Er ist höch-
stens wie der gefeierte*) Meister H ei n e pikant, reizt und schwächt die
Nerven:
,.Scbön ui ic hei, deine Gaben sind gar an wunderbar.
Du krächzest wie die Raben und hälut dich für den Aar." —
Das dritte Buch handelt von den biatorischen Sammlungen
und zwar so, dass in dem ersten Kapitel die von Privatmännern
herausgegebenen von Füssli's Schweizerischem Museum an (1793 —
1796) bis zu H. Schreibers (zu Freiburg im Breisgau) Taschenbuch
für Geschiente und Alterthümer in SüddeuUcbland (1839- 1846) genau
bezeichnet, nach Zweck und Leistung kritisch beurtheilt worden. Lehr-
reich ist dabei besonders die Nachricht vom Solotburner Wochenblatt
(S. 142 — 144), welches in den Jahren 1810 bis 1834 ein eigentlicher
Codex diplomaticus der Scbweizergescbichte wurde; es enthielt
im buntesten Gemenge mit literarisch - belletriatisclien Aufsätzen und ge-
wöhnlichen Markt- oder Wochenartikeln Uber 3000 Urkunden, welche „von
Uberall her (namentlich, kann man hinzusetzen, den Berniscben Ar-
chiven) Scher er sammelte und I, Uthi dem Druck ubergab. u Ein vor-
treffliche?, von Albr. Tscharner in Bero gefertigtes Inhaltsregister über
•) Siehe z. B. Aug.b. A. Zeil. Nr. 316 Beil.
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y. Sinner: Bibliographie der Schweizergeschichte 905
die 25 jetzt seltenen Bande des Wochenblattes wartet seit mehre-
ren Jahren auf Veröffentlichung. Die etwas wunderliche Art, Urkun-
den, oft von schlagender Wichtigkeit, neben allerlei Anzeigen des bür-
gerlich-haushälterischen Lebens gleichsam unbemerkt einzuschmuggeln, bat
ihren erklärenden Hauptgrund in der Geschlossenheit der meisten eidge-
nössischen Staatsarchive vor dem, das öffentliche Wesen be-
günstigenden Wende- und Scheidejabr 1830. —Das zweite Kapitel be-
sprich! die von historischen Gesellschaften herausgegebenen Samm-
lungen; eilf an der Zahl, beginnen sie mit dem schweizerischen Ge-
ich i cht forsch er; Bern 1812 — 1847 (13 Bünde) und schliessen mit
den Abhandlungen des historischen Vereins des Kantons Bern (1648
— 1851). Von den Anhängen endlich gibt der erste ein Verzeichnis«
der gedruckten Kataloge der verschiedenen Schweizerbibliotheken mit
Rücksicht auf die darüber gelegenbeillich in Teutschen Werken nie-
dergelegten Nachrichten; der zweite Anhang liefert die Inhaltsangabe
der in Schweizerischen Zeitschriften zerstreuten Aufsätze, welche
zwar nicht die Geschichte der Schweiz berühren, jedoch
theils geschichtlich, theils literarisch wichtig sind. (S.
255—262). Streng gefasst, stehet diese, übrigens lehrreiche und den
Gang des historischen Studiums in der Schweiz erläuternde Nachricht nicht
an ihrem rechten Platz ; denn für ihn gilt ja nur die eidgenössische oder
anf den Kanton und die einzelne Stadt bezügliche Richtung. — Hehrere
Nachtrüge, unter denen sich auch eine Anzeige der in den Heidelberger
Jahrbüchern gelieferten Schweizerkritiken befindet, schliessen das
b i b I i o g ra p h i s c h e Werk. Dasselbe besitzt als zweites empfehlendes
Merkmal in einem hohen Grade die Vollständigkeit; nur sehr sel-
ten wird man etwas vermissen; so fehlt z. B. S. 30 für den Burgun-
derkrieg Huguenin's histoire de la guerre de Lorraine etc. Metz
1837; für Granbünden, Ulysses von Salis, Fragmente zur Staats-
geschichte Veitlins u. s. w. 2 Bünde. 1792 8, wobei allfällig noch
auf Zschokke's Prometheus I. verwiesen werden könnte; für Neuen-
burg (S. 119 ff.) Guinaud's fragments de Thistoire de Neuchat el. 8.
u.s.w. Auch die kritisch prüfenden Anmerkungen, welche einen drit-
ten Vorzug des Buchs bilden, wird der Leser gerne durchgehen, auch
wenn sie, wie z. B. gegenüber der Teilgeschichte (S. 26 — 28),
auf neuere Hypothesen ein zu starkes Gewicht legen sollten. Ebenso ver-
hält es sieb mit den angeblichen Souveränetötsrechten der Habs-
burger in den Walds tütten, obschon einzelne Besitz- und Le-
hensberrlichkeiten keinem Zweifel unterliegen. (S. die Jahrbü-
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906 r. Sinner: Bibliographie der Schweizergeschichte.
ober 1846. Nr. 26 S. 411 Aber Johannes von Vi dring Zeugnis* za
Gäulen der Reichiunmittelbarkeit). — Als Mangel and Schat-
tenseite mnss mau es dagegen betrachten, wenn der kundige Verfas-
ser nicht nur die Reformation, sondc-m auch die kirchen- und
s taatsreebtliobe Entwicklung ausgeschlossen und somit auf die reiche,
dahin einschlagende Literatur verzichtet hat. Einzelnes wird zwar er-
wähnt, aber gelegen heil! ich und ungenügend. Das vortreffliche Hand-
buch des Staatsrechts von Dr. L. S n e 1 1 , die Recbtsgeschichte Berns von
Stettier, Zürichs von Bluntschli, des Cantons Glan» von Blumer,
Luzerns von Segesser, welches allerdings S. 71 kurz besprochen wird,
die staatsrechtlichen Kirchenverhaltnisse der Schweizerischen Eidge-
nossen, Germanien 1816; die pragmalische Erzählung der kirchlichen
Ereignisse in der katholischen Schweiz, von Dr.L. Snell, Glück und
Dr. Henne. Mannheim. 1850. 2 Bünde; — diese und andere für un-
sere Tage insonderheit wichtigen Schriften werden ungern vermisst Ein
Nachtrag mag aber leicht den kirchen- und staatsrechtlichen
Literaturstoff einschalten und dadurch die gelungene Bibliographie der
Schweizergeschichte vervollständigen können. Einen freilich wesentlich
verschiedenen, mit dem Alten jedoch eng verbundenen Kreis bildet die
neuere, etwa durch das Jahr 1798 eingeführte Entwicklung der Schweiz;
dennoch ist es vielleicht aus vielfachen Gründen wünschbar, dass auch bald
die sogenannte H e I v et ik (1798 — 1803) ihren bibliographischen,
auch auf Nsnuscripte zurückgehenden Nachweis durch die kundige Hand
des H. Verf. gewinne. Jedenfalls wird ihm das Publikum in- und aus-
serhalb der Eidgenossenschaft für die treffliche Ausfüllung einer fühlbaren
Lücke verpflichtet und dankbar bleiben.
Schliesslich benutzt der Unterzeichnete diesen Anlass, einen von ihm
begangenen bibliographischen Irrthum zu berichtigen. Die (anonyme ) Ver-
fasserin der unlängst erschienen, lesenswerten Erinnerungen ans
Paris (Jahrbücher 1851 Nr. 28 S. 445 sqq.) ist nicht, wie es dort ge-
mutbmasst wurde, eine bereits gestorbene Frau Dr. Hertz, sondern eine
noch lebende Dame, welche aus Familienrücksichten anonym bleiben wilL
17. Nov. Kortilm.
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Ci i n tä n Ii c i* » Die Eiur£^0chftft* 15 d» HL
Die Bürgschaft nach gemeinem Cmlrecht. Historisch-dogmatisch dar-
gestellt ton Dr. Wilh. Girtanner, Professor des Rechts und Bei-
sitzer des Schövvenstuhls zu Jena. II. Dogmatische Abtheiluno*
1851
Mit dem vorliegenden dritten Heft ist dieses Werk nunmehr vollen-
det und legt uns somit die Verpflichtung anf, die begonnene Anzeige desselben
fortzusetzen. Vorweg jedoch schulden wir dem Hrn. Verf. eine Replik.
Wir halten in unserer früheren Anzeige Nr. 27 S. 421 es beiläufig
als Widerspruch bezeichnet, wenn der Verf. in der speziellen Erörterung
der Frage, ob nach röm. Rechte das Fortbestehen der Bürgschaft von
dem der Hauptschuld abhängig sei, Cap. V. S. 79 ff., zu dem Resultat
kommt, dass diese Abhängigkeit für die Fidejussio nur bei der Confusio
anerkannt sei, dagegen in Cap. VI. S. 91 ff., wo er nur das Vorhergehende
resumirt, sich dahin äussert: „Als sich in Folge der Lex Furie die neuen
Formen der Fidejussio und des Mandats ausbildeten, so gestaltete sich
folgender Rechtszustand : es bestanden drei Stipulationsformeo u. f. w.
zum Zwecke der Verbürgung etc.; die [Fidejussio sicherte nur gegen
die Gefahr, die auf dem (Nicht) Können oder Wollen des Hauptschuld-
oera beruhte." Der Verf. meint (Nachträge S. 565), dem aufmerk-
samen Leser hätte nicht entgehen können, dass S. 92 von der Zeit die
Rede sei, „wo die Fidejussio erst entstand, u wogegen sich dia
Erörterung S. 79 ff. auf „die spätere Entwicklung«" durch „die i p It-
ter n Juristen" beziehe. Wir in unserer Interpretation gingen von der
unleugbaren Tbatsache aus, dass zu Anfang des Cap. VI. p. 90—92 nur das
Frühere recapitulirt werden sollte. Wenn nun hier Verf. sagte: „ei ge-
staltete sich folgender Rechtszustand i;, und nicht hinzufügte, dieser höbe
sich später verändert, so war der Leser berechtigt, zu verstehen, er habe
noch bis zum Ende der vorher speziell besprochenen Zeit, d. b. bis auf
Papinian und Paulus herab fortgedauert. Tbat diess der Leser, so kam
ar auf einen Widerspruch gegen das Vorhergehende, tbat er es nicht,
so stiess er auf zwei andere Missstände. Erstens nämlich hat der Verf.
zuvor nirgends behauptet, dass die Fidejussio zur Zeit ihrer Ent-
stehung hinsichts ihrer Fortdauer von der Hauptschuld abhing. Denn
die allein in Betracht kommeode Auseinandersetzung S. 79 ff. betrifft ja,
wie er selbst sagt, „nur die spätere Entwicklung." Also muss man
nunmehr dem Verf. vorwerfen auf S. 92 ganz ex abrupto in seinem He-
mma von einer Zeit zu sprechen, von der im Frühen gar nicht die Reda
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908
Girtaner : Die Bürgschaft. Bd. IL
war; von der Zeit aber, die im Früheren behandelt ist, in seiner Za-
gammenfassung nicht xu sprechen. Zweitens aber ist die unvorbereitete and
unbewiesene epodictiscbe Behauptung, die Fidejustio sei ursprüg-
lich in ihrem Fortbestehen von der Hauptschuld ab ha** ig gewesen , in
der Tbat uoerweislich. Höchstens hatte der Verf. eine derartige Yer-
muthung aufstellen dürfen. Also war dem Leser nur die Wahl gelassen
zwischen zwei Auslegungen, deren jede ihre Bedenken hatte. Die unsrige
will uns noch immer, nach dem Prinzip in dobiis benigniora, die in ab-
stracto richtigere scheinen. Allein in concreto hat sie sich irrig erwie-
sen, und wird sieh hoffentlich zugleich gezeigt heben, dass wirklich res
dubia vorlag und der Irrende in solchem Fat! folglich noch nicht das
Pradicat des Unaufmerksamen Seitens des Verf. verdiente, dem frei-
lich znr Interpretation der eigenen Worte geheime Quellen zu Gebote standen.
Die dogmatische Abtheilnng unsers Werks, zu der wir uns jetzt
wenden, zeichnet sich durch Gründlichkeit und Schärfe, sowie durch einen
Reichthum au neuen Gedanken aus, von denen auch die, welche vielleicht
schliesslich nicht eis haltbar befunden würden, doch als bedeutende und
fruchtbare Anregung schwieriger Fragen zu betrachten sein werden. Wir
heben im Folgenden aus der dogmatischen Darstellung der Bürgschaft
diejenigen Punkte hervor, die uns in irgend einer Rücksicht besonders
bemerkenswert!! erscheinen.
Die Bürgschaft bestimmt der Verf (Kap. 1.) afs die vertragsmäs-
aige Obligation, welche Jemand gegen einen Gläubiger ausdrücklich dabin
eingebt, für dessen Forderung neben dem Schuldner einstehen zu wollen.
In der ausdrücklichen Hervorhebung des accessorischen Verhältnisses je-
her Obligation zur Hauptschuld, und zwar einer Hervorhebung bei der
Eingehung dem Gläubiger gegenüber, findet der Verf. mit Recht das
Kennzeichen, wodurch sich die Bürgschaft von der Obligation unterschei-
det, die Mos materiell eine Verpflichtung für fremde Schuld enthalt, wie
z. B. wenn sich Zwei aus einem Darlehen solidarisch verpflichten, das
nur Einer wirklich empfängt. Die Dogmengeschichte zeigt, dass die
Doctrin über diesen Punct noch in neuester Zeit nicht feststeht, obschoa
sie sich seit Mitte des vor. Jahrb. zu 'der Ansicht des Verf. hinneigt. —
Die Bedeutung der Verbürgung „ab Selbstschuldneru wird aus den Ele-
menten, dass diese 1. eine Verbürgung, aber 2. in der Art der Haftung
der Verpflichtung eines Hauptschuldners Sbnlich sein soll, befriedigend
entwickelt. Nur musste der Verf. im Ausdruck genauer sein. Er stellt
S. 320 afs mögliche Interpretation der Verbürgung „als Selbstschuldner*
hin, dass man Hiebt als Barge, sondern als principaler Ne-
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Girtanner: Die Bürgschaft. Bd. II.
909
ben Schuldner eintreten wolle. S. 321 billigt er diese Auslegung
and setzt hinzu: „wie ein Hauptschuldner haften zu wollen, spricht die
Absicht aus, nicht als gewöhnlicher Bürge zu intercediren.u — Hin-
siehts des Princips des Set. Vellejanum (Kap. 2.) schüesst sich der Verf.
Windscheid an, von dem er jedoch abweicht, insofern er auch bei der
mtercessio donandi aniuio dem Set. Anwendung gestattet. — Die ErÖr-
terang Uber das Verhältniss der Formvorschriften der L. 23 €. ht. und
der Antfa. Si qua mul. zu den Ausnahmen des Set. ist eine sehr gründ-
liche zu nennen. — Von besonderm Interesse ist Kap. 3, wo auf Grund
der Dogmengeschichte gezeigt wird, dass im henligen Recht Fidejussio
und Constitutum nicht mehr zu unterscheiden seien, weil sich weder ver-
schiedene Formen der Eingehung, noch verschiedene Wirkungen derselben
mehr unterscheiden lassen. Im Ganzen schliesse sich die heutige Bürg-
schaft der Fidejussio an, habe jedoch alle Eigentümlichkeiten dfeser ab-
gestreift, die auf rein römischen formellen Beziehungen ruhten. — Gut
sind die mehr casuistischen Erörterungen über die Haftung des Bürgen für
vertragsmäßige Zinsen, und über die Bürgschaft für Schuldverhältnisse,
welche eine Reihe successiv entstehender Verbindlichkeiten omflassen, z. B.
Bürgschaft für Pachter oder Kassenbeamten. — Die Auffassung des Verf.
von der Natur des Correalrerhültnisses (Cap. 4) scheint uns klarer und
richtiger als die gewöhnliche, die sich begnügt hervorzuheben, dass plu-
res rei ejusdem obKgationis sind. Diess ist weder so ohne Weiterei
verständlich, noch genügt es um die Wirkungen der Correalitüt, z. B. dass
lit. eont. und constitutum mit einem Correus (L. 10 D. de const. pec.) die
übrigen befreit zu erklären. Die völlige Befreiung dieser lässt sich nicht
I* erklaren, dass die eine Obligation durch lit. cont. oder constitutum
gänzlich aufgehoben sei. Dass Constitutum liess die ursprüngliche Obl.
unverändert bestehen — Diess ist anerkannt — nach der lit. cont. aber
dauerte eine naturalis obligatio fort, und eine Solche musste also für
alle correi noch bestehen. Die Ansicht des Verf. ist nun diese (und
zwar sprechen wir zunächst nur vom passiven Correalverhältniss, von dein
die Anwendung auf das active leicht zu machen ist) : Die Bedeutung des
Correafverhältnisses liegt darin, dass Jemand die Wahl hat, Einen von
Mehreren als ausschliessliches Subject eines bestimmten Obligationsver-
hältnisses zu behandeln. Kein Correus ist gegenwärtig Subject dessel-
ben, jeder hat die besondere, obsebon gegen die übrigen nur ei e c-
t i v coneurrirende Verpflichtung, es nach Wahl des Gläubigers aus-
schliesslich und definitiv zu werden. Ist es einer geworden, so
scheiden die andern ganz aus. Also so lange die Corre alitat besteht:
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910 Girtanner: Die Bürgschaft Bd. II.
mehrere gesonderte electiv concurrirende Verpflichtungen (plarei rei) für
einen und denselben Obügationsiuualt als Subject vermöge der Wahl des
Gläubigers einzutreten (ejusdem obligationis) ; dagegen Aufhören des Cor-
realverhältnisses, sobald die Wahl getroffen, mithin der Zweck des Ver-
hältnisses erfüllt ist. Nach dieser Auffassung erklärt sich danu leicht, wa-
rum Iii. cont. and constitutum mit einem correus die andere befreit. Ii
beiden liegt die Wahl des Gläubigers. Wir bedauern, dass diese Auffas-
sung S. 400 durch die Bemerkung getrübt wird, der Zweck und zu-
gleich Grund des Entstehens wie des Bestehens der Correalitit sei
nicht ein Werthobjekt, sondern eine gewisse Obligation ins Ver-
mögen des Gläubigers zu bringen. Hiernach liesse sich nicht verstehen,
wie und wozu einer schon bestehenden Obligation eine andere als cor-
real hinzutreten kann. Diess erschiene rein überflüssig, da die Obligation
schon im Vermögen des Gläubigers ist. Vielmehr ist die Wahl de»
Gläubigers der Zweck des Correalnexus und das ist wohl begreiflich, dass
der Gl. nachdem er schon Einen hat, der verpflichtet ist, sich als Schuld-
ner eines bestimmten Obligationsinhalts behandeln zu lassen, noch Hehrere
dergleichen zur Auswahl zu haben wünscht. Der Verf. bleibt sich auch
im Ausdruck nicht treu. Er sagt S. 403 von der Bürgschaft, die er dock
als correal betrachtet, ihr „Zweck" sei, „das Object der Hauptschuld
ins Vermögen des Gl. zu bringend Freilich konnte er sich hier nicht
anders ausdrücken, aber eben damit bestätigt sich unsere vorige Bemer-
kung. — Während der Verf. im ersten Heft S. 40 u. 83 noch der An-
ficht war, dass der correus für das Vergeben seines Mitschuldners hafte,
bekennt er S. 404 ff., dass dieser Satz der Natur des Cor real Verhältnis-
ses widerspreche und sucht die L. 18 D. de duobus reis (alterius factum
alteri quoque nocet) dadurch zu beseitigen, dass er die Möglichkeit zeigt,
das factum von einer blossen Verausserung des Gegenstands der Obliga-
tionen zu verstehen. Den Satz, dass der Bürge in dubio für Verzugs-
linsen hafte, leitet er mit Recht aus der accessorischcn Natur der Bürgschaft
ab, nachdem er gezeigt, dass die betreffenden Quellenstellen für das heu-
tige Recht nicht entscheidend sind. Nur hätten wir gewünscht, dass er
nicht gesagt hätte, die Haftung des Bürgen sei nach bona fides zu
beurlheilen und erstrecke sich demnach von selbst auf jene Zinsen.
(Schluu folgt.)
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Hr. 58. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBOGHER DER LITERATUR.
Girtannen Die Bürgschaft Bd. II.
(Schluss.)
Cap. V handelt von den Benedeien. Die Exceptionsnatur des ben. excuss.
wird gegen einige Neuere mit guten Gründen vertheidigt. Dass dieses
Benef. nach Nor. 4 auch dem Constituenten zukomme, ist gewiss die rich-
tige Interpretation. Der Nov. 4 ist Überhaupt grosse Sorgfalt gewidmet.
In der Darstellung des benef. divisioois ist die gründliche und neue In-
terpretation der L. 48 §. 1 D. b. t. hervorzuheben. S. 468 ff. wird bewie-
sen, dass die gewöhnliche Lehre, wonach der Gläubiger unbedingt zur
Klagencession verpflichtet ist, also wenn er keine oder keine wirksame
Klage cediren kann, dem Bürgen eine peremtorische Einrede zusteht, we-
der im römischen Recht noch im deutschen Gewohnheitsrecht, noch im
praktischen Bedürfnis* begründet ist. — In Cap. VI., welches von der
Befreiung des Bürgen handelt , können wir auf eine gute Bemerkung ge-
gen WolfT^S. 477) über die Befreiung durch die Untergang des Objects der
Hauptschuld, auf die Ansicht Uber die Wirkung des heutigen Erlassver-
trags (S. 481), auf die Erörterung der exc. excuss. in ihrer perempto-
rischen Wirkung und der Befreiung des Bürgen durch Confusio mit dem
Schuldner (S. 483 ff.) nur eben hinweisen. Die Frage, ob der Untergang
der Hauptschuld nothwendig den der Bürgschaft nach sich ziehe, die, wie
früher erwähnt, schon im ersten Buche mehr rechtsgeschicbtlich besprochen
war, findet S. 495 ff. eine nochmalige scharfsinnige Erwägung vom Stand-
punet des heutigen Rechts. Der Unterschied der dinglischen Accession
von der accessorischcn Obligation, die Unmöglichkeit aus diesem letzten
Begriff Consequenzen abzuleiten, weil er gar kein sclbstständiger nnd in
•ich bestimmter ist, die Unzulässigkeit der Behauptung a priori die Barg-
schaft könne nur als Accession bestehen, wird vorerst treffend hervor-
gehoben. Hierauf wird untersucht, ob im positiven Recht Bestimmungen
vorliegen, welche nur durch den Satz, dass die Bürgschaft nach Unter-
gang der Hauptschuld uicht fortbestehen könne, sich erklären lassen. Im
ersten Buch waren dem Verf. zwei solcher Fälle übrig geblieben: 1. der
der Confusio zwischen Hauptschuldner und Gläubiger, wo der Bürge,
2. der der Confusio zwischen Hauptschuldner und Bürge, wo der After-
bürge befreit werden soll. Jetzt wird gezeigt, dass nur die zweite Ent-
scheidung als Conseqnenz jenes Princips aufzufassen, für unser heutiges
XUV. Jahrg. 6. Doppelheft. 58
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Girl anner: Die Burgschaft Bd. IL
Recht ober aus mehreren Gründen za verwerfen sei. Was den ersten
Fall betrifft, so hebt der Verf. die gewöhnlich nicht beachtete römische
InfTuciiiiiin ilan 4 /irifncin nie 7oKliin(T Kar vnr \vn Hann riip A nfh#»hii nsx fiftf
J\ 11 II M.tS 11 HJf UC1 \_vFU l U 3 Iii P 1 3 /Jö III U II ^ iici tim, Trv» uuiiii ui« nuiuvuuu^ uv>
Bürgschaft durch Confusio nicht mehr als Consequenz der blossen Aufhe-
bung der Hauptschuld, sondern der Erfüll uog ihres Zweckes durch
Befriedigung des Glüubigers erscheint. Die ganze Ausführung ist
eben so neu als gelungen. Beiläufig wird in polemischer Richtung ge-
gen Ihering die Notwendigkeit, eine Forldauer der Persönlichkeit des Erb-
lassers im Erben anzunehmen mit t*i fügen Gründen vertheidigU Minsichts
des zweiten Falles ^Befreiung des AfterbUrgen durch Confusio zwischen
Schuldner und Bürgen} wird zuvörderst passend bemerkt, dass allerdings
zur Zeit des Africanus, von dem jene Entscheidung (L. 38 §. 5 D. 46
3.) herrührt, zu einer Zeit, wo noch die aufhebende Wirkung der lit.
cont, auf das Correalverhältniss bestand und vor Einführung des benef.
excuss. der Afterbürge durch die Confusio benachtheiligt und diese eia
Grund werden konnte, denselben in jenem Falle für befreit zu erklären,
dass aber für das heutige Recht dieser Grund nicht mehr bestehe. Sodaan
bebe die Entscheidung des Africanus jedenfalls für uns keine Geltung mehr,
weil nach beutigem Recht die mit einer Afterbürgschaft verknüpfte Bürg-
schaft im Fall der Confusio als die plenior obligatio gegenüber der Haupt-
schuld zu betrachten, also deren Forldauer und somit auch die der After-
bürgsebaft zu behaupten sei. Wolle man die L. 38 cit. den zahlreichen
das entgegengesetzte Princip enthaltenden andern Eatscheidungen gegen-
über nicht als Ueberbleibsel eines veralteten Standpunkts ignoriren, so
könne sie doch nur als singulare Ausnahme des Princips der Un-
abhängigkeit des Forlbestands der Bürgschaft von dem der Hauptschuld
stehen bleiben. — Verdienstlich ist es, dass der Verf. die gewöhnliche
Lehre, wonach dem Bürgen alle Exceptionen des Hauptschuldners zustehen,
dahin beschränkt: es stehen ihm als reine Wirkung der Bürgschaft, ab-
gesehen von sonstigen Umstünden» nur diejenigen Exceptionen zu, welche
schon bei Eingebung der B. begründet sind und die Hauptschuld auch
ihrem naturalen Bestandtheil nach vernichten. In allen übrigen Fallen,
sagt der Verf. S. 516, hat der Bürge eine Einrede des Hauptschuldners
nur mittelst eines Umstanden, der für all« Correi befreiead wirkt (Urtbeü,
Eid) oder vermöge des ben. excuss , wenn der Gl. die Einrede des Schuld-
ners selbst verschuldet , oder in Folge des Regressverhailnisses. Wir soll-
ten meinen, die Exceptionen, die auf einem für alle Correi befreienden
Umstand ruhen, seien keine Exceptionen aus der Person des Hauptschuld-
ners. Sagt doch der Verf. selbst S. 547: „iei «ine Exc. gegen den
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Girlanncr: Die Bürgschaft Bd. H. 913
objektiven Bestand der Correalschuld gerichtet, so steht sie jedem Cor-
reelschuldner aus eigener Person zu.' Wir sehen bierin eine authentisch«
Berichtigung. Ferner verschafft auch das henef. ordinis dem Bürgen keine
exe. des Hauptschuldners. Hat z. B. dieser mit dem Gläubiger ein pa-
ctum de non pet. geschlossen, so genügt dem Borgen zu seinem Schutz
die exe' excuss., da sich der Gläubiger die Excussion selbst unmöglich ge-
macht hat. Keineswegs aber ist der Bürge in der Lage die exc. pacti
ans der Person des Schuldners zu gebrauchen. Factisch kommt sie ihm
freilieh zn Gute, allein wenn der Verf. diess sagen wollte, so war sein«
Bemerkung im obigen Zusammenhange nicht am Platze. — Die Frage,
wie es komme, dass das Regressverbältniss die Ausdehnung der Kxcep-
tionen des Hauptschuldners auf den Bürgen bewirke, wird S. 51 6 ff. in
folgender Weise beantwortet. Weder zur a. mandati noch zur a. negot.
gest. contraria ist Zahl ung Seitens des Bürgen notbwendig. Die Ausfüh-
rung des Mandats, die neg. gest. liegt schon in der Uebernahme der Bürg*
schaft und diese ist für sich allein ein hinreichender Nachtheil, um darauf
hin den Hauptschuldner belangen zu dürren, er solle so weit es Ihm mög-
lich den Bürgen in den Stand setzen, jn dem er ohne die Bürgschaft ?ein
würde. Diess geschieht aber namentlich dadurch, dass er dem beklag-
ten Bürgen seine exceptiones abtritt. Hierin liegt also nur eine Anwen-
dung des Princips, welches dazu geführt hatte, in gewissen Fällen eine
Klage des Bürgen auf Befreiung vor der Zahlung zuzulassen. Wie aber
die aetiones so wurden auch die exceptiones unmittelbar ntiliter dem ge-
geben, der anf Cession derselben klagen konnte. So weit der Verf. Man
sieht, er hat den Zusammenhang des Regressverbaltnisses und der Aus-
dehnung der Exceptionen des Hauptschnldners auf den Bürgen streng ju-
ristisch dedeciren wollen. Der Angel- und, unsers Erachtens, zugleich
wunde Punct dieser Auffassung ist die Cession der Exceptionen. Wir be-
greifen nicht, wie die ans einem obligatorischen Verhältnis* entsprin-
gende Exceptio zum Gebrauch gegen ein anderes abgetreten werden
könne. Die Coropensation des Cessionars mit der cedirten Forderung ge-
gen eine Klage des Cessus ist eine nur scheinbare Ausnahme. In der That
entspringt die exc. comp, nicht aus dem Rechtverhältnis auf dem die Klage
des Cessus beruht. Leider hat sich der Verf. nicht darüber ausgesprochen,
wie er sich jene Cession denkt. Hat er vielleicht im Sinne gehabt, dass
der Hauptschuldner sich vom beklagten Bürgen zum Procurator bestellen
lassen könnte? Aber dann bleibt dieselbe Schwierigkeit. Hat er an die
Cession der naturales obligat, gedacht? Allein erstens gehen nicht alle
hier in Betracht kommenden Exceptionen aus nat. obl. hervor, s. B. die
58 •
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Girtanner: Die Bürgschaft Bd. IL
exc. Set. Maced., zweitens besteht auch bei den übrigen die gleiche Schwie-
rigkeit. Hätte auch der Schuldner dem Bürgen sein Recht aus einem mit
dem Gläubiger geschlossenen pect, de non pet. cedirt, wie konnte nun
der Bttrge dem klagenden Gläubiger entgegenhalten, er begehe einen
dolus gegen ihn, indem er sein dem Schuldner gegebenes Verspre-
chen verletze? Wir glauben der Verf. hätte besser gethan, auf eine
streng juristische Ableitung des fraglichen Verhältnisses zu verzichten und
die praetitebe Bedeutung desselben zu betonen, wobei dann die
Klagen des Bürgen auf Befreiung ror der Zahlung immer noch einen gu-
ten Vergleichungspunct dargeboten haben würden. — Hinsichls der Resti-
tution scheidet der Verf. streng zwei Fälle: 1. wo der Hauplscbuldner
restiloirt ist und der Bürge mittelst fiugirter Cession der Restitution eine
JExceplion hat, wenn er a) an sich regress berechtigt und b) der Schuld-
ner nicht gegen seinen Regress restituirt ist, 2. wo der Bürge, mit Rück-
sicht auf die dem Uauptschulduer bereits ertheilte Restitution, eine solche
aus eigener Person erlangen kann , vorausgesetzt , dass er sich bei Ein-
gebung der Bürgschaft in entschuldbarem Irrthum hinsichtlich des Resti-
totionsgrunds befand. — Bemerkenswerth sind die Erörterung der Frage,
wenn und warum der Bürge vor der Zahlung auf Befreiung klagen kann
und die Untersuchung, ob die Cession der Klage des Gläubigers behufs
des Regresses noch nach der Zahlung möglich. Der Verf. bejaht diess
auch für den Fall, wo bei der Zahlung kein Vorbehalt wegen der Ces-
sion gemacht ist. Diesen Vorbehalt hatte er noch im 1. Heft S. 98 für
nötbig gehalten und demnach als stillschweigende Voraussetzung in die
L. 3G D. Ii. t. hineiniuterpretirt. Wir billigen diese Meinungsäaderung.
Allein der Verf. sagt nur, die Zahlung verhindere die spätere Cession
Dicht, ob letztere dann noch erzwungen werden könne, darüber schweig!
er. Und doch heisst es in L. 36 cit.: actiones praestare tenetur. Wir
hätten hier näheres Eingeben erwartet. — Treffend wird unter Berufung
auf die älteren Practiker ausgeführt, dass der Verzicht auf das ben. ced.
ad. den Bürgen vom Cessionsanspruch nach Befriedigung de- Gl. nicht
ausschliessen könne. — Das Cap. VII erörtert das Verhaltniss des Bür-
gen zum Hauptschuldner, das Mandat, qualif. and die Wirkungen der cor-
realen Intercession im Gegensatz zu denen der Bürgschaft. Es war uns
erwünscht hier Aufklärung darüber zu finden, dass Verf. die Nov. 99 nicht
auf eigentliche Bürgen bezieht. Er hatte im 1. Heft S. 132 wiederholt
das von diesem Gesetz normirte Verhaltniss als „Bürgschaft- bezeichnet
und dadurch für den Leser seine übrigens so verdienstliche Auflassung
der Nov. etwas verdunkelt. - Dar Anhang antbäU eine Krttk des gel-
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Conrtin: Kultur der Orchideen. 915
tenden gemeinen Rechts vom practischen Standpunkt aas mit Berücksich-
tigung der drei grossen neueren Gesetzgebungen. In den Nachträgen fin-
den sich lesenswerthe polemische Erörterungen gegen Rudorff bezüglich
der manus injectio aus der a. depensi nnd der seitlichen Beschränkung der
Haftung der sponsores und Tide promissores nach der Lex Furia und ge-
gen Huschke in Betreff der Lex antiqua in Nro. 4.
Die Darstellung des dogmatischen Theils würden gewiss Viele mit
ans kürzer finden, wenn sie länger wäre. Klarheit ist die erste Tagend
des Schriftstellers, denn ars longa, Tita brevis. Neben diesem zeitrau-
benden Lakonismus macht sich zuweilen ein Mangel an Schärfe des Aas«
dracks bemerklieb, wovon wir oben einige Beispiele vorführen konnten.
Es haben sich in's dritte Heft wieder mehrere ärgerliche Druck-
fehler eingeschlichen, die wir im Interesse des Verf. wie des Lesers hier-
mit denunciren wollen. S. 337 Z. 6 v. o. st. der Verbürgung I. die.
S. 357 Z. 8 v. o. nach c. 25 C. ht. fehlt: halten. S. 437 Z. 14 o.
st. nur eine solche peremtorische Einrede I. nur eine solche, der eine per-
emptorische Einr. entgegensteht. S. 492 Z. 6 v. o. st. die eintretende
Confusio der Bürgschaft 1. bei eintretender Coufusio die B. S. 524 Z. 5
v. o. st. welchen der Gläubiger l welcher den Gl. S. 531 Note 2 st
liberemus I. liberemur. S. 540 Z. 2 v. o. st. anerkennen 1. ankommen.
Schliesslich sagen wir dem Hrn. Verf. unsern Dank für die Beleh-
rung und Anregung, die uns aus seinem gründlichen und gedankenreichen
Werke geworden, das entschieden berufen ist, unter allen neuern Mono-
graphien eine ausgezeichnete Stelle einzunehmen.
E. v. Stockmar.
Praktische Anweisung zur Cultur der tropischen Orchideen nebst einem
monatlichen Kalender und einer alphabetischen Beschreibung ton
über 1000 Genera und Species derselben, von J. C. Lyons. Nach
der drillen englischen Auflage übersetzt und mit eigenen Zusä-
tzen versehen von Albert Court in, Kunstgärtner, Mitarbeiter
mehrerer englischen Gartenzeitungen und Mitglied(e) der Sociit6
aVhorticulture de la Gironde in Bordeaux. Stuttgart. E. Schwei-
zerbarCsche Verlagshandlung und Druckerei. 1851. (8) 212 S.
Die Zucht der Orchideen, einer durch Schönheit and sonderbaren
Bau der Blüthen besonders ausgezeichneten Pflanzenfamilie, hat nicht bloss
ein grosses Interesse für den Gürtner und Blumenfreund, sondern ist auch
für den wissenschaftlichen Botaniker von nicht geringer Wichtigkeit, weil
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916
Courtiii : Kultur der Orchideen.
dieser durch sie in den Stand gesellt wird, den Bao der BlUtheoiheile and
hauptsächlich der Befrucbtungsorgaoe, welcher bei diesen Pflanzen leichter
als bei denen der meisten übrigen Pbaneroganien-Familiea, an getrockne-
ten Exemplaren unkenntlich wird, zu beobachten, was für die Bestimmung
und systematische Anordnung der Gattungen und Arten von grösstem Vor-
theil und zugleich auch für die Morphologie von bedeutendem Gewion ist
Da die Kultur dieser Familie, deren zahlreichste und schönste Repräsen-
tanten in den Tropenlandern wachsen , in neuerer Zeit hauptsächlich in
England auf eiuen hohen Grad der Vervollkommnung gebracht worden,
so liess sioh erwarten, dass ganz besonders von einem dortigen erfahre-
nen OrchideenzOchter, wie es der Verfasser ist, eine gute Anleitung über
diesen Gegeustand geliefert werden könne. Es war daher ein verdienst-
liebes Unteruehmeu, seine Schrift io die deutsche Sprache zu übertragen.
Der Uebersetzer, welcher selbst in London, so wie in Bordeaux, mehrere
Jahre das Orchideenhaus unter seiner Pflege hatte, kennt die Kuttar die-
ser Gewächse aus eigener Erfahrung, und war im Stande Manches zu er-
gänzen und so das Werk für den deutschen Leser brauchbarer zu machen,
indem er auf die Unterschiede in den klimatischen Verhältnissen Englands
»od Deutschlands Rücksicht nahm.
In der Einleitung (S. 3—6) wird zuerst das Geschichtliche der
Einführung tropischer Orchideen in England milgetheilt. Hiernach waren
im iahre 1800 im Garten zu Kiew, welcher damals schon eine der reich-
sten Pflanzensammlungen enthielt, nur ungefähr 24 Orchideen vorhanden.
Erst später, nachdem man sich genauere Kunde aber ihr Wachsthum und
das Klima ihr« Vaterlandes verschafft hatte, lernte man sie besser kul-
tiviren, und der Erste, welcher die Orchideenzucht mit gutem Erfolge betrieb,
war William Cattley, dem zu Ehren die schöne Gattung Cattleya von
Lindley benannt wurde. Ihm folgten bald mehrere Liebhaber und Han-
delsgärtner nach. Von einigen derselben wurden Reisende nach verschie-
denen Tropeuliindern geschickt, um dort lebende Orchideen für die Gär-
( ten zu sammeln. Dadurch vermehrte sich fortwährend uichl nur die Zahl
der Arleu in den englischen Gärten, sondern auch die Kenntniss der Ver-
hältnisse, in welchen sie in ihrer ITeimath leben uud welche ihnen zu einer
gedeihlichen Kultur in den Glashäusern, so viel wie möglich, ebenfalls
verschafft werden müssen.
Nachdem der Verfasser (S. 7 u. 8) Über die Schwierigkeiten ge-
sprochen, die sich ihm anfangs bei der Zucht dieser Gewächse entgegen»
stellten, und dabei Uber die geringe wissenschaftliche Ausbildung der mei-
sten Gärtttet Klagt» geführt, wogegen der Uebersetzer (S. 8—10) die
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Courtin: Kultur der Orchideen. «17
Kunslgörtner-Gehülfen — in Betracht ihrer meist sehr kümmerlichen Gehalte,
die ihnen die Anschaffung wissenschaftlicher Bücher unmöglich macht —
zu rech (fertig en sucht, erwähnt der Verf. (S. 10) auch dea Uebelstan-
des, dass von den Handelsgürtnern so häufig eine und dieselbe Speciea
unter verschiedenen Namen verkauft wird4), und geht hierauf (S. 11)
zu dem von ihm als zweckmässig befundenen Verfahren bei der Kultur
der tropischen Orchideen Über. S. 11 — 22 bildet er, nach dem verschie-
denen natürlichen Vorkommen dieser Gewächse, mehrere Abtheilungen, um
darnach die Behandlung derselben möglichst naturgemass einzurichten, und
gibt dafür die allgemeinen Kegeln an, wobei er manche beherzigungs-
werthe Bemerkungen und Winke Ober die Fflanzenkultur iu Glashäusern
überhaupt einstreut. Dann folgt (S. 23 - 26) die genauere Beschreibung
des Orchideenhauses, mit beigefügtem Gruudriss und Durchschnitt dessel-
ben. Es werden (S. 26 — 44) Vorschriften über das zeitweise Verse-
tzen der Pflanzen, mit Angabe der passenden Erdarten, der anzuwenden-
den Töpfe, Hängkörbe, Holzbiöcke u. s. w. mitgetheilt. Zugleich wird (S.
32 u. 33) eine zweckmässige Erfindung des Verfassers besprochen und
zur allgemeinen Anwendung empfohlen, um die den Pflanzen schädlichen
Insekten abzuhalten, nämlich Näpfe aus Töpfererde mit einer säulenförmi-
gen Erhöhung in der Mitte, auf welche man die Eichenäste mit den da-
ran sitzenden Luftorchideen oder die Töpfe mit den Erdorchideen stellt
und dann den übrigen Raum des Napfes mit Wasser anfüllt. Er nennt
diese durch Abbildungen versinnlichte Vorrichtung oniscamyntische
Näpfe von ovtoxoc (Kellerrassel) und otfi6vü> (abwehren, abhalten)*).
Von den anzuwendenden Holzkörbchen und Gestellen aus Holistäbcben
werden gleichfalls Beschreibungen und Abbildungen mitgetheilt. Bei die-
ser Gelegenheit wird (S. 38) vor den früher vom Verfasser selbst em-
pfohlenen Körbchen aus Zinkdraht gewarnt, weil er später an einer Pflanze
von Stanhopea grandiflora die Erfahrung «machte, dass dieselbe nicht, wie
sonst, ihre Wurzeln durch das im Körbchen befindliche Moos heraustrieb,
*) Die überhaupt in den Handelsgärten nicht selten vorkommende Ver-
wechslung der Pflanzennamcn scheint zwar tum Theil von der Unachtsamkeit
der Gärtner oder von deren Unkenntnis* der Synonyme herzurühren, beruht aber
doch hauptsächlich auf dem vom Verfasser gerügten Mangel an wissenschaftli-
cher Ausbildung und der daraus folgenden Unfähigkeit der meisten Handelsgart-
ner, die Bestimmung irgend einer Pflanze zu prüfen und nöthigen Falles selbst
vorzunehmen. (Anm. d. Rer.)
**) In der Lebersetzung ist (S. 33 u. 34) das Wort unrichtig onysen-
my ntisch geschrieben. (Anm. d. Ref.)
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918
Coortin: Kultur der Orchideen.
und es sich bei nSherer Untersuchung zeigte, dass die Wurzeln da, wo
sie den Zinkdraht berührt hatten, vertrocknet oder wie verbrannt waren.
So viel dem Referenten bekannt, ist dieser schädliche Einfluss des metal-
*
tischen Zinks auf die Pflanzen früher noch nicht beobachtet, und es möchte
nicht ohne Interesse für die Biologie der Gewächse seyn, die Wirkung
dieses Metalles auf das Pdanzenleben weiter zu verfolgen.
Um das im hohen Sommer, wahrend der heissen Tageszeilen, not-
wendig werdende Beschatten der Glashäuser zu erleichtern* wird (S. 45)
Yon dem Uebersetzer die zn diesem Zwecke in England fast allgemein
angewandte Metbode beschrieben und durch Abbildungen verdeutlicht.
Nachdem alsdann noch vom Verfasser (S. 44 — 50) im Auszuge aus Bate-
ina n 's Werk über „Orchideen von Mexico und Guatemala" die wich-
tigsten, bei der Zucht der Orchideen überhaupt zu befolgenden Regeln
mitgetbeitt worden, wobei auch (S. 46 — 48) die Mittel zur Vertilgung
der schädlichen Insekten und Schnecken angeführt sind, gibt derselbe (S.
51 — 62), in Form eines Kalenders, eine praktische Auleitnng über die
in jedem Monate des Jahres nöthigcn Verrichtungen, so weit nämlich die-
ses Überhaupt möglich ist, da immer auch unvorhergesehene Fälle eintre-
ten können, welche eine Abänderung des Verfahrens nöthig machen, die
sich jedoch einem denkenden Orchideenzüchter jo nach den besondern
Verhältnissen, unter denen er kultivirt, schon von selbst ergebe!
werden.
In dem nun (S. 63—212) folgenden Kataloge tropischer Orchi-
deen, welcher den grössern Theil (über des Buches einnimmt, sind
die Gattungen und Arten, die letztern mit ihren Synonymen versehen, in
alphabetischer Ordnung aufgeführt, wie es hier allerdings am zweckmis-
sigsten erscheint. Bei den Gattungsnamen, welchen die Autoritit , meist
nebst der Etymologie beigefügt ist, wird zugleich angegeben, ob die dazu
gehörigen Arten Erd- oder Luftorchideen' sind ; dagegen wird der Gat-
tungscharakter nicht mitgetheilt. Auch den einzelnen Arten ist kein spe-
cific her Charakter oder eine eigentliche Beschreibung, wie der Titel könnte
vermutben lassen, beigegeben ; doch wird die Farbe der Blütbe, oft auch
die Gestalt der Honiglippe beschrieben; nur hie und da werden Über
Stengel, Blätter, Blüthenstand u. s. w. Andeutungen gegeben; dagegen
ist bei den Arten, mit wenigen Ausnahmen, das Vaterland genannt. Am
Schlüsse einer jeden Gattung folgen dann noch Bemerkungen verschiede-
ner Art, hauptsächlich aber die Kultur betreffend, wenn diese nicht
schon bei einzelnen Species erklärt wurde. Die seit dem Erscheinen der
dritten englischen Auflage neu eingeführten Orchideen, sind von dem Ue-
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Courtin: Kultur her Orchideen. 919
bersetzer, so weit sie ihm bekannt waren, ebenfalls aufgenommen und,
um sie als solche zu unterscheiden, mit einem N bezeichnet worden»
Es wäre nur zu wünschen, dass Überall auch bei den Arten die
Autorität angegeben wäre, welche jedoch bei einer ziemlich grossen An-
zahl derselben fehlt. Der Uebersetzer hat dagegen versucht die Mehr-
zahl der Triviatoamen zu verdeutschen, eine Mühe, die er sich vielleicht
besser erspart halle, da ihm hier die üeberselzung nicht immer zum Be-
sten gelungen ist und die Verdeutschung ohnehin bei den Gattungsnamen
fehlt, wo sie schon der Consequenz wegen nun gleichfalls gegeben wer-
den sollte.
Als Beispiele von unrichtiger üeberselzung der Trivialnamen mögen
folgende dienen: S. 66 Aerides tessellahtm, scheckich statt gewürfelt
(wie es in andern Fällen auch wirklich gegeben ist); S. 67. Angraecum
artneniaevm opricolfarbig statt aprikosengclb (ebenso S. 128. Fpi-
dendrum armeniaevm und S. 140. Eria armeniaca); S. 71. Aporum sinua-
fum, gebogen stall gebuchtet oder buchtig; S. 75. Bifrenaria vitel-
lina, cigeUarbig (!) statt dottergelb; S. 80. Brassatola elegans, elegant
statt zierlich (ebenso S. 144. Fernandezia elegans')', S. 86. Calanthe
furcata, gelblicht statt gabelig oder gegabelt: S. 100. Cleisosloma
ionosmum, innosmatthnlich statt veilcbenduftend; $.102. Caelia fu-
liginosa, schmutzig statt russbraun; S. 107. Cycnoches chloranthum,
blassblüthig statt grünblüthig; S. 112. Cyrtopodium punetatnm ge-
fleckt (wie noch an mehreren andereu Stellen) statt punktirt oder ge-
tüpfelt*); S. 115. Dendrobium candidum, milchweiss statt r e i n w e is s ;
S 119. D. heterocarpum, versebiedensamig statt verschiedenfrüch-
tig; S. 124. D. triadenium, zu 13 stehend statt drei drüsig; S. 131.
Epidendrum diotum, im Freien wachsend statt zweiohrig; S. 132. E.
gracile, graeiös statt schlank (wie es an andern Stellen z. B. S. .76.
bei Bletia und S. 145. bei Galeandra pracilis richtig übersetzt ist), S. 133.
E. lacertinum, zerrissen, ist jedenfalls unrichtig Ubersetzt und heisst ent-
weder ei d ecbsengrü n, eidechsen farbig (von lacerta) oder flei-
schig, kraft voll (von lacertus)-, S. 134. E.litidum, blass stall lei-
chenfarbig oder in diesem Falle auch missfarbig; S. 137. E. se-
cundum, seitenblütliig, statt einseits wendig (ist S. 128. bei Dendro-
bium secundum durch „einerseits wendig", S. 196. hei Rodriguezia secunda
aber wirklieb durch „einseitswendig" übersetzt); S.- 143. Eriopsis ruti-
*j Der Unterschied zwischen punclatus und maetdattts war um so mehr
festzuhalten, als das letztere überall richtig durch gefleckt übersetzt wurde. j
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820
Coortin: Kultur der Orchideen.
dobulkon (soll heissen rhytidobolbos), rathknollig' statt runzelknollig;
S. 16^. Mormode$ lentiginosa, linsenarlig, ferner S. 193. Promenaea len-
tiginosa^ gesprengelt statt aonimenprossig; S. 1C9. Keottia pudica
keisch statt verschämt; S. 177. Oncidium flabellifervm, peitschentra-
gend statt f a c b e 1 1 r a g e n d ; S. 1 82. 0. spacelatum (soll heissen spka-
celahtni), ausgedörrt statt brandfleckig; S. 191. Pleurothallis ophdo-
cephalus (muss heissen Ophiocephalus oder ophiocephala)^ Schneckenkopf st.
Schlangenkopf oder schlangen köpfig; S. 193. Ponthieta petio-
lata blumenslielig statt blattstielig; S. 193. Prescoltia planlaginea pla-
tanenblätterig statt wege trittblättrig; S. 194. Renanthera araeh-
nites , spinnengewebeähnlich statt spinnenblütbig; S. 197. Saccola-
bium minialum , klein statt mennigrote
Auch an Schreib- und Druckfehlern ist der Katalog nicht arm. Fol-
gende fielen dem Refer. beim Durchlesen der Namen vorzüglich auf. S. 65.
Aeranthvs st. Aera n Ihus; ebenda«. Aerides tesselatum st. Aerides tes-
aellatum; S. 66. Calanthe nobile st. C. nobilis; S. 92. u. 93. stehen
bei Myanthus alle adjekliveu Trivialuamen mit geschlechtsloser Endung,
bis auf M. fimbriatus, siud also alle mit Ausnahme des letiten und des M.
JNaso und M. Trulla, mit männlicher Enduog zu schreiben; S. 102. steh
Catlia fuliginosum statt fuliginosa; S. 115. Dendrobium cala forme st.
calamiforme, und das. D. cannaliculatum st. canaiiculatum; S. 119.
D. inacrostachivm st. m a c r o s t a c h y u m ; S. 1 27. bei Dinema paleacevm
steht sireublätterig statt spreublättrig; S. 130. Epidendrum cepefomte
st. cepaeforme; S. 137. E. sentella at. Scutella; S. 157. Lipa-
ris ßüosa st. foliosa; S. 158. Luisia Guadich. st. Gaudieb. (d. h.
Gaudichaud) ; S. 1 00. Masdetallia in fr nein st. i n f r a c t a ; eben das. bei
Maxiilaria acicularis siebt nudelformig statt nadelfürmig; S. 161. Jf.
cueulata st. cucullata; S. 162. M. galeate st. galeata; S. 183 bei
Oncidium urophyllum steht schwarzblölterig st. schwanzblättrig; S.
185. Otochilus fusca st. fuscum; S. 198. Sarcanthus terrcdifolius at.
teretifolius; S. 209. Vanda multiflorum st. multiflora.
Erwünscht und nütslicb wäre die Angabe der Prosodie, wenigstens
bei den Gattungsnamen, gewesen, da gegen die richtige Aussprache der-
selben, zumal von den der lateinischen und griechischen Sprache minder
Kundigen so häufig gesündigt wird.
Die hier gerjigten Mängel betreffen jedoch, wie gesagt, nnr die
Nomenklatur des Kataloges, und es bleibt dabei der Werth dieser Schrift
in Bezug auf ihren übrigen Inhalt unbeanstandet. Sie verdient darum in
Deutschland, wo wir noch keine so umfassende Anleitung zor Orchideen-
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Tischendorf : Synopsis E van gel i ca. Mi
sucht besitzen, wohl die allgemeine Beachtung besonder« von Seiten der
Gärtner und Blumenfreunde, welche sich durch eine glückliebe Betreibung
der Kultur den belohnenden Genuss, den sie darbietet, zu verschaffen wün-
schen. Die typographische Ausstattung des Buches ist durchaus lobens-
wert. ©. W. BUcliofT.
Synopsis Er angehe a , ex quatuor evangeliis ordine chronologieo concin-
narit, praelexlo brevi commenlarii ülustratit, ad antiquos testet
opposito apparalu critico recensuU Constantinns Tischen-
dorf. Ups. iS5l. LXVI. * 202 pp.
Im Vorwort zu dieser neuen chronologisch-harmonislischen Anord-
nung der Evangelien hebt der gelehrte Hr. Verf. p. VIII, im Hinblick
auf die destruktive Tcndeuz ' unserer Zeit, nicht allein die in der That
kanm zu überschätzende Wichtigkeit seiner Aufgabe, und seiuen eigenen
gläubigen Standpunkt hervor, soudern er erregt auch in Betreff seiner
Arbeit Erwartungen, die sein weitverbreiteter Ruf und seine langjährigen
Forschungen auf dem Gebiete der neuteslamentlichen Textkritik wohl ge-
eignet sind aufs höchste zu steigern. Wer sollte beim Lesen der ange-
führten Stelle nicht glauben, dass es den strengen, von der Ueberzeugung:
die geschichtliche Folge der in den Evangelien erzählten Begebenheiten
sei herstellbar, geleiteten Studien des Verf. über seinen Gegenstand ge-
lungen wäre, das grosse Rüthsei, welches die christliche Welt von Ta-
tian bis auf Wi eseler uud Stroud beschäftigte, wenn nicht zu lö-
sen, doch der Lösung nahe zu bringen? Um so mehr wird man sich
bei einer Prüfung des Buches in seinen Erwartungen getäuscht finden. Es
vermeidet zwar einige der Fehler, in die Wiesel er (an dessen im All-
gemeinen sehr von ihm gerühmtes chronologisches System der Yerf. sich
anscbliesst) verfallen ist; verlullt aber in weit zahlreichere Irrthümer zu-
rück, welche dieser schon vermieden hatte. Verglichen mit dem Werke
des Letzteren, bezeichnet es einen entschiedenen Rückschritt in der Wis-
senschaft. Seinen apologetischen Zweck zur Wiederherstellung des so
tief erschütterten Glaubens an die historische Grundlage der Evangelien
beizutragen, verfehlt es nicht bloss, es dürfte sogar, wenn ihm wirklich
(was jedoch augenscheinlich nicht der Fall ist) tiefere chronologis h-har-
monistische Studien zu Grunde lügen, von den Gegnern als ein neuer
glänzender Triumph für ihre Sache betrachtet werden.
Werfen wir, um dieses Unheil zu rechtfertigen, zuvörderst einen
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Tischendorf: Synopsis Evangelien.
Blick auf ein paar Zeitabschnitte der allgemeinen Anordnung des Verf.
Br setzt zwischen das erste Passahfest um 30. März 781 o. c, welche«
der Herr als Lehrer zu Jerusalem feierte §. 22. und seine nächste An-
wesenheit daselbst am Purimfeste 19. Marz 782 u. c, §. 28., also in
das Intervall fast eines ganzen Jahres, bloss das erste kurze Wir-
ken Jesu in Judäa, seine Rückreise durch Samarien nach Galiläa noch in
der Höbe des Sommers, Job. 4, 35. und, um den bleibenden Zeitraum
von mindestens neun Monaten auszufüllen, die isolirte Heilung des
königlichen Beamten zu Capernaum §. 27. Zwar ist vielfach bestritten
worden, ob der erslere Theil der gedachten Stelle Job. 4, 35. sprüch-
wörtlich (vgl. Matth. 16, 2) und der letztere chronologisch, oder ob
der erstere chronologisch und der lettlere sinnbildlich zu fassen sei; dock
kann auch nicht einmal ein vernünftiger Zweifel darüber obwalten.
Denn 1) lösst sich nicht annehmen, dass der Herr sich im tiefsten Win-
ter, „welcher sich durch fast ununterbrochenen Sturzregen
charakterisirt und einige Wochen lang auch in Schnee übergeht0
(Winer, R.W. Art. Witterung) in der unmittelbaren Nähe einer
Stadt anf freiem Felde niedergelassen und seine Jünger um Speise in
io den Ort geschickt habe, und 2) sind die Worte des Textes idou, Xej©
ujiTv, inapate touc 6 cp&otXjioo; Ofiiov xat deaaaads :a; x0*"
p«c, 8Tt Xeuxat etat Trpoc dsptajiov ijöij, im Gegensatz zu
dem o'ox öfjtei; Xljste, Sei Ixt TSTpajiTjvo; fort xat 6 &spiaji6; !p-
Xerat; an sich entscheidend. Oder könnte etwa Jemand glauben, Jesus
babe, als er von der freien Natur umgeben, seine Jünger aufforderte, um
sich zu schauen und ihre Blicke über die goldenen im Sonnenschein wo-
geoden Korngefilde schweifen zu lassen, schneebedeckte Aecker
oder kahle Stoppelfelder vor Augen gehabt?! Sollte nicht
eben die sie umgebeude Wirklichkeit (und richtig bemerkt der Verf.
p. XXVII. maior orationi vis accedit si ipsum anni tempus conveniebat,
freilich nicht proverbio wie er irrig hinzufügt, sondern den Worten
des Herrn) den Jüngern das Bild eines geistigen Erntefeldes darstel-
len, in das sie, nachdem es von Andern beackert und bestellt
worden war, als gewählte Schnitter geschickt werden sollten? Der
echt-sprüchwörtliche hoffend-tröstliehe Charakter der Wrorte: „Nach vier
Monden (natürlich nach der Aussaat) kömmt die Erntett ist unverkennbar,
und was Wiesel er daran zu bekritteln findet, entspringt einzig und al-
lein aus chronologischer Noth und Verlegenheit.
Dass in den folgenden Zeitabschnftten die Begebenheiten um desto
mehr zusammengedrängt werden müssen, ist Selbstverstand. Der erste
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Tischendorf: Synopsis Evangelica.
begreift dal Intervall vom Purimfeste 19. Marz 782 u. c. §. 28. bis
zu dem oaßßaiov ößUTep6icp(i)Töv (Luk. 6, i.) 9. April 782 u. c. $. 38
= 21 Tagen. Davon brachte der Herr mehrere Tage in Jerusalem zu
(Job. 5, 1—47). Während der übrigen Zeit soll er nun auf seiner
Rückreise nach Galiläa in Nazareth gelehrt §. 29., diese Stadt
verlassen und seinen Wohnsitz in Capernaum aufgeschlagen
$. 30., hier viefach gewirkt §. 31—32, und seine erste Rund-
reise durch Galiläa unternommen haben $. 34. ja, nach seiner
Rückkehr aufs neue thätig in Capernaum gewesen sein §. 35 — 37.
Und alles Dicss in etwa 14 T a g e n 1 Doch gehen wir weiter. Der näch-
ste Zeitraum reicht von dem oaßßaxov ätorsp. 9. April 782 u. c. $. 38
bis zur Speisung der 5000 (nach dem Verf.) am Abend des 17. AprH
782 ii. c. $. 59.*, umfasst also 8 Tage. In dieser Einen Woche
lässt der Verf. den Herrn zuvörderst am zweiten Tage die verdorrte
Hand heilen §. 39, am dritten die Zwölfe wühlen, die Bergpredigt
halten und dem gicbtbrücbigen Knecht des Hauptmanns die Gesundheit wie-
dergeben §. 40—42, am vierten nach Nain gehen und den Sohn der
Wiltwe erwecken §.44, die Abgeordneten des Täufers empfangen §. 44
bei Simon (zu Bethanien) gesalbt werden 45, und von dort Uber-
haupt am fünften Tage (so dass nur noch vier Tage flbrig sind) $.46
eine grosse Rundreise, auf der Jesus jede Stadt, jedes Dorf
besucht, (Luk. 8, 1.) durch Galiläa antreten; dann $ 47—48 in
Capernaum zurück sein (Matth. 13, 1); dort $.49— 50 in Parabeln lehren,
$.51 — 52 den Sturm auf dem Galiläischen Meer beschwichtigend eine Au s-
fluchtzudenGadarenernmachen; $. 53 bei seiner Rückkehr das
blutflussige Weib heilen und die Tochter des Jairus kTs Leben zurückrufen,
§. 54 wiederum zu Nazareth auf einer neuen Rundreise durch
Galiläa $. 55 lehren, $. 56 die Zwölfe aussenden und nach
ihrer Rückkehr (unmittelbar nach dem Tode des Tiufers) $. 57 —
58, von Capernaum nach Bethsaida übersetzen, um dort $. 59 die
5000 zu speisen. — In neun Monaten eine einzige Heilung,
an etwa einem einzigen Tage dagegen drei Rundreisen durch
ganz Galiläa!!
Eine ähnliche Behandlung karakterisirt die ganze chronologische An«
Ordnung des Verf. in ihren allgemeinen Zügen. Nicht minder unglück-
lich ist er in der Bestimmung einzelner Daten. Er mochte z. B. die Ge-
burt des Herrn, welche Wieseler als am wahrscheinlichsten in deo
Februar 750 u. c. setzt (wirklich fand sie um die Zeit des 18. Marz
itatt) noch Uber den erst er en Zeitpunkt Linausschieben, weil er die
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924
Tischendorf: Synopsis Evangelica.
Unmöglichkeit, dass die Darstellung des Kindes im Tempel nach der
Ankunft der Magier und der Flucht nach Aegypten gefallen sei, für s a 1 1-
s am erwiesen bell p. XVI. XXII. Wie wenig begründe! diese fast
allgemeine Ansicht ist, möge hier kurz angedeutet werden. Die Annahme,
dass die Magier am Tage der Beschneidung zn Bethlehem eintra-
fen, bat Manches für, und jedenfalls Nichts gegen sich. Die Flucht durfte
dann, das obige Datum für die Geburt angenommen, am 27. Mors, der
Kindermord, wegen der Mühe Bethlehems und der ungeduldigen , reizba-
ren Stimmung des kranken Herod, am 28. oder 29. März stattgefunden
haben, also gleichzeitig mit der Hinrichtung Antipaters (vier Tage vor
dem aller Wahrscheinlichkeit nach am 2. April erfolgten Tode des Kö-
nigs), wie denn auch die Nachricht beider Blutthateu gleichzeitig
nach Rom gelangte (M aerob. Saturn. 2, 2). Nach welchem Tbeile
Aegyptens Joseph sieb wandte, wird von den Evangelisten nicht ge-
sagt Vermutbuch überschritt er bloss die Grenze. Diese bildete „der
Bacb Aegyptens/ C'^'O *?ru , obnweit Rhinokolora, dem heutigen
EI arisch, einige zwanzig geograph. Meilen von Jerusalem entfernt.
Wir haben die Flucht Joseph's also höchstens auf eine Wocben-
reise zu schaUen. Dies führt uns bis zum 3. April. Die Nachricht
von dem Tode Herod's musste er spätestens gegen Mitte dessel-
ben Monats erhalten. Nehmen wir dann für den Rückweg, (den er nach
einem viersebntagigen Aufenthalt in Aegypten, wo ihn nichts fesselte,
wilhrend Alles ihn nach der Heimat zurücktrieb, unverzüglich angetreten
haben wird), eine neue Wochenreise an, so traf er noch vier bis fünf
Tage vor Ablauf der Reinigungsfrist wieder an der israelitischen Grenze
ein. Da er hier jedoch hörte, dass Archelaus an seines Vaters Statt aber
Judüa herrsche, so fürchtete er sieb IxcT diceXdetv, von dort (der
Grenze) weiterzureis en (nicht nach dort hin (Bethlehem) zu-
rückgehen, wie man gewöhnlich irrtümlicherweise erklärt) bis Gott
ihm im Traume den bestimmten Befehl dazu gab — Weiterreisen,
natürlich nicht nach Bethlehem, sondern nach seinem Wohnort Naza-
reth, nicht durch Peräa, wo er nichts zu befürchten hatte, sondern
über Jerusalem, wo die gesetzliche Pflicht des Reini-
gungsopfers zu erfüllen war. Dagegen wendet u. A. Wieseler
ein (und ihm stimmt der Verf. bei): 1) dass die geschilderten
Begebenheiten sich nicht denkbarorweise innerhalb ei«
nes vieraiglagigen Zeitraums hatten ereignen können. —
Oben ist das Gegentheil klar nachgewiesen. 2) Dass dem mosaischen
Gesott zufolge die Wöchnerin die ganze Reinigungsseil
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Tiichendorf: Synopsis Evangelien.
925
zu Hause bleiben musste. — Man übersieht, dass Maria dieser
Verpflichtung durch den ausdrücklichen Befehl Go tt es entbunden
ward (Matth. 2, 13. 19. 22). 4) Dass es nicht denkbar sei,
die Eltern Jesu wären nach Jerusalem zurückgekehrt,
weil sie die Nachstellung des Archelaus zu fürchten hat'
ten. — Aufs neue übersiebt man, dass ein gottgesandter Traum den
Joseph dieser Befürchtung enthob (Matth. 2, 22.) Uebrigens
hatte Archelaus auch bereits seine Reise nach Rom angetreten. 4) Dass
die Erzählung bei Matthäus eine Kette chronologisch-*
untrennbarer Begebenheiten bildet — als ob zwischen die
Ankunft Joseph's an der südlichen Grenze Palästina^ und an seinem
nördlich-galilaischen Wohnort Nazareth nicht eben — die Reise
und das was sich auf ihr zutrug fiele?! Andrerseits erheben sieb gegen
die Anordnung des Verf., welcher mit Wie sei er die Darstellung im
Tempel §. 10 der Flucht §.11 vorangehen lösst, unüberwindliche Schwie-
rigkeiten, unter denen es genüge hervorzuheben, dass Lnkas in bestimm-
ten Worten sagt: xal oj; h^Xeoav Slut/zt. ib. xara'tov vöjxov xüptou,
üTteate^av *U tJjv raXtXatav sie rcöXtv ^airaöv NaCap^; denn man würde
doch wohl nicht etwa die Rückkehr nach Bethlehem und die Flucht
nach Aegypten als einen „Umweg" von Jerusalem nach Nazareth be-
trachten wollen? Keine andere Erklärung aber dürfte dem Verf. übrig
bleiben.
Mit Wiesel er setzt derselbe den Auftritt des Täufers in d. J. 7 SO
u. c, weil er noch annimmt, dass das entsprechende jüdische Sabbat-
jahr sich vom Herbst 779 bis dahin 780 u. c. erstreckte, obschon Ref.
glaubt, durch eine eingehende Untersuchung (Ueber den altjüd. Cal. & 180
— 294) den Irrlhum dieser Annahme über jeden Zweifel erhoben und
das folgende Jahr Herbst 780 bis dahin 781 u. e. als jenes Sabbetjahr
nachgewiesen zu haben. Doch abgesehen hievon, läset sich auoh nnr mit
einem Scheine von Vernunft glauben, dass Johannes den ganzen Win-
ter hindurch getauft habe? Und eben im tiefsten Winter,
nemlich gegen Ende des Jahres hätte nach dem Verf. die Taufe des
Herrn stattgefunden ! Dabei setzt er sie in d. J. 780 n. c. und den Auf-
tritt Johannes1 sechs Monate früher, während beide Ereignisse nach Luk.
3, 1. doch offenbar dem 15. Regieruugsjahr des Tiberius angehören. Der
Verf. zählt dies nach römischer Sitte vom 19. August 781 bis dabin
782 u. c. Ref. hat hingegen (a. a. 0. S. 342 f.) gezeigt, dass, nach
jüdischer Zählungsweise fremder Regierungsjahre, Lu-
kas es vom 1. Thischri 780 bis dahin 781 u. e. rechnete. Die Taufe
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926 Tischendorf: Synopsis Evangelien
Jesu (voa dem Auftritt des Täufers nur durch wenige Wochen getrennt)
fiel in die erstere Hälfte dej Monats Februar 781 u. c. Dies muiste
a ) 46 volle Jahre nach der Epoche der herodianischen Tempelreslaura-
tion sein, Job. 5, 20. Ref. bat dafür den 1. Nisan d. J. 735 a. c.
nachgewiesen (a. a. 0. S. 253 ff). Dazu 46 volle Jabre bis zum Pas-
sah, 15 Nisan gezählt, und sie fuhren uns richtig an das Passah d. J.
781 o. c. Ferner stand b) Jesus damals im Alter von „ungefähr 30
Jahren" Luk. 3, 23. d. b. da nach jüdischer Zahlungs weise
diese 30 Jahre notwendigerweise für vollendete Jahre genommen
werden müssen, (welches hier jedoch auch aus sonstigen Gründen der
Fall ist), so würo der Herr Uber 30 aber unter 31 Jabre gewesen.
Und wirklieb, im Adar 750 u. c. geboren, war dies sein Alter im
Scbebat 781 u. c. Es herrscht hier also die vollkommen-
ste chronologische Ueboreinstimmung. Dagegen nimmt der
Verf. mit Wiesel er, um das 15. Jahr Tiber's nach römischer Rech-
nungsweise herauszubringen, zu der verzweifelten Annahme seine Zuflucht,
dass Lukas zur Epoche der Weihe Jesu zu seinem heiligen Lehr-
amt die — nach dem Verf. ein ganzes Jahr später fallende
Gefangennahme des Täufers gemacht habe!! Er kehrt zu der
irrigen Hypothese zurück, dass der Herr sein letztes Passahmabi nicht am
gesetzlichen 15. Nisan, sondern, im Widerspruch mit den Synoptikern, ei-
nen Tag früher ass, (wogegen man des Ref. Aufsatz, Cbronological harmony
of the Gospels in dem Journal of Sacred Li Iura Iure for July 1850 p. 75
— 106 vergleiche), und glaubt noch, in Betreff der Salbung und der
Reinigung des Tempels, den Schwierigkeiten dieser evangelischen Ab-
schnitte, durch eine Verdoppelung beider Begebenheiten ausweichen
zu können. Freilich ist er, was die letztere betrifft, einigermassen dem
Zweifel anheimgegeben, doch weiss er sich p. XXIII mit den Worten zu
trösten: „si res eadem est, vix dubiuui est quin maior sit Jo-
hanni quam Ulis (Synoplicis) fides.« (!)
Wir glauben durch diese Proben den Leser hinreichend in Stand
gesetzt zu haben, sich Uber den ehr onologisch-apo logische n Werth
der Schrift ein Urtheil zu bilden. Andrerseits ist der Gehalt des dem Texte
hinzugefügten kritischen Apparats anerkannt, und der letztere verleibt dem
Buche eine Brauchbarkeit, welche ihm den Vorzug vor den bisher er-
schienenen gleichartigen Zusammenstellungen zu sichern geeignet ist.
John. Guiupacli.
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Jh. 59. HEIDELBERGER 1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
I
Kurze Anzeigen.
Taschentuch der wichtigsten Enltcickelungs- Momente der Erde und ihrer Bewohner.
Von Dr. G. Herbst. Mit swei Holzschnitten. 176 8. in kl. Duodez, Weimar
bei Hoffmann und Sohn, 1850.
Ein Beitrag zur Verallgemeinerung des geologischen Wissens, den wir gleich
allen Schriften dieser Art, willkommen heissen, in sofern uus solche aus eben-
bürtiger Hand geboten werden, wie dies beim Verf. der Fall. Pen Anlass ga-
ben Vorlesungen in Weimar gehalten; Herr Herbst schlug, nach unserer Ue-
berzeugung, ganz den richtigen Weg ein, und die Leser der Jahrbücher werden
dem Referenten einige Erfahrung in der Sache nicht abstreiten können und wol-
len. Um seinen Stoff leichler zugänglich zu machen, wählte der Verf. die un-
gezwungene Briefform. So bespricht erz. B. im ersten der neun Briefe: die Urstoffe
der Erde; Chemismus und Verdichtung der Materie; den glühendflüssigen Zustand
des Erdballs; Bewegung und Dunsthülle der Erde; ihre Form; Vertheilung der
Materie in derselben; Dichtigkeit,' derselben; erste Erstarrungs-Rinde; Erscheinen
des Wassers; erste ftiederschlags-Rinde u. s. w. In den folgenden Briefen kom-
men Erd-Temperatur, die Bewohner der Erde, der Erd-Magnetismus und andere
wichtige und interessante Gegenstände zur Sprache. Zwei Briefe sind den Ver-
hältnissen des Thüringer Waldgebirges gewidmet, und am Schlüsse findet man eine
Uebersicht der Schichten- und Gestein-Folge in Deutschland.
Wir wünschen dem kleinen Buche recht viele Leser.
Anleitung mr Gestein- und Bodenkunde, oder das Wichtigste aus der Mineralogie
und Geognosie für gebildete Leser aller Stände, insbesondere für Landscir-
tke, Forstmänner und Bautechniker. Von Fr. X. M. Zippt, Professor am
ständischen technischen Institute zu Prag ff. s. tf. XXVII und 396 S. in 8.
Prag, Calvesche Buchhandlung, 1896.
Von den vier Abschnitten, in welche vorliegende „Anleitung — deren
Zweck der Titel sehr bestimmt ausspricht — zerfällt, enthält der erste die geo-
gnoslischen, mineralogischen und chemischen Vorbegriffe, der zweite schildert
die Mineralien der Gebirgs-Gesteine nach ihren physikalischen und chemischen
Eigenschaften, im dritten werden die Felsarten selbst besprochen, und im vier-
ten Abschnitt die wechselseitigen Verhältnisse der Gcbirgsmassen in der Zusam-
mensetzung der Erdrinde. Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass der, im
Vorwort mit allzugrosscr Bescheidenheit von sich selbst urtheilende Verf. — dem
wir, namentlich über Böhmen, sein Vaterland, die werthvollsten Aufschlüsse in
mineralogisch -geologischer Hinsicht verdanken — für Leser schrieb, die we-
nige oder keine Vorkenntnisse jener Natur- Wissenschaften besitzen, welche als
erste Elemente der Geognosie zum Yerständniss derselben unentbehrlich sind, die
aber dennoch den Wunsch hegen, das Bedürfniss fühlen, sich von den mannig-
XUV. Jahrg. 6. Doppelheft. 59
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Karre Aiteelg**.
faltigen materiellen Dingen, womit sie ihr Lebens-Beruf mehr oder minder bäafig
in Berührung' bringt , Kenntnisse zn erwerben. Sin streng wissenschaftliches aed
systematiftcbe« Werk ist mitbin niebt zu erwarten; ein solches müssie in dieser
and jener Beziehung allerdings vollständiger seyn, Manches enthalten, was über-
gangen werden kannte , indem es für den praktischen Zweck entbehrlich, auch
wäre eine andere Anordnung erforderlich geweseu. Wir achten uns überzeugt,
dass das Zippe 'sehe Bach Landwirthen, Forstmännern und Baulechnikero na-
mentlich solchen, die Böhmen bewohnen, erspriessliche Dienste leisten werde.
memotre sur les ircmoieinems ae lerre exe ta pmtnsute uaitque per jg. rtrrey.
Prof essettr u Xu feiculte de JHjon. 145 p. tn 4. Bntxelles , 1849.
Wir hatten schon früher Veranlassung in diesen Blättern die Verdienste
zu rühmen, welche der Verf. sich dadurch erwirbt, dass er, mit unermüdli-
chem Fleisse und aus zuverlässigsten Quellen schöpfend, die Zeitgeschichte der
Boden - Erschütterungen verfolgt. Aus dieser — der K. Akademie von Belgien
im Jahr i$47 Yörgelcgten, und im XXVI. Bande der Mem. couronnes et Mcm.
des Savanls ürangers enthaltenen — Abhandlung ist zu ersehen, dass auf der
Italischen Halbinsel vom vierten Jahrhundert christlicher Zeit-Rechnung bis 1813
im Ganzen ein Tausend (unfundachtzig Erdbeben wahrgenommen wurden, und
davon traten 828 im XVIII. u. XIX. Jahrhundert ein. Wie in andern Gegenden
Europa'* , mit denen Perrey sich beschäftigte , ereigneten sich auch in Italien
die meisten Katastrophen während des Winters.
Documenis sur les tremblements de fem ou Mexujue tl dans t Amerigue ctniralr.
Pur A. Perrey. (Besonderer Abdruck ans den Annalcs dt Us Socitfe J" Kam-
Uttum des Vosges. Tome VI.) 37 p. in 8. Epinal; 1848.
Das Verzeichnis« der Erschütterungen, in welchem auch andere vulka-
nische Phänomene eine Stelle fanden, mit 1519 beginnend, geht bis zum Jahre
1847. Di« Zahl der Brdbeben an und für sich, beträgt siebenundsechzig. Eil
Vorwalten derselben während der Winter- oder Hcrbstzeis bat sieb nicht ergeben.
frofic« sur les caracieres dt XArcose dans les Vosges. Par M. Delesse. Ingenieur
des Mines. 20 p. in 8. Genete, chet F. Rambos; 1848.
Der Ausdruck Arcose, — welcher, im Vorbeigeben gesagt, nicht wenige
Missdeutungen und Missgrifle veranlasste — wurde, wie bekannt, zuerst von
AI. Brongniart angewendet. Mit dem Gestein« wie solches in den Vogescn
auftritt, mit seinen mannigfaltigen Verhältnissen und Beziehungen beschäftigten
sich früher und später Voltz, Rozet, Thirria, Hogard, Puton, Elie
de Beaumont u. A. Unser Verf., dem wir hier nicht in den aufgezählten ein-
zelnen interessanten Erscheinungen folgen können, gelangle zum Resultat: Ar-
cose aey ein metamorphischer Sandstein, wesentlich zusammengesetzt aus Quarz-
Theilen and aas Feldspatb- (Orthoklas-) Kry stallen.
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Korso Anzeigen
939
Das Leuchten des Meeres an der Küste bei Ostende ton Dr« L. V et hag he, Ober-
Chirurg am städtischen Hospital, prakt. ArU zu Ostende u. s. so. 19 S.
in 8. Bonn; 1847.
Enthält manche, keineswegs uninteressante Wahrnehmungen.
Verseichniss dei' im Rostocker aeademiseken Museum befindlichen Versteinerungen
aus dem Sternberger Gestein. Von Dr. H. Karsten. 42 S. in 8. Rostock,
bei Adler' s Erben; 1849. * . .. • m
Die, im vorliegenden „Rectorata-Programaa" cur Sprach« gebrachten Ter-
tiär-Versteinerungen, bekannt unter dem Namen „Sternberger Kuchen", waren
bereits zu einer Zeit , als man die tertiäre Formation in Deutschland, nur sehr
ungenügend ontersucht hatte, Gegenstand der Aufmerksamkeit unserer ersten
Geologen gewesen. Die Sammlung des Museums au Rostock wurde in den leta-
len Jahren, in dieser Abtheilung zumal, ao ansehnlich bereichert, daas die Vor-»
öffentlichung eines Verzeichnisses der darin enthaltenen Arten jener fosailen Koste
nur erwünscht seyn kann. Die Angaben sind folgende: Zoo p h y ten : Lunu-
Iites radiata Lam. und L. Mamillntn n. ap. ; Glauconorae hezjgona , v. Münst.
— Radiarien: Echinus pusillus, v. Münst. ; Eehinoneus ovetus, v. Munal.;
Cidaris? — Forasninifercn: ftodosaria clegans, intermittens und radicularis,
v. Münst. und Köm.; Lingulina ovata, oblonge, oblique, ensiformis und co-
neala, desgl.; Plenularia arcuata, intermedia und Gladius Phil., PI. incurva, n,
ap.; Pol) morphina regularis, v. Münst., P. obacura uud cyUndroides Hü in., P.
subdepressa, v. Munal.; P. communis, d'Orb.; P. crasaatina, v. Münst., P,
apicaeformis, Röm. , P. globosa, v. Münst. und P. clavata, Hüm. Bulimina
cylindriea. Röm. Rotalia aubtorluosa und comica, Horn. Planulina osnabrugenaia,
v. Maust., Robulina aubnodosa, v. Münst. friste! laria osnabrugeoaia, v.
Münst. Cr. elegans, n. ap., Cr. subcoatata, v. Munsl. und Cr. ovalis n. .ap«
IVonionina glabra und coslata , Röm. Triloculina oblonge, d'Orb., Tr. ©rbicu-
laria, Rom., Tr. carinata und anguata, Phil. Quiequelocoüoe secans u. Q. ovata,
Röm. — Ptoropodon: Creaeia vaginella, Rang, und Cr. Daudinii? -r- Ga-
steropoden: Denlnlium clephantinum , deutalis, entalis und atrioium, L., P.
multistrialum, aubslriatum und strungulatum, D es h. ; Pateila semistriata, v. M ü nat.,
P. compresaiuscula n. ap.? Colyptraen vulgaris , Phil. Bullaen punctata, Phil,
und sinoata, n ap. Bulla ügnaria, L., B. striata, Brug,, utriculus und ovulata,
Broc, B. lineaia und relusa Phil, cylindriea nnd truncatula, Brug., B. con-
voluta, Broc. Bullina lajonkairiana, Bast., apricina, Phil. Kissoa ovulum, gra-
nulum, sculpta, unidentata, interrupta, simplez und elongata, Phil., R. punctata,
n. ap., inlerstincta, Mont.? Eulima subulata, Risso; nitida, Lam., Scillae,
Scnccbi, affinis/quadristriata, leunisii undacicula, Phil., Niso terebellata, Bronn;
Chemnilzia elegantissima , tcrebellum, Kochii, elongata und pallida, Phil., Ch.
laevia, n. sp, Natica glaucinoides und hemiclaosa, Sow., Sordida, Swatns. Si-
garatua canaliculatus, Sow., Tornatella tornatilia, L. und elongata, Sow., Ver-
nichs intortus, Lam. Sealaria rudis, Phil. Delpbinula carinata, Ph il. und aol-
cata, n. sp., Trochus criapua, König, und acrutarius, Phil. Turnte II» commu-
nis, Phil. Pieurotoma sobdentata, doraata, flexooaa, cingillala, belgico, subcana-
ciculata und subdenticulala, v. Münst., Tl. selyaü und regularis, de Kon; PL
59*
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030 Karze Anzeigen.
Waterkey nii, Nyst., PI. acabra, Volgeri, obeta, Hausmanni und Vauguelini,
Canccllaria evulsa und berolinensis, Beyr., elongata Nyst,? und elegant, n.fp.
Fuscus Deshayetii, de Kon., mullitulcatus, Nyst., elatior, Beyr., alveolatui,
Sow. und luneburgenaii, Phil. Fasciolaria fusiformis, Phil. Pyrula elegans,
clathrala und reticulata, Larn. Murex (Typhi«) tubifer und horridus, Bronn,
M. vaginatns, Phil, und pentagonua, n. tp. Tritonium corrugatum, Larn. and
tortuosum, Phil. Chenopus pea carbonis. Caasidaria depresta, L t. Bach. Cts-
•is megapolitana, Beyr. und liaeata, n. ep., Buccinum semiatriatum, costulauun
nnd asperulum, Brocc, B. reticulatum L. Terebra faacata Brocc, striata
und pusilla, n. tp. Mitra scrobiculata, De fr., colnmbellaria, Scac. und hdstata,
n. ap. Ringicula striata, Phil. Ancillaria aubulala, Larn. Conus deperditos, Brug.,
antediluvianus, Deah. — Acephalen :ISolenensit, L. nnd compretaut, Gold f.
Panopaea intermedia, Sow. Mactra solida, L. und triangula, Gold f. CorbuJa
cofpidata, Bronn, nncleoa und rugosa, Larn., rotundata, Sow. Teilina rostra-
tina, Deab. und elliptica, Brocc. Lncina uncinata, Deah. and morum Lara.
Aaiarte pygmea und laevigata, v.l Münat., A. conceutrica, Gold f. Cyrena
trigona, Deah., Cythere« erycina und laevigata, Larn., coneaU nnd aulcataria,
Deah. Venus umbonaria , Agasa. Cardinrn turgidurn und cingulalttin, Goldf.
•triatolun, Brocc, papiUosom, Goldf., pulchelluro, Phil. Cardita ecalaris,
Goldf. Area diluvii nnd barbatula, Lim., didyma, Brocc. Pectonculus pul v ina-
tut, Larn. und minutnt, Phil. Nucula glaberrima und pygmaea, Munal., striata
und margaritacea, Lam., fragilia, Deah., laevigata, Sow. , comt Goldf. und
mionta, Brocc.', Mytilua aericeut, Goldf. Pecten cancellaius, Goldf., biAdot
und aemittriatut, v. Müntt., plebejus, Lam. — Cirripeden: Baianus aulcatut,
Lam. nnd atellarit, Bronn. — Craataceen: Cytberma acrobiculata, Müllen n.
anguttata, ▼. Manat., 1. ninearia, Horn. — Fische. Zahne von: Notidanus
primigenina, Corax priatiodontoa und appendiculatut, Oiyibina hattalit, Lamna
elegant, craaaidena, Hopei, acuüatima und contortidena , Ag. und Corax affinia
MOnat
Der Verf. behalt aich im Einreinen spatere Berichtigungen und Ergän-
aungen vor, da ihm, wie er aelbst getteht, nicht alle literarischen Hülfamittel
n Gebote standen , deren Vergleichang wünachenswerth gewesen wire. Die
„Sternberger Kuchen," deren Vorkommen jetat sehr selten geworden, finden
aich mit mancherlei, andere Petrefactcn enthaltenden, Geachieben untermengt,
Veber die Fortschritte der Geognotie im Gebiete der Sedimentär -Formationen seit
Werner' s Tode. Vortrag, gehalten am Wernerfeste zu Freiberg den 25. Sep-
. iember 1850 von C. Fr. Naumann , Professor an der Universität Leip-
zig. 30 S. in 8. Freiberg, bei Cra* und Gerlach. 1851.
Wer atimmt nicht dem würdigen Verf. bei, wenn er tagt: jüngere Ge-
schlechter hatten dankbar der Verdienste ihrer Altvordern zu gedenken, und hier
gilt ea einem Manne, dessen Leben und Wirken twar der Vergangenheit ange-
hört, aber noch bis in die Jetztzeit teinen aegenreieben Einfluaa bewährt. Mit
lebhaftem Interesse, keineswegs ohne mannigfaltigste Belehrung werden Fach-
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miliner Herrn Naumann auf der „flüchtigen" Wanderung durch die Reibe der
Sediment-Formationen folgen. „Die Geologie det Jahres 1850 ist eine ganz an-
dere, weit reichere Wissenschaft, als jene erste, Ton Werner und seinen Zeit-
Genossen gegründet. Der von ihnen gepflanzte Baum ist herangewachsen, treibt
aeine Wurzeln immer liefer in den festen Boden der Erfahrung. Aber fem sey
es von uns, über dem Anstaunen des stattlichen Baumes der Gegenwart, Aber
der Freude an seinen Fruchten, die Ninner zu vergessen , welche ihn einst ge-
pflanzt und gepflegt.*
Wir bedauern, dass des Leipziger Geologen Rede sich nicht zu einem Aus*
zuge eignet. Die kleine Schrift darf in keiner Büchersammlung eines Fachman-
nes fehlen. v. Leonhard.
Bibliolheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubntriana.
Es ist über diese Sammlung neuer Ausgaben Griechischer wie Lateini-
scher Classiker bereits in diesen Jahrbüchern 2. Heft p. 291 ff. Bericht erstattet,
dort auch der Standpunkt und die Tendenz des ganzen Unternehmens bezeich-
net, und das, was in dieser Sammlung damals erschienen war, im Einzelnen an-
gegeben worden. Inzwischen hat das Unternehmen, wie wir von manchen Or-
ten her vernommen haben, den Eingang in manche unserer Bildungsanstalten
gefunden, und da es sich hier bereits bewährt bat, so dürfen wir auch sicher
erwarten, dass eine immer weitere Verbreitung, wie wir sie von Herzen und im
Interesse der Schule wünschen, nicht ausbleiben werde. Ebenso haben aber auch
die Herausgeber wie der Verleger ihrerseits Alles gethan, was au rascher Fort-
führung und Vollendung der angefangenen Theile des grossen Ganzen notbig
war, ohne hiebey in Irgend Etwas den Forderungen zu vergeben, welche an
einen Jeden von ihnen hinsichtlich der Behandlung des Textes nach den im
Allgemeinen aufgestellten Grundsätzen, in der Vorlage eines durchaus correc-
ten Textes gestellt sind. Die typographische Auaführung, lässt in der Tbat
kaum Etwas an wünschen übrig, und erleichtert bei dam so beispiellos niedrig
gestellten Preise die Anschaffung zumal da, wo man auch, wie billig, auf einen die
Angcn nicht angreifenden Druck, auf gutes Papier und deutliche Lettern, eini-
gen Werth legt. Wir haben jetzt hier nur die weiteren Fortsetzungen der schon
früher am a. 0. besprochenen Bände anzuzeigen und beziehen uns, da diese Fort-
setzungen ganz in derselben Weise, wie die früher angezeigten, bearbeitet sind,
und auch in ihrer äussern Form ihnen völlig gleich stehen, auf das dort im All-
gemeinen Bemerkte. Von Griechischen Autoren sind erschienen:
1. Demosthenis orationes cx recensione Guilielmi D indorfii.. Vol. HL Ora-
tiones XLl — LX1. Prooemut. Epistolae. Editxo secunda corrtetior. Lipsiae
sumplibus et typis B. G. Teubneri. MDCCCLl. 445 S. 8.
2. Tkucydidis de belle Peloponnesiaco libii octo. Rccoynovil G o dof r edus Böhm*,
Vol. IL Lib. V—VUL Lipsiae etc. IV u. 301 S. 8.
3» Plaionxs dialogi secundum Thrasylii teiralogias dispositi. Ex recognUione Ca~
roli Frideriei Hermanni. Lipsiae etc. Fol. /. XXXU und 503 S.
Vol. IL XXVI und 382 S. 8.
4. Arriani de txptditumt Alexandrien Septem. Recoynotii Robertus Gtitr.
Lipsiae etc. VlU. und 328 S. 8.
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Die Ausgaben des Dcmogthenes und Thucydides sind mit diesen
beiden Bauden vollendet; beiden Autoren ist ein sorgfältiger Index rerum, über
die in diesen Schriftstellern vorkommenden Sachen und Personen beigefugt, und
damit auch für diejenigen gesorgt, welche diese Ausgaben zum Nachschlagen
bei ihren gelehrten Studien oder bei ihrer Privallektüre gebrauchen wollen, woto
allerdings diese Ausgaben sich sehr gut eignen. Die Stellen , in weichen der
Herausgeber des Tbueydides sich Etwas Besonderes bei d«*r Gestaltung des
Textes glaubte erlauben zu können, sind auf dem vorgesetzten Blatte der Vor-
rede angegeben; hier bat derselbe auch seine Ansicht über den Werth der Va-
ticanischen Handschrift hinsichtlich der beiden leisten Bücher ausgesprochen und
zwar zu Gunsten dieser Handschrift, der er einen hohen Werth beilegt und der
er daher auch insbesondere bei der Gestaltung des Textes dieser Bücher ge-
folgt ist.
Was Plato betrifft, so haben wir bereits in der früheren Anzeige S. 297
bey dem Erscheinen des ersten Heftes oder der ersten Abtbeilung des er-
sten Volumen, worin die auch früher meist miteinander verbundenen Stucke
Eutbyphre, Apologie Socratis, Crito und Phaedo enthalten waren, auf den Cha-
rakter dieser neuen Ausgabe und der darin zu erwartenden genauen Revision
de* Textes im Allgemeinen hingewiesen, Ea liegen nnn anch die beiden andern
Abthemsngon des ersten Volumen vor. welche, nnd zwar mit fortlaufender Sei-
tensahl, jedoch auch so, dass jede der beiden Abtheilungen anch besonders ab-
gegeben werden kann, wie es der Bedarf der Schale oder akademischer Vor-
lesungen erheischt, den Cratylus und Theaetet, dann den Sophisten und Politiens
enthalten; dann das zweite Volumen, welches ganz der früheren Ankündigung
gemäss ebenfalls in drei Abtheilungen die folgenden Stücke enthalt: IV. Far-
menides, Philebus; Vi Symposium , Phädros; VI. Alethmdes I. und II., Hippsr-
ohuf, Ernsten, Theages; indem, was die Reihenfolge der einzelnen Platonischen
Schriften betrifft, die latralogische Ordnung des Thrasyllns, der auch Stephanna
folgte in seiner Ausgabe (deren Seitenzahl am Rande beigefügt ist), zur Norm
genommen ist, was man, namentlich im Hinblick auf andere Anordnungen, was
sie In def neuesten Zeit In Vorschlag gebracht worden sind, schon um des prak-
tischen Bedürfnisses willen, billigen wird. Einem jeden Volumen geht eine Prä-
ratio voraus, in welcher der Heranageber mit eben ao grosser Genauigkeit wie
Gewissenhaftigkeit diejenigen Stellen besprochen hat, in welchen er bey der
Gestaltung des Textes von seinen nächsten Vorgängern (seit Bekker) abweichen
Vit miitann — |a_l. |_ I?_ L»nn Uiar tarn ninnn 1,1/-. -Dan |)„r,r|,i j.L.. A»m -
zvu iiiuBst-ii giauuit?. ß3 liaiin uitr, yvu wir tiiitn i>iu>mii uiTimi uoer uas neue
Unternehmen zu geben haben, dem Niemand, der es näher geprüft, seine An-
erkennung versagen wird , nicht der Ort seyn, in das Einzelne dieser kritischen
Rechenschaftsablage, wofür man dem Herausgeber höchst dankbar seyn muss,
einzugehen und ao zu sagen, eine Kritik der Kritik zu geben; wohl aber wird der
gairae Standpunkt des Herausgebers bey dieser Revision des Textes etwas näher
anzugeben seyn. Bey dem bisherigen Schwanken in der kritischen Behandlung
Oes icx»"3 unq Qcni luniuiiTrn ifinii^ci eines lesicB-f ui™ manwcntiouiig in strciii"
gen Fällen bietenden Principa war des Bemühen des Herausgebers vor Allem
dabin gerichtet, eine feste Basis zu gewinnen nnd auf dieser dann mit grösserer
oicnernci» seine nevisiun zu ncgiunen. i7ii.Bc iesic nnsia nuiimu nur uuren a«t
Zurückgehen auf die erweislich älteste, schriftliche Überlieferung des Platoni-
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Korso Anzeigen.
»eben Textes gewonnen werden, ganz in der Webe, wie man dai ja anch bey
anderen Autoren, Lateinischen wie Griechischen (man denke an Demorthe-
nes, wie an Uvina und Tacitus, um nur diese au nennen), diess mit gutem Grunde
ui thun unternommen hat. AU diese Grundlage erscheint nun für den grossem
Theil der Platonischen Schriften — die sechs ersten Tetralogien des Thrasyllu*
(für die übrigen grösseren Schriften : die Politeie, den Tiraaus und die Gesetze,
leistet die Pariser Handschrift das Gleiche) die im Jahre 896 geschriebene Gar-
ke'sche oder Bodlejaniscbe Handschrift, deren hoben Werth noch die Züricher
Herausgeber anerkannt haben; jedoch mit Ausscheidung der von einer z weiten
jüngern Hand angebrachten Correcturen, die selbst da, wo sie mit andern Les-
arten in Uebereinstimmung sich fanden, nur mit grosser Vorsicht bebandelt wur-
den; „ prima ro vero ejusdem manum (wir lassen hier lieber den Herausgeber selbst
reden) ila pro fundamento habui, ut quidqoid ejus scribi a Piatone potuisse vi-
deretur, etiam in pari aliarum lectionum honitate unice tnerer, quas autem emeo-
dationes flagitaret, non vulgatae magis auetoritate eeteroramve codieam »uffra-
giis quam eo judicio regerem, ut quaeque proxime ad illios vesiigia accederet:
poatremo si quid in aliia exstaret, quo Bodl. careret, oplione data Semper pro-
nior ad illorum interpolationem quam ad hujus mutilationem statuendam essem (p, v).w
Die consequente Durchführung dieser Grundsalze, die allgemeine Anwen-
dung eines festen, mit aller Bestimmtheit hingestellten Principe in allen einzelnen
Fällen, und die hiedurch bedingte Aufnahme oder Verwerfung eiser Leaart ist
es daher, was insbesondere das Charakteristische dieser neuen Textesrevision
aasmacht, welche insofern allerdings auch von der zuletzt (in Zürich) erschie-
nenen Ausgabe des Plato sich unterscheidet, als in dieser xwar jene Hand-
schrift alle Bedeutung, die sie verdient, gefunden und als eines der Hauptmit-
tel der Wiederherstellung des Textes in fehlerheften oder verdorbenen Stellen
anerkannt, aber nicht als Grundlage- des Textes selbst betrachtet worden, mit*«
bin auch da, wo die Vulgata genügend und gut erschien, nicht an der ausschliess-
lichen Geltung und Berücksichtigung gelangt ist, welche sie anzusprechen hat,
wenn sie als die älteste, der Urschrift am nächsten kommende schriftliche Ue-
berlieferung des Platonischen Textes anerkannt ist. Bey diesem Festhalten na
dem Ältesten Document des Textes und bey der strengen Conseqoena dea kriti-
tiseben Verfahrens in Bezug auf dieselbe kam dann aber auch dem Herausgeber
wohl eine grössere Freiheit an denjenigen Orten au , wo ein offenbares Ver-
derbnis« der Handschrift und damit auch die Notwendigkeit einer Heilung eines
Textes vorlag, der für Schulen oder akademische Vorlesungen zunächst bestimmt,
den Charakter möglichster Correctheit erhalten muss. Und wenn diese IS'oth-
wendigkeit bis zur Aufnahme von solchen Lesarten führte, die nicht anf hand-
schriftlicher Grundlage beruhen, sondern als glückliche Verbesserung offenbarer
Verderbnisse oder Unrichtigkeiten gelten können, so glauben wir nicht, dass dea
mit Plato's Denk- und Sprechweise so vertrauten Verfasser ein Tadel treffen
kann, den schon die grosse Vorsicht und Umsicht, mit der er in allen solchen
Fällen unabweislicher Aeoderung verfuhr, entfernen muss. Pa jede solche Aen-
derung gewissenhaft angemerkt, und so weit es in der Kürze, bey dem sehr
beschränkten Baume möglich war, auch begründet ist, so wird Jeder mit leich-
ter Mühe, wenn er in die jedem Bande vorgesetzte Fraefalio einen Blick wirft,
davon sich überzeugen können.
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Karze Anzeigen.
Bey der Ausgabe des Arrianus hielt sich der Herausgeber Im Ganzen
an den von Smtenii in feiner Ausgabe von 1849 gelieferten Text, der unter
den bisher bekannt gewordenen allerdings als der der urkundlichen Ueberlie-
fernng am nächsten stehende zu betrachten war ; da, wo er von demselben ab-
gehen zu müssen glaubte, sey es in Zurückführung der handschriftlichen Leaart
oder in Aufnahme einer für nothwendig erachteten Verbesserung, bat er es nicht
ohne sorgfältige Prüfung gethan, auch die betreffenden Stellen in der Vorrede
angegeben, in welcher er im Allgemeinen über das von ihm befolgte Verfah-
ren in folgender Weise sich ausgesprochen hat: In Universum eam in hac edi-
tione tenuimus rationem, ot contra codicum fidem nihil novandum polaremos,
nisi si extrema necessitas ; nbi tarnen codicum scriptura vel aperte corrupta vel
a certissimo Arriaoi loquendi usu prorsns aliena esse videretor, probabilem emen-
dationem malae ac viciosae fectioni praeferre et in textnm rocipere non dubita-
remua, nncos autem, quibus recentissimam potissimum Kriigeri editionem ahnn-
dare videmus, quoniam bis non tarn lironum quam criti**ornm commodis consul-
tum existimabamus, locis tantum mnxime dubiis adhihcremus, in lectionum de-
niqiic discrepantia, praesertim quod ad verborum spectat ordinem, optimo Pa-
risiuo codici c litera insignito plnrimum tribueremus auctoritatis, ita tarnen, ut
si reliqui librt meliora eflcrre vidcrentur, non raeca illius superstitione horurn
acriptoram contemneremu*. Diesen Grundsätzen ist der Herausgeber durchweg
treu geblieben, und es ist eben dadurch gelungen, in dieser Ausgabe einen sol-
chen correcten Text zu geben, wie er den Zwecken des Ganzen entspricht. In
der Interpunction hat er, mit wenigen Ausnahmen, sich gleichfalls an den oben
erwähnten Vorgänger gehalten; überdem Ist dem Texte ein genaues Namen-
und Sachregister beigefügt, ähnlich denen, die wir oben bey Demosthenes und
Thucydides erwähnt haben ; hey den Orts-, Gebirgs- und Ffnssnamen sind auch
die neuem Benennungen in Klammern beigesetzt; das Ganze mit möglichster
Raumersparniss und mit kleinen, aber sehr netten und deutlichen Lettern gedreckt
Von Lateinischen Schriftstellern sind folgende Ausgaben anzufahren:
f. Tifi Lies ab urbe condifa tibri. Recognotit With. Weissenborn. Part IF.
Liber XXXI— XXXV III. Lipsiae etc. MDCCCLI. XXIV und 375 S. ParsV.
Liber XXXIX-XLV. Efitom. Üb. XLVI-CXL. Lipsiae etc. XXIVn.319 S.8.
2. C. Cornelii Taciti Opera quae supersunl. Ex recognitione Caroti Hat-
mii. Tornus posterior^ historias et Itbros tninores continens. Lipsiae ttc>
MDCCCLI. XVIII und 320 S. in 8.
3. M. Tullii Ciceronis scripta qme mansentnl omnia. Recognovit Reinkol-
dus Klott. Parlis 1. Vol. II. continens libros de oratore qvattuor , B rü-
hmt, Oraloreins Topica, de partttione oratoria dialogum, de optimo geners
oratorwn Prooemium. Lipsiae etc. MDCCL1. XVI «?. 398 8. in 8.
4. T. Macci Piauli comoeduie. Ex recognitione Alf redt Fleckeiseni. To*
TnUS MM . SlSlTfUllUut tiUl CnMCS IsVl CVilQffzTll l 5Cl/CIOIM7f» OflCHHT7l CUTtUrlCnJ*
Lipsiae etc. 272 S. in 8.
5. D. Junii Juvenalis Libri V. Recensuit Adolphus II aeck ermann. Lip-
siae etc. XXV und 105 S. in 8.
6. M Vellei Pater culi ex historiae Romanae ad M. Vmicium cos. libris d*h
bus auae vuversunt Recensuit et verum in die cm locuvlelissimum adxxii
Fridericus üaase, Pro/. Vratislav. Lipsiae elc. Vi «. 124 8. in 8.
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I
Korea Anzeigen.
935
Was zuerst Li v ins betrifft, dessen Ausgabe mit diesen beiden Theilen
geschlossen ist, so können wir uns füglich auf das in der früheren Anzeige S.
301 ff. Ober die drei ersten Theile Bemerkte beziehen , indem der Herausgeber
diese beyden, den Schtuss des Ganzen bringenden Theile ganz gleichmässig be-
handelt und in der dem Texte jedes Theils vorausgestellten Praefatio mit glei-
cher Sorgfalt alle die Stellen aufgeführt und, soweit es die Kürze des Raumes
erlaubte, auch näher besprochen hat, in welchen er glaubte von der bisheri-
gen Lesart abgehen zu müssen. Bey diesem Streben, den Text auf seine ur-
knnd'iche Gestalt, nach Massgabe der ältesten Documente , die wir noch von
den einzelnen Theilen des umfangreichen Werkes besitzen, zurückzuführen, ward
inzwischen auch Alles das berücksichtigt, was von andern Gelehrten xur Bes-
serung des Textes in den letzten Jahren vorgebracht worden War, von Al-
em dem aber ein umsichtiger Gebrauch gemacht, und auf die Redeweise
nnd den Sprachgebrauch des Schriftstellers stets die gehörige Rücksicht genom-
men. Und auf diesem Wege ist es dem Herausgeber gelungen, einen Text des
Livins vorzulegen, der für den Schulgebrauch wie für die Privatstudien be-
sonders geeignet, empfohlen werden kann. Am Schlüsse des Livianischen
Textes, so weil wir ihn besitzen, sind noch die Ep itomae sammtlicher Bücher
mit kleinerer Schrift gedruckt, beigefügt.
Die Ausgabe des Tacitus erscheint mit diesem zweiten Bande, wel-
cher die Historien, die Germania und den Agricola , sowie den (für uns we-
nigstens immer mehr zweifelhaft gewordenen) Dialopus du oratoribua sammt ei-
nem mit kleinerer Schrift gedruckten Index historicus über sämmtlichc Schriften
des Tacitus enthalt, geschlossen. Wir haben schon in der früheren Anzeige den
Charakter dieser neuen Textrevision von Seiten eines mit Tacitus so vertrauten
Gelehrten angegeben und haben diesen auch in diesem zweiten Theile bewährt
gefunden. Die kritischen Bemerkungen, welche diesem Bande über einzelne
Stellen der darin enthaltenen Schriften vorangestellt sind , geben hinreichendes
Zeugniss, wie der Herausgeber bey seinem kritischen Verfahren auch Alles das
beachtet hat, was irgend wie von andern Gelehrten für die Berichtigung ein-
zelner Stellen des Textes hier und dort bemerkt worden ist.
Vol. II. des Cicero enthält den Rest der rhetorischen Schriften, bey
welchen, wie bey den im ersten Vol. enthalteneu , die «weite Ausgabe der
Opera Ciccronis von Orclli und Baiter die Grundlage abgeben musste. Das» aber
mit dieser Grundlage, wie wir sie den dankenswerten Bemühungen beider Män-
ner allerdings verdanken, die Tcxteskrilik dieser Schriften keineswegs abge-
schlossen ist, weiss Jeder, der mit diesen Schriften nur einigermassen sich be-
schäftigt hat; im Gegcntheil, bey der bekannten Beschaffenheit der Quellen, wel-»
che eben diese Grundlage bilden, und der keineswegs genügenden handschrift-
lichen Ueberliefcrung, bleibt einem Herausgeber, der nicht blos die Aufgabe bat,
den Test in einer diesen Quellen adäquaten Form , als Grundlage weiterer For-
schung, sondern in einer möglichst correcten und lesbaren Gestalt, auf diese
Grundlage hin zu liefern, noch gar Manches zu thun übrig, da die Zahl der ver-
dorbenen, einer Heilung oder Besserung bedürftigen Stellen auch so noch nicht
gering ist. Dieser Aufgabe nun hat sieh der Herausgeber in einer Weise un-
terzogen, die uns aufs ^eue gezeigt hat, dass er zur Lösung einer solchen Auf-
gabe auch gewiss berufen war. Wenn die conservative Richtung im Allge-
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93*
Korso Anzeigen.
meinen gewiss den vorherrschenden Charakter feiner Kritik bilde», 00 ist
mit die bey offenbaren Verderbnissen notwendige Verbesserung nicht
wiesen; diese aber schliesst sieb «rann möglichst au die urkundliche lieber lie-
fe rung an, unter sorgfältiger Beachtung des Cicerooiscben Sprachgebrauch«,
man es von einem solchen Kenner Ciceronischer Rede nicht anders
konnte. Gleiche Beachtung ist aber auch Allem dem an Theil
Andere in neuer und neuester Zeit für die Bessergestalteng des Textes vorge-
bracht hatten. In Bezug auf alle derartige
leitete ihn im Allgemeinen bey der von ihm
satz: „Ut quae optimoruai
certe a libroruro testimoniis non Velde discrepare, si senieoliae loci et
Ciceroniano convenirent, reeiperem, in cetcris autem locis, in quibos
gravior olim corroplela versata esse videretor, libroruro potios vestigia premerem
octorum coniecttiras vel nrobabiliorei consectarer " Belege dieses Ver-
im Einseinen wird man in der Vorrede niedergelegt finden, in
namentlich eine Anzahl solcher Stelleo, in welchen die Kritik des
auf andere, von seinen Vorgängern abweichende Wege geführt ward,
besprochen und die vorgenommene Verbesserung begründet wird.
Ueber die neue Recension des Plan tos, von welcher der »weite
in mäßigem Umfang vorliegt, ist schon in der früheren Anzeige das Nü thige
merkt worden, worauf wir uns hier um so eher beziehen, als die
handlong der in diesem Bande enthaltenen Stücke durchaus gleichförmig
gefallen ist Am Schlüsse eines jeden Stückes ist ein
Metra mit Angabe der betreffenden Verse
finden wird.
luve na Iis, dessen Satiren, wenn auch vielleicht
MJ/>/tVi * J r ] I auf I nivAfoif-i»«Mi rf*lrt->nr\ t« n A AfLlfirt urap^An
uotn jcupniaiia hui univcrsiiaieii gcitrsvn unu crHittri wcriicn
hier in der Ausg.be eine« Gelehrtes, der die Beweise «einer
die. dieses dem Verelende«, .o menohe !
reit« mehrfach vorgelegt und allerdings bewiesen hat, wiejbekannt und
mit diesem Dichter überhaupt geworden ist,
der Sprache, auch der Kritiker wohl zu berücksichügen hat. Denn
auch in neuester Zeit in dem schon von Pithöos benutzten, jetzt
gesogenen und zu der jüngsten Ausgabe desJuvenaJis (von O.Jahn) auch wie-
der verglichenen Codes Budensis — Alontepessulanus (Montpellier) diejenige
Ueberlieferung des Textes anerkannt hat, welche der Urschrift am nächsten
so ist doch diese Ueberlieferung nicht von der Art , dass sie über alle
lerwarts erhoben werden könnte. Hier tritt also das Geschäft des Kritikers eis,
der ohne die oben erwähnte genauere Kunde der ganzen Denk- und Redeweise
des Dichters, ja ohne antiquarisch- historische Studien ausgedehnter Art, seine
zu lösen nicht im Stande seyn wird. Diese wird ihn lehren, in man-
-allen mit der Vorsicht zu verfahren, die gerade bey dii
ter von Manchen ausser Acht gelassen wordeo ist.
kein Tedel der Art treffen können: er hat vielmehr
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Kurie Anzeigen.
•37
ältesten handschriftlichen Ueberliefernng ihr Recht widerfuhren lassen nad sieb
bestrebt, einen correcten, der handschriftlichen Grundlage möglichst sich an**
nähernden Text zu liefern. Die nähere Begründung dieses Textes wird man
dann in der mit deutscher Uebersetzung und deutschen Anmerkungen ausgestat-
teten Bearbeitung dieses Dichters, von welcher 1847 der erste Band erschien,
so wie in den seitdem erschienenen umfassenden Commentaren einzelner Sati-
ren in den Snpplementbänden der von Klotz und Dietsch herausgegebenen Jahr«
bücber der Philologie zu suchen haben, da der Herausgeber in der Präfatio nur
kurz die Hnuptänderungen, die er im Texte vorgenommen, angibt und die Gründe
für Beibehaltung der Vulgata meist nur andenten konnte, indem er die ausführ-
lichere Begründung einer andern Gelegenheit vorbehält.
Die schwierige Aufgabe, welche dem Herausgeber des Vcllejus Pa-
le reu Ins bey dem Mangel urkundlicher Ueberlieferung und dem mangelhaften
nnd lückenhaften Zustande dessen, was wir von diesem Autor noch besitzen,
zugefallen ist, wenn er anders seine Aufgabe gewissenhaft lösen will, ist hier
in der Weise gelöset worden, die mit dem Zwecke und der Tendenz des gan-
zen Unternehmens in Einklang steht. Einen so weit als möglieh lesbaren nad
verstandlichen Text zu geben, war hiernach allerdings die nächste Pflicht, die
es auch kaum gestatten konnte, offenbare Verderbnisse dos Textes unbeachtet zu
lassen oder der Edilio prineeps blindlings zu folgen: der Herausg. war also auf den
Weg der Verbesserung hingewiesen, den er jedoch mit grosser Vorsicht einge-
schlagen bat. Wo nun eine solche Aenderung im Texte vorzunehmen war, hat
er nicht unterlassen, diess durch einen veränderten, cursiven Druck der Worte
im Texte selbst anzudeuten, und eben so die von ihm versuchten Ergänzungen
durch die gleiche Schrift, so wie eckige Klammern bemerklich zu machen: nnd
wenn er Manches, was in der Edilio Prineeps steht, und hiernach wohl aach
in der Murbacher Handschrift vorkam, aber den gerechten Verdacht eines Glos-
sem's an sich trägt, nicht aus dem Texte liess, aber das Einschiebsel durch die
beigesetzten Klammern andeutete, so wird man seiner Gewissenhaftigkeit wahr-
haftig keinen Vorwurf darüber machen wollen. Auch in der Interpunction wie
selbst in der Orthographie wird man im Ganzen dem Herausgeber alle Gerech-
tigkeit widerfahren lassen müssen. Ein genaues liegister (Berum index), wel-
ches dem Abdrucke den Textes folgt, bildet eine branchbare Zugabe,
• ■
Zur Erklärung des Horas. Einleitungen in die einzelnen Gedichte nebst er-
klärendem Register der Eigennamen von Fei. S eb. Feldbausch. Erstes
Bändchen. Oden und Knuden. Heidelberg. Akademische Verlaasbuchhand-
lang von C. F. Winter. 1851. XV 111 u. 135 S. in gr. 8.
Diese Schrift bat einen praktischen Zweck: sie ist bestimmt für die Schule,
zunächst für den mündlichen Unterricht, den sie fördern und unterstützen soll,
indem sie dem Schüler dasjenige mittheilt, was bey diesem Unterricht als Grund-
lage dienen, mithin auch demselben vorausgeben soll; sie ist zugleich die Fracht
vierjähriger Studien and einer reichen Erfahrung, welche dem Verfasser es sris
zweckmässig erscheinen liess. die Einleitungen, die er bey der Leetüre der Hör a tischen
Gedichte seinen Schülern in die Hände zu geben pflegte, um sie dadurch einzurühren
in den Inhalt und die Tendenz jedes einzelnen Gedichtes, dadurch aber dessen rieh-
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938 Karze Anzeigen.
tige Auffassung vorzubereiten, in einer diesem Zwecke entsprechenden F<
▼eröffentlichen und damit zu einem Gemeingut tn machen, das, wir
erwarten es auch, in weiteren Kreisen seine Verbreitung finden and der
Horazischen Gedichte, anregend und fordernd, zur Seite gehen wird. So
es ans auch an Ausgaben der Horazischen Gedichte, mit und ohne NoU
die Schule wie für den gelehrten Bedarf hergerichtet und zugeschnitten
Weise in die Leetüre der Horazischen Gedichte einfuhren and
während dieser Leetüre zur* Seite stehen . sie auf die Hauptpunkte . am
die sich Inhalt und Tendenz des Gedichtes, uud damit auch
dreht, hinweisen und überhaupt mit Allem dem, was der
Kruft nun einmal nicht zu finden vermsg, bekannt tünchen sim <
ben mit gelehrtem Apparat zu überschütten, oder für ihn
i, welcher des eigenen Nachdenkens and
sligkeit jeder Art einladet. Denn anregend und
Forschung und tieferem Eingehen anleitend soll ein solches Hülfsmiltel seyn,
anders seine Zwecke erreichen und den mündlichen Unterricht
soll. Dass ein so erfshrener Schulmann, wie der Verf.
lass alle die andern Rücksichten, welche bey
m «-«»rderung des mündlichen Unterrichts bestimmten Buches in
trftcli \ kotTimcn^ i^Ijc ii so LjcoIjqc litt>l^ und überhaupt nir^ontJ^^ im Cjsmpn
im Einzelnen , der bemerkte Zweck aus dem Auge verloren werde. Und man
dem Zu Viel wie dem Zu Wenig ist er in keiner Weise
; was er aber gibt, tragt den
ren soll. Bey dem hier und dort selbst massenhaft angereicherten Apparat, den
die gelehrte Forschung unserer wie der früheren Tage für die Erklärung des
Horath» zusammengebracht hat, galt es vor Allem, dasjenige
len, was für den Zweck der Scholauslegung zunächst als Einleitung und
führung nothwendig erscheinen konnte, dieses dann aber in möglichster Ge-
drängtheit und Bestimmtheit, als das Ergcbniss der bisherigen Forschungen ror-
zulegen, auf diese Weise irrigen Pfaden der Auslegung von vornherein zu ent-
gegnen nnd jedes Schwanken der Meinungen selbst da abzuschneiden, wo die
Ansichten der gelehrten Ausleger vielfach auseinandergehen,
die ganze
Lieder zu erseblieasen und in
'i )•
zu erwecken. Diese
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Kurie Anzeigen. 939
der Schüler näher [kennen so lernen, und dann auch am ersten die Mittel der
Abhülfe su finden. Die umfassende Bekanntschaft mit Allem dem, was die
Horazische Literatur der lesten Jahrzehnte so gut wie der früheren Periode
hervorgebracht hat, leuchtet überall durch, auch ohne dass in sahireichen diä-
ten — die in einem solchen Buche nicht gut angebracht waren — die sicht-
baren Beweise davon vorlagen: nur die Stellen der alten Autoren, die der Schü-
ler selbt nachsehen und nachzuschlagen im Stande ist, sind mit aller Sorgfalt
angeführt; Polemik aber, zu der es bey der Erklärung der Horasischen Gedichte
and der hier oft so fühlbaren und störenden Divergenz der Ansichten der gelehr-
ten Ausleger an Veranlassung auch nicht fehlt, ist fern gehalten, wie es die Be-
stimmung der Schrift mit sich brachte; und da, wo die Anführung verschiede-
ner Ansichten über die Auffassung einer Ode nicht zu umgehen war, ist diess
in einer Weise geschehen, die mit Entfernung aller Persönlichkeit den Schüler
gleich darauf hinweist, nur die Sache selbst und den Gedanken ins Auge zu
fassen. Wenn daher, um wenigstens Ein Beispiel anzuführen, von den Peerlkamp-
seben Phantasien in der Regel Umgang genommen wird, so wird man, im Hin-
blicke auf Zweck und Tendenz des Ganzen, diess vollkommen billigen müssen.
Der Verfasser beginnt seine Schrift, wie natürlich, mit „Notizen über das
Leben und die Dichtungen des Horazu, denen eine allgemeine Einleitung zu den
Oden, mit einer Ucbersicht der Versmasse , welche in diesen jOden vorkommen,
nachfolgt. In gedrängter Kürze, aber in möglichst bestimmter Form der Fas-
sung wird hier Alles dasjenige mitgetlieiit, was mit Sicherheit und Bestimmtheit
über das Leben des Dichters zunächst aus dessen eigenen Aeusserungen sich er-
gibt, weshalb auch die betreffenden Stellen angeführt werden, jeder weitere ge-
lehrte Appanit aber weggefallen ist. Man wird hier (um auch hier wenigstens
Einen Punkt zu erwähnen) insbesondere das Verhiltniss des Dichters zu Au-
gustus in einer eben so richtigen nnd wahren als präeisen und klaren Passung
dargestellt sehen, was allerdings schwierig war. Auf diese allgemeine Ein-
leitung folgt die in die einzelnen Oden speciell einleitende Erklärung in dar
Art und Weise, dass in einzelnen mit Nummern bezeichneten Absätzen oder Pa-
ragraphen zuerst über Veranlassung und Bestimmung der Ode gehandelt, also
auch über die Anrede oder Dedication das NOthige bemerkt und die erforder-
lichen Personnlnoli/.cn mitgetheilt, die historischen Punkte angegeben werden,
endlich auch da1, wo solches möglich ist, die Zeit der Abfassung des Gedichts
bezeichnet wird; dann kommt die Angabe des Thema's der Ode, des in der-
selben hindurchgeführten Gedankens, mit den nöthigen Bemerkungen über die
Art nnd Weise, wie derselbe hindurchgeführt ist, also über den innern Znsam-
menhang des Gedichts, den Ideengang u. s. w. Einzelne für die Erklärung be-
sonders schwierige oder durch das Schwanken der Lesart nicht sicher gestellte
Verse oder Worte werden am Schlüsse noch besonders bezeichnet, um die Auf-
merksamkeit des Schülers auf dieselben zu richten und so der mündlichen Ver-
handlung noch mehr Reiz zu verleihen. In dieser Weise werden in diesem Bändelten
die 4 Bücher Oden nebst denEpoden, über welche 'sehr zweckmässig eine besondere
Einleitung, welche die bey diesen Gedichten zu beachtenden allgemeinen Punkte
feststellt, durchgangen; nor die überaus gedrängte Sprache, die musterhafte Pri-
ciston des Ausdruckes konnte, boy dem ernsten Streben überall nur auf daa We-
sentliche sieb zu beschränken und die Tendenz des Ganzen unverrückt im Auga .
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940
Kurie Anzeigen.
sn behalten, es möglich machen, auf den verhältnismässig geringen Kaum die-
ses Bändchens die gtsammte Erklärung dieser fünf Bücher Horazischer Dich-
tungen zusammenzudrängen. Der Schüler, der durch diese Erklärung in die
Leetüre eines jeden Gedichtes eingeführt ist, wird dann auch desto besser alle
diejenigen Gegenstände, welche der mündlichen Erklärung and Discussion vor-
behalten bleiben müssen, au erfassen im Stande seyn; er wird das Ganse schnel-
ler begreifen und in Wesen nnd Geist dieser Poesien, im Ganzen wie im Ein-
zelnen, desto leichter eindringen, ohne dasi der Gründlichkeit des Studiums ir-
gend ein Eintrag geschieht, sondern dieselbe vielmehr gefördert wird. Aus die-
sem Grunde wünschen wir das auch in seinem Aeossern wohl ausgestattete und
durch correcten Druck sich empfehlende Buch in den Händen recht vu-ler Schü-
ler zu sehen und hoffen weitere Verbreitung desselben aller Orten , wo noch
Liebe zum Studium der Alten den zerstörenden Zeitrichtungen nicht zum Opfer
gebracht worden ist. Das zweite Bündchen mit den Satiren nnd Episteln be-
findet sich bereits Unter der Presse und dürfte seiner baldigen VoMeodnng ent-
gegensehen; demselben wird auch ein erklärendes Register der in den Hecasi-
tehen Gedichten vorkommenden Eigennamen beigefügt seyn, in weiches zugleich
alle die mythologischen, geographischen oder historischen Notizen aufgenommen
sind, welche dem Schüler nothwendig zum Verständnis» sind, und so bey der
mündlichen Erklärung übergangen oder doch nnr kurz berührt werden dürften.
Prolegomena in CalUmachi Amu>v Fragmente. Scripsit Dr. Ollo Herrn. EL
Schneider. Gotha iS51. (Programm). Druck der Engelhard-Reycher-
Hofbuchdruckaü. 18 S. gr. 4.
, die sich in
\%Ült darf wohl ala
Uswlj Uql i Y¥ HUI «IS
der
im Wege
Es ist
Pfnde
*» I *> fr i* n /• h f» f I ■ In 1» | vfin jIj*ti
»•"(j'*VUCt I/rVUllfl T^sTM U V II
nnd doch ist von
d h.
wird: das
das ausdrücklich, als aus
gien
des Callüuacbus als ein
für ein episches, in
Lit. IL p. 1036) hatte richtig
die Ai'tt« in
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Kon« AauifM.
tern Zeit, insbesondere den feiehrten Grammatikern citirt werden. Unser Ver-
fasser geht, wie man siebt, noch einen Schrill weiler und da Callimachus; in
diesem Werke, wie man aus dem Gedichte der Anthologie Palat. VII, 42 ersieht,
sich im Traume ron Lybien aus m»ch dem Helicon versetzt, dorl mit den Mu-
sen verkehrt, und not da/, was er von diesen vernommen, mittheilt, so schliesst
der Verlesser weiter daraus, dass Callimachus dieses Gedicht in Libyen (also
in seiner Heimalh Cyrene) und nicht in Aegypleu, (Alexandria) und damit also
euch nicht in späteren Jahren, sondern in seiner Jugend gedichtet habe. Wir
wollen diesen Scbluss nicht geradezu abweisen, wiewohl wir glauben, dass eine
solche Einkleidung des Gedichts eben so gut von dem Dichter zu Alexandria
wie zu Cyrene gewählt werden konnte, überdem auch der gelehrte Inhalt der
Afria doeh im Ganzen uns mehr auf eine Abfassung in dem gelehrten Alexen-
dria, wohin Callimachus schon früher gekommen war, und wo ihm alle Schätze
mythischer Erudition zu Gebote standen, führt. Was aber die vom Verf. hier
ausgesprochene Ansicht über den wahren Bestand der Ai'ua betrifft, so wird
man allerdings staunen, wenn man sieht, wie ein angeblich dem dritten Buch
4er Ai'rta entnommener Vers, in deT Thal als ein der Elegie Kuottton, entnom-
menes Bruchstück erscheint. Dieses und Anderes, was der Verfasser zu Begrün-
dang seiner Behauptung anfuhrt, mag in der gründlichen und scharfsinnigen Er- *
örterung selbst nachgelesen werden, namentlich auch die Behandlung der Stelle
des Propertius II, 34 (III, 32), 31 sq., in welcher die somnia Callimachi auf
diese dem Dichter im Traume von den Musen eingegebenen Elegien, also auf
die AtTta bezogen werden; hier wollen wir nur bemerken, dass, hat man ein-
mal diese Ansicht über die Aftm angenommen, dann auch eher Raum gewon-
nen ist, um viele einzelne Bruchstücke, die ohne nähere Bezeichnung der Quel-
len vorkommen, in diesem Corpus der Elegien unterzubringen, wenn auch gleich,
wie diese der Verf. selbst an mehreren Beispielen gezeigt, grosse Vorsicht dabei „
anzuwenden ist. Die schwierige Frage, wie diese Fragmente zu ordnen und was
denn eigentlich Inhalt und Gegenstand der einzelnen Theile, d. h. der vier Bü-
cher der AI' na gewesen, sucht der Verf. dadurch zu beantworten, dass er, so
weit als diess nur immer bey dem geringen Umfang und der geringen Zahl der
Fragmente möglich ist, im Allgemeinen die Gegenstände ermittelt, welche in
diesen Fragmenten behandelt werden und dann dieselben von einander nach
Gruppen scheidet. Aus dieser schwierigen, aber mit Vorsicht bey einem so dun-
keln Gegenstand geführten Untersuchung glaubt der Verl. immerhin mit einiger
Wahrscheinlichkeit das Resultat zu gewinnen, dass im ersten Buche der Aitta oder
vielleicht auch erst im dritten (obwohl diess minder wahrscheinlich bedünkt) von
den Agonen die Rede gewesen, im zweiten die xosjstc enthalten, im vierten aber
von den Veranlassungen zu den religiösen Gebräuchen gebandelt worden wsry
im dritten wären dann, so wird weiler vermulhet, die ErGnder von Dingen, die
dem menschlichen Leben nutzlich und erspriesslich sind, gefeiert wordeu (S. 6).
Aber mit diesem ellgemeinen bloss mutmasslichen Ergcbniss begnügt sich der
Verfasser nicht, er sucht einen festeren Boden zu gewinnen und auf diesem dann
nein Gebäude mit mehr Sicherheit nach seinen einzelnen Bestandteilen aufzu-
führen. Diesen Boden findet er nun in den Fabeln, welche den Schluss des un-
ter dem Namen eines Hyginus auf uns gekommenen Fabelbuches bilden und als
besondere Abschnitte desselben mit den Kümmern 273-277 bezeichnet sind.
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942 Kurze Anzeigen
Er weist hier nach, dass eap. 274 aus Commentaren und Glossen des Virgil
zusammengesetzt ist und der Erklärung dieses Dichters angehört, mithin auszu-
scheiden war , dass «her cnp. 275 und 276 zusammen gehören, so dass die drei
Abschnitte, die wir auf diese Weise gewinnen, der erste (273) von den Spielen,
der zweite (275 276) von Städtegröndern, der dritte (277) von den Erfinden
handelt, wir also hier dieselben Gegenstände finden, welche Callimachus in den
drei Büchern der Ai'tia nach des Verfassers Annahme, gemäss den Sparen der
Fragmente, behandelt hatte. So erscheint dem Verfasser der Inhalt
Capitel des Hyginus seinem Wesen nach — wenn auch Einiges ans
ten noch hinzugekommen — aus Callimachu« entnommen und so ge
ten den Gesammtinhalt und Bestand der verlornen Ai'-na darzulegen, so
dann als die weitere Aufgabe der gelehrten Forschung erscl
diesen Abschnitten des Hyginus auch den Inhalt der Aittot im
nach ihren einzelnen Gesängen oder Theilen möglichst genau und
mittein. Das Wagestück eines solchen Versuches hat nun der
ser unternommen; er versucht es in dieser Schrift die
sten Buchs der Ätna des Callimachus — vierzehn
vierzehn in dem erwähnten Abschnitt des Hyginus
teln und darnach auch Ihren muthmasslichen Inhalt zu
die verschiedentlich auf uns gekommenen Bruchstücke
gereiht werden, wohin sie nach des Verfassers Annahme wohl gehören dürf-
ten. Wir können hier nicht in das Detail dieses Versuches, der «einer Natur
nach manches Problematische noch enthält, eingehen, glauben aber doch un-
sern Lesern die Versicherung geben zu können, dass der Verfasser bey
seinen Combinationen mit einer Vorsicht zu Werke gegangen, f
UebergrifTen, wie wir sie auf derartigen Gebieten schon erlebt
und der Schrift den Charakter der Gründlichkeit, die tie in allen
anzusprechen hat, erhalten hat. Darum wünschen wir
dieser Forschungen und Vollendung der noch fehlend
es eben so sehr im Hinblick auf Call imac hus, wie aelbst auf Hyginnl,
dessen Fabelbuch es wahrhaftig verdient, dass ihm eine grössere Aufmerksam-
keit, eben so wohl in Bezug auf seinen Inhalt , wie in Bezug auf die Form, in
der es auf uns gekommen ist — eine mehrfach ei
Theil werde, und, was den erstem Funkt betrifft,
forscht uud näher bestimmt würden, aus welchen der Inhalt
diese aber nur in den Dichtern, insbesondere dei
chen sind, glaubt Ref. wohl nachweisen und selbst <
nisse erhörten zu können. Hat man aber die Quellen nur
telt, so wird auch der Zusammenhang des Ganzen, so wi
selben sich eher ermitteln lassen; es wird sich dann der
von dem Beiwerke, dass Gott weiss wie hinzugefügt worden — wir
zuuächst an die von Nr. 221 an folgenden Abschnitte — ausscheid»
wahre, jetzt durch manche Einschiebsel, wie es scheint, gestörte
ursprünglichen Bestandes auch eher herstellen lassen, da wir nicht
der Verfasser des Fabclbuchs in Anordnung des Inhalts nach
Princip verfahren und einem in dem Inhalt und in
begründeten Gange gefolgt sey, dessen Wiederherst
der Kritik seyo mui», die freilich hier noch manche Auigthe^a fit» j*
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Nr. 60.
HEIDELBERGER
1851.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Excerptorum ex Plinii Secundi naturalis historiae libro XXXV Tarticula L
Commentario critico et exegetico inslruxit, Germanico sermonc inlerprelatus
est J. Chr. Elster, phil. Dr.. et gymn. Conrector. Hehnstadt. 1851. 4.
(Programm) 31 S.
Wenn uns auch jetxl endlich die Aussicht eröffnet ist, einen urkundlich
getreuen Text des Plioius und damit zugleich eine sichere Grundlage für alle
weiteren Forschungen zu gewinnen, die an den Inhalt des in alle Zweige un-
aerer Alterthumskunde einschlagenden Werkes sich knüpfen, so wird doch das
volle Verständniss dieses Schriftstellers bei dem gewaltigen Umfang und dem vielsei-
tigen Inhalt der Historia naturalis nur nach und nach durch eine Reihe von
einzelnen Beiträgen angebahnt werden können, wie sie bisher in nicht sehr gros-
ser Zahl erschienen sind. Darum glauben wir auf diesen Beitrag, welcher auf
die sechs ersten Capitel des XXXV Buchs sich bezieht und ausser dem lateini-
schen Texte eine diesem gegenüberstehende deutsche Ucbersetzung nebst einer
Annotalio bringt, welche in diesen Abschnitten die sprachlichen wie die sach-
lichen Punkte berücksichtigt, mit allem Recht hier aufmerksam machen zu dür-
fen und daran auch den Wunsch zu knüpfen, noch öfters derartige Beiträge hier
anfuhren zn können. Was zuerst den Text betrifft, so ist dieser hier nach dem
von Sillig in der Teubnerischen Ausgabe (Leipzig 1836) gelieferten abgedruckt,
mit nur wenigen Veränderungen, wobei wir allerdings es zu bedauern haben,
dass die von demselben Gelehrten im Jahre 1849 als Probe des Ganzen gelie-
ferte Separataosgabe des fünf und dreißigsten Buches (s. diese Jahrb. 1849.
p. 506 ff.) von dem Verf. nicht gehörig berücksichtigt werden konnte, da sie
ihm erst zu Gesicht kam, als der Druck seiner Arbeit — eines an ehie bestimmt«
Zeit des Erscheinens gebundenen Programmes — bereits begonnen hatte. Im
Ganzen hält sich der Verfasser an die herkömmliche Vnlgata, ohne den Einfal-
len mancher Gelehrten grössere Rücksicht zn zollen, als die einer angemessenen
Widerlegung, während er in Aufnahme eigener Verbesserungsvorschläge höchst
vorsichtig und selbst zurückhaltend ist, was man im Allgemeinen nur billigen
kann, wiewohl allerdings es an Stellen nicht fehlt, in welchen die von Sillig,
zunächst auf handschriftlicher Grundlage, aufgenommene Lesart unbedingt den
Vorzug verdienen dürfte. Die Anuotatio sucht mit aller Sorgfalt und Genauig-
keit die sprachlich oder sachlich schwierigen Punkte in das gehörige Licht zu
setzen und zeigt uns hier bald, wie vertraut der Verfasser mit seinem Schrift-
steller durch vieljährige Leetüre und eifriges Studium geworden ist, und wie
ihm auch aus der neuern Literatur nichts entgangen ist, was zur Aufhellung
einzelner Stellen dienen konnte. So wird z. B., um einen Beleg unserer Be-
hauptung hier zu geben, in der schwierigen Stelle des Plinius C. II §. 11 über
Kurze Anzeigen.
(Schluss.)
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944 Karze Anzogen»
ton, dann aber die in der Thal nicht unpassende Bemerkung hmzulugt: „res per
se incerta, in dies fit incerlior, tot hominum doctissimorum sententüs inter sc
pugnanilDUS. uer Ten. ginuui jeaematis ^„noc pro ceno siniui esse Yiacmr jy
msn dürfe Varro's Erfindung weht se auffassen, als habe er zuerst irgend ein
Mittel der Vervielfältigung von Bilderu selbst erfunden, da er ja gar kein Künst-
ler gewesen: es bleibe daher nur übrig anzunehmen, dass Yarro die von ei-
nem andern (Künstler) gemachte Erfindung zuerst auf Bücher angewendet, diese
Erfindung aber habe Plinins selbst wohl kaum gekannt. Wir gestehen, dass wir
uns mit dieser Auffassung der Stelle des Plinius, welche dem Yarro ausdrücklich
ein „benignissimum inventum" zuschreibt und denselben als „inventor mnneris
etiam diis invidiosi" o. s. w. bezeichnet, keineswegs befreunden können, selbst
dann, wenn wir annehmen wollten, dass Plinius keine nähere Kenntniss dieser
Erfindung gehabt, (was wir bezweifele) so unklar auch des PKnius Angabe übet
diese Erfindung ist und insbesondere der den bemerkten Worten (inventor m.
et. if. i.) angehängte Satz : „quando immortalitatem non solnm dedit verum etiam
in omnes terras misit, nt praesentes esse et nbique cludi (eredi) possent" in sei-
ner üeberschwenglichkeit eben so unbestimmt und unklar für denjenigen gehal-
ten ist, dem es wahrhaft um Sinn und Bedeutung dieser Steile zu thnn ist
Wenn wir hier cludi gegeben haben, so sind wir (mit Sillig) der Lesart
der alteren Handschriften gefolgt; wir denken auch mit diesem Herausgeber
an Verschluss oder Aufbewahrung der Imagines in Kapseln oder in Irgend
Etwas Aehnlichem; credi, was erweislich Lesart der jüngeren und schlechte-
ren Handschriften ist, wird von nnserm Verfasser vorgezogen und demgemiss
die ganze Stelle fblgendermassen übersetzt: „sondern sie auch in aHe Lender
entsandle, so dass an ihre Allgegenwart geglaubt werden konnte." Wir können
ans von der Richtigkeit eineT solchen Lesart, die einen solchen Sinn geben soll,
nimmermehr überzeugen.
Badlttche Programme des Schuljahr* 18*1.
Wir begianea diesen Bericht, hinsichtlich dessen wir uns auf die wieder-
holt in diesen Blättern, zuletzt noch Jahrg. 1850 p. 935 abgegebene Erklärung
beziehen, sait dem Lyceum zu Carlsruhe, dessen Programm, die folgende
wissenschaftliche Abhandlung beigegeben ist:
De junclarum in prtenndo mammm origine indo-germanica et um inter jAainws
Christianos adscito quatstkmem indici ketumum in Lyeeo CaroUrukenn —
hatoarwn adjvnxit Carolas Fridericui Vierordt Cum tabula Is-
tkographica. CaroUruhae fypis G. Bramumi typogrupk« mm* MDCCCU
43 S. in er. 8.
Der Gegenstand dieser Erörterung ist aus dem Kreise der christlichen AI-
terthüraer entnommen ; er schien dem Verf. einer näheren Erörterung schon ans
dem Grunde würdig, weil er in den diesem Zweig der christlichen Wissenscfcall
angehörigen Schriften diese völlig vermisste und hier nlhere Aufkrärun* ver-
geblich suchte. Die christliche Sitte des Zusammenschlagens der Hände bei de«
Gebel ist es, deren Ursprung darum der Yerf. nachzuweisen Yenudrt: er geht
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945.
desshalb in die vorchristliche Welt zurück und sacht, so weil eis möglich, zu
zeigen, in welcher Art and Weise die Hände bei dem Gebet gehalten worden
und so ge wissermasscn ihren Antheil an der heiligen Handlung bezeugt; es ist
auch, am dies anschaulich zu machen, eine lithographische Tafel beigerügt, auf
welcher Abbildungen der bei dem liebet in verschiedener Weise zusammenge-
echlungenen Hände gegeben werden. Nach des Verf. Ansicht kommt das Zn-
sammenfalten beider Hände bei dem Gebete, wie diees jetzt bei uns allgemeine
Sitte geworden, zuerst bei den alten Germanen vor, welche diese Sitte über
die andern Theile Europa's, in welche sie nach und nach eindrangen, ausge-
breitet, jedoch keineswegs selbst erfunden, sondern aus ihrem Stammland Asien
mitgebracht haben, also lange Zeit vor ihrer Bekehrung zum Christenthum. In
Asien, auf indischen Denkmalen glaubt der Verf. zuerst das Zusammenschla-
gen der Hände wahrgenommen zu haben, und da nuo — so wird weiter an-
genommen, Indien das Vater laad der Germanen ist, so haben diese aus Indien
diese Sitte mitgebracht nach Europa und durch diesen Welttheil weiter verbret-
tet: die ganze Sitte erscheint hiernach in ihrem Ursprung als eine indische,
somit heidnische, auf das Christenthum später fibertragen. Dass bei einer
solchen Argumentation Bedenken jeder Art für den, der auf dem Standpunkt der
Kritik steht, nicht ausbleiben können, wird sich der Verf. selbst nicht verheh-
len; man wird es daher auch dem Ref. nicht verargen, wenn er sich nicht ent-
schlicssen kann, dem Verf. auf der weiten Roiso nach Indien za folgen, weil
ihm dazu alle Mittel abgehen und aller sicherer Grund und Boden fehlt, den
einige an Indischen Denkmalen (ans ganz ungewisser Zeit) befindliche Karyati-
den mit zusammengelegten Hinden eben so wenig zn bieten vermögen, als
die in dieser Schrift angeführten Stellen des Ammianus Marcellinus (XVI, 12),
oder gar des Tacitus (in der Germania cp. 39), worin sich eben so wenig Etwa»
von dem entdecken lässt, was datans erwiesen werden soll. Sicher ist et
allerdings, dass die heidnische Sitte des Ausstreckens der Hände bei dem Ge-
bet (s. die Wach Weisungen bei C. Hermann: Gottesdienstl. Alterthümer d. Grie-
chen §. 21 not. 10) auch auf die ersten Christen überging; diess zeigen uns,
um von Anderem nicht zu reden, die von Bellermann aus den Katakomben Nea-
pel's bekannt gemachten Darstellungen, welche in eine sehr frühe Zeit hinauf-
reichen; diess zeigen noch die zahlreichen, betend dargestellten Flgureu anf der
prachtvollen Dalmatica Pabst's Leo III. (795-816), welche die Kaiser bei der
Krönung in der Peterskirche zu Rom anlegten, einem Werke byzantinischer
Kunst; das zeigen noch gar manche andere bildliche Darstellungen, die wir hier
nicht weiter verfolgen wollen; aber wie diese Sitte schon frühe in einem höheren,
Meieren cnnsiiicnen diene geueuici waru, aas senen wir scnon.aus aen w orten aes
Augustinus, die unlängst auch Lassaulx in seinem schonen Programm über die
Gebete der Griechen und Römer S. 11—13 benutzt hat; eben so wie auch das
Zusammenfalten der Hände in einem vom Verf. S. 26 mitgetheilten Schreiben
des Pabstes Nicolaus I. ans dem Jahre 866 in einem höheren Sinne als Zeichen
der Denrath aufgefasst wird. Wie nahe es aber lag, von dem blossen Ausstre-
cken der Hunde bei dem Gebete auch zu einer Vereinigung und Verbindung
derselben zn schreiten und dadurch der ganzen heiligen Handlung eine noch
höhere Bedeutung auch äusserlich zn geben, ja vielleicht selbst dadurch einen
_ — _ _ . . _ _ _ _ _
wird
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and so »weifein wir aach nicht, dass es dem Verf. bei einem tieferen Eingeben
in die kirchlich-liturgische Literatur der früheren christlichen Jahrhunderte ge-
lingen werde, daraus den Ursprung und die Verbreitung einer Sitte nachzuwei-
sen, die wir un« nicht entschließen können, von den Gestaden des indischen
Oceans herzuleiten, die wir aber viel lieber, als eine ficht christliche anerkannt
sehen möchten. Das von der französischen Regierung grossartig (durch Be-
willigung eines Credits von 180,814 Francs) unterstützte Werk des Herrn »Per-
ret über die Katakomben. Roms, welches die darin befindlichen, der Mehrzahl
nach bis jetzt unbekannten bildlichen Darstellungen, die grossen Theils bis in
das dritte und vierte Jahrhundert zurückgehen, zum andern Theil aber den nächst
folgenden Jahrhunderten angehören, in einer Reihe von Abbildungen! mit erklä-
rendem Texte liefern soll, dürfte dann wohl auch einen Beitrag znr Lösung die-
ser Frage erwarten lassen, du jedenfalls, noch dem, was bis jetzt schon verlau-
tet ist, betende Personen mehrfach, und aus verschiedenen Perioden in diesen
Darstellungen vorkommen.
In Constanz erschien:
Die polilische Ansicht des römischen Geschichtschreibers Tit. Linus, eine histori-
sche Abhandlung wn Fr. X. Frühe, Lehramtspraktikant. Constanz 185t.
Druck von Joe. Stadler. 52 p. in gr. 8. (Motto: Fructmn studiorum ein-
Wpt/i t>t fi/lhiir ti)i lep iti nvntnx Ä.pcpI /tum f*L t v>) iitp ct>pc »•*/ pl mint. ftiT.ftv
. et audere non dedecet. Quinct. XII, 6.)
Wenn der Gegenstand dieser Abhandlung ein allgemein anziehender ge-
nannt werden kann, so wird diess auch von der Behandlung, welche demselben
hier zu Theil geworden, in gleichem Grade gelten können, man mag auf den
wohlgeordneten Inhalt der Schrift sehen, wie auf die passende Form, durch
welche der Inhalt auch für ein grösseres Publikum zuganglich geworden ist.
Den Inhalt hat der Verfasser aus der unmittelbarsten Quelle, aus den Schriften
des Livius, denen er zu diesem Zweck] ein sorgfältiges Studium gewidmet hat,
genommen, und es ist ihm, obwohl Livius nirgends ex professo über seine po-
litischen Ansichten sich ausspricht, doch gelungen, aus einzelnen , hier und dort
bei dieser oder jener Gelegenheit niedergelegten Aeusserungen, in Verbindung
mit einer richtigen Erkenntniss und Würdigung des Geistes, der das ganze Werk
dnrehweht, ein Resultat zu gewinnen, das, wenn man das Unbefriedigende der
Quellen, die jetzt nicht mehr in ihrer Vollständigkeit fliessen, sondern nur einem
kleinen Theile nach, und die Schwierigkeit, die eigene Ansicht des Geschieh i-
arhr»ihera herauaxiifinrlen und nicht mit den Anftichtan der von ihm redend ein«
Dvlil Wll/Vl SW SJV1 (lUJItUIIUUVll UUU ■ ■• V U V Stil* \* \* U * &&WIWI1IVU \M \, ■ W U IM1U • w \* u VW
geführten Fartciin;inner zu verwechseln , erwägt , wohl als befriedigend aner-*
kannt werden dürfte. Der Verf. hat die Darstellung der politischen Ansichten
des Livius ganz gut eingeleitet durch eine Betrachtung der gesammten Persön-
lichkeit des Mannes, der die Schwächen und Gebrechen seiner Zeit mit klarem
Blick erkannte and doch dabei so sehr Patriot und Römer ist. dass ihm Horn
über Allem steht,! »°d dessen Verherrlichung seinen Griffel geleitet hat; der
Verfasser schildert den Charakter des Livius , wie dessen Beruf und Befähi-
gung zur Geschichtschreibung, er legt uns Tendenz und Zweck des umfassenden
Werkes vor, das eben durch eine solche Tendenz einen Eindruck auf die Mit-
welt ausüben and vielleicht dadurch zur Besserung der Zustände, oder doch zur
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Vermeidung: einer Wiederkehr der kaum glücklich überwundenen Revolutions-
periode führen, jedenfalls dazu mitwirken sollte.
Nach Erörterung dieser Vorfrage bespricht der Verfasser die Ansicht des
Livius über die Monarchie, er zeigt aus einer Reihe von Acusserungen des Ge-
sebichtschreibers, dass derselbe keineswegs für einen Anhinger der Monarchie,
(zumal einer solchen, an welche der Römer seit Jahrhunderten bei dem Worte rex
und regnum denken mochte) angesehen werden kann, „man werde, sagt der
Verfasser S. 28 weder eine unbedingte, noch eine bedingte Monarchie als die-
Nebe gehabt hätte." Wir zweifeln nicht an der Richtigkeit dieses aus bestimm-
ten Aeusserungen des Livius hervorgehenden Satzes, und glauben selbst damit
die ehrende Rücksicht auf Augustus, die in der Stelle IV, 20 offenbar ausge-
sprochen ist — er nennt ihn templorum omnium conditorem aut restitutorem —
vereinigen zu können, da ja zu der Zeit, als Livius schrieb, die republikani-
schen Formen der früheren Zeit so ziemlich noch bestanden, von einer Monar-
chie oder einem Königthum, wie es Livius und die Römer früher überhaupt auf-
gefasst hatten, damals noch keine Rede war, wenn auch gleich die Sache
in der militärischen Dictatur eines Einzelnen vorhanden war. Wären die spä-
teren Theile des Litauischen Werkes noch vorhanden, so würden wir wohl
eher im Stande sein, die Ansicht des Livius über das Principal des Augustus zu
erfahren; dass aber Livius nicht ungünstig darüber geurtheilt hat, dass er in
ähnlicher Weise, wie ein Horatius und selbst wie ein Tacitus, darüber sich aus-
gesprochen, ungeachtet aller seiner Vorliebe für die ältere römische Aristokratie,
möchten wir wohl aus Manchem vermuthen, und für diese Vermuthung selbst
eine Stelle aus dem Schluss der Episode über Alexander den Grossen im nenn-
ten Buche cp. 19 anführen: „absit invidio verbo et civilis bella si-
leant, nunquam ab cquite hoste, nunquam a pedite, nunquam aperta acie, nun-
quam aequis utique nunquam nostris locis laboravimus; equidem sagittas saltus
impeditos avia commeatibus loca gravis armis miles timere potest: mille acies
graviores quam Macedonum atque Alezandri avertit avertetque, modo aitper-
petuus hujus qua vivimus pacis amor et civilis cura co ncordiae."
Wie hier die Beziehung auf die Parther und die Kämpfe der Römer mit densel-
ben unter der Regierung des Augustus (vgl. Hör. Od. IL, 13, 17) unverkennbar
ist, so ist auf der andern Seite aus den Schlussworten ebenso sehr der Wunsch
nach ruhigen geordneten Zuständen, wie die Regierung des Augustus sie ge-
bracht hatte, also auch nach einer ungestörten, ruhigen Fortdauer dieser Regie-
rung, mithin einer Billigung derselben zu erkennen.
Die nächste Frage des Verfassers betrifft (S. 28 f!.)] die Ansicht des Li-
vius von der Volksherrschaft. Diese ist aber in so manchen Stellen und so klar
ausgesprochen, dass man darüber eben so wenig bei Livius, wie bei dem in
Tielem, ja mehr als man gewöhnlich glaubt, Geistesverwandten Tacitus zwei-
feln kann. Livius verwirft das Regiment der Massen wie deren Theilnahme am
"Regiment oder ihren Einfluss darauf, und darum betrachtet er selbst die Tri-
bunen, wie kaum anders zu erwarten, in einem ungünstigen Lichte, von einer
ähnlichen Ansicht und einer Betrachtung seiner und demnächst verflossenen Zeit
bestimmt, von der auch Tacitus geleitet, die Griechen geradezu „turbatores ple-
bis" (Ann. III, 30) genannt hat.
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Zn]e t it wird die Ansicht du Li v ins ober die römische Aristokratie (S. 39 IT.)
besprochen und auch hier am einer Reihe von Stellen freieigt, dats Liriii«, wenn
er auch hier und dort die Fehler dieser» Rom Jahrhunderte lang regierenden
nnd zur Weltherrschaft führenden Aristokratie nicht verschweigt, doch in Gan-
• on ole iVif i.nrmrtr Rniviinrlarur urwl I n|,,.J,,„. «Mnkaint A a d j ttr ikra mit k'rift
icii his iiir Würmer ucHuiiucrer unti Luurcuiiti cni nenn, un»s oi uirv un» 01 <ui
gepaarte Weisheit und Einsicht bei jeder Gelegenheit hervorhebt und ihr die
Dsuer ^Qd das Wschslhum der römischen Herrschaft vorzugsweise zuschreibt.
Ihn aber darum, wie ein berühmter Forscher romischer Geschichte unserer Zeit
behauptet, für partheiisch und ungerecht geradezu auszugeben, halten wir in der
That für um so ungerechter, ab diese Vorliebe des IM» für die altere rö-
miftPriA A riiitnk rafif» in Hpn VurkÜIniMpn Rnrn s fi#»t IiaI he&rrün \vl und von sc inftf
iilivt/iirj f» Il3l''ivinllvv iu Uvll » vi Uu I HIIMvIl HU IU » pvI i'3t uvj^l uuuti tiiivJ '"u sir^a
lieh ist»
In Mannheim erschien:
Der philosophische UtUerrichl auf der Mittelschule; ein pädagogisches Volum
von Otto Deimling. Mannheim. Buchdruckerei von Kaufmann. 185t.
42 S. in gr. 8.
Der Unterzeichnete hat über den hier zur Sprache gebrachten Gegenstand
schon früher bei Gelegenheit einer denselben Gegenstand behandelnden Schrift
des Hrn. Oberschulrath Metzler au Weilburg sich in diesen Blättern (Jahrg. 1848
p. 501 ff,) ausgesprochen -, er ist auch in dieser Ansicht durch alle seitdem ge-
machten Erfahrungen nur bestärkt und su der Ueberzeugung geführt worden,
dass die auf den badischen Lvceen in den beiden obersten Jabrescursen dem
-mmm^* mm vm mm mm mm ■ »-» *-* mm v ■ m tw J ms w mm * ■* m.» mm mw mmm\mm^m mm mmm mw mmmM mm mw^mm m ^ v w mm \m -m* mr -
philosophischen Unterricht durch den Schulplan zugewiesene Zeit besser au an-
dern Gegenständen verwendet werden dürfte, überhaupt der sogenannte philo-
sophische Unterricht auf das Maass zurückzuführen sei, das ihm an woblorga-
msirteu preußischen Gymnasien zugewiesen ist.
In verliegender Schrift ist diese, gewiss wichtige Frage von neuem um
Gegenstand einer umfassenden Behandlung gemacht, und zwar zuerst von dem
humanistisch-pädagogischen, dann von dem cncyclopadischen Gesichtspunkte aus,
wobei Logik und Psychologie insbesondere berücksichtigt wird und drittens vom
propädeutisch-hodegetischen Gesichtspunkte ; der Verf. gelangt auf diesem Wege
au dem Resultat, dass die Logik als besondere Disciplin eingeben, der deutsche
Unterricht dagegen erweitert werde in der Art und Weise, dass in jeder Oaase
mindestens vier Stunden diesem Untcrrichuceirenstande zmreleffL mithin anch im
m*m,m*m ™wmw m mmr mw m m mn* mrmm mm mm v* • mm • mw mm ■ m^ mm mr^f m m m v iiiwa (% • »* mm m* u m^ mp* wmj m ■ ■ ■ mt mm m m m mm^m^r mm •
vorletzten Jahrescurse die für den piülosophischen Unterrieht angesetzten Lehr-
stun deu zum Deutschen geschlagen würden, oder (wird hinzugesetzt) wo das
nicht angehe, soll der logische Unterriebt von einem besonderen Lehrer und in
besonderen Stunden, aber in genauem Anschluss an den rhetorischen Unterricht
nnd im Einverstandniss mit dem Lehrer des Deutschen erlheilt werden. Im letz-
ten Jahrescurse soll dann in den bisher diesem Unterricbtszweig zugewiesenen
drei Stunden Psychologie und Hodegetik nebst Einleitung in die Philosophie ge-
lehrt werden, der rhetorische Unterricht aber fortwährend seine Beziehung zur
Logik aufrecht erhalten.
In Freiburg erschien:
CuraeJTheocrileae. Particula altera, continens notas crilicas atque exegetx-
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$49
cos, quibus Idylüi XV loci aliquot difftciliorcs cxplicanlur et ah Diti Co*
Ihofrtdi Hernumni inatrsionibus doclis (quas cmjtdurtu tocant) defendun-
tur. (Theocriteorum studiorwn, quat hujue opusculi auetor inde ab OHM
MDCCCXXiV ad hone diem usque jam publkaut, quaeque ad interpre-
tanda Idyllia I. II. XI et XV spectant, fasciculus ssptimus). Pro*
qramma quod lycei Friburgensis coUegarum nomine propotuü F ranciscus
Weissgerber. Friburgi Rrisigaviae. In offxcina Wanoteriana. 1851.
35 S. in gr. 8.
Zunächst schliesst sich dieses Programm (als Particula altera) an das im
Jahre 1848 zu Rastadt von demselben Verfasser gelieferte, auch in diesen Blät-
tern (Jahrgg. 1848 p. 937 sq.) erwähnte Programm an. Es werden die in der
fünfzehnten Idylle Theocrits vorkommenden Eigennamen, so wie die Bedeutung
derselben besprochen; dann folgen die Annotationes zu einzelnen Versen uud
Stellen dieser Idylle, welche bald kurzer, bald ausfuhrlicher gehalten sind «od»
wie diess auf dem umfassenden Titel auch angedeutet ist, theilweise die beson-
dere Aufgabe haben, die von Gottfried Hermann verschiedentlich gemachten
Verbesserungsvorschlage, zu denen die dermalige Gestalt dieses Idylls allerdings
mann ichfache Gelegenheit bietet, als unpassend abzuweisen. Aus dem Vorwort
ersehen wir, dass der Verfasser mit einer deutschen Uebersetzung der 'Apo-ovcxac
oroiXstades Nicomachus von Gerasa, beschäftigt ist, deren baldige Bekantmachung
♦
In Bruchsal erschien:
Veber SophocUs Antigone Vers 904—913. (Von dem Director, Scherm). Buch*
druckerey von Malsch und Vogel. 1851 42 S. in gr. 8.
Dio Verse, welche den Gegenstand dieser Erörterung bilden, sind in der
neuesten Zeit mehrfach, insbesondere von Seiten ihrer Achtheit oder Unachtheit
besprochen worden; der Verf. trägt kein Bedenken sich der Ansicht derjenigen
anzuschließen, welche diese Verse für uoächt halten: er sucht, da äussere
Gründe, auf welche eine solche Behauptung sich stützen konnte, kaum vorlie-
gen, diesen Beweis der Unachtheit aus inneren Gründen zu liefern, wornach
diese Verse, zumal vom ästhetischen Standpunkt aus, für verwerflich gellen müs-
sen, da ihr Inhalt mit dem Charakter der Hauptperson des ganzen Stücks, mit
der Antigone, wie selbst mit den Zwecken und der Tendenz des Stückes im
Widerspruch stehe und in dieser Hinsicht sogar unnatürlich und widersinnig
erscheine: der Verf. bat, um diess noch anschaulicher zu machen, eine genaue
Auseinandersetzung des Ganges, den der Dichter in diesem Stücke befolgt, so
wie des Charakters, in dem er die Antigone, die Hauptperson, durchweg er-
scheinen lasst, der speciellen Erörterung vorausgeschickt, und so dieselbe auch
von allgemeiner Seite aus zu begründen gesucht. Auf diesem Wege gelangt er
zu dem Resultat, dass diese Verse, da sie von Sopbocles selbst nicht herrühren
könnten, eher wohl bei einer späteren Ueberarbeitung, etwa bei einer wieder-
holten Aufführung des Stückes eingefügt worden seien. Wenn Manche in der
AehnJichkeit dieser Verse mit der Aeusserung, welche Hero dolus III, 119 dem
Weibe des Persers Intaphernes in den Mund legt, einen wenigstens indireclen
Beweis für die Aochtheit jener Verse haben finden wollen, so glaubt der Ver-
fasser, dass aus der Stelle des Herodotus an und für sich Nichts in dieser Sache,
es sei für oder wider die Aecbtbeit der sophocleischen Verse sich beweisen
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lasse , UDcruein sei oie /vcnniicnKcii Deiner ^»tncii ciue niiur ausacrutue , Dl Ol
In den Worten Hegende, keine innere und darum auch wahre. Was Hcrodolus
betrifft, so ist es Ref. keinem Zwcitcl unterworfen , tlsiss dio betreffende , hier
in Frage stehende Stelle für eine von denjenigen anzusehen ist, in welchen das
sophistische Element, das bei diesem Schriftsteller in manchen andern Siel-
an Ein Beispiel) an die Gespräche über die verschiedenen Staatsformen, oder an
die Solonischen Gespräche I, 30 ff. sich in ähnlicher Weise geltend macht, wie
in so vielen andern Stellen das gnomologisrhe, und dass von diesem Standpunkt
ans das Urtheil gegeben werden muss. In wie weit nun Aebnliches anch bei
Sophocles stattgefunden, ist eine Frage , die wohl auch im vorliegenden Falle
in Erwägung genommen werden dürfte, aumal wenn wir des Verbiltnisa berück-
sichtigen, in welchem beide Männer, Hcrodolus und Sophocles, schon der Zeit
nnch 9ti pinnrwlpr apetanrlnn hnhikn fe mnim» f 'nmnii^nt nl t\t* vifn At »rrintic Iis»
1 1 et l» II KU ClllnllUl'I eC>9lrlllLlvIi 1 1 tl kß L II \ 9 • lULI III.. \UllfIIILIIlt1l* llv » 1 1 n C% 01 #1 1) 1 13 XI C~*
Todoti §. 5 oder p. 387 T. IV), oder an das Freundschaftsverhältnis* denken,
In welchem beide Männer zu einander gestanden haben sollen, wie diess von
A. Schöll in seinem Werke über Sophocles (Frankfurt 1842) am ausführlich-
sten dargestellt worden ist. Zwar hat auch dieser Gelehrte die fraglichen Verse
der Antigone Tür einen späteren Zusats erklärt, jedoch darin lebhaften Wider-
Snrnrh von m»l rpr >n Si-ilpn nrfahr#»n inalwaonHAr** von YVilMrhpl nnrli H/»,«*>n
|l| U v II V VIS SIS V I IS Vm vll Üvlvvll VI lOUl Vil <| 1*M9W\*&\MWB U6IL * WM * • S»**ö»» I ■ 1^ 1 1 tm \* IS U v99 V i#
Ansicht Sophocles jene Worte aus persönlicher Rücksicht für seinen Freund He-
rodot der Antigonc in den Mund gelegt hnt, so dass also eine Abhängigkeit der
sophocleischen Stelle von der Erzählung des Geschichtschrcibers stattfinde (s.
Jahrbb. für Philol. und Pädagogik Bd XL1X p. 256 sq. und vgl. die von Witx-
scjiel besorgte Ausgabe der Antigone, I.cipzigl1847. S. 25 sq.) In ähnlichem Sinne
haben sich andere Gelehrte ausgesprochen, und die herodoteisehe Aeusserung
geradezu als die Quelle der sophocleischen Stelle bezeichnet, so z. B. von Hoff
in der umfassenden diesem Gegenstand gewidmeten Erörterung in der Schrift
de mytho Helenae Euripideae (Lugduni Batav. 1843 8.) p, 38— 49. Fr. Schultz
De vita Sophoclis (Berolin. 1836 8J p. 140 ff. Fr. Ritter Didymi Opuscc. p. 6.
n. A. Wollte man nun dieser Ansicht unbedingt seinen Beifall schenken, so
wäre damit noch keineswegs die Acchtheit der sophocleischen Stelle bewiesen,
indem die letztere gerade dann um so eher für ein spateres Einschiebsel gelten
Itönnte, als die erste Aufführung der Antigone (441 a. Chr.) in eine Zeit lallt,
wo das herodoteisehe Werk, ausser etwa in einzelnen, von (ferodotus vor seiner
Heise nach Thunum (444 a. Chr.) vorgelesenen Theilcn, in seinem Ganzen noch
gar nicht zur allgemeinen Kunde der Hellenen des Mutterlandes hatte gelangen
kennen, was naeh unserer Ueberzeugnng erst nach dem Tode des bis an sein
Lebensende unermüdet thfitigen und an seinem Werke (das darum auch in man-
chen Parthien unvollendet auf uns gekommen) fortarbeitenden Herodotos, er-
folgen konnte, also nach 408, wenn unsere Ansicht die richtige ist, (s. Jahrbb.
T. Philolog. und Pädsg. LVI. p. 11) oder doch mindestens einige Zeit nach dem
Jahre 424 a. Chr. Ucbrigens wird man doch auch nicht die Möglichkeit in Abrede
stellen können, dass der Dichter so gut wie der Geschichtschreiber, unabhängig von
Einander, eine solche Sentenz wie sie in beiden Stellen enthalten ist, in seine
"Darstellung eingeflochten, die bei der onlfiugbaren Geistesverwandtschrift beider
Männer, ihrer in Manchem gleichmässig hervortretenden sophistischen Richtung
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*5i
und ihrem Streben nach Gnomologie] doch nicht so gar ferne lag, um von
der Hand gewiesen au werden. Die Aufnahme solcher Spruche, die, wie wir
glauben, in der hellenischen Welt damals ziemlich verbreitet waren, in die historische
Erzählung wie in die Poesie, dürfte darum nicht allzu befremdlich erscheinen, zumal
wenn wir die 'Wirkung erwägen , welche der Historiker wie der Dichter damit
bei seinem Publikum hervorzubringen beabsichtigte. Ob und in wie weit dadurch
die Schwierigkeiten beseitigt werden, welche für die sophocleischen Verse nach
der Ausführung des Verfassers zunächst vom ästhetischen Standpunkt aus, von
dem Charakter und der ganzen Lage und Stimmung der Anügone aus, sich er-
heben, wollen wir der weiteren Prüfung des Verfassers anheimstellen.
In Donaueschingen erschien:
De poesis Latinae rhythmis et rimis, praeeipue monachorum. Libellus conscriptus
per Christ. Tkeopkil. Schuck, magistrum trilinguem ad föntet Danu-
bitios. (Mit dem Motto: püdjioc uirpo'j naTijp xcu xavwv). Douaueschingcn.
MDCCCLI. 50 S. in 8.
P. I dieser Schrift handelt von den rythmiseben Gedichten der alten Rö-
mer nnd spricht hier auch von den Rücksichten, welche in Bezug auf Rythmus)
in den sogenannten Parisosen, Antilheten, Parechesen nnd Paronomasien auch
bei der Prosa, namentlich bei den Rednern Eingang gefunden; die Verse, wie
sie daher auch mehrfach bei Prosaisten vorkommen, werden zuletzt besprochen.
P. II handelt von den gereimten Gedichten der alten Römer, wobei zuerst die
Annominatio, die A Mite ratio und Assonantia zur Sprache kommt nnd im Einzel-
nen aas Beispielen römischer Dichter nachgewiesen wird ; dann wird gezeigt,
wie von da zu dem Gleichlaut der Endsylben, zu dem ojxoiore/.e'jTov oder dem
Reime allerdings kein grosser Sprung mehr | vorhanden war. Solche gleich*
lautende Ausgänge werden dann zahlreich ans Versen der besten römischen
Dichter, insbesondere hexametrischen nnd pentaraelrischen, nachgewiesen. P. III.
handelt (S. 38—50) von den Rythmen des Mittelalters.
In Offenburg erschien:
Historisches Register zu Caesar. Von Lehramtspraktikanten Rapp. Fortsetzung
und Schluss. S. 95—115.
Das in dem vorjährigen Programme begonnene alphabetische Register
über die in Cfisars Schriften vorkommenden Namen von Personen, das dort bis
zum Ende des Buchstabens E geführt war, wird hier zum Schlüsse gebracht nnd
da die Seitenzahl sich an die des früher gelieferten Theiles anschliesst, so wer-
den sich nun beide Theile gut zu einem Ganzen vereinigen und bei der Lectflro
des Caesar gebrauchen lassen , um so mehr , als bei jedem Eigennamen nicht
blos die Stellen , in wcMien derselbe vorkommt, sondern auch der Inhalt jeder
Stelle und die Beziehung des Kamens in derselben bemerkt wird.
Chr. Baelir.
1. Leitfaden beim eisten Unterricht in der Geschichte in vorzugsweise biographi-
scher Behandlung und mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Ge-
schichte. Von Dr. Joseph Beck, Grossher sogl. badischen Gek. Hofrath.
Sechste, verbesserte und vermehrte Auflage. Karlsruhe, Druck und Verlag
der Q. Braun sehen Uoj Buchhandlung. 1851. XIV u. 146 S. gr. 8.
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Knie Anzeigen.
Tabellen zur leichten U eher sieht' der allgemeinen Geschichte und
Anhäng tu jedem Lehrbuche der Geschichte. Von Dr. Joseph
Beck, Grossherzogl. Bad. Geh. Hofrath. In sechs Blättern. Dritte durchaus
verbesserte und vermehrte Auflage. Hannover, hn Verlage der Hahn' sehen
Hofbuchhandlung. 1850. In Folio.
I Diese Schrift ist Tür den ersten Cursus des Unterrichtes in der Geschichte
ict, welcher natnr- und s ach gemäss biographisch, sowie der zweite
'ethnographisch nnd derdrilte oni versal historisch tu behandeln
Die Zweckmässigkeit einer solchen Verkeilung des historischen Stoffes wurde
auch von der obersten Sehulbehörde des Gross berzogthu ms Baden anerkannt nad
in den Schulplan aufgenommen. Auf diese Weise wird bei dem fortschreitenden
Gange des Unterrichts der Schüler ron Stufe zu Stufe fortgeführt; das geschicht-
liche Wissen wird in ihm immer ergänzt und verYollständtgt. .Mit einem Worte,
es wird durch den gesammten Unterricht hindurch nach einem zusammenhän-
genden, wohlverstandenen und mi: Sicherheit festgehaltenen Plane verfahren, und
der Unterricht selbst geht allmählig in eine Anleitung zum eigenen selbstständi-
gen Studium über.
i Indem nun der durch seine philosophischen und geschichtlichen Schriften
rühmlich bekannte Herr Verfasser diesen ersten Cursus vorzugsweise biographisch
behandelt, geschieht dieses nicht so, dass die Biographien zusammenhanglos
oder nach einem historischer Entwicklung fremden Principe, also dasa etwa
eine Semiramis neben Maria Theresia u. s. w. zu stehen käme, zu-
sammengestellt sind. Vielmehr erscheinen die geschilderten Personen als das
hervorragenden Repräsentanten ihrer Periode und als Träger ihrer Zeit und wer-
den durch den Zusammenhang mit dieser verständlich nnd belehrend. Es sind
darin stets die verbindenden Mitteiglieder festgehalten, so daas der Schüler mit
4«. wichtigsten Thatsacben, welche den Entwicklungsgang der Menschheit be-
gründen, in ihrem gegenseitigen Zusammenhange bekannt wird. Ueber die Be-
handlung des historischen Stoffes selbst gibt der Herr Verfasser in der Vorrede
&. VII— IX sehr zweckmässige Winke. Wir verweisen daher auf dieselbe nad
fügen nur noch bei, dass sich der Herr Verfssser bemüht hat, über die Ent-
wickelnng der menschlichen Dinge eine das Gemüth befriedigende Ansicht im
Geiste der Humanität bei dem Alter zu erzeugen, für welches dieses Lehrbuch
bestimmt ist, und nicht schon hier mehr Zwiespalt als Versöhnung hervorzuru-
fen. Ist nun dieses Buch zunächst auch für Mittelschulen (höhere Bürgerschulen,
Pädagogien, Gymnasien, Lyceen) geschrieben, so ist es doch auch für den Un-
terricht in höheren Töchterschulen zu empfehlen. Wir wenigstens kennen kein
Lehrbuch, welches zu diesem Zwecke geeigneter wäre.
Durch drei synchronistische Tabellen, welche beigegeben sind nnd die
drei Hauptperioden (Alterthum, Mittelalter und Neuzeit) umfassen, wird die Ue-
bersicht sehr erleichtert.
In einem Anhange S. 140-146 wird ein Abriss der badischen Gescbicbto
gegeben. Ist dieser auch kurz, so ist er doch bei der gelungenen, gedrängten
Darstellung eine sehr willkommene Zugabe und wird bei dem Unterriebt dieses
Theiles der Geschichte gewiss mit dem besten Erfolge benutzt werden.
In dieser neuen Auflage ist Manches von dem Herrn Verfasser nachge-
bessert;, besonders geschieht dieses in Besiehung auf die Klarheit nnd
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Karre Anzeigen.
heil lies Ausdruckes. Weiter sehen wir aber auch das als eine nennenswertho
Verbesserung an, das* der Druck der wichtigsten Jahreszahlen and Begebenhei-
ten hervorgehoben ist, wie denn überhaupt die typographische Ausstattung der
Schrift nichts au wünschen übrig lässt.
II. Die synchronistischen Tabellen bestehen in 6 Bogen in Folio, und kön-
nen bei jedem andern Lehrbuche der Geschichte benutzt werden. Wie sehr der
Unterricht selbst durch solche Zeitiafeln gefördert wird, ist allgemein anerkannt.
Dieses ist aber besonders der Fall, wenn nicht allzuviele Zahlen gegeben
weraen , weicne nur verwirren una euenio munsam von aem ocnaier ge-
lernt, als sie schnell von ihm wieder vergessen werden. In den vorliegenden
ist, nach unserm Dafürhalten, die rechte Mitte getroffen. Mit vielem Takte und
grosser Sicherheit werden in denselben nur die wichtigsten Zahlen gegeben. Sie
kann der Schüler leicht dem Gedächtnis* einprägen und dadurch eine über-
sichtliche Anschauung der Geschichte sich erwerben.
Des Schtc ab cn spiegef s Landrechtsbuch, tum Gebrauche bei akademischen Vor*
trägen mit einem Wöilerbuchc herausgegeben von Dr. Ueinr. Gott/r. Genf*
/er. Erlangen. Verlag v. Theod. Bldsing. 1851. 12. (S. XXU. 292). .mi
Die vorliegende kleine Ausgabe des schwäbischen Landrechts ist „aus-
schliefe!, tum Gebrauche bei akademischen Vorlesungen bestimmt14 nnd ein
Seitenstück an Weiske's Ausgabe des sächsischen Landrechts; doch allerdings mit
grösserer Sorgfalt für diesen Zweck bearbeitet, als Letztere, die nichts weiter
als einen Abdruck des, in der Gärtner'schen Ausgabe schon langst abgedruckten
Leipziger Codex, mit Beifügung eines auf bloso Uebersetzung einzelner Worte
beschränkten sehr kurzem Glossariums von acht Seiten im Ganzen enthält. Der
Verf. hat bei vorliegendem Buche in der Hauptsache den Ambrosischen, in
Seuckenberga Corp. jur. I. sect. 2. zwar ebenfalls bereits abgedruckten Codex
zum Grunde gelegt, der jedoch für den Schwabenspiegel ungleich wichtiger ist,
als jener Leipziger für den Sachsenspiegel. Auch ist die Lassbergische Hand-
schrift überall fleissig verglichen, und, wo es zur Herstellung eines correcten
und möglichst leicht verständlichen Textes dem Zwecke des Herausgebers ent-
sprach , sind wohlausgewählte Varianten aus dem Wackernagel sehen Apparate
aufgenommen worden. Das beigefügte Glossarium, welches von S. 1*7—392
reicht, gibt nicht blos Wort-, sondern auch die nöthigsten Sacherklärungen,
namemncn Kurze unu meist tum Desscren verstananiss einzelner »atze , sowie
zur Beurtheilung des Rechtsbuches überhaupt sehr willkommene geographische,
historische und antiquarische Erläuterungen. Insbesondere finden sich hier,
bei den im Schwabenspiegel genanten Päpsten und Kaisern Leo, Sylvester, Za-
charias, Hadrian etc. die Jahre der Regiernng und die Thatsachen näher ange-
geben, mit Beziehung auf welche sie in dem Rechtsbuche erwähnt werden.
Bei anderen zweifelhaften Personen finden sich Angaben, wer wohl hier ge-
meint sei, mit Beifügung der wichtigsten Belegstellen, z. B. bei Gerold von
Schwaben und Lescandus. Bei Bistbümern, wie bei Cammin, Mainz, Magde-
burg, Meisen, Osnabrück, Paderborn, Schwerin etc. wird bemerkt wann und
ton wem sie errichtet sind etc. und bei Orten, deren Benennung etwa zvrei-
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Koro Antigen.
I
felhaft sein könnte, wie bei Altensteten, Grone, Walchnsen etc., welche Orte
darunter verstanden werden müssen. , Auch andere Sacberläuterangen , z . B.
über die Ausdrücke „gebundene Tage, Gottesfriede, Gedinge, Dreisigste, Dau-
melle, Magen, Hufe, Morgengabe, Seet, Crisiua, Pfalzgrafen etc." verdienen
bei der Kürze, die dureh den Raum hier geboten war, volles Lob, und wer-
den too Jedem , der mit dem Rechtsbuche sich bekannt machen will, nicht ohne
.Befriedigung nachgelesen werden. Auf diese Weise von dem Verfasser, und
durch ein gefälliges Aeussere zugleich von dem Yerleger sehr wohl ausgestaltet,
lasst uns das Bach für den Zweck, für den es bestimmt ist, nur einen Wunsch
noch übrig. Denn wenn es unzweifelhaft weniger zum Gebrauche bei exege-
tischen Vorlesungen, die wohl dem Schwabenspiegel nicht oft zu Theü werden
dürften, als zum Nachlesen solcher Steilen dienen soll, welche in Compendien
und Vorlesungen citirt werden; so würde eine synoptische Vergleichung der
älteren und grösseren Aasgaben des Rechtsbuches mit der vorliegenden als ein
dringendes Bedürfniss für den Gebrauch der Letzteren erscheinen, weil ohne
diese solche Stellen, die nach der Scnckenberg'schen , Lassberg'schen oder Wa -
ckernagel'schcn Ausgabe citirt worden sind, hier unmöglich wiedergefunden
Verden können. An dies Bedürfniss, welchem sehr leicht noch Genüge gelei-
stet werden könnte, wenn nach Seite XXII der Vorrede etc. eine solche Sy-
nopsis auf einem halben Bogen noch eingeschaltet würde, den Verfasser und
■Verleger aufmerksam zu machen, erlauben wir uns daher, in der Ueberzeogong,
dass hierdurch die Brauchbarkeit dieser Ausgabe für Studirende am nicht we-
nig vergrössert werdeo würde. Suclmse.
j
Handbuch der rationellen und technischen Mechanik ton Q. Dccher, Professor
der Mechanik an der polytechnischen Schule in Augsburg. Ersten Bandes
erste Hälfte: Einleitung und Mechanik des materiellen Punktes. Mit vier
Sleindruckiafeln. Augsburg. Verlag der Matth. Rieger'schm Buchhand-
lung. 185f.
Der Zweck des Verf. bei der Bearbeitung des vorliegenden Werkes ist :
„Denjenigen, welche sich mit den Lehren der rationellen nod technischen Me-
chanik mehr als nur oberflächlich bekannt machen wollen und sich schon einige
Kenntnisse in der höhern Analysis erworben haben, ein Buch in die Hand zu
geben, in welchem sie jene Lebren niebt nur klar und anschaulich und der Na-
tur der Verbältnisse entsprechend dargestellt und streng geordnet, sondern nach
ju einer bisher ganz entbehrten strengen Weise begründet finden, and wodurch
sie namentlich befähigt werden sollen, jene Lebren auf Aufgaben der Technik
«icher anzuwenden !"
In diesen letzten Beziehungen hat es dem Verf. vor Allem nothwendig ge-
schienen: die höhereAnalysis selbst auf eine klare uod streng wissenschaft-
liche Giundlage zu stellen und ihren Grundformen eine Bedeutung unterzulegen,
welche einfach aus der Natur der Sache h ervorgeht und demnach auch für die
Anwendung in jedem Falle einen anschaulichen Begriff gebe. — Den bisher selbst
in der reinen Analysis grösstcnthcils, in der angewandten Mathematik aber aus-
schliesslich festgehaltenen Begriff und die Methode des Une ndlichk leinen
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Kurze Anzeigen.
bat der Verf. ganz beseitigen müssen, weit sie einer strengen Anforderung nie
genügen können (?! — ). Denn einmal könne eine Grösse, welche absolut ge*5
nommen, kleiner sein soll, als jede gegebene Grösse, nur Noll sein (?!) und
nicht in verschiedenen Abstufungen' als Unendlichkleines der ersten, zweiten,
dritten, .... Ordnung gedacht werden (?) , wenn man nicht mit Begriffen spie-
len, und diese so dehnbar machen wolle, wie es jetzt manche Rechtsbegriffe-
sind! — Verstehe man aber unter dem sogenannten Unendlichkleinen ein
ehrliches Sehrkleines, in welchem Falle solche Abstufungen allerdings denk*
bar seien, so erscheinen alle Lehrsätze der Geometrie und Mechanik nur als an-
genähert richtig und seien auf eine Menge falscher Voraussetzungen gegrün-
det (allerdings! — ). Ein Vieleck von unendlich vielen Seiten sei ein Unding
— eine Tangente habe nicht zwei, der Krümmungskreis nicht drei Punkte mit
einer Curvo gemein, sondern nur einen u. s. w.ü? —
Aber auch die Begriffe der sogenannten Grenzmethode müssen nach
der Meinung des Verf. durch andere ersetzt werden, welche in dem Zweck der
höhern Aoalysis selbst begründet und mit einer slrengmatbematischen (?) Vor-
stellung vereinbar seien! — Der Verf. gesteht selbst: dass ein Verhältniss zweier
Grössen, welche absolut Null sind, nicht denkbar sei. — Man scheue sich
dessbalb auch, die Incremente geradezu gleich Null zunehmen, und nähere sich
diesem Werthe nur ganz sachte, hüte sich ja, denselben wirklich zu erreichen.
— Man bleibe also im Grunde doch auch bei dem Unendlichkleinen stehen,
und dabei bringe dieses fortwährende noli me längere jener Grenzen eine Aengst-
jichkeit und eine sophistische Spitzfindigkeit in die höhere Analysis, welche je-
den einfachen Sinn davoo zurückschrecken müsse, und welche selbst einen Mei-
ster der Analysis, wie Cauchy, sowie seine Schüler zu Trugschlüssen verleitet
habe (!
Der Verf. hat desshalb, wie er ausdrücklich bemerkt, in seinem Werke
eine neue (?!) der Natur der Sache entnommene, und wie er glaubt, in jeder
Beziehung klare und strengmalhematische Anschauungsweise für die Differential-
und Integralrechnung , sowohl was die Ableitung und Bedeutung des Differen-
tialquotienten, als die der Integrale betrifft, zu Grunde gelegt, und glaubt dabei
gezeigt zu haben: wie einfach und natürlich die Beziehung ist, worin die In-
tegrale ihrer wahren Bedeutung nach zu den Differentialquotienten stehen, wie
einseitig und irrig die bisher den Integralen untergelegten Begriffe gewesen sind
(?!), u. s. w. Auch schmeichelt sich der Yerf. mit der Hoffnung: durch diese
neue (?) Grundlage der höhern Analysis den nebeligen (?) Pfad zu der-
selben erhellet, sowie Überhaupt die Bahn für eine strenge Anwendung der
höhern Mathematik auf Mechanik und Physik gebrochen zu haben!?
Wir sind sehr begierig zu erfahren, worin wohl die so gepriesene neue
Begründungsweise der höhern Analysis bestehen mag, und gehen desshalb so-
fort zur nähern Exposition des Verf. über. Es sei (indem wir der Kürze we-
gen blos eine ebene Corvo betrachten) y = F(x) die Gleichung einer Curve in
Bezug auf ein rechtwinkliges Coordinatensystem. Geht man von einem Punkte
ch oder (x, y) derselben zu einem folgenden PunkteM' oder (x Ax , y -f- Ay)
über, so hat man:]
y + Ay = F(x + Ax),
oder: Ay=F(x-f Ax) — F(x), (1)
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Kurse Anzeigen.
Lasse man nun Ax immer kleiner and zuletzt = 0 werden, wodurch man
offenbar in den Punkt M zurückkomme, so werde auch Ay immer kleiner und
folettt = 0; dabei soll aber ^ inmiei beatimmte Wert he behalten, und selbst
dann noch, wenn Ax = o und Ay = o geworden ist! — Man müsse sich Ax,
Ay also als veränderliche Grösse denken, die im Punkte M durch den
Werth Null gehen, nm, wenn man wolle, auch negative Werthe anzuneh-
men (?), wie man sich bei «lieh Funktionen unter dem Werthe Null der Ver-
änderlichen nur einen Durchgangs- oder Entstehungswerth, aber nicht
ein absolutes Nichtvorhandensein vorstelle, da es sonst gar keinen Sinn habe,
von dem Werthe einer solchen Funktion zu reden, wenn die Veränderliche = o
ist (? — ). Man müsse sich daher Ax, Ay als Grössen vorstellen, welche im
Punkte M im Entstehen oder im Durchgange durch den Werth Null be-
griffen sind, um nach und nach in stetiger Aenderung beliebige (?) Werthe
anzunehmen! — Man sehe leicht ein, dass das obige Verfahren darauf hinaus-
laufe: die Coordinateoaxen parallel zu ihren früheren Richtungen durch den
Punkt M oder (x , y) zu legen und die Gestalt und| Lage der Curve in Bezug
auf dieses neue Axensystem durch die Veränderlichen Ax, Ay mittels der Glei-
chung (1), worin x, y bestimmte Werthe haben, auszudrücken. Das Verbält-
ntss Tg der neuen Coordinaten Ax, Ay, werde also im Allgemeinen wieder eine
neue Veränderliche sein, welche sich ebenfalls stetig ändere (?) und daher
auch wie in jedem andern Punkte M' der Curve, so auch im Anfangspunkte
M, oder wie für jeden andern Werth der Veränderlichen Ax, so auch für den
Werth Ax = o einen beatimmte n Werth haben (?). Denn da F (x-f Ax) -
F (x) immer mit Ax zugleich verschwinden rauss, so könne man diese Function
stets anf die Form:
dxF'(x+aAx3,
wo et irgend eine Verhältnisszahl bedeute, gebracht denken, welches auch die
bekannten oder unbekannten (?) Transformationen sein mögen, wodurch man
jene Funktion auf diese Form bringen könne!? -- Das Verhällniss (2) komme
demnach auf die einfachere Form:
F'O+aAx)
wirück, und nehme für Ax=o den bestimmten Werth F'(x) an!? -
Nach dieser durchaus klaren, bestimmten and strengmathema-
tischen Vorstellungsweise (?!) meint der Verfasser, werde es nun einleuchten,
dass ee durchaus unnöthig und aeibst unrichtig sei, die Aenderungen Ax, Ay
im Punkte M als unendlich kleine Grössen zu denken (!?). Auch werde
man die obige Vorstellung von den Aenderungen Ax, Ay und ihrem Verhältnis
leicht auf andere analytische Funklienen übertragen, denen keine besondere (geo-
metrische) Bedeutung zukommt, und so den unbestimmten (?) Begriff des
Unendlichkleinen, welches im Grunde nur ein debnbarea Null(?)eei,
und nicht nur der strengen mathematischen Form Eintrag thue (!?), indem da-
durch aile Gesetze der höbern Mathematik als b!os näherungs weise rieh-
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tig erscheinen (!?), sondern auch vielfach falsche Vorstellungen nnd Schlosse
veranlasse, aus der Mathematik ginzlich verbannen!! — Auch die Grenz mc-
thode soll auf einer unklaren, wo nicht unrichtigen Ansicht beruhen. —
Die dem Anfangspunkte M entsprechenden Werthe der Veränderlichen Ax, Ay
nennt der Verf. Entstehungs- oder Anfangawerthe, and ihr Verhältnis*
bezeichnet er durch:
Ax Ax ■
so lange dasselbe noch als unentwickelt gedacht wird, nnd den nach den
Regeln der Differentialrechnung daraus abgeleiteten Werth, welcher im Allge-
dy
meinen eine Funktion von x ist, mit — ..
dx
Ans dem Milgetheilten sieht man, das die neue Begründungsweise der
hohem Analysis durch den Verfasser weiter nichts ist, als die alte En ler 'sehe
Nullentheorie, also eine blosse sinn- und begrifflose Erschleichnng,
welche allerdings das richtige Resultat gibt, weil sich unendlich kleine Grössen
gegen endliche hinsichtlich der Vermehrung oder Verminderung ebenso verbal*
ten, wie absolute Nullen, welche aber nun und nimmermehr eine begriff-
liche Einsicht in das Wesen und Objekt der höhern Analysis gewähren
kann, weil stetige Grössen, mit deren Veränderungsgesetzen sich die
höhere Analysis beschäftigt, sich nicht nach Kuli incrementen , sondern nach
unendlich kleinen Incrementen ändern. — Die Integralrechnung, als Sum-
metionametkode (wie sie auch der Verf. betrachtet), bat in dieser Nullen-
iheorie vollends gar kernen Sinn. — Die Einwürfe, welche der Verf. gegen det
Begriff und die Methode des Unendlichkleinen macht, sowie das obige
dy
Raisonnement, wodurch er die Existenz von -1 nachweisen will, sind offen-
dx »
bar grund- und bodenlos. - Ich brauche jedoch hier nicht weiter auf Er-
örterungen über das Wesen und die verschiedenen Begründungsmetho-
den der höhern Analysis einzugehen, sondern kann in dieser Beziehung auf das,
was ich bei Gelegenheit der Benrtheilung der Werke von Kavier, Dirksen,
Snell u. s. w. in den göt tingeschen Gclehrtenanzeigen (Jahrg. 1848-1849),
nnd im 6. Kap. meiner „Grundlehren der höhern Analysis (Braun-
schweig, 184») gesagt habe, füglich verweisen.
Auch für die Integralrechnung will der Verf. eine einfacher«
nnd natürlichere Ansicht ala die gewöhnliehe zu Grande legen, und über einige
zweifelhafte Fälle bei der Anwendung, worüber die meisten Lehrbücher der
Integralrechnung hinweggehen, oder unklare nnd unrichtige Lehren geben (?!))
aufklären !
Die erste und nächste Aufgabe der Integralrechnung soll nicht, wie man
gewöhnlich sage, darin bestehen: ven der (gegebenen) abgeleiteten Funk-
tion anf die (unbekannte) ursprüngliche % arückzuschliessen —
sondern darin: aus dem allgemeinen A e nd e r u ng s geselz e einer
Funktion ihre wirkliche (endliche) Aenderung für einen gegebe-
nen Aenderungs werth der unabhängigen Veränderlichen he nu-
leiten. Das Zeichen I soll das Zeichen: Anf. (gleichbedeutend mit dem ge-
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• t
wohnlichen lim.) aufheben, und so wie aus x» = a folge x = y<»a, so soll aus
den Gleichungen :
Ax dx Ax v
t das (endliche) Aenderungverbfiltniss:
in der Aenderangiwetth oder da« Integral (?!):
Ay = AxJ'-g-, F(x+Ax) - F(x) = A F(x) = Aijf" CO
folgen! —
Dies ist doch offenbarer Unsinn! Denn wäre x. B. y = F(x)=x», ao ist:
Ay (X+AX> - X» ^ ff ^
Ax Ax dx '
nach der Integralrechnung des Verf.:
J
Ay = Ax
Die endliche Differeni Ay = AF(x) einer unbekannten Funktion
F(x) kann doch offenbar nicht anders erhalten werden ana dem gege-
benen Differenxialquotientcn jL = F'(x) oder Differenxiale dy = F'(x)dx, als
dass man unmittelbar oder mittelbar einen Rückschluss macht, oder die un-
abhängige Veränderliche x in dy = F'(x)dx sich zwischen den betrachteten Gren-
zen stetig ändern Ifisst, und dio so erhaltene Reihe summirtf
Nach der Theorie des Verf. soll gar kein Grund vorbanden sein, an der
Richtigkeit eines Integrals xu zweifeln, wenn das Differenzial oder die ursprüng-
liche Funktion innerhalb der Integrationsgrensen unendlich oder imaginir
Wird!? -
Da die Torliegende erste Hälfte des ersten Bandes von der Mechanik
nur einige Abschnitte erst enthält, so verspare ich die spezielle Benrtbeilong
derselben bis zum Erscheinen der folgenden Theile über Mechanik auf, und füge
jetzt blos die allgemeine Bemerkung hinzu: dass die Bearbeitung der Me-
chanik, ao viel sich nach dem jetzt schon Vorliegenden beortheilen lässt, eine
ebenso gründliche als klare und methodische werden wird.
Das ganze in Rede stehende Werk soll in drei Abtheilungen erscheinen,
wovon die erste die theoretische oder rationelle Mechanik, die
zweite die bau wissenschaftliche Mechanik, und die dritte die ci-
le Maschinenlehre enthalten soll.
Die Ausstattung des Werkes ist sehr gut und correct.
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Inhalt
der
Heidelberger Jahrbücher der Literatur.*)
Vierundvierzigster Jahrgang, i85i.
Abhandlungen, naturwissenschaftliche, herausgegeb. von Haidinger. 310
AI brecht, K. v. Weinsberg's Einnahmen- etc. Register 832
St. Aldhelmi Opera ed. Giles 450
Andree, America in geschichtl. und geograph. Umrissen I. .... 787
Archiv für Altere Geschichtskunde, herausg. von Perti. X. Bd. . . 322
Arriani ezpeditio Cyri, ed. Geier 331
Aeschyli tragoediae, ed. Dindorf. 293
Bauerkeller s Handatlas der Erdkunde von Ewald 152
Beck, Leitfaden der Geschichte 951
„ synchronist. Tabellen der Geschichte 952
Beiträge zur vaterländischen Geschichte. IV. (Basel.) 21
Bericht über die Kriegsoperationen der russischen Truppen gegen Ungarn, LL51
Berichte, naturwissenschaftliche, herausgegeben von Haidinger. . . 307
Bibliotheca scriptt. Graecc. et Komm. Teubneriana 291. 931
Biedermann, Junghegcl'sche Weltanschauung 4ül
St. Bonifacii Opera ed Giles 450
Bowyer, Commentaries on the modern civil law 5$
Brackenhoeft, Grundlagen des gemeinen deutschen Rechts 417
Briefe, antiquarische, von Böckh, herausgegeben von Raumer. . . 440
Broch, Lehrbuch der Mechanik, 1 753
Bruck mann, der artesische Brunnen 312
Bocolici Graeci ed. Ahrens 293
Caesar »• eommentarii ed. Oebler 301
Catherwood Views of aoeient montiments in Centraiamerika. . . 8L 161
Caussin de Perceval, Essai sur l'histoire des Arabes. Tom. II. et III. 572
M. Chevalier, Studien über die nordamerikanische Verfassung von Engel. 151
Cicero nis opera ed. Klotz 301. 931
Colquhoun, Summary of the Roman civil law 5i>
Cornelius Nepos ed. Oietsch, 300
Coteiba's Handbuch der Geschichte, von Wüste nfeld. 133
Curtius Rufus ed. Foss .... 301
Dandolo, I Volontär! ed i bersaglieri Lombardi 1
Decher, Handbuch der Mechanik, 1 951
Deimling, der philosophische Unterriehl auf der Mittelschule. . . . 918
Delesse, caracteres de l'Arcose dans les Vosges . 923
*) In Nro. 38. und 3JL sind durch ein Versehen des Setzers die Pagina
von p. 5ü3 — 621. falsch angegeben, wesshalb man diese vor dem Gebrauche
des Inhalts in indem bittet
61
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960 Inhalt 4
Demosthenis orntiones, ed. G. Dindorf 295. 931
Drob jach, Grundlinien der Psychologie 80t>
Droysen, Leben des Grafen York, L Bd 481
Düntier, Gölhe's Faust 579
Eckstein, Beiträge zur Geschichte der Hall. Schulen 7*3
Erinnerungen aus Paris 4Ij
Eutropius, ed. Dietscb 30 1
Ezquerra del Bnyo, Elementos de Laboreo de Minus 729
Feldbausch, zur Erklärung des Hornz. 1 932
Der Feldzug des Corps des Generals v. Wallmoden -Gimborn ... 49.
Der Feldzug in Ungarn und Siebenbürgen 651
Flegler, Geschichte des Alterthums 36
„ das Königreich der Longobarden in Italien 504
Francoeur, Lehrkurs der reinen Mathematik, von Ph. Fischer. L Bd. . 789
Frühe, die politische Ansicht des Livius 946
Gedanken, des Königs, und ein Stück Geschichte hft)
Gerlach und Bachofen, Geschichte der Römer, LI 32
Gen gier, des Schwabenspiegels Landrechtsbnch 953
Girtanner, die Bürgschaft nach gemeinem Civil recht. 1 418
i» b n a n 9
Gramraatici de generr. nomm. opusculum ed. Otto 459
Grewingk, die Nordwestküste America's 230
Gr 08 8, Erinnerungen aus den Kriegsjahren 51
Graber, Bechen unter rieht in der Volks- und höhern Bürgerschule. . . 305
„ Anleitung zum Gebrauch des Rechenunterrichts etc 305
G runer t, Beiträge zur meteorol. Optik (die Lichterscheinungen). . . 731
Haidinger, Miti hei hingen von Freunden der Naturwissenschaften in Wien. 307
„ naturwissenschaftliche Abhandlungen 310
Hansen, Auflösung eines Systems linearer Grössen 636
Heilquellen, die nassauischen, durch einen Verein von Aerzten. . . 532
Heis, Sammlung von Beispielen aus der Arithmetik und Algebra. . . 621
Hol big, Grundriss der Geschichte der poetischen Literatur d. Deutschen. 159
„ Wallenstein und Arnim 159
Herbst, die Burg flachberg £23
„ Taschenbuch der Entwickelungsmomente 927
Herodoti historiarum libri, ed. Dietsch 294
Höchster, Lehrbuch des französischen Strafprozesses 1£Q
Homeri Carolina, ed. G. Dindorf. 292
Höpfoer, der Krieg von 1806 und 1807 216
Horatii opera, ed. Jahn 29Ü
Horrmnnn, Geschichte der römischen Literatur Mi
Jager, die Gymnastik der Hellenen 619
Jahn, Verfahren, Wurzeln zu berechnen 861
Jahrbuch der k. k. Reichsansialt. ..... 315
Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinland. XV. . 732
Joannis Sarisberiensis Opera ed. Giles 456
Journal of the American oriental society 239
b n r> n n ii ^ ^fifi
Juvenalis opera, ed. Haeckermann 931
v. Kaltenborn, Geschichte des Natur- und Völkerrechts. L ... 702
Karsten, Verzeichnis der im Rostocker Museum befind!. Versteinerungen. 922
Kellfer, Semestrium ad M. T. Ciceronem libri 616
Br. Kerl, Leitfaden beim Löthrohrprobir - Unterrichte 772
Kiehl_j Spcc. de Proiuetbeo Aeschyleo 775
M. Koch, Beitrüge zur Geschichte Tirols 319
Köchly, Emendatt. Apollo nianae 778
r Tryphiodori de Hü excidio Carmen ' TIS
„ De lliadis II. Disput » ... 778
„ Conjeclann, Epicc. fascic. I. ••••••• IIS
Google
Inhalt.
961
Kraasa, das Thierreich in Bildern. I • ' • ^1
Lebensabrisa von J. C. Orel Ii •
G. Leonhard, die Quarzführenden Porphyre JjJ
„ Grundzöge der Mineralogie, nach Ansted. L Bd. . . . 22a
Lexicon geographicum Arabic. ed. Juynboll et Ganl 44H
Livii opera, ed. Weissenborn 30L SM
Lyons, Ciiltur der Orchideen, von Courlin i« • • •
Mehring, Zukunft der peinlichen Rechtspflege
Menzel, Historische Lesestücke. . 444
Mir?. n a Kazem-Beg, Derbend - Nameh
M o iic, Zeitschrift Tür Geschichte des Oberrheins «gl
„ Quellensammlung der badischen Landesgeschichte SM
Mooser, die Pönitentiaranstalt St. Jakob bei St. Gallen 252
v. Müffling, Aas meinem Leben • • • • ■ 641
Müller, Histoire de la Suisse, trad. p. Monnard et Vulliemin. . . Bi5
Mure, Histoire of the Ianguage and literaturc of Greece 221)
Naumann, Fortschritte der Geognosie jgjj
Naumann., über die Strafrechtstheorie
Na vier, Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung 4M
Oersted, die Naturwissenschaft and die Geistesbildung. ..... 135
0 ettinger, die Vorstellungen der Griechen und Römer über die Erde.. 312
Ovidius, ed. Merkel 2M
Perrey, rremblements de terre ^28
Pfeiffer, habsburg- Asterreich. Urbarboch £32
Pfriem er, Aufgaben zu Schulz v. Strassnitzky, Geometrie 421*
Phaedri fabulae, ed. Dressler
Pin dar i Canum, cd. S c h n e i d e w i n 2^3
Plato ed. C. Hermann 295, 931
Plauti comoediae ed. Flcckcison. . . . 29& 934
Plinii Secundi hist. naturalis excerpta, ed. Elster £43
Politik, unsere ßfil
Probst, zur Wiedergeburt der Strafrechtspflege £05
Propertii elegiac, ed. Keil 298
Publications de la socidte pour les Monuments de Laxembourg. . . 840
Quellen und Forschungen zur vaterländischen Geschichte etc. . . .
Quellensammlung d. bad. Landesgeschichte, hersg. v. Mone. (Wien.) II. L 612
Quetelet, sar la statistique morale 5£1
Rapp, Historisches Register zu Cäsar II £51
K. v. Raum er, Erinnerungen aus 1813 und 1814 38
„ Palästina. 3, Aufl IM
Rdne de Bouilld, Histoire des ducs de Guise. . . . 244
M. de Ring, Histoire des Germains 320
v. Röder, Kriegs- und Staatsschriften des Markgrafen Ludwig. ■ • • 369
Rogner, Sammlung von Aufgaben aus der Arithmetik und Algebra. . 426
Rolle, Uebersicht urweltlicher Organismen 314
Rosmann und Ens, Geschichte von Breisach 692
RQtimeyer, über das schweizerische Nummulitcn - Terrain 313
Sallustii Catilina et Jugurtha, cd. Dictzsch • . • 300
Schäfer, Geschichtstabellen. 3, Aufl 2*6
Schaffner, Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs 2ül
Sc heerer, Löthrohrbuch 773
Scheffler, der Situationskalkul H64
Scheidler, Propädeutik der praktischen Philosophie 391
Scher m, über Sophocles Antigone Ü43
Schiller, krit. und. exeg. Bemerkungen zu den Persern des Acschylus. 112
Schlagint weit, Untersuchungen über die physik. Geographie der Alpen. 139
Schlö milch, die allgemeine Umkehrung gegebener Funktionen. . . . 625
„ Mathematische Abhandinngen 630
Schlosser, die beiden in Baden (von Krieg von Hochfeldcn). . 721
*62 Inhalt.
Schlosser, die Kirche in ihren Liedern. L . 831
Sehne idawind, der Feldsag des Herzogs von Braunschweig. ... 44
Schneider, Prolegomena in Callimachi Aiuuiv fragmenla 940
Sc buch, de poßsis Latinae rhythmis 951
Schulz v. Strassnitzky, Handbuch der Geometrie 475
v. Sinner, Bibliographie der Srhweizcrgeschichtc 901
Smith, Schiffbau der Griechen; von Thierseh 829
Sophoclis tragoediae, ed. Dilldorf 293
Spitzer, Aufsuchung der reellen und imaginären Wurzeln 791
Stengel, Briefen die Hebräer 304
Stephens, Travels in Ccntralamcrika 81. 161
„ Travels in Yucatan 81. 161
Stiefel, Universalgeschichte. I. Thl 503
Stizenberger, Uebersicht der Versteinerungen in Baden 617
Stobaei Eclogg. physs. et ethicc. ed. Gaisford 147
Streu her, Basier Taschenbuch auf 1850 29
„ „ n » 1851 500
Studer, Geologie der Schweiz 850
Taciti opera, cd. Halm 301. 934
Tebeldi, das Eigenthum 257
Hu haut, über Beinheit der Tonkunst. 3. Aull 618
Tböl, Einleitung in das deutsche Privatrecht 741
Thucydidis bellum Peloponnesiacum , ed. Boehme 294. 931
Tiarks, die Universität Cambridge (Colleges) 321
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